Oskar und Lilli
Roman
Weil sie keinen Vater haben und ihre Mutter nichts mehr auf die Reihe kriegt, sind die Geschwister Oskar und Lilli von zu Hause ausgerissen. Von der Polizei aufgegriffen, werden die Kinder in unterschiedlichen Pflegefamilien untergebracht. Nun haben die...
Leider schon ausverkauft
Buch (Gebunden)
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Oskar und Lilli “
Klappentext zu „Oskar und Lilli “
Weil sie keinen Vater haben und ihre Mutter nichts mehr auf die Reihe kriegt, sind die Geschwister Oskar und Lilli von zu Hause ausgerissen. Von der Polizei aufgegriffen, werden die Kinder in unterschiedlichen Pflegefamilien untergebracht. Nun haben die beiden das Letzte verloren, was sie in ihrer Not noch hatten: einander. Mit ihren neuen Familien haben es beide nicht gut erwischt. Doch in dem Haushalt, in dem Oskar lebt, gibt es eine ältere Frau, Erika, mit der er sich anfreundet und die ihm ihr Vermögen vermacht. Nach ihrem Tod holt Oskar seine Schwester Lilli ab, und gemeinsam mit Bruno, dem Lastwagenfahrer, brechen sie in eine Zukunft auf, die nur besser sein kann. Ein ungewöhnliches Buch voll Traurigkeit und Poesie.
Lese-Probe zu „Oskar und Lilli “
Oskar und Lilli von Monika Helfer 1
... mehr
Wir suchen unsere Mama
Im Straßengraben gehen zwei Kinder. Hand in Hand. Ein Auto bleibt stehen. Ein Polizist steigt aus und leuchtet mit einer Lampe in den Graben hinunter. Der Schein trifft die Kinder mitten ins Gesicht. Wie heißt ihr und wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin, fragt der Polizist mit vollem Mund. Er kaut Wurst und hat Wurst in der Hand, und er kriegt nicht gleich eine Antwort. Er geht breitbeinig in die Hocke. So dann, sagt mir halt zuerst eure Namen. Das ist der Oskar, mein Bruder, und ich bin die Lilli. Die Lilli und weiter? Der ganze Name. Lilli Straaten. Und er? Redet er nichts? Oskar Straaten.
Straaten? Mit doppelt a. Mit doppelt a. Das gibt's hier nicht. Straaten, nie gehört, Straaten. So heißt hier niemand. Wir sind trotzdem von hier, Hannibalstraße 27 a. Wie alt seid ihr? Komm! Stell du dich vor den Scheinwerfer, also komm, komm, komm, und du vor den anderen! Drei Schritt vor beide! Drei Schritt, das langt. Stop! Und jetzt noch einmal: Wie alt? Oskar sieben, ich neun. Wo kommt ihr her, jetzt? Von zu Hause. Jetzt von zu Hause kommt ihr. Wo zu Hause? Hannibalstraße 27 a. Und wo wollt ihr hin? Wieder zurück. Wo zurück? Hannibalstraße 27 a. Wisst ihr, wie spät es ist? Mitten in der Nacht ist es. Und was macht man um diese Zeit auf der Straße? Wir suchen unsere Mama. Das war der Tag, erzählt Oskar später, als Lilli am Morgen nicht mehr im Bett war, und der Mann und die Mama auf dem Küchentisch lagen und schliefen. Mitten darauf. Er hat nichts angehabt als eine Unterhose aus geripptem Stoff. Ich bin rausgegangen in meiner Pyjamahose und habe gesagt, wo ist denn die Lilli, und meine Mama hat gesagt, in der Brunzkiste. Da war sie aber nicht. Nur die Brunzpuppe lag auf dem Kissen. An der Sonne habe ich gemerkt, dass es später sein musste. Ich bin aus dem Haus gegangen. Ich habe meinen Anorak drübergezogen und die Gummistiefel von der Lilli, meine haben ein Loch gehabt. Ich bin zur Schule gegangen, die Schule war aus. Der Mann, der mit dem Strohbesen vor der Schule gefegt hat, hat mir gesagt, bereits seit einer Stunde ist die Schule aus. Geh nach Hause, Kindergärtler, und iss eine heiße Suppe, du hast eine rote Nase. Wo ist denn die Lilli, wo ist denn die Lilli, habe ich mich gefragt, und bin nach Hause gegangen, und dass ich immer noch aussehen soll wie ein Kindergärtler, das war mir grad egal. Zu Hause waren meine Mama und der Mann auf dem Sofa, und der Mann ist auf der Mama drauf gelegen. Die Lilli fehlt, die Lilli fehlt. Wo ist denn die Lilli, habe ich gefragt, und der Mann hat gesagt, die liegt in der Brunzkiste, und meine Mama hat gar nichts gesagt. Die war kaum zu sehen. Im verbrunzten Bett lag nur die Brunzpuppe, und ich bin wieder raus mit den Gummistiefeln von der Lilli, und mir hat der Bauch wehgetan, weil ich ja noch gar nichts gegessen hatte. Ich bin wieder am Kindergarten vorbeigezockelt und habe vor dem Stamm vom Kastanienbaum ein Kreuz geschlagen, das mache ich sonst nicht, das macht die Lilli. Ich habe mir eben gedacht, wenn ich schon die Lilli suche, mache ich, was die Lilli machen würde, wenn sie mich suchen würde. Weiter bin ich zur Schule, und dann habe ich beim Kanal auf einem Stein die Lilli gesehen. Sie hat mit den Schuhen in den Boden geschlagen. Lilli, habe ich gesagt, wir müssen nach Hause. Nein, nein, nein, hat sie gesagt, nach Hause will ich nicht. Was sonst, habe ich gefragt. Halt etwas, hat sie gesagt. Ich weiß sonst nichts, habe ich gesagt. Schließlich sind wir doch in den Block geschlichen, und zwar durch den Fahrradkeller, es war saukalt im Freien.
Uns vis à vis wohnte ein altes Ehepaar, eine verschrumpelte Frau mit einem kranken Mann, der nicht von allein gehen kann. Manchmal schleppt sie ihn über die Treppen hinunter. Sie schaffen es nie bis zur Haustür. Der Mann sagt zu seiner Frau, du dumme Kuh, und manchmal du blöde Sau. Die Frau hat mir einmal zwanzig Schilling geschenkt. Die besitze ich noch. Wir haben also bei diesen Nachbarn geläutet, und die verschrumpelte Frau hat uns aufgemacht. Sie hat gesagt: Kinder, Kinder, das Elend, erschreckt nicht, mein Herr hat eine saumäßige Laune, das kommt, weil er krank ist und halb hinüber, er ist eben in Gottesnamen ekelhaft. Das hat nichts zu bedeuten. Ihr armen Kinder, wie seht ihr aus, wie seht ihr aus, hat sie noch gesagt. Sie hat gefragt, ob unsere Mutter krank ist. Ich habe mich gewundert und gesagt, nein, wieso. Unsere Mama war noch nie krank, hat die Lilli gesagt. Die Lilli, die nie im Leben lügt. Wir haben gefragt, ob wir reinkommen dürfen, weil uns so kalt ist. Alle Leute haben Handschuhe an und Mützen, wir haben rote Ohren und rote Fingerknöchel, und ich habe obendrein den Pyjama unter dem Anorak an und Lillis Stiefel, weil meine ein Loch haben. Es hat gut nach Suppe gerochen, davon habe ich nichts gesagt, und Lilli ebenfalls nicht. Die verschrumpelte Frau hat uns von sich aus eine heiße Suppe geschöpft. Es war so gemütlich in dieser Wohnung, obwohl der grantige Herr vor seinen Medizinflaschen gesessen ist und vor sich hin geflucht hat. Und genau wie bei unserer Mutter ist mir bei ihm vorgekommen, dass er wegen etwas anderem flucht, wegen etwas, das gar nicht im Zimmer ist. Es war so schön aufgeräumt. So prächtig. Sogar der richtige Tag steht auf dem Kalender, hat Lilli gesagt. Der Herr hat mit den Fingern auf uns gezeigt, und seine Frau hat laut zu ihm gesagt, weil er schwerhörig war: Das sind die armen Nachbarskinder, halb erfroren, die bei uns eine heiße Suppe essen, damit sie warm werden. Nach der Suppe hat uns die Frau nach Hause geschickt. Die Mama war nicht da. Wir haben gewartet, bis es dunkel war, dann haben wir sie gesucht.
Der Polizist stieß mit seinen Riemenschuhen unsere Wohnungstür auf, erzählte Lilli, sie war nicht eingeklinkt gewesen. Er fragte mich, ob wir umziehen, weil es hier so nach Umzug aussieht. Er hat den Saustall gemeint. Mir war das unangenehm, dass die Polizei sich bei uns in der Wohnung aufhält und dabei so laut ist und vor dem Wohnblock ein Polizeiauto steht. Wenn die Nachbarn aufwachen und das sehen, denken sie sicher, wir haben gestohlen oder jemand von uns ist ermordet worden. Eher sogar das letztere. Natürlich, die Mama ist ermordet worden, denken sie. Deshalb sagte ich: Mir fällt gerade ein, dass unsere Mutter Zigaretten holen wollte, genau, und noch mit einer Freundin einen Kaffee trinken wollte sie, genau, Entschuldigung. Und was sagst du, fragte er den Oskar. Er ist erst sieben Jahre alt, sagte ich. Der Polizist hat ihn nicht weiter gefragt und hat geflucht. Er fegte mit der Hand einige Kleider von den Möbeln, öffnete einige Schubladen. Zum Schluss schrieb er die Telefonnummer von seiner Dienststelle auf einen Zettel und war ohne Gute Nacht oder so hinunter über die Stiege. Wir haben uns ans Fenster gestellt und gewartet, bis er weggefahren ist. Oskar ist auf einem Stuhl, auf dem das beste Kleid von der Mama lag, eingeschlafen. Ich habe ihn herunter gezogen und samt seinen Hosen und dem T-Shirt in sein Bett gelegt, nur die Schuhe habe ich ihm ausgezogen. Oskar? Ja? Hörst du mich? Ja. Schläfst du schon? Nein. Was machen wir, wenn die Mama nicht wiederkommt? Wir gehen in die Dienststelle morgen am Tag. Schläfst du jetzt? Ja. Schlaf nicht, Oskar. Wart auf mich. Schlaf erst, wenn ich auch schlafe. Ich wollte noch das beste Kleid von der Mama glattstreichen. Es ist ein dunkles Wollkleid, das gern fluselt. Und auf einmal ist die Tür zum Wandschrank aufgegangen, und unsere Mama ist herausgekommen. Sie war angezogen und trug sogar ihre Cowboystiefel. In den Schrank ist ihr Bettzeug hineingepresst gewesen. Ich fühle mich unter jeder Kanone, sagte sie.
© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien
Wir suchen unsere Mama
Im Straßengraben gehen zwei Kinder. Hand in Hand. Ein Auto bleibt stehen. Ein Polizist steigt aus und leuchtet mit einer Lampe in den Graben hinunter. Der Schein trifft die Kinder mitten ins Gesicht. Wie heißt ihr und wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin, fragt der Polizist mit vollem Mund. Er kaut Wurst und hat Wurst in der Hand, und er kriegt nicht gleich eine Antwort. Er geht breitbeinig in die Hocke. So dann, sagt mir halt zuerst eure Namen. Das ist der Oskar, mein Bruder, und ich bin die Lilli. Die Lilli und weiter? Der ganze Name. Lilli Straaten. Und er? Redet er nichts? Oskar Straaten.
Straaten? Mit doppelt a. Mit doppelt a. Das gibt's hier nicht. Straaten, nie gehört, Straaten. So heißt hier niemand. Wir sind trotzdem von hier, Hannibalstraße 27 a. Wie alt seid ihr? Komm! Stell du dich vor den Scheinwerfer, also komm, komm, komm, und du vor den anderen! Drei Schritt vor beide! Drei Schritt, das langt. Stop! Und jetzt noch einmal: Wie alt? Oskar sieben, ich neun. Wo kommt ihr her, jetzt? Von zu Hause. Jetzt von zu Hause kommt ihr. Wo zu Hause? Hannibalstraße 27 a. Und wo wollt ihr hin? Wieder zurück. Wo zurück? Hannibalstraße 27 a. Wisst ihr, wie spät es ist? Mitten in der Nacht ist es. Und was macht man um diese Zeit auf der Straße? Wir suchen unsere Mama. Das war der Tag, erzählt Oskar später, als Lilli am Morgen nicht mehr im Bett war, und der Mann und die Mama auf dem Küchentisch lagen und schliefen. Mitten darauf. Er hat nichts angehabt als eine Unterhose aus geripptem Stoff. Ich bin rausgegangen in meiner Pyjamahose und habe gesagt, wo ist denn die Lilli, und meine Mama hat gesagt, in der Brunzkiste. Da war sie aber nicht. Nur die Brunzpuppe lag auf dem Kissen. An der Sonne habe ich gemerkt, dass es später sein musste. Ich bin aus dem Haus gegangen. Ich habe meinen Anorak drübergezogen und die Gummistiefel von der Lilli, meine haben ein Loch gehabt. Ich bin zur Schule gegangen, die Schule war aus. Der Mann, der mit dem Strohbesen vor der Schule gefegt hat, hat mir gesagt, bereits seit einer Stunde ist die Schule aus. Geh nach Hause, Kindergärtler, und iss eine heiße Suppe, du hast eine rote Nase. Wo ist denn die Lilli, wo ist denn die Lilli, habe ich mich gefragt, und bin nach Hause gegangen, und dass ich immer noch aussehen soll wie ein Kindergärtler, das war mir grad egal. Zu Hause waren meine Mama und der Mann auf dem Sofa, und der Mann ist auf der Mama drauf gelegen. Die Lilli fehlt, die Lilli fehlt. Wo ist denn die Lilli, habe ich gefragt, und der Mann hat gesagt, die liegt in der Brunzkiste, und meine Mama hat gar nichts gesagt. Die war kaum zu sehen. Im verbrunzten Bett lag nur die Brunzpuppe, und ich bin wieder raus mit den Gummistiefeln von der Lilli, und mir hat der Bauch wehgetan, weil ich ja noch gar nichts gegessen hatte. Ich bin wieder am Kindergarten vorbeigezockelt und habe vor dem Stamm vom Kastanienbaum ein Kreuz geschlagen, das mache ich sonst nicht, das macht die Lilli. Ich habe mir eben gedacht, wenn ich schon die Lilli suche, mache ich, was die Lilli machen würde, wenn sie mich suchen würde. Weiter bin ich zur Schule, und dann habe ich beim Kanal auf einem Stein die Lilli gesehen. Sie hat mit den Schuhen in den Boden geschlagen. Lilli, habe ich gesagt, wir müssen nach Hause. Nein, nein, nein, hat sie gesagt, nach Hause will ich nicht. Was sonst, habe ich gefragt. Halt etwas, hat sie gesagt. Ich weiß sonst nichts, habe ich gesagt. Schließlich sind wir doch in den Block geschlichen, und zwar durch den Fahrradkeller, es war saukalt im Freien.
Uns vis à vis wohnte ein altes Ehepaar, eine verschrumpelte Frau mit einem kranken Mann, der nicht von allein gehen kann. Manchmal schleppt sie ihn über die Treppen hinunter. Sie schaffen es nie bis zur Haustür. Der Mann sagt zu seiner Frau, du dumme Kuh, und manchmal du blöde Sau. Die Frau hat mir einmal zwanzig Schilling geschenkt. Die besitze ich noch. Wir haben also bei diesen Nachbarn geläutet, und die verschrumpelte Frau hat uns aufgemacht. Sie hat gesagt: Kinder, Kinder, das Elend, erschreckt nicht, mein Herr hat eine saumäßige Laune, das kommt, weil er krank ist und halb hinüber, er ist eben in Gottesnamen ekelhaft. Das hat nichts zu bedeuten. Ihr armen Kinder, wie seht ihr aus, wie seht ihr aus, hat sie noch gesagt. Sie hat gefragt, ob unsere Mutter krank ist. Ich habe mich gewundert und gesagt, nein, wieso. Unsere Mama war noch nie krank, hat die Lilli gesagt. Die Lilli, die nie im Leben lügt. Wir haben gefragt, ob wir reinkommen dürfen, weil uns so kalt ist. Alle Leute haben Handschuhe an und Mützen, wir haben rote Ohren und rote Fingerknöchel, und ich habe obendrein den Pyjama unter dem Anorak an und Lillis Stiefel, weil meine ein Loch haben. Es hat gut nach Suppe gerochen, davon habe ich nichts gesagt, und Lilli ebenfalls nicht. Die verschrumpelte Frau hat uns von sich aus eine heiße Suppe geschöpft. Es war so gemütlich in dieser Wohnung, obwohl der grantige Herr vor seinen Medizinflaschen gesessen ist und vor sich hin geflucht hat. Und genau wie bei unserer Mutter ist mir bei ihm vorgekommen, dass er wegen etwas anderem flucht, wegen etwas, das gar nicht im Zimmer ist. Es war so schön aufgeräumt. So prächtig. Sogar der richtige Tag steht auf dem Kalender, hat Lilli gesagt. Der Herr hat mit den Fingern auf uns gezeigt, und seine Frau hat laut zu ihm gesagt, weil er schwerhörig war: Das sind die armen Nachbarskinder, halb erfroren, die bei uns eine heiße Suppe essen, damit sie warm werden. Nach der Suppe hat uns die Frau nach Hause geschickt. Die Mama war nicht da. Wir haben gewartet, bis es dunkel war, dann haben wir sie gesucht.
Der Polizist stieß mit seinen Riemenschuhen unsere Wohnungstür auf, erzählte Lilli, sie war nicht eingeklinkt gewesen. Er fragte mich, ob wir umziehen, weil es hier so nach Umzug aussieht. Er hat den Saustall gemeint. Mir war das unangenehm, dass die Polizei sich bei uns in der Wohnung aufhält und dabei so laut ist und vor dem Wohnblock ein Polizeiauto steht. Wenn die Nachbarn aufwachen und das sehen, denken sie sicher, wir haben gestohlen oder jemand von uns ist ermordet worden. Eher sogar das letztere. Natürlich, die Mama ist ermordet worden, denken sie. Deshalb sagte ich: Mir fällt gerade ein, dass unsere Mutter Zigaretten holen wollte, genau, und noch mit einer Freundin einen Kaffee trinken wollte sie, genau, Entschuldigung. Und was sagst du, fragte er den Oskar. Er ist erst sieben Jahre alt, sagte ich. Der Polizist hat ihn nicht weiter gefragt und hat geflucht. Er fegte mit der Hand einige Kleider von den Möbeln, öffnete einige Schubladen. Zum Schluss schrieb er die Telefonnummer von seiner Dienststelle auf einen Zettel und war ohne Gute Nacht oder so hinunter über die Stiege. Wir haben uns ans Fenster gestellt und gewartet, bis er weggefahren ist. Oskar ist auf einem Stuhl, auf dem das beste Kleid von der Mama lag, eingeschlafen. Ich habe ihn herunter gezogen und samt seinen Hosen und dem T-Shirt in sein Bett gelegt, nur die Schuhe habe ich ihm ausgezogen. Oskar? Ja? Hörst du mich? Ja. Schläfst du schon? Nein. Was machen wir, wenn die Mama nicht wiederkommt? Wir gehen in die Dienststelle morgen am Tag. Schläfst du jetzt? Ja. Schlaf nicht, Oskar. Wart auf mich. Schlaf erst, wenn ich auch schlafe. Ich wollte noch das beste Kleid von der Mama glattstreichen. Es ist ein dunkles Wollkleid, das gern fluselt. Und auf einmal ist die Tür zum Wandschrank aufgegangen, und unsere Mama ist herausgekommen. Sie war angezogen und trug sogar ihre Cowboystiefel. In den Schrank ist ihr Bettzeug hineingepresst gewesen. Ich fühle mich unter jeder Kanone, sagte sie.
© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien
... weniger
Autoren-Porträt von Monika Helfer
Helfer, MonikaMonika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt als Schriftstellerin mit ihrer Familie in Vorarlberg. Sie hat Romane, Erzählungen und Kinderbücher veröffentlicht, darunter: Kleine Fürstin (1995), Wenn der Bräutigam kommt (1998), Bestien im Frühling (Deuticke, 1999), Mein Mörder (1999) und zuletzt bei Deuticke Bevor ich schlafen kann (2010), Oskar und Lilli (2011) und Die Bar im Freien (2012). Im Hanser Kinderbuch veröffentlichte sie gemeinsam mit Michael Köhlmeier 2010 Rosie und der Urgroßvater. Für ihre Arbeiten wurde sie unter anderem mit dem Robert-Musil-Stipendium und dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur ausgezeichnet. Mit ihrem letzten Roman Schau mich an, wenn ich mit dir rede (2017) war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Monika Helfer
- 2011, 250 Seiten, Maße: 13,4 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Deuticke
- ISBN-10: 3552061681
- ISBN-13: 9783552061682
Rezension zu „Oskar und Lilli “
"Feinfühlig und humorvoll spinnt Monika Helfer die Geschichte der Geschwister bezaubernd wie ein Märchen, und doch realistisch und bestechend scharf. Wunderbar poetisch und bildhaft." Noemi Jenni, nahaufnahmen.ch, 01.11.2011
Kommentar zu "Oskar und Lilli"
0 Gebrauchte Artikel zu „Oskar und Lilli“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Oskar und Lilli".
Kommentar verfassen