Recodierungen des Wissens
Stand und Perspektiven der Geschlechterforschung in Naturwissenschaften und Technik
Politik der Geschlechterverhältnisse
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Produktinformationen zu „Recodierungen des Wissens “
Politik der Geschlechterverhältnisse
Klappentext zu „Recodierungen des Wissens “
Naturwissenschaftliches und technisches Wissen sind nicht geschlechtsneutral. Die Autorinnen dieses Bandes untersuchen die Spielarten der geschlechtlichen Codierungen und Recodierungen dieses Wissens und beleuchten diese anhand historischer und aktueller Entwicklungen in den einschlägigen Disziplinen. Zunächst bieten Überblicksbeiträge eine Orientierung in diesem transdisziplinären Forschungsfeld. Exemplarische Studien entwickeln darüber hinaus erweiterte Forschungsperspektiven auf die Konstruktionen von Männlichkeit sowie die Konzepte von Kolonialismus und Globalisierung.
Lese-Probe zu „Recodierungen des Wissens “
Internationalisierung der IT-Branche und Gender-SegregationEsther Ruiz Ben
Die Internationalisierung der deutschen Informations- und Telekommunikationsindustrie (IT-Branche) ermöglichte in der jüngeren Vergangenheit zunehmend Organisationsrestrukturierungen, vor allem in Bezug auf die Fragmentierung von Wertschöpfungsketten und auch auf die Auslagerung von Tätigkeiten und Arbeitsprozessen in neue Regionen und Länder. Im Zuge dieser Entwicklung verloren organisationelle Ressourcen und Regeln mehr und mehr ihre lokale Verbundenheit und mussten durch den Vergleich mit den Praktiken an anderen Orten und in anderen Organisationen legitimiert werden.
In meinem Beitrag gehe ich aus verschiedenen Perspektiven der Frage nach, inwieweit mit dieser teilweisen Umstrukturierung von Arbeits- und Tätigkeitsgebieten eine Recodierung von internen sowie ausgelagerten vergeschlechtlichten Tätigkeiten einhergeht.
Für die als ›technisch‹ angesehenen Bereiche in IT-Organisationen, deren Arbeitsaufgaben als standardisierbar gelten und daher einfacher auszulagern sind, bedeutet diese Umstrukturierung einen Prestigeverlust. Andere Bereiche, wie etwa das Projekt- oder Qualitätsmanagement, gewinnen hingegen an professioneller Relevanz und werden symbolisch und machtstrategisch neu besetzt. Gerade in solchen Tätigkeitsbereichen, die derzeit durch Auslagerungsprozesse an Bedeutung zunehmen und als ›sozial‹ gelten, war bisher die Präsenz von Frauen in Deutschland höher als in Bereichen der Softwareentwicklung, die als ›technischer‹ galten (Ruiz Ben 2005). Damit verbunden ist die Frage, wie diese neuen Bereiche aktuell und in Zukunft bewertet und ›gegendered‹ werden, d. h. in welcher Weise die Wissensbasis solcher Tätigkeitsbereiche geschlechtlich codiert wird und welche strukturellen Segregationsmuster auf diese Weise entstehen.
Ziel meines Beitrags ist zu zeigen, welche Implikationen die Internationalisierung von IT-Organisationen
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für Segregationsmuster bezogen auf Geschlecht hat. Im ersten Abschnitt werde ich zunächst die deutsche IT-Branche charakterisieren, um dann einen kurzen Überblick über ihre Internationalisierung zu geben. Anschließend werde ich im zweiten Abschnitt die Bedeutung zweier Internationalisierungsstrategien thematisieren, um die Transformation von Tätigkeitsprofilen in diesen Organisationen und ihre Vergeschlechtlichungen besser verstehen zu können. Hier stellt sich die Frage, ob die heute so bedeutsamen soft skills, die bislang als ›naturalisierte‹ Eigenschaften von Frauen gedeutet und deshalb geringer bewertet wurden, nun zu ›kulturalisierten‹ Fähigkeiten umgedeutet werden (Sørensen 2002: 25f.) und ob diese Umdeutung dann auch zur Transformation der gegenwärtigen horizontalen wie vertikalen Formen von Geschlechtersegregation (vgl. auch Charles/Grusky 2004) führt. In diesem Prozess sind Frauen und Männer selbst auch AkteurInnen. Sie entwickeln Handlungsstrategien, die sie abhängig von den Ressourcen, die ihnen auf den Ebenen der Organisationsstruktur und deren Gender-Substruktur zur Verfügung stehen, einsetzen. Aber auch in der sozialen Konstruktion geschlechtlicher Subjekte und in der Gestaltung der professionellen Interaktionsbeziehungen ›spielen‹ die AkteurInnen quasi mit und ›inszenieren‹ soziale Wissensbestände über Geschlechterverhältnisse. Das ist das Thema des dritten Abschnitts meines Beitrags, in dem ich darauf bezogene Studien diskutieren werde, um anschließend im vierten Abschnitt die Implikationen der Internationalisierung der IT-Branche für die Geschlechtersegregation zu betrachten.
Die deutsche IT-Branche
Die IT-Branche ist durch eine hohe Dynamik und Heterogenität von Arbeitsbeziehungen und bedingungen gekennzeichnet, aber auch durch eine große Diversität der zugehörigen Segmente wie Hardware, Software, Telekommunikation und IT-Dienstleistungen (vgl. Bitkom 2007). In jüngster Zeit gewinnt insbesondere das Dienstleistungssegment immer mehr an Bedeutung, wobei diese Dynamik zeitgleich zum gesamten Trend der Tertiarisierung der Wirtschaft in einem globalen Wettbewerbsnetz verläuft.
In meinem Beitrag folge ich der Definition der IT-Branche von Raphael Menez, Irmgard Münder und Karin Töpsch (2001: 6). Als die wesentlichen Bestandteile dieser Branche identifizieren sie die (Tätigkeits)Bereiche der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten und einrichtungen, Rundfunk und Nachrichtentechnik, Fernmeldedienste sowie Datenverarbeitung inklusive Entwicklung und Beratung.
Besonders in Bezug auf die Internationalisierung der IT-Branche ist diese Differenzierung wichtig, denn die Produkte sowie die Produktionsformen in den verschiedenen Segmenten erlauben unterschiedliche Internationalisierungstempi und begrenzen auf unterschiedliche Weise die Auslagerungsprozesse. Diese haben wiederum Implikationen für die Kategorisierung von Tätigkeiten und für die Geschlechtersegregation in der IT-Branche. In Segmenten, in denen die Wissensbasis sich sehr schnell ändert, müssen Fachkräfte teilweise in ihrer Freizeit für ihre Weiterbildung sorgen, die zudem nicht selbstverständlich von den Arbeitgebern finanziert wird. Darüber hinaus sind Weiterbildungen oft auch zeitlich mit den hohen Leistungsansprüchen in manchen Projekten und Tätigkeitsfeldern nur schwer vereinbar. Die enorme zeitliche Belastung in dynamischen Bereichen der IT-Branche gilt daher auch als unvereinbar mit familiären Verantwortlichkeiten (Ruiz Ben 2005), weshalb diese Arbeitsfelder einerseits besonders für Frauen als ungeeignet angesehen werden. Andererseits folgen Arbeitszeiten in der IT-Branche nicht dem traditionellen Muster und zeigen eher einen hohen Grad an Flexibilität bezogen auf Zeitdisponibilität, Mobilität, Qualifikationsentwicklung etc. (Boes/Trinks 2005) - ein Umstand, der auch Entfaltungschancen vor allem für junge, nicht in versorgende und/oder pflegerische Tätigkeiten eingebundene Frauen eröffnet. Dies traf zumindest für die Zeit vor der Krise der IT-Branche zu, die sich in Deutschland vor allem ab 2002 bemerkbar machte. Der Druck, den dieser Industriezweig in den vergangenen Jahren erlebte und der auch als Katalysator für die Internationalisierung der Branche fungierte, hat diese Chancen verschlechtert und den Weg für Frauen zu hoch qualifizierten Tätigkeitsbereichen erschwert (ebd.: 303). Im Zuge des Internationalisierungsprozesses der Branche gewinnen vor allem Koordinationstätigkeiten an Prestige. Inwieweit Frauen in diesen Tätigkeitsgebieten ihre gewonnenen Positionen konsolidieren können, ist derzeit noch eine offene Frage. Auch ist noch nicht eindeutig abzusehen, wie sich die Beteiligungschancen für Frauen in den Ländern, in die IT-Tätigkeiten ausgelagert werden, entwickeln werden.
Im nächsten Abschnitt werde ich erläutern, welche Auslagerungsformen von Tätigkeiten und Bereichen im Rahmen der Internationalisierung der IT-Branche praktiziert werden und welche Implikationen diese Auslagerungsprozesse zunächst für die Beschäftigten in Deutschland haben.
Die deutsche IT-Branche
Die IT-Branche ist durch eine hohe Dynamik und Heterogenität von Arbeitsbeziehungen und bedingungen gekennzeichnet, aber auch durch eine große Diversität der zugehörigen Segmente wie Hardware, Software, Telekommunikation und IT-Dienstleistungen (vgl. Bitkom 2007). In jüngster Zeit gewinnt insbesondere das Dienstleistungssegment immer mehr an Bedeutung, wobei diese Dynamik zeitgleich zum gesamten Trend der Tertiarisierung der Wirtschaft in einem globalen Wettbewerbsnetz verläuft.
In meinem Beitrag folge ich der Definition der IT-Branche von Raphael Menez, Irmgard Münder und Karin Töpsch (2001: 6). Als die wesentlichen Bestandteile dieser Branche identifizieren sie die (Tätigkeits)Bereiche der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten und einrichtungen, Rundfunk und Nachrichtentechnik, Fernmeldedienste sowie Datenverarbeitung inklusive Entwicklung und Beratung.
Besonders in Bezug auf die Internationalisierung der IT-Branche ist diese Differenzierung wichtig, denn die Produkte sowie die Produktionsformen in den verschiedenen Segmenten erlauben unterschiedliche Internationalisierungstempi und begrenzen auf unterschiedliche Weise die Auslagerungsprozesse. Diese haben wiederum Implikationen für die Kategorisierung von Tätigkeiten und für die Geschlechtersegregation in der IT-Branche. In Segmenten, in denen die Wissensbasis sich sehr schnell ändert, müssen Fachkräfte teilweise in ihrer Freizeit für ihre Weiterbildung sorgen, die zudem nicht selbstverständlich von den Arbeitgebern finanziert wird. Darüber hinaus sind Weiterbildungen oft auch zeitlich mit den hohen Leistungsansprüchen in manchen Projekten und Tätigkeitsfeldern nur schwer vereinbar. Die enorme zeitliche Belastung in dynamischen Bereichen der IT-Branche gilt daher auch als unvereinbar mit familiären Verantwortlichkeiten (Ruiz Ben 2005), weshalb diese Arbeitsfelder einerseits besonders für Frauen als ungeeignet angesehen werden. Andererseits folgen Arbeitszeiten in der IT-Branche nicht dem traditionellen Muster und zeigen eher einen hohen Grad an Flexibilität bezogen auf Zeitdisponibilität, Mobilität, Qualifikationsentwicklung etc. (Boes/Trinks 2005) - ein Umstand, der auch Entfaltungschancen vor allem für junge, nicht in versorgende und/oder pflegerische Tätigkeiten eingebundene Frauen eröffnet. Dies traf zumindest für die Zeit vor der Krise der IT-Branche zu, die sich in Deutschland vor allem ab 2002 bemerkbar machte. Der Druck, den dieser Industriezweig in den vergangenen Jahren erlebte und der auch als Katalysator für die Internationalisierung der Branche fungierte, hat diese Chancen verschlechtert und den Weg für Frauen zu hoch qualifizierten Tätigkeitsbereichen erschwert (ebd.: 303). Im Zuge des Internationalisierungsprozesses der Branche gewinnen vor allem Koordinationstätigkeiten an Prestige. Inwieweit Frauen in diesen Tätigkeitsgebieten ihre gewonnenen Positionen konsolidieren können, ist derzeit noch eine offene Frage. Auch ist noch nicht eindeutig abzusehen, wie sich die Beteiligungschancen für Frauen in den Ländern, in die IT-Tätigkeiten ausgelagert werden, entwickeln werden.
Im nächsten Abschnitt werde ich erläutern, welche Auslagerungsformen von Tätigkeiten und Bereichen im Rahmen der Internationalisierung der IT-Branche praktiziert werden und welche Implikationen diese Auslagerungsprozesse zunächst für die Beschäftigten in Deutschland haben.
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Inhaltsverzeichnis zu „Recodierungen des Wissens “
InhaltGeleitwortKarin HausenRecodierungen des Wissens. Zu Flexibilität und Stabilität von natur- und technikwissenschaftlichem Wissen - Eine EinleitungPetra Lucht, Tanja PaulitzTransdisziplinäre Forschungsansätze und perspektivenBühne Natur- und Technikwissenschaften: Neuere Ansätze aus dem Gender-DiskursHeike WiesnerZwischen Dekonstruktion und Partizipation: Transdisziplinaritäten in und außerhalb der GeschlechterforschungSabine MaasenTechnik, Konsum und Geschlecht - Nutzer/innen als Akteur/innen in TechnisierungsprozessenKarin ZachmannTechnology as a Site of Feminist PoliticsJudy WajcmanPopuläre Medien als "Technologien des Geschlechts"Karin EsdersKonstruktionen von Männlichkeit in der IngenieurkulturDisparate Konstruktionen von Männlichkeit und Technik -Formen der Vergeschlechtlichung ingenieurwissenschaftlichen Wissens um 1900Tanja PaulitzThe Gender(s) of "Real" Engineers: Journeys around the Technical/Social DualismWendy FaulknerKoloniale und globalisierte Verhältnisse von Wissen und GeschlechtGender Analysis in Colonial ScienceLonda SchiebingerInternationalisierung der IT-Branche und Gender-SegregationEsther Ruiz BenVerschiebungen in der Konstruktion des "natürlichen" GeschlechtsDas Geschäft der Pflanze ist dem Weib übertragen ... die Pflanze selbst hat aber kein Leben - Zur vergeschlechtlichten Stufenordnung des Lebens im ausgehenden 18. JahrhundertKerstin PalmUrsprung und Geschlecht: Paradoxien in der Konzeption von Geschlecht in Erzählungen der MolekularbiologieBärbel MaussAutorinnen
Autoren-Porträt
Petra Lucht ist wissenschaftliche Assistentin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin. Tanja Paulitz ist wissenschaftliche Assistentin im Fachgebiet Geschlechtersoziologie an der Universität Graz.
Bibliographische Angaben
- 2008, 234 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,1 x 21,4 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Herausgegeben von Lucht, Petra; Paulitz, Tanja; Mitarbeit: Esders, Karin; Faulkner, Wendy; Maasen, Sabine; Mauss, Bärbel; Palm, Kerstin; Paulitz, Tanja
- Herausgegeben: Petra Lucht, Tanja Paulitz
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 3593386011
- ISBN-13: 9783593386010
- Erscheinungsdatum: 13.05.2008
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