Sturmerprobt
Roman
Rasant und provokant, frech und abgrundtief komisch<br /><br />Der Mann ist für viele die Pest, für manche ein Genie und sich selbst gelegentlich ein Rätsel: Eyvindur Jonsson, genannt »Stormur« (was auf deutsch »Sturm« bedeutet),...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Sturmerprobt “
Rasant und provokant, frech und abgrundtief komisch<br />
<br />Der Mann ist für viele die Pest, für manche ein Genie und sich selbst gelegentlich ein Rätsel: Eyvindur Jonsson, genannt »Stormur« (was auf deutsch »Sturm« bedeutet), macht es seinen Mitmenschen nicht eben leicht. Ein Hang zur Bequemlichkeit zeichnet ihn aus - und eine Neigung, die Frauen seines Lebens für sich arbeiten zu lassen. Man könnte ihn auch als genialen Schmarotzer bezeichnen. Immer auf der Suche nach dem ganz großen Ding, das seinem Dasein die alles entscheidende Wendung gibt. Immer im Besitz genialer Ausreden, wenn es dann doch nicht klappt. Aber weil er immerhin über die glückliche Gabe verfügt, mitreißend und herzerfrischend erzählen zu können, erreicht ihn eines Tages tatsächlich ein ungewöhnliches und viel versprechendes Angebot: Er soll für einen bekannten isländischen Verlag vor den Medien möglichst authentisch den Autor eines Buches mimen, das im Milieu der Obdachlosen und Alkoholiker spielt, aber anderweit geschrieben wurde. Stormur wittert seine große Chance - und verkalkuliert sich wieder mal gewaltig ...<br />
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Klappentext zu „Sturmerprobt “
Einar Kárason, geboren 1955 und einer der wichtigsten isländischen Autoren, hat einen spritzigen, schnellen, diabolischen Roman eines Mannes geschrieben, der nur eine Interpretation von Misserfolg kennt: Die Verhältnisse haben seinem Ansturm leider nicht standgehalten.
Rasant und provokant, frech und abgrundtief komisch
Der Mann ist für viele die Pest, für manche ein Genie und sich selbst gelegentlich ein Rätsel: Eyvindur Jonsson, genannt "Stormur" (was auf deutsch "Sturm" bedeutet), macht es seinen Mitmenschen nicht eben leicht. Ein Hang zur Bequemlichkeit zeichnet ihn aus - und eine Neigung, die Frauen seines Lebens für sich arbeiten zu lassen. Man könnte ihn auch als genialen Schmarotzer bezeichnen. Immer auf der Suche nach dem ganz großen Ding, das seinem Dasein die alles entscheidende Wendung gibt. Immer im Besitz genialer Ausreden, wenn es dann doch nicht klappt. Aber weil er immerhin über die glückliche Gabe verfügt, mitreißend und herzerfrischend erzählen zu können, erreicht ihn eines Tages tatsächlich ein ungewöhnliches und viel versprechendes Angebot: Er soll für einen bekannten isländischen Verlag vor den Medien möglichst authentisch den Autor eines Buches mimen, das im Milieu der Obdachlosen und Alkoholiker spielt, aber anderweit geschrieben wurde. Stormur wittert seine große Chance - und verkalkuliert sich wieder mal gewaltig ...
"Wahnsinnig witzig, absolut unterhaltsam, fraglos eines der besten Bücher Kárasons."
Frettabladid
"Fraglos eines seiner besten Bücher."
Frettabladid
"Das wohl lustigste Buch unter den diesjährigen Nomminierungen für den Literaturpreis des Nordischen Rats."
Lisa Kristin Strindberg, NRK
Der Mann ist für viele die Pest, für manche ein Genie und sich selbst gelegentlich ein Rätsel: Eyvindur Jonsson, genannt "Stormur" (was auf deutsch "Sturm" bedeutet), macht es seinen Mitmenschen nicht eben leicht. Ein Hang zur Bequemlichkeit zeichnet ihn aus - und eine Neigung, die Frauen seines Lebens für sich arbeiten zu lassen. Man könnte ihn auch als genialen Schmarotzer bezeichnen. Immer auf der Suche nach dem ganz großen Ding, das seinem Dasein die alles entscheidende Wendung gibt. Immer im Besitz genialer Ausreden, wenn es dann doch nicht klappt. Aber weil er immerhin über die glückliche Gabe verfügt, mitreißend und herzerfrischend erzählen zu können, erreicht ihn eines Tages tatsächlich ein ungewöhnliches und viel versprechendes Angebot: Er soll für einen bekannten isländischen Verlag vor den Medien möglichst authentisch den Autor eines Buches mimen, das im Milieu der Obdachlosen und Alkoholiker spielt, aber anderweit geschrieben wurde. Stormur wittert seine große Chance - und verkalkuliert sich wieder mal gewaltig ...
"Wahnsinnig witzig, absolut unterhaltsam, fraglos eines der besten Bücher Kárasons."
Frettabladid
"Fraglos eines seiner besten Bücher."
Frettabladid
"Das wohl lustigste Buch unter den diesjährigen Nomminierungen für den Literaturpreis des Nordischen Rats."
Lisa Kristin Strindberg, NRK
Lese-Probe zu „Sturmerprobt “
StormurObwohl ich die schlechteste "Reifeprüfung" der ganzen Schule machte, so wurde damals die Prüfung nach der siebten Klasse genannt, war ich eins der beiden Kinder, die der Lehrer in seiner Abschiedsrede lobend erwähnte: die Klassenbeste und mich. Die Klassenbeste war eine echte Streberin, Addí, Kinderärztin ist die, glaube ich, geworden, die dumme Kuh ... Die hatte fast überall eine Zehn, und alle anderen hatten mindestens eine Acht oder Neun. Ich war auf der katholischen Schule, die war ziemlich klein, wir waren nur wenige in der Klasse, und der Notendurchschnitt lag um einiges höher als an anderen Schulen, nur ich krebste da rum mit Sieben-Komma-Irgendwas und hatte mich schon damit abgefunden, als Schandfleck der Schule zu gelten - aber der Lehrer bedankte sich, nun wo sich unsere Wege trennten, mit allen möglichen sentimentalen Worten, lobte erst Addí für ihren Erfolg, "und dann ist da noch jemand, der ein besonderes Kompliment verdient hat, und das ist unser Eyvindur hier; dieser Junge hat einen unglaublichen Erfolg erzielt, trotz schwierigster Verhältnisse, einen Erfolg, der seine Begabungen und Talente eindrucksvoll unter Beweis stellt, und wenn er so weitermacht, sollte es ihm gelingen, auf seinem Lebensweg einige Untiefen und Gefahren zu meiden ..."
Natürlich hört man das irgendwie gern, man hat ja vorher noch nie ein Kompliment für seine Begabungen bekommen, außer höchstens beim Handball, und erst recht nicht für seine Talente! Aber am meisten wunderte es mich, dass sich die anderen überhaupt Gedanken über mich machten, über meine Herkunft, wo ich doch versucht habe, in der Schule so wenig Aufhebens davon zu machen wie möglich, man hat sich natürlich geschämt für seine Leute, niemals konnte ich Geburtstag feiern wie die anderen Kinder, wegen der Säufer und diesem ganzen Gesocks, das bei uns ein und aus ging, da war es natürlich nett, die Komplimente dieses Lehrers zu hören, als hätte der mich wirklich gern ...
Der war kein schlechter Kerl,
... mehr
vielleicht sogar ganz im Gegenteil, man konnte seinen Spaß mit ihm haben, er hatte einen guten Draht zu seinen Schülern, hat sich engagiert, versucht, alles von der spielerischen Seite zu sehen, ist auf die Kinder zugegangen, wollte ihnen auf Augenhöhe begegnen. Ich weiß noch, wie wir mal ein neues Grammatikbuch bekamen, da sagte er: "Kinder, ich weiß, dass ihr dieses Buch, nachdem ihr es durchgeblättert habt, sofort in die Ecke schmeißen werdet. Aber tut mir einen Gefallen, Kinder: Kriecht hinterher, und holt es wieder hervor!" Wie ich später erfuhr, hatte er auch ganz schöne Probleme am Hals, seine Frau ist mit einem Ami abgehauen, einfach so; eines Tages lag ein Zettel auf dem Küchentisch, bin nach Amerika gezogen, liebe Grüße, Mama - er blieb zurück mit vier oder fünf Kindern, und das, obwohl er doch selber gern mal einen draufmachte; er besoff sich gern und fuhr dann mit dem Taxi rum und wurde sentimental und redselig; trank aus seinem Flachmann und philosophierte mit dem Taxifahrer - und hielt trotzdem die Familie zusammen, unterrichtete und unterrichtete. Er war starker Raucher, in den ersten Minuten jeder Stunde qualmte es regelrecht aus ihm raus, kalte Rauchschwaden, die Lunge reinigte sich noch von der Pausenzigarette. Einmal, in Gesundheitslehre glaube ich, in der Unterrichtseinheit über das Rauchen, sagte er mit seiner Whiskey-Camel-Stimme: "Ich weiß, was ihr denkt: Ausgerechnet dieser Mann will uns etwas über die Gefahren des Rauchens erzählen! Denn wie ihr wisst, bin ich auf diesem Gebiet nicht gerade ein leuchtendes Vorbild. Aber ich möchte euch ein Experiment zeigen." Dann holte er aus der Jacketttasche eine zerknitterte Camel-Packung und ein Ronson-Feuerzeug heraus, zog ein Taschentuch aus der Brusttasche, ging zur Tür, horchte und kuckte auf den Flur, nicht dass der Schulleiter oder der Oberlehrer plötzlich reinkamen, während das Experiment im Gange war. Dann öffnete er weit das Fenster, zündete die Kippe an, sog eine dicke Rauchwolke in die Lungen und stieß sie gegen das weiße Taschentuch wieder aus - da ist dann so ein Teerfleck drauf, wie man weiß. Danach wollte er die brennende Zigarette aus dem Fenster schmeißen, aber ich merkte, wie er sich versteifte, die Kontrolle verlor, er brachte es einfach nicht übers Herz, eine gerade angezündete Zigarette wegzuschmeißen, so dass er blitzschnell einen riesigen Lungenzug machte, dann noch einen und noch einen, die Zigarette loderte förmlich auf, und er, vollkommen rauchgesättigt, war feuerrot im Gesicht, als er schließlich die glühende Kippe auf die Straße schnippte und sich dann endlich umdrehen konnte, um uns den Teerfleck auf dem Taschentuch zu zeigen - wir drängelten zu ihm hin, "seht mal!", sagte er und hielt das Taschentuch zwischen seinen zitternden tabakgelben Fingern und war ganz kurzatmig und versuchte, die ganze Rauchwolke wieder hochzuhusten, ohne dass es zu sehr auffiel; die anderen Kinder in der Klasse sagten nur: "Wow, Mann, der Teer!" Sahen nichts außer dem Ergebnis dieses tollen Experiments über den giftigen Teer im Tabakrauch, aber ich fand es viel interessanter, dieses genussvolle Inhalieren da am Fenster zu beobachten; unseren guten alten Lehrer, der es auch nicht besser hatte als die Säufer und Penner, die bei mir zu Hause zu jeder Tages- und Nachtzeit rein- und rauspolterten.
Meine Mutter kommt aus einer relativ wohlhabenden Bauernfamilie, sie war Alleinerbin eines ziemlich großen Hofes in Südisland; ihre Eltern waren schon nicht mehr ganz jung, als sie geboren wurde, und sie hatte keine Geschwister. Sie wuchs auf dem Land auf, bis meine Großeltern sie nach Reykjavík schickten, auf die Hauswirtschaftsschule oder so. Dort gewöhnte sie sich an das angenehme Leben in der Stadt und ging nie wieder aufs Land zurück. Es war ein schwerer Schlag für Oma und Opa, wie ich die beiden wohl hätte nennen müssen, wenn ich sie kennen gelernt hätte. Auf der anderen Seite war es für meine Mutter ein noch schwererer Schlag, mit zwanzig irgendwann zu erfahren, dass sie gar nicht die Tochter ihrer Eltern war, sondern adoptiert. Das war ein richtiger Schock für sie, wenngleich ich nie ganz verstanden habe, was daran so schlimm war. Das waren schließlich die einzigen Eltern, die sie kannte. Und sie haben es immer gut gemeint mit ihr! Wo liegt das Problem? Dass sie in Wahrheit irgendwelche anderen Eltern hatte und nie rausbekam, was das für Leute waren? So hat sie es mir zumindest später erzählt. Auf jeden Fall hat sie dann erst mal einige Jahre Party gemacht und bestimmt auch allen möglichen anderen Blödsinn, dann bekam sie ein Kind und eine furchtbare postnatale Depression, so dass das Kind weggegeben wurde, mein sieben Jahre älterer Halbbruder, adoptiert von irgendwelchen ehrenwerten Leuten. Das war wohl das Allerschlimmste für sie, ihr eigenes Kind weggegeben zu haben, genau wie das ihre leiblichen Eltern mit ihr gemacht haben, und später setzte sie sich dann in irgendwelchen manischen Anfällen über alle Absprachen und Regeln hinweg und nahm Kontakt mit dem Jungen auf, meinem Halbbruder. Aber vorher lernte sie meinen Vater kennen. Dessen Mutter, meine verstorbene Oma, war allein erziehend; sie arbeitete damals in einer Bäckerei und wollte dem Jungen eine gute Ausbildung ermöglichen; er ging also auf die Handwerksschule, fühlte sich nicht wohl und wechselte zur Kunstschule, konnte da aber auch nicht Fuß fassen, arbeitete als Kellner im Hotel Borg. Verlobte und verheiratete sich, ließ sich aber wieder scheiden, als er meine Mutter kennenlernte. Sie kam ins Hotel Borg, schmiss in einem Anfall von Optimismus mit Geld um sich, war gerade Großgrundbesitzerin geworden. Mochte den Kellner so gern. Und sie heirateten. Und bekamen mich. Bald danach wurde mein Vater plötzlich krank, irgendeine seltene Lähmung, irgendein Virus, glaube ich, der sich bei einem von achtzigtausend aus einer ganz normalen Grippe entwickelt, und er kam ins Krankenhaus und dann nach Reykjalund ins Sanatorium, und da erinnere ich mich dunkel an ihn, blass und kränklich, wie er im Bademantel in einem Rollstuhl saß und mir weinend die Wange tätschelte. Er starb, als ich fünf war. Nun hatte ich nur noch meine Mutter. Und meine Oma, die immer für mich da war, die Mutter meines verstorbenen Vaters.
Die ersten Jahre meines Lebens, als meine Mutter sich um uns beide kümmern musste, mich und meinen kranken Vater, waren ihre besten Jahre. Sie hatte, wie gesagt, dieses beträchtliche Erbe von ihren Adoptiveltern und baute sich damit einen Blumenladen mit allen möglichen Geschenkartikeln auf, in den sie ihre ganze Kraft steckte, Mama kaufte uns eine Wohnung und war immer in Bewegung, bienenfleißig und enthaltsam, und mir ging es gut. Denn wenn meine Mutter sich nicht um mich kümmern konnte, war ich einfach bei meiner Oma, die mich liebte und verwöhnte; sie behandelte mich wie einen Sohn, nachdem ihr eigener von der Bildfläche verschwunden war. In diesen Jahren war nur wenig von den Stimmungsschwankungen zu spüren, mit denen meine Mutter die längste Zeit ihres Lebens zu kämpfen hatte, den Depressionen und alldem, was dazugehörte. Doch dann wurde sie Witwe. Und kam ins Schleudern. Fing an zu trinken und Pillen zu schlucken. Nicht, dass mir das am Anfang so fürchterlich geschadet hätte, ich konnte ja immer zu Oma gehen, wenn sie "sich vergnügen" wollte - aber dann lernte sie einen neuen Mann kennen, diesen beschissenen Halli Hörrikein, was nie hätte passieren dürfen. Der wohnte die nächsten Jahre bei uns, wenn er nicht gerade im Knast saß oder Mama sich aufraffte, ihn rauszuschmeißen, ihm die Polizei auf den Hals zu hetzen und Stein und Bein zu schwören, dass ihr dieser Kerl nie wieder ins Haus käme, und mir versprach, dass wir den nun endgültig los wären, weil sie gerade voller Zuversicht war, meistens im Aufschwung aus einer depressiven Phase, was sogar so weit ging, dass sie normal, ausgeglichen wurde, und ich kann beschwören, dass es nie eine lustigere, bessere und charmantere Frau gab als meine Mutter in diesen Phasen, in denen sie weder zu fröhlich noch schwermütig war. Doch dann verlor sie wieder das Gleichgewicht, drehte durch, und alles krachte zusammen, und sie wurde wieder zu diesem Häufchen Elend, das sich zu nichts aufraffen konnte, außer im Bademantel im schummrig beleuchteten Wohnzimmer Zigaretten zu rauchen, und dann fand Halli immer einen Weg zu ihr zurück; sie sagte mir, dass in diesem versoffenen Proleten eine Lebenskraft steckte, die wie Dope auf sie wirkte - ihn in der Nähe zu haben und diese Kraft zu spüren, bewahrte sie vor vollkommener Verzweiflung, und damit durfte ich dann zurechtkommen.
Halli war allerdings nicht das größte Arschloch der Welt, das muss man ihm lassen, er war zum Beispiel nie gewalttätig, und soweit ich weiß, wurde er auch nie wegen so was verurteilt. Er war halt ein rücksichtsloser Betrüger, Dieb und sogar ein Zuhälter - er war meines Wissens der erste Isländer, der deswegen verurteilt wurde; damals war er um die zwanzig und wohnte in Keflavík. Er hatte ein Haus gemietet, irgendwelche Gelegenheitsnutten zusammengekarrt und nahm dann Eintritt von den Amerikanern vom Luftwaffenstützpunkt. Und wurde, wie gesagt, dafür verurteilt, dass er ein Lude war. Saß ein paar Monate. "Danach gab es kein Zurück mehr!", hörte ich ihn immer wieder sagen. "Wenn ein junger Mann erst mal im Gefängnis gelandet ist, kommt man aus dem Schlamassel nicht mehr raus!", sagte er oft. Die Verurteilung hatte ihn beleidigt getroffen. "Ich habe doch nur ein paar Partys gefeiert!" Er behauptete nämlich immer, nur ein paar Partys nach Sitte der jungen Leute gefeiert zu haben. Und dass die Amerikaner ihm nur bei der Miete, den Strom- und Heizungskosten geholfen haben und so. In der Urteilsbegründung hieß es, und das konnte er auswendig wie so vieles Vorschriften- und Gesetzesgefasel, dass er "sich an der Lebensfreude junger Mädchen bereichert" hat. Was nun wirklich nett gesagt ist. Das muss man den Richtern lassen.
Halli war also ein Säufer und lebte von Scheckfälschungen, handelte mit Diebesgut, und eine Horde von Verbrechern und zwielichtigem Gesindel folgte ihm auf Schritt und Tritt. In mein Zuhause. Das zur schlimmsten Verbrecherhöhle der Stadt wurde; es sollte so weit kommen, dass ich davon aufwachte, dass die Polizei im Haus war und Leute festnahm, mitten in der Nacht; selbst in meiner Sockenschublade fand ich Diebesgut, wenn ich mich für die Schule fertigmachte - als elfjähriger Junge. Die Nachbarn beschwerten sich in einer Tour, und es wurde versucht, uns rauszuschmeißen, aber die Wohnung gehörte uns, so dass wir eine ziemlich gute Ausgangsposition hatten - und außerdem war an Halli Hörrikein ein echter Staranwalt verloren gegangen, er konnte diese endlosen polizeilichen Verordnungen auswendig und wusste außerdem alles über die Rechte und Pflichten von Hauseigentümern und Hausverwaltern; einmal verklagte uns der Eigentümer des Nachbarhauses, da war eine Zahnarztpraxis im neuen Anbau, und als Halli sich um die Sache kümmerte, kam heraus, dass der Anbau näher an unserer Grundstücksgrenze dran war als erlaubt - und die Zahnärzte haben am Ende die Klage zurückgezogen und mussten Mama sogar einen Haufen Geld zahlen, damit sie nicht selbst einen Prozess gegen die anstrengte. Es gab noch eine andere Wohnung im Haus, im Souterrain, doch die Leute da flohen und wollten verkaufen, nur dass niemand die Wohnung haben wollte, bis die Stadt sie schließlich kaufte und dort irgendwelche armen Schlucker einquartierte, die das Sozialamt ohnehin an der Backe hatte. Am schlimmsten war es, als die Stadt da so eine verrückte Schnepfe reinsetzte, eine Pyromanin, die Brand-Ella genannt wurde und in Tobsuchtsanfällen alles anzündete, was ihr in die Finger kam, wie zum Beispiel ihre Gardinen, direkt unter uns - es fehlte nicht viel, und bei uns wären Leute ums Leben gekommen, als da die Flammen ums Haus züngelten. In diesem Moment begriff meine Mutter, dass ein Jugendlicher wie ich so nicht leben konnte und brachte mich irgendwie bei Oma unter. Später verlor meine Mutter die Wohnung, weil Halli sie als Sicherheit für einen Kredit eingesetzt hatte, von dem er nie eine Krone abbezahlte. Er selbst bekam kurz danach Diabetes, und dieser fast zwei Meter große, einhundertfünfzig Kilo schwere Mann wurde dünn wie eine Wäschestange und konnte nicht mehr trinken, und ich weiß nicht, ob er heute noch am Leben ist oder nicht, und das ist mir auch scheißegal. Mama war die letzten fünfzehn Jahre immer mal wieder in irgendwelchen Heimen, hat sich in letzter Zeit aber etwas erholt, wohnt in einer kleinen Einzimmerwohnung und wird durch das Sozialamt irgendwie beschäftigt.
Jón Schlammsonarson
Ich weiß noch, dass die Idee geboren wurde, als alle in der Lektoratssitzung im Verlag darüber sprachen, wie toll es wäre, wenn wir einfach Texte maßanfertigen lassen könnten, Romane und so, statt nur dazusitzen und wie verurteilt abzuwarten, was auf den Tischen der Lektoren landet. Warum sind wir denn den Launen aller möglichen schrägen Dichtervögel, dieser ganzen Taugenichtse und Faulpelze ausgeliefert, von denen die meisten auch noch saufen? "Warum", sagte einer der Lektoren, "können wir nicht einfach sagen, dass wir für das Herbstprogramm ganz bestimmte Bücher brauchen - zum Beispiel zwei historische Romane, drei Krimis, einmal zeitgenössische Belletristik, ein Jugendbuch, eins das besonders für, sagen wir mal, Hausfrauen geschrieben ist, und dann vielleicht noch einen Lyrikband!"
"Warum denn einen Lyrikband?", fragte der Vertriebsleiter, und alle lachten, aber Guðsteinn, der Geschäftsführer des Verlages, dem mindestens einmal pro Monat die Umsatzabrechnung den Schlaf raubte, hatte Blut geleckt, als er diese Grübeleien hörte, und erhob sich halb aus seinem Stuhl, fuchtelte mit dem Stift herum, löste etwas die Krawatte (der einzige Mann mit Krawatte auf der Lektoratssitzung) und sagte: "Nein, im Ernst, Leute, warum können wir so was nicht mal machen? Im Ernst! In der Ausbildung habe ich gelernt, wie wichtig es für jedes Unternehmen ist, die Produktion zu planen. Das wollen wir herstellen, das wollen wir verkaufen! Ich habe in einer Farbenfabrik gearbeitet. Bevor ich hierherkam, machte ich in Erfrischungsgetränken. Da haben wir die Produktion geplant! Sie den Erfordernissen des Marktes angepasst! Aber wir sitzen hier untätig herum wie die dicken Jungs in der Tanzstunde! Wen wundert es da noch, dass einem graue Haare wachsen und man am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht?"
Alle lachten, außer Guðsteinn selbst, was etwas unangenehm war, man konnte fast glauben, er habe das Letzte ernst gemeint. Das Lachen erstarb und wich einer etwas unangenehmen Stille; der Geschäftsführer wendete sich ab und hustete, etwas rot im Gesicht, man begann sich Sorgen zu machen, dass er wirklich nicht mehr lange bei Gesundheit bleiben würde.
Die Kinderbuchlektorin, eine liebenswerte und kluge Frau, tätschelte ihm den Handrücken und sagte: "So wäre das natürlich in der besten aller möglichen Welten, aber in der leben wir nun mal nicht."
Da räusperte sich der junge Mann, der gerade erst bei den Lehrbüchern angefangen hatte; wir wollten aus dieser Abteilung vielleicht eine Art Universitätsverlag machen - er war ein extrem intelligenter, hochgebildeter Kerl, das wussten alle, aber auch ein bisschen schüchtern, er sagte nur selten etwas, weswegen alle sofort aufmerksam zuhörten, als er sich räusperte und dann das Wort ergriff: "Wer sagt denn, dass die Welt so ist, wie wir denken, dass sie ist? Vielleicht ist es ja gar kein Problem, Bücher zu bestellen und die Produktion besser zu planen! Es gibt ja Fälle, in denen das mit gutem Erfolg gemacht wurde."
Alle starrten ihn an. Er war ein gutaussehender Mann mit lockigem Haar, das ihm in die Stirn fiel, einer runden Brille, funkelndem Blick - so ein Typ von der Sorte, die in allen Kinofilmen die jungen, cleveren und etwas bissigen Intellektuellen spielen. Weswegen niemand etwas sagte und ihn alle fragend anstarrten.
"Wie bei diesem amerikanischen Bestseller 'Die Brücken am Fluss' - 'Bridges of Madison County' - es wird behauptet, der sei aufgrund irgendwelcher Marktanalysen entstanden."
In der Sitzung saß auch ein guter Bekannter des isländischen Übersetzers dieses Romans. Ich habe sofort gemerkt, dass das zu Streit führen könnte, zumal dieser gute Bekannte sofort und in einem etwas verächtlichen Ton sagte: "Ja, ich erinnere mich, dass davon die Rede war, aber hat es sich nicht einfach als Ente aus einem dieser Klatschblätter entpuppt, an der am Ende nichts dran war?"
"Na ja, kann sein", sagte der junge Mann von den Lehrbüchern - Bergur heißt er -, "aber nach allem, was ich davon gehört und gelesen habe, war das keine Zeitungsente, sondern ganz im Gegenteil ein brillanter Schachzug, von dem die ganze Verlagsbranche etwas lernen kann."
Der Bekannte des Übersetzers wollte widersprechen, aber Geschäftsführer Guðsteinn brachte ihn zum Schweigen, fing wieder an, mit dem Stift zu fuchteln, hatte bereits den obersten Hemdknopf aufgemacht und löste die Krawatte weiter. "Lass hören", sagte er zu Bergur, "lass hören!"
"Also, ich habe das so verstanden", sagte er. "Da hat irgendein amerikanischer Verlag eine Analyse machen lassen, welche Bevölkerungsgruppe die meisten Bücher kauft und welche Bücher diese Gruppe am liebsten kaufen würde. Und das Ergebnis war, dass die größte Gruppe Frauen waren, verheiratete Frauen, um genau zu sein, zwischen dreißig und sechzig, und dass es in deren Traumbuch auch um Frauen geht, die ihnen nicht unähnlich sind, die ihre romantischen Momente hatten, wahre Liebe erlebten, sich dann aber doch für die Sicherheit und Verlässlichkeit des Familienlebens entschieden haben. Tja, und dann haben die mal auf ihrer Lektoratssitzung gebrainstormt, genau wie wir jetzt, und kamen dabei auf die Idee, ein Buch über so eine Frau schreiben zu lassen; ich glaube, sie ist Bäuerin, eine wohlhabende Bäuerin auf einem großen Hof; so eine Art Südstaaten-Adel - zwar schon fortgeschrittenen Alters, hat sich aber doch ihren jugendlichen Charme bewahrt. Dann, an einem Wochenende, an dem der Bauer und die Kinder auf einer Landwirtschaftsausstellung im Nachbarstaat sind, tritt ein unbekannter Abenteurer auf den Plan; ein alleinstehender, weltgewandter Mann, sonnengebräunt und vital, der dort in der Umgebung die Brücken fotografieren will. Natürlich verlieben die beiden sich Hals über Kopf ineinander, lieben sich das ganze Wochenende lang oder die ganze Woche oder so, nur dass er dann wieder wegfahren muss zu anderen Abenteuern, Berge in Tibet fotografieren oder so, und sie erwartet auch schon ihre Familie zurück. Das Abenteuer ist vorbei, sie gibt ihm noch einen Anhänger für seine Halskette mit, eine Art Kreuz oder ein Medaillon, und später, als ein Bild von diesem Mann in einer Zeitschrift erscheint, da sieht sie, dass er das Ding um den Hals trägt. Dann wurde einfach eine Arbeitsgruppe gebildet, um dieses Buch zu produzieren."
"Na ja! Das ist eine wunderschöne Theorie", sagte der, der den isländischen Übersetzer kannte, "sie hat nur einen kleinen Schönheitsfehler ..."
"Warte mal", sagte Geschäftsführer Guðsteinn "ich will mehr davon hören, das klingt super, das Beste, was ich je auf einer Lektoratssitzung gehört habe - wie lief das? Du weißt schon, ist das Buch nicht berühmt geworden, ich glaube, ich habe mal einen Kinofilm gesehen, da ging es um so eine Geschichte, kann das sein?"
"Ja klar", sagte der junge, talentierte Bergur, "das Buch kam raus und wurde ein Mega-Bestseller, dann wurde es mit Meryl Streep und Clint Eastwood verfilmt."
"Ah ja, ah ja", sagte Geschäftsführer Guðsteinn und wandte sich dem zu, der den isländischen Übersetzer kannte, "du weißt sicher noch mehr darüber, entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen.""Ich wollte nur sagen, dass die Theorie daran krankt, dass das Buch nicht von irgendeiner Arbeitsgruppe geschrieben wurde, sondern von einem Schriftsteller, von dem ich Bilder gesehen habe und den viele persönlich kennen."
Meine Mutter kommt aus einer relativ wohlhabenden Bauernfamilie, sie war Alleinerbin eines ziemlich großen Hofes in Südisland; ihre Eltern waren schon nicht mehr ganz jung, als sie geboren wurde, und sie hatte keine Geschwister. Sie wuchs auf dem Land auf, bis meine Großeltern sie nach Reykjavík schickten, auf die Hauswirtschaftsschule oder so. Dort gewöhnte sie sich an das angenehme Leben in der Stadt und ging nie wieder aufs Land zurück. Es war ein schwerer Schlag für Oma und Opa, wie ich die beiden wohl hätte nennen müssen, wenn ich sie kennen gelernt hätte. Auf der anderen Seite war es für meine Mutter ein noch schwererer Schlag, mit zwanzig irgendwann zu erfahren, dass sie gar nicht die Tochter ihrer Eltern war, sondern adoptiert. Das war ein richtiger Schock für sie, wenngleich ich nie ganz verstanden habe, was daran so schlimm war. Das waren schließlich die einzigen Eltern, die sie kannte. Und sie haben es immer gut gemeint mit ihr! Wo liegt das Problem? Dass sie in Wahrheit irgendwelche anderen Eltern hatte und nie rausbekam, was das für Leute waren? So hat sie es mir zumindest später erzählt. Auf jeden Fall hat sie dann erst mal einige Jahre Party gemacht und bestimmt auch allen möglichen anderen Blödsinn, dann bekam sie ein Kind und eine furchtbare postnatale Depression, so dass das Kind weggegeben wurde, mein sieben Jahre älterer Halbbruder, adoptiert von irgendwelchen ehrenwerten Leuten. Das war wohl das Allerschlimmste für sie, ihr eigenes Kind weggegeben zu haben, genau wie das ihre leiblichen Eltern mit ihr gemacht haben, und später setzte sie sich dann in irgendwelchen manischen Anfällen über alle Absprachen und Regeln hinweg und nahm Kontakt mit dem Jungen auf, meinem Halbbruder. Aber vorher lernte sie meinen Vater kennen. Dessen Mutter, meine verstorbene Oma, war allein erziehend; sie arbeitete damals in einer Bäckerei und wollte dem Jungen eine gute Ausbildung ermöglichen; er ging also auf die Handwerksschule, fühlte sich nicht wohl und wechselte zur Kunstschule, konnte da aber auch nicht Fuß fassen, arbeitete als Kellner im Hotel Borg. Verlobte und verheiratete sich, ließ sich aber wieder scheiden, als er meine Mutter kennenlernte. Sie kam ins Hotel Borg, schmiss in einem Anfall von Optimismus mit Geld um sich, war gerade Großgrundbesitzerin geworden. Mochte den Kellner so gern. Und sie heirateten. Und bekamen mich. Bald danach wurde mein Vater plötzlich krank, irgendeine seltene Lähmung, irgendein Virus, glaube ich, der sich bei einem von achtzigtausend aus einer ganz normalen Grippe entwickelt, und er kam ins Krankenhaus und dann nach Reykjalund ins Sanatorium, und da erinnere ich mich dunkel an ihn, blass und kränklich, wie er im Bademantel in einem Rollstuhl saß und mir weinend die Wange tätschelte. Er starb, als ich fünf war. Nun hatte ich nur noch meine Mutter. Und meine Oma, die immer für mich da war, die Mutter meines verstorbenen Vaters.
Die ersten Jahre meines Lebens, als meine Mutter sich um uns beide kümmern musste, mich und meinen kranken Vater, waren ihre besten Jahre. Sie hatte, wie gesagt, dieses beträchtliche Erbe von ihren Adoptiveltern und baute sich damit einen Blumenladen mit allen möglichen Geschenkartikeln auf, in den sie ihre ganze Kraft steckte, Mama kaufte uns eine Wohnung und war immer in Bewegung, bienenfleißig und enthaltsam, und mir ging es gut. Denn wenn meine Mutter sich nicht um mich kümmern konnte, war ich einfach bei meiner Oma, die mich liebte und verwöhnte; sie behandelte mich wie einen Sohn, nachdem ihr eigener von der Bildfläche verschwunden war. In diesen Jahren war nur wenig von den Stimmungsschwankungen zu spüren, mit denen meine Mutter die längste Zeit ihres Lebens zu kämpfen hatte, den Depressionen und alldem, was dazugehörte. Doch dann wurde sie Witwe. Und kam ins Schleudern. Fing an zu trinken und Pillen zu schlucken. Nicht, dass mir das am Anfang so fürchterlich geschadet hätte, ich konnte ja immer zu Oma gehen, wenn sie "sich vergnügen" wollte - aber dann lernte sie einen neuen Mann kennen, diesen beschissenen Halli Hörrikein, was nie hätte passieren dürfen. Der wohnte die nächsten Jahre bei uns, wenn er nicht gerade im Knast saß oder Mama sich aufraffte, ihn rauszuschmeißen, ihm die Polizei auf den Hals zu hetzen und Stein und Bein zu schwören, dass ihr dieser Kerl nie wieder ins Haus käme, und mir versprach, dass wir den nun endgültig los wären, weil sie gerade voller Zuversicht war, meistens im Aufschwung aus einer depressiven Phase, was sogar so weit ging, dass sie normal, ausgeglichen wurde, und ich kann beschwören, dass es nie eine lustigere, bessere und charmantere Frau gab als meine Mutter in diesen Phasen, in denen sie weder zu fröhlich noch schwermütig war. Doch dann verlor sie wieder das Gleichgewicht, drehte durch, und alles krachte zusammen, und sie wurde wieder zu diesem Häufchen Elend, das sich zu nichts aufraffen konnte, außer im Bademantel im schummrig beleuchteten Wohnzimmer Zigaretten zu rauchen, und dann fand Halli immer einen Weg zu ihr zurück; sie sagte mir, dass in diesem versoffenen Proleten eine Lebenskraft steckte, die wie Dope auf sie wirkte - ihn in der Nähe zu haben und diese Kraft zu spüren, bewahrte sie vor vollkommener Verzweiflung, und damit durfte ich dann zurechtkommen.
Halli war allerdings nicht das größte Arschloch der Welt, das muss man ihm lassen, er war zum Beispiel nie gewalttätig, und soweit ich weiß, wurde er auch nie wegen so was verurteilt. Er war halt ein rücksichtsloser Betrüger, Dieb und sogar ein Zuhälter - er war meines Wissens der erste Isländer, der deswegen verurteilt wurde; damals war er um die zwanzig und wohnte in Keflavík. Er hatte ein Haus gemietet, irgendwelche Gelegenheitsnutten zusammengekarrt und nahm dann Eintritt von den Amerikanern vom Luftwaffenstützpunkt. Und wurde, wie gesagt, dafür verurteilt, dass er ein Lude war. Saß ein paar Monate. "Danach gab es kein Zurück mehr!", hörte ich ihn immer wieder sagen. "Wenn ein junger Mann erst mal im Gefängnis gelandet ist, kommt man aus dem Schlamassel nicht mehr raus!", sagte er oft. Die Verurteilung hatte ihn beleidigt getroffen. "Ich habe doch nur ein paar Partys gefeiert!" Er behauptete nämlich immer, nur ein paar Partys nach Sitte der jungen Leute gefeiert zu haben. Und dass die Amerikaner ihm nur bei der Miete, den Strom- und Heizungskosten geholfen haben und so. In der Urteilsbegründung hieß es, und das konnte er auswendig wie so vieles Vorschriften- und Gesetzesgefasel, dass er "sich an der Lebensfreude junger Mädchen bereichert" hat. Was nun wirklich nett gesagt ist. Das muss man den Richtern lassen.
Halli war also ein Säufer und lebte von Scheckfälschungen, handelte mit Diebesgut, und eine Horde von Verbrechern und zwielichtigem Gesindel folgte ihm auf Schritt und Tritt. In mein Zuhause. Das zur schlimmsten Verbrecherhöhle der Stadt wurde; es sollte so weit kommen, dass ich davon aufwachte, dass die Polizei im Haus war und Leute festnahm, mitten in der Nacht; selbst in meiner Sockenschublade fand ich Diebesgut, wenn ich mich für die Schule fertigmachte - als elfjähriger Junge. Die Nachbarn beschwerten sich in einer Tour, und es wurde versucht, uns rauszuschmeißen, aber die Wohnung gehörte uns, so dass wir eine ziemlich gute Ausgangsposition hatten - und außerdem war an Halli Hörrikein ein echter Staranwalt verloren gegangen, er konnte diese endlosen polizeilichen Verordnungen auswendig und wusste außerdem alles über die Rechte und Pflichten von Hauseigentümern und Hausverwaltern; einmal verklagte uns der Eigentümer des Nachbarhauses, da war eine Zahnarztpraxis im neuen Anbau, und als Halli sich um die Sache kümmerte, kam heraus, dass der Anbau näher an unserer Grundstücksgrenze dran war als erlaubt - und die Zahnärzte haben am Ende die Klage zurückgezogen und mussten Mama sogar einen Haufen Geld zahlen, damit sie nicht selbst einen Prozess gegen die anstrengte. Es gab noch eine andere Wohnung im Haus, im Souterrain, doch die Leute da flohen und wollten verkaufen, nur dass niemand die Wohnung haben wollte, bis die Stadt sie schließlich kaufte und dort irgendwelche armen Schlucker einquartierte, die das Sozialamt ohnehin an der Backe hatte. Am schlimmsten war es, als die Stadt da so eine verrückte Schnepfe reinsetzte, eine Pyromanin, die Brand-Ella genannt wurde und in Tobsuchtsanfällen alles anzündete, was ihr in die Finger kam, wie zum Beispiel ihre Gardinen, direkt unter uns - es fehlte nicht viel, und bei uns wären Leute ums Leben gekommen, als da die Flammen ums Haus züngelten. In diesem Moment begriff meine Mutter, dass ein Jugendlicher wie ich so nicht leben konnte und brachte mich irgendwie bei Oma unter. Später verlor meine Mutter die Wohnung, weil Halli sie als Sicherheit für einen Kredit eingesetzt hatte, von dem er nie eine Krone abbezahlte. Er selbst bekam kurz danach Diabetes, und dieser fast zwei Meter große, einhundertfünfzig Kilo schwere Mann wurde dünn wie eine Wäschestange und konnte nicht mehr trinken, und ich weiß nicht, ob er heute noch am Leben ist oder nicht, und das ist mir auch scheißegal. Mama war die letzten fünfzehn Jahre immer mal wieder in irgendwelchen Heimen, hat sich in letzter Zeit aber etwas erholt, wohnt in einer kleinen Einzimmerwohnung und wird durch das Sozialamt irgendwie beschäftigt.
Jón Schlammsonarson
Ich weiß noch, dass die Idee geboren wurde, als alle in der Lektoratssitzung im Verlag darüber sprachen, wie toll es wäre, wenn wir einfach Texte maßanfertigen lassen könnten, Romane und so, statt nur dazusitzen und wie verurteilt abzuwarten, was auf den Tischen der Lektoren landet. Warum sind wir denn den Launen aller möglichen schrägen Dichtervögel, dieser ganzen Taugenichtse und Faulpelze ausgeliefert, von denen die meisten auch noch saufen? "Warum", sagte einer der Lektoren, "können wir nicht einfach sagen, dass wir für das Herbstprogramm ganz bestimmte Bücher brauchen - zum Beispiel zwei historische Romane, drei Krimis, einmal zeitgenössische Belletristik, ein Jugendbuch, eins das besonders für, sagen wir mal, Hausfrauen geschrieben ist, und dann vielleicht noch einen Lyrikband!"
"Warum denn einen Lyrikband?", fragte der Vertriebsleiter, und alle lachten, aber Guðsteinn, der Geschäftsführer des Verlages, dem mindestens einmal pro Monat die Umsatzabrechnung den Schlaf raubte, hatte Blut geleckt, als er diese Grübeleien hörte, und erhob sich halb aus seinem Stuhl, fuchtelte mit dem Stift herum, löste etwas die Krawatte (der einzige Mann mit Krawatte auf der Lektoratssitzung) und sagte: "Nein, im Ernst, Leute, warum können wir so was nicht mal machen? Im Ernst! In der Ausbildung habe ich gelernt, wie wichtig es für jedes Unternehmen ist, die Produktion zu planen. Das wollen wir herstellen, das wollen wir verkaufen! Ich habe in einer Farbenfabrik gearbeitet. Bevor ich hierherkam, machte ich in Erfrischungsgetränken. Da haben wir die Produktion geplant! Sie den Erfordernissen des Marktes angepasst! Aber wir sitzen hier untätig herum wie die dicken Jungs in der Tanzstunde! Wen wundert es da noch, dass einem graue Haare wachsen und man am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht?"
Alle lachten, außer Guðsteinn selbst, was etwas unangenehm war, man konnte fast glauben, er habe das Letzte ernst gemeint. Das Lachen erstarb und wich einer etwas unangenehmen Stille; der Geschäftsführer wendete sich ab und hustete, etwas rot im Gesicht, man begann sich Sorgen zu machen, dass er wirklich nicht mehr lange bei Gesundheit bleiben würde.
Die Kinderbuchlektorin, eine liebenswerte und kluge Frau, tätschelte ihm den Handrücken und sagte: "So wäre das natürlich in der besten aller möglichen Welten, aber in der leben wir nun mal nicht."
Da räusperte sich der junge Mann, der gerade erst bei den Lehrbüchern angefangen hatte; wir wollten aus dieser Abteilung vielleicht eine Art Universitätsverlag machen - er war ein extrem intelligenter, hochgebildeter Kerl, das wussten alle, aber auch ein bisschen schüchtern, er sagte nur selten etwas, weswegen alle sofort aufmerksam zuhörten, als er sich räusperte und dann das Wort ergriff: "Wer sagt denn, dass die Welt so ist, wie wir denken, dass sie ist? Vielleicht ist es ja gar kein Problem, Bücher zu bestellen und die Produktion besser zu planen! Es gibt ja Fälle, in denen das mit gutem Erfolg gemacht wurde."
Alle starrten ihn an. Er war ein gutaussehender Mann mit lockigem Haar, das ihm in die Stirn fiel, einer runden Brille, funkelndem Blick - so ein Typ von der Sorte, die in allen Kinofilmen die jungen, cleveren und etwas bissigen Intellektuellen spielen. Weswegen niemand etwas sagte und ihn alle fragend anstarrten.
"Wie bei diesem amerikanischen Bestseller 'Die Brücken am Fluss' - 'Bridges of Madison County' - es wird behauptet, der sei aufgrund irgendwelcher Marktanalysen entstanden."
In der Sitzung saß auch ein guter Bekannter des isländischen Übersetzers dieses Romans. Ich habe sofort gemerkt, dass das zu Streit führen könnte, zumal dieser gute Bekannte sofort und in einem etwas verächtlichen Ton sagte: "Ja, ich erinnere mich, dass davon die Rede war, aber hat es sich nicht einfach als Ente aus einem dieser Klatschblätter entpuppt, an der am Ende nichts dran war?"
"Na ja, kann sein", sagte der junge Mann von den Lehrbüchern - Bergur heißt er -, "aber nach allem, was ich davon gehört und gelesen habe, war das keine Zeitungsente, sondern ganz im Gegenteil ein brillanter Schachzug, von dem die ganze Verlagsbranche etwas lernen kann."
Der Bekannte des Übersetzers wollte widersprechen, aber Geschäftsführer Guðsteinn brachte ihn zum Schweigen, fing wieder an, mit dem Stift zu fuchteln, hatte bereits den obersten Hemdknopf aufgemacht und löste die Krawatte weiter. "Lass hören", sagte er zu Bergur, "lass hören!"
"Also, ich habe das so verstanden", sagte er. "Da hat irgendein amerikanischer Verlag eine Analyse machen lassen, welche Bevölkerungsgruppe die meisten Bücher kauft und welche Bücher diese Gruppe am liebsten kaufen würde. Und das Ergebnis war, dass die größte Gruppe Frauen waren, verheiratete Frauen, um genau zu sein, zwischen dreißig und sechzig, und dass es in deren Traumbuch auch um Frauen geht, die ihnen nicht unähnlich sind, die ihre romantischen Momente hatten, wahre Liebe erlebten, sich dann aber doch für die Sicherheit und Verlässlichkeit des Familienlebens entschieden haben. Tja, und dann haben die mal auf ihrer Lektoratssitzung gebrainstormt, genau wie wir jetzt, und kamen dabei auf die Idee, ein Buch über so eine Frau schreiben zu lassen; ich glaube, sie ist Bäuerin, eine wohlhabende Bäuerin auf einem großen Hof; so eine Art Südstaaten-Adel - zwar schon fortgeschrittenen Alters, hat sich aber doch ihren jugendlichen Charme bewahrt. Dann, an einem Wochenende, an dem der Bauer und die Kinder auf einer Landwirtschaftsausstellung im Nachbarstaat sind, tritt ein unbekannter Abenteurer auf den Plan; ein alleinstehender, weltgewandter Mann, sonnengebräunt und vital, der dort in der Umgebung die Brücken fotografieren will. Natürlich verlieben die beiden sich Hals über Kopf ineinander, lieben sich das ganze Wochenende lang oder die ganze Woche oder so, nur dass er dann wieder wegfahren muss zu anderen Abenteuern, Berge in Tibet fotografieren oder so, und sie erwartet auch schon ihre Familie zurück. Das Abenteuer ist vorbei, sie gibt ihm noch einen Anhänger für seine Halskette mit, eine Art Kreuz oder ein Medaillon, und später, als ein Bild von diesem Mann in einer Zeitschrift erscheint, da sieht sie, dass er das Ding um den Hals trägt. Dann wurde einfach eine Arbeitsgruppe gebildet, um dieses Buch zu produzieren."
"Na ja! Das ist eine wunderschöne Theorie", sagte der, der den isländischen Übersetzer kannte, "sie hat nur einen kleinen Schönheitsfehler ..."
"Warte mal", sagte Geschäftsführer Guðsteinn "ich will mehr davon hören, das klingt super, das Beste, was ich je auf einer Lektoratssitzung gehört habe - wie lief das? Du weißt schon, ist das Buch nicht berühmt geworden, ich glaube, ich habe mal einen Kinofilm gesehen, da ging es um so eine Geschichte, kann das sein?"
"Ja klar", sagte der junge, talentierte Bergur, "das Buch kam raus und wurde ein Mega-Bestseller, dann wurde es mit Meryl Streep und Clint Eastwood verfilmt."
"Ah ja, ah ja", sagte Geschäftsführer Guðsteinn und wandte sich dem zu, der den isländischen Übersetzer kannte, "du weißt sicher noch mehr darüber, entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen.""Ich wollte nur sagen, dass die Theorie daran krankt, dass das Buch nicht von irgendeiner Arbeitsgruppe geschrieben wurde, sondern von einem Schriftsteller, von dem ich Bilder gesehen habe und den viele persönlich kennen."
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Autoren-Porträt von Einar Kárason
Einar Kárason, geboren 1955, studierte Literaturwissenschaft und arbeitet seit 1983 hauptberuflich als Schriftsteller. Er lebt in Reykjavík und gilt als einer der wichtigsten isländischen Autoren der Gegenwart.Kristof Magnusson, geboren 1976 in Hamburg, machte eine Ausbildung zum Kirchenmusiker, arbeitete in der Obdachlosenhilfe in New York, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und der Universität Reykjavik. Seine Komödien 'Der totale Kick' und 'Männerhort' wurden in Berlin, Dresden, Köln und Bonn mit Erfolg aufgeführt. Er wurde mit dem Literaturförderpreis der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet und für seine Theaterstücke vom Deutschen Literaturfonds gefördert. Kristof Magnusson lebt in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Einar Kárason
- 2007, 1, 332 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Magnusson, Kristof
- Übersetzer: Kristof Magnusson
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442751586
- ISBN-13: 9783442751587
Rezension zu „Sturmerprobt “
"Lakonisch humorvoller Stil des besten aller isländischen Autoren."
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