Riskantes Manöver / TURT/LE Bd.2
Roman. Originalausgabe
Der zweite Band um das Sondereinsatzkommando TURT/LE: Nach einem Einsatz in Afghanistan, der sie fast das Leben gekostet hätte, kehrt Agentin Kyla Mosley in die Heimat zurück. Bald darauf taucht der geheimnisvolle Hamid, der sie in Afghanistan rettete, bei ihr auf.
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Produktinformationen zu „Riskantes Manöver / TURT/LE Bd.2 “
Der zweite Band um das Sondereinsatzkommando TURT/LE: Nach einem Einsatz in Afghanistan, der sie fast das Leben gekostet hätte, kehrt Agentin Kyla Mosley in die Heimat zurück. Bald darauf taucht der geheimnisvolle Hamid, der sie in Afghanistan rettete, bei ihr auf.
Klappentext zu „Riskantes Manöver / TURT/LE Bd.2 “
Nach einem Undercovereinsatz in Afghanistan, der sie beinahe das Leben gekostet hätte, kehrt die TURT/LE-Agentin Kyla Mosley in den Dienst zurück. Doch es fällt ihr schwer, den Mann zu vergessen, der ihr in Afghanistan das Leben gerettet hat - den geheimnisvollen Hamid. Kurz darauf trifft sie ihn wieder, doch Hamid ist nicht, wer er zu sein scheint.
Lese-Probe zu „Riskantes Manöver / TURT/LE Bd.2 “
Riskantes Manöver von Michelle Raven 1
San Diego, Kalifornien
Kyla schreckte hoch, als sich eine Hand auf ihre Hüfte legte. Ein harter Männerkörper presste sich an ihren Rücken und löste eine Wärme in ihr aus, die sie lange nicht gespürt hatte. In dem Zwielicht konnte sie kaum etwas erkennen, aber sie war zu müde, um sich zu fragen, wer der Mann war. Eine seltsame Stille herrschte, als wäre jedes Geräusch durch eine dicke Watteschicht gedämpft. Mühsam versuchte sie, sich zu dem Mann umzudrehen, aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht. Sie konnte einfach nur daliegen und den tiefen Atemzügen lauschen, die hinter ihr erklangen. Oder war es ein Echo ihrer eigenen Atemgeräusche? Die Augen fielen ihr wieder zu, und sie hatte Mühe, wach zu bleiben. Was war nur mit ihr los? Der Mann neben ihr bewegte sich, die Hand auf ihrer Hüfte verschwand. Ein Protestlaut blieb in ihrer Kehle stecken, als sich seine Hand stattdessen unter ihren Kopf schob. Seine Finger strichen leicht über ihre Wange.
... mehr
Kyla blinzelte, doch ihre Sicht blieb seltsam verschwommen. Unruhe machte sich in ihr breit, aber seltsamerweise fühlte sie keinerlei Angst. Nur ... Verwirrung und ein vages Gefühl von Enttäuschung. Der Mann beugte sich über sie, und plötzlich erkannte sie ihn: Hamid. Freude stieg in ihr auf, dass sie ihn doch noch einmal wiedersah. Kyla drehte sich auf den Rücken, damit sie ihn besser sehen konnte. Sie wollte ihm sagen, wie sehr sie ihn vermisst hatte, aber ihre Stimme gehorchte ihr nicht. Seine dunklen Augen bohrten sich in ihre, während sein Gesicht ihr immer näher kam. Sanft berührten seine Lippen die ihren. Er sagte etwas, doch sie konnte seine Worte nicht hören, denn ein immer lauteres Rauschen verschluckte jeden Ton. Was zum Teufel war das? Kyla versuchte ihren Arm zu heben, um Hamid zu berühren, doch ihr fehlte die Kraft dazu. Unter ihrer Handfläche konnte sie den heißen Sand spüren, und sie grub ihre Finger hinein.
Dann richtete er sich ganz auf, und seine Hände lösten sich von ihr. Verzweiflung kam in ihr auf, als sie es nicht schaffte, ihn festzuhalten. Seine Gesichtszüge verschwammen vor ihren Augen, und er verschwand. Nein! Erleichtert atmete sie auf, als er zu ihr zurückkam. Er lehnte sich wieder über sie, und Kyla erstarrte. Es war nicht Hamids schmales Gesicht, das ihr entgegenblickte, sondern Khalawihiris verhasste Visage. Adrenalin schoss durch ihren Körper, dicht gefolgt von Furcht. Wie kam der Verbrecher hierher? Er war doch längst gestellt und in die USA gebracht worden. Khalawihiris Mund verzog sich zu einem teuflischen Grinsen, das ihr einen Schauer über den Rücken trieb. Immer dichter beugte er sich über sie, während Kyla verzweifelt gegen die unsichtbaren Fesseln ankämpfte, die sie festhielten.
Direkt über ihr öffnete er seinen Mund, und Kyla stieß einen verzweifelten Laut aus. Sie schaffte es nicht einmal sich wegzudrehen, als der Kopf des Verbrechers sich zu Sand verwandelte und auf sie niederprasselte. Überallhin rieselten die Körner, in ihren Mund, ihre Nase, ihre Augen, bis sie vollständig damit bedeckt war. Panisch versuchte sie sich zu befreien, doch noch immer konnte sie sich nicht rühren. Sie wurde lebendig begraben. Es fiel ihr immer schwerer, Luft zu holen, bis ihr Atem schließlich ganz stockte.
Mit einem atemlosen Schrei schoss Kyla in die Höhe und blickte wild um sich. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, die schweißnassen Hände waren in die Bettdecke gekrallt. Sie zitterte am ganzen Körper und rang nach Atem, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass es nur ein Albtraum gewesen war und sie sich in ihrer Wohnung in San Diego befand. Rasch beugte sie sich vor und schaltete die Nachttischlampe an. Ein schwacher Lichtschein erhellte ihr Bett, doch die restliche Umgebung blieb dunkel. Schatten schienen sich zu bewegen und näher zu rücken, und sie griff automatisch nach ihrer Waffe, die sie seit den Ereignissen in Afghanistan immer in Reichweite hielt. Auch als Polizistin einer SWAT-Einheit in New York hatte sie viel erlebt, doch nichts davon hatte diese tief sitzende Angst in ihr ausgelöst, die sie in letzter Zeit immer wieder überfiel. Tagsüber ging es, weil sie da beschäftigt war, doch nachts quälten sie immer wieder Albträume.
Kyla rieb mit der Hand über ihr feuchtes Gesicht und versuchte sich zu erinnern, worum es diesmal ging. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie sich an den Anfang des Traums erinnerte. Die Situation entsprang eindeutig der Realität: Sie hatte sich tatsächlich während eines Sandsturms mit Hamid hinter einem Felsen in Sicherheit gebracht. Er hatte sie gehalten und beschützt - doch dann hatte er ihr das mit einem Betäubungsmittel versetzte Wasser zu trinken gegeben. Der sanfte Kuss, fast nur ein Hauch, den er ihr zum Abschied gegeben hatte, ließ sie immer noch nicht zur Ruhe kommen. Und sie konnte nicht einmal sagen, warum. Sie wusste nichts über ihren Retter, und sie würde ihn nie wiedersehen. Zudem hatte er sie die ganze Zeit getäuscht und so getan, als würde er selbst zu den Verbrechern gehören und wollte Kyla an sie ausliefern. Sie sollte ihn also hassen, doch dummerweise tat sie das nicht. Stattdessen wünschte sie sich, ihm noch einmal gegenüberzustehen und herauszufinden, was genau zwischen ihnen geschehen war.
Energisch schob Kyla ihre Beine aus dem Bett und stand auf. Es war zwar noch etwas früh, aber ihr Wecker würde in einer halben Stunde klingeln, und sie würde jetzt sowieso kein Auge mehr zutun. Barfuß durchquerte sie den Raum und trat ins angeschlossene Badezimmer. Die Pistole legte sie auf die Ablage und stützte ihre Hände auf den Rand des Waschbeckens. Ihre langen blonden Haare hingen in zerzausten, feuchten Strähnen um ihr Gesicht. Wenigstens waren die Augenringe durch ihre noch leicht gebräunte Haut kaum zu sehen. Dafür war ihre Anspannung deutlich zu erkennen. Und die Furcht davor, langsam durchzudrehen.
Mit einem rauen Laut zog sie sich das Nachthemd über den Kopf und warf es frustriert zur Seite. Sofort glitt ihr Blick zu der Narbe an ihrer Schulter, wo die Kugel eines Terroristen ihren Körper durchschlagen hatte. Es war kaum mehr etwas davon zu sehen, nur leicht gerötete und kaum vernarbte Stellen an der Ein- und Austrittswunde, wo Hamid sie zusammengenäht hatte. Ansonsten litt sie unter keinerlei Nachwirkungen der Verletzung, wenn überhaupt, war sie dank des vielen Trainings jetzt fitter und kräftiger als davor, weil sie ihren Körper in jeder freien Sekunde an seine Belastungsgrenze brachte. Über die Gründe dafür wollte sie nicht nachdenken. Tatsache war: Sie hätte längst wieder als Undercover-Agentin eingesetzt werden können, aber Daniel Hawk, ihr Vorgesetzter beim TURT/ LE-Programm - Terrorism Undercover Reconaissance Team / Ladies Elite -, gab ihr keinen neuen Auftrag. Entweder weil er sie für nicht mehr fähig hielt, oder weil er sich nicht traute, sie noch einmal der Gefahr auszusetzen. Beides war für sie nicht akzeptabel. Zwar hatte sie ihre Aufgaben, wie die Teilnahme an Übungen und Unterrichtsstunden, sie half beim körperlichen Training der neuen Rekruten und anderen Agenten und gab Schießunterricht, doch das war nicht das Gleiche, wie sich auf eine Mission vorzubereiten und sie dann auch durchzuführen.
Sie konnte jedoch nachvollziehen, dass ihre Partnerin Jade auch vier Monate nach ihrer Gefangenschaft in der Festung des afghanischen Warlords Mogadir noch nicht wieder dienstfähig war. Schließlich war sie dort tagelang gefoltert worden, bevor die SEALs sie gerettet hatten. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie sich daran erinnerte, wie Jade nach der Tortur ausgesehen hatte. Vor allem die Scham und Trostlosigkeit in ihren Augen hatten Kyla tief getroffen. Sie selbst hatte dagegen nur einen glatten Schulterdurchschuss davongetragen, der nach einem Monat restlos verheilt war.
Doch diese Gedanken führten zu nichts, solange Hawk der Meinung war, sie müsse geschont werden. Deshalb schob Kyla ihre Sorgen beiseite und stieg unter die Dusche. Nach einer langen Weile unter dem heißen Strahl fühlte sie sich halbwegs gewappnet, dem Tag zu begegnen. Egal wie, sie würde Hawk dazu bringen, sie wieder in den Einsatz zu schicken. Zur Not würde sie kündigen und zu ihrer Arbeit als Scharfschützin im SWAT-Team bei der New Yorker Polizei zurückkehren. Auch wenn sie die TURT/LEs vermissen würde, es war die einzige Möglichkeit, nicht langsam verrückt zu werden.
Einige Zeit später kam sie auf dem Navy-Stützpunkt an. Trotz der frühen Stunde waren bereits etliche SEALs, die Eliteeinheit der US Navy, und auch TURT/LEs unterwegs. Das war normal, denn es gab immer genug zu tun - der Terrorismus schlief nie. Um sich abzulenken und noch einmal über ihr geplantes Gespräch mit Hawk nachdenken zu können, schlug sie den Weg zum Hindernisparcours ein. Meist beendete sie dort ihren Tag mit einem Durchlauf, und danach war sie immer so kaputt, dass sie alles andere vergaß. Zumindest für ein paar Stunden. Spätestens nachts würden jedoch die Albträume und Erinnerungen mit Macht zurückkommen. Schlimmer als die Träume waren allerdings jene Momente, in denen sie das Gefühl hatte, dass Hamid bei ihr war, sich sein Körper gegen ihren presste, um sie in der kalten afghanischen Nachtluft zu wärmen. Wenn sie dann aufwachte und feststellte, dass sie allein war, lag ein solcher Druck auf ihrer Brust, dass sie kaum Luft bekam.
Wütend über ihre eigene Unfähigkeit, die Erlebnisse und Hamid zu vergessen und ihr Leben einfach weiterzuführen wie vorher, stapfte Kyla zu den Umkleideräumen, die extra für die weiblichen TURTs eingerichtet worden waren. Die metallene Tür ihres Spinds knallte gegen die Wand, als sie diese mit Schwung aufriss. Kyla zuckte zusammen und blickte sich rasch um. Glücklicherweise war außer ihr niemand hier. Ihre schlechte Stimmung nervte sie selbst und sie bemühte sich, ihre Kollegen nicht damit zu belasten. Kopfschüttelnd schlüpfte sie in Shorts und ein Top und band sich die Haare zu einem Zopf zusammen.
Nur wenige Minuten später betrat sie den Strandabschnitt, auf dem der Hindernisparcours errichtet war. Ihre Laune sank noch weiter, als sie die SEAL-Anwärter sah, die gerade von Rock über die Hürden gejagt wurden. Verdammt, sie hatte gehofft, so früh morgens den Parcours für sich zu haben. Der Senior Chief bemerkte sie und kam nach ein paar Worten zu den Rekruten zu ihr hinüber. Die Situation erinnerte sie an ihren ersten Tag auf dem Stützpunkt, als sie noch voller Vorfreude auf ihre neue Aufgabe geblickt hatte. Damals war sie zu früh angekommen und über die Basis geschlendert. Am Hindernisparcours hatte sie haltgemacht und den großen und muskulösen Rock dabei beobachtet, wie er die armen SEAL-Anwärter geschunden hatte.
Jetzt lächelte Rock sie an. »Hallo Kyla, was verschafft mir die Ehre?«
Sie konnte gar nicht anders, als zurückzulächeln. Die positive Wandlung von Rock, seit er mit Rose zusammenlebte, war nicht zu übersehen. Während er vorher meist finster dreingeblickt hatte und sich von allen ein wenig fernhielt, war er jetzt viel umgänglicher. Er wirkte einfach glücklich. Wenigstens einer, der bei dem Einsatz in Afghanistan sein Glück gefunden hatte. Es war seine letzte Mission als aktiver SEAL gewesen und er war danach in den Trainingsstab gewechselt.
»Ich wollte ein wenig trainieren. Wie lange macht ihr noch?«
Rock strich mit der Hand durch seine kurzen schwarzen Haare. »Wir haben erst vor wenigen Minuten angefangen. Aber du kannst gerne mitmachen, wenn du möchtest.«
»Lieber nicht, ich würde nur stören.« Sehnsüchtig blickte sie auf die hohen Hindernisse, deren Überwindung ihr jedes Mal wieder Befriedigung verschaffte.
Grinsend legte Rock seine Hand auf ihre Schulter. »Unsinn, die Burschen können ruhig mal sehen, wie man es richtig macht. Wenn ihnen eine Frau das zeigt - umso besser.«
Kyla musste lachen. »Das ist ... hinterhältig.«
Rock zuckte mit den Schultern. »Damit müssen sie leben. Sie können dabei eine wichtige Lektion lernen, du würdest mir also einen Gefallen tun.«
»Welche Lektion denn?«
»Dass man nie weiß, wer einem als Feind gegenübersteht - und man Frauen nie unterschätzen sollte.« Wie es aussah, hatte Rock von Rose einiges gelernt, die an der Universität von Kalifornien über die Rolle der Frau in verschiedenen Kulturen lehrte und auch die SEALs und TURT/LEs hin und wieder unterrichtete. Rose hatte großen Mut bewiesen, als sie sich damals bereit erklärt hatte, mit nach Afghanistan zu reisen und zwei Agentinnen zu retten, die sie nicht einmal kannte. Und das, nachdem ihr Mann Ramon Gomez, ein SEAL, vor etlichen Jahren bei einem Einsatz ums Leben gekommen war.
Kyla räusperte sich, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. »Danke. Ich wärme mich noch ein wenig auf, dann stehe ich dir ganz für deine Demonstration zur Verfügung.«
»In Ordnung. Es sind ein paar talentierte Anwärter dabei, die schicke ich dann hinter dir her.«
Kyla schnitt eine Grimasse. »Zu freundlich.« Sie war gut, aber bei ihrer geringen Größe hatte sie gegen einen gut trainierten Mann keine Chance. Zum Glück hatte sie keine Probleme damit, in einem fairen Kampf auch mal besiegt zu werden.
Während Rock zum Parcours zurückkehrte, begann Kyla mit ihren Dehnübungen, die zwingend notwendig waren, wenn sie nicht Muskelschäden riskieren wollte. Nachdem sie unter den neugierigen Blicken der Rekruten noch einmal um den Parcours gejoggt war, stellte sie sich an der Startlinie auf. Das Herz klopfte kräftig in ihrer Brust, während sich wie üblich eine geistige Ruhe über sie senkte, die sie nur bei körperlicher Betätigung erreichte.
Rock stellte sich neben sie. »Bereit?« Kyla nickte stumm. »Ich gebe dir zehn Sekunden Vorsprung.« Sein Grinsen blitzte für einen Moment auf, als sie die Augen verdrehte, bevor er wieder seine übliche unnahbare Miene aufsetzte. »Okay, los!«
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er die Stoppuhr betätigte. Kyla joggte los und bemühte sich, ihren Rhythmus zu finden. Aus leidvoller Erfahrung wusste sie, dass man den Parcours nur schaffen konnte, wenn man sich am Anfang nicht zu sehr verausgabte. Das war der Fehler, den viele Rekruten zu Beginn ihrer Ausbildung machten. Kyla stemmte sich an den beiden parallelen Stangen nach oben und hangelte sich darüber. Hinter sich hörte sie Rocks Ruf und wusste, dass nun ihre Verfolger starteten. Ihr Atem ging schneller, als sie kräftig absprang und bereits das nächste Hindernis überwand. Auf der anderen Seite sprang sie nach unten und lief weiter durch den weichen Sand.
Auch das kostete unheimlich viel Kraft, und sie war beinahe froh, als die nächste Hürde auftauchte.
Hinter sich konnte sie bereits die SEAL-Rekruten hören, die von ihren Kameraden angefeuert wurden. Ihr Ehrgeiz wurde geweckt, und sie spürte kaum noch den Schmerz des rauen Seils an ihren Handflächen, als sie sich über die hohe Wand hangelte. Sie grinste, als sie an eines der wenigen Hindernisse kam, bei dem ihre geringe Größe und ihre Wendigkeit von Vorteil waren: mit Stacheldraht überzogene Holzbalken, unter denen sie hindurchrobben musste. Kurz darauf wurde sie von einigen der SEAL-Anwärter eingeholt, doch davon ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Es zählte nur, wer am Ende vorne lag.
Kyla wurde immer ruhiger, je länger der Parcours dauerte. Ihre Muskeln schmerzten von der Belastung und die Schritte im Sand wurden immer schwerer, aber sie behielt nur das Ziel vor Augen. Drei SEAL-Anwärter hatten sie überholt und standen keuchend neben Rock, der die Zeiten aller Teilnehmer erfasste. Alle anderen lagen noch hinter ihr. Mit der letzten Energiereserve legte sie einen Sprint hin.
»Und durch!« Rock grinste sie an. »6:30, super Zeit, Kyla!«
Sie war zu erschöpft, um ihm zu antworten, deshalb nickte sie nur und beobachtete bei leichten Dehnübungen, wie die anderen ins Ziel kamen. Mehrere der angehenden SEALs starrten zu ihr hinüber oder nickten ihr respektvoll zu. Adrenalin strömte durch ihren Körper und löste eine Zufriedenheit bei ihr aus, die sie nur dann erreichte, wenn sie sich völlig ausgepowert hatte.
Als alle Rekruten den Parcours beendet hatten, ließ Rock sie sich in einer Reihe aufstellen. »Okay, Männer, Agent Mosley hat euch gezeigt, wie man es machen muss. Beim nächsten Mal will ich mehr von euch sehen. Verstanden?«
»Aye, Senior Chief!«
»Wegtreten.«
Kyla wollte sich gerade umdrehen, da hielt Rock sie auf. »Danke für das Lehrstück. Jetzt werden sich die Jungs zweimal überlegen, ob sie noch mal einen Gegner unterschätzen.« Er lächelte sie an. »Zu schade, dass du kein SEAL werden kannst, du wärst mit deiner Ausdauer und deinen Fähigkeiten als Scharfschütze ein echter Gewinn für die Teams.«
Wärme durchflutete sie bei dem Kompliment. »Danke. Auch wenn ich weiß, dass ihr insgeheim heilfroh seid, keine Frauen im Team zu haben.«
»Absolut. Was aber nicht an euren Fähigkeiten liegt, sondern daran, dass wir uns dann nicht konzentrieren könnten.«
Kyla lachte. »Rose' Einfluss macht sich positiv bemerkbar.«
Ein Ausdruck puren Glücks trat auf Rocks Gesicht, der Kyla mitten ins Herz traf. »Und ich bin jeden Tag dankbar dafür.«
So schnell wie möglich, ohne unhöflich zu wirken, verabschiedete Kyla sich von ihm und kehrte zu den Umkleideräumen zurück. Sie gönnte Rock natürlich sein Glück, aber es zeigte ihr mal wieder, was in ihrem eigenen Leben fehlte. Bis zu der Mission in Afghanistan hatte sie geglaubt, völlig zufrieden zu sein. Und sie war es auch auf gewisse Art gewesen: Sie hatte einen spannenden Job, nette Kollegen, viele Freunde. Doch dann kam Hamid und ließ sie an Dinge denken, die völlig unrealistisch waren. Vielleicht lag es einfach nur daran, weil sie dem Tod so nahe gekommen war wie nie zuvor. Genau, das war die Erklärung.
Nach einer hastigen Dusche zog Kyla sich wieder ihre übliche Arbeitskleidung aus Jeans und T-Shirt an und kehrte zur TURT/ LE-Baracke zurück. Immerhin hatten sie inzwischen eine eigene, neu erbaute und mussten nicht mehr in der viel zu kleinen Behelfsbaracke hausen. Entschlossen schob sie die Tür auf und durchquerte den Raum zu Hawks Büro am anderen Ende des Gebäudes. In der Dusche hatte sie noch einmal gründlich nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass sie so nicht weitermachen konnte. Entweder Hawk erteilte ihr endlich einen neuen Auftrag oder sie war raus.
Sie war ursprünglich zu der Undercover-Einheit gekommen, um etwas zum Kampf gegen den Terrorismus beizutragen, stattdessen saß sie hier nur nutzlos herum. Gut, durch ihre Mithilfe war Mogadir zwar angeklagt worden, aber das war schon etliche Monate her, und vor allem hatte sie, bedingt durch ihre Verletzung, keine besonders gute Figur bei der Sache gemacht. Sie hatte weder Jade helfen, noch sich selbst retten können. Hätte Hamid sie nicht in dem Keller gefunden, ihre Verletzung behandelt und sie aus der Stadt gebracht ...
Nein, sie würde nicht wieder über den geheimnisvollen Mann nachgrübeln, der sie nicht wie erwartet zu seinem Warlord oder einem anderen Verbrecher gebracht hatte, sondern sie nach einigen Tagen im Lager des deutschen KSK ablieferte.
Wie war es möglich, dass man jemanden so vermisste, über den man doch eigentlich nichts wusste? Er hatte sich um sie gekümmert, als sie es selbst nicht konnte, und besaß einen seltsamen Sinn für Humor - das war ihr gesamtes Wissen über Hamid. Und wie weich seine Lippen gewesen waren, als er sich mit einem sanften Kuss von ihr verabschiedet hatte.
Mit einem frustrierten Aufstöhnen blieb Kyla stehen und schloss die Augen. Warum gelang es ihr nicht, Hamid aus ihrem Kopf zu verbannen? Es war, als hätte er sich in den wenigen Tagen, die sie zusammen verbracht hatten, unauslöschlich in ihr Gehirn eingebrannt. Sie konnte ihn nicht einfach nur als ihren Retter betrachten, denn irgendetwas war in der Zeit zwischen ihnen geschehen. Die kurze Nachricht, die er ihr im Krankenhaus in Deutschland hinterlassen hatte, half auch nicht gerade dabei, sich von ihm zu lösen: ›Ich werde dich nicht vergessen.‹ Wenn er jetzt noch an sie dachte, war es wahrscheinlich eher auf eine distanziertere Art, da sie für ihn bloß eine interessante Episode gewesen war. Und vermutlich war sie längst nicht so häufig in seinen Gedanken vertreten wie er in ihren. Kyla schnitt eine Grimasse, als sie sich daran erinnerte, wie sie damals ausgesehen hatte. Wahrscheinlich würde Hamid sie im sauberen Zustand nicht einmal erkennen.
2
»Geht es dir gut?«
Kyla zuckte zusammen, als hinter ihr eine Stimme erklang. Um einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht, drehte sie sich langsam zu Hawk um, der sie besorgt musterte. »Ja, natürlich. Ich wollte gerade zu dir.«
Die Besorgnis verwandelte sich in Resignation, so als wüsste er bereits, worüber sie mit ihm sprechen wollte. »Dann komm rein. Matt ist gerade mit den Neuankömmlingen unterwegs.«
Sie folgte ihm in das Büro und schloss die Tür hinter sich. »Schon wieder Neue? Brauchen wir denn noch mehr Agenten?« Seit TURT vor fast einem Jahr ins Leben gerufen worden war, hatten sich immer mehr Interessierte von verschiedenen Regierungsorganisationen, vom Militär und von der Polizei gemeldet. Wurden die Bewerber angenommen, absolvierten sie auf der SEAL-Basis ein mehrmonatiges Training, das sie sowohl körperlich als auch geistig an ihre Grenzen brachte. Erst wenn sie dieses erfolgreich abgeschlossen hatten, konnten sie erste Undercover- Missionen übernehmen. Viele der Teilnehmer merkten bereits in dieser Phase, dass sie für diese Arbeit nicht geschaffen waren, und verließen frühzeitig das Programm.
Hawk setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs, ein Zeichen dafür, dass er hoffte, das Gespräch schnell hinter sich zu bringen. »Bei den vielen Terrorzellen, die es mittlerweile überall auf der Welt gibt, ja. Wir können jeden Mann - und jede Frau - gebrauchen, die bereit sind, sich solchen Gefahren auszusetzen.« Hawk rieb über sein Gesicht, das immer noch von den Ereignissen in Afghanistan gezeichnet war. Oder vielmehr von seiner ständigen Sorge um Jade, die sich von allen zurückgezogen hatte und es nicht schaffte, ihren Erinnerungen an die Folter in Mogadirs Festung zu entkommen.
Kylas Stimme wurde sanfter. »Wie geht es Jade?« In der ersten Zeit hatte sie ihre Partnerin noch oft besucht, aber irgendwann merkte sie, dass ihre Anwesenheit Jade mehr aufregte, als dass es ihr half, und Kyla schränkte ihre Besuche stark ein. Auch wenn sie Jade unheimlich vermisste, schließlich hatten sie sechs Monate lang in Afghanistan zusammengelebt und standen sich dementsprechend nahe.
Die Falten um Hawks Mundwinkel vertieften sich. »Soweit gut, zumindest körperlich. Sie geht immer noch regelmäßig zu der Psychiaterin, aber ich habe nicht das Gefühl, dass das wirklich etwas bringt. Es ist schwierig, jemandem zu helfen, der niemanden an sich heranlässt.« Er rieb über seine stoppelkurzen blonden Haare, was seine innere Anspannung bei dem Thema verriet.
»Auch dich nicht?« Spätestens seit Afghanistan war es kein Geheimnis mehr, dass Jade und Hawk ein Paar waren - zumindest waren sie das vor ihrem Undercovereinsatz gewesen. Jade war vorher schon ein eher verschwiegener Mensch gewesen, aber jetzt konnte man ihr überhaupt nicht mehr ansehen, was sie dachte oder fühlte.
»Mich erst recht nicht. Ich glaube, sie hat Angst davor, wieder Gefühle zuzulassen. Ich habe es schon tausend Mal versucht, aber sie lässt mich einfach nicht an sich ran. Jade versteckt sich in ihrem Haus vor der Welt und erlaubt mir nicht, mich um sie zu kümmern.« Es war ihm anzusehen, wie sehr er darunter litt.
Kyla legte ihre Hand auf seinen Arm. »Das tut mir wirklich leid, Hawk. Wann kann sie denn wieder arbeiten? Vielleicht hilft es ihr, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.«
»Die Psychiaterin hält es noch für zu früh - und ich ehrlich gesagt auch. Vor allem glaube ich nicht, dass sie jemals wieder als Undercover-Agentin arbeiten kann.«
Kylas Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie hatte gerne mit Jade zusammengearbeitet und würde sie sehr vermissen. Vor allem aber wusste sie, wie hart Jade dafür gearbeitet hatte, im TURT/LE-Programm angenommen zu werden. »Das fände ich sehr schade. Geht sie dann vielleicht zum FBI zurück?«
»Ich hoffe es nicht. Wenn sie mal mehr als drei Worte mit mir wechseln würde, könnte ich ihr einen administrativen Job bei TURT anbieten. Zumindest für die erste Zeit. Wenn sie sich irgendwann erholt hat ...« Hawk hob die Schultern.
»Soll ich mal mit ihr reden?«
Dankbar sah Hawk sie an. »Du kannst es gerne versuchen. Vielleicht hast du mehr Glück als ich.«
Kyla nickte. »Jetzt aber zu dem Grund, warum ich hergekommen bin.«
Hawk seufzte. »Ja?«
»Ich will wieder eingesetzt werden. Ich bin schon vor Monaten von den Ärzten als geheilt eingestuft worden und bin in ausgezeichneter Form. Ich will endlich wieder einen Auftrag, Hawk!«
»Das verstehe ich ja, aber es ist im Moment wirklich nichts für dich frei.« Sie konnte das Schuldbewusstsein in seinen Augen sehen.
»Das ist doch Schwachsinn! Ich weiß genau, dass ständig neue Aufträge an andere Agenten vergeben werden, die auch ich hätte machen können.«
Hawk richtete sich auf und überragte sie dabei um beinahe vierzig Zentimeter. Wenn er dachte, sie dadurch einschüchtern zu können, so irrte er sich. »Die Jobs gibt es tatsächlich, aber du übersiehst eines: Du hattest bereits einen Auftrag und warst monatelang undercover. Die anderen Agenten wollen auch in den Einsatz, deshalb wähle ich bei gleicher Qualifikation meist diejenigen aus, die in letzter Zeit nicht dran waren.« Seine Stimme wurde sanfter. »Ich weiß, dass du endlich wieder etwas tun willst, aber gib dir noch ein wenig Zeit, dich zu erholen. Undercoverarbeit ist nie leicht, aber was ihr beiden dort drüben erlebt habt, war ...«
Kyla unterbrach ihn rasch. »Ich habe nur eine Schussverletzung davongetragen, sonst nichts.«
Prüfend blickte Hawk sie an. »Bist du sicher? Ich glaube, dass auch du dich durch die Ereignisse verändert hast, Kyla. Wir alle sind nicht mehr die Gleichen, die wir vorher waren.« Die Linien in seinem Gesicht vertieften sich, es war deutlich zu sehen, wie er mit seinen Gefühlen kämpfte. »Irgendwie werden wir damit zurechtkommen, aber vermutlich wird es einige Zeit dauern, bis wir es richtig überwunden haben.«
»Und was soll ich in der Zwischenzeit tun? Ich werde wahnsinnig, wenn ich die ganze Zeit nur im Leerlauf bin.«
»Das verstehe ich, aber es gibt leider eine Weisung von oben, dass du keine neue Mission zugewiesen bekommen sollst, bis die Sache mit Mogadir und Khalawihiri erledigt ist. Sowie die Prozesse vorbei sind und du deine Aussage gemacht hast, kann ich dich wieder einsetzen.«
»Wie lange dauert das denn noch? Es dürfte doch nicht so schwierig sein, den beiden ihre Verbrechen nachzuweisen und sie anzuklagen.«
»Sollte man meinen, aber in der Realität sieht es leider anders aus. Da muss jede Kleinigkeit stimmen, um die Anklage auch wasserdicht zu machen.« Hawk strich über sein Kinn. »Und leider wissen wir immer noch nicht, wer Khalawihiri wirklich ist. Seine Fingerabdrücke und die DNA-Analyse haben nichts ergeben, es ist, als hätte er vorher nicht existiert.«
Und das konnte Kyla überhaupt nicht begreifen. Es musste doch irgendwo Informationen über den Mistkerl geben! »Hatten Lieutenant Commander Devlin und Senior Chief Basilone nicht ausgesagt, dass er einen amerikanischen Akzent hatte? Vielleicht sollten wir nicht in Afghanistan nach seiner Herkunft suchen, sondern hier.«
»Die Suche ist nicht nur auf die arabischen Länder beschränkt. Irgendwann werden wir herausfinden, wer er ist und dann brauchen wir dich.«
Kyla schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Ich hatte überhaupt nichts mit dem Verbrecher zu tun, ich wusste nicht mal, dass er existiert, bevor Nurja uns darauf gebracht hat.«
Die Afghanin hatte für ihre Hilfe teuer bezahlt: Nurjas Mann war vor ihren Augen von Mogadirs Männern gefoltert und getötet worden, und sie selbst war tagelang in der Festung gefangen gehalten und gequält worden. Sie wäre dort durch die Explosion gestorben, wenn I-Mac, der Computerexperte des SEAL-Teams, sie nicht im letzten Moment gerettet hätte. Dabei hatte dieser sich eine schwere Rückenverletzung zugezogen, die sich auch jetzt, vier Monate später, noch nicht so weit verbessert hatte, dass er den aktiven Dienst wieder aufnehmen konnte.
Hawk redete unterdessen weiter. »Die anderen Agenten können viel von dir lernen, vielleicht solltest du dich doch dazu bereit erklären, zu unterrichten. Natürlich nur, bis du wieder auf eine Mission gehst.«
Kyla schnitt eine Grimasse. Das wurde ihr nun schon mehrmals angeboten, aber sie konnte sich nicht vorstellen, sich und vor allem ihre Arbeit in Afghanistan von ihren Kollegen sezieren zu lassen. Sie wusste nur zu gut, welche Fehler sie gemacht hatte und was sie nicht nur sie selbst, sondern vor allem Jade gekostet hatten. Und dann noch die SEALs und Night Stalkers, die bei dem Versuch, sie zu retten, ums Leben gekommen oder verletzt worden waren. Das war einer der Gründe, warum sie beim Training alles gab: um die Blicke und das Getuschel ignorieren zu können und sich ganz auszuklinken. Wahrscheinlich würde Hawk ihr sagen, dass sie sich das nur einbildete, aber sie konnte das Gefühl nicht abschütteln.
Sie bemerkte, dass Hawk immer noch auf eine Antwort wartete. »Nein, danke. Das ist nichts für mich. Mir reicht es, sie beim körperlichen Training zu unterstützen.«
Hawk nickte, auch wenn sie ihm ansehen konnte, dass er enttäuscht war. »Wenn du deine Meinung änderst, sag mir Bescheid.«
»Es tut mir leid, Hawk, aber das werde ich ganz sicher nicht.« Ihr Magen spannte sich an, während sie tief einatmete. »Ich kann so nicht weitermachen. Wenn ich hier keine neuen Undercover- Aufträge mehr bekomme, kehre ich nach New York zurück.« Tränen schnürten ihr die Kehle zu.
Hawks Gesichtszüge wirkten schärfer, während er sie lange schweigend anblickte. »Ich hoffe, du überlegst dir das noch mal, Kyla. Du bist eine gute Agentin, und wir möchten dich ungern verlieren.«
»Dann lass mich endlich wieder meine Arbeit tun.« Als er nichts darauf sagte, verließ Kyla niedergeschlagen das Büro und schloss die Tür leise hinter sich.
Gedankenverloren lief sie durch die Baracke zum Ausgang und stieß dort beinahe mit einem ihrer Kollegen zusammen. Daniel Collins hatte die Ausbildung bereits absolviert und wartete nun auf seine erste Mission, die in wenigen Wochen beginnen sollte.
»Puh, das ist gerade noch mal gut gegangen.« Er lächelte sie an. »Hat Hawk dir endlich wieder einen Auftrag gegeben?«
Kyla mochte ihn sehr gerne und hatte ihn auch ein paar Mal nach Dienstschluss mit anderen TURTs in einer der beliebten Kneipen in Coronado getroffen, aber zumindest von ihrer Seite fehlte einfach der Funke, um mehr daraus werden zu lassen. Überhaupt lebte sie seit dem Desaster wie eine Nonne, selbst harmloses Flirten machte ihr keinen Spaß mehr. Stumm schüttelte sie den Kopf und blickte zur Seite, um nicht das Mitgefühl in Daniels Miene zu sehen.
Seine Hand legte sich auf ihren Arm. »Das tut mir leid, Kyla. Aber du bist sicher bald wieder dran.«
Mit Mühe unterdrückte Kyla eine scharfe Erwiderung. Daniel meinte es nicht böse und wollte sie nur aufmuntern. Ein gewisses Interesse leuchtete ihr aus seinen dunkelbraunen Augen entgegen. Mit einem innerlichen Seufzer erkannte sie, dass sie ihm bald klarmachen musste, dass sie für mehr als Freundschaft nicht zur Verfügung stand. Doch heute hatte sie dafür keinen Nerv. »Entschuldige, ich muss los. Wir sprechen uns später.«
Kyla wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern flüchtete eilig aus der Baracke. Draußen ging sie um die Ecke des Gebäudes, damit niemand sie mehr sehen konnte, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Das war es dann also, mit gerade mal einunddreißig Jahren und nach einer einzigen Mission war sie bereits ausgemustert. Trauer mischte sich mit Wut. Was hatte sie auch erwartet? Sie hatte den Staat wegen der aufwändigen Rettungsaktion nicht nur viel Geld gekostet, sondern auch noch das Leben etlicher Elitesoldaten. Ganz zu schweigen von der psychischen Belastung. Vermutlich würde sie sich anstelle ihrer Vorgesetzten auch nicht mehr in einen Einsatz schicken, trotzdem ärgerte es sie, so auf das Abstellgleis geschoben zu werden.
Mit einem tiefen Seufzer öffnete sie die Augen und stieß sich von der Wand ab. Eigentlich konnte sie auch gleich ihre Sachen packen und den Mietvertrag kündigen, den sie erst vor vier Monaten abgeschlossen hatte, als sie aus Afghanistan zurückgekehrt war. Vielleicht kam sie sich deshalb irgendwie ... entwurzelt vor, seit sie wieder hier war. Doch das war es nicht alleine, sie wusste genau, was ihr fehlte, und das hatte nichts mit der Wohnung zu tun.
Langsam setzte sie sich in Bewegung und ging auf den Strand zu. Einige ihrer Kollegen kamen ihr entgegen, aber sie bemerkte sie kaum. Ihre Gedanken waren meilenweit entfernt, Tausende von Meilen, um genau zu sein. Sie war so glücklich gewesen, den Auftrag zu erhalten, den Warlord Mogadir und seine Gefolgsleute auszuspionieren. Dabei war es allerdings mehr um seine normalen Geschäfte wie Drogenhandel und Terrorismus im kleineren Maßstab gegangen. Als dann herauskam, dass Mogadir einen Bombenanschlag auf die Wolesi Jirga plante, das afghanische Unterhaus, nahm die Mission einen unerwarteten Verlauf. Auch war nicht geplant, dass der Terrorist von der Existenz der Agentinnen erfahren und Jagd auf sie machen würde. Damit hatte das Unheil seinen Lauf genommen. Kyla selbst war angeschossen und Jade in Mogadirs Festung verschleppt worden. Und jetzt waren sie beide nur noch Schatten ihrer selbst: ungewollt und nutzlos.
Kyla schnaubte. Wie konnte sie dermaßen wehleidig sein, wenn Jade doch viel schlimmer dran war? Unglücklich ließ sie sich auf einem Balken am Strand nieder und stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel, während sie auf das Wasser hinausblickte. Wie lange sie dort saß, wusste sie nicht, zu tief war sie in ihre trüben Gedanken versunken. Sie blickte erst auf, als sich jemand neben sie setzte.
Lieutenant Commander Devlin, kommandierender Offizier von SEAL Team 11, blickte sie durchdringend an. Es kam ihr fast so vor, als könnte er jeden einzelnen ihrer Gedanken lesen. Kein Wunder, dass viele sagten, er müsse über besondere Fähigkeiten verfügen, und deshalb einen großen Bogen um ihn machten. Sie ging allerdings davon aus, dass er einfach nur eine gute Menschenkenntnis besaß und alles genau beobachtete.
»Hawk sucht dich.«
© 2013 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Kyla blinzelte, doch ihre Sicht blieb seltsam verschwommen. Unruhe machte sich in ihr breit, aber seltsamerweise fühlte sie keinerlei Angst. Nur ... Verwirrung und ein vages Gefühl von Enttäuschung. Der Mann beugte sich über sie, und plötzlich erkannte sie ihn: Hamid. Freude stieg in ihr auf, dass sie ihn doch noch einmal wiedersah. Kyla drehte sich auf den Rücken, damit sie ihn besser sehen konnte. Sie wollte ihm sagen, wie sehr sie ihn vermisst hatte, aber ihre Stimme gehorchte ihr nicht. Seine dunklen Augen bohrten sich in ihre, während sein Gesicht ihr immer näher kam. Sanft berührten seine Lippen die ihren. Er sagte etwas, doch sie konnte seine Worte nicht hören, denn ein immer lauteres Rauschen verschluckte jeden Ton. Was zum Teufel war das? Kyla versuchte ihren Arm zu heben, um Hamid zu berühren, doch ihr fehlte die Kraft dazu. Unter ihrer Handfläche konnte sie den heißen Sand spüren, und sie grub ihre Finger hinein.
Dann richtete er sich ganz auf, und seine Hände lösten sich von ihr. Verzweiflung kam in ihr auf, als sie es nicht schaffte, ihn festzuhalten. Seine Gesichtszüge verschwammen vor ihren Augen, und er verschwand. Nein! Erleichtert atmete sie auf, als er zu ihr zurückkam. Er lehnte sich wieder über sie, und Kyla erstarrte. Es war nicht Hamids schmales Gesicht, das ihr entgegenblickte, sondern Khalawihiris verhasste Visage. Adrenalin schoss durch ihren Körper, dicht gefolgt von Furcht. Wie kam der Verbrecher hierher? Er war doch längst gestellt und in die USA gebracht worden. Khalawihiris Mund verzog sich zu einem teuflischen Grinsen, das ihr einen Schauer über den Rücken trieb. Immer dichter beugte er sich über sie, während Kyla verzweifelt gegen die unsichtbaren Fesseln ankämpfte, die sie festhielten.
Direkt über ihr öffnete er seinen Mund, und Kyla stieß einen verzweifelten Laut aus. Sie schaffte es nicht einmal sich wegzudrehen, als der Kopf des Verbrechers sich zu Sand verwandelte und auf sie niederprasselte. Überallhin rieselten die Körner, in ihren Mund, ihre Nase, ihre Augen, bis sie vollständig damit bedeckt war. Panisch versuchte sie sich zu befreien, doch noch immer konnte sie sich nicht rühren. Sie wurde lebendig begraben. Es fiel ihr immer schwerer, Luft zu holen, bis ihr Atem schließlich ganz stockte.
Mit einem atemlosen Schrei schoss Kyla in die Höhe und blickte wild um sich. Das Herz hämmerte in ihrer Brust, die schweißnassen Hände waren in die Bettdecke gekrallt. Sie zitterte am ganzen Körper und rang nach Atem, als wäre sie gerade einen Marathon gelaufen. Es dauerte einen Moment, bis sie erkannte, dass es nur ein Albtraum gewesen war und sie sich in ihrer Wohnung in San Diego befand. Rasch beugte sie sich vor und schaltete die Nachttischlampe an. Ein schwacher Lichtschein erhellte ihr Bett, doch die restliche Umgebung blieb dunkel. Schatten schienen sich zu bewegen und näher zu rücken, und sie griff automatisch nach ihrer Waffe, die sie seit den Ereignissen in Afghanistan immer in Reichweite hielt. Auch als Polizistin einer SWAT-Einheit in New York hatte sie viel erlebt, doch nichts davon hatte diese tief sitzende Angst in ihr ausgelöst, die sie in letzter Zeit immer wieder überfiel. Tagsüber ging es, weil sie da beschäftigt war, doch nachts quälten sie immer wieder Albträume.
Kyla rieb mit der Hand über ihr feuchtes Gesicht und versuchte sich zu erinnern, worum es diesmal ging. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sie sich an den Anfang des Traums erinnerte. Die Situation entsprang eindeutig der Realität: Sie hatte sich tatsächlich während eines Sandsturms mit Hamid hinter einem Felsen in Sicherheit gebracht. Er hatte sie gehalten und beschützt - doch dann hatte er ihr das mit einem Betäubungsmittel versetzte Wasser zu trinken gegeben. Der sanfte Kuss, fast nur ein Hauch, den er ihr zum Abschied gegeben hatte, ließ sie immer noch nicht zur Ruhe kommen. Und sie konnte nicht einmal sagen, warum. Sie wusste nichts über ihren Retter, und sie würde ihn nie wiedersehen. Zudem hatte er sie die ganze Zeit getäuscht und so getan, als würde er selbst zu den Verbrechern gehören und wollte Kyla an sie ausliefern. Sie sollte ihn also hassen, doch dummerweise tat sie das nicht. Stattdessen wünschte sie sich, ihm noch einmal gegenüberzustehen und herauszufinden, was genau zwischen ihnen geschehen war.
Energisch schob Kyla ihre Beine aus dem Bett und stand auf. Es war zwar noch etwas früh, aber ihr Wecker würde in einer halben Stunde klingeln, und sie würde jetzt sowieso kein Auge mehr zutun. Barfuß durchquerte sie den Raum und trat ins angeschlossene Badezimmer. Die Pistole legte sie auf die Ablage und stützte ihre Hände auf den Rand des Waschbeckens. Ihre langen blonden Haare hingen in zerzausten, feuchten Strähnen um ihr Gesicht. Wenigstens waren die Augenringe durch ihre noch leicht gebräunte Haut kaum zu sehen. Dafür war ihre Anspannung deutlich zu erkennen. Und die Furcht davor, langsam durchzudrehen.
Mit einem rauen Laut zog sie sich das Nachthemd über den Kopf und warf es frustriert zur Seite. Sofort glitt ihr Blick zu der Narbe an ihrer Schulter, wo die Kugel eines Terroristen ihren Körper durchschlagen hatte. Es war kaum mehr etwas davon zu sehen, nur leicht gerötete und kaum vernarbte Stellen an der Ein- und Austrittswunde, wo Hamid sie zusammengenäht hatte. Ansonsten litt sie unter keinerlei Nachwirkungen der Verletzung, wenn überhaupt, war sie dank des vielen Trainings jetzt fitter und kräftiger als davor, weil sie ihren Körper in jeder freien Sekunde an seine Belastungsgrenze brachte. Über die Gründe dafür wollte sie nicht nachdenken. Tatsache war: Sie hätte längst wieder als Undercover-Agentin eingesetzt werden können, aber Daniel Hawk, ihr Vorgesetzter beim TURT/ LE-Programm - Terrorism Undercover Reconaissance Team / Ladies Elite -, gab ihr keinen neuen Auftrag. Entweder weil er sie für nicht mehr fähig hielt, oder weil er sich nicht traute, sie noch einmal der Gefahr auszusetzen. Beides war für sie nicht akzeptabel. Zwar hatte sie ihre Aufgaben, wie die Teilnahme an Übungen und Unterrichtsstunden, sie half beim körperlichen Training der neuen Rekruten und anderen Agenten und gab Schießunterricht, doch das war nicht das Gleiche, wie sich auf eine Mission vorzubereiten und sie dann auch durchzuführen.
Sie konnte jedoch nachvollziehen, dass ihre Partnerin Jade auch vier Monate nach ihrer Gefangenschaft in der Festung des afghanischen Warlords Mogadir noch nicht wieder dienstfähig war. Schließlich war sie dort tagelang gefoltert worden, bevor die SEALs sie gerettet hatten. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie sich daran erinnerte, wie Jade nach der Tortur ausgesehen hatte. Vor allem die Scham und Trostlosigkeit in ihren Augen hatten Kyla tief getroffen. Sie selbst hatte dagegen nur einen glatten Schulterdurchschuss davongetragen, der nach einem Monat restlos verheilt war.
Doch diese Gedanken führten zu nichts, solange Hawk der Meinung war, sie müsse geschont werden. Deshalb schob Kyla ihre Sorgen beiseite und stieg unter die Dusche. Nach einer langen Weile unter dem heißen Strahl fühlte sie sich halbwegs gewappnet, dem Tag zu begegnen. Egal wie, sie würde Hawk dazu bringen, sie wieder in den Einsatz zu schicken. Zur Not würde sie kündigen und zu ihrer Arbeit als Scharfschützin im SWAT-Team bei der New Yorker Polizei zurückkehren. Auch wenn sie die TURT/LEs vermissen würde, es war die einzige Möglichkeit, nicht langsam verrückt zu werden.
Einige Zeit später kam sie auf dem Navy-Stützpunkt an. Trotz der frühen Stunde waren bereits etliche SEALs, die Eliteeinheit der US Navy, und auch TURT/LEs unterwegs. Das war normal, denn es gab immer genug zu tun - der Terrorismus schlief nie. Um sich abzulenken und noch einmal über ihr geplantes Gespräch mit Hawk nachdenken zu können, schlug sie den Weg zum Hindernisparcours ein. Meist beendete sie dort ihren Tag mit einem Durchlauf, und danach war sie immer so kaputt, dass sie alles andere vergaß. Zumindest für ein paar Stunden. Spätestens nachts würden jedoch die Albträume und Erinnerungen mit Macht zurückkommen. Schlimmer als die Träume waren allerdings jene Momente, in denen sie das Gefühl hatte, dass Hamid bei ihr war, sich sein Körper gegen ihren presste, um sie in der kalten afghanischen Nachtluft zu wärmen. Wenn sie dann aufwachte und feststellte, dass sie allein war, lag ein solcher Druck auf ihrer Brust, dass sie kaum Luft bekam.
Wütend über ihre eigene Unfähigkeit, die Erlebnisse und Hamid zu vergessen und ihr Leben einfach weiterzuführen wie vorher, stapfte Kyla zu den Umkleideräumen, die extra für die weiblichen TURTs eingerichtet worden waren. Die metallene Tür ihres Spinds knallte gegen die Wand, als sie diese mit Schwung aufriss. Kyla zuckte zusammen und blickte sich rasch um. Glücklicherweise war außer ihr niemand hier. Ihre schlechte Stimmung nervte sie selbst und sie bemühte sich, ihre Kollegen nicht damit zu belasten. Kopfschüttelnd schlüpfte sie in Shorts und ein Top und band sich die Haare zu einem Zopf zusammen.
Nur wenige Minuten später betrat sie den Strandabschnitt, auf dem der Hindernisparcours errichtet war. Ihre Laune sank noch weiter, als sie die SEAL-Anwärter sah, die gerade von Rock über die Hürden gejagt wurden. Verdammt, sie hatte gehofft, so früh morgens den Parcours für sich zu haben. Der Senior Chief bemerkte sie und kam nach ein paar Worten zu den Rekruten zu ihr hinüber. Die Situation erinnerte sie an ihren ersten Tag auf dem Stützpunkt, als sie noch voller Vorfreude auf ihre neue Aufgabe geblickt hatte. Damals war sie zu früh angekommen und über die Basis geschlendert. Am Hindernisparcours hatte sie haltgemacht und den großen und muskulösen Rock dabei beobachtet, wie er die armen SEAL-Anwärter geschunden hatte.
Jetzt lächelte Rock sie an. »Hallo Kyla, was verschafft mir die Ehre?«
Sie konnte gar nicht anders, als zurückzulächeln. Die positive Wandlung von Rock, seit er mit Rose zusammenlebte, war nicht zu übersehen. Während er vorher meist finster dreingeblickt hatte und sich von allen ein wenig fernhielt, war er jetzt viel umgänglicher. Er wirkte einfach glücklich. Wenigstens einer, der bei dem Einsatz in Afghanistan sein Glück gefunden hatte. Es war seine letzte Mission als aktiver SEAL gewesen und er war danach in den Trainingsstab gewechselt.
»Ich wollte ein wenig trainieren. Wie lange macht ihr noch?«
Rock strich mit der Hand durch seine kurzen schwarzen Haare. »Wir haben erst vor wenigen Minuten angefangen. Aber du kannst gerne mitmachen, wenn du möchtest.«
»Lieber nicht, ich würde nur stören.« Sehnsüchtig blickte sie auf die hohen Hindernisse, deren Überwindung ihr jedes Mal wieder Befriedigung verschaffte.
Grinsend legte Rock seine Hand auf ihre Schulter. »Unsinn, die Burschen können ruhig mal sehen, wie man es richtig macht. Wenn ihnen eine Frau das zeigt - umso besser.«
Kyla musste lachen. »Das ist ... hinterhältig.«
Rock zuckte mit den Schultern. »Damit müssen sie leben. Sie können dabei eine wichtige Lektion lernen, du würdest mir also einen Gefallen tun.«
»Welche Lektion denn?«
»Dass man nie weiß, wer einem als Feind gegenübersteht - und man Frauen nie unterschätzen sollte.« Wie es aussah, hatte Rock von Rose einiges gelernt, die an der Universität von Kalifornien über die Rolle der Frau in verschiedenen Kulturen lehrte und auch die SEALs und TURT/LEs hin und wieder unterrichtete. Rose hatte großen Mut bewiesen, als sie sich damals bereit erklärt hatte, mit nach Afghanistan zu reisen und zwei Agentinnen zu retten, die sie nicht einmal kannte. Und das, nachdem ihr Mann Ramon Gomez, ein SEAL, vor etlichen Jahren bei einem Einsatz ums Leben gekommen war.
Kyla räusperte sich, um den Kloß in ihrem Hals loszuwerden. »Danke. Ich wärme mich noch ein wenig auf, dann stehe ich dir ganz für deine Demonstration zur Verfügung.«
»In Ordnung. Es sind ein paar talentierte Anwärter dabei, die schicke ich dann hinter dir her.«
Kyla schnitt eine Grimasse. »Zu freundlich.« Sie war gut, aber bei ihrer geringen Größe hatte sie gegen einen gut trainierten Mann keine Chance. Zum Glück hatte sie keine Probleme damit, in einem fairen Kampf auch mal besiegt zu werden.
Während Rock zum Parcours zurückkehrte, begann Kyla mit ihren Dehnübungen, die zwingend notwendig waren, wenn sie nicht Muskelschäden riskieren wollte. Nachdem sie unter den neugierigen Blicken der Rekruten noch einmal um den Parcours gejoggt war, stellte sie sich an der Startlinie auf. Das Herz klopfte kräftig in ihrer Brust, während sich wie üblich eine geistige Ruhe über sie senkte, die sie nur bei körperlicher Betätigung erreichte.
Rock stellte sich neben sie. »Bereit?« Kyla nickte stumm. »Ich gebe dir zehn Sekunden Vorsprung.« Sein Grinsen blitzte für einen Moment auf, als sie die Augen verdrehte, bevor er wieder seine übliche unnahbare Miene aufsetzte. »Okay, los!«
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie er die Stoppuhr betätigte. Kyla joggte los und bemühte sich, ihren Rhythmus zu finden. Aus leidvoller Erfahrung wusste sie, dass man den Parcours nur schaffen konnte, wenn man sich am Anfang nicht zu sehr verausgabte. Das war der Fehler, den viele Rekruten zu Beginn ihrer Ausbildung machten. Kyla stemmte sich an den beiden parallelen Stangen nach oben und hangelte sich darüber. Hinter sich hörte sie Rocks Ruf und wusste, dass nun ihre Verfolger starteten. Ihr Atem ging schneller, als sie kräftig absprang und bereits das nächste Hindernis überwand. Auf der anderen Seite sprang sie nach unten und lief weiter durch den weichen Sand.
Auch das kostete unheimlich viel Kraft, und sie war beinahe froh, als die nächste Hürde auftauchte.
Hinter sich konnte sie bereits die SEAL-Rekruten hören, die von ihren Kameraden angefeuert wurden. Ihr Ehrgeiz wurde geweckt, und sie spürte kaum noch den Schmerz des rauen Seils an ihren Handflächen, als sie sich über die hohe Wand hangelte. Sie grinste, als sie an eines der wenigen Hindernisse kam, bei dem ihre geringe Größe und ihre Wendigkeit von Vorteil waren: mit Stacheldraht überzogene Holzbalken, unter denen sie hindurchrobben musste. Kurz darauf wurde sie von einigen der SEAL-Anwärter eingeholt, doch davon ließ sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Es zählte nur, wer am Ende vorne lag.
Kyla wurde immer ruhiger, je länger der Parcours dauerte. Ihre Muskeln schmerzten von der Belastung und die Schritte im Sand wurden immer schwerer, aber sie behielt nur das Ziel vor Augen. Drei SEAL-Anwärter hatten sie überholt und standen keuchend neben Rock, der die Zeiten aller Teilnehmer erfasste. Alle anderen lagen noch hinter ihr. Mit der letzten Energiereserve legte sie einen Sprint hin.
»Und durch!« Rock grinste sie an. »6:30, super Zeit, Kyla!«
Sie war zu erschöpft, um ihm zu antworten, deshalb nickte sie nur und beobachtete bei leichten Dehnübungen, wie die anderen ins Ziel kamen. Mehrere der angehenden SEALs starrten zu ihr hinüber oder nickten ihr respektvoll zu. Adrenalin strömte durch ihren Körper und löste eine Zufriedenheit bei ihr aus, die sie nur dann erreichte, wenn sie sich völlig ausgepowert hatte.
Als alle Rekruten den Parcours beendet hatten, ließ Rock sie sich in einer Reihe aufstellen. »Okay, Männer, Agent Mosley hat euch gezeigt, wie man es machen muss. Beim nächsten Mal will ich mehr von euch sehen. Verstanden?«
»Aye, Senior Chief!«
»Wegtreten.«
Kyla wollte sich gerade umdrehen, da hielt Rock sie auf. »Danke für das Lehrstück. Jetzt werden sich die Jungs zweimal überlegen, ob sie noch mal einen Gegner unterschätzen.« Er lächelte sie an. »Zu schade, dass du kein SEAL werden kannst, du wärst mit deiner Ausdauer und deinen Fähigkeiten als Scharfschütze ein echter Gewinn für die Teams.«
Wärme durchflutete sie bei dem Kompliment. »Danke. Auch wenn ich weiß, dass ihr insgeheim heilfroh seid, keine Frauen im Team zu haben.«
»Absolut. Was aber nicht an euren Fähigkeiten liegt, sondern daran, dass wir uns dann nicht konzentrieren könnten.«
Kyla lachte. »Rose' Einfluss macht sich positiv bemerkbar.«
Ein Ausdruck puren Glücks trat auf Rocks Gesicht, der Kyla mitten ins Herz traf. »Und ich bin jeden Tag dankbar dafür.«
So schnell wie möglich, ohne unhöflich zu wirken, verabschiedete Kyla sich von ihm und kehrte zu den Umkleideräumen zurück. Sie gönnte Rock natürlich sein Glück, aber es zeigte ihr mal wieder, was in ihrem eigenen Leben fehlte. Bis zu der Mission in Afghanistan hatte sie geglaubt, völlig zufrieden zu sein. Und sie war es auch auf gewisse Art gewesen: Sie hatte einen spannenden Job, nette Kollegen, viele Freunde. Doch dann kam Hamid und ließ sie an Dinge denken, die völlig unrealistisch waren. Vielleicht lag es einfach nur daran, weil sie dem Tod so nahe gekommen war wie nie zuvor. Genau, das war die Erklärung.
Nach einer hastigen Dusche zog Kyla sich wieder ihre übliche Arbeitskleidung aus Jeans und T-Shirt an und kehrte zur TURT/ LE-Baracke zurück. Immerhin hatten sie inzwischen eine eigene, neu erbaute und mussten nicht mehr in der viel zu kleinen Behelfsbaracke hausen. Entschlossen schob sie die Tür auf und durchquerte den Raum zu Hawks Büro am anderen Ende des Gebäudes. In der Dusche hatte sie noch einmal gründlich nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass sie so nicht weitermachen konnte. Entweder Hawk erteilte ihr endlich einen neuen Auftrag oder sie war raus.
Sie war ursprünglich zu der Undercover-Einheit gekommen, um etwas zum Kampf gegen den Terrorismus beizutragen, stattdessen saß sie hier nur nutzlos herum. Gut, durch ihre Mithilfe war Mogadir zwar angeklagt worden, aber das war schon etliche Monate her, und vor allem hatte sie, bedingt durch ihre Verletzung, keine besonders gute Figur bei der Sache gemacht. Sie hatte weder Jade helfen, noch sich selbst retten können. Hätte Hamid sie nicht in dem Keller gefunden, ihre Verletzung behandelt und sie aus der Stadt gebracht ...
Nein, sie würde nicht wieder über den geheimnisvollen Mann nachgrübeln, der sie nicht wie erwartet zu seinem Warlord oder einem anderen Verbrecher gebracht hatte, sondern sie nach einigen Tagen im Lager des deutschen KSK ablieferte.
Wie war es möglich, dass man jemanden so vermisste, über den man doch eigentlich nichts wusste? Er hatte sich um sie gekümmert, als sie es selbst nicht konnte, und besaß einen seltsamen Sinn für Humor - das war ihr gesamtes Wissen über Hamid. Und wie weich seine Lippen gewesen waren, als er sich mit einem sanften Kuss von ihr verabschiedet hatte.
Mit einem frustrierten Aufstöhnen blieb Kyla stehen und schloss die Augen. Warum gelang es ihr nicht, Hamid aus ihrem Kopf zu verbannen? Es war, als hätte er sich in den wenigen Tagen, die sie zusammen verbracht hatten, unauslöschlich in ihr Gehirn eingebrannt. Sie konnte ihn nicht einfach nur als ihren Retter betrachten, denn irgendetwas war in der Zeit zwischen ihnen geschehen. Die kurze Nachricht, die er ihr im Krankenhaus in Deutschland hinterlassen hatte, half auch nicht gerade dabei, sich von ihm zu lösen: ›Ich werde dich nicht vergessen.‹ Wenn er jetzt noch an sie dachte, war es wahrscheinlich eher auf eine distanziertere Art, da sie für ihn bloß eine interessante Episode gewesen war. Und vermutlich war sie längst nicht so häufig in seinen Gedanken vertreten wie er in ihren. Kyla schnitt eine Grimasse, als sie sich daran erinnerte, wie sie damals ausgesehen hatte. Wahrscheinlich würde Hamid sie im sauberen Zustand nicht einmal erkennen.
2
»Geht es dir gut?«
Kyla zuckte zusammen, als hinter ihr eine Stimme erklang. Um einen neutralen Gesichtsausdruck bemüht, drehte sie sich langsam zu Hawk um, der sie besorgt musterte. »Ja, natürlich. Ich wollte gerade zu dir.«
Die Besorgnis verwandelte sich in Resignation, so als wüsste er bereits, worüber sie mit ihm sprechen wollte. »Dann komm rein. Matt ist gerade mit den Neuankömmlingen unterwegs.«
Sie folgte ihm in das Büro und schloss die Tür hinter sich. »Schon wieder Neue? Brauchen wir denn noch mehr Agenten?« Seit TURT vor fast einem Jahr ins Leben gerufen worden war, hatten sich immer mehr Interessierte von verschiedenen Regierungsorganisationen, vom Militär und von der Polizei gemeldet. Wurden die Bewerber angenommen, absolvierten sie auf der SEAL-Basis ein mehrmonatiges Training, das sie sowohl körperlich als auch geistig an ihre Grenzen brachte. Erst wenn sie dieses erfolgreich abgeschlossen hatten, konnten sie erste Undercover- Missionen übernehmen. Viele der Teilnehmer merkten bereits in dieser Phase, dass sie für diese Arbeit nicht geschaffen waren, und verließen frühzeitig das Programm.
Hawk setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs, ein Zeichen dafür, dass er hoffte, das Gespräch schnell hinter sich zu bringen. »Bei den vielen Terrorzellen, die es mittlerweile überall auf der Welt gibt, ja. Wir können jeden Mann - und jede Frau - gebrauchen, die bereit sind, sich solchen Gefahren auszusetzen.« Hawk rieb über sein Gesicht, das immer noch von den Ereignissen in Afghanistan gezeichnet war. Oder vielmehr von seiner ständigen Sorge um Jade, die sich von allen zurückgezogen hatte und es nicht schaffte, ihren Erinnerungen an die Folter in Mogadirs Festung zu entkommen.
Kylas Stimme wurde sanfter. »Wie geht es Jade?« In der ersten Zeit hatte sie ihre Partnerin noch oft besucht, aber irgendwann merkte sie, dass ihre Anwesenheit Jade mehr aufregte, als dass es ihr half, und Kyla schränkte ihre Besuche stark ein. Auch wenn sie Jade unheimlich vermisste, schließlich hatten sie sechs Monate lang in Afghanistan zusammengelebt und standen sich dementsprechend nahe.
Die Falten um Hawks Mundwinkel vertieften sich. »Soweit gut, zumindest körperlich. Sie geht immer noch regelmäßig zu der Psychiaterin, aber ich habe nicht das Gefühl, dass das wirklich etwas bringt. Es ist schwierig, jemandem zu helfen, der niemanden an sich heranlässt.« Er rieb über seine stoppelkurzen blonden Haare, was seine innere Anspannung bei dem Thema verriet.
»Auch dich nicht?« Spätestens seit Afghanistan war es kein Geheimnis mehr, dass Jade und Hawk ein Paar waren - zumindest waren sie das vor ihrem Undercovereinsatz gewesen. Jade war vorher schon ein eher verschwiegener Mensch gewesen, aber jetzt konnte man ihr überhaupt nicht mehr ansehen, was sie dachte oder fühlte.
»Mich erst recht nicht. Ich glaube, sie hat Angst davor, wieder Gefühle zuzulassen. Ich habe es schon tausend Mal versucht, aber sie lässt mich einfach nicht an sich ran. Jade versteckt sich in ihrem Haus vor der Welt und erlaubt mir nicht, mich um sie zu kümmern.« Es war ihm anzusehen, wie sehr er darunter litt.
Kyla legte ihre Hand auf seinen Arm. »Das tut mir wirklich leid, Hawk. Wann kann sie denn wieder arbeiten? Vielleicht hilft es ihr, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.«
»Die Psychiaterin hält es noch für zu früh - und ich ehrlich gesagt auch. Vor allem glaube ich nicht, dass sie jemals wieder als Undercover-Agentin arbeiten kann.«
Kylas Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Sie hatte gerne mit Jade zusammengearbeitet und würde sie sehr vermissen. Vor allem aber wusste sie, wie hart Jade dafür gearbeitet hatte, im TURT/LE-Programm angenommen zu werden. »Das fände ich sehr schade. Geht sie dann vielleicht zum FBI zurück?«
»Ich hoffe es nicht. Wenn sie mal mehr als drei Worte mit mir wechseln würde, könnte ich ihr einen administrativen Job bei TURT anbieten. Zumindest für die erste Zeit. Wenn sie sich irgendwann erholt hat ...« Hawk hob die Schultern.
»Soll ich mal mit ihr reden?«
Dankbar sah Hawk sie an. »Du kannst es gerne versuchen. Vielleicht hast du mehr Glück als ich.«
Kyla nickte. »Jetzt aber zu dem Grund, warum ich hergekommen bin.«
Hawk seufzte. »Ja?«
»Ich will wieder eingesetzt werden. Ich bin schon vor Monaten von den Ärzten als geheilt eingestuft worden und bin in ausgezeichneter Form. Ich will endlich wieder einen Auftrag, Hawk!«
»Das verstehe ich ja, aber es ist im Moment wirklich nichts für dich frei.« Sie konnte das Schuldbewusstsein in seinen Augen sehen.
»Das ist doch Schwachsinn! Ich weiß genau, dass ständig neue Aufträge an andere Agenten vergeben werden, die auch ich hätte machen können.«
Hawk richtete sich auf und überragte sie dabei um beinahe vierzig Zentimeter. Wenn er dachte, sie dadurch einschüchtern zu können, so irrte er sich. »Die Jobs gibt es tatsächlich, aber du übersiehst eines: Du hattest bereits einen Auftrag und warst monatelang undercover. Die anderen Agenten wollen auch in den Einsatz, deshalb wähle ich bei gleicher Qualifikation meist diejenigen aus, die in letzter Zeit nicht dran waren.« Seine Stimme wurde sanfter. »Ich weiß, dass du endlich wieder etwas tun willst, aber gib dir noch ein wenig Zeit, dich zu erholen. Undercoverarbeit ist nie leicht, aber was ihr beiden dort drüben erlebt habt, war ...«
Kyla unterbrach ihn rasch. »Ich habe nur eine Schussverletzung davongetragen, sonst nichts.«
Prüfend blickte Hawk sie an. »Bist du sicher? Ich glaube, dass auch du dich durch die Ereignisse verändert hast, Kyla. Wir alle sind nicht mehr die Gleichen, die wir vorher waren.« Die Linien in seinem Gesicht vertieften sich, es war deutlich zu sehen, wie er mit seinen Gefühlen kämpfte. »Irgendwie werden wir damit zurechtkommen, aber vermutlich wird es einige Zeit dauern, bis wir es richtig überwunden haben.«
»Und was soll ich in der Zwischenzeit tun? Ich werde wahnsinnig, wenn ich die ganze Zeit nur im Leerlauf bin.«
»Das verstehe ich, aber es gibt leider eine Weisung von oben, dass du keine neue Mission zugewiesen bekommen sollst, bis die Sache mit Mogadir und Khalawihiri erledigt ist. Sowie die Prozesse vorbei sind und du deine Aussage gemacht hast, kann ich dich wieder einsetzen.«
»Wie lange dauert das denn noch? Es dürfte doch nicht so schwierig sein, den beiden ihre Verbrechen nachzuweisen und sie anzuklagen.«
»Sollte man meinen, aber in der Realität sieht es leider anders aus. Da muss jede Kleinigkeit stimmen, um die Anklage auch wasserdicht zu machen.« Hawk strich über sein Kinn. »Und leider wissen wir immer noch nicht, wer Khalawihiri wirklich ist. Seine Fingerabdrücke und die DNA-Analyse haben nichts ergeben, es ist, als hätte er vorher nicht existiert.«
Und das konnte Kyla überhaupt nicht begreifen. Es musste doch irgendwo Informationen über den Mistkerl geben! »Hatten Lieutenant Commander Devlin und Senior Chief Basilone nicht ausgesagt, dass er einen amerikanischen Akzent hatte? Vielleicht sollten wir nicht in Afghanistan nach seiner Herkunft suchen, sondern hier.«
»Die Suche ist nicht nur auf die arabischen Länder beschränkt. Irgendwann werden wir herausfinden, wer er ist und dann brauchen wir dich.«
Kyla schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Ich hatte überhaupt nichts mit dem Verbrecher zu tun, ich wusste nicht mal, dass er existiert, bevor Nurja uns darauf gebracht hat.«
Die Afghanin hatte für ihre Hilfe teuer bezahlt: Nurjas Mann war vor ihren Augen von Mogadirs Männern gefoltert und getötet worden, und sie selbst war tagelang in der Festung gefangen gehalten und gequält worden. Sie wäre dort durch die Explosion gestorben, wenn I-Mac, der Computerexperte des SEAL-Teams, sie nicht im letzten Moment gerettet hätte. Dabei hatte dieser sich eine schwere Rückenverletzung zugezogen, die sich auch jetzt, vier Monate später, noch nicht so weit verbessert hatte, dass er den aktiven Dienst wieder aufnehmen konnte.
Hawk redete unterdessen weiter. »Die anderen Agenten können viel von dir lernen, vielleicht solltest du dich doch dazu bereit erklären, zu unterrichten. Natürlich nur, bis du wieder auf eine Mission gehst.«
Kyla schnitt eine Grimasse. Das wurde ihr nun schon mehrmals angeboten, aber sie konnte sich nicht vorstellen, sich und vor allem ihre Arbeit in Afghanistan von ihren Kollegen sezieren zu lassen. Sie wusste nur zu gut, welche Fehler sie gemacht hatte und was sie nicht nur sie selbst, sondern vor allem Jade gekostet hatten. Und dann noch die SEALs und Night Stalkers, die bei dem Versuch, sie zu retten, ums Leben gekommen oder verletzt worden waren. Das war einer der Gründe, warum sie beim Training alles gab: um die Blicke und das Getuschel ignorieren zu können und sich ganz auszuklinken. Wahrscheinlich würde Hawk ihr sagen, dass sie sich das nur einbildete, aber sie konnte das Gefühl nicht abschütteln.
Sie bemerkte, dass Hawk immer noch auf eine Antwort wartete. »Nein, danke. Das ist nichts für mich. Mir reicht es, sie beim körperlichen Training zu unterstützen.«
Hawk nickte, auch wenn sie ihm ansehen konnte, dass er enttäuscht war. »Wenn du deine Meinung änderst, sag mir Bescheid.«
»Es tut mir leid, Hawk, aber das werde ich ganz sicher nicht.« Ihr Magen spannte sich an, während sie tief einatmete. »Ich kann so nicht weitermachen. Wenn ich hier keine neuen Undercover- Aufträge mehr bekomme, kehre ich nach New York zurück.« Tränen schnürten ihr die Kehle zu.
Hawks Gesichtszüge wirkten schärfer, während er sie lange schweigend anblickte. »Ich hoffe, du überlegst dir das noch mal, Kyla. Du bist eine gute Agentin, und wir möchten dich ungern verlieren.«
»Dann lass mich endlich wieder meine Arbeit tun.« Als er nichts darauf sagte, verließ Kyla niedergeschlagen das Büro und schloss die Tür leise hinter sich.
Gedankenverloren lief sie durch die Baracke zum Ausgang und stieß dort beinahe mit einem ihrer Kollegen zusammen. Daniel Collins hatte die Ausbildung bereits absolviert und wartete nun auf seine erste Mission, die in wenigen Wochen beginnen sollte.
»Puh, das ist gerade noch mal gut gegangen.« Er lächelte sie an. »Hat Hawk dir endlich wieder einen Auftrag gegeben?«
Kyla mochte ihn sehr gerne und hatte ihn auch ein paar Mal nach Dienstschluss mit anderen TURTs in einer der beliebten Kneipen in Coronado getroffen, aber zumindest von ihrer Seite fehlte einfach der Funke, um mehr daraus werden zu lassen. Überhaupt lebte sie seit dem Desaster wie eine Nonne, selbst harmloses Flirten machte ihr keinen Spaß mehr. Stumm schüttelte sie den Kopf und blickte zur Seite, um nicht das Mitgefühl in Daniels Miene zu sehen.
Seine Hand legte sich auf ihren Arm. »Das tut mir leid, Kyla. Aber du bist sicher bald wieder dran.«
Mit Mühe unterdrückte Kyla eine scharfe Erwiderung. Daniel meinte es nicht böse und wollte sie nur aufmuntern. Ein gewisses Interesse leuchtete ihr aus seinen dunkelbraunen Augen entgegen. Mit einem innerlichen Seufzer erkannte sie, dass sie ihm bald klarmachen musste, dass sie für mehr als Freundschaft nicht zur Verfügung stand. Doch heute hatte sie dafür keinen Nerv. »Entschuldige, ich muss los. Wir sprechen uns später.«
Kyla wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern flüchtete eilig aus der Baracke. Draußen ging sie um die Ecke des Gebäudes, damit niemand sie mehr sehen konnte, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Das war es dann also, mit gerade mal einunddreißig Jahren und nach einer einzigen Mission war sie bereits ausgemustert. Trauer mischte sich mit Wut. Was hatte sie auch erwartet? Sie hatte den Staat wegen der aufwändigen Rettungsaktion nicht nur viel Geld gekostet, sondern auch noch das Leben etlicher Elitesoldaten. Ganz zu schweigen von der psychischen Belastung. Vermutlich würde sie sich anstelle ihrer Vorgesetzten auch nicht mehr in einen Einsatz schicken, trotzdem ärgerte es sie, so auf das Abstellgleis geschoben zu werden.
Mit einem tiefen Seufzer öffnete sie die Augen und stieß sich von der Wand ab. Eigentlich konnte sie auch gleich ihre Sachen packen und den Mietvertrag kündigen, den sie erst vor vier Monaten abgeschlossen hatte, als sie aus Afghanistan zurückgekehrt war. Vielleicht kam sie sich deshalb irgendwie ... entwurzelt vor, seit sie wieder hier war. Doch das war es nicht alleine, sie wusste genau, was ihr fehlte, und das hatte nichts mit der Wohnung zu tun.
Langsam setzte sie sich in Bewegung und ging auf den Strand zu. Einige ihrer Kollegen kamen ihr entgegen, aber sie bemerkte sie kaum. Ihre Gedanken waren meilenweit entfernt, Tausende von Meilen, um genau zu sein. Sie war so glücklich gewesen, den Auftrag zu erhalten, den Warlord Mogadir und seine Gefolgsleute auszuspionieren. Dabei war es allerdings mehr um seine normalen Geschäfte wie Drogenhandel und Terrorismus im kleineren Maßstab gegangen. Als dann herauskam, dass Mogadir einen Bombenanschlag auf die Wolesi Jirga plante, das afghanische Unterhaus, nahm die Mission einen unerwarteten Verlauf. Auch war nicht geplant, dass der Terrorist von der Existenz der Agentinnen erfahren und Jagd auf sie machen würde. Damit hatte das Unheil seinen Lauf genommen. Kyla selbst war angeschossen und Jade in Mogadirs Festung verschleppt worden. Und jetzt waren sie beide nur noch Schatten ihrer selbst: ungewollt und nutzlos.
Kyla schnaubte. Wie konnte sie dermaßen wehleidig sein, wenn Jade doch viel schlimmer dran war? Unglücklich ließ sie sich auf einem Balken am Strand nieder und stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel, während sie auf das Wasser hinausblickte. Wie lange sie dort saß, wusste sie nicht, zu tief war sie in ihre trüben Gedanken versunken. Sie blickte erst auf, als sich jemand neben sie setzte.
Lieutenant Commander Devlin, kommandierender Offizier von SEAL Team 11, blickte sie durchdringend an. Es kam ihr fast so vor, als könnte er jeden einzelnen ihrer Gedanken lesen. Kein Wunder, dass viele sagten, er müsse über besondere Fähigkeiten verfügen, und deshalb einen großen Bogen um ihn machten. Sie ging allerdings davon aus, dass er einfach nur eine gute Menschenkenntnis besaß und alles genau beobachtete.
»Hawk sucht dich.«
© 2013 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Michelle Raven
Michaela Rabe wurde 1972 in Hannover geboren und studierte Bibliothekswesen. Sie arbeitet als Bibliotheksleiterin in Niedersachsen. 2002 veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Michelle Raven ihren ersten Roman. Inzwischen gehört sie zu Deutschlands erfolgreichsten Autorinnen im Bereich Romantic Thrill und Romantic Fantasy.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michelle Raven
- 2013, 1. Aufl., 475 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802588940
- ISBN-13: 9783802588945
- Erscheinungsdatum: 10.05.2013
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