Sprich langsam, Türke
''In der Weltgeschichte tauchte zuerst der Knoblauch auf, dann der Türke. Zur vollständigen Symbiose gelangten Knoblauch und Türke ein paar Jahrhunderte später in Anatolien.''
Kerim Pamuk, in der Türkei geboren und in Hamburg aufgewachsen, erzählt mit...
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''In der Weltgeschichte tauchte zuerst der Knoblauch auf, dann der Türke. Zur vollständigen Symbiose gelangten Knoblauch und Türke ein paar Jahrhunderte später in Anatolien.''
Kerim Pamuk, in der Türkei geboren und in Hamburg aufgewachsen, erzählt mit treffsicherer Komik vom türkisch-deutschen Zusammenleben, von beiderseitigen Missverständnissen und sorgsam gepflegten Vorurteilen.
''Ein Schlüsselloch, durch das wir Leben und Gewohnheiten der Türken beobachten können.''
Die Zeit
Sprich langsam, Türke von KerimPamuk
LESEPROBEGood cop, bad cop
TürkischeEltern denken und handeln global. Lokale Probleme, wie z. B. die Erziehung derKinder, überlassen sie gern unteren Instanzen. Wozu gibt es sonst Lehrer undSchulen oder Hodschas und Moscheen'? Muss man sich denn um alles selbstkümmern?
Unterden Erziehungsberechtigten türkischer Prägung kann man - wie heiSchmirgelpapier - drei Härtegrade unterscheiden.
SÜPER-RAUH:Um diesen Härtegrad zu begreifen, muss man ein Suffix der türkischen Sprachekennen und beherrschen, »maz« (das z wird wie das s in »sein« ausgesprochen).Diese Verneinungspartikel (z. B. »alin-maz« = man nimmt nicht) kombiniert mitdem einfach zu lernenden Wort »yasak« (verboten) deckt im wesentlichen diebeiden Grundelemente dieser pädagogischen Schule ab.
Mankann solchen Eltern wirklich nicht vorwerfen, dass sie sich zu viele Gedankenum die Menschwerdung ihrer Kleinen machen. Das Kind kriegt zwei Sorten vonAnleitungen, um sich unbeschadet durch die Kindheit zu lavieren: Entweder man»macht das nicht« oder etwas ist »verboten«. Man lacht nicht laut, schmatztnicht beim Essen, und vor allem widerspricht man den Eltern nicht, schon gar nichtdem Vater. Das Ganze wird noch mit den reichlichen Verboten garniert und auchda gilt für Eltern die Regel: Klotzen, nicht Kleckern.
Esist verboten, zu spät nach Hause zu kommen, zu kurze Röcke zu tragen (allesüber Knöchellänge) oder eine Bockwurst zu essen. Auch ist es verboten, zu vieleFragen zu stellen. Womit wir hei der Achillesferse aller türkischen Elternwären, vor allem der Väter. Nichts hasst er mehr, als wenn sein Kind jedes»macht man nicht« und jedes »das ist verboten« mit diesem penetranten »Warum?«hinterfragt. Schon der Versuch ist eine mittlere Unterhöhlung seiner Autorität.Warum? Warum? Früher, als er klein war, gab es auch kein Warum. Warum ist der Ballrund und der Himmel blau? Verbote sind in Stein gemeißelt und gelten für die Ewigkeit,wenn nicht noch länger. Seit Jahrhunderten bewährt und immer wieder neuzementiert, fanden sie seit eh und je Anwendung und waren erfolgreich. Und erist der Letzte, der daran etwas ändern, geschweige denn dieses herrliche Systemstürzen möchte. Die Erde mag sich drehen, die Welt mag sich verändern, dieVerbote und die »macht man nicht«-Anweisungen bleiben, und das ist auch gut so.
Natürlichsind noch einige Sanktionen notwendig, um die elterlichen Worte nichtwirkungslos verpuffen zu lassen. In diesem Bereich steht den Eltern gleich eineganze Palette wunderbarer Anwendungen zur Auswahl. Von der einfachen Ohrfeigebei der Missachtung eines nebensächlichen Verbotes bis zum Ledergürtel beigrundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Allahs Schatten auf Erdenund seinem Produkt. Denn was im Kalten Krieg den Frieden erhalten hat, bewährtsich auch im Zusammenleben: die Politik der Abschreckung. Wenn der Kleine sichein paar Ohrfeigen eingefangen hat, wird er es sich beim nächsten möglichenVergehen dreimal überlegen, so die Meinung des Erziehers. Wobei eine gewissegeschlechterspezifische Differenzierung durchaus vorhanden ist. BeimZurechtweisen des Jungen sitzt die Hand lockerer, schließlich wird aus dem Bengelmal ein Mann. Beim Mädchen belässt er es auch einmal bei dem Büschel vonHaaren, die der Halbgott sanft in die Höhe zieht, begleitet von einem einfachen
-Orospucocugu (Hurensohn/-tochter).
NÖRMAL-RAUH:Diese Eltern sind begeisterte Fans amerikanischer Krimiserien, und vor allemein Prinzip dieser Serien haben sie vollständig verinnerlicht: »good cop, badcop«. Dieses Prinzip eignet sich nämlich hervorragend für die Erziehung derKinder. Während die Mama für Weiches, Gewährendes und Liebkosendes zuständigist, hat Papa das Monopol auf Bestrafungen jeglicher Art und - er ist ja kein Unmensch- auf das Verzeihen. Schwer zu glauben, aber auch türkische Papas sind unterbestimmten Voraussetzungen bereit, den Kindern ihre Verfehlungen zu verzeihen.Denn das ist der letzte und obligatorische Schritt, der notwendig ist, um denFamilienfrieden wieder herzustellen. Die Kinder küssen ihrem Papa die Hand undentschuldigen sich. Erst dann hebt der Patriarch den Daumen, und in seiner Mienelösen sich die letzten Verfinsterungen. Manche Eltern sind wahre Meister des»good cop, bad cop«-Prinzips. Wenn der Kleine Mama bedrängt und keine Ruhegibt, kommt von der Gütigen:
-Geh und frag Papa, ich kann das jetzt nicht entscheiden.
Waseinem sinnlosen Unterfangen gleichkäme, wie das gebeutelte Kind inzwischenweiß. Viele Kinder springen wie Pingpong-Bälle zwischen Papas - Frag deineMama, ich kann mich nicht um alles kümmern und Mamas
-Frag erst mal deinen Papa, er kennt sich damit besser aus hin und her, ohnediesen gordischen Knoten lösen zu können. Auf andere Kinder hingegen wirkt dieMethode geradezu inspirierend. Sie lernen schnell, wie sie die Elterngegeneinander ausspielen und damit die meisten Verbote aushebeln können. Auchbeim Taschengeld kriegen sie bald heraus, wie sie am Besten doppelt kassieren.
SÖFT-RAUH:Schon früh bereiten solche Feinschliff-Erzieher ihre Bälger auf spätere Rollenund Funktionen vor. Papas kleiner Scheißer darf grundsätzlich alles, muss nirgendwomithelfen, und sein Erzeuger ist stolz, wenn der Kleine auch schon ein paarordinäre Flüche auf Knopfdruck vor Freunden aufsagen kann. Jeder Wunsch wirdihm von den Lippen abgelesen. Je kriegerischer sich der Kleine gebärdet, umsostolzer ist der Papa. Türkische Jungs müssen stark und furchtlos sein. Egal,was für ein jämmerlicher Feigling der Papa ist. Mamas kleine Tochter hat in diesemSpiel nicht ganz so gute Karten. Längst darf sie nicht alles, was dem kleinenFilius wie selbstverständlich gewährt wird. Würde sie vor dem Besuch ebensofluchen wie der Bruder, wäre das Entsetzen groß. Früh wird sie in den Haushalteingespannt, lernt »frauenspezifische« Tätigkeiten wie Bügeln, Waschen, Kochenund Nähen. Ob sie will oder nicht. Vor allem lernt sie Zurückhaltung. ImVordergrund steht der Mann, dahinter die Frau. Ist der Sohn aufmüpfig, wertetdas der Papa als Zeichen von Mut und Stärke. Leistet sich die Tochter diesenLuxus, muss der Patriarch ihr die Flügel stutzen, und zwar gründlich. Mitzunehmendem Alter wird die Ungleichbehandlung noch krasser. Der Sohn darf inder Jugend seine Eroberungen mit nach Hause bringen und damit natürlich protzen.Er muss sich ja die Hörner abstoßen. Würde das Mädchen ihren Freund mit nachHause bringen, wäre im Haushalt die Hölle los. Nur Töchter bringen Schandeüber die Familie, nicht Söhne. Nachdem der Sohn sich ausgetobt hat, wird erverheiratet. Mami sucht gerne das passende Weib aus. Selbstverständlich ausgutem Hause. Gerne ein Frischimport aus dem Heimatdorf. Ein Mädchen, das sienach ihrem Gutdünken formen kann, eine, die »noch nicht zuviel gesehen hat«.Damit man guten Gewissens ihren Prinzen in die Hände der Ehefrau übergebenkann. Das Mädchen soll Mamas Liebling später genauso bemuttern und betüteln wiesie selber. So wächst der Junge zu einem Mann heran, der - selbständig wie einSechsjähriger - ohne Mama oder Ehefrau glatt verhungern würde. Der Weg derTochter ist beschwerlicher, steiniger, aber verhungern würde sie nicht einmalin der Wüste. Bereits in der Pubertät ist sie reifer und selbständiger, als esihr Bruder je sein wird. Ihr Weg ist vorgezeichnet. Nicht jedes Mädchenakzeptiert diese Willkür, manches rebelliert offen und riskiert den Bruch mitder Familie, wird mit Schimpf und Schande verjagt. Die andere junge Frau entledigtsich der Eltern, indem sie ihren wirklichen - selbst ausgesuchten - Traumprinzenheiratet. Eine ganze Reihe von Mädchen wiederum arrangiert sich mit denVerhältnissen. Nicht jeder Mensch ist zum Rebellen geboren.
Irritationenverursachen Kinder, die sich vom Babyalter an nicht »artgerecht« verhalten.Mädchen, die Hosen anziehen, lieber mit Jungs statt mit ihresgleichen spielenund sich sogar für Technik interessieren, sind nicht wirklich schlimm. Soll javorkommen. In die Sinnkrise stürzt der Chef jedoch, wenn Sohnemann viel liebermit Barbie-Puppen und Stofftieren als mit Autos und Pistolen spielt. Kritisch wirdes, wenn der Nachfolger auf den Familienthron sich liebend gern die Nägellackiert und immer wieder Schwesterchens Röcke anzieht. Sofort werden Mutterund Tochter beschuldigt. Sie haben bestimmt den unschuldigen Kleinen verdorben.Zum Arzt würde sich Papa mit diesem schwerwiegenden Fall nicht trauen, zumImam nebenan schon. Sofort hat der islamische Geistliche die entsprechendeBehandlung, also die passenden Suren, für diesen Fall parat, und wenn dasEssen, die Baklava (türkische Süßspeise) und die Spende für die arme Moscheebeim Hausbesuch stimmen, werden seine Gebete garantiert nicht ihre Wirkungverfehlen und der kleine Bursche wird wieder »umgedreht« und auf das richtigeUfer gebracht werden.
Gehtes um die Außenwahrnehmung, also um »Was sollen die Leute denken?«, verfügentürkische Eltern über dieselben Macken wie deutsche Erzieher. Entweder dieeigenen Kinder werden in Glanz und Gloria dargestellt:
-Also, die Lehrer sagen, dass aus Erkan bestimmt ein Profesör wird. Er istdieses Jahr wieder der Klassenbeste. Nur Einsen bringt er mit nach Hause.
-Ja, ja, aber meine Filiz nimmt jetzt Klavierunterricht, ihr Lehrer meint, soein begabtes Kind ist ihm noch nie unter die Finger gekommen.
Odersie werden in Grund und Boden gestampft:
-Nein, wirklich Hülya ... das ist noch gar nichts ... mein Hüsnü ist noch vielschlimmer, deine Sevgi ist ein Engel dagegen ... aber komm du mir nach Hause,Freundchen! - Nicht doch, Ayfer. Hüsnü ist doch so lieb, ganz wie die Mutter ...meine Sevgi ist eine ausgewachsene Hexe ... ich muss mich für sieentschuldigen, wirklich.
TürkischeKinder sind selbstverständlich ebenso Opfer der allgemein gültigenTotschlag-Einleitungen »Als ich so alt war wie du ...« oder »Solange du deineFüße unter meinen Tisch stellst ... «. Wahrscheinlich gibt es auf der Erde keinVolk, keinen Stamm, dessen Kinder nicht mit dieser Brachialpädagogik gequältwerden. Egal ob Männer in der Kindheit kränkelnde Schwächliche, kompletteVersager oder sportliche Doppelnullen waren: In der späteren Rückschau, vorden eigenen Kindern, kommen sie immer als absolute Asse und mörderischeSportskanonen weg. Eines der unergründlichen Mysterien unseres Universums. DerVater, der seinem Nachwuchs freimütig erzählt, was für ein totaler Waschlappener als Kind war, muss noch geboren werden.
©Deutscher Taschenbuch Verlag
Interview mit Kerim Pamuk
In "Sprichlangsam, Türke!" werfen Sie einen ebenso scharfen wie witzigen Blick aufdie Skurrilitäten des türkisch-deutschen (Zusammen-) Lebens. Wie ist die Ideeentstanden, diese Geschichten aufzuschreiben?
Ich hatte schon lange die Idee zu diesem Buch und binirgendwann auf meinen Verlag Edition Nautilus gestoßen. Ich habedort angefragt, ob sie Lust auf ein Buch über deutsch-türkischeMissverständnisse hätten. Sie hatten. Danach ging alles recht schnell, und eswar (zwischen Verlag und Autor) Liebe auf den ersten Blick. Das ist bis heute -da das zweite Buch in diesen Tagen auf den Markt kommt - so geblieben.
Gibt es etwas, worüber Sie sich nach25 Jahren in Deutschland immer noch wundern?
Es istimmer noch erstaunlich, wie wenig die Menschen in diesem Lande über das Lebender so genannten Ausländer wissen. Nach dem 11. September ist zwar inDeutschland das Geschrei über Assimilierung, Integration undParallelgesellschaften groß, aber kaum ein Politiker oder einPseudoexperte hat je einen türkischen Haushalt von innen gesehen. Trotzdemweiß er, dass in jedem muslimischen Türken ein potenzieller Fundamentaliststeckt. Dass die überwältigende Mehrheit dieser Menschen seit über 40Jahren ein unbescholtenes Leben führt, hier lebt und arbeitet,spielt dabei keine Rolle. Denn die neue Trennlinie verläuft konfessionell: IchChrist, du Moslem.
Sie stammen vonder Schwarzmeer-Küste. Sind Sie häufig in der Türkei? Was fällt Ihnen spontanein, wenn Sie an Ihre "alte Heimat" denken?
Ich bin regelmäßigin der Türkei, aber nicht nur am Schwarzen Meer, sondern auch in Istanbulund an der Mittelmeerküste. Mir fallen etliche Dinge zu meiner "altenHeimat" ein. Fast alles hat mit den Menschen dort zu tun, mit meinenVerwandten und Bekannten, die mir nach 25 Jahren Hamburg immer noch sehram Herzen liegen. Es ist auch nie verkehrt, sich mit den eigenen Wurzelnzu beschäftigen.
Bücher schreibenist nur eines Ihrer Talente. Öfter stehen Sie als Kabarettist auf der Bühne.Welche Ausdrucksform ist Ihnen lieber? Wie arbeiten Sie: eher diszipliniertoder eher spielerisch?
Mein Lebenbesteht im Wesentlichen aus zwei Dingen: Spielen und Schreiben. Und ich liebees, beides zu tun, weil beide Ausdrucksformen eine Welt für sich sind. Ichwünschte, ich könnte sagen, ich arbeite eher diszipliniert, aber dieWirklichkeit ist anders: Ich arbeite nach Deadlines. Auch auf mich trifftder Allgemeinplatz zu, dass der Termin die beste Inspiration ist.
Auf Ihrer Websiteerzählen Sie, wie weit Sie es dank eines starken Glaubens an sich selbst - undnatürlich einer Menge Arbeit - bisher gebracht haben. Haben Sie einen Traum,den Sie unbedingt verwirklichen möchten?
Sie habensicherlich gemerkt, dass die Sätze über den starken Glauben an sich selbst undharte Arbeit auf meiner Website ironisch gemeint sind. Eine Spitze gegen alldie Schaumschläger, die in den Medien gerne erzählen, wie unerschütterlich ihrGlaube an die eigene künstlerische Berufung war und ist und wie sie sich immerdurch die harte, widrige Welt gekämpft haben und immer wussten, sie würden esschaffen. In Wahrheit brauchen gute Künstler drei Dinge: Talent, Arbeit und vorallem Glück. Aber ich habe tatsächlich einen Traum, den ich unbedingtverwirklichen möchte. Filme machen, als Regisseur. Das Drehbuch zu demKinospielfilm "Süperseks" war ein guter Anfang.
Einen kleinen "Traum"haben Sie sich ja bereits verwirklicht: "Allesroger, Hodscha?" heißt Ihr zweites Buch, das zehn "deutsch-türkische"Geschichten erzählt. Was erwartet den Leser hier? Und ist eine der GeschichtenIhre Lieblingsgeschichte?
In den Erzählungen geht es um die Dinge, die für mich das Leben imWesentlichen ausmachen: Lachen, Liebe und Tod. Ein paar Geschichten erzählenauch vom türkischen Leben in Hamburg, aber das "deutsch-türkische"ist nur ein Nebenaspekt des Buches. Eine Lieblingsgeschichte habe ich nicht,dafür sind die zehn zu unterschiedlich.
Die Fragenstellte Ulrike Künnecke, Literaturtest.
- Autor: Kerim Pamuk
- 2005, 118 Seiten, mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 12 x 19,1 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 342320785X
- ISBN-13: 9783423207850
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