Elijah / Schattenwandler Bd.3
Roman
Als geborener Krieger hat der mächtige und gnadenlose Elijah bisher noch jede Schlacht gewonnen. Doch da wird er von Nekromanten in einen Hinterhalt gelockt und schwer verletzt. Gerettet wird er ausgerechnet von der Königin der Lykanthropen, der...
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Produktinformationen zu „Elijah / Schattenwandler Bd.3 “
Klappentext zu „Elijah / Schattenwandler Bd.3 “
Als geborener Krieger hat der mächtige und gnadenlose Elijah bisher noch jede Schlacht gewonnen. Doch da wird er von Nekromanten in einen Hinterhalt gelockt und schwer verletzt. Gerettet wird er ausgerechnet von der Königin der Lykanthropen, der verführerischen Siena. Einst waren Lykanthropen und Dämonen verfeindet, und erst seit Kurzem besteht ein unsicherer Friede zwischen beiden Völkern. Elijah will sich vor Siena keine Blöße geben, zugleich jedoch wird er von tiefen Gefühlen zu ihr übermannt. Derweil braut sich eine finstere Bedrohung über der Welt zusammen, gegen die beide Völker nur mit vereinten Kräften bestehen können.
Lese-Probe zu „Elijah / Schattenwandler Bd.3 “
Eliah von Jacquelyn Frank1
Die Raubkatze schrie über die Waldwiese hinweg, und die im Kreis versammelten Frauen vergaßen ihre sterbende Beute, da sie von einer unbeschreiblichen Angst erfasst wurden. Menschen hatten wie alle anderen Lebewesen angeborene Instinkte, und die Frauen wussten so sicher, wie sie ihren Namen kannten, dass sie lieber nicht in der Umgebung der Bestie bleiben sollten, die solche Laute ausstieß. Es spielte keine Rolle, dass sie selbst Macht hatten.
Nichts kam gegen das natürliche Grauen eines Beutetiers vor einem Raubtier an. Die Nekromantinnen wichen mit weit aufgerissenen Augen zurück, und die Magie wirkte weiter, während sie vom Boden abzuheben begannen, weil sie sich in der Höhe sicherer wähnten.
Doch ihre Angst ließ nicht nach, und sie flogen davon, über die Bäume hinweg, und flüchteten sich nach Hause oder an einen Ort, wo sie sich wirklich sicher fühlten. Einige weibliche Jäger hatten das Glück, dass die fliehenden Nekromantinnen an sie dachten und sie mit sich nahmen auf ihre Flucht. Diejenigen, die nicht so viel Glück hatten, nahmen die Beine in die Hand und jagten wie wild auf den Waldrand zu. Es dauerte lediglich eine Minute, bis von ihnen nichts mehr wahrzunehmen war außer einem seltsamen Geräusch von zerbrechenden Zweigen, das sich schnell entfernte.
Die Dämoninnen ließen sich nicht so leicht einschüchtern. Die Jüngere war ein Erddämon, der sich in die Geschöpfe der Natur einfühlen und sie beherrschen konnte. Obwohl sie noch sehr jung war und verglichen mit den großen Älteren ihrer Art schwach, gehörte das Bannen von Tieren zu ihren elementaren Fähigkeiten. Sie richtete ihr Bewusstsein auf das sich nähernde Raubtier und versuchte, dessen Gedanken zu berühren. Verwirrt runzelte sie ihre schöne Stirn, als sich die
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Berglöwin ihren beschwörenden Gedanken gegenüber ungewöhnlich unzugänglich zeigte.
Die große goldgelbe Raubkatze brach aus dem Wald hervor und pirschte sich durch das hohe Gras heran. Die kreisenden Bewegungen ihrer Schulterblätter wirkten faszinierend und furchteinflößend zugleich, während sie herankam, die goldgelben Augen auf die beiden Frauen gerichtet, die noch auf der Lichtung verharrten. Die Raubkatze konnte das viele Blut riechen, das auf den Boden geflossen war. Der Geruch sprach die niedersten Instinkte des Tieres an und lockte die Berglöwin geradezu magisch herbei. Normalerweise hätte sie sich anderen Raubtieren nicht genähert, aber der Geruch von Blut war übermächtig. Sie pirschte sich immer näher heran, und die junge blonde Dämonin brach in Schweiß aus, während sie versuchte, das Bewusstsein des Tieres zu erreichen, das wie betäubt war von dem herrlichen Geruch von Blut. ,,Mama, ich komme nicht an das Tier heran.
Es hört mir nicht zu." ,,Macht nichts. Wir sind hier fertig." Ruth umklammerte ihr Kind noch fester, und mit einem knackenden Geräusch, das von der verdrängten Luft herrührte, teleportierten sich die beiden Dämoninnen in Sicherheit. Die große goldgelbe Raubkatze hob den Kopf und blieb unvermittelt stehen. Sie schnupperte prüfend in der Luft, da der Gestank der Frauen schwächer wurde. Nur der blutüberströmte Körper in der Mitte der Lichtung strömte noch einen starken Geruch aus, und die Raubkatze ging auf das unglückliche Opfer zu. Sie war so nahe bei dem bewusstlosen Wesen, dass sie es mit dem Maul berühren konnte. Das tat sie auch und sog seinen Geruch ein. Unter dem Blut war der unverwechselbare Geruch von männlichem Moschus zu riechen.
Er war intensiv und berauschend und entlockte der schönen Raubkatze ein Schnurren.
Sie senkte den Kopf zu der größten Wunde und leckte mit ihrer rauen Zunge sein süß schmeckendes Blut. Ihr Schnurren wurde tiefer, und sie öffnete ihre kräftigen Kiefer und schloss sie um die Kehle des Mannes. Sie brauchte nur ein einziges Mal zuzubeißen, um ihn zu erledigen. Plötzlich wich die Raubkatze zurück und schüttelte den Kopf mit der goldenen Mähne, als würde sie aus einem Zauber erwachen.
Sie schüttelte sich noch einmal wie ein nasser Hund, der sein Fell trocknen wollte. Während sie sich schüttelte, begann sich ihr Fell abzulösen und fiel von ihr ab, bis aus dem Tier, mit einem abschließenden Zittern, eine Frau wurde, die nur mit einer goldenen, mit Mondstein verzierten Kette und langem goldenem Haar bekleidet war.
Siena, die an dem reich geschmückten Collier als Königin der Lykanthropen zu erkennen war, atmete tief durch und versuchte, die drängende Begierde zu ignorieren, die der Geschmack des Blutes in ihr ausgelöst hatte. Sie kannte diesen Dämon, sie kannte seinen Namen und seine Bedeutung für den Dämonenkönig. Aber sie wusste auch, dass sich Dämonenblut mit nichts sonst auf der Welt vergleichen ließ.
Es war gehaltvoll und trug die Kraft in sich, die sie besaßen. Aber obwohl sie manchmal mehr Bestie war als Frau, brauchte sie kein Blut, um zu überleben, wie die Vampire. Sie war die Stärkste aus ihrem Volk, und dieses Verlangen konnte sie überwinden.
Wenn nur nicht so viel davon in ihre Sinne gedrungen wäre. Sie musste jetzt klar denken, musste handeln. Als sie sich in das hohe Gras kniete und versuchte, ihre animalische Natur unter Kontrolle zu halten, lag der Kriegerdämon, den sie als Elijah kannte, im Sterben. Ja, er war schon fast tot.
Es war ein erschütternder Anblick. Vor sechs Monaten noch hatte sie Seite an Seite mit diesem Krieger gekämpft und sein Können, seine Kraft und seine unleugbare Stärke erlebt. Wie hatte so etwas nur geschehen können?
Siena streckte zögernd die Hand aus, und ihre Finger fuhren durch die goldgelben Locken, die etwas heller waren als ihre und nur schulterlang, während ihre bis über die Hüften fielen. Dann griff sie sich ins Haar, nahm eine lange Strähne zwischen die Zähne und riss mit den Eckzähnen eine über zwei Zentimeter dicke Locke aus seidigem Gold ab.
Die Locke wand sich um ihr Handgelenk und um ihren Unterarm, als wolle sie sich nicht vom Körper lösen. Sie warf den Kopf zurück, ohne auf die kleinen Blutstropfen zu achten, die von den abgerissenen Haaren an ihrem Kopf spritzten. Sie beugte sich über den Dämon und öffnete sein einst so feines Seidenhemd. Sie leckte sich langsam über die vollen Lippen, während sie die gelockte Strähne aus goldenem Haar nahm und sie kreisförmig auf die Wunde legte wie ein festes Gewebe, bis sie ganz bedeckt war. Blut sickerte in die goldenen Fasern und vermischte sich mit den Tröpfchen, die aus den abgetrennten Enden quollen. Sofort bildete sich Schorf auf der Wunde, und die Haare wurden zu einem rot-goldenen Verband, der fest auf dem klaffenden Loch haftete und es wirkungsvoll verschloss. Im Moment konnte sie nichts gegen seinen Blutverlust tun.
Aber sie konnte ihn auch nicht da lassen, wo er war, falls seine Angreifer beschlossen, zurückzukommen und ihm den Rest zu geben. Sein Atem war so flach, dass sie ihn nur dank ihres scharfen Gehörs wahrnahm. Zum Glück kannte sie sich gut aus in diesen Wäldern und wusste, wo sich eine passende Zuflucht befand.
Wenn sie dort war, würde sie sehen, was sie tun konnte, um ihm zu helfen. Was der Dämon auf dem Territorium der Lykanthropen gemacht hatte, musste sie später herausfinden. Jetzt galt es, ihn erst einmal vor der einsetzenden Morgendämmerung in Sicherheit bringen. Obwohl das Sonnenlicht keine ihrer beiden Arten unter solchen todbringenden Qualen versengte wie die Vampire, war es auch für Schattenwandler nicht angenehm. Auf Dämonen hatte es die gleiche Wirkung wie auf nachtaktive Katzen: Es machte sie träge, faul und lethargisch.
Viele Dämonen liebten die Wärme der Sonne und fanden, dass am Tag die beste Zeit war, um es sich gemütlich zu machen und zu schlafen. Leider stellte sich dieses Verhalten oft ganz unwillkürlich ein und führte dazu, dass sie nur noch schlafen wollten, auch wenn sie sich dadurch verwundbar machten. In diesem Fall jedoch konnte jede weitere Schwächung durch Licht die Prozesse im Körper des Kriegers lähmen und damit das Werk seiner Angreifer zu Ende bringen.
Für die Lykanthropen war die Sonne ein kleines bisschen schädlicher. Gestaltwandler wurden im hellen Tageslicht krank und bekamen buchstäblich eine Sonnenvergiftung. Da sie eine Spezies waren, die nach den Mondphasen lebte, schien es nur konsequent zu sein, dass die Sonne ihnen unnatürlich vorkam. Und als halbe Raubkatze hatte Siena umso mehr den Drang, aktiv zu sein, wenn die Dunkelheit am tiefsten war, und sich schlafen zu legen, wenn das Tageslicht ihr schaden konnte. Wenn sie sich vorwiegend im Schatten aufhielt, war ihre Widerstandskraft gegen die Sonne größer, aber das mochte sie nicht sehr. Siena musste sich für den besten und kürzesten Weg entscheiden, um dorthin zu gelangen, wo sie den Heerführer behandeln konnte.
Ihr Volk war zu weit entfernt, als dass sie es bis dorthin schaffen könnte, und es war niemand hier außer ihr. Es wäre gut gewesen, wenn sie Hilfe gehabt hätte, einen Ort, an dem man sie bei seiner Pflege hätte unterstützen können. Aber die Sache war zu dringend.
Die ideale Lösung, ihn zu seinem eigenen Volk zu bringen, schied gänzlich aus, da sein Volk noch weiter weg lebte als ihr eigenes. Außerdem hielt sich der weltweit bekannteste Heilerdämon derzeit gerade an ihrem Hofe auf. Der Heerführer war kein zierlicher Mann.
Er hatte den Körperbau eines Kriegers, der durchhalten und auf dem Schlachtfeld seinen Mut beweisen musste. Und dieser Befehlshaber nun, der hatte, um es vorsichtig auszudrücken, einen äußerst beeindruckenden Körper. Obwohl Siena selbst groß war und ziemlich stark, hatte sein Bizeps einen größeren Umfang als ihre muskulösen Oberschenkel. Am meisten Sorgen bereitete ihr, dass keine medizinische Hilfe in der Nähe war.
Er gehörte zu einer völlig anderen Spezies als sie und sprach daher vielleicht nicht so gut auf die Heilmethoden der Lykanthropen an. Möglicherweise war es so, als würde man einen menschlichen Patienten von einem Tierarzt behandeln lassen. Der Tierarzt konnte ein erstklassiger Fachmann sein, aber selbst seine beste Behandlung konnte mehr schaden als nützen.
Ihr Volk hatte sich mit dem seinen die meiste Zeit im Kriegszustand befunden, und ihr Wissen über die Anatomie der Dämonen war recht dürftig. Und die wenigen Informationen, die sie besaß, beschränkten sich darauf, welche lebensnotwendigen Organe man wie verletzen musste, um bei einem Dämon einen schnellen Tod herbeizuführen.
Da der Frieden zwischen ihren Rassen erst vierzehn Jahre währte, hatte bisher niemand daran gedacht, ihr medizinisches Wissen auszutauschen. Das Einzige, was sie erst vor Kurzem getan hatten, war der Austausch von Botschaftern. Die Königin erhob sich. Sie hatte die stolze, hochgewachsene Gestalt einer Amazone.
Ob sie nun, wie im Moment, nackt war oder vollständig bekleidet an ihrem Geschlecht konnte es keinerlei Zweifel geben. Sie hatte eine goldfarbene Haut und trotz ihres muskulösen, durchtrainierten Körpers üppige Kurven. Sie war eine Jägerin und eine Kriegerin, eine stolze, reine Diana, und das strahlte sie auch aus.
Doch im Widerspruch dazu ließen ihre blonde Lockenpracht, die ihr bis über die Oberschenkel fiel, und die ausgeprägten Formen ihres Geschlechts sie genauso weiblich erscheinen wie Aphrodite selbst. Ihr rätselhaftes Lächeln und die natürliche Koketterie ihres Gangs unterstrichen dieses Bild. Die Lykanthropenkönigin schien zu überlegen, was sie als Nächstes tun sollte, denn sie betrachtete ihre Umgebung ein letztes Mal mit ihrem scharfen Blick.
Kurz darauf schüttelte sie erneut den Kopf, und ihre langen Locken erwachten zum Leben. Sie begannen sich seidig über ihre Haut zu legen und hüllten sie fast liebevoll ein. Der sich ausbreitende Haarmantel wurde wieder zu einem Fell, nur dass sie sich diesmal in ein Wesen verwandelte, das halb Katze war und halb Frau.
Das war die Gestalt der Werkatze, Sienas dritte und letzte Form. Groß und wohlgeformt wie die Frau, die sie war, aber mit dem Fell, den Klauen, den Ohren, dem Gesicht, den Tasthaaren und dem Schwanz einer Berglöwin ausgestattet. In dieser Gestalt, halb Frau, halb Raubkatze, vereinigte sie die besten Eigenschaften beider Welten in sich. Und dazu gehörte auch die Stärke, die sie brauchte, um den Krieger auf den Armen fortzutragen. Der Krieger war, wie sie bemerkte, als sie die Arme unter ihn schob, um ihn hochzuheben, kräftig gebaut und sehr muskulös.
Und da er fast einen Meter neunzig groß war, war er sehr schwer. Er besaß auffallend breite Schultern, die sie mit ihren Armen kaum umfassen konnte, und er hatte kein Gramm Fett auf der Taille und an den Oberschenkeln. Es war ein durchtrainierter, vollkommener Körper, an dem nichts Überflüssiges und nichts Weichliches war. Trotz seines Gewichts hob sie ihn mit Leichtigkeit hoch. Und während sie über die Lichtung schritt, zog sie ihn eng an sich.
Ihr Sehvermögen war für die Dunkelheit gemacht, und sie nahm alles in scharfen Schwarz-Weiß-Schattierungen wahr. Für sie war es taghell, als sie ihre Last in den Wald trug. Vor ihrem Aufbruch hatte sich die Königin kurz vergewissert, dass sich alle Feinde zurückgezogen hatten, und auch alle anderen Lebewesen waren verschwunden. Während sie zielstrebig durch den Wald schritt und dabei möglichst wenig Spuren hinterließ, fiel der Werkatze ein, dass nicht nur Menschen in der Gruppe gewesen waren, die diesem Krieger eine Falle gestellt hatte.
Sie hatte die abtrünnigen Dämoninnen gesehen, Mutter und Tochter, die beschlossen hatten, sich mit den Feinden ihres Volkes zu verbünden. Ihr Durst nach Rache war durch ein tragisches Missgeschick entstanden, das niemand hätte verhindern können, auch nicht die mächtigen Dämonen. Siena dachte an den Tag vor einem knappen halben Jahr zurück, an den Abend des letzten Beltane. Der sonst so festlich begangene Feiertag der Dämonen war von den Folgen des Krieges überschattet worden, den diese verräterischen Frauen begonnen hatten.
An dem Tag, als sie in eine erbitterte Schlacht verwickelt worden waren, um ihre Leute vor einem Gemetzel zu schützen, das durch den pervertierten Willen dieser Frauen gesteuert worden war, hatte Siena auf der Seite der Dämonenarmee gestanden. In diesem Kampf hatte sie einen Eindruck von den Fähigkeiten des großen Kriegsführers bekommen.
Er hatte ihr imponiert. So sehr, dass es sie irritierte, ihn jetzt in dieser misslichen Lage vorzufinden. Und sie hatte außerdem bemerkt, dass es die Dämonen besonders getroffen hatte, dass die als Angriffsziel ausgewählte Druidin damals schwanger gewesen war. Das Kind in ihrem Bauch war ebenso Ziel der Strafaktion gewesen wie sie selbst und ihr Dämonengatte, und den Krieger hatte dies persönlich erzürnt, obwohl es nicht sein Kind war und er selbst auch keine Kinder hatte. Männliche Lykanthropen hegten normalerweise nicht so tiefe Gefühle für Kinder, es sei denn, es waren ihre eigenen, und selbst dann gingen sie meist nur ihren Geschäften nach und überließen das Erziehen der Kinder den Frauen.
Es war ein Instinkt, der oft vom natürlichen Verhalten des Tieres bestimmt war, in das sich die Männer verwandelten. Das Volk der Gestaltwandler war jedenfalls eine von Frauen dominierte Gemeinschaft. Es gab achtmal so viele Frauen wie Männer. Sie waren stets in der Überzahl gewesen, aber durch den Krieg hatte sich dies noch verstärkt.
Der kriegerische Ehrgeiz hatte die Männer dezimiert. In einer solchen Gemeinschaft gab es mächtige matriarchalische Grundsätze, und sie waren ziemlich stolz darauf. Sie waren nicht sehr interessiert daran zu kämpfen, es sei denn, es ging um Nahrungssuche oder um Selbstverteidigung. Aber sich aufzumachen, um einem wehrlosen, unschuldigen Kind etwas anzutun, war für ihr Volk eine unerträgliche Vorstellung. Siena blieb unvermittelt stehen und schnupperte mit zuckenden Ohren, um zu prüfen, ob sie irgendwo Gefahr witterte.
Sie spürte, wie Tiere ins Unterholz flitzten, aber ansonsten war nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Sie waren fast zwei Kilometer vom ursprünglichen Kampfplatz entfernt, und in der Nähe gab es einen Fluss. Sie hätte sich die Zeit nehmen können, die restlichen Wunden zu waschen und zu verbinden und so ihre Spuren besser zu verwischen, damit sie nicht aufgespürt werden konnten.
Aber die Sonne brach bereits durch die Bäume, und sobald ihre Strahlen sie erfassten, würde sie zu krank und schwach werden, um es mit ihrer Last bis zu ihrem Zufluchtsort zu schaffen. Obwohl es sie nicht töten würde, wenn sie einen Tag lang im schattigen Wald in der Sonne lag, würde es doch einige Zeit dauern, bis sie sich von der dadurch verursachten Krankheit erholt hätte.
Und das würde den sicheren Tod des Mannes bedeuten. Also entschied sich Siena, das Risiko einzugehen, aufgespürt zu werden. Dort, wo sie hingingen, gab es Wasser, und die Zeit war knapp. Während sie für jemanden, der so eine schwere Last trug, erstaunlich schnell ging, dachte sie wieder über die Dämoninnen nach, die dieses Verbrechen gegen ihren einstigen Gefährten begangen hatten. Sie wusste Bescheid über Ruth und über deren ungute Beziehung zu ihrem Kind. Siena war eine von denen, die den Verrat aufgedeckt hatten.
Es gab kein Tier auf der Welt, das ein Kind in seiner Entwicklung behinderte, indem es ihm verbot, die Höhle oder das Nest zu verlassen und sich allein durchzuschlagen. Irgendwann in der Entwicklungsgeschichte war es zu einer gesellschaftlichen Veränderung bei den menschenähnlichen Zweibeinern gekommen, und sie hatten zugelassen, dass dies möglich und manchmal sogar die Norm wurde. Obwohl die Evolution ein natürlicher Prozess war, hatte Siena dies immer als eine unnatürliche Veränderung empfunden. Menschenähnliche Wesen waren zu einem äußerst abweichenden Verhalten fähig, das der natürlichen Ordnung widersprach, die ein Leben im Einklang mit der Natur verlangte.
Und wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass dies auch auf ihre eigene Spezies zutraf. Auch wenn Lykanthropen in ihren Augen und in den Augen der anderen oft mehr als Tiere denn als Menschen angesehen wurden, so waren sie doch eine Gesellschaft, die ihre Fehler hatte, ihre Widersprüche und Gesetze und in der es einen freien Willen gab. Noch vor zwei Jahrzehnten wäre es ganz undenkbar gewesen, dass sie einem Dämon helfen könnte, noch dazu ausgerechnet diesem Dämon, ja, es wäre sogar Verrat gewesen. Und zugegebenermaßen gab es einige, die dies immer noch so sahen.
Der vorangegangene Krieg zwischen den Dämonen und den Gestaltwandlern war von ihrem Vater geführt worden. Es war eine aggressive Zurschaustellung von Männlichkeit gewesen, ausgelöst durch ein harmloses Ereignis, die dann schnell zu einem Hass auf das ganze Volk der Dämonen eskaliert war. Nach jahrzehntelangen Provokationen begannen die Dämonen dieses Gefühl dann aus ganzem Herzen zu erwidern.
Da Lykanthropen ebenso lange lebten wie Dämonen, war ihr Volk unglücklicherweise jahrhundertelang in die kriegerischen Auseinandersetzungen ihres Vaters verwickelt. Es wuchsen Generationen heran, die sich nicht vorstellen konnten, dass es tatsächlich einmal eine Zeit gegeben hatte, in der Gestaltwandler den Dämonen nicht voller Abscheu begegnet waren. Dies änderte sich allmählich, als sie den Thron bestiegen hatte.
Gleich nachdem ihr die königliche Halskette angelegt worden war, hatte Siena die Kriegserklärung gegen die Dämonen öffentlich aufgehoben. Diese Entscheidung war zunächst nicht sehr populär gewesen, denn die alten feindlichen Gefühle, die schon so lange in den Herzen nisteten, waren schwer zu überwinden. Es hätte sehr leicht erbitterten Widerstand geben können.
Vielleicht war es in diesem Punkt ein Vorteil, dass sie als Frau an der Spitze einer matriarchalischen Gesellschaft stand. Ihre Stimme hatte die Macht, die vielen Frauen zu erreichen, die sich eigentlich nie an sinnlosen Kriegen hatten beteiligen wollen. Ihre Königin musste sie nur immer wieder geduldig daran erinnern. Und während der Frieden andauerte, begann Sienas Volk sich darauf zurückzubesinnen, wie es war, seinen Lebenssinn in etwas anderem zu sehen als in der Vorbereitung auf die nächste Schlacht.
Obwohl sie dazu erzogen worden war, den Dämonen zu misstrauen, und ihr Vater und auch die von ihm ausgewählten Lehrer ihr Vorträge darüber hielten, dass sie hassenswert, weil ,,böse, gesetzlose Kreaturen" seien, hatte das Schicksal eingegriffen und ihr eine Lektion erteilt, die ihre Ansichten über die Dämonen von Grund auf änderte.
Gemäß ihren moralischen Maßstäben und ihrem weiblichen Gerechtigkeitssinn kam für sie nur ein Waffenstillstand infrage, sobald sie die Macht dazu hatte. Sie konnte nicht wirklich ihren Vater und seinen männlichen Charakter für die Probleme und für ihr klägliches Abschneiden als Spezies verantwortlich machen, aber seine aggressive Natur hatte ihnen keinen guten Dienst erwiesen, und jetzt musste sie mit den Folgen umgehen.
Vierzehn Jahre Waffenruhe waren eine erbärmlich kurze Spanne gegenüber fast dreihundert Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen. Frieden zu halten war schwierig, und es ging nur in kleinen Schritten. Jede unbedachte Handlung konnte die zerbrechliche Harmonie wieder zerstören.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Die große goldgelbe Raubkatze brach aus dem Wald hervor und pirschte sich durch das hohe Gras heran. Die kreisenden Bewegungen ihrer Schulterblätter wirkten faszinierend und furchteinflößend zugleich, während sie herankam, die goldgelben Augen auf die beiden Frauen gerichtet, die noch auf der Lichtung verharrten. Die Raubkatze konnte das viele Blut riechen, das auf den Boden geflossen war. Der Geruch sprach die niedersten Instinkte des Tieres an und lockte die Berglöwin geradezu magisch herbei. Normalerweise hätte sie sich anderen Raubtieren nicht genähert, aber der Geruch von Blut war übermächtig. Sie pirschte sich immer näher heran, und die junge blonde Dämonin brach in Schweiß aus, während sie versuchte, das Bewusstsein des Tieres zu erreichen, das wie betäubt war von dem herrlichen Geruch von Blut. ,,Mama, ich komme nicht an das Tier heran.
Es hört mir nicht zu." ,,Macht nichts. Wir sind hier fertig." Ruth umklammerte ihr Kind noch fester, und mit einem knackenden Geräusch, das von der verdrängten Luft herrührte, teleportierten sich die beiden Dämoninnen in Sicherheit. Die große goldgelbe Raubkatze hob den Kopf und blieb unvermittelt stehen. Sie schnupperte prüfend in der Luft, da der Gestank der Frauen schwächer wurde. Nur der blutüberströmte Körper in der Mitte der Lichtung strömte noch einen starken Geruch aus, und die Raubkatze ging auf das unglückliche Opfer zu. Sie war so nahe bei dem bewusstlosen Wesen, dass sie es mit dem Maul berühren konnte. Das tat sie auch und sog seinen Geruch ein. Unter dem Blut war der unverwechselbare Geruch von männlichem Moschus zu riechen.
Er war intensiv und berauschend und entlockte der schönen Raubkatze ein Schnurren.
Sie senkte den Kopf zu der größten Wunde und leckte mit ihrer rauen Zunge sein süß schmeckendes Blut. Ihr Schnurren wurde tiefer, und sie öffnete ihre kräftigen Kiefer und schloss sie um die Kehle des Mannes. Sie brauchte nur ein einziges Mal zuzubeißen, um ihn zu erledigen. Plötzlich wich die Raubkatze zurück und schüttelte den Kopf mit der goldenen Mähne, als würde sie aus einem Zauber erwachen.
Sie schüttelte sich noch einmal wie ein nasser Hund, der sein Fell trocknen wollte. Während sie sich schüttelte, begann sich ihr Fell abzulösen und fiel von ihr ab, bis aus dem Tier, mit einem abschließenden Zittern, eine Frau wurde, die nur mit einer goldenen, mit Mondstein verzierten Kette und langem goldenem Haar bekleidet war.
Siena, die an dem reich geschmückten Collier als Königin der Lykanthropen zu erkennen war, atmete tief durch und versuchte, die drängende Begierde zu ignorieren, die der Geschmack des Blutes in ihr ausgelöst hatte. Sie kannte diesen Dämon, sie kannte seinen Namen und seine Bedeutung für den Dämonenkönig. Aber sie wusste auch, dass sich Dämonenblut mit nichts sonst auf der Welt vergleichen ließ.
Es war gehaltvoll und trug die Kraft in sich, die sie besaßen. Aber obwohl sie manchmal mehr Bestie war als Frau, brauchte sie kein Blut, um zu überleben, wie die Vampire. Sie war die Stärkste aus ihrem Volk, und dieses Verlangen konnte sie überwinden.
Wenn nur nicht so viel davon in ihre Sinne gedrungen wäre. Sie musste jetzt klar denken, musste handeln. Als sie sich in das hohe Gras kniete und versuchte, ihre animalische Natur unter Kontrolle zu halten, lag der Kriegerdämon, den sie als Elijah kannte, im Sterben. Ja, er war schon fast tot.
Es war ein erschütternder Anblick. Vor sechs Monaten noch hatte sie Seite an Seite mit diesem Krieger gekämpft und sein Können, seine Kraft und seine unleugbare Stärke erlebt. Wie hatte so etwas nur geschehen können?
Siena streckte zögernd die Hand aus, und ihre Finger fuhren durch die goldgelben Locken, die etwas heller waren als ihre und nur schulterlang, während ihre bis über die Hüften fielen. Dann griff sie sich ins Haar, nahm eine lange Strähne zwischen die Zähne und riss mit den Eckzähnen eine über zwei Zentimeter dicke Locke aus seidigem Gold ab.
Die Locke wand sich um ihr Handgelenk und um ihren Unterarm, als wolle sie sich nicht vom Körper lösen. Sie warf den Kopf zurück, ohne auf die kleinen Blutstropfen zu achten, die von den abgerissenen Haaren an ihrem Kopf spritzten. Sie beugte sich über den Dämon und öffnete sein einst so feines Seidenhemd. Sie leckte sich langsam über die vollen Lippen, während sie die gelockte Strähne aus goldenem Haar nahm und sie kreisförmig auf die Wunde legte wie ein festes Gewebe, bis sie ganz bedeckt war. Blut sickerte in die goldenen Fasern und vermischte sich mit den Tröpfchen, die aus den abgetrennten Enden quollen. Sofort bildete sich Schorf auf der Wunde, und die Haare wurden zu einem rot-goldenen Verband, der fest auf dem klaffenden Loch haftete und es wirkungsvoll verschloss. Im Moment konnte sie nichts gegen seinen Blutverlust tun.
Aber sie konnte ihn auch nicht da lassen, wo er war, falls seine Angreifer beschlossen, zurückzukommen und ihm den Rest zu geben. Sein Atem war so flach, dass sie ihn nur dank ihres scharfen Gehörs wahrnahm. Zum Glück kannte sie sich gut aus in diesen Wäldern und wusste, wo sich eine passende Zuflucht befand.
Wenn sie dort war, würde sie sehen, was sie tun konnte, um ihm zu helfen. Was der Dämon auf dem Territorium der Lykanthropen gemacht hatte, musste sie später herausfinden. Jetzt galt es, ihn erst einmal vor der einsetzenden Morgendämmerung in Sicherheit bringen. Obwohl das Sonnenlicht keine ihrer beiden Arten unter solchen todbringenden Qualen versengte wie die Vampire, war es auch für Schattenwandler nicht angenehm. Auf Dämonen hatte es die gleiche Wirkung wie auf nachtaktive Katzen: Es machte sie träge, faul und lethargisch.
Viele Dämonen liebten die Wärme der Sonne und fanden, dass am Tag die beste Zeit war, um es sich gemütlich zu machen und zu schlafen. Leider stellte sich dieses Verhalten oft ganz unwillkürlich ein und führte dazu, dass sie nur noch schlafen wollten, auch wenn sie sich dadurch verwundbar machten. In diesem Fall jedoch konnte jede weitere Schwächung durch Licht die Prozesse im Körper des Kriegers lähmen und damit das Werk seiner Angreifer zu Ende bringen.
Für die Lykanthropen war die Sonne ein kleines bisschen schädlicher. Gestaltwandler wurden im hellen Tageslicht krank und bekamen buchstäblich eine Sonnenvergiftung. Da sie eine Spezies waren, die nach den Mondphasen lebte, schien es nur konsequent zu sein, dass die Sonne ihnen unnatürlich vorkam. Und als halbe Raubkatze hatte Siena umso mehr den Drang, aktiv zu sein, wenn die Dunkelheit am tiefsten war, und sich schlafen zu legen, wenn das Tageslicht ihr schaden konnte. Wenn sie sich vorwiegend im Schatten aufhielt, war ihre Widerstandskraft gegen die Sonne größer, aber das mochte sie nicht sehr. Siena musste sich für den besten und kürzesten Weg entscheiden, um dorthin zu gelangen, wo sie den Heerführer behandeln konnte.
Ihr Volk war zu weit entfernt, als dass sie es bis dorthin schaffen könnte, und es war niemand hier außer ihr. Es wäre gut gewesen, wenn sie Hilfe gehabt hätte, einen Ort, an dem man sie bei seiner Pflege hätte unterstützen können. Aber die Sache war zu dringend.
Die ideale Lösung, ihn zu seinem eigenen Volk zu bringen, schied gänzlich aus, da sein Volk noch weiter weg lebte als ihr eigenes. Außerdem hielt sich der weltweit bekannteste Heilerdämon derzeit gerade an ihrem Hofe auf. Der Heerführer war kein zierlicher Mann.
Er hatte den Körperbau eines Kriegers, der durchhalten und auf dem Schlachtfeld seinen Mut beweisen musste. Und dieser Befehlshaber nun, der hatte, um es vorsichtig auszudrücken, einen äußerst beeindruckenden Körper. Obwohl Siena selbst groß war und ziemlich stark, hatte sein Bizeps einen größeren Umfang als ihre muskulösen Oberschenkel. Am meisten Sorgen bereitete ihr, dass keine medizinische Hilfe in der Nähe war.
Er gehörte zu einer völlig anderen Spezies als sie und sprach daher vielleicht nicht so gut auf die Heilmethoden der Lykanthropen an. Möglicherweise war es so, als würde man einen menschlichen Patienten von einem Tierarzt behandeln lassen. Der Tierarzt konnte ein erstklassiger Fachmann sein, aber selbst seine beste Behandlung konnte mehr schaden als nützen.
Ihr Volk hatte sich mit dem seinen die meiste Zeit im Kriegszustand befunden, und ihr Wissen über die Anatomie der Dämonen war recht dürftig. Und die wenigen Informationen, die sie besaß, beschränkten sich darauf, welche lebensnotwendigen Organe man wie verletzen musste, um bei einem Dämon einen schnellen Tod herbeizuführen.
Da der Frieden zwischen ihren Rassen erst vierzehn Jahre währte, hatte bisher niemand daran gedacht, ihr medizinisches Wissen auszutauschen. Das Einzige, was sie erst vor Kurzem getan hatten, war der Austausch von Botschaftern. Die Königin erhob sich. Sie hatte die stolze, hochgewachsene Gestalt einer Amazone.
Ob sie nun, wie im Moment, nackt war oder vollständig bekleidet an ihrem Geschlecht konnte es keinerlei Zweifel geben. Sie hatte eine goldfarbene Haut und trotz ihres muskulösen, durchtrainierten Körpers üppige Kurven. Sie war eine Jägerin und eine Kriegerin, eine stolze, reine Diana, und das strahlte sie auch aus.
Doch im Widerspruch dazu ließen ihre blonde Lockenpracht, die ihr bis über die Oberschenkel fiel, und die ausgeprägten Formen ihres Geschlechts sie genauso weiblich erscheinen wie Aphrodite selbst. Ihr rätselhaftes Lächeln und die natürliche Koketterie ihres Gangs unterstrichen dieses Bild. Die Lykanthropenkönigin schien zu überlegen, was sie als Nächstes tun sollte, denn sie betrachtete ihre Umgebung ein letztes Mal mit ihrem scharfen Blick.
Kurz darauf schüttelte sie erneut den Kopf, und ihre langen Locken erwachten zum Leben. Sie begannen sich seidig über ihre Haut zu legen und hüllten sie fast liebevoll ein. Der sich ausbreitende Haarmantel wurde wieder zu einem Fell, nur dass sie sich diesmal in ein Wesen verwandelte, das halb Katze war und halb Frau.
Das war die Gestalt der Werkatze, Sienas dritte und letzte Form. Groß und wohlgeformt wie die Frau, die sie war, aber mit dem Fell, den Klauen, den Ohren, dem Gesicht, den Tasthaaren und dem Schwanz einer Berglöwin ausgestattet. In dieser Gestalt, halb Frau, halb Raubkatze, vereinigte sie die besten Eigenschaften beider Welten in sich. Und dazu gehörte auch die Stärke, die sie brauchte, um den Krieger auf den Armen fortzutragen. Der Krieger war, wie sie bemerkte, als sie die Arme unter ihn schob, um ihn hochzuheben, kräftig gebaut und sehr muskulös.
Und da er fast einen Meter neunzig groß war, war er sehr schwer. Er besaß auffallend breite Schultern, die sie mit ihren Armen kaum umfassen konnte, und er hatte kein Gramm Fett auf der Taille und an den Oberschenkeln. Es war ein durchtrainierter, vollkommener Körper, an dem nichts Überflüssiges und nichts Weichliches war. Trotz seines Gewichts hob sie ihn mit Leichtigkeit hoch. Und während sie über die Lichtung schritt, zog sie ihn eng an sich.
Ihr Sehvermögen war für die Dunkelheit gemacht, und sie nahm alles in scharfen Schwarz-Weiß-Schattierungen wahr. Für sie war es taghell, als sie ihre Last in den Wald trug. Vor ihrem Aufbruch hatte sich die Königin kurz vergewissert, dass sich alle Feinde zurückgezogen hatten, und auch alle anderen Lebewesen waren verschwunden. Während sie zielstrebig durch den Wald schritt und dabei möglichst wenig Spuren hinterließ, fiel der Werkatze ein, dass nicht nur Menschen in der Gruppe gewesen waren, die diesem Krieger eine Falle gestellt hatte.
Sie hatte die abtrünnigen Dämoninnen gesehen, Mutter und Tochter, die beschlossen hatten, sich mit den Feinden ihres Volkes zu verbünden. Ihr Durst nach Rache war durch ein tragisches Missgeschick entstanden, das niemand hätte verhindern können, auch nicht die mächtigen Dämonen. Siena dachte an den Tag vor einem knappen halben Jahr zurück, an den Abend des letzten Beltane. Der sonst so festlich begangene Feiertag der Dämonen war von den Folgen des Krieges überschattet worden, den diese verräterischen Frauen begonnen hatten.
An dem Tag, als sie in eine erbitterte Schlacht verwickelt worden waren, um ihre Leute vor einem Gemetzel zu schützen, das durch den pervertierten Willen dieser Frauen gesteuert worden war, hatte Siena auf der Seite der Dämonenarmee gestanden. In diesem Kampf hatte sie einen Eindruck von den Fähigkeiten des großen Kriegsführers bekommen.
Er hatte ihr imponiert. So sehr, dass es sie irritierte, ihn jetzt in dieser misslichen Lage vorzufinden. Und sie hatte außerdem bemerkt, dass es die Dämonen besonders getroffen hatte, dass die als Angriffsziel ausgewählte Druidin damals schwanger gewesen war. Das Kind in ihrem Bauch war ebenso Ziel der Strafaktion gewesen wie sie selbst und ihr Dämonengatte, und den Krieger hatte dies persönlich erzürnt, obwohl es nicht sein Kind war und er selbst auch keine Kinder hatte. Männliche Lykanthropen hegten normalerweise nicht so tiefe Gefühle für Kinder, es sei denn, es waren ihre eigenen, und selbst dann gingen sie meist nur ihren Geschäften nach und überließen das Erziehen der Kinder den Frauen.
Es war ein Instinkt, der oft vom natürlichen Verhalten des Tieres bestimmt war, in das sich die Männer verwandelten. Das Volk der Gestaltwandler war jedenfalls eine von Frauen dominierte Gemeinschaft. Es gab achtmal so viele Frauen wie Männer. Sie waren stets in der Überzahl gewesen, aber durch den Krieg hatte sich dies noch verstärkt.
Der kriegerische Ehrgeiz hatte die Männer dezimiert. In einer solchen Gemeinschaft gab es mächtige matriarchalische Grundsätze, und sie waren ziemlich stolz darauf. Sie waren nicht sehr interessiert daran zu kämpfen, es sei denn, es ging um Nahrungssuche oder um Selbstverteidigung. Aber sich aufzumachen, um einem wehrlosen, unschuldigen Kind etwas anzutun, war für ihr Volk eine unerträgliche Vorstellung. Siena blieb unvermittelt stehen und schnupperte mit zuckenden Ohren, um zu prüfen, ob sie irgendwo Gefahr witterte.
Sie spürte, wie Tiere ins Unterholz flitzten, aber ansonsten war nichts Ungewöhnliches zu bemerken. Sie waren fast zwei Kilometer vom ursprünglichen Kampfplatz entfernt, und in der Nähe gab es einen Fluss. Sie hätte sich die Zeit nehmen können, die restlichen Wunden zu waschen und zu verbinden und so ihre Spuren besser zu verwischen, damit sie nicht aufgespürt werden konnten.
Aber die Sonne brach bereits durch die Bäume, und sobald ihre Strahlen sie erfassten, würde sie zu krank und schwach werden, um es mit ihrer Last bis zu ihrem Zufluchtsort zu schaffen. Obwohl es sie nicht töten würde, wenn sie einen Tag lang im schattigen Wald in der Sonne lag, würde es doch einige Zeit dauern, bis sie sich von der dadurch verursachten Krankheit erholt hätte.
Und das würde den sicheren Tod des Mannes bedeuten. Also entschied sich Siena, das Risiko einzugehen, aufgespürt zu werden. Dort, wo sie hingingen, gab es Wasser, und die Zeit war knapp. Während sie für jemanden, der so eine schwere Last trug, erstaunlich schnell ging, dachte sie wieder über die Dämoninnen nach, die dieses Verbrechen gegen ihren einstigen Gefährten begangen hatten. Sie wusste Bescheid über Ruth und über deren ungute Beziehung zu ihrem Kind. Siena war eine von denen, die den Verrat aufgedeckt hatten.
Es gab kein Tier auf der Welt, das ein Kind in seiner Entwicklung behinderte, indem es ihm verbot, die Höhle oder das Nest zu verlassen und sich allein durchzuschlagen. Irgendwann in der Entwicklungsgeschichte war es zu einer gesellschaftlichen Veränderung bei den menschenähnlichen Zweibeinern gekommen, und sie hatten zugelassen, dass dies möglich und manchmal sogar die Norm wurde. Obwohl die Evolution ein natürlicher Prozess war, hatte Siena dies immer als eine unnatürliche Veränderung empfunden. Menschenähnliche Wesen waren zu einem äußerst abweichenden Verhalten fähig, das der natürlichen Ordnung widersprach, die ein Leben im Einklang mit der Natur verlangte.
Und wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass dies auch auf ihre eigene Spezies zutraf. Auch wenn Lykanthropen in ihren Augen und in den Augen der anderen oft mehr als Tiere denn als Menschen angesehen wurden, so waren sie doch eine Gesellschaft, die ihre Fehler hatte, ihre Widersprüche und Gesetze und in der es einen freien Willen gab. Noch vor zwei Jahrzehnten wäre es ganz undenkbar gewesen, dass sie einem Dämon helfen könnte, noch dazu ausgerechnet diesem Dämon, ja, es wäre sogar Verrat gewesen. Und zugegebenermaßen gab es einige, die dies immer noch so sahen.
Der vorangegangene Krieg zwischen den Dämonen und den Gestaltwandlern war von ihrem Vater geführt worden. Es war eine aggressive Zurschaustellung von Männlichkeit gewesen, ausgelöst durch ein harmloses Ereignis, die dann schnell zu einem Hass auf das ganze Volk der Dämonen eskaliert war. Nach jahrzehntelangen Provokationen begannen die Dämonen dieses Gefühl dann aus ganzem Herzen zu erwidern.
Da Lykanthropen ebenso lange lebten wie Dämonen, war ihr Volk unglücklicherweise jahrhundertelang in die kriegerischen Auseinandersetzungen ihres Vaters verwickelt. Es wuchsen Generationen heran, die sich nicht vorstellen konnten, dass es tatsächlich einmal eine Zeit gegeben hatte, in der Gestaltwandler den Dämonen nicht voller Abscheu begegnet waren. Dies änderte sich allmählich, als sie den Thron bestiegen hatte.
Gleich nachdem ihr die königliche Halskette angelegt worden war, hatte Siena die Kriegserklärung gegen die Dämonen öffentlich aufgehoben. Diese Entscheidung war zunächst nicht sehr populär gewesen, denn die alten feindlichen Gefühle, die schon so lange in den Herzen nisteten, waren schwer zu überwinden. Es hätte sehr leicht erbitterten Widerstand geben können.
Vielleicht war es in diesem Punkt ein Vorteil, dass sie als Frau an der Spitze einer matriarchalischen Gesellschaft stand. Ihre Stimme hatte die Macht, die vielen Frauen zu erreichen, die sich eigentlich nie an sinnlosen Kriegen hatten beteiligen wollen. Ihre Königin musste sie nur immer wieder geduldig daran erinnern. Und während der Frieden andauerte, begann Sienas Volk sich darauf zurückzubesinnen, wie es war, seinen Lebenssinn in etwas anderem zu sehen als in der Vorbereitung auf die nächste Schlacht.
Obwohl sie dazu erzogen worden war, den Dämonen zu misstrauen, und ihr Vater und auch die von ihm ausgewählten Lehrer ihr Vorträge darüber hielten, dass sie hassenswert, weil ,,böse, gesetzlose Kreaturen" seien, hatte das Schicksal eingegriffen und ihr eine Lektion erteilt, die ihre Ansichten über die Dämonen von Grund auf änderte.
Gemäß ihren moralischen Maßstäben und ihrem weiblichen Gerechtigkeitssinn kam für sie nur ein Waffenstillstand infrage, sobald sie die Macht dazu hatte. Sie konnte nicht wirklich ihren Vater und seinen männlichen Charakter für die Probleme und für ihr klägliches Abschneiden als Spezies verantwortlich machen, aber seine aggressive Natur hatte ihnen keinen guten Dienst erwiesen, und jetzt musste sie mit den Folgen umgehen.
Vierzehn Jahre Waffenruhe waren eine erbärmlich kurze Spanne gegenüber fast dreihundert Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen. Frieden zu halten war schwierig, und es ging nur in kleinen Schritten. Jede unbedachte Handlung konnte die zerbrechliche Harmonie wieder zerstören.
© 2010 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Jacquelyn Frank
Jacquelyn Frank wurde in New York geboren und lebt heute in North Carolina.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jacquelyn Frank
- 2010, 2. Aufl., 400 Seiten, Maße: 12,4 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Schmitz, Ralf u. Krätzer, Anita
- Übersetzer: Ralf Schmitz, Anita Krätzer
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802582381
- ISBN-13: 9783802582387
- Erscheinungsdatum: 07.04.2010
Pressezitat
"Ein Buch wie köstliche Schokolade - es ist dunkel, verführerisch und befriedigt jegliche Gelüste." JoAnn Ross
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