Operation Rot-Grün
Mit Blick für spannende Details schildern die Autoren, wie sich die Kneipenfreunde Schröder und Fischer 1998 ins Kanzleramt taktieren und dann erleben, daß die Zwänge der Politik ihr Denken verändern und sie langsam im Sumpf der Wirklichkeit versinken. Gestützt auf Recherchen von über 40 SPIEGEL-Redakteuren, fügen sie einen Politkrimi zusammen, der erzählt, mit welchen Finten und Tricks in Berlin gearbeitet wird, wenn es um die Agenda 2010, den Kampf gegen den Terror oder das Dosenpfand geht.
Operation Rot-Grün von MatthiasGeyer, Dirk Kurbjuweit und Cordt Schnibben
LESEPROBE
Der lange Marsch an die Macht
September 1983, Bonn
Die "Provinz" ist klein und eng, aber sie hat eine guteLage. Die Kneipe gehört Heike Stollenwerk. Sie ist eine große Frau mit einemeckigen Gesicht, sie raucht Roth-Händle ohne Filter und trinkt Weißwein, auch schonmal am Nachmittag. Gegenüber ist das Kanzleramt. Gegenüber herrscht HelmutKohl. Man hat ihn immer im Blick von hier aus.
Eines Abends geht die Tür auf, und Gerhard Schröder kommtrein. Er bringt neue Gäste mit, es sind Abgeordnete von den Grünen. Sie gehenhinter ihm her. Joschka Fischer, Hubert Kleinert, Otto Schily.
Seit diesem Abend kommen sie immer wieder.
Politisiert worden sind sie in einer Zeit, als WalterUlbricht in OstBerlin Militärparaden abnahm und Rudi Dutschke in West-Berlinden Ku'damm rauf- und runterlief. Sie haben die gleichen Träume - make love,not war; raus aus der Nato; Bildung statt Bomben; Ami, go home; enteignetSpringer; stoppt die Notstandsgesetze; nieder mit dem Polizeistaat. Und siehaben die gleichen Feindbilder - den Schah von Persien, CIA, BND, Nixon,Strauß, Kiesinger. Und später Schmidt.
Als Kanzler wollte Helmut Schmidt US-Raketen nachMitteleuropa holen und die Atomenergie ausbauen. Über die 68er sagte Schmidt einmal:"Sie bestreiten alles, nur nicht ihren Lebensunterhalt."
Dann wird Helmut Kohl Kanzler, und sie haben ein neuesFeindbild. Kohl will Adenauers Republik zurück, ein Land mit einem großen Jägerzaundrum herum, mit Troddeln an der Wohnzimmerlampe und richtigen "Familljen"am Esstisch.
Es ist die Zeit, in der die Grünen mit der Politik anfangen.Otto Schily und Joschka Fischer gehören zu ihnen. Sie wollen eine andere Republik.Es gibt junge Sozialdemokraten, die dasselbe wollen. Gerhard Schröder,Heidemarie Wieczorek-Zeul, Renate Schmidt, Hans Eichel.
Sie wissen nicht genau, wie die Republik, die sie wollen,aussehen soll. Aber sie wollen sie gestalten. In der "Provinz" entwerfensie das neue Deutschland.
Auch Heide Simonis ist da, die Frau, die heuteMinisterpräsidentin in Schleswig-Holstein ist. Sie ist damalsBundestagsabgeordnete der SPD. Sie hat nicht viel zu tun mit den neuen Männern, sie beobachtet sienur. "Jeder hatte seinen Platz, und keiner pinkelte dem anderen ins Revier. Sieließen schon damals keinen Zweifel daran, dass sie gottgesandt waren",sagt Simonis. Manchmal kommt auch Doris Köpf in die "Provinz", sie istRedakteurin bei der "Bild"-Zeitung.
JoschkaFischer thront schon damals zurückgelehnt an seinem Tisch und guckt insUnendliche. Er sitzt in der Kneipe, wie er heute im Großen Kabinettssaal sitzt,aber er steckt noch nicht in dreiteiligen Anzügen. "Ich hatte selten dasBedürfnis, mit ihm zu reden, weil er eh alles besser wusste", sagtSimonis.
Otto Schilyträgt schon damals gebügelte Oberhemden und Krawatte. Er sagt zu allen"Sie", er beschwert sich, dass die Küche schon um elf Uhr abendsgeschlossen wird, er will kein Bier trinken, er will Rotwein aus der Toskana."Er erzählte den anderen immer, was sie wieder falsch gemacht haben", sagtSimonis.
GerhardSchröder ist schon damals ein geselliger Mensch. Er mag das Bier, und einmal,als er zu viel davon hinuntergekippt hat, geht er raus, über die Straße zumKanzleramt, greift an die Gitterstäbe des Zauns, rüttelt daran und schreit:"Ich will da rein."
DerSPD-Abgeordnete Claus Grobecker aus Bremen kommt auch oft in die"Provinz". Er ist ein bekannter Gewerkschafter. Eines Abends nimmt ereinen Bierdeckel und malt einen Pfeil darauf, der von links unten nach rechtsoben zeigt. Grobecker sagt: "Das wird euer Weg sein: links unten einsteigen,rechts oben ankommen."
Schilykommt aus einer großbürgerlichen Familie, er ist Rechtsanwalt, er hat in densiebziger Jahren die Terroristin Gudrun Ensslin verteidigt, er ist schonjemand. Fischer hat in den siebziger Jahren Frankfurter Häuser besetzt und aufder Straße gegen den Staat gekämpft. Sein Vater war Metzger. Schröders Mutterwar Putzfrau. Schröder hat das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht unddann Jura studiert.
Als sie inHeike Stollenwerks Kneipe zusammenkommen, arbeitet sich Schröder gerade in derSPD nach vorn, Schily steht an der Spitze der grünen Fraktion, und Fischer istbei den Grünen Parlamentarischer Geschäftsführer. Fischer ist Schilys Knecht.
AberFischer ist brillant. Fischer kann reden. "Mit Verlaub, Herr Präsident, Siesind ein Arschloch", sagt er zum damaligen BundestagsvizepräsidentenRichard Stücklen. "Eine unglaubliche Alkoholiker
versammlung,die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt", sagt er über denDeutschen Bundestag.
Schröderempfindet wie Fischer, aber er kann es nicht so schön ausdrücken. Eines Nachtssitzen Gerhard Schröder und Joschka Fischer an einem Tisch in der"Provinz" und entwerfen auf Bierdeckeln das Kabinett der Zukunft. Auf denBierdeckeln ist Schröder Bundeskanzler, Fischer ist Außenminister, und Schilyist Justizminister. Aber gegenüber sitzt Kohl im Kanzleramt und schlägtWurzeln.
Fischergeht nach Hessen, er wird Umweltminister der ersten rotgrünen Koalition undlässt sich in weißen Turnschuhen vereidigen. Schily kommt nicht weiter bei denGrünen. Deshalb geht er 1989 zur SPD. Schröder zieht nach Niedersachsen, erwill Ministerpräsident werden. Vorher reist er nach Kuba und lässt sich vonFidel Castro erklären, wie man Wahlen gewinnt. Zum Abschied schenkt ihm Castro eineKiste mit Cohiba-Zigarren. (...)
© 2005Deutsche Verlags-Anstalt, München und SPIEGEL-Buchverlag, Hamburg
- Autoren: Matthias Geyer , Dirk Kurbjuweit , Cordt Schnibben
- 2005, 343 Seiten, Maße: 14,5 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421057826
- ISBN-13: 9783421057822
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