Paulas Sommer, Eine wunderbare Überraschung
• Start der 13-teiligen TV-Serie am Ostersamstag 2007
• Jedes Buch mit umfangreichem Fotomaterial aus der TV-Produktion
PaulasSommer - Eine wunderbare Überraschung von Brigitte Blobel
LESEPROBE
Die Sommer sinddas Beste am ganzen Jahr. Für mich jedenfalls ist das so. Okay, der Frühlingkann manchmal ganz nett sein, im Herbst aber werde ich melancholisch und von daan geht es nur noch bergab mit den Temperaturen, mit der Helligkeit, mit meinerStimmung. Der Winter kommt unaufhaltsam jeden Tag näher.
Die Winterhasse ich. Man muss dicke Klamotten tragen und irgendwas kratzt immer. Dieempfindliche Haut habe ich von meinem Vater geerbt. Im Winter ist meine Hautfast weiß, ganz durchscheinend. Renate Niemann sagteimmer: »Deine Haut ist wie chinesisches Porzellan.«
Ich glaube,sie meinte das als Kompliment. Sie selbst hatte eine Haut wie eine Indianerin.»Gegerbtes Leder«, scherzte sie. Renate Niemann warmeine Ballettlehrerin und noch viel mehr. Sie war so eine Art Mutterersatz für mich.Falls es so etwas überhaupt geben kann: einen Ersatz für die eigene Mutter.Alles andere kannst du mehrfach haben - nur die leibliche Mutter nicht. Die Frau,die dich neun Monate im Bauch herumgetragen hat, die gibt es nur einmal.
Bis zurGeburt war man durch eine Nabelschnur verbunden mit seiner Mutter. Vielleichtverbirgt sich in die- ser Nabelschnur irgendeinGeheimnis? Mit einer Schere wird sie durchtrennt, und dann liegt man alskleines, feuchtes, nacktes Baby da auf einem Hebammentisch, läuft rot und blauan, hört Stimmen und Lärm, spürt Kälte, vermisst die schöne warme Hülle, in derman vorher war, und beginnt zu schreien. Alle freuen sich, der Doktor, dieSchwestern und die Mutter, die den Kopf hebt, ihr Baby anschaut und lächelt.
Aber ichwollte ja vom Sommer reden, von der schönen Jahreszeit, eigentlich. Man trägtkeine Strümpfe, zieht kurze Kleider an, steckt die Haare im Nacken hoch, damitman nicht schwitzt, und träumt von Abenteuern. Die Luft riecht nach Jasmin undFlieder, nach Holunderblüten und gemähtem Gras, und wenn man in der Stadt wohntund alle Fenster geöffnet sind, hört man die Nachbarn reden, lachen, schimpfen.Die Abende sind hell und lau. Wer Glück hat, hört die Grillen zirpen und siehtGlühwürmchen. Ich bin ein hoffnungslos romantischer Mensch.
In derSchule reden alle zu Beginn des Sommers nur noch vom Verreisen irgendwohin andas Ende von Deutschland oder das Ende der Welt.
In diesemSommer, von dem ich erzähle, wollten Papi und ich an die Adria, nach Italien.Als es so weit war, konnte Papi das Mittelmeer höchstens noch in seinen Träumensehen. Ich weiß nicht, ob man überhaupt träumt, wenn man vor sich hindämmert. Ichhabe Papi auch nicht gefragt. Und von sich aus hat er in all den Wochen, die erim Krankenhaus lag, nie mehr von unserer Ferienreise an die Adria gesprochen.
Mein Vaterund ich haben in Köln gewohnt. Altbau ohne Aufzug, vier Zimmer mitGemeinschaftswaschküche im Keller und einem Trockenboden unter dem Dach. KeinMensch hat seine Wäsche je auf dem Boden aufgehängt.
Da brachtejeder Mieter immer nur die Sachen hin, von denen er wusste, dass er sie niemehr brauchen würde.
Wir hattenStuck an den Wänden. Das sind Verzierungen aus Gips, die früher sehr modernwaren. Mein Vater nannte unsere Wohnung immer »unseren kleinen Palazzo«. MeinZimmer war durch eine Schiebetür mit dem Wohnzimmer verbunden, von da ging esin das Esszimmer und dann in den Flur. Papis Zimmer war für ihn Arbeitszimmerund Schlafzimmer zugleich. Es lag am hinteren Ende der Wohnung, weil er immererst morgens um eins oder zwei ins Bett ging und mich nicht stören wollte.
Bis klarwurde, dass mein Vater Krebs hat und bald sterben würde, konnte ich schlafenwie ein Murmeltier. Wir lebten allein, Papi und ich, ohne Mutter. Die war uns abhandengekommen, als ich drei Jahre alt war. Aber darüber redetenwir nicht. Meine Mutter wurde nie erwähnt, so als gäbe es sie nicht und alswäre ich nie durch eine Nabelschnur mit ihr verbunden gewesen. Das war komplettunnatürlich, merkwürdig, aber ich hatte mich in all den Jahren daran gewöhnt,nicht von meiner Mutter zu sprechen. Ich erwähnte Papi gegenüber nicht einmaldie Mütter meiner Freundinnen. Wir lebten in einer mutterlosen Welt. Mütterkamen zwar im Fernsehen vor und in Büchern, aber nicht in unserem Leben.
In derMitte unserer Wohnung lagen das Bad und die Küche mit einem Balkon zumHinterhof. Wir zogen Pflanzen aus dem Mittelmeerraum, Rosmarin und Lavendel, Oleanderund sogar zwei Weinstöcke. Wenn die Sommer heiß und trocken waren, konnten wirmanchmal sogar Weintrauben ernten. Sie waren so sauer, dass es einem den Gaumenzusammenzog, aber wir fanden natürlich, dass sie besser schmeckten als jedeTraube, die man auf dem Markt kauft. Papi träumte immer davon, später nachItalien zu ziehen, dorthin, wo die Zitronenbäume blühen und man im JanuarOrangen vom Baum pflückt. In Süditalien wollte er später leben, mit seiner Geige,seinen tonnenschweren Notenheften und seiner CD-Sammlung. Aber das hat derliebe Gott ihm irgendwie nicht gegönnt.
Im letztenFebruar wurde er krank. Er konnte auf einmal nichts mehr essen und hatteSchmerzen im Bauch. Viele Ärzte untersuchten ihn und fanden heraus, dass er Krebshat. Vielleicht sagten ihm die Ärzte schon damals im März, dass er nicht mehrlange leben würde. Vor mir verheimlichte er das lange. Vor mir tat er lange so,als würde er wieder gesund werden. Er aß nur noch Haferschleim, weil ihm sonstnichts bekam, und dachte, ich merkte es nicht.
Dann wurdeer operiert, aber anschließend ging es ihm noch schlechter. Er bekam eineChemotherapie und verlor alle Haare. Ich ging jeden Nachmittag nach der Schule zuihm ins Krankenhaus. Immer brachte ich ihm eine andere CD aus seiner Sammlungmit, und die hörten wir dann zusammen an, mit Ohrstöpseln, während die Krankenschwesternihre Arbeit taten. Es waren Klassik-CDs, fast immer.Papi wollte eigentlich nur Mozart hören oder Bach, manchmal Vivaldi. Es gibtStücke, die dauern länger als eine Stunde. Wir saßen eine Stunde da, hieltenuns an der Hand und sprachen nichts. Das war gut, denn ich wusste nicht, wasich reden sollte. Aber während wir Musik hörten, war mein Vater so konzentriertwie früher, als er im Orchester auf seiner Geige spielte, die er hütete wie seinenAugapfel. Ich habe nie Geige spielen gelernt. Als Papi tot war, habe ich michdafür geschämt, dass ich zu faul war. Ich meinte immer, es genügt, wenn einerin der Familie Geige spielt, denn sooo toll hört sichdas Instrument ganz ohne Begleitung nicht an. Vielleicht hatte ich auch Angst,als Anfänger nur grausige Quietschtöne zu produzieren.Das wollte ich meinem Vater nicht antun. Na ja, Ausreden finden sich immer,aber im Grunde verzeihe ich es mir nicht, dass ich es ihm zuliebe nichtwenigstens versucht habe. Es wäre eine große Freude für ihn gewesen, hätte auchseine Tochter Geige gespielt. Er hat dieses Musikinstrument beherrscht wie einZauberer. Stundenlang hat mein Vater geübt, in seinem Zimmer am Ende desFlures.
Ich, inmeinem Zimmer, nahm Earphones und hörte meine Musik.Ich stand auf Robbie Williams wie fast alle in meiner Klasse. Auf manchen Fetenhörten wir die Songs von ihm gleich vier Mal hintereinander, und ich träumtevon einem Jungen, der mindestens so gut aussah wie Robbie und sich unsterblichin mich verliebte.
In demSommer, als mein Vater starb, hatte ich erst einen einzigen Jungen richtiggeküsst, und das eher aus Versehen. Er hieß Jacob, trug eine Brille, war lang,schlaksig und ein Typ, an dem alles schlackerte und schlenkerte. Was er mitseinen Armen oder Beinen oder seinem überlangen Oberkörper anfangen sollte,wusste er nicht so recht. Ich finde Jungen, die so linkisch sind, irgendwie albern.Im Ballett lernt man, auf seinen Körper und seine Gesten zu achten. Renate Niemann sagte immer, dass Bewegungen Grazie haben müssen.Davon merkte man bei Jacob nichts. Er ging in meine Parallelklasse und Fatima hatteihn zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen. Jacob und ich machten bei einemalbernen Tanzspiel mit, und als wir gewonnen hatten, mussten wir uns küssen,während die anderen bis dreißig zählten. Richtig doof war das! Ich hab bloß sein Kaugummi geschmeckt. Jedenfalls hatte ich bei dem Kussbestimmt keine Schmetterlinge im Bauch. In Jacob war ich also definitiv nichtverliebt gewesen. Ich glaube nicht einmal, dass ich Papi von ihm erzählte oderFrau Niemann, die sonst eigentlich immer alles von mirwusste. Nach der Schule aß ich bei ihr Mittag, und als ich noch jünger war,machte ich auch meine Schularbeiten bei ihr. Mein Vater war oft aufKonzertreisen. Da hat Frau Niemann auf michaufgepasst, bis ich so alt war, dass ich selber auf mich aufpassen konnte. ( )
© cbj Verlag
- Autor: Brigitte Blobel
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2007, 1, 153 Seiten, teilweise farbige Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570132242
- ISBN-13: 9783570132241
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