Spiral
Thriller
Mikrobiologe Liam Conner ist im Besitz eines Pilzes, der jeden Menschen in eine tödliche Waffe verwandelt. Dann wird der Wissenschaftler tot aufgefunden. Wer hat den Pilz jetzt? Und was hat diese Person damit vor? Wenn der Pilz freigesetzt wird, sind...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
18.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Spiral “
Mikrobiologe Liam Conner ist im Besitz eines Pilzes, der jeden Menschen in eine tödliche Waffe verwandelt. Dann wird der Wissenschaftler tot aufgefunden. Wer hat den Pilz jetzt? Und was hat diese Person damit vor? Wenn der Pilz freigesetzt wird, sind alle Menschen weltweit in Gefahr. Die Zeit rennt Liams Assistent Jake davon.
Klappentext zu „Spiral “
Er ist kein Virus, er ist 1000x schlimmer. Mikrobiologe Liam Connor besitzt den Pilz, der jeden Menschen in eine tödliche Waffe verwandeln kann. Und dann plötzlich sein mysteriöser Tod: Grausam zugerichtet wird Connor aufgefunden. Vom Todespilz fehlt jede Spur. Musste er für sein Wissen mit dem Leben bezahlen? Wer hat den Todespilz an sich gebracht? Welches Ziel verfolgt er? Wird der Pilz freigesetzt, so dass er die ganze Menschheit gefährden kann? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt: Mit allen Mitteln muss Liams Assistent Jake verhindern, dass sich die tödliche Infektion weltweit ausbreitet - Paul McEuen gewährt mit seinem atemberaubenden Thriller Einblicke in eine unsichtbare Welt, die für die Menschheit zur unermesslichen Bedrohung werden kann - wenn sie außer Kontrolle gerät
Lese-Probe zu „Spiral “
Spiral von Paul Mceuen... mehr
Liam Connor stand in seinem Labor und hielt eine silberglänzende, spitze Pinzette Nr. 5 in der Hand. Der Ire war sechsundachtzig Jahre alt, knapp einen Meter siebzig groß und trug eine braune Cordhose, einen grauen Pullover und alte weiße Turnschuhe. In seinen fünfzig Jahren an der Cornell University hatte Liam die wohl vielfältigste Sammlung von Pilzen angelegt, die es auf der Welt gab. Er nannte sie seine »Gärten der Fäulnis«, und sie bestanden aus zehntausend briefmarkengroßen Beeten in einem quadratischen Raster, eine buntscheckige Menagerie aus Gelb-, Grün- und Grautönen.
Ein MicroCrawler kam herangesaust. Mit seinen rasiermesserscharfen Siliziumbeinen schnitt er eine Gewebsprobe von einem der Pilze. Dann nahm er Kurs auf eine Ecke des Tischs und gab die Probe in ein Gerät zur Analyse von DNA und Proteinexpression. Die als MicroCrawler bezeichneten spinnengroßen Mikroroboter pflegten die Gärten. Es waren insgesamt vierzehn Stück, alle kleiner als eine Zehn-Cent-Münze, und sie wurden von einer über den Tischen angebrachten Kamera beobachtet und von einem Computer in der Ecke gesteuert.
Liam sah hinaus in den dunklen Korridor. Seine Enkelin Maggie hatte recht. Ein Mann von sechsundachtzig Jahren sollte jede Sekunde, die ihm noch blieb, mit seiner Familie verbringen, nicht allein in einem Forschungslabor, wo er die Gene in irgendwelchen Pilzen hin und her schob. Aber anders ging es nicht. Seine Arbeit war noch nicht beendet.
Er blieb im leeren Korridor stehen und lauschte. Nichts.
Er war beunruhigt, nicht ohne Grund.
Die Frau, die ihn verfolgte, wurde dreister. Sie hatte immer weniger Hemmungen, sich sehen zu lassen. Liam war schon zweimal von fanhaften Groupies verfolgt worden - das war ein Nebeneffekt des Ruhms, den Liam inzwischen als Wissenschaftler erlangt hatte -, aber das blieb folgenlos. Die Campus-Polizei hatte mit den Studenten gesprochen, und dann waren sie verschwunden. Auch jetzt hatte er pflichtbewusst die Stalkerin der Polizei gemeldet, aber bisher hatte man sie noch nicht identifiziert.
Vielleicht war sie ja harmlos. Sie hatte das richtige Alter, aber sie bewegte sich nicht wie eine ruhmgeblendete Doktorandin.
Sie bewegte sich wie ein Profi.
Liam gab ein paar Befehle in den Computer ein und trat zurück, um die Crawler zu beobachten. Dann wandte er sich mit seinen arthritischen Fingern den Aufgaben zu, die von den Crawlern immer noch nicht erledigt werden konnten. Zum Beispiel konnten sie sich keine Ziele setzen und nicht entscheiden, welche Fungi ausgelöscht und welche weiter gezüchtet werden sollten. Sie hatten keine Agenda, die ihre Aktionen leitete. Aber genau darauf kam es an. Liams Agenda war seit über sechzig Jahren klar umrissen, seit jenem Frühlingstag im Pazifik. Aber diese Agenda hatte er konsequent für sich behalten.
Er dachte an seinen Assistenten Jake. Er war mit Jake zum Seneca Depot gefahren, einer stillgelegten militärischen Anlage, ungefähr vierzig Meilen weit im Norden, vorgeblich um ihm eine Herde von seltenen, reinweißen Rehen zu zeigen, die auf dem Gelände lebte. Aber der wahre Grund war ein anderer gewesen. Connor hatte nach und nach Jake ein paar Dinge erzählt und verborgene Schichten freigelegt. Jake hatte selbst einen Krieg erlebt. Er verstand etwas davon.
Liam verfolgte seine eigene Agenda, abgesehen von den Bruchstücken, die er Jake erzählt hatte. Jake wusste jetzt, dass die Japaner am Ende des 2. Weltkriegs eine biologische Superwaffe besessen hatten, die durch die vierte Atomexplosion in der Geschichte vernichtet worden war. Liam hatte den Namen ausgesprochen. Uzumaki. Seit Jahrzehnten hatte er das nicht mehr getan.
Aber Jake wusste nicht alles. Er wusste nicht, dass Liam im Besitz eines der sieben kleinen Metallzylinder war, die den Pilz, der Uzumaki genannt wurde, enthielten. Und er wusste auch nicht, dass Liam endlich, nach sechzig Jahren, entdeckt hatte, wo die verwundbare Stelle des Uzumaki lag.
Klick.
Connor erstarrte. Das Geräusch kam von draußen.
»Maggie?«
Es sähe ihr ähnlich, vorbeizukommen, um zu versuchen, ihn von hier loszueisen. Niemand antwortete.
»Jake?« Der Mann war auch eine Nachteule. Liam traf ihn oft noch nach Mitternacht in seinem Labor an. »Jake?«
Er lauschte. Nichts.
Er sah sich im Labor um. Die Crawler waren in den Gärten. Der Computermonitor war eingeschlafen.
Nichts Außergewöhnliches.
Klick!
Das Licht ging aus.
Tink, tink, tink.
Als Liam Connor zu sich kam, war dieses tink tink das Erste, was an sein Ohr drang. Tink, tink, tink.
Er war verwirrt, aus der Zeit gelöst, und kurze, unzusammenhängende Bilder stiegen ihm vor Augen. Er war zwölf und wanderte durch die grüne Hügellandschaft um Sligo auf der Suche nach einem neuen Pilz. Er war zweiundzwanzig, auf einem Kriegsschiff im Pazifik, und betrachtete ein dünnes Messingröhrchen in seiner Hand. Er war zweiunddreißig, in ihrem ersten eigenen Haus in Ithaca, und sah zu, wie seine Frau splitternackt aus dem Bett aufstand. Er war dreiundvierzig, und der König von Schweden legte ihm eine Medaille um den Hals. Er war siebenundsiebzig und sah zum ersten Mal seinen Urenkel, laut schreiend und mit puterrot zerknautschtem Gesicht.
Tink, tink, tink.
Nach einer Weile wurde er ruhiger und war wieder der, der er jetzt war: ein alter Mann. Sechsundachtzig. Emeritierter Professor der Biologie an der Cornell University.
Er wollte sich bewegen, aber nichts war, wie es sein sollte. Er konnte die Arme nicht heben. Er konnte den Mund nicht öffnen. Er hatte das Gefühl, aufrecht zu sitzen, aber er war nicht sicher. Er hatte verschwommene schwarze Flecken vor den Augen und konnte nichts sehen. Alles, was er hatte, war dieses Geräusch.
Tink, tink, tink.
Es klang vertraut. Er kannte dieses Geräusch. Aber was zum Teufel war es?
Er versuchte sich zu erinnern, was passiert war. Er war im Labor gewesen, das wusste er genau, und hatte sich um die Gärten der Fäulnis gekümmert. Er hatte dort herumgepusselt, und dann - dann nichts mehr. Eine leere Stelle in seiner Erinnerung. War es noch dieselbe Nacht? Immer noch Sonntag?
Er konnte den Kopf nicht bewegen. Er saß aufrecht, aber er konnte sich nicht rühren. Jemand hatte ihm einen Schlag versetzt, daran erinnerte er sich jetzt. Er spürte es noch.
Jetzt hörte er ein neues Geräusch. Ein Wispern in der Luft, leise, sanft. Stille. Dann kam es wieder.
Jemand atmete.
Ganz sicher. Jemand saß direkt vor ihm. Im Dunkeln. Sehr nah.
Tink, tink, tink.
Er wollte den Mund öffnen, um etwas zu sagen, aber es ging nicht. Sein Mund ließ sich nicht öffnen. Etwas stimmte nicht mit seiner Zunge. Sie wurde fest nach unten gedrückt.
Er hörte Schritte in seiner Nähe. Sie entfernten sich. Dann ging flackernd das Licht an. Er blinzelte in der plötzlichen Helligkeit und wartete darauf, dass die weißen Kleckse vor seinen Augen sich zu Formen und Farben ordneten.
Er schaute sich um. Ein Schmerz bohrte sich wie eine Messerklinge zwischen seine Augen, und es dauerte eine Minute, bis er sich aus dem, was er sah, ein Bild machen konnte. Er saß in einer riesigen, senkrecht stehenden Röhre von ungefähr fünf Metern Durchmesser. Die runden Wände waren aus rostigem Metall. Nach einer Weile begriff er, dass es ein altes Getreidesilo war. Holzlatten hielten die Wände zusammen wie die Rippen eines Wals, und das Blech war hier und da aufgerissen, so dass man hinausschauen konnte. Draußen war es stockfinster. Ein paar verirrte Schneeflocken wehten herein und schmolzen auf dem Kiesboden.
Die Frau kam auf ihn zu. Eine Asiatin - eine Chinesin, da war er fast sicher. Zwischen zwanzig und dreißig, mit einer kleinen runden Brille. Sofort erkannte er sie als die Frau, die ihn verfolgt hatte. Sie beugte sich so weit vor, dass ihr Gesicht keinen halben Meter weit entfernt war. Sie war hübsch - ein Eindruck, der durch zwei dünne, vollkommen symmetrische Narben auf ihren Wangenknochen noch verstärkt wurde.
Liam wollte etwas sagen, aber er bekam den Mund noch immer nicht auf. Es war, als klemmte sein Kopf in einer Schraubzwinge.
Sie hielt ihm einen Spiegel vor. Er war ungefähr so groß wie ein Taschenbuch, und sie veränderte den Winkel ein wenig, so dass er sich sehen konnte.
Der Anblick war ein Schock. Sein Kopf steckte in einem Stahlrahmen, dessen Streben und Bänder seinen Schädel fixierten wie bei einem Patienten mit einer Halswirbelverletzung. Eine Klammer aus Gummi und Stahl hielt seinen Unterkiefer unbeweglich fest. Er sah alt aus, unglaublich alt, viel älter als sechsundachtzig Jahre. Die Runzeln in seinem Gesicht waren wie die Risse in einem ausgetrockneten Flussbett, und weiße Haarbüschel standen zu beiden Seiten von seinem Kopf ab. Er war ein Leichnam, ein Gespenst, dessen Schädel in einem Gestell aus einem Frankenstein'schen Albtraum steckte.
Die Frau ließ den Spiegel sinken. Als sie sprach, tat sie es in exzellentem Englisch mit
einem Hauch des Akzents ihrer Heimat. »Ein gemeinsamer Freund schickt mich«, sagte sie. Eine Chinesin. Aus dem Norden, vermutete er, und er verspürte einen leisen Tremor in den
unteren Rückenwirbeln. Bei ihren nächsten Worten blieb ihm fast das Herz stehen. »Ich komme wegen des Uzumaki.«
Tink, tink, tink.
Das Geräusch. Er kannte das Geräusch.
Sein Blick ging nach unten. Sie hielt eine gläserne Petri-Schale auf dem Schoß. Vier blinkende Gegenstände wieselten darin herum, alle nicht größer als ein 10-Cent-Stück.
MicroCrawler. Sie rannten mit beeindruckendem Tempo in der Petri-Schale herum und stießen immer wieder gegen die Wand. Tink, tink, tink. Ihre gegliederten Beinchen waren aus Silizium gefräst und so scharf wie Rasierklingen.
Er schloss die Augen, aber er hörte es immer wieder, das tink tink von Silizium und Glas. »Am besten sagen Sie es mir sofort.«
Er zwang sich zur Konzentration. Noch hatte er keine Schusswaffe gesehen. Wenn er hier loskommen könnte, hätte er eine Chance. Er war klein und uralt, aber immer noch flink, und er konnte brutal und bösartig werden, wenn es sein musste.
Tink, tink, tink.
Sie streckte die Hand aus und berührte etwas an dem Stahlrahmen um seinen Kopf. Mit einem surrenden Geräusch drückte die Apparatur seinen Unterkiefer mit mechanischer Präzision herunter, starr wie eine Tresortür. Kalte Luft berührte seine Kehle.
Tink, tink, tink.
Sie drückte eine Taste an der Fernsteuerung in ihrer rechten Hand, und die Crawler in der Glasschale hörten unvermittelt auf mit ihrem Gewimmel. Die plötzliche Stille war wie ein Schock.
Mit einer Pinzette nahm sie einen der kleinen Roboter auf, schob ihn tief in seinen Mund und legte ihn weit hinten auf seine Zunge. Er hatte Mühe, nicht in Panik zu geraten und nicht zu würgen. Die rasiermesserscharfen Beine schnitten bei der kleinsten Bewegung ins Gewebe. Schon spürte er winzige Blutstropfen auf seiner Zunge.
Sie drückte wieder auf einen Knopf, und die summenden Piezomotoren schlossen seinen Mund. Seine Zähne schlugen mit hörbarem Klacken aufeinander. Sie legte eine Hand auf seinen Mund, und mit zwei zarten Fingern drückte sie ihm die Nase zu.
»Schlucken«, sagte sie.
Sekunden verstrichen, wahrscheinlich eine volle Minute, und dann überwältigte ihn die Panik. Er sträubte sich heftig gegen seine Fesseln, und sein ganzer Körper rebellierte so sehr gegen den Sauerstoffmangel, dass er befürchtete, er könnte sich einen Knochen brechen. Er hatte einen starken Willen, aber er wusste, dass er eine solche Tortur nicht ertragen konnte. Zappelnd und zerrend hielt er durch, so lange er konnte, aber dann begann alles vor seinen Augen zu verschwimmen.
Du kannst nicht atmen. Es passiert unwillkürlich.
Du schluckst.
Er spürte, wie der Crawler durch seine Speiseröhre wanderte, fühlte den brennenden Schmerz des verletzten, zarten Gewebes. Er wollte schreien, aber er konnte den Unterkiefer nicht bewegen, die Zunge nicht heben. Er war ausgeschaltet und gelähmt, und der Klang seines Schreis war eingesperrt in seinem Kopf.
Sie nahm die Hände weg, und er schnappte durch die zusammengepressten Zähne nach Luft. Seine Brust hob und senkte sich krampfhaft. Er versuchte die Kontrolle über sich zu behalten und zu begreifen, was hier passierte.
Sie drückte auf den Knopf, und sein Mund wurde geöffnet. Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete sie in die Mundhöhle. »Gut«, sagte sie.
Und dann wiederholte sie die qualvolle Prozedur noch drei Mal. Vier Crawler in seinem Magen. Liam hatte Mühe, die Panik niederzukämpfen. Er musste stark bleiben. Er wusste, was sie haben wollte, und er durfte es ihr nicht geben. Um keinen Preis. Ganz gleich, wie viel er würde leiden müssen.
Sie nahm die Fernbedienung. »Zehn Sekunden.«
Dann drückte sie auf die Taste Shreddern.
Sein ganzer Körper stand jäh in Flammen, und seine Zähne schlugen mit brutaler Wucht zusammen. Sein Magen verkrampfte sich zuckend unter den Schmerzen einer glühenden Sonne, die plötzlich in ihm aufgeflammt war. Vor seinen Augen wurde alles weiß. Noch nie hatte er einen solchen Schmerz gespürt. Ein reißendes, rollendes Ungeheuer in seinem Leib sandte Wellen der Agonie durch seinen ganzen Körper. Die Zeit lief langsamer, und er verlor den Halt in ihr. Er sah Vögel, fliegende Vögel, gejagt von Männern mit sehr großen Geschützen. In der Ferne läutete eine Glocke. Er sah das Schiff, die Linie im Himmel, den Rauchpilz, als sei das alles gestern passiert. Er sah Tausende kleiner Spiralen, die sich wie Feuerräder über den Himmel verbreiteten, wie Funken von einem Feuer.
Aus weiter Ferne hörte er ihre Stimme. Sie zählte abwärts: drei, zwei, eins ...
Langsam ließ der Schmerz nach. Es schien Stunden zu dauern, bis sein Körper sich davon erholt hatte und die Magenkrämpfe nachließen. Seine Augen waren zusammengepresst, seine Wangen kalt. Er weinte.
Allmählich kam er zu sich und öffnete die Augen. Die Frau war noch da. Mit einem zierlichen Zeigefinger klopfte sie sich an die Lippen.
»Sagen Sie es mir«, befahl Orchid. »Blinzeln Sie zwei Mal, wenn Sie bereit sind.«
Sie betrachtete ihn forschend und suchte nach den Anzeichen des Zusammenbruchs. Ihr Blick fiel auf seine Hände. Wenn sie aufgaben, entspannten sich ihre Hände immer, sie wurden zu toten Fischen. Connor hatte die Fäuste geballt. Connor hatte noch nicht kapituliert.
»Professor Connor, hören Sie mir aufmerksam zu«, sagte sie. »Vielleicht denken Sie, was Sie soeben erlebt haben, ist das Schlimmste, das ich Ihnen antun kann. Aber das ist es nicht. Es wird noch viel, viel schlimmer werden.«
Sie öffnete ihre Aktentasche und nahm einen Laptop heraus. Sie gab ein paar Befehle ein und hielt ihm dann den Monitor vor das Gesicht.
Connor versuchte zu blinzeln, und sein Blick huschte zwischen ihr und dem Monitor hin und her. Sie konnte die Angst fühlen, die er ausstrahlte - die Angst des Wissenden. Er sah die Infrarotlaser und die Photodioden am Rand des Computerdisplays. Er wusste, was sie bedeuteten. Ein kluger Mann, dieser Liam Connor. Sie hatte noch nie einen Nobelpreisträger gefoltert.
Der Computer war ihr Lügendetektor. Werbefirmen hatten raffinierte Programme entwickelt, mit denen sich menschliche Reaktionen beim Betrachten von Werbefilmen auf dem Bildschirm beobachten ließen. Sie verfolgten Augenbewegungen, Pupillenveränderungen, den Blutfluss in den Gefäßen der Sklera, dem Weißen des Auges. Das Militär benutzte die gleiche Technologie bei Verhören, aber sie hatte sie ihren eigenen Bedürfnissen angepasst, und nach ihren Erfahrungen war sie effizient.
Darwin starrte aus dem Bildschirm hervor. Lauter Testnamen, lauter Tests. Eichungen. Sie musste sehen, wie Connor auf solche Reize reagierte, und das Muster seiner Reaktionen erkennbar werden lassen.
Sie fing jetzt mit seinen Kollegen an. »Mark Sampson.« Ein Bild seines langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiters erschien. Sie hatte es von seiner Website. Keine Reaktion. Sie las weiter. Ein neues Bild, ein neuer Name.
»Vlad Glazman.«
»Jake Sterling.«
Der kleine rote Anzeigebalken am unteren Bildschirmrand flackerte. Ein winziges Signal, aber leicht erkennbar über dem Grundrauschen. Sie machte sich eine Notiz. Gut. Der Mann stand hoch oben auf ihrer Liste - sie hatte sein Haus und sein Labor bereits umfassend verdrahtet.
Und jetzt, dachte sie, zum Kern der Sache.
Nein, nein, nein, bitte, Gott, nein ...
Sie arbeitete sich durch seine Kollegen und Freunde und schließlich durch seine Familie. Blockiere deine Gedanken. Hör auf zu denken. Hör auf zu fühlen ...
»Ethel Connor.«
»Arthur Connor.«
»Maggie Connor.«
Der Balken am unteren Rand schlug heftig aus.
Die Frau sah erst ihn, dann das Bild seiner Enkelin Maggie an.
Connor war schweißgebadet. Er zitterte unkontrolliert vor Kälte.
Die Frau beugte sich vor. Ihr Gesicht war nur noch eine Handbreit entfernt, und er konnte sie riechen. Sie roch nach Holz und Kreosot. »Sagen Sie mir, wo der Uzumaki ist, Professor Connor. Hören Sie auf, sich zu wehren. Sie müssen doch wissen, wie das hier endet.«
Sie klopfte mit dem Finger auf den Monitor. »Ihre Enkelin. Ich werde sie vor Ihren Augen foltern. Entweder sagen Sie es mir, oder sie wird sterben.«
Connor hätte sie gern umgebracht. Mehr als alles auf der Welt wünschte er sich, er könnte seine Arme losreißen und sie erwürgen.
Sie drückte auf eine Taste, und ein neues Bild leuchtete auf. Der kleine rote Anzeigebalken sprang in die Höhe.
Dylan.
»Wenn Maggie tot ist, fange ich mit dem Jungen an. Mit Ihrem Urenkel. Glauben Sie, dabei können Sie zusehen? Glauben Sie, Sie können hören, wie er schreit, immer und immer wieder? Glauben Sie, dann können Sie weiter so tapfer sein?«
Nein, das konnte er nicht, das wusste er. Er wusste aber auch, dass er ihr den Uzumaki nicht geben konnte. Mit ihm würde eine biologische Bedrohung unvorstellbaren Ausmaßes frei. Die Auswahl war hart und binär. Er konnte zusehen, wie sie starben. Oder er konnte ihr sagen, was sie wissen wollte.
Wieder kam sie dicht an ihn heran. »Nur eine Minute. Sagen Sie es mir. Dann ist alles vorbei. Sie sterben. Die andern leben.«
Er weigerte sich, das zu akzeptieren. Es musste noch eine Möglichkeit geben. Er konnte sie nicht retten, das war ihm jetzt klar. Ebenso wenig, wie er sich selbst retten konnte. Aber etwas konnte er tun. Mit seinem Leiden konnte er ein bisschen Zeit für sie herausschinden. Wenn er stark wäre, stärker als je zuvor, könnte Connor diese Kleinigkeit bewältigen.
Dann würden sie den Rest übernehmen müssen.
»Zehn Sekunden«, sagte sie. »Erzählen Sie es mir.«
Connor wappnete sich. Mit diesem Leiden ...
Die Sekunden verstrichen. Sie drückte auf Shreddern. Die Crawler in seinem Magen erwachten.
Liam Connor schrie.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Liam Connor stand in seinem Labor und hielt eine silberglänzende, spitze Pinzette Nr. 5 in der Hand. Der Ire war sechsundachtzig Jahre alt, knapp einen Meter siebzig groß und trug eine braune Cordhose, einen grauen Pullover und alte weiße Turnschuhe. In seinen fünfzig Jahren an der Cornell University hatte Liam die wohl vielfältigste Sammlung von Pilzen angelegt, die es auf der Welt gab. Er nannte sie seine »Gärten der Fäulnis«, und sie bestanden aus zehntausend briefmarkengroßen Beeten in einem quadratischen Raster, eine buntscheckige Menagerie aus Gelb-, Grün- und Grautönen.
Ein MicroCrawler kam herangesaust. Mit seinen rasiermesserscharfen Siliziumbeinen schnitt er eine Gewebsprobe von einem der Pilze. Dann nahm er Kurs auf eine Ecke des Tischs und gab die Probe in ein Gerät zur Analyse von DNA und Proteinexpression. Die als MicroCrawler bezeichneten spinnengroßen Mikroroboter pflegten die Gärten. Es waren insgesamt vierzehn Stück, alle kleiner als eine Zehn-Cent-Münze, und sie wurden von einer über den Tischen angebrachten Kamera beobachtet und von einem Computer in der Ecke gesteuert.
Liam sah hinaus in den dunklen Korridor. Seine Enkelin Maggie hatte recht. Ein Mann von sechsundachtzig Jahren sollte jede Sekunde, die ihm noch blieb, mit seiner Familie verbringen, nicht allein in einem Forschungslabor, wo er die Gene in irgendwelchen Pilzen hin und her schob. Aber anders ging es nicht. Seine Arbeit war noch nicht beendet.
Er blieb im leeren Korridor stehen und lauschte. Nichts.
Er war beunruhigt, nicht ohne Grund.
Die Frau, die ihn verfolgte, wurde dreister. Sie hatte immer weniger Hemmungen, sich sehen zu lassen. Liam war schon zweimal von fanhaften Groupies verfolgt worden - das war ein Nebeneffekt des Ruhms, den Liam inzwischen als Wissenschaftler erlangt hatte -, aber das blieb folgenlos. Die Campus-Polizei hatte mit den Studenten gesprochen, und dann waren sie verschwunden. Auch jetzt hatte er pflichtbewusst die Stalkerin der Polizei gemeldet, aber bisher hatte man sie noch nicht identifiziert.
Vielleicht war sie ja harmlos. Sie hatte das richtige Alter, aber sie bewegte sich nicht wie eine ruhmgeblendete Doktorandin.
Sie bewegte sich wie ein Profi.
Liam gab ein paar Befehle in den Computer ein und trat zurück, um die Crawler zu beobachten. Dann wandte er sich mit seinen arthritischen Fingern den Aufgaben zu, die von den Crawlern immer noch nicht erledigt werden konnten. Zum Beispiel konnten sie sich keine Ziele setzen und nicht entscheiden, welche Fungi ausgelöscht und welche weiter gezüchtet werden sollten. Sie hatten keine Agenda, die ihre Aktionen leitete. Aber genau darauf kam es an. Liams Agenda war seit über sechzig Jahren klar umrissen, seit jenem Frühlingstag im Pazifik. Aber diese Agenda hatte er konsequent für sich behalten.
Er dachte an seinen Assistenten Jake. Er war mit Jake zum Seneca Depot gefahren, einer stillgelegten militärischen Anlage, ungefähr vierzig Meilen weit im Norden, vorgeblich um ihm eine Herde von seltenen, reinweißen Rehen zu zeigen, die auf dem Gelände lebte. Aber der wahre Grund war ein anderer gewesen. Connor hatte nach und nach Jake ein paar Dinge erzählt und verborgene Schichten freigelegt. Jake hatte selbst einen Krieg erlebt. Er verstand etwas davon.
Liam verfolgte seine eigene Agenda, abgesehen von den Bruchstücken, die er Jake erzählt hatte. Jake wusste jetzt, dass die Japaner am Ende des 2. Weltkriegs eine biologische Superwaffe besessen hatten, die durch die vierte Atomexplosion in der Geschichte vernichtet worden war. Liam hatte den Namen ausgesprochen. Uzumaki. Seit Jahrzehnten hatte er das nicht mehr getan.
Aber Jake wusste nicht alles. Er wusste nicht, dass Liam im Besitz eines der sieben kleinen Metallzylinder war, die den Pilz, der Uzumaki genannt wurde, enthielten. Und er wusste auch nicht, dass Liam endlich, nach sechzig Jahren, entdeckt hatte, wo die verwundbare Stelle des Uzumaki lag.
Klick.
Connor erstarrte. Das Geräusch kam von draußen.
»Maggie?«
Es sähe ihr ähnlich, vorbeizukommen, um zu versuchen, ihn von hier loszueisen. Niemand antwortete.
»Jake?« Der Mann war auch eine Nachteule. Liam traf ihn oft noch nach Mitternacht in seinem Labor an. »Jake?«
Er lauschte. Nichts.
Er sah sich im Labor um. Die Crawler waren in den Gärten. Der Computermonitor war eingeschlafen.
Nichts Außergewöhnliches.
Klick!
Das Licht ging aus.
Tink, tink, tink.
Als Liam Connor zu sich kam, war dieses tink tink das Erste, was an sein Ohr drang. Tink, tink, tink.
Er war verwirrt, aus der Zeit gelöst, und kurze, unzusammenhängende Bilder stiegen ihm vor Augen. Er war zwölf und wanderte durch die grüne Hügellandschaft um Sligo auf der Suche nach einem neuen Pilz. Er war zweiundzwanzig, auf einem Kriegsschiff im Pazifik, und betrachtete ein dünnes Messingröhrchen in seiner Hand. Er war zweiunddreißig, in ihrem ersten eigenen Haus in Ithaca, und sah zu, wie seine Frau splitternackt aus dem Bett aufstand. Er war dreiundvierzig, und der König von Schweden legte ihm eine Medaille um den Hals. Er war siebenundsiebzig und sah zum ersten Mal seinen Urenkel, laut schreiend und mit puterrot zerknautschtem Gesicht.
Tink, tink, tink.
Nach einer Weile wurde er ruhiger und war wieder der, der er jetzt war: ein alter Mann. Sechsundachtzig. Emeritierter Professor der Biologie an der Cornell University.
Er wollte sich bewegen, aber nichts war, wie es sein sollte. Er konnte die Arme nicht heben. Er konnte den Mund nicht öffnen. Er hatte das Gefühl, aufrecht zu sitzen, aber er war nicht sicher. Er hatte verschwommene schwarze Flecken vor den Augen und konnte nichts sehen. Alles, was er hatte, war dieses Geräusch.
Tink, tink, tink.
Es klang vertraut. Er kannte dieses Geräusch. Aber was zum Teufel war es?
Er versuchte sich zu erinnern, was passiert war. Er war im Labor gewesen, das wusste er genau, und hatte sich um die Gärten der Fäulnis gekümmert. Er hatte dort herumgepusselt, und dann - dann nichts mehr. Eine leere Stelle in seiner Erinnerung. War es noch dieselbe Nacht? Immer noch Sonntag?
Er konnte den Kopf nicht bewegen. Er saß aufrecht, aber er konnte sich nicht rühren. Jemand hatte ihm einen Schlag versetzt, daran erinnerte er sich jetzt. Er spürte es noch.
Jetzt hörte er ein neues Geräusch. Ein Wispern in der Luft, leise, sanft. Stille. Dann kam es wieder.
Jemand atmete.
Ganz sicher. Jemand saß direkt vor ihm. Im Dunkeln. Sehr nah.
Tink, tink, tink.
Er wollte den Mund öffnen, um etwas zu sagen, aber es ging nicht. Sein Mund ließ sich nicht öffnen. Etwas stimmte nicht mit seiner Zunge. Sie wurde fest nach unten gedrückt.
Er hörte Schritte in seiner Nähe. Sie entfernten sich. Dann ging flackernd das Licht an. Er blinzelte in der plötzlichen Helligkeit und wartete darauf, dass die weißen Kleckse vor seinen Augen sich zu Formen und Farben ordneten.
Er schaute sich um. Ein Schmerz bohrte sich wie eine Messerklinge zwischen seine Augen, und es dauerte eine Minute, bis er sich aus dem, was er sah, ein Bild machen konnte. Er saß in einer riesigen, senkrecht stehenden Röhre von ungefähr fünf Metern Durchmesser. Die runden Wände waren aus rostigem Metall. Nach einer Weile begriff er, dass es ein altes Getreidesilo war. Holzlatten hielten die Wände zusammen wie die Rippen eines Wals, und das Blech war hier und da aufgerissen, so dass man hinausschauen konnte. Draußen war es stockfinster. Ein paar verirrte Schneeflocken wehten herein und schmolzen auf dem Kiesboden.
Die Frau kam auf ihn zu. Eine Asiatin - eine Chinesin, da war er fast sicher. Zwischen zwanzig und dreißig, mit einer kleinen runden Brille. Sofort erkannte er sie als die Frau, die ihn verfolgt hatte. Sie beugte sich so weit vor, dass ihr Gesicht keinen halben Meter weit entfernt war. Sie war hübsch - ein Eindruck, der durch zwei dünne, vollkommen symmetrische Narben auf ihren Wangenknochen noch verstärkt wurde.
Liam wollte etwas sagen, aber er bekam den Mund noch immer nicht auf. Es war, als klemmte sein Kopf in einer Schraubzwinge.
Sie hielt ihm einen Spiegel vor. Er war ungefähr so groß wie ein Taschenbuch, und sie veränderte den Winkel ein wenig, so dass er sich sehen konnte.
Der Anblick war ein Schock. Sein Kopf steckte in einem Stahlrahmen, dessen Streben und Bänder seinen Schädel fixierten wie bei einem Patienten mit einer Halswirbelverletzung. Eine Klammer aus Gummi und Stahl hielt seinen Unterkiefer unbeweglich fest. Er sah alt aus, unglaublich alt, viel älter als sechsundachtzig Jahre. Die Runzeln in seinem Gesicht waren wie die Risse in einem ausgetrockneten Flussbett, und weiße Haarbüschel standen zu beiden Seiten von seinem Kopf ab. Er war ein Leichnam, ein Gespenst, dessen Schädel in einem Gestell aus einem Frankenstein'schen Albtraum steckte.
Die Frau ließ den Spiegel sinken. Als sie sprach, tat sie es in exzellentem Englisch mit
einem Hauch des Akzents ihrer Heimat. »Ein gemeinsamer Freund schickt mich«, sagte sie. Eine Chinesin. Aus dem Norden, vermutete er, und er verspürte einen leisen Tremor in den
unteren Rückenwirbeln. Bei ihren nächsten Worten blieb ihm fast das Herz stehen. »Ich komme wegen des Uzumaki.«
Tink, tink, tink.
Das Geräusch. Er kannte das Geräusch.
Sein Blick ging nach unten. Sie hielt eine gläserne Petri-Schale auf dem Schoß. Vier blinkende Gegenstände wieselten darin herum, alle nicht größer als ein 10-Cent-Stück.
MicroCrawler. Sie rannten mit beeindruckendem Tempo in der Petri-Schale herum und stießen immer wieder gegen die Wand. Tink, tink, tink. Ihre gegliederten Beinchen waren aus Silizium gefräst und so scharf wie Rasierklingen.
Er schloss die Augen, aber er hörte es immer wieder, das tink tink von Silizium und Glas. »Am besten sagen Sie es mir sofort.«
Er zwang sich zur Konzentration. Noch hatte er keine Schusswaffe gesehen. Wenn er hier loskommen könnte, hätte er eine Chance. Er war klein und uralt, aber immer noch flink, und er konnte brutal und bösartig werden, wenn es sein musste.
Tink, tink, tink.
Sie streckte die Hand aus und berührte etwas an dem Stahlrahmen um seinen Kopf. Mit einem surrenden Geräusch drückte die Apparatur seinen Unterkiefer mit mechanischer Präzision herunter, starr wie eine Tresortür. Kalte Luft berührte seine Kehle.
Tink, tink, tink.
Sie drückte eine Taste an der Fernsteuerung in ihrer rechten Hand, und die Crawler in der Glasschale hörten unvermittelt auf mit ihrem Gewimmel. Die plötzliche Stille war wie ein Schock.
Mit einer Pinzette nahm sie einen der kleinen Roboter auf, schob ihn tief in seinen Mund und legte ihn weit hinten auf seine Zunge. Er hatte Mühe, nicht in Panik zu geraten und nicht zu würgen. Die rasiermesserscharfen Beine schnitten bei der kleinsten Bewegung ins Gewebe. Schon spürte er winzige Blutstropfen auf seiner Zunge.
Sie drückte wieder auf einen Knopf, und die summenden Piezomotoren schlossen seinen Mund. Seine Zähne schlugen mit hörbarem Klacken aufeinander. Sie legte eine Hand auf seinen Mund, und mit zwei zarten Fingern drückte sie ihm die Nase zu.
»Schlucken«, sagte sie.
Sekunden verstrichen, wahrscheinlich eine volle Minute, und dann überwältigte ihn die Panik. Er sträubte sich heftig gegen seine Fesseln, und sein ganzer Körper rebellierte so sehr gegen den Sauerstoffmangel, dass er befürchtete, er könnte sich einen Knochen brechen. Er hatte einen starken Willen, aber er wusste, dass er eine solche Tortur nicht ertragen konnte. Zappelnd und zerrend hielt er durch, so lange er konnte, aber dann begann alles vor seinen Augen zu verschwimmen.
Du kannst nicht atmen. Es passiert unwillkürlich.
Du schluckst.
Er spürte, wie der Crawler durch seine Speiseröhre wanderte, fühlte den brennenden Schmerz des verletzten, zarten Gewebes. Er wollte schreien, aber er konnte den Unterkiefer nicht bewegen, die Zunge nicht heben. Er war ausgeschaltet und gelähmt, und der Klang seines Schreis war eingesperrt in seinem Kopf.
Sie nahm die Hände weg, und er schnappte durch die zusammengepressten Zähne nach Luft. Seine Brust hob und senkte sich krampfhaft. Er versuchte die Kontrolle über sich zu behalten und zu begreifen, was hier passierte.
Sie drückte auf den Knopf, und sein Mund wurde geöffnet. Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete sie in die Mundhöhle. »Gut«, sagte sie.
Und dann wiederholte sie die qualvolle Prozedur noch drei Mal. Vier Crawler in seinem Magen. Liam hatte Mühe, die Panik niederzukämpfen. Er musste stark bleiben. Er wusste, was sie haben wollte, und er durfte es ihr nicht geben. Um keinen Preis. Ganz gleich, wie viel er würde leiden müssen.
Sie nahm die Fernbedienung. »Zehn Sekunden.«
Dann drückte sie auf die Taste Shreddern.
Sein ganzer Körper stand jäh in Flammen, und seine Zähne schlugen mit brutaler Wucht zusammen. Sein Magen verkrampfte sich zuckend unter den Schmerzen einer glühenden Sonne, die plötzlich in ihm aufgeflammt war. Vor seinen Augen wurde alles weiß. Noch nie hatte er einen solchen Schmerz gespürt. Ein reißendes, rollendes Ungeheuer in seinem Leib sandte Wellen der Agonie durch seinen ganzen Körper. Die Zeit lief langsamer, und er verlor den Halt in ihr. Er sah Vögel, fliegende Vögel, gejagt von Männern mit sehr großen Geschützen. In der Ferne läutete eine Glocke. Er sah das Schiff, die Linie im Himmel, den Rauchpilz, als sei das alles gestern passiert. Er sah Tausende kleiner Spiralen, die sich wie Feuerräder über den Himmel verbreiteten, wie Funken von einem Feuer.
Aus weiter Ferne hörte er ihre Stimme. Sie zählte abwärts: drei, zwei, eins ...
Langsam ließ der Schmerz nach. Es schien Stunden zu dauern, bis sein Körper sich davon erholt hatte und die Magenkrämpfe nachließen. Seine Augen waren zusammengepresst, seine Wangen kalt. Er weinte.
Allmählich kam er zu sich und öffnete die Augen. Die Frau war noch da. Mit einem zierlichen Zeigefinger klopfte sie sich an die Lippen.
»Sagen Sie es mir«, befahl Orchid. »Blinzeln Sie zwei Mal, wenn Sie bereit sind.«
Sie betrachtete ihn forschend und suchte nach den Anzeichen des Zusammenbruchs. Ihr Blick fiel auf seine Hände. Wenn sie aufgaben, entspannten sich ihre Hände immer, sie wurden zu toten Fischen. Connor hatte die Fäuste geballt. Connor hatte noch nicht kapituliert.
»Professor Connor, hören Sie mir aufmerksam zu«, sagte sie. »Vielleicht denken Sie, was Sie soeben erlebt haben, ist das Schlimmste, das ich Ihnen antun kann. Aber das ist es nicht. Es wird noch viel, viel schlimmer werden.«
Sie öffnete ihre Aktentasche und nahm einen Laptop heraus. Sie gab ein paar Befehle ein und hielt ihm dann den Monitor vor das Gesicht.
Connor versuchte zu blinzeln, und sein Blick huschte zwischen ihr und dem Monitor hin und her. Sie konnte die Angst fühlen, die er ausstrahlte - die Angst des Wissenden. Er sah die Infrarotlaser und die Photodioden am Rand des Computerdisplays. Er wusste, was sie bedeuteten. Ein kluger Mann, dieser Liam Connor. Sie hatte noch nie einen Nobelpreisträger gefoltert.
Der Computer war ihr Lügendetektor. Werbefirmen hatten raffinierte Programme entwickelt, mit denen sich menschliche Reaktionen beim Betrachten von Werbefilmen auf dem Bildschirm beobachten ließen. Sie verfolgten Augenbewegungen, Pupillenveränderungen, den Blutfluss in den Gefäßen der Sklera, dem Weißen des Auges. Das Militär benutzte die gleiche Technologie bei Verhören, aber sie hatte sie ihren eigenen Bedürfnissen angepasst, und nach ihren Erfahrungen war sie effizient.
Darwin starrte aus dem Bildschirm hervor. Lauter Testnamen, lauter Tests. Eichungen. Sie musste sehen, wie Connor auf solche Reize reagierte, und das Muster seiner Reaktionen erkennbar werden lassen.
Sie fing jetzt mit seinen Kollegen an. »Mark Sampson.« Ein Bild seines langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiters erschien. Sie hatte es von seiner Website. Keine Reaktion. Sie las weiter. Ein neues Bild, ein neuer Name.
»Vlad Glazman.«
»Jake Sterling.«
Der kleine rote Anzeigebalken am unteren Bildschirmrand flackerte. Ein winziges Signal, aber leicht erkennbar über dem Grundrauschen. Sie machte sich eine Notiz. Gut. Der Mann stand hoch oben auf ihrer Liste - sie hatte sein Haus und sein Labor bereits umfassend verdrahtet.
Und jetzt, dachte sie, zum Kern der Sache.
Nein, nein, nein, bitte, Gott, nein ...
Sie arbeitete sich durch seine Kollegen und Freunde und schließlich durch seine Familie. Blockiere deine Gedanken. Hör auf zu denken. Hör auf zu fühlen ...
»Ethel Connor.«
»Arthur Connor.«
»Maggie Connor.«
Der Balken am unteren Rand schlug heftig aus.
Die Frau sah erst ihn, dann das Bild seiner Enkelin Maggie an.
Connor war schweißgebadet. Er zitterte unkontrolliert vor Kälte.
Die Frau beugte sich vor. Ihr Gesicht war nur noch eine Handbreit entfernt, und er konnte sie riechen. Sie roch nach Holz und Kreosot. »Sagen Sie mir, wo der Uzumaki ist, Professor Connor. Hören Sie auf, sich zu wehren. Sie müssen doch wissen, wie das hier endet.«
Sie klopfte mit dem Finger auf den Monitor. »Ihre Enkelin. Ich werde sie vor Ihren Augen foltern. Entweder sagen Sie es mir, oder sie wird sterben.«
Connor hätte sie gern umgebracht. Mehr als alles auf der Welt wünschte er sich, er könnte seine Arme losreißen und sie erwürgen.
Sie drückte auf eine Taste, und ein neues Bild leuchtete auf. Der kleine rote Anzeigebalken sprang in die Höhe.
Dylan.
»Wenn Maggie tot ist, fange ich mit dem Jungen an. Mit Ihrem Urenkel. Glauben Sie, dabei können Sie zusehen? Glauben Sie, Sie können hören, wie er schreit, immer und immer wieder? Glauben Sie, dann können Sie weiter so tapfer sein?«
Nein, das konnte er nicht, das wusste er. Er wusste aber auch, dass er ihr den Uzumaki nicht geben konnte. Mit ihm würde eine biologische Bedrohung unvorstellbaren Ausmaßes frei. Die Auswahl war hart und binär. Er konnte zusehen, wie sie starben. Oder er konnte ihr sagen, was sie wissen wollte.
Wieder kam sie dicht an ihn heran. »Nur eine Minute. Sagen Sie es mir. Dann ist alles vorbei. Sie sterben. Die andern leben.«
Er weigerte sich, das zu akzeptieren. Es musste noch eine Möglichkeit geben. Er konnte sie nicht retten, das war ihm jetzt klar. Ebenso wenig, wie er sich selbst retten konnte. Aber etwas konnte er tun. Mit seinem Leiden konnte er ein bisschen Zeit für sie herausschinden. Wenn er stark wäre, stärker als je zuvor, könnte Connor diese Kleinigkeit bewältigen.
Dann würden sie den Rest übernehmen müssen.
»Zehn Sekunden«, sagte sie. »Erzählen Sie es mir.«
Connor wappnete sich. Mit diesem Leiden ...
Die Sekunden verstrichen. Sie drückte auf Shreddern. Die Crawler in seinem Magen erwachten.
Liam Connor schrie.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
... weniger
Autoren-Porträt von Paul McEuen
Paul McEuen (Jahrgang 1963) ist einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Nanotechnologieforschung und lehrt als Professor an der Cornell University im Staat New York. Er wurde mehrfach ausgezeichnet und publiziert regelmäßig in "Nature" und "Science". Zu seinen Forschungsinteressen sagt er selbst: "Alles, solange es nur klein genug ist."Rainer Schmidt, geboren 1951 in Mülheim/Ruhr, lebt als Übersetzer aus dem Englischen in Hamburg und Essen. Unter anderen übertrug er Romane von Frederick Forsyth, Mo Hayder, Justin Cronin und Donna Tartt ins Deutsche.
Bibliographische Angaben
- Autor: Paul McEuen
- 2010, 3. Auflage, 388 Seiten, Maße: 14,4 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Rainer
- Übersetzer: Rainer Schmidt
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 350210218X
- ISBN-13: 9783502102182
Kommentar zu "Spiral"
0 Gebrauchte Artikel zu „Spiral“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Spiral".
Kommentar verfassen