Schneegeflüster
Liebesgeschichten zur Weihnachtszeit. Originalausgabe
"Romantisch und sehr witzig." -- Freundin
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
8.99 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Schneegeflüster “
"Romantisch und sehr witzig." -- Freundin
Klappentext zu „Schneegeflüster “
Alle Jahre wieder doch voller Überraschungen: WEIHNACHTENWeihnachten ist das Fest der Liebe. Wirklich? Aber was, wenn man auf einer eingeschneiten Berghütte mit dem Mann vom Elektro-Notdienst festsitzt? Auf einem Filmset arbeitet, wo gerade die neue Sommerserie in Szene gesetzt wird? Oder vor der Himmelspforte aufwacht, wo einen gleich drei verstorbene Ehemänner in Empfang nehmen? Hera Lind, Rebecca Fischer, Steffi von Wolff, Andrea Vanoni und viele andere schreiben in bisher unveröffentlichten Originalgeschichten von großen Gefühlen und kleinen Pannen in der schönsten Zeit des Jahres.
"Romantisch und sehr witzig." -- Freundin
"Es ist ein wunderbar kurzweiliges Buch für kalte Winter-Abende." -- Christine Böhringer, Alles für die Frau
"Es ist ein wunderbar kurzweiliges Buch für kalte Winter-Abende." -- Christine Böhringer, Alles für die Frau
Lese-Probe zu „Schneegeflüster “
Schneegeflüster von Uta RupprechtVORWORT DER HERAUSGEBERIN
Kerzenschein an langen adventsnachmittagen, der Geschmack
von süßem plätzchenteig, das gespannte Warten,
bis die Wohnzimmertür endlich aufgeht und das silbrige
Klingeln eines Glöckchens - mit Weihnachten verbinde ich
ganz besondere Kindheitserinnerungen. Und bis heute ist
diese Zeit für mich erfüllt von Wärme und Zuneigung, von
Gemeinsamkeit und Freude. Kann es da ein einfacheres
thema für eine anthologie geben als Liebe und Weihnachten?
Sollte nicht jedem autor auf der Welt sofort eine
schöne Geschichte einfallen?
Wie naiv. Womit ich nicht gerechnet hatte, war das erstaunlich
weit verbreitete phänomen der Weihnachtsallergie:
»Bleib mir bloß weg mit Weihnachten! Diese heuchelei
konnte ich noch nie ab.«
»Liebe und Weihnachten? Du meinst wohl die Leute, die
sich an heiligabend zusaufen, weil sie noch oder schon
wieder allein sind.«
»Weihnachten? Irrsinniger Konsum, hektik und Familien-
krach. Das tu ich mir schon seit Jahren nicht mehr an.«
Fünfzehn autorinnen und autoren haben sich dennoch
an dieses hochsensible thema gewagt. In ihren Weihnachtsliebesgeschichten
duftet es zwar köstlich nach Zimt und
Vanille, und dennoch ist das Weihnachtsfest in Schneegeflüster
eher das Gegenteil der klischeehaften abziehbilder
einer glücklichen Familie mit den üblichen zwei Kindern,
die unterm christbaum strahlend Geschenke auspacken.
Idylle ist da nicht so angesagt.
... mehr
auch unter den hauptfiguren im Buch gibt es solche, die
beim Gedanken an Feiertage mit der Familie pickel bekommen.
Oder sie haben ihr Leben gleich so eingerichtet, dass
sie sich um die Weihnachtszeit auf der anderen Seite des
erdballs befinden. es gibt auch einige Fälle von akutem
Weihnachtshass, oder die Festfreude wird durch ein Lebensdrama
vergällt - denn auch an Weihnachten ist für so
manchen die Welt alles andere als heil.
aber den meisten heldinnen und helden in diesen erzählungen
ergeht es einfach nur wie uns allen: aus dem atemlosen
alltag rauschen sie in die Festtage, bremsen aus vollem
Lauf ab und sammeln, wenn es gut geht, vorher noch
ein paar Geschenke ein.
In der hektik kann es natürlich leicht zu Kollisionen kommen.
Bei der Betriebsweihnachtsfeier genügt ein Funke, um
den christbaum in Brand zu setzen und eine unabsehbare
Folge von ereignissen auszulösen; eine tür fällt ins Schloss,
und während man auf den Schlüsseldienst wartet, lernt man
seine Nachbarn von einer ganz neuen Seite kennen; oder
der vorweihnachtliche Stress nimmt derart überhand, dass
man überstürzte und unvorsichtige entscheidungen trifft ...
Manche versuchen auch, das Fest völlig zu ignorieren.
Sie sperren sich allein in der Wohnung ein, fahren in die
Karibik oder ziehen sich auf eine einsame Berghütte zurück,
um nichts zu sehen und zu hören, was mit Glockengebimmel,
Geschenkstress und trautem Beisammensein
unterm christbaum zu tun hat. allerdings schützt auch das
nicht immer vor Weihnachten - und schon gar nicht vor
der Liebe.
Für einige Menschen ist natürlich auch in diesen Geschichten
Weihnachten ein höhepunkt des Jahres. Sie freuen
sich auf die Festtage, stürzen sich begeistert in die Vorbereitungen.
Nur kommt ihnen dann manchmal die Schwiegermutter,
der trotz der tochter oder das Wiedersehen mit einer
alten Liebe dazwischen.
Doch war Weihnachten früher idyllischer? Die Geschichten,
die uns in vergangene Zeiten entführen, erzählen von
bunten Weihnachtsmärkten und erotischen Weihnachtsrevuen
- aber auch von bitterer armut, gesellschaftlichen
Zwängen und Krieg. Ob man den heutigen Konsumwahn
und die hektik der Vorweihnachtszeit dagegen eintauschen
wollte?
Dennoch, bei all den pannen, pleiten und Katastrophen
sind diese Weihnachtsliebesgeschichten von einem sanften
Zauber durchweht, der sich nicht nur aus Kerzenschein,
plätzchenduft und sentimentaler Musik speist, sondern vor
allem aus dem, was dieses Fest in der dunkelsten Zeit des
Jahres zu etwas so Besonderem macht: Weihnachten, ob
man es liebt oder nicht, ist ein Innehalten, ehe nach Silvester
das neue Jahr beginnt, der alltag wieder einsetzt und die
tage allmählich heller werden. In dieser auszeit zwischen
den Jahren kann alles geschehen - sogar Wunder.
Da wird auf einmal die Vergangenheit lebendig: ein alter
Mann erlebt noch einmal das schönste Weihnachtsfest seines
Lebens, ein Soldat kehrt nach Jahrzehnten zurück und
findet seine damalige Geliebte, eine Frau trifft ihre drei
ehemänner wieder und verliebt sich neu.
Und es werden Wünsche erfüllt: ein altes Rätsel löst sich,
ein geliebter Mensch kommt zurück, eine schwierige aufgabe
wird bewältigt - und die große Liebe scheint plötzlich
zum Greifen nah. Manchmal braucht es dazu die hilfe geheimnisvoller
Wesen, die man nicht aus den traditionellen
Weihnachtslegenden kennt. Wer hätte schon je von einem
Weihnachtsvampir, von Weihnachtsklonen oder Weihnachtsgespenstern
gehört oder wäre einer beschwipsten Weihnachtsfee
begegnet?
Doch die Magie, die am ende aus dem chaos rettet und
alles verzaubert, die ist dann doch altbekannt: die Liebe,
die, auf welche Weise auch immer, allen heldinnen und
helden ein hoffnungsfroh glimmendes oder strahlend
leuchtendes Weihnachtslicht entzündet.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dass auch
für Sie dieses Licht immer brennt.
Ihre Uta Rupprecht
SUSANNE BECKER
Morgen, Inka, wird's was geben
Vor dem Fenster wirbelten die Schneeflocken wild durcheinander.
Die eisblumen an den Scheiben bildeten glitzernde
Muster, in denen sich das Licht brach. »perfekt«, dachte
Inka, die außenrequisiteurin des Weihnachtsfilms, und warf
einen abschätzenden Blick auf das Kaminfeuer. Die winterliche
Idylle war ihnen auf jeden Fall gut gelungen. »aus«,
kam es scharf von hinten, »noch eine!« - »Dann hau ich
schnell ab«, flüsterte Inka ihrer Innenrequisiteurin Sabine
zu, während das gesamte Filmteam in Bewegung geriet, um
die Vorbereitungen für den nächsten take zu treffen. »Ich
fahr noch mal kurz ins Büro, bis Mittag bin ich wieder da.
Viel Spaß beim Kuscheln am Kamin.« - »Danke.« Sabine
grinste und schnitt eine Grimasse. »Ich komme mir schon
vor wie meine Bratäpfel.«
»Wir gehen auf anfang!«, rief der aufnahmeleiter streng,
und Inka verließ eilig den Raum, um rechtzeitig vor Beginn
der nächsten aufnahme draußen zu sein. als sie die haustür
der Villa, die der hauptdrehort war, öffnete, schlug ihr
trocken-warme Sommerluft entgegen. Die Sonne blendete
derartig grell, dass sie für einen Moment die augen schließen
musste. Schlimm genug, dass sie im Juli an einem
Weihnachtsfilm arbeitete. War es da nötig, dass der temperaturunterschied
zwischen Wirklichkeit und Fiktion gefühlte
hundert Grad betrug? Inka warf einen letzten Blick in den
Garten, wo die Special-effect-Jungs es mitten im Sommer
vor den Wohnzimmerfenstern kräftig schneien ließen. Immerhin
war das ja das Reizvolle an der Filmarbeit: die herstellung
einer perfekten Illusion, die für den Zuschauer von
der Realität nicht zu unterscheiden war.
Vorbei an Zellulosesäcken und weißen Schaumstoffmatten
lief Inka zu ihrem Volvo, wartete ab, bis der praktikant
pflichtbewusst das ende der aufnahme nach draußen weitergegeben
hatte, und fuhr dann mit aufheulendem Motor
davon. Bis zur Mittagspause hatte sie noch einiges zu tun.
Für die kommende Woche mussten zwei pferdeschlitten
aufgetrieben, alle Drehplanänderungen mit dem Fahrzeug-
verleih abgestimmt sowie die Versicherung der Filmautos
organisiert werden.
Im Radio lief »Like Ice in the Sunshine«, und Inka drehte
etwas lauter. Sie war froh, sich wenigstens eine Weile
nicht mit Winter, Schnee und Weihnachten beschäftigen zu
müssen.
einige Sommer-und partylieder später hielt sie mit ihrem
Wagen auf dem parkplatz vor dem Gebäudekomplex, in
dem auch die Requisiteure des Filmprojekts »Wintertraum«
ein Büro bekommen hatten. Sie hob den holzschlitten, der
bereits seit gestern abgedreht war, aus dem Kofferraum und
nahm ihn vorsichtshalber mit nach oben. Schließlich durfte
sie auf keinen Fall vergessen, dass er bis morgen zurück im
ausstattungsfundus sein musste, damit sie nicht noch eine
weitere Woche Leihgebühr zahlen mussten.
Die neuesten Drehplanänderungen waren für die Mitarbeiter
des Filmfahrzeuge-Verleihs glücklicherweise kein
problem, wie Inka kurz darauf am telefon erfuhr. auch
nach über zehn Jahren Dreherfahrung hatte sie sich noch
nicht ganz daran gewöhnt, dass es immer wieder zu extrem
kurzfristigen Verschiebungen von Szenen kam. So zitterte
sie immer noch vor derartigen telefonaten und war erst
ruhiger, wenn das erforderliche Requisit für den neuen termin
zugesichert war. Glücklicherweise hatte sie es meistens
mit sehr filmerfahrenen Geschäftspartnern zu tun, für die
die Unwägbarkeit des Drehalltags keine Überraschung war.
Gerade als Inka den hörer erneut abnehmen wollte, um
sich zu einem pferdeschlitten-Verleih durchzutelefonieren,
klingelte der apparat. Sie hob ab und kam nicht einmal
dazu, sich zu melden. »Gut, dass ich dich erreiche«, rief ihr
Sabine aufgeregt ins Ohr. Gar kein gutes Zeichen, denn die
Innenrequisiteurin war nach knapp zwanzig Jahren am Set
normalerweise kaum aus der Ruhe zu bringen. »Komm bitte
ganz schnell her, die sind mal wieder munter am Umstellen!
Ich hab's nur nebenbei mitgekriegt, es hört sich aber aufwändig
an.« auch das noch! Immer wenn sie sich bei einem
Dreh gut vorbereitet fühlte, geschah garantiert noch etwas
Unerwartetes. hoffentlich ist es wenigstens nicht allzu
schlimm, dachte Inka und verließ eilig das Büro.
auf dem Rückweg zur Villa überlegte sie, was sie jetzt
wohl erwarten würde. Gut die hälfte des Weihnachtsfernsehfilms
»Wintertraum« war ohnehin im Kasten. Idyllischromantische
abende am Kaminfeuer, Glühweintrinken auf
dem von der ausstattungsabteilung hübsch gestalteten
christkindlmarkt und einige Szenen in einer üppigen Barockkirche
hatte das team bereits gedreht. Bis auf eine einsame
Skihütte in den Bergen waren die wichtigsten Motive
demnach schon erledigt. Und falls die Szenen in der Skihütte
vorgezogen werden sollten, gab es vermutlich keine probleme,
da das urige holzhäuschen jetzt im Sommer sowieso
nicht benutzt wurde. Der Raum war schon seit einer Woche
fertig eingerichtet, die Schneemacher vom Special-effect
mussten nur noch ihre weiße pracht nach oben schaffen.
Die ausstattung konnte demnach in Kürze drehfertig sein.
Innerlich derart gewappnet kam Inka etwa zwei Stunden,
nachdem sie ihn verlassen hatte, wieder zurück zum Drehort.
Die Jungs vor den Wohnzimmerfenstern ließen gerade
wieder ihre Flöckchen fallen, die aufnahme war also in
vollem Gange. als kurz darauf von drinnen das »aus« des
Regisseurs zu hören war, betrat sie die Villa und sah schon
vom Foyer aus, dass ein paar Leute um den produktionsleiter
und den Regisseur herumstanden und die Köpfe zusammensteckten.
Sabine hatte recht, das ließ auf weitreichende
Änderungen schließen. Fast hätte man eine Verschwörung
vermuten können.
»Gut, dass du kommst«, rief ihr Miriam, die ausstatterin,
entgegen, »wir haben ein kleines problem! Die haben ein
bisschen was geändert.« - »Dann mal raus mit der Sprache!«
Inka wollte lieber früher als später wissen, was ihr in den
nächsten tagen an zusätzlicher arbeit bevorstand. henning,
der produktionsleiter, fasste sie mit beiden händen an den
Schultern und blickte ihr fest in die augen: »Wir brauchen
für unsere Fernsehfamilie Windstetter bis morgen einen
richtig romantischen heiligabend mit allem Drum und
Dran.« Inka sah alle vier augenpaare erwartungsvoll auf
sich gerichtet und war sich nach einer kurzen Schrecksekunde
sicher, dass es sich nur um einen üblen Scherz handeln
konnte. Das war bis morgen unmöglich zu schaffen.
»Sehr witzig«, konterte sie daher und grinste, »und was ist
jetzt wirklich das problem?«
»tut uns leid, etwas einfacheres haben wir nicht zu bieten
«, erklärte Regisseur Dieter ohne ein Lächeln, »die Redaktion
möchte die Versöhnung der Familie nun doch ganz
klassisch unterm christbaum haben. Macht ja auch wirklich
mehr her.« - »pfffh, das sagt sich so leicht. Wie soll das
denn bis morgen gehen? Könnt ihr den heiligabend nicht
wenigstens ans ende der Drehzeit legen? Die Villa bekommen
wir da sicher noch einmal für ein oder zwei tage.«
Inka begriff allmählich, dass diese hiobsbotschaft absoluter
ernst war. trotzdem wollte sie noch nicht glauben, dass es
keine andere Möglichkeit gab, als den Weihnachtsabend
»mit allem Drum und Dran« schon am kommenden tag zu
drehen. Doch henning zerstörte ihre letzten hoffnungen.
»Geht leider nicht«, sagte er, »nach den neuesten textänderungen
brauchen wir für die Szene mindestens zwei Drehtage,
und die Oma ist ab nächste Woche gesperrt. ein Nachdreh
kommt auch nicht infrage, dafür ist keine Zeit mehr.
Wir müssen unbedingt rechtzeitig in den Schnitt, wenn wir
bis Weihnachten fertig sein wollen. Der zweiundzwanzigste
Dezember ist Sendetermin.«
»es hilft nichts, da musst du jetzt durch«, sagte Miriam
in besänftigendem tonfall. »Du hast gut reden«, erwiderte
Inka aufgebracht, »du bist ja schon wieder beim nächsten
Film. Mit dir ist vermutlich nicht zu rechnen, oder?« -
»Leider nein, aber falls du ein paar Nummern oder adressen
brauchst, kannst du dich jederzeit melden. Ich muss
jetzt leider auch los.« Und damit war die ausstatterin verschwunden.
Inka ging zu Sabine und flüsterte ihr genervt zu: »Die Mittagspause
ist für mich gestrichen. Ich darf jetzt mal schnell
einen idyllischen heiligabend basteln.« - »Ich hab die Szenen
gerade gelesen«, raunte die Requisiteurin zurück, »da steht
vom christbaum über plätzchen und Lebkuchen bis hin zum
Mistelzweig wirklich alles drin. Das volle programm.« Sie
drückte ihr die sozusagen druckfrischen Drehbuchseiten in
die hand und lief zurück ans Set. Dort verlangte die hauptdarstellerin
inzwischen lauthals nach jemandem, der imstande
war, das Kaminfeuer wieder in Gang zu bringen, weil sie
sich sonst bei der probe nicht so richtig in ihre Rolle hineinversetzen
könne. »Ich brauch das einfach fürs Gefühl«, hörte
Inka sie noch tönen, ehe sie die tür der Villa hinter sich zufallen
ließ und aus der Winteridylle wieder in den hochsommer
trat.
Im Volvo hatte die Mittagssonne inzwischen eine brütende
hitze erzeugt, und Inka machte sich leicht panisch erneut
auf den Weg ins Büro. Diesmal fehlte ihr allerdings jeder
Nerv für das schöne Wetter oder die fröhliche Radiomusik.
Wie nur sollte man sich bei diesen in jeder hinsicht kontraproduktiven
temperaturen auf die höchst eilige Organisation
eines Weihnachtsabends konzentrieren? es lag natürlich
in der Natur der Sache: Was im Dezember im Fernsehen
laufen sollte, musste schon Mitte des Jahres gedreht werden.
Normalerweise kein problem, aber mitten im Sommer
war es fast unmöglich, so kurzfristig irgendwo christbaumschmuck,
Lebkuchen und Stollen aufzutreiben. Das bekannte
Weihnachtslied »Morgen, Kinder, wird's was geben« bekam
da wirklich eine völlig neue Dimension.
am Schreibtisch angekommen, hängte sich Inka sofort
ans telefon und rief zunächst Frank, den Gärtner, an, der
ihr für jeden Film die nötigen Gewächse lieferte und auch
schon den Riesenchristbaum für den Dreh am Weihnachtsmarkt
besorgt hatte. Das war das einzig angenehme an
diesem spontanen heiligabend. Inka mochte Frank sehr gern
und freute sich jedes Mal, wenn sie mit ihm arbeiten konnte.
Für diese produktion war die Zusammenarbeit eigentlich
schon abgeschlossen gewesen, umso glücklicher war Inka
über die erneute Gelegenheit zur Kontaktaufnahme. allerdings
wurde es sogar für den versierten Gärtner jetzt knapp.
»Du weißt, ich würde dir so ziemlich jeden Gefallen der Welt
tun«, begann er, und seine Stimme ließ Inka ein leichtes
Kribbeln im Bauch spüren, »aber da sehe ich wirklich schwarz.
Die andere tanne war schon nicht so einfach aufzutreiben.
« - »es muss gar nicht unbedingt eine tanne sein, ne
Fichte tut's auch«, flehte Inka. - »Na gut, ich sehe, was ich
tun kann und melde mich dann.«
auch die anderen Zulieferer machten Inka keine großen
hoffnungen. Die Bäckereien lehnten es allesamt entschieden
ab, mitten im Juli über Nacht eine ganze Batterie verschiedener
plätzchen, Kipferl, Lebkuchen und Stollen zu
backen. Dekorations-und Bastelgeschäfte hatten frühestens
ab September weihnachtliches Zubehör auf Lager, nicht
einmal christbaumkerzen waren im Sommer irgendwo zu
bekommen. Und von heute auf morgen schon gar nicht.
Basta.
Nachdem sich Inka am telefon unzählige Lachanfälle, Beleidigungen
und Überraschungsausrufe angehört hatte und
als einziges Resultat eine übrig gebliebene Weihnachtspyramide
»mit ein paar kleinen Mängeln« vorweisen konnte, leg-
te sie entmutigt den hörer auf. Sie war den tränen nahe. Wie
nur sollte sie bis morgen einen idyllischen heiligabend auf
die Beine stellen, wenn sich die ganze Stadt in ihrer Sommerlaune
offensichtlich gegen sie verschworen hatte?
»einmal werden wir noch wach ...« Von wegen »heißa«!
Inka sah panisch auf ihre armbanduhr. halb zwei. Bis man
am Set zur ersten probe das »Oh, du fröhliche« anstimmen
würde, blieben ihr knapp zwanzig Stunden, von denen nur
etwas mehr als sechs mit den allgemeinen Ladenöffnungszeiten
konform gingen. Kurz entschlossen schnappte sie
sich den autoschlüssel vom Schreibtisch, lief aus dem Büro
und eilte die treppen hinunter zu ihrem Volvo, der inzwischen
einer gut beheizten Sauna glich. Sie ließ alle Fenster
hinunter und machte sich auf den Weg Richtung Innenstadt.
Wenn sie morgen um neun nicht zum ersten Mal in
ihrem Requisiteursleben mit leeren händen dastehen und
sich vor der gesamten Filmcrew bis auf die Knochen blamieren
wollte, dann musste sie jetzt schnellstens improvisieren.
Unterwegs rief sie vom handy aus Sabine an, um sie über
den nicht gerade erfreulichen Stand der Dinge auf dem
Laufenden zu halten. Die Kollegin versprach, sich ebenfalls
Gedanken zu machen, welche weihnachtlichen Quellen sich
noch anzapfen ließen. Wenigstens auf eine Mitarbeiterin
war Verlass.
Unterdessen war Inka vor einem großen Supermarkt angekommen.
Sie parkte ihr auto und rollte mit einem einkaufswagen
zu den Backzutaten. In Windeseile flogen große
Mengen Mehl, Zucker, Zimt, Rosinen, Nüsse und Mandeln
in das Gefährt. Kurze Zeit später kamen noch Vanille- und
puderzucker, Kokosflocken, Kakao, Schokoglasur, Oblaten
und Marzipan dazu. Nun noch Butter, eier, Milch, und
die weihnachtliche Backwerkstatt war so gut wie eröffnet.
»Schmecken muss es ja nicht«, murmelte Inka vor sich hin,
als sie mit dem vollgepackten Wagen zur Kasse schlitterte,
»reicht schließlich, wenn es echt aussieht.«
Danach fuhr sie zu einem Großhandel für Dekorationsbedarf
und füllte den Rest des Kofferraums mit einigen Rollen
Gold- und Silberfolie, verschiedenfarbigem Krepp- und Geschenkpapier,
breiten und schmalen Bändern, ein paar glitzernden
Girlanden und glänzenden Stoffen mit und ohne
Muster. Geschafft. Inka plumpste erschöpft hinter ihr Lenkrad
und sah erneut auf die Uhr. halb sieben. Gerade als sie
den Motor starten wollte, klingelte ihr handy. »Ich hab deinen
christbaum«, kam Franks Stimme aus dem Lautsprecher,
»wo soll er denn hin?« Inka fiel ein Stein vom herzen.
Dass es mit dem Baum tatsächlich geklappt hatte! Frank
war einfach ein Schatz. »am besten gleich in die Villa«,
sagte sie. »Ich bin in zehn Minuten dort und fange mit den
Vorbereitungen an. Wann kannst du kommen?« - »Spätestens
um neun bin ich da. christbaumständer bringe ich
auch gleich mit!«
So einen Mann müsste man haben, dachte Inka verträumt,
während sie an einer roten ampel wartete. tatkräftig,
patent und hilfsbereit. Doch bestimmt hatte so einer
schon längst eine Frau an seiner Seite. Schlecht sah er nämlich
auch nicht aus.
als sie gegen halb acht wieder an der Villa ankam, war
kurz zuvor Drehschluss gewesen und das team bereits im
aufbruch begriffen. Sabine machte sich gerade daran, das
Geschirr der letzten Szene zu spülen, während Inka die diversen
Kisten und tüten mit ihren einkäufen ins haus trug.
Jetzt war sie sehr froh, dass die ausstattungsabteilung für
diesen Film eine funktionsfähige Küche in die seit Langem
unbewohnte Villa eingebaut hatte. Sonst hätte sie sich
kaum so hals über Kopf ins plätzchenbacken stürzen können.
»Sorry, ich kann dir heute leider nicht helfen. Ich muss
gleich nach hause«, sagte Sabine entschuldigend, während
sie sich die nassen hände am Geschirrtuch abtrocknete. »Ich
hab da aber noch was für dich.« Grinsend nahm sie eine cD
vom Küchentisch und hielt sie Inka hin. »christmas Forever«
stand darauf in kitschigen Lettern und darunter: »Die beliebtesten
Weihnachtssongs aller Zeiten«.
»Vielen Dank.« Inka wusste nicht, ob sie lachen oder weinen
sollte. Die aussicht, eine Nacht allein mit einem haufen
arbeit in einer einsamen Villa verbringen zu müssen, stimmte
sie nicht gerade übermäßig froh.
Sobald Sabine gegangen war, suchte sie als erstes im von
ihr selbst eingerichteten Bücherregal der Villa nach einem
Backbuch. Darin fand sie auch einige Rezepte für Weihnachtsplätzchen,
Lebkuchen und Stollen, glücklicherweise
mit farbigen abbildungen. Das aussehen des Gebäcks war
schließlich immens wichtig - im Gegensatz zum Geschmack.
»Wirkung vor Logik«, murmelte sie den beim Film viel zitierten
Spruch vor sich hin. Dann legte sie die cD von Sabine
ein und sorgte mit einem tastendruck dafür, dass sie automatisch
immer wieder von vorne beginnen würde. Schließlich
war die Nacht noch lang. »I'm dreaming of a white
christmas«, schmetterte Bing crosby durch die Küche und
verbreitete damit durchaus etwas Weihnachtsstimmung.
Leise vor sich hin summend mischte Inka Butter, Zucker,
eier und Mehl zu einer festen Masse und teilte sie in vier
teile, von denen sie je einen mit Kakao, Nüssen, Zimt und
Rosinen vermengte. Dann formte sie aus den verschiedenen
teigsorten taler, Kipferl, Kugeln und Schnitten und hatte im
Nu mehrere Bleche mit den unterschiedlichsten plätzchen
belegt. Manche der flach geformten Gebäckstücke verzierte
sie noch mit einer Nuss oder Mandel in der Mitte, bevor sie
die erste hälfte in den vorgeheizten Ofen schob. als sie
gerade dabei war, die Schokolade für die Glasur zu schmelzen,
klingelte es. »Jingle bells, jingle bells«, trällerte Inka
äußerst treffend und lief zur tür.
»Von drauß' vom Walde komm ich her«, brummte Frank
mit verstellter Stimme, als sie ihm öffnete, »ich muss euch
sagen, es weihnachtet sehr.« - »Da hast du gar nicht so unrecht
«, meinte Inka und musterte entzückt die üppige tanne
an seiner Seite. »Super«, sagte sie voller Begeisterung, »die
ist viel schöner, als ich zu hoffen gewagt habe.« - »Bei dir
scheint es aber auch nicht schlecht zu laufen. Deine Laune
ist jedenfalls deutlich besser als heute Mittag.« - »Stimmt.
Ich hätte gar nicht gedacht, dass diese arbeit so einen Spaß
machen kann«, gab Inka zu und half dem Gärtner, den sperrigen
Baum heil ins Wohnzimmer zu verfrachten. Dort stellte
sich jedoch heraus, dass die tanne etwas zu hoch für den
Raum war.
»Kein problem, hier gibt's doch bestimmt irgendwo eine
Säge.« Frank war zum Glück nicht der typ, der lange fackelte,
wenn Not am Mann war. »Wo ist denn der Keller? Ich
geh mal suchen, und du solltest unbedingt nach deinen
plätzchen schauen.« Die hätte Inka vor lauter Begeisterung
fast vergessen. es duftete inzwischen schon köstlich nach
Nüssen und Zimt, und mit einem Blick in den Ofen stellte sie
fest, dass das Gebäck bereits eine kräftige Farbe angenommen
hatte. Schnell nahm sie die Bleche heraus und schob
den nächsten Schwung hinein, während Frank mit der im
Keller gefundenen Säge den christbaum auf die richtige
Länge kürzte.
»Wie sieht's denn im Keller aus? Kann ich da meine
plätzchen bis morgen lagern?« Inka war in Gedanken schon
einen Schritt weiter. Bleche voll mit Weihnachtsgebäck wären
schließlich beim Dreh am nächsten tag nur im Weg. es
genügte, wenn Sabine sich dann immer so viel davon nach
oben holen konnte, wie sie für die jeweilige Szene benötigte.
»Klar, platz ist unten genug«, rief Frank aus dem Wohnzimmer
und kurz darauf: »Dein Baum steht!« Inka, die soeben
die fertigen Nusstaler mit Schokolade glasiert hatte,
lief gespannt zu ihm und stand beeindruckt vor der wirklich
imposanten tanne. »Ich danke dir tausendmal!« Inka strahlte
ihren Retter an und fiel ihm erleichtert um den hals.
»Sehr gern ... wirklich«, sagte Frank und sah ihr einen Moment
länger als üblich in die augen. »Last christmas I gave
you my heart«, dudelte der cD-player in der Küche, und
Inka wurde die ungewohnte Nähe zwischen ihnen bewusst.
Verlegen löste sie sich etwas zu abrupt aus der Umarmung
und lief geschäftig wieder zu ihren plätzchen.
»Vielleicht sollte ich den Keller lieber abschließen«, rief
sie aus der Küche. »Nicht dass das gesamte team über die
plätzchen herfällt, bevor sie abgedreht sind. Das würde jetzt
noch fehlen!« Und schon kam sie zurück, in der hand einen
fertigen Schokotaler: »probier mal!« - »Damit du mir dann
vorwirfst, dass ich schon vor dem Dreh deine Requisiten
zerstöre?« Frank grinste, biss aber trotzdem hinein und lobte
das aussehen und sogar den Geschmack. Dabei trafen
sich ihre Blicke erneut, und Inka spürte wieder dieses leichte
Kribbeln in der Magengegend. Um sich ihre Unsicherheit
nicht anmerken zu lassen, wandte sie sich unvermittelt ab
und versuchte Frank abzulenken. »Ich suche gleich mal den
Kellerschlüssel«, sagte sie schnell. Fast fluchtartig lief sie in
die Küche und hörte nur noch, wie Frank ihr nachrief: »Und
ich bringe kurz die Säge wieder runter.«
Mit einer handvoll verschiedener, teils rostiger Schlüssel,
die sie für den Dreh in der Villa bekommen hatten, stand
Inka schließlich vor der oberen Kellertür im Flur. Da kein
einziger beschriftet war, musste sie erst einige ausprobieren,
bis sie den richtigen gefunden hatte. Doch dieser verschloss
zuverlässig den Zugang zum plätzchenversteck. »Bring mir
wenigstens noch ein paar von deinen Köstlichkeiten, bevor
du mich hier einschließt!« Frank hatte das Werkzeug verstaut
und drückte nun von innen mehrmals die Klinke hinunter.
erst jetzt fiel Inka auf, dass er noch im Keller war. »Moment
... ich hab nur probiert, ob der Schlüssel schließt«, rief
sie und wollte wieder aufsperren. Doch der Schlüssel schien
irgendwie zu klemmen, und als sie ihn noch einmal mit aller
Kraft zu drehen versuchte, brach er ab.
»Uuups«, entfuhr es ihr. »Was ist los?«, kam es von der
anderen Seite der tür. Nun wurde Inka bewusst, was geschehen
war. Sie hatte soeben einen Mann, für den sie sich sehr
interessierte und dem sie offensichtlich auch nicht gleichgültig
war, im Keller einer alten, unbewohnten Villa eingesperrt.
Wie romantisch. »christmas will be just another
lonely day«, sang Brenda Lee in der Küche, und Inka hoffte
inständig, dass diese Zeile für Frank nicht grausame Wirklichkeit
würde. Zunächst einmal musste sie ihm die Sachlage
erklären. »Ich rufe mal kurz beim Schlüsseldienst an«,
sagte sie durch die tür, das musste vorerst genügen. Schnell
lief sie in die Küche, wo ihr handy lag.
copyright © 2010 by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random house Gmbh
Umschlaggestaltung | © t. mutzenbach design, München
herstellung | helga Schörnig
Satz | christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich
Druck und Bindung | GGp Media Gmbh, pößneck
printed in Germany 2010
978-3-453-35563-7
www.diana-verlag.de
auch unter den hauptfiguren im Buch gibt es solche, die
beim Gedanken an Feiertage mit der Familie pickel bekommen.
Oder sie haben ihr Leben gleich so eingerichtet, dass
sie sich um die Weihnachtszeit auf der anderen Seite des
erdballs befinden. es gibt auch einige Fälle von akutem
Weihnachtshass, oder die Festfreude wird durch ein Lebensdrama
vergällt - denn auch an Weihnachten ist für so
manchen die Welt alles andere als heil.
aber den meisten heldinnen und helden in diesen erzählungen
ergeht es einfach nur wie uns allen: aus dem atemlosen
alltag rauschen sie in die Festtage, bremsen aus vollem
Lauf ab und sammeln, wenn es gut geht, vorher noch
ein paar Geschenke ein.
In der hektik kann es natürlich leicht zu Kollisionen kommen.
Bei der Betriebsweihnachtsfeier genügt ein Funke, um
den christbaum in Brand zu setzen und eine unabsehbare
Folge von ereignissen auszulösen; eine tür fällt ins Schloss,
und während man auf den Schlüsseldienst wartet, lernt man
seine Nachbarn von einer ganz neuen Seite kennen; oder
der vorweihnachtliche Stress nimmt derart überhand, dass
man überstürzte und unvorsichtige entscheidungen trifft ...
Manche versuchen auch, das Fest völlig zu ignorieren.
Sie sperren sich allein in der Wohnung ein, fahren in die
Karibik oder ziehen sich auf eine einsame Berghütte zurück,
um nichts zu sehen und zu hören, was mit Glockengebimmel,
Geschenkstress und trautem Beisammensein
unterm christbaum zu tun hat. allerdings schützt auch das
nicht immer vor Weihnachten - und schon gar nicht vor
der Liebe.
Für einige Menschen ist natürlich auch in diesen Geschichten
Weihnachten ein höhepunkt des Jahres. Sie freuen
sich auf die Festtage, stürzen sich begeistert in die Vorbereitungen.
Nur kommt ihnen dann manchmal die Schwiegermutter,
der trotz der tochter oder das Wiedersehen mit einer
alten Liebe dazwischen.
Doch war Weihnachten früher idyllischer? Die Geschichten,
die uns in vergangene Zeiten entführen, erzählen von
bunten Weihnachtsmärkten und erotischen Weihnachtsrevuen
- aber auch von bitterer armut, gesellschaftlichen
Zwängen und Krieg. Ob man den heutigen Konsumwahn
und die hektik der Vorweihnachtszeit dagegen eintauschen
wollte?
Dennoch, bei all den pannen, pleiten und Katastrophen
sind diese Weihnachtsliebesgeschichten von einem sanften
Zauber durchweht, der sich nicht nur aus Kerzenschein,
plätzchenduft und sentimentaler Musik speist, sondern vor
allem aus dem, was dieses Fest in der dunkelsten Zeit des
Jahres zu etwas so Besonderem macht: Weihnachten, ob
man es liebt oder nicht, ist ein Innehalten, ehe nach Silvester
das neue Jahr beginnt, der alltag wieder einsetzt und die
tage allmählich heller werden. In dieser auszeit zwischen
den Jahren kann alles geschehen - sogar Wunder.
Da wird auf einmal die Vergangenheit lebendig: ein alter
Mann erlebt noch einmal das schönste Weihnachtsfest seines
Lebens, ein Soldat kehrt nach Jahrzehnten zurück und
findet seine damalige Geliebte, eine Frau trifft ihre drei
ehemänner wieder und verliebt sich neu.
Und es werden Wünsche erfüllt: ein altes Rätsel löst sich,
ein geliebter Mensch kommt zurück, eine schwierige aufgabe
wird bewältigt - und die große Liebe scheint plötzlich
zum Greifen nah. Manchmal braucht es dazu die hilfe geheimnisvoller
Wesen, die man nicht aus den traditionellen
Weihnachtslegenden kennt. Wer hätte schon je von einem
Weihnachtsvampir, von Weihnachtsklonen oder Weihnachtsgespenstern
gehört oder wäre einer beschwipsten Weihnachtsfee
begegnet?
Doch die Magie, die am ende aus dem chaos rettet und
alles verzaubert, die ist dann doch altbekannt: die Liebe,
die, auf welche Weise auch immer, allen heldinnen und
helden ein hoffnungsfroh glimmendes oder strahlend
leuchtendes Weihnachtslicht entzündet.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, dass auch
für Sie dieses Licht immer brennt.
Ihre Uta Rupprecht
SUSANNE BECKER
Morgen, Inka, wird's was geben
Vor dem Fenster wirbelten die Schneeflocken wild durcheinander.
Die eisblumen an den Scheiben bildeten glitzernde
Muster, in denen sich das Licht brach. »perfekt«, dachte
Inka, die außenrequisiteurin des Weihnachtsfilms, und warf
einen abschätzenden Blick auf das Kaminfeuer. Die winterliche
Idylle war ihnen auf jeden Fall gut gelungen. »aus«,
kam es scharf von hinten, »noch eine!« - »Dann hau ich
schnell ab«, flüsterte Inka ihrer Innenrequisiteurin Sabine
zu, während das gesamte Filmteam in Bewegung geriet, um
die Vorbereitungen für den nächsten take zu treffen. »Ich
fahr noch mal kurz ins Büro, bis Mittag bin ich wieder da.
Viel Spaß beim Kuscheln am Kamin.« - »Danke.« Sabine
grinste und schnitt eine Grimasse. »Ich komme mir schon
vor wie meine Bratäpfel.«
»Wir gehen auf anfang!«, rief der aufnahmeleiter streng,
und Inka verließ eilig den Raum, um rechtzeitig vor Beginn
der nächsten aufnahme draußen zu sein. als sie die haustür
der Villa, die der hauptdrehort war, öffnete, schlug ihr
trocken-warme Sommerluft entgegen. Die Sonne blendete
derartig grell, dass sie für einen Moment die augen schließen
musste. Schlimm genug, dass sie im Juli an einem
Weihnachtsfilm arbeitete. War es da nötig, dass der temperaturunterschied
zwischen Wirklichkeit und Fiktion gefühlte
hundert Grad betrug? Inka warf einen letzten Blick in den
Garten, wo die Special-effect-Jungs es mitten im Sommer
vor den Wohnzimmerfenstern kräftig schneien ließen. Immerhin
war das ja das Reizvolle an der Filmarbeit: die herstellung
einer perfekten Illusion, die für den Zuschauer von
der Realität nicht zu unterscheiden war.
Vorbei an Zellulosesäcken und weißen Schaumstoffmatten
lief Inka zu ihrem Volvo, wartete ab, bis der praktikant
pflichtbewusst das ende der aufnahme nach draußen weitergegeben
hatte, und fuhr dann mit aufheulendem Motor
davon. Bis zur Mittagspause hatte sie noch einiges zu tun.
Für die kommende Woche mussten zwei pferdeschlitten
aufgetrieben, alle Drehplanänderungen mit dem Fahrzeug-
verleih abgestimmt sowie die Versicherung der Filmautos
organisiert werden.
Im Radio lief »Like Ice in the Sunshine«, und Inka drehte
etwas lauter. Sie war froh, sich wenigstens eine Weile
nicht mit Winter, Schnee und Weihnachten beschäftigen zu
müssen.
einige Sommer-und partylieder später hielt sie mit ihrem
Wagen auf dem parkplatz vor dem Gebäudekomplex, in
dem auch die Requisiteure des Filmprojekts »Wintertraum«
ein Büro bekommen hatten. Sie hob den holzschlitten, der
bereits seit gestern abgedreht war, aus dem Kofferraum und
nahm ihn vorsichtshalber mit nach oben. Schließlich durfte
sie auf keinen Fall vergessen, dass er bis morgen zurück im
ausstattungsfundus sein musste, damit sie nicht noch eine
weitere Woche Leihgebühr zahlen mussten.
Die neuesten Drehplanänderungen waren für die Mitarbeiter
des Filmfahrzeuge-Verleihs glücklicherweise kein
problem, wie Inka kurz darauf am telefon erfuhr. auch
nach über zehn Jahren Dreherfahrung hatte sie sich noch
nicht ganz daran gewöhnt, dass es immer wieder zu extrem
kurzfristigen Verschiebungen von Szenen kam. So zitterte
sie immer noch vor derartigen telefonaten und war erst
ruhiger, wenn das erforderliche Requisit für den neuen termin
zugesichert war. Glücklicherweise hatte sie es meistens
mit sehr filmerfahrenen Geschäftspartnern zu tun, für die
die Unwägbarkeit des Drehalltags keine Überraschung war.
Gerade als Inka den hörer erneut abnehmen wollte, um
sich zu einem pferdeschlitten-Verleih durchzutelefonieren,
klingelte der apparat. Sie hob ab und kam nicht einmal
dazu, sich zu melden. »Gut, dass ich dich erreiche«, rief ihr
Sabine aufgeregt ins Ohr. Gar kein gutes Zeichen, denn die
Innenrequisiteurin war nach knapp zwanzig Jahren am Set
normalerweise kaum aus der Ruhe zu bringen. »Komm bitte
ganz schnell her, die sind mal wieder munter am Umstellen!
Ich hab's nur nebenbei mitgekriegt, es hört sich aber aufwändig
an.« auch das noch! Immer wenn sie sich bei einem
Dreh gut vorbereitet fühlte, geschah garantiert noch etwas
Unerwartetes. hoffentlich ist es wenigstens nicht allzu
schlimm, dachte Inka und verließ eilig das Büro.
auf dem Rückweg zur Villa überlegte sie, was sie jetzt
wohl erwarten würde. Gut die hälfte des Weihnachtsfernsehfilms
»Wintertraum« war ohnehin im Kasten. Idyllischromantische
abende am Kaminfeuer, Glühweintrinken auf
dem von der ausstattungsabteilung hübsch gestalteten
christkindlmarkt und einige Szenen in einer üppigen Barockkirche
hatte das team bereits gedreht. Bis auf eine einsame
Skihütte in den Bergen waren die wichtigsten Motive
demnach schon erledigt. Und falls die Szenen in der Skihütte
vorgezogen werden sollten, gab es vermutlich keine probleme,
da das urige holzhäuschen jetzt im Sommer sowieso
nicht benutzt wurde. Der Raum war schon seit einer Woche
fertig eingerichtet, die Schneemacher vom Special-effect
mussten nur noch ihre weiße pracht nach oben schaffen.
Die ausstattung konnte demnach in Kürze drehfertig sein.
Innerlich derart gewappnet kam Inka etwa zwei Stunden,
nachdem sie ihn verlassen hatte, wieder zurück zum Drehort.
Die Jungs vor den Wohnzimmerfenstern ließen gerade
wieder ihre Flöckchen fallen, die aufnahme war also in
vollem Gange. als kurz darauf von drinnen das »aus« des
Regisseurs zu hören war, betrat sie die Villa und sah schon
vom Foyer aus, dass ein paar Leute um den produktionsleiter
und den Regisseur herumstanden und die Köpfe zusammensteckten.
Sabine hatte recht, das ließ auf weitreichende
Änderungen schließen. Fast hätte man eine Verschwörung
vermuten können.
»Gut, dass du kommst«, rief ihr Miriam, die ausstatterin,
entgegen, »wir haben ein kleines problem! Die haben ein
bisschen was geändert.« - »Dann mal raus mit der Sprache!«
Inka wollte lieber früher als später wissen, was ihr in den
nächsten tagen an zusätzlicher arbeit bevorstand. henning,
der produktionsleiter, fasste sie mit beiden händen an den
Schultern und blickte ihr fest in die augen: »Wir brauchen
für unsere Fernsehfamilie Windstetter bis morgen einen
richtig romantischen heiligabend mit allem Drum und
Dran.« Inka sah alle vier augenpaare erwartungsvoll auf
sich gerichtet und war sich nach einer kurzen Schrecksekunde
sicher, dass es sich nur um einen üblen Scherz handeln
konnte. Das war bis morgen unmöglich zu schaffen.
»Sehr witzig«, konterte sie daher und grinste, »und was ist
jetzt wirklich das problem?«
»tut uns leid, etwas einfacheres haben wir nicht zu bieten
«, erklärte Regisseur Dieter ohne ein Lächeln, »die Redaktion
möchte die Versöhnung der Familie nun doch ganz
klassisch unterm christbaum haben. Macht ja auch wirklich
mehr her.« - »pfffh, das sagt sich so leicht. Wie soll das
denn bis morgen gehen? Könnt ihr den heiligabend nicht
wenigstens ans ende der Drehzeit legen? Die Villa bekommen
wir da sicher noch einmal für ein oder zwei tage.«
Inka begriff allmählich, dass diese hiobsbotschaft absoluter
ernst war. trotzdem wollte sie noch nicht glauben, dass es
keine andere Möglichkeit gab, als den Weihnachtsabend
»mit allem Drum und Dran« schon am kommenden tag zu
drehen. Doch henning zerstörte ihre letzten hoffnungen.
»Geht leider nicht«, sagte er, »nach den neuesten textänderungen
brauchen wir für die Szene mindestens zwei Drehtage,
und die Oma ist ab nächste Woche gesperrt. ein Nachdreh
kommt auch nicht infrage, dafür ist keine Zeit mehr.
Wir müssen unbedingt rechtzeitig in den Schnitt, wenn wir
bis Weihnachten fertig sein wollen. Der zweiundzwanzigste
Dezember ist Sendetermin.«
»es hilft nichts, da musst du jetzt durch«, sagte Miriam
in besänftigendem tonfall. »Du hast gut reden«, erwiderte
Inka aufgebracht, »du bist ja schon wieder beim nächsten
Film. Mit dir ist vermutlich nicht zu rechnen, oder?« -
»Leider nein, aber falls du ein paar Nummern oder adressen
brauchst, kannst du dich jederzeit melden. Ich muss
jetzt leider auch los.« Und damit war die ausstatterin verschwunden.
Inka ging zu Sabine und flüsterte ihr genervt zu: »Die Mittagspause
ist für mich gestrichen. Ich darf jetzt mal schnell
einen idyllischen heiligabend basteln.« - »Ich hab die Szenen
gerade gelesen«, raunte die Requisiteurin zurück, »da steht
vom christbaum über plätzchen und Lebkuchen bis hin zum
Mistelzweig wirklich alles drin. Das volle programm.« Sie
drückte ihr die sozusagen druckfrischen Drehbuchseiten in
die hand und lief zurück ans Set. Dort verlangte die hauptdarstellerin
inzwischen lauthals nach jemandem, der imstande
war, das Kaminfeuer wieder in Gang zu bringen, weil sie
sich sonst bei der probe nicht so richtig in ihre Rolle hineinversetzen
könne. »Ich brauch das einfach fürs Gefühl«, hörte
Inka sie noch tönen, ehe sie die tür der Villa hinter sich zufallen
ließ und aus der Winteridylle wieder in den hochsommer
trat.
Im Volvo hatte die Mittagssonne inzwischen eine brütende
hitze erzeugt, und Inka machte sich leicht panisch erneut
auf den Weg ins Büro. Diesmal fehlte ihr allerdings jeder
Nerv für das schöne Wetter oder die fröhliche Radiomusik.
Wie nur sollte man sich bei diesen in jeder hinsicht kontraproduktiven
temperaturen auf die höchst eilige Organisation
eines Weihnachtsabends konzentrieren? es lag natürlich
in der Natur der Sache: Was im Dezember im Fernsehen
laufen sollte, musste schon Mitte des Jahres gedreht werden.
Normalerweise kein problem, aber mitten im Sommer
war es fast unmöglich, so kurzfristig irgendwo christbaumschmuck,
Lebkuchen und Stollen aufzutreiben. Das bekannte
Weihnachtslied »Morgen, Kinder, wird's was geben« bekam
da wirklich eine völlig neue Dimension.
am Schreibtisch angekommen, hängte sich Inka sofort
ans telefon und rief zunächst Frank, den Gärtner, an, der
ihr für jeden Film die nötigen Gewächse lieferte und auch
schon den Riesenchristbaum für den Dreh am Weihnachtsmarkt
besorgt hatte. Das war das einzig angenehme an
diesem spontanen heiligabend. Inka mochte Frank sehr gern
und freute sich jedes Mal, wenn sie mit ihm arbeiten konnte.
Für diese produktion war die Zusammenarbeit eigentlich
schon abgeschlossen gewesen, umso glücklicher war Inka
über die erneute Gelegenheit zur Kontaktaufnahme. allerdings
wurde es sogar für den versierten Gärtner jetzt knapp.
»Du weißt, ich würde dir so ziemlich jeden Gefallen der Welt
tun«, begann er, und seine Stimme ließ Inka ein leichtes
Kribbeln im Bauch spüren, »aber da sehe ich wirklich schwarz.
Die andere tanne war schon nicht so einfach aufzutreiben.
« - »es muss gar nicht unbedingt eine tanne sein, ne
Fichte tut's auch«, flehte Inka. - »Na gut, ich sehe, was ich
tun kann und melde mich dann.«
auch die anderen Zulieferer machten Inka keine großen
hoffnungen. Die Bäckereien lehnten es allesamt entschieden
ab, mitten im Juli über Nacht eine ganze Batterie verschiedener
plätzchen, Kipferl, Lebkuchen und Stollen zu
backen. Dekorations-und Bastelgeschäfte hatten frühestens
ab September weihnachtliches Zubehör auf Lager, nicht
einmal christbaumkerzen waren im Sommer irgendwo zu
bekommen. Und von heute auf morgen schon gar nicht.
Basta.
Nachdem sich Inka am telefon unzählige Lachanfälle, Beleidigungen
und Überraschungsausrufe angehört hatte und
als einziges Resultat eine übrig gebliebene Weihnachtspyramide
»mit ein paar kleinen Mängeln« vorweisen konnte, leg-
te sie entmutigt den hörer auf. Sie war den tränen nahe. Wie
nur sollte sie bis morgen einen idyllischen heiligabend auf
die Beine stellen, wenn sich die ganze Stadt in ihrer Sommerlaune
offensichtlich gegen sie verschworen hatte?
»einmal werden wir noch wach ...« Von wegen »heißa«!
Inka sah panisch auf ihre armbanduhr. halb zwei. Bis man
am Set zur ersten probe das »Oh, du fröhliche« anstimmen
würde, blieben ihr knapp zwanzig Stunden, von denen nur
etwas mehr als sechs mit den allgemeinen Ladenöffnungszeiten
konform gingen. Kurz entschlossen schnappte sie
sich den autoschlüssel vom Schreibtisch, lief aus dem Büro
und eilte die treppen hinunter zu ihrem Volvo, der inzwischen
einer gut beheizten Sauna glich. Sie ließ alle Fenster
hinunter und machte sich auf den Weg Richtung Innenstadt.
Wenn sie morgen um neun nicht zum ersten Mal in
ihrem Requisiteursleben mit leeren händen dastehen und
sich vor der gesamten Filmcrew bis auf die Knochen blamieren
wollte, dann musste sie jetzt schnellstens improvisieren.
Unterwegs rief sie vom handy aus Sabine an, um sie über
den nicht gerade erfreulichen Stand der Dinge auf dem
Laufenden zu halten. Die Kollegin versprach, sich ebenfalls
Gedanken zu machen, welche weihnachtlichen Quellen sich
noch anzapfen ließen. Wenigstens auf eine Mitarbeiterin
war Verlass.
Unterdessen war Inka vor einem großen Supermarkt angekommen.
Sie parkte ihr auto und rollte mit einem einkaufswagen
zu den Backzutaten. In Windeseile flogen große
Mengen Mehl, Zucker, Zimt, Rosinen, Nüsse und Mandeln
in das Gefährt. Kurze Zeit später kamen noch Vanille- und
puderzucker, Kokosflocken, Kakao, Schokoglasur, Oblaten
und Marzipan dazu. Nun noch Butter, eier, Milch, und
die weihnachtliche Backwerkstatt war so gut wie eröffnet.
»Schmecken muss es ja nicht«, murmelte Inka vor sich hin,
als sie mit dem vollgepackten Wagen zur Kasse schlitterte,
»reicht schließlich, wenn es echt aussieht.«
Danach fuhr sie zu einem Großhandel für Dekorationsbedarf
und füllte den Rest des Kofferraums mit einigen Rollen
Gold- und Silberfolie, verschiedenfarbigem Krepp- und Geschenkpapier,
breiten und schmalen Bändern, ein paar glitzernden
Girlanden und glänzenden Stoffen mit und ohne
Muster. Geschafft. Inka plumpste erschöpft hinter ihr Lenkrad
und sah erneut auf die Uhr. halb sieben. Gerade als sie
den Motor starten wollte, klingelte ihr handy. »Ich hab deinen
christbaum«, kam Franks Stimme aus dem Lautsprecher,
»wo soll er denn hin?« Inka fiel ein Stein vom herzen.
Dass es mit dem Baum tatsächlich geklappt hatte! Frank
war einfach ein Schatz. »am besten gleich in die Villa«,
sagte sie. »Ich bin in zehn Minuten dort und fange mit den
Vorbereitungen an. Wann kannst du kommen?« - »Spätestens
um neun bin ich da. christbaumständer bringe ich
auch gleich mit!«
So einen Mann müsste man haben, dachte Inka verträumt,
während sie an einer roten ampel wartete. tatkräftig,
patent und hilfsbereit. Doch bestimmt hatte so einer
schon längst eine Frau an seiner Seite. Schlecht sah er nämlich
auch nicht aus.
als sie gegen halb acht wieder an der Villa ankam, war
kurz zuvor Drehschluss gewesen und das team bereits im
aufbruch begriffen. Sabine machte sich gerade daran, das
Geschirr der letzten Szene zu spülen, während Inka die diversen
Kisten und tüten mit ihren einkäufen ins haus trug.
Jetzt war sie sehr froh, dass die ausstattungsabteilung für
diesen Film eine funktionsfähige Küche in die seit Langem
unbewohnte Villa eingebaut hatte. Sonst hätte sie sich
kaum so hals über Kopf ins plätzchenbacken stürzen können.
»Sorry, ich kann dir heute leider nicht helfen. Ich muss
gleich nach hause«, sagte Sabine entschuldigend, während
sie sich die nassen hände am Geschirrtuch abtrocknete. »Ich
hab da aber noch was für dich.« Grinsend nahm sie eine cD
vom Küchentisch und hielt sie Inka hin. »christmas Forever«
stand darauf in kitschigen Lettern und darunter: »Die beliebtesten
Weihnachtssongs aller Zeiten«.
»Vielen Dank.« Inka wusste nicht, ob sie lachen oder weinen
sollte. Die aussicht, eine Nacht allein mit einem haufen
arbeit in einer einsamen Villa verbringen zu müssen, stimmte
sie nicht gerade übermäßig froh.
Sobald Sabine gegangen war, suchte sie als erstes im von
ihr selbst eingerichteten Bücherregal der Villa nach einem
Backbuch. Darin fand sie auch einige Rezepte für Weihnachtsplätzchen,
Lebkuchen und Stollen, glücklicherweise
mit farbigen abbildungen. Das aussehen des Gebäcks war
schließlich immens wichtig - im Gegensatz zum Geschmack.
»Wirkung vor Logik«, murmelte sie den beim Film viel zitierten
Spruch vor sich hin. Dann legte sie die cD von Sabine
ein und sorgte mit einem tastendruck dafür, dass sie automatisch
immer wieder von vorne beginnen würde. Schließlich
war die Nacht noch lang. »I'm dreaming of a white
christmas«, schmetterte Bing crosby durch die Küche und
verbreitete damit durchaus etwas Weihnachtsstimmung.
Leise vor sich hin summend mischte Inka Butter, Zucker,
eier und Mehl zu einer festen Masse und teilte sie in vier
teile, von denen sie je einen mit Kakao, Nüssen, Zimt und
Rosinen vermengte. Dann formte sie aus den verschiedenen
teigsorten taler, Kipferl, Kugeln und Schnitten und hatte im
Nu mehrere Bleche mit den unterschiedlichsten plätzchen
belegt. Manche der flach geformten Gebäckstücke verzierte
sie noch mit einer Nuss oder Mandel in der Mitte, bevor sie
die erste hälfte in den vorgeheizten Ofen schob. als sie
gerade dabei war, die Schokolade für die Glasur zu schmelzen,
klingelte es. »Jingle bells, jingle bells«, trällerte Inka
äußerst treffend und lief zur tür.
»Von drauß' vom Walde komm ich her«, brummte Frank
mit verstellter Stimme, als sie ihm öffnete, »ich muss euch
sagen, es weihnachtet sehr.« - »Da hast du gar nicht so unrecht
«, meinte Inka und musterte entzückt die üppige tanne
an seiner Seite. »Super«, sagte sie voller Begeisterung, »die
ist viel schöner, als ich zu hoffen gewagt habe.« - »Bei dir
scheint es aber auch nicht schlecht zu laufen. Deine Laune
ist jedenfalls deutlich besser als heute Mittag.« - »Stimmt.
Ich hätte gar nicht gedacht, dass diese arbeit so einen Spaß
machen kann«, gab Inka zu und half dem Gärtner, den sperrigen
Baum heil ins Wohnzimmer zu verfrachten. Dort stellte
sich jedoch heraus, dass die tanne etwas zu hoch für den
Raum war.
»Kein problem, hier gibt's doch bestimmt irgendwo eine
Säge.« Frank war zum Glück nicht der typ, der lange fackelte,
wenn Not am Mann war. »Wo ist denn der Keller? Ich
geh mal suchen, und du solltest unbedingt nach deinen
plätzchen schauen.« Die hätte Inka vor lauter Begeisterung
fast vergessen. es duftete inzwischen schon köstlich nach
Nüssen und Zimt, und mit einem Blick in den Ofen stellte sie
fest, dass das Gebäck bereits eine kräftige Farbe angenommen
hatte. Schnell nahm sie die Bleche heraus und schob
den nächsten Schwung hinein, während Frank mit der im
Keller gefundenen Säge den christbaum auf die richtige
Länge kürzte.
»Wie sieht's denn im Keller aus? Kann ich da meine
plätzchen bis morgen lagern?« Inka war in Gedanken schon
einen Schritt weiter. Bleche voll mit Weihnachtsgebäck wären
schließlich beim Dreh am nächsten tag nur im Weg. es
genügte, wenn Sabine sich dann immer so viel davon nach
oben holen konnte, wie sie für die jeweilige Szene benötigte.
»Klar, platz ist unten genug«, rief Frank aus dem Wohnzimmer
und kurz darauf: »Dein Baum steht!« Inka, die soeben
die fertigen Nusstaler mit Schokolade glasiert hatte,
lief gespannt zu ihm und stand beeindruckt vor der wirklich
imposanten tanne. »Ich danke dir tausendmal!« Inka strahlte
ihren Retter an und fiel ihm erleichtert um den hals.
»Sehr gern ... wirklich«, sagte Frank und sah ihr einen Moment
länger als üblich in die augen. »Last christmas I gave
you my heart«, dudelte der cD-player in der Küche, und
Inka wurde die ungewohnte Nähe zwischen ihnen bewusst.
Verlegen löste sie sich etwas zu abrupt aus der Umarmung
und lief geschäftig wieder zu ihren plätzchen.
»Vielleicht sollte ich den Keller lieber abschließen«, rief
sie aus der Küche. »Nicht dass das gesamte team über die
plätzchen herfällt, bevor sie abgedreht sind. Das würde jetzt
noch fehlen!« Und schon kam sie zurück, in der hand einen
fertigen Schokotaler: »probier mal!« - »Damit du mir dann
vorwirfst, dass ich schon vor dem Dreh deine Requisiten
zerstöre?« Frank grinste, biss aber trotzdem hinein und lobte
das aussehen und sogar den Geschmack. Dabei trafen
sich ihre Blicke erneut, und Inka spürte wieder dieses leichte
Kribbeln in der Magengegend. Um sich ihre Unsicherheit
nicht anmerken zu lassen, wandte sie sich unvermittelt ab
und versuchte Frank abzulenken. »Ich suche gleich mal den
Kellerschlüssel«, sagte sie schnell. Fast fluchtartig lief sie in
die Küche und hörte nur noch, wie Frank ihr nachrief: »Und
ich bringe kurz die Säge wieder runter.«
Mit einer handvoll verschiedener, teils rostiger Schlüssel,
die sie für den Dreh in der Villa bekommen hatten, stand
Inka schließlich vor der oberen Kellertür im Flur. Da kein
einziger beschriftet war, musste sie erst einige ausprobieren,
bis sie den richtigen gefunden hatte. Doch dieser verschloss
zuverlässig den Zugang zum plätzchenversteck. »Bring mir
wenigstens noch ein paar von deinen Köstlichkeiten, bevor
du mich hier einschließt!« Frank hatte das Werkzeug verstaut
und drückte nun von innen mehrmals die Klinke hinunter.
erst jetzt fiel Inka auf, dass er noch im Keller war. »Moment
... ich hab nur probiert, ob der Schlüssel schließt«, rief
sie und wollte wieder aufsperren. Doch der Schlüssel schien
irgendwie zu klemmen, und als sie ihn noch einmal mit aller
Kraft zu drehen versuchte, brach er ab.
»Uuups«, entfuhr es ihr. »Was ist los?«, kam es von der
anderen Seite der tür. Nun wurde Inka bewusst, was geschehen
war. Sie hatte soeben einen Mann, für den sie sich sehr
interessierte und dem sie offensichtlich auch nicht gleichgültig
war, im Keller einer alten, unbewohnten Villa eingesperrt.
Wie romantisch. »christmas will be just another
lonely day«, sang Brenda Lee in der Küche, und Inka hoffte
inständig, dass diese Zeile für Frank nicht grausame Wirklichkeit
würde. Zunächst einmal musste sie ihm die Sachlage
erklären. »Ich rufe mal kurz beim Schlüsseldienst an«,
sagte sie durch die tür, das musste vorerst genügen. Schnell
lief sie in die Küche, wo ihr handy lag.
copyright © 2010 by Diana Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random house Gmbh
Umschlaggestaltung | © t. mutzenbach design, München
herstellung | helga Schörnig
Satz | christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich
Druck und Bindung | GGp Media Gmbh, pößneck
printed in Germany 2010
978-3-453-35563-7
www.diana-verlag.de
... weniger
Autoren-Porträt
Uta Rupprecht studierte in München Germanistik und übersetzte dann einige Jahre lang Literatur aus dem Englischen. Von 1996 bis 2009 arbeitete sie als Verlagslektorin in München und Berlin. Sie lebt als Übersetzerin und freiberufliche Lektorin in München.
Bibliographische Angaben
- 2010, 2. Aufl., 414 Seiten, Maße: 11,8 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Herausgegeben von Rupprecht, Uta
- Herausgegeben: Uta Rupprecht
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453355636
- ISBN-13: 9783453355637
Rezension zu „Schneegeflüster “
"Es ist ein wunderbar kurzweiliges Buch für kalte Winter-Abende."
Kommentar zu "Schneegeflüster"
0 Gebrauchte Artikel zu „Schneegeflüster“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Schneegeflüster".
Kommentar verfassen