Sein letzter Fall
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Van Veeteren traut ihm das Verbrechen zu. Er hat mit dem Verdächtigen gemeinsam die Schulbank gedrückt und kennt dessen finstere, boshafte Seite. Doch all seine Bemühungen, ihm die Sache nachzuweisen, laufen ins Leere.
Der Fall G - wie er intern genannt wird - bleibt unabgeschlossen. Da rückt über ein Jahrzehnt später die ungesühnte Tat erneut in den Blickwinkel der Maardamer Kriminalpolizei.
Die Tochter eines ehemaligen Privatdetektivs, der G damals im Auftrag seiner Frau beschatten sollte, meldet ihren Vater als vermisst. Er ist verschwunden, kurz nachdem er am Telefon erklärt hat, er sei auf einer heißen Spur im Falle G. Anlass genug für Van Veeteren, die Sache von damals noch einmal völlig neu aufzurollen.
Eine tote Frau in einem leeren Swimmingpool. Ein Mörder mit einem wasserdichten Alibi. Und Ex-Kommissar Van Veeteren, dem dieser Fall - der einzig ungelöste seiner Laufbahn - auch fünfzehn Jahre nach der Tat keine Ruhe lässt. Wer hat Barbara Clarissa Hennan auf dem Gewissen? Ihr Mann, wie alle glauben, dem aber nichts zu beweisen ist? Van Veeteren traut ihm das Verbrechen zu. Er hat mit dem Verdächtigen gemeinsam die Schulbank gedrückt und kennt dessen finstere, boshafte Seite. Doch all seine Bemühungen, ihm die Sache nachzuweisen, laufen ins Leere. Der Fall G - wie er intern genannt wird - bleibt unabgeschlossen. Da rückt über ein Jahrzehnt später die ungesühnte Tat erneut in den Blickwinkel der Maardamer Kriminalpolizei. Die Tochter eines ehemaligen Privatdetektivs, der G damals im Auftrag seiner Frau beschatten sollte, meldet ihren Vater als vermisst. Er ist verschwunden, kurz nachdem er am Telefon erklärt hat, er sei auf einer heißen Spur im Falle G. Anlass genug für Van Veeteren, die Sache von damals noch einmal völlig neu aufzurollen ....
Sein letzter Fall vonHåkan Nesser
LESEPROBE
Sie wusste, dass sie nachts ins Bett pinkeln würde, undsie wusste, dass Tante Peggy dann böse werden würde.
Das war immer so. Immer, wenn sie bei Tante Peggy schlief und nicht bei ihrereigenen Mama, passierte es.
Mami. Sie wollte bei Mami sein. In ihrem eigenen Bett in ihrem eigenen Zimmerschlafen mit der Puppe Trudi unter der Decke und der Puppe Bamba unter demKopfkissen. So sollte es sein; wenn es so war und wenn sie mit Mamis gutemGeruch in der Nase einschlief, dann passierte es nie, dass das Bett nass war,wenn sie aufwachte. Jedenfalls fast nie.
Tante Peggy roch überhaupt nicht wie Mami. Sie wollte nicht, dass Tante Peggysie anfasste, und das tat sie glücklicherweise auch nie. Aber sie schlief imgleichen Zimmer, auf der anderen Seite eines blauen und ein bisschen rotenVorhangs mit irgendwelchen Drachen drauf, vielleicht waren es auch Schlangen,und manchmal schlief da noch jemand. Sie mochte das nicht.
Trudi und Bamba mochten es auch nicht; bei Tante Peggy waren sie gezwungen,beide unter dem Kopfkissen zu schlafen, damit sie kein Pipi abbekamen. Das warunbequem und hart, aber sie konnte die Puppen natürlich nicht zu Hause lassen,wie Mami es vorgeschlagen hatte. Manchmal kam Mami wirklich auf diemerkwürdigsten Ideen.
Eine Woche, hatte sie beispielsweise gesagt. Du musst für eine Woche zu Peggy,ich werde wegfahren und viel Geld verdienen. Wenn ich zurückkomme, kriegst duein neues Kleid und so viel Eis und Bonbons, wie du willst.
Eine Woche, das waren viele Tage. Sie wusste nicht genau, wie viele, aber eswaren mehr als drei, und die ganze Zeit würde sie gezwungen sein, in diesemekligen Zimmer zu schlafen, vor dessen Fenster Autos und Busse auf der Straßeentlang fuhren, hupten, bremsten und die ganze Nacht mit den Reifenquietschten. Sie würde ins Bett pinkeln, und Tante Peggy würde gar nicht aufdie Idee kommen, das Bettzeug zu wechseln, sondern es nur tagsüber zum Trocknenüber den Stuhl hängen, und Trudi und Bamba würden so traurig sein, oh, sotraurig, dass sie sie nicht würde trösten können, wie sehr sie das auchversuchte.
Ich will nicht bei dieser blöden Tante Peggy sein, dachte sie. Ich wünschte,Tante Peggy wäre tot. Wenn ich Gott bitte, sie wegzubringen und er das tut,dann verspreche ich nicht einen einzigen Tropfen mehr ins Bett zu pinkeln, undwenn es dann Morgen ist, dann kommt Mami statt Tante Peggy, nimmt mich mit nachHause, und ich muss nie wieder hierher zurück. Nie wieder.
Hörst du, lieber Gott, lass Mami zurückkommen, nimm das Pipi und Tante Peggyweg. Lass sie sterben oder setze sie in ein Flugzeug und flieg mit ihr zum Landder Tausend Inseln.
Sie faltete die Hände so fest, dass ihr die Finger wehtaten, und Trudi undBamba beteten zusammen mit ihr mit all ihrer Kraft, deshalb würde es vielleicht,vielleicht ja doch so geschehen, wie sie es sich wünschte.
Auf dem Weg zu seiner Arbeit kaufte der Privatdetektiv Maarten Verlangen amDienstag, dem 3. Juni, sechs Bier und sechs Staubsaugerbeutel ein.
Ersteres war Routine, Zweiteres war außergewöhnlich. Seit Martha sich vor fünfJahren hatte von ihm scheiden lassen, waren seine Putzambitionen nicht mehr soausgeprägt gewesen wie jetzt, und mit dem etwas fremden Gefühl eines gutenGewissens schloss er die rostschutzfarbene Eisentür auf und nahm sein Büro inBeschlag.
Das war schnell geschehen. Der Raum maß drei mal vier Meter, und kein Architektder Welt wäre auf die Idee gekommen, »Büroraum« auf seine Zeichnung zuschreiben. Der Raum lag in einer der verrußten alten Mietskasernen an derArmastenstraat, gleich neben den Eisenbahngleisen. Vom Hauseingang ging es einehalbe Treppe nach unten; war offenbar anfangs als eine Art von Lagerraum fürden Hausmeister gedacht gewesen, ein Platz, wo das eine oder andere, was dieMieter nicht mehr brauchten, verwahrt werden konnte: Toilettenschüsseln,Duschschläuche, Kochplatten und sonstige Utensilien der abgenutzten Sorte.
Aber jetzt war es also ein Büro. Wenn auch kein besonders schickes. Die Wändewaren von Beginn an mit schmutzigem, erdfarbenem Putz bedeckt, der Boden warvor zwei oder drei Jahrzehnten dunkelblau gestrichen worden, und die einzigenatürliche Lichtquelle war ein klein bemessenes Fenster auf Bodenhöhe, ganzoben unter der Decke. Die Möblierung war einfach und funktional. EinSchreibtisch mit einem Schreibtischstuhl. Ein grauer Aktenschrank aus Metall.Ein niedriges Bücherregal, ein brummender Fünfzig-Liter-Kühlschrank, einWasserkocher sowie ein abgewetzter Besuchersessel. An einer Wand hing einKalender mit Reklame für eine Tankstelle, an einer anderen die Reproduktioneiner düsteren Piranesi-Lithographie. Die anderen beiden waren leer.
Abgesehen von dem Kalender, den Verlangen mit schlafwandlerischer Sicherheitjedes Jahr Ende Januar oder Anfang Februar austauschte, sah das Büro haargenau soaus wie in den letzten vier Jahren. Seit er eingezogen war. Man sollte nichtunterschätzen, wie sehr es die Umgebung vermag, dem Leben Sicherheit undStabilität zu geben, pflegte er gern zu denken. Man sollte nicht den Staub derJahre verachten, der sich auf unsere Schultern legt.
Er schaltete die Deckenlampe ein, weil die Schreibtischlampe kaputt war. Hängteseine dünne Windjacke an einen Haken an der Türinnenseite und stellte das Bierin den Kühlschrank.
Ließ sich sodann auf dem Schreibtischstuhl nieder und legte dieStaubsaugerbeutel in die rechte, oberste Schublade. Er wollte sie nicht hier imBüro benutzen. Ganz und gar nicht. Den Staubsauger der Marke Melfi, den erbesaß - eines der wenigen Dinge, die er nach der Scheidung mitbekommen hatte,möglicherweise, weil er bereits zur Zeit seiner Ehe so schlecht funktionierthatte -, verwahrte er in seiner Wohnung in der Heerbanerstraat. Und dort wollteer sie benutzen. Womit die Grenze erreicht war. Er überlegte einen Moment, ober die Tüten nicht doch lieber auf dem Schreibtisch platzieren sollte; dasRisiko, dass sie nach Ende des Arbeitstages in der Schublade zurückbleibenwürden, war zweifellos vorhanden, aber er entschloss sich, es zu riskieren.Staubsaugertüten passten nun mal nicht gerade zu dem Inventar, das ein Besucherin einem renommierten Detektivbüro vorzufinden erwartete.
Verlangens Detektivbüro. So stand es auf dem einfachen, aber stilvollen Schilddraußen an der Tür. Er hatte es selbst eingraviert, es hatte ihn einenVormittag gekostet, aber das Ergebnis sah gar nicht so schlecht aus.
Er schaute auf seinen Terminkalender. Da gab es eine Notiz wegen eines Terminsmit der Versicherungsgesellschaft am Nachmittag. Ansonsten war er leer. Erkontrollierte den Anrufbeantworter, ob er irgendwelche aufgezeichnetenMitteilungen enthielt. Nahm ein Bier aus dem Kühlschrank, öffnete es undzündete sich eine Zigarette an.
Schaute auf die Uhr. Es war zehn Minuten nach zehn.
Wenn ich keinen Kunden vor zwölf Uhr kriege, dann esse ich schnell was imOldener Maas, und anschließend gebe ich mir die Kugel, dachte er und lächelteverbissen vor sich hin.
Das war ein Zwangsgedanke, der ihm jeden Morgen in den Sinn kam, und einesTages würde er ihn in die Tat umsetzen. Er war siebenundvierzig Jahre alt, unddie Menschen, die ihn vielleicht vermissen könnten, waren an dem Daumen einerHand abzulesen.
Sie hieß Belle und war seine Tochter. Siebzehn, fast achtzehn. Er betrachteteeine Zeit lang ihr lachendes Gesicht auf dem Foto neben dem Telefon und tranknoch einen Schluck Bier. Zwinkerte die Tränen fort, die der bittere Geschmackhochkommen ließ, und rülpste.
Wie hat so ein Schwein wie ich nur so eine Tochter kriegen können?, überlegteer.
Auch das war ein immer wieder auftauchender Gedanke. Überhaupt gab es vieleWiederholungen in Maarten Verlangens Gehirn. In erster Linie alte, trübe Fragenohne Antwort. In klaren Stunden kam es vor, dass diese Tatsache ihnerschreckte.
Aber es gab ein Gegenmittel gegen klarsichtige Ängste. Zum Glück. Er trank nocheinen Schluck und nahm einen tiefen Zug von der Zigarette. Stand auf undstellte das Fenster auf Kipp. Setzte sich wieder.
Inzwischen war es dreizehn Minuten nach zehn geworden.
© by btb Verlag
Übersetzung: Christel Hildebrandt
Autoren-Porträt von Håkan Nesser
Håkan Nesser, geboren 1950, ist einer der interessantesten undaufregendsten Kriminalautoren Schwedens. Dem deutschen Publikum ist er vorallem durch seine Reihe um Kommissar Van Veeteren bekannt,die bereits Millionen Fans hat. "Kim Novak badete nie im See vonGenezareth" gilt inzwischen als Klassiker in Schweden, das Buch wird alsSchullektüre eingesetzt, und es hat seinen Ruf als "absoluter Meister desStils" (Göteborgs Posten) nachhaltig begründet.
Interview mit Hakan Nesser
Wie kommt es, dass gerade Schwedenso viele hervorragende Krimiautoren hervorbringt?
Ja,tatsächlich, die Zahl der erfolgreichen schwedischen Krimiautoren istverblüffend. Aber ich sage immer, dass das eher ein deutsches als einschwedisches Problem ist. Natürlich haben wir eine starke Tradition durch Sjöwall/Wahlöö,aber richtig gute Krimiautoren hatte Schweden in den 80er Jahren nicht zubieten. Insofern ist das keine gute Erklärung. Es ist vielleicht auch eineFrage von Zyklen, wir hatten ja vor einigen Jahren auch relativ viele guteTennisspieler.
In "Die Schwalbe, die Katze, dieRose und der Tod" gewinnt man den Eindruck, die Schilderung des Mördersund des Milieus, in dem er sich bewegt, hat Sie fast mehr interessiert als dieklassische Frage "Wer war es?" Malen Sie uns ein kleines Psychogrammdes Mörders.
Ich binsehr daran interessiert, was im Kopf eines Mörders vorgeht. Es gibt immer einenGrund für die Taten eines Menschen - auch, wenn sie schlecht sind und finstereUrsachen haben. Eine innere Logik findet sich immer. Und einMotiv. Dennoch glaubeich, dass ich besonders tief eindringe in den Kopf eines Mörders in meinenBüchern "Die Frau mit dem Muttermal" und "Der unglücklicheMörder". Der Mörder in "Die Frau mit dem Muttermal" ist eininteressanter Typ, weil er ein intelligenter Akademiker mit einer gestörtenSexualität ist. Diesen Charakter kennen wir natürlich schon aus vielen Krimis;er ist so beängstigend, weil er zu 99% vollkommen normal ist. Und leider kennenwir ihn nicht nur aus Krimis - die meisten Verbrechen werden von sexuellfrustrierten und besessenen Männern begangen.
Zuerstentsteht die Geschichte, aber es gibt natürlich keine Story ohne Handelnde, dasentwickelt sich also parallel. Ich schreibe immer chronologisch, Schreiben undLesen gehören für mich zusammen. Man muss also immer die Sichtweise des Lesers berücksichtigen.Wenn ich schreibe, lese ich ja auch gleichzeitig die entstehende Geschichte.Ich bin also der erste wichtige Leser. So bekommt alles seine richtige Ordnung.
Auch in diesem Krimi ermittelt VanVeteeren, der ja eigentlich in seiner gemütlichen Buchhandlung nur seine Ruhehaben will. Warum reizt Sie eine solche Figur mehr als ein normalerPolizeibeamter?
Van Veeteren hat über 30 Jahre als Kriminalinspektorgearbeitet. Im Altervon 60 Jahren sagte er mir, dass er genug hätte. Da ich ihnsehr respektiere, habe ich seinem Wunsch natürlich Folge geleistet. In den letzten fünf Büchern,insgesamt sind es ja zehn, arbeitet er also in Krantzes Antiquariat in Maardam.Abgesehen von Van Veeterens Vorlieben, gibt mir diese Konstellation natürlichdie Möglichkeit, die Geschichte aus einem anderen Blickwinkel zu erzählen.
Wird man Sie auch eines Tages ineiner kleinen Buchhandlung entdecken können?
Ja, werwäre nicht gerne umgeben von Büchern, von Wissen... und hätte an der Tür einSchild hängen: Tut mir leid. Geschlossen. Wieder geöffnet imOktober. Manche sagen,das Leben sollte im Mittelpunkt stehen, aber ich ziehe das Lesen vor.
- Autor: Hakan Nesser
- 2004, 536 Seiten, Maße: 14,8 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Hildebrandt, Christel
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442750806
- ISBN-13: 9783442750801
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