Stinas Entscheidung
Manchmal glaubt Stina, dass sie blind war. Als Stina ihren späteren Ehemann Per kennenlernt, glaubt sie an die ganz große Liebe. Per ist klug und charmant, voller Lebensfreude und Tatendrang. Als auch er sich in sie verliebt, scheint ihr Glück grenzenlos....
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Manchmal glaubt Stina, dass sie blind war. Als Stina ihren späteren Ehemann Per kennenlernt, glaubt sie an die ganz große Liebe. Per ist klug und charmant, voller Lebensfreude und Tatendrang. Als auch er sich in sie verliebt, scheint ihr Glück grenzenlos. Doch die erste Schwangerschaft verändert ihr Leben. Per ist wie ausgewechselt, er schlägt und missbraucht sie. Erst nach der Scheidung kann Stina wieder aufatmen. Doch die Angst, ihre beiden Töchter zu verlieren, lässt sie nicht wieder los.
StinasEntscheidung von Marianne Fredriksson
LESEPROBE
1.
Ichwerde aufhören, alles Unrecht aufzuzählen, das mir widerfährt.
Dasist schwer. Die schlechten Gefühle kommen nicht
ausdem Kopf, sie werden irgendwo im Bauch geboren und
lebendort ihr eigenes Leben.
Wiebeim ersten Mal, als ich in die Grube gefallen bin. Da
warich erfüllt von einem brennenden Zorn, der mich nachts
nichtschlafen ließ und der mich tagsüber quälte.
Aberjetzt erwächst die Panik aus meiner Angst.
Siehaben meine Kinder weggelockt. Ich habe schreckliche
Angst,sie zu verlieren.
Undwas soll ich nur mit meiner Angst machen, die mich
nachtsnicht schlafen lässt und die mich tagsüber quält?
Wiees in diesem Herbst regnet!
Genauwie vor sechs Jahren. Ich weiß noch, wie ich auf Rache
sann.Das war für mich eine neue Erfahrung. Sie machte
mirentsetzliche Angst.
Ichwar immer lieb. Leichtgläubig und naiv, sagen meine
Freunde.Sie haben Recht. Und: Wie man sich bettet, so liegt
man,heißt es im Sprichwort.
Aberich hatte kein Bett und auch keinen sicheren Raum, in
demich wohnen konnte. Ich weiß noch, wie ich mich gefragt
habe:Wie soll Eine sich betten, die ihre Bettwäsche verloren
hat?Jetzt habe ich alles: ein eigenes kleines Haus, ein schönes
Schlafzimmer,freundliche Möbel.
Aberwas soll ich nur mit meinem Zorn machen?
2.
Esist Herbst, die Dunkelheit setzt früh ein.
Ichlaufe in meinem Wohnzimmer hin und her, schalte die
Lampenein, das Zimmer erhält seine Farben zurück und ist
wiedermein Zuhause.
Füreinige kurze Momente kann ich Freude empfinden. Das
passiertmir sogar mitten im Alltag. Wenn ich spüle oder in der
Kücheaufräume. Und wenn ich meine Topfblumen gieße und
denFleißigen Lieschen danke, weil sie der herbstlichen Dunkelheit
trotzenund Woche für Woche neue rosa Blüten öffnen.
DiePflanzen schaffen es.
Ichaber bin müde.
Diekurzen Momente der Freude verwandeln sich schnell
inTrauer. Und die Trauer ist von Dauer. Ab und zu kann ich
weinenwie ein verlassenes Kind. Ich schleppe mich dann zum
Computerund dem Buch, das ich dem Verlag versprochen
habe.Aber da bleibe ich dann einfach sitzen.
DieWörter haben sich verirrt, ich finde sie nicht.
Zurückin die Küche, noch mehr Kaffee kochen.
Freunderufen an, sie sind fast ebenso wütend wie ich. Ihr
Zornist eine Hilfe. »Wie kann man eine Mutter zwingen, ihre
zweikleinen Kinder über den Ozean zu schicken, zu einem Vater,
densie nie gesehen haben und der als Psychopath gilt?«
Andiesem Abend nehme ich doppelt so viele Schlaftabletten.
Erwachemit schwerem Körper und schwerer Seele.
Aberals ich erwache, fällt ein seltsames Licht durch die Vor-
hänge.Ich denke langsam, und deshalb dauert es eine Weile,
bismir aufgeht, dass die Sonne scheint.
Lichtder Dämmerung. Schräg fallende Strahlen suchen sich
ihrenWeg durch die alten Bäume an der Straße, verharren eine
Weilebei den Pfaffenhütchen, die rot in ihrer Nische im Felsen
lodern.Der Ahorn lässt gelbe Blätter auf den Boden rieseln.
Diealte hohe Esche steht schon nackt da.
Esgeht auf den Winter zu.
Unleugbar.
Mankann nichts dagegen tun.
Aberich ziehe mich an, hole mir Anorak und Stiefel und wandere
eineWeile unter den Bäumen umher, hole mir eine Decke
ausdem Haus, setze mich auf den feuchten Gartenstuhl vor
derSüdwand und schaue mit zusammengekniffenen Augen zur
Sonnehoch.
Heutewerde ich der Angst standhalten. Ich bin nicht angegriffen,
verletztoder betrogen worden, ich bin nicht einsam.
Wiebeim vorigen Mal.
Ichweiß: Die Angst wurzelt in der alten Depression von damals,
alsich so tief in die Grube gefallen war, dass die Gefahr
bestand,dass ich dort für immer bleiben würde.
MeineKinder lassen nichts von sich hören.
MeinExmann hat eine neue Frau mit zwei Kindern kennen
gelernt.
Dasist gut.
DieSonne hat der Küche Farbe verliehen, die gelben Schranktüren
leuchtenund bald wird es nach frischem Kaffee duften.
Sindes meine schwarzen Gedanken, die mich am Sehen
hindern?
DasWunder verlangt Licht, überlege ich.
Esgibt nur einen Weg, sagt die Bibel.
Vergeben.
Dieandere Wange hinhalten.
Dassind seltsame Worte.
Späterdenke ich, dass ich das mit der Wange mein Leben lang
gemachthabe, ich, die Naive, die Gutgläubige. Ich habe mich
seltengewehrt, habe mich den neuen Schlägen ausgesetzt, habe
dieZähne zusammengebissen, geschluckt. Manchmal hat das
geklapptund der Angreifer hat sich beschämt zurückgezogen.
Vielleichthabe ich diesen Trick angewandt, um mir Unannehmlichkeiten
zuersparen. Ich habe immer Angst vor Zorn gehabt.
Zuvergeben ist viel schwerer. Jetzt erst geht mir auf, dass ich
nieverstanden habe, was dieses Wort bedeutet.
Ichschlage es im Wörterbuch nach:
»DieStrafe erlassen, verzeihen, darüber hinwegsehen, begnadigen,
freisprechen,entschuldigen, nicht anrechnen.« Es
gibtnoch andere Wörter, die ebenso schwer zu verstehen sind.
Abernicht ein Einziges verrät, wie die Betroffene mit ihrer
Trauerund ihrem Zorn umgehen soll.
3.
Aneinem kristallklaren Morgen im schönen September des
Jahres2003 kam ein großer, dicker Brief aus Amerika, adressiert
anmeine offizielle Adresse in Schweden, nämlich die von
RogerSkogs Anwaltskanzlei in Stockholm.
Ichbrachte die Kinder in den Kindergarten, dann suchte ich
meinenAnwalt auf. Mein Herz hämmerte. Roger Skog öffnete
denBrief, las und lachte über die Forderung aus den USA. Dann
machteer Kopien von dem Scheidungsurteil, das mir das Sorgerecht
zugesprochenhat. Und von dem polizeilichen Bericht über
dieMisshandlungen und die Vergewaltigung. Per Stenberg war
inSchweden zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt worden.
Nachseiner Freilassung hatte er sich in die USA abgesetzt.
ZumSchluss forderte mein Anwalt die bislang nicht geleisteten
Unterhaltszahlungenein.
Dasalles wurde übersetzt und dem Kollegen in den USA zugesandt.
Kurzdarauf stellte sich heraus, dass mein Exmann pleite ist!
Unddabei hat er doch immer einen Rat gewusst und seinen
Großvaterangepumpt, der dann seine von Geld strotzende
Handausstreckte und dem verlorenen Sohn einen Vorschuss
aufsErbe gab.
Nacheinigen Wochen kam abermals ein Brief, in dem Per
dasBesuchsrecht für seine Kinder verlangte.
MeinAnwalt meinte, das könne man ihm schwerlich verwehren.
Schließlichsei er ja ihr Vater.
Ichhatte stundenlange Gespräche mit Ingegerd, Pers Tante,
dieich immer sehr gemocht habe.
Sieist eine starke, warme Persönlichkeit. Verheiratet und
wohnhaftin den USA.
Nachund nach konnten wir uns über die Bedingungen einigen.
DieKinder sollten in Ingegerds Haus wohnen. Sie wollte
sichschriftlich verpflichten, alle Verantwortung für die Mädchen
zuübernehmen. Der Aufenthalt sollte höchstens drei Monate
dauern.
»Überleges dir gut«, sagte sie. »Wenn du dich weigerst,
dannbesteht die Gefahr, dass er in Schweden auftaucht und
deineTür einschlägt «
Inden nächsten Wochen zerbrach ich mir dermaßen den
Kopf,dass ich fast den Verstand verlor. Am Ende kam ich zu
demSchluss, dass Ingegerd Recht hatte. Wenn mein Exmann
nachStockholm zurückkehrte, würde ich wieder in das Entsetzen
zurückgezerrtwerden, nicht schlafen und nicht schreiben
können.Und was sollten meine Freunde und Nachbarn denken,
diemir zu einem neuen Dasein verholfen hatten?
Ichrief meinen Vater an.
Errief nach einer Stunde zurück und sagte, er wage es nicht,
dieVerantwortung für meine Entscheidung zu übernehmen.
Ingegerdkam eine Woche darauf nach Schweden, kümmerte
sichum die Kinder, brachte sie zum Kindergarten, spielte mit
ihnen,las ihnen Märchen vor, nähte für sie Puppenkleider.
»Duredest aber komisch«, sagte Maria.
»Duweißt doch, ich wohne in Amerika, und da sprechen
wiranders.«
»Dasist aber spannend«, sagte Maria.
EinigeAbende darauf wollte Katarina in Ingegerds Bett
schlafen.
Wirredeten viel miteinander, Ingegerd und ich.
Siesagte, ich sei eine großartige Mutter, das sei den Kindern
anzumerken.
Undich heulte los.
Siereichte mir ein Taschentuch und sagte:
»Undjetzt erzähle ich dir, was ich mir überlegt habe. Ich
habezwei erwachsene Söhne, beide sind Ärzte. Sie haben
sehrnette Frauen und Kinder, die so alt sind wie deine. Meine
Söhnekennen deine Geschichte und beide bezeichnen meinen
NeffenPer als Psychopathen. Er darf mit seinen Kindern nicht
alleingelassen werden. Also haben wir beschlossen, dass beide
Familienbei uns in die beiden Seitenflügel ziehen werden. Norman,
meinjüngerer Sohn, wird in dem Zimmer neben meinem
schlafen,wo ich mit den Kindern bin.«
Ingegerdund Gunilla packten die Kleider und Schuhe der
Kinder,die Teddys und Puppen, Marias Kissen und Katarinas
Schmuselappenein. Ich half ihnen nicht dabei, ich war wie vernichtet,
bleichund zittrig, ich konnte die Kinder nicht einmal
umarmenund hatte auch kein Abschiedswort für sie.
Ichwar auch nicht dabei, als Gunilla sie alle zum Flughafen
fuhr.
©S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2006
Übersetzung:Gabriele Haefs
- Autor: Marianne Fredriksson
- 2006, 316 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Geb. mit Su., Deutsch
- Verlag: FISCHER Krüger
- ISBN-10: 3810506710
- ISBN-13: 9783810506719
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