Suche die Freude, m. Audio-CD

hungernd, frierend, ohne ein Dach über dem Kopf oder einen Cent in der Tasche auf der Straße, während unter dem Schlafplatz, den wir jede Nacht aufsuchen, ein Gefäß voller Gold verborgen ist. Dieses Gold ist bodhichitta. All unser Leiden und all unsere Verwirrung haben ihre Ursache darin, dass wir nicht wissen, dass dieses Gold sozusagen vor unserer Nase liegt - und wir daher woanders danach suchen. Wenn wir von Freude reden, von Erleuchtung, von Erwachen und dem Erwecken von bodhichitta, heißt das: Das Gold ist da, und wir erkennen endlich, dass es schon immer da war.

Was Lojong uns im Grunde lehren will, ist, leidhaften Erfahrungen direkt ins Antlitz zu blicken und den damit verbundenen Schmerz an uns heranlassen zu können. Wir kehren unser normales Reaktionsmuster um, Leid zu vermeiden oder auszublenden. Wir bürsten unsere Gewohnheiten gewissermaßen gegen den Strich und bleiben auf unserem Kissen sitzen. Lojong zeigt uns einen Weg, wie wir Problemen gegenüber eine andere Haltung einnehmen können: Erfahren wir Schmerz, nehmen wir ihn nicht nur geduldig hin, sondern sehen ihn als Gelegenheit, unser Herz zu erwecken und sanfter zu werden. Wir lernen, unseren Schmerz zu umarmen.

Erleben wir andererseits etwas Angenehmes, wollen wir diese Erfahrung festhalten und sie zu etwas Dauerhaftem machen. Der Gedanke, dass sie nicht dauerhaft sein könnte, beunruhigt uns, und wir wollen niemanden an unserem Glück teilhaben lassen. Lojong hingegen ermutigt uns, in solchen Glücksmomenten an andere zu denken und ihnen das gleiche Glück zu wünschen, das wir in diesem Augenblick empfinden. Lassen Sie andere teilhaben an der Fülle Ihres Herzens. Seien Sie großzügig mit Ihrer Freude. Verschenken Sie, was Sie sich am stärksten wünschen. Seien Sie großzügig mit Ihren Einsichten und Freuden. Statt zu versuchen, ängstlich an ihnen festzuhalten, teilen Sie sie großzügig mit anderen.

Durch das Lojong-Training entwickeln wir ein Gefühl für die Notwendigkeit, unsere Erfahrung - sei sie schmerzlich oder angenehm - so zu lassen, wie sie ist. Wir versuchen nicht mehr, sie irgendwie zu manipulieren. Wir versuchen, sie weder festzuhalten noch zu verdrängen. Sowohl die angenehmen als auch die leidhaften Aspekte unseres Daseins werden für uns zu einer Gelegenheit, den Herzgeist bodhichitta zu erwecken.

Wie Sie täglich mit den Lojong-Merksätzen praktizieren

Die Methode, die ich Ihnen im Folgenden vorstelle, geht zurück auf meinen Lehrer, den tibetischen Meditationsmeister Chögyam Trungpa Rinpoche.
1.Suchen Sie sich jeden Morgen einen bestimmten Merksatz aus, indem Sie das Buch nach dem Zufallsprinzip aufschlagen.
2.Lesen Sie den Kommentar zu dem Merksatz. (Neben meinen Kommentaren können Sie auch jene in anderen Lojong-Büchern lesen. Ziehen Sie hierzu die Literaturempfehlungen am Ende des Buches zurate.)
3.Versuchen Sie, Ihr Reden und Handeln über den Tag hinweg so gut wie möglich am Geist dieses Merksatzes auszurichten.

Manchmal passiert es mir, dass ich in der Hektik des Alltags den Satz vergesse, den ich mir am Morgen ausgesucht habe. Doch sobald sich irgendwelche Probleme einstellen, kommt mir gewöhnlich mein Tagesmotto - manchmal auch ein anderer Merksatz - wieder in den Sinn und hilft mir, entspannter mit der Situation umzugehen. Die Merksätze unterstützen mich immer wieder dabei, einen Schritt zurückzutreten und das Geschehen aus einer umfassenderen Perspektive zu betrachten. Ich bin allmählich wahrhaftig zu der Überzeugung gekommen, dass mein Blick durch die Arbeit mit den Merksätzen klarer wird und mein Verhalten weniger impulsgesteuert ist. So lernte ich im Laufe der Zeit, selbst sehr komplizierte Situationen besser zu meistern. Ich hoffe, dass diese Merksätze Ihnen ebenso gute Dienste leisten werden wie mir, wenn Sie sich aufmachen, um Freude und Leid in den Pfad zur Erleuchtung zu verwandeln.

Die Lojong-Merksätze mit Kommentaren

Verinnerliche zunächst die grundlegenden Gedanken.

Die "grundlegenden Gedanken" sind auch unter dem Namen "Die vier Ermahnungen" bekannt. Versuchen Sie, sich im Laufe des Tages immer wieder die folgenden vier Punkte ins Gedächtnis zu rufen:
4.Die menschliche Existenz, derer Sie sich jetzt erfreuen, ist überaus kostbar.
5.Dieses Leben ist vergänglich. Niemand kann sich dem Tod entziehen.
6.Machen Sie sich klar, dass jede Ihrer Handlungen, ob positiv oder negativ, Konsequenzen hat. Was wir säen, werden wir ernten.
7.Solange Ihre Gedanken hauptsächlich um die eigene Person und deren Wert oder Unwert kreisen, werden Sie leiden. Sie werden so lange nicht glücklich sein, wie Sie Ihre ganze Energie darauf verwenden, all das zu bekommen, was Sie wollen, und all das zu vermeiden, was Sie nicht mögen.

Betrachte alle Phänomene als Traum.

Schmerz, Vergnügen, Hitze, Kälte und so weiter - jede Erfahrung, die wir im Wachzustand machen, unterscheidet sich prinzipiell nicht von unseren Erlebnissen im Traum.