Rosarote Nachrichten
Roman
Deine Familie kannst du dir nicht backen
Die Schwestern Isabelle, Cecilia und Janie sind es seit ihrer Kindheit gewohnt, dass ihre Mutter ihnen wichtige Mitteilungen auf rosarotem Papier zukommen lässt. Auch diesmal ist ihre Nachricht dringend: Sie muss am...
Die Schwestern Isabelle, Cecilia und Janie sind es seit ihrer Kindheit gewohnt, dass ihre Mutter ihnen wichtige Mitteilungen auf rosarotem Papier zukommen lässt. Auch diesmal ist ihre Nachricht dringend: Sie muss am...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Rosarote Nachrichten “
Klappentext zu „Rosarote Nachrichten “
Deine Familie kannst du dir nicht backenDie Schwestern Isabelle, Cecilia und Janie sind es seit ihrer Kindheit gewohnt, dass ihre Mutter ihnen wichtige Mitteilungen auf rosarotem Papier zukommen lässt. Auch diesmal ist ihre Nachricht dringend: Sie muss am Herzen operiert werden, und Isabelle und ihre Schwestern werden zu Hause gebraucht, um die Bäckerei mit Café der Familie Bommarito am Laufen zu halten und sich um ihren behinderten Bruder Henry und ihre demente Großmutter zu kümmern. Die Heimkehr lässt Geheimnisse und Verletzungen aus der Vergangenheit zu Tage treten, doch die Notlage bringt die drei Frauen dazu, neue Wege zu finden, Wunden zu heilen.
Ein warmherziger, humorvoller Roman über unerwartet starke familiäre Bande und die Kraft zur Versöhnung.
Lese-Probe zu „Rosarote Nachrichten “
Rosarote Nachrichten von Cathy Lamb 1. Kapitel
Ich würde meinen BH verbrennen müssen.
Und meinen Tanga.
Schade, dass es sein musste, denn eigentlich bin ich sehr eigen mit meiner Unterwäsche. In meiner Kindheit waren wir so arm, dass ich fadenscheinige Schlüpfer und kaputte BHs trug, die mit Sicherheitsnadeln oder Büroklammern zusammengehalten wurden, deshalb lege ich heute Wert auf elegante Dessous.
»Brennen sollst du, mein BH«, flüsterte ich, als das goldene Morgenlicht auf mich fiel. »Brennen sollst du, mein Tanga.«
Ich musterte den Mann, der neben mir auf meinem weißen Laken unter meiner weißen Decke inmitten meiner weißen Kopfkissen lag. Er war muskulös, gebräunt, hatte volle schwarze Haare und eine Rasur bitter nötig.
Er war durchaus nett gewesen.
Ich würde den Anzünder mit dem roten Griff nehmen.
Ich stellte mir vor, wie die Flamme gleich einer Feuerschlange über die beiden Körbchen kroch, der Tanga sich kräuselte und der Schritt schwarz verkohlte.
Herrlich.
Ich reckte mich, warf die dünnen braunen Zöpfe nach hinten und tastete unter dem Bett nach meiner Flasche Kahlúa.
Regen schlug gegen die Scheiben. ich trank ein paar Schluck und schritt dann nackt über den Holzfußboden meines Lofts, um aus dem Fenster zu sehen. Die klotzigen Gebäude und schnittigen Wolkenkratzer im Zentrum von Portland waren nurmehr Schemen von Stahl und Glas.
Man hat mir gesagt, die Menschen im Geschäftshaus gegenüber könnten mich sehen, wenn ich das Fenster öffne und mich hinauslehne. Wenn ich nackt sei, gebe es immer ein wildes Durcheinander, aber das juckt mich nicht die Bohne. Es ist mein Fenster, meine Luft, mein Wahn. Meine Nacktheit.
... mehr
Außerdem musste ich dringend mal durchatmen, nachdem ich gestern diesen rosa Brief bekommen hatte. er rief mir meine Vergangenheit in Erinnerung, was ich zu vermeiden suchte, und gemahnte mich an meine Zukunft, an die ich nicht denken möchte.
Ich öffnete das Fenster, lehnte mich weit hinaus und schloss die Augen. Der Regen rann durch meine Zöpfe, sickerte in winzigen Bächen über die perlen an deren enden und über meine Schultern und Brüste.
»Ich bin nackt«, verkündete ich laut. »Nackt und halb wahnsinnig.«
Ich wollte nicht tun, was in dem Brief stand.
Nein, das war einfach zu viel verlangt.
Ich streckte die arme weit aus, als wollte ich den Regen umarmen. Die Flasche Kahlúa baumelte in meiner Hand, und ich betrachtete mich: feste Brüste, schmale Taille, Ring im Bauchnabel. Ein Regentropfen nachdem anderen löste sich von meinen Brustwarzen, rein, klar und kalt. »ich habe kalte Nippel. Kaltnippel«, verkündete ich laut.
Als ich durchnässt war, winkte ich mit beiden Händen lächelnd den fleißigen, faden Arbeitsbienen im Geschäftshaus gegenüber zu in der Hoffnung, sie würden ihren Spaß haben. Den brauchten sie dringend.
»Euer Hirn löst sich auf! eure Seelen verfaulen! Seht zu, dass ihr da rauskommt!« ich hielt mir die Kahlúa-Flasche an den Mund und rief: »Befreit euch! Befreit euch!«
Zufrieden mit meinem kreativen morgendlichen Ausbruch, ging ich in die Küche und fuhr mit der Hand über den schwarzen Granit der arbeitsplatte. ich hievte mich hoch und legte mich, nass vom Regen, flach wie ein nackter menschlicher Pfannkuchen darauf und ließ die Füße über den Rand baumeln.
Ich musterte den gegen die Wand gelehnten rosa Brief und nahm sein blumiges, zitroniges Parfüm wahr. es roch erstickend.
Nicht schreien, mahnte ich mich. Nicht schreien!
Auf einmal spürte ich Cecilia in meinem Kopf. ich schloss die Augen, fühlte grenzenlose Verzweiflung. Angst. Abgrundtiefe Erschöpfung.
Das Telefon klingelte. es verschlug mir den Atem.
Das war Cecilia. ich wusste es einfach.
Solche Sachen kommen so häufig zwischen uns beiden vor, dass wir in einer Kuriositätenschau für Zwillinge auftreten könnten. Vor einer Woche rief ich sie an, weil ich sie weinen gehört hatte. Das war noch nicht mal ein bewusster Gedanke. Aals sie sich am Telefon meldete, hockte sie tatsächlich im Wandschrank und heulte sich die Augen aus dem Kopf. »Beruhige dich«, sagte ich zu ihr.
»Halt die Klappe, Isabelle«, fuhr sie mich an. »Halt einfach die Klappe!«
Wir sind zweieiige Zwillinge, und unsere irrwitzige psychische Verbindung machte sich schon früh bemerkbar. Mit drei Jahren wurde Cecilia von einem Hund angefallen. er ging ihr direkt an die Kehle. Sie war in unserem Vorgarten, ich war mit Momma einkaufen. in dem Moment, als Cecilia gebissen wurde, stieß ich einen Schrei aus und umklammerte meinen Hals, der sich regelrecht durchbohrt anfühlte. ich fiel zu Boden und trat wie wild um mich, dann wurde ich ohnmächtig. Momma erzählte mir später, sie hätte gedacht, der Teufel hätte sich meiner Seele bemächtigt.
Noch ein Beispiel: als ich vor zwei Jahren in einemschäbigen Dorf in Indien unter den Ärmsten der Armen arbeitete, bekam ich auf einmal Magendrücken und -brennen. Auf einem Karren voller Hühner musste ich zurück in die Stadt gebracht werden. Cecilia hatte eine akute Blinddarmentzündung und war operiert worden.
Und noch so ein abgefahrenes Beispiel: als ich Fotos von der amerikanischen Bombardierung Bagdads machte, duckte ich mich hinter eine Betonbarriere. Die Kugeln flogen mir nur so um die Ohren. eine streifte mein Bein. Sofort bekam ich eine hysterische Nachricht von Cecilia aufs Handy. Sie dachte, ich wäre tot, weil sie ihr Bein nicht bewegen konnte.
Das ist abgedreht. Beängstigend. aber es ist die Wahrheit.
Ich schlug die Hände vors Gesicht und blieb der Länge nach auf der arbeitsplatte in der Küche liegen. ich ging nicht ans Telefon, sondern wartete, bis der Anrufbeantworter ansprang. Dann hörte ich ihre Stimme: eine Mischung aus Feldwebel und Cruella De Vil.
»Geh ran, Isabelle!«
Ich rührte mich nicht.
»Ich weiß, dass du da bist«, blaffte Cecilia-Cruella, nun schon wütend. Cecilia-Cruella ist fast immer wütend. Seit jener furchtbaren Nacht mit der entsicherten Waffe und den Albträumen vom Dschungel, als wir noch Kinder waren.
Ich schlug mit der Stirn auf die arbeitsplatte. »Ich bin nicht da«, murmelte ich.
»Und du hörst auch zu, nicht?« Die vertraute Ungeduld in ihrer Stimme.
ich hauchte auf den Granit, wo sich eine heiße, kreisförmige Wolke bildete, und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »ich höre nicht zu.«
»Verdammt, Isabelle, ich weiß genau, dass du am Ende bist und völlig aufgelöst. Wahrscheinlich hast du vor, schnell in irgendein afrikanisches Dorf oder auf eine abgelegene Insel zu verschwinden, um dem Ganzen zu entkommen, aber das läuft nicht. Vergiss es! Hast du kapiert, verflucht? Vergiss es!«
Ich hauchte noch eine Atemwolke auf die arbeitsplatte. Ein Regentropfen fiel von meiner Nase wie ein flüssiger Diamant. »Du fluchst zu viel, und ich bin nicht am Ende«, sagte ich ganz leise. »Warum sollte ich am Ende sein? ich werde nicht tun, was sie von mir verlangt. Denn wenn ich es täte, würde ich mich klein fühlen, und mir würde alles falsch vorkommen, was ich eigentlich richtig finde. Die liebe Depression wird kommen und sich in meinem Kopf einnisten. Das mache ich nicht mit.« Bei dem Gedanken erschauderte ich.
»Du hast Angst. Das kann ich spüren«, behauptete Cecilia am Telefon. »Das kannst du nicht vor mir verbergen.«
»Angst ist nichts mehr für mich«, sagte ich zitternd vor mich hin. »Schluss damit.«
»Wir müssen auch über das sprechen, was mit dir passiert ist, Isabelle. Bild dir nicht ein, dass du das verheimlichen kannst«, hakte sie nach, als unterhielten wir uns ganz normal. »Jetzt nimm endlich den verfluchten Hörer ab, bevor ich richtig sauer werde!«
Ich liebe Cecilia. Sie hatte es nicht verdient - niemand hatte es verdient ... was sie letztes Jahr mit ihrem fiesen Arsch von Ehemann durchgemacht hatte. Mein Jahr war auch nicht gerade nett gewesen, aber ihres war schlimmer.
»Isabelle!«, brüllte Cecilia-Cruella, damit ich abnahm. »Na schön, Isabelle. Gut. Reiß dich zusammen und ruf mich an, wenn du aus dem Bett steigst und der Typ abgehauen ist.«
Mein Kopf schnellte hoch. Sie wusste es! es kam ständig vor, dass sie Bescheid wusste, wenn ich einen Mann da hatte. einmal sagte sie zu mir: »Stell es dir so vor: ich hab nicht den Spaß dabei, den du hast, aber manchmal weiß ich es einfach, weil ich schwachen Zigarettenrauch rieche.«
Alles klar? abgedreht.
»Ich bin längst aus dem Bett, also hör auf zu meckern«, murmelte ich.
»Isi«, flüsterte Cecilia. Der Anrufbeantworter konnte ihre Stimme kaum wiedergeben. »Lass mich bitte nicht im Stich.«
Cecilia flüsterte so gut wie nie. Sie musste mehr als verzweifelt sein. Ich ignorierte meine Schuldgefühle.
»Du musst mir helfen. Du musst uns helfen«, fügte sie hinzu.
Nein, ich muss nicht helfen. Ich muss weder ihr noch uns helfen.
»Ohne dich schaffe ich das nicht. Ich klappe zusammen, wie ein fettes Nashorn.« Damit legte Cecilia auf.
Ich will mein eigenes Leben so psychisch gesund wie möglich führen. Daher muss meine Antwort Nein lauten. Nein und nochmals nein, Cecilia.
Ich schlug den Kopf auf die Arbeitsplatte, dann hielt ich den Kahlúa seitlich an den Mund. Ich trinke nur selten, aber Kahlúa zum Frühstück ist superlecker. Einige verschüttete Tropfen leckte ich direkt vom Granit, dabei klickerten die Perlen an meinen Zöpfen auf der harten Oberfläche.
Der Mann in meinem Bett rührte sich. Ich hob den Kopf, neugierig, was er als Nächstes tun würde.
Seinen Namen hatte ich vergessen. Hatte er überhaupt einen Namen? Ich drehte mich um und starrte auf die freiliegenden silbernen Rohre unter der Decke. Klar hatte er einen Namen. Nur weil ich ihn vergessen hatte, hieß das ja nicht, dass er namenlos durch die Welt lief.
Der Mann drehte sich um. Netter Oberkörper.
Den Bruchteil einer Sekunde gestattete ich mir, mich schlecht zu fühlen. Billig und schmuddelig nach einem weiteren One-Night-Stand.
»So«, sagte ich. »Diese Nacht ist jetzt vorbei.«
Ich rollte mich von der Arbeitsplatte, holte einen Topf aus dem Schrank und ließ kaltes Wasser hineinlaufen.
Als er bis zum Rand gefüllt war, stellte ich ihn mir auf den Kopf und balancierte ihn, die Kahlúa-Flasche zwischen zwei Fingern haltend, wie ein Hochseilakrobat zu dem namenlosen Mann hinüber. »Die Nacht ist vorbei, willkommen zur Einäscherung meines blau-weißen Spitzen-BHs.«
Ich ignorierte die über einen Meter großen Schwarzweißfotografien an den Wänden, die ich selbst aufgenommen hatte. Alle Personen darauf waren traumatisiert, denen musste ich heute nicht in die Augen sehen. Es waren Menschen, Kinder. Das ließ mir keine Ruhe. Aus dem Grund hatte ich sie in meinem Loft aufgehängt. Damit sie mir nie und nimmer Ruhe ließen.
Erneut kam die quälende Frage in mir auf: Würde ich jemals wieder fotografieren können nach dem, was geschehen war?
Der Mann in meinem Bett war beeindruckt gewesen, als er herausfand, wer ich bin. Ich bin nicht beeindruckt von mir. Ich war nicht beeindruckt von ihm.
Ich stellte den Topf ab, riss meine flauschige weiße Decke beiseite und goss dem Mann das kalte Wasser über den Kopf. Es traf ihn direkt zwischen die Augen, er schoss wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett und stand mit geballten Fäusten vor mir. Militärische Ausbildung, vermutete ich.
»Das war schnell«, bemerkte ich, stellte den Topf ab und trank noch einen Schluck Kahlúa.
»Was soll der Scheiß?!?« er hustete und prustete, völlig neben der Spur. »Was soll das?«
»Ich habe gesagt, das war schnell. Die meisten Männer sind nicht so schnell auf den Beinen wie du. Du bist flink. Flink und wendig.«
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und fluchte. »Warum hast du das getan? Bist du wahnsinnig?«
»Erstens: Ja, bin ich. Ich bin wahnsinnig. Aber ich bin auch sehr sensibel, was das angeht, deshalb möchte ich nicht darüber reden. Und zweitens: ich habe es gemacht, weil ich dich so schnell wie möglich raus haben will.« Ich setzte mich auf meinen geschwungenen Chromstuhl und schlug die Beine übereinander. Das Chrom kühlte meinen Hintern. »Du kannst jetzt gehen.«
Der verletzte Ausdruck in seinen Augen entging mir zwar nicht, doch ich verdrängte ihn so schnell wie möglich.
»Was soll das heißen: ich kann gehen?«, fragte er patzig und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren.
»Das heißt: Du kannst gehen. Durch die Tür. Wir hatten eine Nacht zusammen. Wir brauchen nicht noch eine. Wir brauchen keinen Smalltalk zu machen. Davon wird mir schlecht. ich kann Oberflächlichkeit nicht ausstehen. Ich bin fertig. Danke für deine Zeit und Mühe.«
Vor entsetzen fiel ihm die Kinnlade herunter. Hübsche Lippen!
»Raus mit dir!« Diesen Teil von mir verachte ich. Ganz ehrlich.
Erneut schüttelte er den Kopf, das Wasser flog in alle Richtungen. »Du machst wohl Witze.«
»Nix da. Keine Witze. Null.« ich stand auf, ging zur Wohnungstür und öffnete sie. »Wiedersehen. Tralala, tschüs.«
Völlig entgeistert stand er da, nackt, muskulös und nass, dann nahm er sein Hemd und zog es über den Kopf. »Ich dachte ...« er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich mag dich ... wir hatten unseren Spaß ...«
»Ich hab's nicht so mit Spaß.« Nein, mit dem Spaß bei Männern war es bei mir vorbei. Und zwar seit damals, als er seine Albträume nicht in den Griff bekam, gefolgt von der Sache mit der Harke und dem Düngemittel.
»Du hast es nicht so mit Spaß?«
Er war verdattert. Völlig perplex. Ein wunderbares Wort.
Ich spürte ein stechendes Schuldgefühl, verdrängte es jedoch so schnell wie möglich, damit ich mit all den übrigen Schuldgefühlen leben konnte.
»Husch-husch!«, forderte ich ihn auf. »ab nach Hause!«
Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
Kurz befürchtete ich, er würde nicht tun, was ich von ihm verlangte. Er kam mir nicht wie der Typ Mann vor, der sich von anderen herumkommandieren ließ. Normalerweise erteilte er die Kommandos selbst.
Aber nicht hier.
Ich trank noch einen Schluck Kahlúa. Lecker. »Mach keinen Blödsinn!«
»Ich mach doch keinen Blödsinn. Ich wollte dich zum Frühstück einladen ...«
»Nein. Raus!« Raus hier. Aus meinem Leben. aus meinem Kopf.
Völlig verwirrt schüttelte er den Kopf, das Wasser tropfte ihm aus den Ohren. »Gut. Ich bin weg. Wo ist meine Hose?«
Mit dem Kinn wies ich auf ein überfülltes Bücherregal, in dem sie gelandet war. Hastig zog er sie an, seine Augen huschten suchend durch meine Wohnung.
»Meine Jacke?«
Ich zeigte ihm den Holztisch, den meine Freundin Cassandra gebaut hatte. Wir hatten uns unter schwierigen Umständen kennengelernt, über die ich nicht lange nachdenken wollte. Der Tisch war verziert mit lächelnden Meerjungfrauen, die in einem Unterwassergarten schwammen. Cassandra hatte das Holz mit hellen, fröhlichen Farben bemalt. Zwei Wochen später war sie nach einem Essen zu ihren Ehren von einem der höchsten Gebäude Portlands gesprungen. Sie hatte ihr gesamtes Vermögen einem Verein für benachteiligte Jugendliche hinterlassen, dessen Vorsitz ich hatte.
Tage später erhielt ich per Post einen Brief von ihr. In dem Umschlag befand sich ein gelber Haftzettel, auf dem nur zwei Worte standen: »Hau rein!«
Ich beobachtete, wie der Mann meinen hübschen blau-weißen Spitzen-BH von seinem Schuh nahm und auf meine rote Ledercouch warf. Bald würde der BH Asche sein und vom Wind verweht werden. Vielleicht würde die Asche auf dem Kopf einer Meerjungfrau landen ...
Ich zog die Tür noch weiter auf.
Er sah mich an, in seinen Augen lag Zorn und ... da lauerte noch etwas anderes. Wahrscheinlich Schmerz. Vielleicht Demütigung.
Ich nickte. »Sei bitte nicht beleidigt. Es ist nichts persönliches. «
»Nichts persönliches?«, rief er. »Nichts Persönliches? Wir hatten letzte Nacht Sex, in deinem Bett. Ist das vielleicht nicht persönlich? «
»Nein, ist es nicht. Mehr kann ich nun mal nicht. Als eine Nacht.«
»Das ist alles? Sonst nichts?« er hob abwehrend die Hände. »Du hast keine Beziehungen, die länger als eine Nacht dauern?«
»Nein.« ich legte den Kopf zur Seite. Der Typ sah gut aus. Einmal zum Friseur, und man hätte einen vielversprechenden Daddy-Kandidaten. Aber ich wäre nicht die Mami, so viel stand fest. Angesichts dieses alten Schmerzes schloss ich die Augen. »Nie.«
Er gab auf. »Glückwunsch. Sie bekommen eine Torte.« Er wandte sich zum Gehen, sein Hemd klebte an ihm.
Armer Kerl. Er war mit einem Topf Wasser im Gesicht aufgewacht. »Ich mag Torten. Am liebsten Schokolade-Trüffel- Rum, aber ich kann auch einen Blätterteig mit Zabaglione und Puderzucker zaubern, dass du dahinschmilzt. Ich musste früher für meine Mutter in der elterlichen Bäckerei arbeiten, und dabei ist so einiges hängengeblieben. Aber jetzt raus!«
Ich legte ihm die Hand auf die Brust und schob ihn hinaus. Dann lehnte ich mich gegen den Türrahmen.
Ich würde den BH und den Tanga verbrennen und dabei versuchen zu vergessen.
Der Regen würde mir helfen.
So ist das immer.
Der Regen spült die Erinnerungen fort.
Bis die Sonne herauskommt. Dann bist du wieder zurück
Am Anfang, und die Erinnerungen kommen und schnappen zu.
Sie kommen und packen dich.
Ich holte den Anzünder mit dem roten Griff aus der Küche, dazu Feuerzeugbenzin, eine Wasserflasche, meinen Spitzen-BH und den Tanga, dann öffnete ich die Glastür zu meinem Balkon. Wind und Regen erfassten mich wie ein kleiner Hurrikan, die Zöpfe schlugen mir gegen die Wangen.
Ein Teil meines Balkons ist überdacht, war also noch trocken. Ich legte BH und String zu den verbrannten Überresten einer anderen nicht erinnerungswürdigen Nacht auf ein Holzbrett in der Ecke und betätigte den Anzünder. BH und Tanga fingen Feuer, qualmten, wurden schwarz, kringelten sich, zischten und verbrannten.
Als sie eingeäschert waren, löschte ich den Brand mit Wasser aus der Flasche. Warum das ganze Wohnhaus abfackeln? Wäre doch sinnlos.
Ich setzte mich auf einen Metallstuhl und ließ den Regen auf meinen nackten Körper prasseln, blickte zu den Wolkenkratzern hinüber und fragte mich, wie viele dieser herumwieselnden, roboterhaften Menschen mich gerade anglotzten.
In einem Hochhaus zu arbeiten, sei auch eine Möglichkeit, jung zu sterben, würde meine jüngere Schwester Janie sagen. »Das ist, als würde man mit dem Fahrstuhl direkt in die Hölle fahren.«
Nach dem College ergatterte Janie eine Stelle als Werbetexterin für eine große Firma im neunundzwanzigsten Stock eines Hochhauses in Los Angeles und arbeitete dort zwei Monate, bis ihr wieselgleicher Chef auf Janies Schreibtisch das erste Kapitel ihres ersten Thrillers entdeckte.
Die Mörderin ist Werbetexterin in einer großen Firma im neunundzwanzigsten Stock eines Wolkenkratzers in Los Angeles. In den ersten Absätzen beschreibt sie anschaulich, wie sie ihren arroganten, herablassenden Chef umbringt, der ihr immer das Gefühl gibt, nicht mehr wert zu sein als eine Schnecke. Sie schildert, wie seine Leiche in der Müllpresse endet, die Beine gespreizt wie die eines Grillhähnchens, ein Fuß nackt, am anderen ein roter Stiletto. Das ist das Markenzeichen der Mörderin.
Niemand meldet ihn als vermisst, nicht mal seine Frau, denn alle verabscheuen ihn wie Kakerlaken in der Kaffeetasse.
Noch am selben Tag wurde Janie gefeuert, obwohl sie auf ihrer Unschuld beharrte. Am Nachmittag setzte sie sich hin und schrieb den Rest der Geschichte nieder, nonstop, drei Monate lang. Als sie ihre Wohnung schließlich wieder verließ, hatte sie zehn Kilo abgenommen, war leichenblass und redete vor sich hin. Nach vier Monaten hatte sie ihren ersten Autorenvertrag unter Dach und Fach. Als das Buch erschien, schickte sie ihrem ehemaligen Chef ein Exemplar und schrieb auf den Innentitel: »Danke, Sie Wichser! in Liebe, Janie Bommarito«.
Es wurde ein Bestseller.
Janie wurde zu einer Einzelgängerin, die unter Zwängen und Obsessionen leidet und all ihre sonderbaren Ticks ausleben muss.
Auch die Einzelgängerin hatte einen nach Zitrone und Blumen duftenden rosa Brief erhalten. Meine Zwillingsschwester Cecilia ebenfalls.
Der Regen prasselte auf mich nieder, der Wind hustete und pustete, und ich setzte mir den Kahlúa wieder an die Lippen. »Kahlúa - einfach herrlich«, sagte ich laut und beobachtete, wie das Wasser über meinen Körper lief und einen kleinen See in meinem Schritt bildete, wo ich die Beine gekreuzt hatte. ich schlug mit der Hand hinein, ließ den See wieder volllaufen, schlug erneut hinein. Das unterhielt mich eine Zeitlang. In der Ferne sah ich einen Blitz, grell und gefährlich.
Er erinnerte mich an damals, als ich mit meinen Schwestern durch ein Gewitter gelaufen war, um Henry zu suchen, der sich in einem Baum versteckt hatte.
Ich lachte, obwohl jene Nacht gar nicht komisch gewesen war. Sie war furchtbar gewesen. Sie hatte mit einem Tanz an der Stange begonnen und mit glitschigen weißen Wänden geendet.
Wieder lachte ich, den Kopf im Nacken, bis ich weinte und mir heiße Tränen über die Wangen bis zum Kinn liefen, auf die Brust tropften und über den Bauch rannen. Sie landeten im See zwischen meinen Beinen, und ich schlug noch einmal in die Mischung aus Regenwasser und Tränen. Die Tränen wollten nichtversiegen, und ich spürte, wie die mir so vertraute Dunkelheit sich herandrängte wie ein wabernder Albtraum.
Ich wollte mich nicht mit dem rosa Brief beschäftigen, der nach ihrem blumigen, zitronigen Parfüm roch.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Außerdem musste ich dringend mal durchatmen, nachdem ich gestern diesen rosa Brief bekommen hatte. er rief mir meine Vergangenheit in Erinnerung, was ich zu vermeiden suchte, und gemahnte mich an meine Zukunft, an die ich nicht denken möchte.
Ich öffnete das Fenster, lehnte mich weit hinaus und schloss die Augen. Der Regen rann durch meine Zöpfe, sickerte in winzigen Bächen über die perlen an deren enden und über meine Schultern und Brüste.
»Ich bin nackt«, verkündete ich laut. »Nackt und halb wahnsinnig.«
Ich wollte nicht tun, was in dem Brief stand.
Nein, das war einfach zu viel verlangt.
Ich streckte die arme weit aus, als wollte ich den Regen umarmen. Die Flasche Kahlúa baumelte in meiner Hand, und ich betrachtete mich: feste Brüste, schmale Taille, Ring im Bauchnabel. Ein Regentropfen nachdem anderen löste sich von meinen Brustwarzen, rein, klar und kalt. »ich habe kalte Nippel. Kaltnippel«, verkündete ich laut.
Als ich durchnässt war, winkte ich mit beiden Händen lächelnd den fleißigen, faden Arbeitsbienen im Geschäftshaus gegenüber zu in der Hoffnung, sie würden ihren Spaß haben. Den brauchten sie dringend.
»Euer Hirn löst sich auf! eure Seelen verfaulen! Seht zu, dass ihr da rauskommt!« ich hielt mir die Kahlúa-Flasche an den Mund und rief: »Befreit euch! Befreit euch!«
Zufrieden mit meinem kreativen morgendlichen Ausbruch, ging ich in die Küche und fuhr mit der Hand über den schwarzen Granit der arbeitsplatte. ich hievte mich hoch und legte mich, nass vom Regen, flach wie ein nackter menschlicher Pfannkuchen darauf und ließ die Füße über den Rand baumeln.
Ich musterte den gegen die Wand gelehnten rosa Brief und nahm sein blumiges, zitroniges Parfüm wahr. es roch erstickend.
Nicht schreien, mahnte ich mich. Nicht schreien!
Auf einmal spürte ich Cecilia in meinem Kopf. ich schloss die Augen, fühlte grenzenlose Verzweiflung. Angst. Abgrundtiefe Erschöpfung.
Das Telefon klingelte. es verschlug mir den Atem.
Das war Cecilia. ich wusste es einfach.
Solche Sachen kommen so häufig zwischen uns beiden vor, dass wir in einer Kuriositätenschau für Zwillinge auftreten könnten. Vor einer Woche rief ich sie an, weil ich sie weinen gehört hatte. Das war noch nicht mal ein bewusster Gedanke. Aals sie sich am Telefon meldete, hockte sie tatsächlich im Wandschrank und heulte sich die Augen aus dem Kopf. »Beruhige dich«, sagte ich zu ihr.
»Halt die Klappe, Isabelle«, fuhr sie mich an. »Halt einfach die Klappe!«
Wir sind zweieiige Zwillinge, und unsere irrwitzige psychische Verbindung machte sich schon früh bemerkbar. Mit drei Jahren wurde Cecilia von einem Hund angefallen. er ging ihr direkt an die Kehle. Sie war in unserem Vorgarten, ich war mit Momma einkaufen. in dem Moment, als Cecilia gebissen wurde, stieß ich einen Schrei aus und umklammerte meinen Hals, der sich regelrecht durchbohrt anfühlte. ich fiel zu Boden und trat wie wild um mich, dann wurde ich ohnmächtig. Momma erzählte mir später, sie hätte gedacht, der Teufel hätte sich meiner Seele bemächtigt.
Noch ein Beispiel: als ich vor zwei Jahren in einemschäbigen Dorf in Indien unter den Ärmsten der Armen arbeitete, bekam ich auf einmal Magendrücken und -brennen. Auf einem Karren voller Hühner musste ich zurück in die Stadt gebracht werden. Cecilia hatte eine akute Blinddarmentzündung und war operiert worden.
Und noch so ein abgefahrenes Beispiel: als ich Fotos von der amerikanischen Bombardierung Bagdads machte, duckte ich mich hinter eine Betonbarriere. Die Kugeln flogen mir nur so um die Ohren. eine streifte mein Bein. Sofort bekam ich eine hysterische Nachricht von Cecilia aufs Handy. Sie dachte, ich wäre tot, weil sie ihr Bein nicht bewegen konnte.
Das ist abgedreht. Beängstigend. aber es ist die Wahrheit.
Ich schlug die Hände vors Gesicht und blieb der Länge nach auf der arbeitsplatte in der Küche liegen. ich ging nicht ans Telefon, sondern wartete, bis der Anrufbeantworter ansprang. Dann hörte ich ihre Stimme: eine Mischung aus Feldwebel und Cruella De Vil.
»Geh ran, Isabelle!«
Ich rührte mich nicht.
»Ich weiß, dass du da bist«, blaffte Cecilia-Cruella, nun schon wütend. Cecilia-Cruella ist fast immer wütend. Seit jener furchtbaren Nacht mit der entsicherten Waffe und den Albträumen vom Dschungel, als wir noch Kinder waren.
Ich schlug mit der Stirn auf die arbeitsplatte. »Ich bin nicht da«, murmelte ich.
»Und du hörst auch zu, nicht?« Die vertraute Ungeduld in ihrer Stimme.
ich hauchte auf den Granit, wo sich eine heiße, kreisförmige Wolke bildete, und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »ich höre nicht zu.«
»Verdammt, Isabelle, ich weiß genau, dass du am Ende bist und völlig aufgelöst. Wahrscheinlich hast du vor, schnell in irgendein afrikanisches Dorf oder auf eine abgelegene Insel zu verschwinden, um dem Ganzen zu entkommen, aber das läuft nicht. Vergiss es! Hast du kapiert, verflucht? Vergiss es!«
Ich hauchte noch eine Atemwolke auf die arbeitsplatte. Ein Regentropfen fiel von meiner Nase wie ein flüssiger Diamant. »Du fluchst zu viel, und ich bin nicht am Ende«, sagte ich ganz leise. »Warum sollte ich am Ende sein? ich werde nicht tun, was sie von mir verlangt. Denn wenn ich es täte, würde ich mich klein fühlen, und mir würde alles falsch vorkommen, was ich eigentlich richtig finde. Die liebe Depression wird kommen und sich in meinem Kopf einnisten. Das mache ich nicht mit.« Bei dem Gedanken erschauderte ich.
»Du hast Angst. Das kann ich spüren«, behauptete Cecilia am Telefon. »Das kannst du nicht vor mir verbergen.«
»Angst ist nichts mehr für mich«, sagte ich zitternd vor mich hin. »Schluss damit.«
»Wir müssen auch über das sprechen, was mit dir passiert ist, Isabelle. Bild dir nicht ein, dass du das verheimlichen kannst«, hakte sie nach, als unterhielten wir uns ganz normal. »Jetzt nimm endlich den verfluchten Hörer ab, bevor ich richtig sauer werde!«
Ich liebe Cecilia. Sie hatte es nicht verdient - niemand hatte es verdient ... was sie letztes Jahr mit ihrem fiesen Arsch von Ehemann durchgemacht hatte. Mein Jahr war auch nicht gerade nett gewesen, aber ihres war schlimmer.
»Isabelle!«, brüllte Cecilia-Cruella, damit ich abnahm. »Na schön, Isabelle. Gut. Reiß dich zusammen und ruf mich an, wenn du aus dem Bett steigst und der Typ abgehauen ist.«
Mein Kopf schnellte hoch. Sie wusste es! es kam ständig vor, dass sie Bescheid wusste, wenn ich einen Mann da hatte. einmal sagte sie zu mir: »Stell es dir so vor: ich hab nicht den Spaß dabei, den du hast, aber manchmal weiß ich es einfach, weil ich schwachen Zigarettenrauch rieche.«
Alles klar? abgedreht.
»Ich bin längst aus dem Bett, also hör auf zu meckern«, murmelte ich.
»Isi«, flüsterte Cecilia. Der Anrufbeantworter konnte ihre Stimme kaum wiedergeben. »Lass mich bitte nicht im Stich.«
Cecilia flüsterte so gut wie nie. Sie musste mehr als verzweifelt sein. Ich ignorierte meine Schuldgefühle.
»Du musst mir helfen. Du musst uns helfen«, fügte sie hinzu.
Nein, ich muss nicht helfen. Ich muss weder ihr noch uns helfen.
»Ohne dich schaffe ich das nicht. Ich klappe zusammen, wie ein fettes Nashorn.« Damit legte Cecilia auf.
Ich will mein eigenes Leben so psychisch gesund wie möglich führen. Daher muss meine Antwort Nein lauten. Nein und nochmals nein, Cecilia.
Ich schlug den Kopf auf die Arbeitsplatte, dann hielt ich den Kahlúa seitlich an den Mund. Ich trinke nur selten, aber Kahlúa zum Frühstück ist superlecker. Einige verschüttete Tropfen leckte ich direkt vom Granit, dabei klickerten die Perlen an meinen Zöpfen auf der harten Oberfläche.
Der Mann in meinem Bett rührte sich. Ich hob den Kopf, neugierig, was er als Nächstes tun würde.
Seinen Namen hatte ich vergessen. Hatte er überhaupt einen Namen? Ich drehte mich um und starrte auf die freiliegenden silbernen Rohre unter der Decke. Klar hatte er einen Namen. Nur weil ich ihn vergessen hatte, hieß das ja nicht, dass er namenlos durch die Welt lief.
Der Mann drehte sich um. Netter Oberkörper.
Den Bruchteil einer Sekunde gestattete ich mir, mich schlecht zu fühlen. Billig und schmuddelig nach einem weiteren One-Night-Stand.
»So«, sagte ich. »Diese Nacht ist jetzt vorbei.«
Ich rollte mich von der Arbeitsplatte, holte einen Topf aus dem Schrank und ließ kaltes Wasser hineinlaufen.
Als er bis zum Rand gefüllt war, stellte ich ihn mir auf den Kopf und balancierte ihn, die Kahlúa-Flasche zwischen zwei Fingern haltend, wie ein Hochseilakrobat zu dem namenlosen Mann hinüber. »Die Nacht ist vorbei, willkommen zur Einäscherung meines blau-weißen Spitzen-BHs.«
Ich ignorierte die über einen Meter großen Schwarzweißfotografien an den Wänden, die ich selbst aufgenommen hatte. Alle Personen darauf waren traumatisiert, denen musste ich heute nicht in die Augen sehen. Es waren Menschen, Kinder. Das ließ mir keine Ruhe. Aus dem Grund hatte ich sie in meinem Loft aufgehängt. Damit sie mir nie und nimmer Ruhe ließen.
Erneut kam die quälende Frage in mir auf: Würde ich jemals wieder fotografieren können nach dem, was geschehen war?
Der Mann in meinem Bett war beeindruckt gewesen, als er herausfand, wer ich bin. Ich bin nicht beeindruckt von mir. Ich war nicht beeindruckt von ihm.
Ich stellte den Topf ab, riss meine flauschige weiße Decke beiseite und goss dem Mann das kalte Wasser über den Kopf. Es traf ihn direkt zwischen die Augen, er schoss wie von der Tarantel gestochen aus dem Bett und stand mit geballten Fäusten vor mir. Militärische Ausbildung, vermutete ich.
»Das war schnell«, bemerkte ich, stellte den Topf ab und trank noch einen Schluck Kahlúa.
»Was soll der Scheiß?!?« er hustete und prustete, völlig neben der Spur. »Was soll das?«
»Ich habe gesagt, das war schnell. Die meisten Männer sind nicht so schnell auf den Beinen wie du. Du bist flink. Flink und wendig.«
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und fluchte. »Warum hast du das getan? Bist du wahnsinnig?«
»Erstens: Ja, bin ich. Ich bin wahnsinnig. Aber ich bin auch sehr sensibel, was das angeht, deshalb möchte ich nicht darüber reden. Und zweitens: ich habe es gemacht, weil ich dich so schnell wie möglich raus haben will.« Ich setzte mich auf meinen geschwungenen Chromstuhl und schlug die Beine übereinander. Das Chrom kühlte meinen Hintern. »Du kannst jetzt gehen.«
Der verletzte Ausdruck in seinen Augen entging mir zwar nicht, doch ich verdrängte ihn so schnell wie möglich.
»Was soll das heißen: ich kann gehen?«, fragte er patzig und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren.
»Das heißt: Du kannst gehen. Durch die Tür. Wir hatten eine Nacht zusammen. Wir brauchen nicht noch eine. Wir brauchen keinen Smalltalk zu machen. Davon wird mir schlecht. ich kann Oberflächlichkeit nicht ausstehen. Ich bin fertig. Danke für deine Zeit und Mühe.«
Vor entsetzen fiel ihm die Kinnlade herunter. Hübsche Lippen!
»Raus mit dir!« Diesen Teil von mir verachte ich. Ganz ehrlich.
Erneut schüttelte er den Kopf, das Wasser flog in alle Richtungen. »Du machst wohl Witze.«
»Nix da. Keine Witze. Null.« ich stand auf, ging zur Wohnungstür und öffnete sie. »Wiedersehen. Tralala, tschüs.«
Völlig entgeistert stand er da, nackt, muskulös und nass, dann nahm er sein Hemd und zog es über den Kopf. »Ich dachte ...« er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich mag dich ... wir hatten unseren Spaß ...«
»Ich hab's nicht so mit Spaß.« Nein, mit dem Spaß bei Männern war es bei mir vorbei. Und zwar seit damals, als er seine Albträume nicht in den Griff bekam, gefolgt von der Sache mit der Harke und dem Düngemittel.
»Du hast es nicht so mit Spaß?«
Er war verdattert. Völlig perplex. Ein wunderbares Wort.
Ich spürte ein stechendes Schuldgefühl, verdrängte es jedoch so schnell wie möglich, damit ich mit all den übrigen Schuldgefühlen leben konnte.
»Husch-husch!«, forderte ich ihn auf. »ab nach Hause!«
Er wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
Kurz befürchtete ich, er würde nicht tun, was ich von ihm verlangte. Er kam mir nicht wie der Typ Mann vor, der sich von anderen herumkommandieren ließ. Normalerweise erteilte er die Kommandos selbst.
Aber nicht hier.
Ich trank noch einen Schluck Kahlúa. Lecker. »Mach keinen Blödsinn!«
»Ich mach doch keinen Blödsinn. Ich wollte dich zum Frühstück einladen ...«
»Nein. Raus!« Raus hier. Aus meinem Leben. aus meinem Kopf.
Völlig verwirrt schüttelte er den Kopf, das Wasser tropfte ihm aus den Ohren. »Gut. Ich bin weg. Wo ist meine Hose?«
Mit dem Kinn wies ich auf ein überfülltes Bücherregal, in dem sie gelandet war. Hastig zog er sie an, seine Augen huschten suchend durch meine Wohnung.
»Meine Jacke?«
Ich zeigte ihm den Holztisch, den meine Freundin Cassandra gebaut hatte. Wir hatten uns unter schwierigen Umständen kennengelernt, über die ich nicht lange nachdenken wollte. Der Tisch war verziert mit lächelnden Meerjungfrauen, die in einem Unterwassergarten schwammen. Cassandra hatte das Holz mit hellen, fröhlichen Farben bemalt. Zwei Wochen später war sie nach einem Essen zu ihren Ehren von einem der höchsten Gebäude Portlands gesprungen. Sie hatte ihr gesamtes Vermögen einem Verein für benachteiligte Jugendliche hinterlassen, dessen Vorsitz ich hatte.
Tage später erhielt ich per Post einen Brief von ihr. In dem Umschlag befand sich ein gelber Haftzettel, auf dem nur zwei Worte standen: »Hau rein!«
Ich beobachtete, wie der Mann meinen hübschen blau-weißen Spitzen-BH von seinem Schuh nahm und auf meine rote Ledercouch warf. Bald würde der BH Asche sein und vom Wind verweht werden. Vielleicht würde die Asche auf dem Kopf einer Meerjungfrau landen ...
Ich zog die Tür noch weiter auf.
Er sah mich an, in seinen Augen lag Zorn und ... da lauerte noch etwas anderes. Wahrscheinlich Schmerz. Vielleicht Demütigung.
Ich nickte. »Sei bitte nicht beleidigt. Es ist nichts persönliches. «
»Nichts persönliches?«, rief er. »Nichts Persönliches? Wir hatten letzte Nacht Sex, in deinem Bett. Ist das vielleicht nicht persönlich? «
»Nein, ist es nicht. Mehr kann ich nun mal nicht. Als eine Nacht.«
»Das ist alles? Sonst nichts?« er hob abwehrend die Hände. »Du hast keine Beziehungen, die länger als eine Nacht dauern?«
»Nein.« ich legte den Kopf zur Seite. Der Typ sah gut aus. Einmal zum Friseur, und man hätte einen vielversprechenden Daddy-Kandidaten. Aber ich wäre nicht die Mami, so viel stand fest. Angesichts dieses alten Schmerzes schloss ich die Augen. »Nie.«
Er gab auf. »Glückwunsch. Sie bekommen eine Torte.« Er wandte sich zum Gehen, sein Hemd klebte an ihm.
Armer Kerl. Er war mit einem Topf Wasser im Gesicht aufgewacht. »Ich mag Torten. Am liebsten Schokolade-Trüffel- Rum, aber ich kann auch einen Blätterteig mit Zabaglione und Puderzucker zaubern, dass du dahinschmilzt. Ich musste früher für meine Mutter in der elterlichen Bäckerei arbeiten, und dabei ist so einiges hängengeblieben. Aber jetzt raus!«
Ich legte ihm die Hand auf die Brust und schob ihn hinaus. Dann lehnte ich mich gegen den Türrahmen.
Ich würde den BH und den Tanga verbrennen und dabei versuchen zu vergessen.
Der Regen würde mir helfen.
So ist das immer.
Der Regen spült die Erinnerungen fort.
Bis die Sonne herauskommt. Dann bist du wieder zurück
Am Anfang, und die Erinnerungen kommen und schnappen zu.
Sie kommen und packen dich.
Ich holte den Anzünder mit dem roten Griff aus der Küche, dazu Feuerzeugbenzin, eine Wasserflasche, meinen Spitzen-BH und den Tanga, dann öffnete ich die Glastür zu meinem Balkon. Wind und Regen erfassten mich wie ein kleiner Hurrikan, die Zöpfe schlugen mir gegen die Wangen.
Ein Teil meines Balkons ist überdacht, war also noch trocken. Ich legte BH und String zu den verbrannten Überresten einer anderen nicht erinnerungswürdigen Nacht auf ein Holzbrett in der Ecke und betätigte den Anzünder. BH und Tanga fingen Feuer, qualmten, wurden schwarz, kringelten sich, zischten und verbrannten.
Als sie eingeäschert waren, löschte ich den Brand mit Wasser aus der Flasche. Warum das ganze Wohnhaus abfackeln? Wäre doch sinnlos.
Ich setzte mich auf einen Metallstuhl und ließ den Regen auf meinen nackten Körper prasseln, blickte zu den Wolkenkratzern hinüber und fragte mich, wie viele dieser herumwieselnden, roboterhaften Menschen mich gerade anglotzten.
In einem Hochhaus zu arbeiten, sei auch eine Möglichkeit, jung zu sterben, würde meine jüngere Schwester Janie sagen. »Das ist, als würde man mit dem Fahrstuhl direkt in die Hölle fahren.«
Nach dem College ergatterte Janie eine Stelle als Werbetexterin für eine große Firma im neunundzwanzigsten Stock eines Hochhauses in Los Angeles und arbeitete dort zwei Monate, bis ihr wieselgleicher Chef auf Janies Schreibtisch das erste Kapitel ihres ersten Thrillers entdeckte.
Die Mörderin ist Werbetexterin in einer großen Firma im neunundzwanzigsten Stock eines Wolkenkratzers in Los Angeles. In den ersten Absätzen beschreibt sie anschaulich, wie sie ihren arroganten, herablassenden Chef umbringt, der ihr immer das Gefühl gibt, nicht mehr wert zu sein als eine Schnecke. Sie schildert, wie seine Leiche in der Müllpresse endet, die Beine gespreizt wie die eines Grillhähnchens, ein Fuß nackt, am anderen ein roter Stiletto. Das ist das Markenzeichen der Mörderin.
Niemand meldet ihn als vermisst, nicht mal seine Frau, denn alle verabscheuen ihn wie Kakerlaken in der Kaffeetasse.
Noch am selben Tag wurde Janie gefeuert, obwohl sie auf ihrer Unschuld beharrte. Am Nachmittag setzte sie sich hin und schrieb den Rest der Geschichte nieder, nonstop, drei Monate lang. Als sie ihre Wohnung schließlich wieder verließ, hatte sie zehn Kilo abgenommen, war leichenblass und redete vor sich hin. Nach vier Monaten hatte sie ihren ersten Autorenvertrag unter Dach und Fach. Als das Buch erschien, schickte sie ihrem ehemaligen Chef ein Exemplar und schrieb auf den Innentitel: »Danke, Sie Wichser! in Liebe, Janie Bommarito«.
Es wurde ein Bestseller.
Janie wurde zu einer Einzelgängerin, die unter Zwängen und Obsessionen leidet und all ihre sonderbaren Ticks ausleben muss.
Auch die Einzelgängerin hatte einen nach Zitrone und Blumen duftenden rosa Brief erhalten. Meine Zwillingsschwester Cecilia ebenfalls.
Der Regen prasselte auf mich nieder, der Wind hustete und pustete, und ich setzte mir den Kahlúa wieder an die Lippen. »Kahlúa - einfach herrlich«, sagte ich laut und beobachtete, wie das Wasser über meinen Körper lief und einen kleinen See in meinem Schritt bildete, wo ich die Beine gekreuzt hatte. ich schlug mit der Hand hinein, ließ den See wieder volllaufen, schlug erneut hinein. Das unterhielt mich eine Zeitlang. In der Ferne sah ich einen Blitz, grell und gefährlich.
Er erinnerte mich an damals, als ich mit meinen Schwestern durch ein Gewitter gelaufen war, um Henry zu suchen, der sich in einem Baum versteckt hatte.
Ich lachte, obwohl jene Nacht gar nicht komisch gewesen war. Sie war furchtbar gewesen. Sie hatte mit einem Tanz an der Stange begonnen und mit glitschigen weißen Wänden geendet.
Wieder lachte ich, den Kopf im Nacken, bis ich weinte und mir heiße Tränen über die Wangen bis zum Kinn liefen, auf die Brust tropften und über den Bauch rannen. Sie landeten im See zwischen meinen Beinen, und ich schlug noch einmal in die Mischung aus Regenwasser und Tränen. Die Tränen wollten nichtversiegen, und ich spürte, wie die mir so vertraute Dunkelheit sich herandrängte wie ein wabernder Albtraum.
Ich wollte mich nicht mit dem rosa Brief beschäftigen, der nach ihrem blumigen, zitronigen Parfüm roch.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Cathy Lamb
Cathy Lamb, geboren in Newport Beach, Kalifornien, zog im Alter von zehn Jahren mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Oregon, wo sie bis heute lebt. Sie ist verheiratet und hat drei Kinder. Im Fischer Taschenbuch Verlag sind ihre Romane 'Spiel mir das Lied vom Glück' und 'Blau wie Schokolade' lieferbar.Andrea Fischer hat Literaturübersetzen studiert und überträgt seit über zwanzig Jahren Bücher aus dem britischen und amerikanischen Englisch ins Deutsche, unter anderem die von Lori Nelson Spielman, Michael Chabon und Mary Kay Andrews. Sie lebt und arbeitet im nördlichen Münsterland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Cathy Lamb
- 2013, 1. Auflage., 512 Seiten, Maße: 12,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Aeckerle, Susanne; Fischer, Andrea
- Übersetzer: Susanne Aeckerle, Andrea Fischer
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596191734
- ISBN-13: 9783596191734
- Erscheinungsdatum: 16.05.2013
Rezension zu „Rosarote Nachrichten “
Warmherzig und mit einer Prise Humor Irène Weitz Schweizer Familie 20130117
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