Beseelt / Tales of Partholon Bd.5
Deutsche Erstveröffentlichung
Nur wenn sie die gefährliche Seelenreise in die Anderwelt antritt, kann Brighid ihren Geliebten retten.
Auf keinen Fall will Brighid die Nachfolge ihrer Mutter antreten! Deshalb hat sie ihre Familie verlassen und auf der Burg MacCallan ein neues Zuhause...
Auf keinen Fall will Brighid die Nachfolge ihrer Mutter antreten! Deshalb hat sie ihre Familie verlassen und auf der Burg MacCallan ein neues Zuhause...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Beseelt / Tales of Partholon Bd.5 “
Klappentext zu „Beseelt / Tales of Partholon Bd.5 “
Nur wenn sie die gefährliche Seelenreise in die Anderwelt antritt, kann Brighid ihren Geliebten retten.Auf keinen Fall will Brighid die Nachfolge ihrer Mutter antreten! Deshalb hat sie ihre Familie verlassen und auf der Burg MacCallan ein neues Zuhause gefunden. Erst als Cuchulainn die Burg nach dem grausamen Tod seiner Verlobten verlässt, wagt Brighid sich aus den schützenden Gemäuern, um ihn zu suchen. Weit draußen im Ödland findet sie ihn bei den geflügelten Kindern, die in das Land ihrer Mütter zurückgeführt werden müssen. Während Brighid mit ihm einen Weg sucht, die Kinder zu retten, spürt sie Cuchulainns Schmerz und kann sich vor ihrem schamanischen Erbe nicht länger verschließen. Will sie die Seele des stolzen Kriegers heilen, muss Brighid ihren Schwur brechen und in die ihr unbekannte Anderwelt reisen. Aus Liebe zu Cuchulainn wagt sie diesen Schritt nicht ahnend, dass sie damit das eigene Schicksal für immer besiegelt.
Deutsche Erstveröffentlichung
Lese-Probe zu „Beseelt / Tales of Partholon Bd.5 “
Beseelt von P.C. Cast Aus dem Englischen von Ivonne Senn
1. Kapitel
Elphame befand sich genau dort, wo Brighid sie zu finden erwartet hatte - nicht, dass es der Fähigkeit einer zentaurischen Jägerin bedurft hätte, um den Spuren der Clanführerin zu folgen. Die Angewohnheit der MacCallan, diese spezielle Felsformation an der Klippe aufzusuchen, war allgemein bekannt. Auf dem erhöhten Aussichtspunkt aus großen, wettergegerbten Steinen konnte Elphame sitzen und nach Norden in Richtung der Berge Trier schauen, die in der Entfernung als zerrissene Zackenlinie in den Himmel stachen. Aus dem Wunsch heraus, in das dahinterliegende Ödland zu sehen, starrte sie oft stundenlang auf die weit entfernte Bergkette.
Brighid näherte sich Elphame leise, sie störte sie nur ungern. Obwohl sie schon einige Mondzyklen in ihrer Nähe lebte und eng mit ihr zusammenarbeitete, berührte der Anblick dieses einzigartigen Wesens, das ihre Clanführerin und auch ihre Freundin geworden war, sie immer noch tief. Als älteste Tochter der inkarnierten Göttin Partholons und ihres zentaurischen Schamanen war Elphames Körper nur bis zur Taille menschlich; ihre Beine hingegen glichen denen eines Pferdes. Sie waren sehr muskulös, mit feinem, glänzendem Fell bedeckt und endeten in ebenholzschwarzen Hufen.
... mehr
Es war aber nicht nur diese Andersartigkeit, die Elphame von allen anderen unterschied. Sie trug Kräfte in sich, die ihr von Epona verliehen worden waren. Wegen einer Verbundenheit mit der Magie der Erde konnte sie mit der Natur kommunizieren. Elphame hörte die Geister der Steine der MacCallan-Burg. Sie hatte außerdem eine besondere Beziehung zu Epona. Brighid spürte oft die schützende Anwesenheit der Göttin Partholons, wenn Elphame das Morgengebet sprach oder Epona am Ende eines produktiven Tages dankte. Und natürlich hatten alle gesehen, wie sehr sie Epona am Herzen lag, als Elphame die Stärke und Liebe ihrer Göttin anrief, um den Wahnsinn der Fomorianer zu bezwingen.
Die Jägerin erschauerte. Sie wollte sich nicht an diesen entsetzlichen Tag erinnern. Es reichte zu wissen, dass ihre Clanführerin eine mysteriöse Mischung aus Zentaur und Mensch, Göttin und Sterblicher war.
„War die morgendliche Jagd erfolgreich?", fragte Elphame, ohne sich zu ihr umzudrehen.
„Ja, sehr." Brighid war nicht überrascht, dass ihre Stammesführerin ihre Anwesenheit spürte. Elphames übernatürliche Kräfte waren scharf und präzise. „Die Wälder, die die Burg MacCallan umgeben, sind seit über einhundert Jahren nicht mehr ordentlich bejagt worden. Das Wild springt mir förmlich vor meine Pfeile und bettelt darum, erlegt zu werden."
Um Elphames Lippen zuckte ein kleines Lächeln. „Wildbret mit Todessehnsucht? Das klingt nach einem wahrhaft einzigartigen Mahl."
Brighid schnaubte. „Erzähl es nur nicht Wynne. Die Köchin wird sonst verlangen, dass ich bei der Auswahl des Wilds sorgfältiger auf dessen Laune achte, damit ihr Eintopf den richtigen Geschmack bekommt."
Die MacCallan löste den Blick von den Bergen in der Ferne und lächelte. „Bei mir ist dein Geheimnis sicher."
Als Brighid ihrer Freundin in die Augen schaute, erschrak sie über die Traurigkeit, die sich darin abzeichnete. Nur Elphames Lippen lächelten. Niemals würde die MacCallan diesen gequälten Gesichtsausdruck der Öffentlichkeit zeigen - es war ein seltenes Privileg, eine so persönliche Seite zu sehen zu bekommen. Brighid befürchtete im ersten Moment, dass der fomorianische Wahnsinn, der tief im Blut ihrer Freundin lauerte, erwacht war, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. In Elphames Blick hatte sie weder Hass noch Wut gesehen - nur tiefe Traurigkeit, von der sie ahnte, woher sie stammte. Ihre Freundin war glücklich mit Lochlan verbunden. Der Wiederaufbau der Burg MacCallan ging gut voran. Die Mitglieder des Clans waren gesund und gediehen prächtig. Ihre Führerin könnte zufrieden sein. Brighid wusste, dass Elphame das auch war - bis auf ein entscheidendes Detail.
„Du sorgst dich um ihn." Sie studierte Elphames starkes Profil, während deren Blick wieder zum Horizont glitt.
„Natürlich sorge ich mich um ihn!" Sie presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme traurig und resigniert: „Es tut mir leid. Ich wollte es nicht an dir auslassen, aber seit Brennas Tod kreisen meine Gedanken ständig um ihn. Er hat sie so sehr geliebt."
„Wir alle haben die kleine Heilerin geliebt."
Elphame seufzte. „Ja, weil sie etwas ganz Besonderes war. Ihr Herz war unglaublich groß."
„Du machst dir Sorgen, dass Cuchulainn sich von seinem Verlust nicht erholen wird."
Elphame starrte auf die Berge. „Es wäre nicht so schlimm, wenn er hier wäre - wenn ich mit ihm sprechen könnte und wüsste, wie es ihm geht." Sie schüttelte den Kopf. „Ich durfte ihn allerdings nicht aufhalten. Er sagte, in der Burg erinnere ihn alles an Brenna und hier könne er niemals lernen, ohne sie zu leben. Als er ging, war er nur ein Schatten seiner selbst. Nein ..." Sie überdachte den Vergleich. „Nicht ein Schatten seiner selbst. Mehr ein Schatten dessen, was er einst gewesen war ..."
Elphames Stimme erstarb. Brighid blieb an ihrer Seite, während die Clanführerin stumm gegen die Sorge um ihren Bruder ankämpfte. Ihre eigenen Gedanken wandten sich der Erinnerung an die kleine Heilerin zu. Genau wie sie war Brenna auf der Suche nach einem Neuanfang und einem besseren Leben auf die MacCallan- Burg gekommen, doch die von Narben entstellte Heilerin bekam mehr. In den Armen des Kriegers Cuchulainn, dem Bruder der Clanführerin, fand sie die Liebe. Er schaute nicht auf ihr von fürchterlichen Brandnarben gezeichnetes Äußeres, sondern sah die Schönheit ihres Herzens. Brighid erinnerte sich daran, wie unglaublich glücklich ihre Freundin gewesen war - bis zu ihrem viel zu früh eintretenden Tod. Dass ihre Ermordung die Ereignisse in Gang setzte, die zur Erlösung einer ganzen Rasse führten, trug wenig dazu bei, die Wunde zu heilen, die ihre Abwesenheit hinterließ. Und nun war Cuchulainn im Ödland, um das Volk nach Partholon zurückzuführen, das die Mörderin seiner Geliebten hervorgebracht hatte.
„Er hat darauf bestanden", sagte Elphame leise, als spürte sie ihren Gedankengang. „Er macht die anderen Fomorianer nicht für Brennas Tod verantwortlich. Er versteht, dass ihre Mörderin vom Wahnsinn beherrscht wurde, gegen den sie alle ankämpften."
Brighid nickte. „Cuchulainn gibt sich die Schuld. Die hybriden Fomorianer nach Hause zu führen ermöglicht es ihm vielleicht, mit der Sache abzuschließen. Lochlan sagt, dass viele Mitglieder seines Volkes noch Kinder sind. Womöglich hilft das, das Herz des Kriegers zu heilen."
„Ohne die Berührung einer Heilerin zu genesen ist ein schwieriger Prozess", murmelte Elphame. „Ich hasse den Gedanken, dass er Schmerzen leidet und niemand ..." Sie brach mit einem trockenen Lachen ab.
„Was?", drängte Brighid sie.
„Ich weiß, es klingt dumm. Cuchulainn ist ein Krieger, der für seine Kraft und seinen Mut bekannt ist. Aber es ist furchtbar, dass es ihm schlecht geht, und niemand aus seiner Familie ist bei ihm."
„Vor allem nicht seine große Schwester?"
Elphames Lippen zuckten. „Ja, vor allem seine große Schwester." Sie seufzte erneut. „Er ist schon so lange fort. Ich dachte, dass er inzwischen längst zurückgekehrt sein würde."
„Du weißt doch, im Bericht von der Wachtburg hieß es, dass es einen mächtigen Frühlingsschneesturm gegeben hat, der in den Bergen tobte und den Pass zum Ödland unpassierbar machte. Cuchulainn wird auf Tauwetter warten müssen und selbst dann nur langsam vorankommen, weil er sicher darauf achtgibt, die Kinder nicht zu überanstrengen. Du musst geduldig sein", sagte Brighid.
„Geduld ist noch nie eine deiner Stärken gewesen, mein Herz."
Die tiefe Stimme erklang hinter ihnen. Jägerin und Clanführerin drehten sich um und sahen zu, wie der geflügelte Mann die letzten Meter auf sie zukam. Brighid fragte sich, ob sie sich jemals daran gewöhnen würde, dass solche Wesen existierten. Teils Fomorianer, teils Mensch, war Lochlan eine ganz besondere Kreatur, die, wie andere auch, in der Verborgenheit des harschen Ödlands nördlich der Berge Trier von ihren Müttern, Frauen Partholons, aufgezogen worden waren. Er war groß, sehnig und muskulös. Seine menschlichen, attraktiven Gesichtszüge wirkten wie gemeißelt. Der helle, beinahe farblose Ton seiner Haut deutete auf sein dunkles Erbe hin. Und dann waren da noch die Flügel. Im Moment ruhten sie dicht an seinen Rücken gelegt, sodass nur die grau melierte Oberseite zu sehen war. Brighid hatte sie auch schon voll ausgebreitet in ihrer grausamen Schönheit erlebt. Ein Anblick, den sie so schnell nicht vergessen würde.
„Guten Morgen, Jägerin", grüßte er warmherzig. „Wynne hat mir erzählt, dass du heute früh einen spektakulären Fang gemacht hast und wir uns zum Abendessen auf Hirschsteaks freuen können."
Brighid nahm das Kompliment mit einer leichten Neigung des Kopfes an und trat einen Schritt zur Seite, damit Lochlan seine Frau begrüßen konnte.
„Ich habe dich vermisst." Er führte Elphames Hand an seine Lippen und küsste sie zart.
„Es tut mir leid. Ich konnte nicht schlafen und wollte dich nicht wecken, also bin ich ..." Sie zuckte mit den Schultern.
„Du erwartest ungeduldig die Rückkehr deines Bruders, und das macht dich ruhelos", sagte er.
„Ich weiß, dass er ein Krieger ist und dass ich mit dem Herzen einer Schwester denke, anstatt mit dem Kopf einer Stammesführerin, doch ich mache mir Sorgen um ihn."
„Ich bin auch ein Krieger, aber sollte ich dich verlieren, würde ich meine Seele verlieren. Ein Kämpfer zu sein bewahrt einen Mann nicht davor, Schmerz zu empfinden. Ich habe in letzter Zeit auch viel an Cuchulainn gedacht." Lochlan hielt inne und wählte seine nächsten Worte sorgfältig. „Vielleicht sollte sich einer von uns nach ihm auf die Suche machen."
„Ich würde es so gerne tun. Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, aber ich kann hier nicht weg." Die Frustration war Elphame deutlich anzuhören. „Der Clan ist erst neu zusammengewürfelt und es gibt noch eine Menge Arbeit an der Burg."
„Ich werde gehen", sagte Brighid entschieden.
„Wirklich?", fragte Elphame.
Sie nickte und zuckte mit den Schultern. „Im Wald lebt so viel Wild, dass selbst die menschlichen Jäger leicht für die Verpflegung der Burgbewohner sorgen können - zumindest für eine Weile", fügte sie lächelnd hinzu. „Es bedarf der Fähigkeiten einer Jägerin, um den Weg zu finden, den Cuchulainn durch die Berge genommen hat." Sie warf Lochlan einen gezielten Blick zu. „Oder etwa nicht?"
„Es ist ein verborgener Pfad, und auch wenn ich glaube, dass Cuchulainn Zeichen hinterlassen hat, wird er schwer auszumachen sein - ganz zu schweigen davon, dass er nicht leicht zu begehen ist", stimmte er zu.
„Außerdem gibt es im Ödland nur wenig Wild, sodass ich vor Ort helfen kann, die Bürde des Hungers etwas zu mildern, während sie sich für die Reise fertig machen." Sie lächelte ihre Clanführerin an. „Eine Jägerin ist immer willkommen, vor allem wenn es gilt, viele hungrige Mäulchen zu stopfen."
„Ein Freund ist ebenfalls gern gesehene Gesellschaft", sagte Elphame mit zittriger Stimme. „Danke. Du nimmst mir eine große Last von der Seele."
„Cuchulainn wird mich vermutlich für einen armseligen Ersatz seiner Schwester halten", sagte Brighid schnell, um ihre Gefühle zu verbergen. In den vergangenen zwei Mondzyklen war Elphame ihr so ans Herz gewachsen, als wäre sie ein Teil ihrer Familie. Nein, korrigierte die Jägerin sich, ich bin meiner tatsächlichen Familie entkommen, indem ich mich dem MacCallan-Clan angeschlossen habe. Elphame liegt mir viel mehr am Herzen.
„So etwas denkt er nicht." Die Clanführerin lachte.
„Ich werde eine Karte zeichnen, die dir hilft, den Weg zu finden", sagte Lochlan und legte eine Hand leicht auf ihre Schultern. „Danke, dass du das tust, Brighid."
Sie schaute dem geflügelten Mann in die Augen und unterdrückte den Drang, vor seiner Berührung zurückzuzucken. Die Mehrheit der Clanmitglieder akzeptierte Lochlan inzwischen als Elphames Lebenspartner. Er war halb Fomorianer, aber er hatte der Stammesführerin und dem Clan seine Loyalität bewiesen. Dennoch konnte sie das leichte Unbehagen nicht verhehlen, das sie in seiner Gegenwart empfand.
„Ich werde gleich morgen früh losziehen", sagte sie mit fester Stimme.
Brighid hasste Schnee, doch nicht, weil er ihr körperlich unangenehm war. Wie bei allen Zentauren isolierte ihre Körperwärme sie sehr gut gegen drastische Wetterumschwünge. Sie tat es aus Prinzip, denn er verhüllte die Erde mit einer Decke aus starrer Feuchtigkeit. Die Geschöpfe des Waldes gruben sich entweder ein oder flohen in wärmere Gefilde. Brighid verstand die Tiere. Sie hatte fünf Tage gebraucht, um von der MacCallan-Burg nördlich durch den immer dichter werdenden Wald zum verborgenen Pfad zu gelangen, den Lochlan ihr in seiner detaillierten Landkarte eingezeichnet hatte. Fünf Tage. Sie schnaubte angewidert. Genauso gut hätte sie ein Mensch sein können, der auf seinem dummen Pferd im Kreis reitet. Sie hatte erwartete, die doppelte Strecke in der halben Zeit zurückzulegen.
„Von der Göttin verfluchter Schnee", schimpfte sie. Ihre Stimme hallte seltsam von den vor ihr aufragenden Felswänden wider. „Hier muss es sein." Sie suchte die ungewöhnliche Felsformation vor sich nach einem Anzeichen dafür ab, dass Cuchulainn daran vorbeigekommen war. Sie hoffte, er hatte die Stelle markiert, auch wenn sie bezweifelte, dass es eine weitere Ansammlung roter Steine gab, die aussah wie das geöffnete Maul eines Riesen mit aufgeblähter Zunge und verrottetem Gebiss. Ihre Hufe schlugen dumpf auf die nasse Erde auf, als sie sich dem klaffenden Tunnel näherte.
Mit einem Mal war die Luft erfüllt vom Zischen flatternder Schwingen, und ein schwarzer Schatten rauschte an ihr vorbei und landete auf dem Felsen mit der maulförmigen Öffnung. Brighid blieb abrupt stehen und biss die Zähne zusammen. Der Rabe neigte den Kopf und schaute sie an. Die Jägerin runzelte missbilligend die Stirn.
„Hau ab, blöder Vogel", rief sie und wedelte mit den Armen.
Unerschütterlich fixierte er sie mit seinem kalten, starren Blick. Dann klopfte er langsam und gezielt drei Mal mit dem Schnabel auf den Stein, breitete die Flügel aus und erhob sich mit ruhigen Schlägen in die Luft. Er flog dicht genug über ihrem Kopf hinweg, um ihre Haare aufzuwehen, und sie musste alle Willenskraft aufwenden, um sich nicht zu ducken. Das Gesicht zu einer finsteren Miene verzogen näherte sie sich dem Felsen. Der Vogel hatte krallenförmige Abdrücke im Schnee hinterlassen, sodass unter der weißen Decke das Rot des Steins hervorleuchtete. Brighid streckte eine Hand aus und wischte die Stelle frei. Sie war nicht überrascht, darunter Cuchulainns Zeichen zu entdecken - einen Pfeil, der in Richtung Tunnel zeigte.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich will deine Hilfe nicht, Mutter." Ihre Stimme hallte gruselig von den Tunnelwänden zurück. „Der Preis, den du dafür verlangst, ist mir immer zu hoch gewesen."
Das Krächzen des Raben schwebte auf dem Wind zu ihr, der sich mit einem Mal auf magische Weise warm anfühlte und die Düfte und Geräusche der Zentaurenebene mit sich trug. Brighid schloss die Augen, da eine Welle der Sehnsucht sie übermannte. Das Grün des sich wiegenden Grases war mehr als nur eine Farbe - es erfüllte die Luft mit den unterschiedlichsten Gerüchen und machte sie beinahe greifbar. Auf der Ebene der Zentauren herrschte Frühling, das totale Gegenteil zu dieser kalten Schneewelt der Berge. Das Gras müsste inzwischen kniehoch sein und wäre getüpfelt von blauen, weißen und violetten Wildblumen. Sie atmete tief ein und schmeckte ihre Heimat.
„Schluss damit!" Brighid riss die Augen auf. „Das ist ein Schwindel, Mutter. Freiheit ist das Einzige, was mir die Ebene nicht bieten kann!"
Das Krächzen des Raben wurde leiser und verklang. Mit ihm verschwand der warme, nach Frühling schmeckende Wind. Brighid zitterte. Es sollte sie nicht überraschen, dass ihre Mutter ihr einen Führer schickte. Die Vorahnung, die sie schon den ganzen Tag spürte, wurde von mehr genährt als nur der Aussicht, endlich am Fuß des Bergpasses anzukommen. Sie hätte die Hand ihrer Mutter spüren müssen. Nein, korrigierte sie sich, ich habe sie gespürt - ich wollte es nur nicht wahrhaben.
Ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich bin die Jägerin des MacCallan-Clans - ein eingeschworenes Mitglied der Gemeinschaft. Ich bereue es nicht.
Sie straffte die Schultern und betrat die Schlucht, wobei sie die Ahnung der Anwesenheit ihrer Mutter bewusst sowohl körperlich als auch seelisch abschüttelte. Mit einem Mal war sie dankbar für den Schnee, der den Weg bedeckte, denn so brauchte sie all ihre Konzentration und ihre Kraft, um vorwärtszukommen. Sie wollte nicht an ihre Familie denken oder an die vertraute Schönheit ihres Heimatlandes, dem sie aus eigenem Entschluss für immer den Rücken gekehrt hatte.
Der Tag war noch jung. Lochlans Aussage zufolge war es ratsam, den gefährlichsten Teil des Weges vor Einbruch der Dunkelheit hinter sich zu bringen. Wenn alles gut ging, würde sie am kommenden Tag das Lager der Fomorianer und mit ihm Cuchulainn erreichen. Sie beschleunigte ihr Tempo, setzte die Hufe aber weiterhin vorsichtig auf, um nicht aus Versehen in einer schneebedeckten Spalte hängen zu bleiben. Brighid konzentrierte sich vollkommen auf den Weg. Sie dachte nicht an ihre Familie oder an das Leben, von dem sie sich abgewandt hatte, und ignorierte das Schuldgefühl und die Einsamkeit, die jede ihrer Entscheidungen überschattete. Sie hatte die richtige Wahl getroffen, dessen war sie sich sicher, doch nur weil sie weise entschieden hatte, bedeutete das nicht, dass sie den einfacheren Weg gewählt hatte.
Grimmig lächelnd kämpfte sie sich auf dem gefährlichen Untergrund um eine glatte, enge Biegung. Die Route, der sie während ihrer Reise folgen musste, erwies sich als ebenso schwierig wie der Lebensweg, auf dem sie seit Jahren unterwegs war.
Abgelenkt vom inneren Aufruhr und den Herausforderungen, die die Natur an sie stellte, registrierten die feinen Sinne der Jägerin die sie verfolgenden Blicke nur tief in ihrem Unterbewusstsein als ein Gefühl leichten Unbehagens. Eine Empfindung, die sie als Nachwirkung der Einmischung des Abgesandten ihrer Mutter abtat.
Ungehindert von der Dunkelheit glühten die Augen in der Farbe uralten Blutes und beobachteten sie abwartend.
MIRA Taschenbuch Band 65070 © 2005 by P.C. Cast
Es war aber nicht nur diese Andersartigkeit, die Elphame von allen anderen unterschied. Sie trug Kräfte in sich, die ihr von Epona verliehen worden waren. Wegen einer Verbundenheit mit der Magie der Erde konnte sie mit der Natur kommunizieren. Elphame hörte die Geister der Steine der MacCallan-Burg. Sie hatte außerdem eine besondere Beziehung zu Epona. Brighid spürte oft die schützende Anwesenheit der Göttin Partholons, wenn Elphame das Morgengebet sprach oder Epona am Ende eines produktiven Tages dankte. Und natürlich hatten alle gesehen, wie sehr sie Epona am Herzen lag, als Elphame die Stärke und Liebe ihrer Göttin anrief, um den Wahnsinn der Fomorianer zu bezwingen.
Die Jägerin erschauerte. Sie wollte sich nicht an diesen entsetzlichen Tag erinnern. Es reichte zu wissen, dass ihre Clanführerin eine mysteriöse Mischung aus Zentaur und Mensch, Göttin und Sterblicher war.
„War die morgendliche Jagd erfolgreich?", fragte Elphame, ohne sich zu ihr umzudrehen.
„Ja, sehr." Brighid war nicht überrascht, dass ihre Stammesführerin ihre Anwesenheit spürte. Elphames übernatürliche Kräfte waren scharf und präzise. „Die Wälder, die die Burg MacCallan umgeben, sind seit über einhundert Jahren nicht mehr ordentlich bejagt worden. Das Wild springt mir förmlich vor meine Pfeile und bettelt darum, erlegt zu werden."
Um Elphames Lippen zuckte ein kleines Lächeln. „Wildbret mit Todessehnsucht? Das klingt nach einem wahrhaft einzigartigen Mahl."
Brighid schnaubte. „Erzähl es nur nicht Wynne. Die Köchin wird sonst verlangen, dass ich bei der Auswahl des Wilds sorgfältiger auf dessen Laune achte, damit ihr Eintopf den richtigen Geschmack bekommt."
Die MacCallan löste den Blick von den Bergen in der Ferne und lächelte. „Bei mir ist dein Geheimnis sicher."
Als Brighid ihrer Freundin in die Augen schaute, erschrak sie über die Traurigkeit, die sich darin abzeichnete. Nur Elphames Lippen lächelten. Niemals würde die MacCallan diesen gequälten Gesichtsausdruck der Öffentlichkeit zeigen - es war ein seltenes Privileg, eine so persönliche Seite zu sehen zu bekommen. Brighid befürchtete im ersten Moment, dass der fomorianische Wahnsinn, der tief im Blut ihrer Freundin lauerte, erwacht war, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. In Elphames Blick hatte sie weder Hass noch Wut gesehen - nur tiefe Traurigkeit, von der sie ahnte, woher sie stammte. Ihre Freundin war glücklich mit Lochlan verbunden. Der Wiederaufbau der Burg MacCallan ging gut voran. Die Mitglieder des Clans waren gesund und gediehen prächtig. Ihre Führerin könnte zufrieden sein. Brighid wusste, dass Elphame das auch war - bis auf ein entscheidendes Detail.
„Du sorgst dich um ihn." Sie studierte Elphames starkes Profil, während deren Blick wieder zum Horizont glitt.
„Natürlich sorge ich mich um ihn!" Sie presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme traurig und resigniert: „Es tut mir leid. Ich wollte es nicht an dir auslassen, aber seit Brennas Tod kreisen meine Gedanken ständig um ihn. Er hat sie so sehr geliebt."
„Wir alle haben die kleine Heilerin geliebt."
Elphame seufzte. „Ja, weil sie etwas ganz Besonderes war. Ihr Herz war unglaublich groß."
„Du machst dir Sorgen, dass Cuchulainn sich von seinem Verlust nicht erholen wird."
Elphame starrte auf die Berge. „Es wäre nicht so schlimm, wenn er hier wäre - wenn ich mit ihm sprechen könnte und wüsste, wie es ihm geht." Sie schüttelte den Kopf. „Ich durfte ihn allerdings nicht aufhalten. Er sagte, in der Burg erinnere ihn alles an Brenna und hier könne er niemals lernen, ohne sie zu leben. Als er ging, war er nur ein Schatten seiner selbst. Nein ..." Sie überdachte den Vergleich. „Nicht ein Schatten seiner selbst. Mehr ein Schatten dessen, was er einst gewesen war ..."
Elphames Stimme erstarb. Brighid blieb an ihrer Seite, während die Clanführerin stumm gegen die Sorge um ihren Bruder ankämpfte. Ihre eigenen Gedanken wandten sich der Erinnerung an die kleine Heilerin zu. Genau wie sie war Brenna auf der Suche nach einem Neuanfang und einem besseren Leben auf die MacCallan- Burg gekommen, doch die von Narben entstellte Heilerin bekam mehr. In den Armen des Kriegers Cuchulainn, dem Bruder der Clanführerin, fand sie die Liebe. Er schaute nicht auf ihr von fürchterlichen Brandnarben gezeichnetes Äußeres, sondern sah die Schönheit ihres Herzens. Brighid erinnerte sich daran, wie unglaublich glücklich ihre Freundin gewesen war - bis zu ihrem viel zu früh eintretenden Tod. Dass ihre Ermordung die Ereignisse in Gang setzte, die zur Erlösung einer ganzen Rasse führten, trug wenig dazu bei, die Wunde zu heilen, die ihre Abwesenheit hinterließ. Und nun war Cuchulainn im Ödland, um das Volk nach Partholon zurückzuführen, das die Mörderin seiner Geliebten hervorgebracht hatte.
„Er hat darauf bestanden", sagte Elphame leise, als spürte sie ihren Gedankengang. „Er macht die anderen Fomorianer nicht für Brennas Tod verantwortlich. Er versteht, dass ihre Mörderin vom Wahnsinn beherrscht wurde, gegen den sie alle ankämpften."
Brighid nickte. „Cuchulainn gibt sich die Schuld. Die hybriden Fomorianer nach Hause zu führen ermöglicht es ihm vielleicht, mit der Sache abzuschließen. Lochlan sagt, dass viele Mitglieder seines Volkes noch Kinder sind. Womöglich hilft das, das Herz des Kriegers zu heilen."
„Ohne die Berührung einer Heilerin zu genesen ist ein schwieriger Prozess", murmelte Elphame. „Ich hasse den Gedanken, dass er Schmerzen leidet und niemand ..." Sie brach mit einem trockenen Lachen ab.
„Was?", drängte Brighid sie.
„Ich weiß, es klingt dumm. Cuchulainn ist ein Krieger, der für seine Kraft und seinen Mut bekannt ist. Aber es ist furchtbar, dass es ihm schlecht geht, und niemand aus seiner Familie ist bei ihm."
„Vor allem nicht seine große Schwester?"
Elphames Lippen zuckten. „Ja, vor allem seine große Schwester." Sie seufzte erneut. „Er ist schon so lange fort. Ich dachte, dass er inzwischen längst zurückgekehrt sein würde."
„Du weißt doch, im Bericht von der Wachtburg hieß es, dass es einen mächtigen Frühlingsschneesturm gegeben hat, der in den Bergen tobte und den Pass zum Ödland unpassierbar machte. Cuchulainn wird auf Tauwetter warten müssen und selbst dann nur langsam vorankommen, weil er sicher darauf achtgibt, die Kinder nicht zu überanstrengen. Du musst geduldig sein", sagte Brighid.
„Geduld ist noch nie eine deiner Stärken gewesen, mein Herz."
Die tiefe Stimme erklang hinter ihnen. Jägerin und Clanführerin drehten sich um und sahen zu, wie der geflügelte Mann die letzten Meter auf sie zukam. Brighid fragte sich, ob sie sich jemals daran gewöhnen würde, dass solche Wesen existierten. Teils Fomorianer, teils Mensch, war Lochlan eine ganz besondere Kreatur, die, wie andere auch, in der Verborgenheit des harschen Ödlands nördlich der Berge Trier von ihren Müttern, Frauen Partholons, aufgezogen worden waren. Er war groß, sehnig und muskulös. Seine menschlichen, attraktiven Gesichtszüge wirkten wie gemeißelt. Der helle, beinahe farblose Ton seiner Haut deutete auf sein dunkles Erbe hin. Und dann waren da noch die Flügel. Im Moment ruhten sie dicht an seinen Rücken gelegt, sodass nur die grau melierte Oberseite zu sehen war. Brighid hatte sie auch schon voll ausgebreitet in ihrer grausamen Schönheit erlebt. Ein Anblick, den sie so schnell nicht vergessen würde.
„Guten Morgen, Jägerin", grüßte er warmherzig. „Wynne hat mir erzählt, dass du heute früh einen spektakulären Fang gemacht hast und wir uns zum Abendessen auf Hirschsteaks freuen können."
Brighid nahm das Kompliment mit einer leichten Neigung des Kopfes an und trat einen Schritt zur Seite, damit Lochlan seine Frau begrüßen konnte.
„Ich habe dich vermisst." Er führte Elphames Hand an seine Lippen und küsste sie zart.
„Es tut mir leid. Ich konnte nicht schlafen und wollte dich nicht wecken, also bin ich ..." Sie zuckte mit den Schultern.
„Du erwartest ungeduldig die Rückkehr deines Bruders, und das macht dich ruhelos", sagte er.
„Ich weiß, dass er ein Krieger ist und dass ich mit dem Herzen einer Schwester denke, anstatt mit dem Kopf einer Stammesführerin, doch ich mache mir Sorgen um ihn."
„Ich bin auch ein Krieger, aber sollte ich dich verlieren, würde ich meine Seele verlieren. Ein Kämpfer zu sein bewahrt einen Mann nicht davor, Schmerz zu empfinden. Ich habe in letzter Zeit auch viel an Cuchulainn gedacht." Lochlan hielt inne und wählte seine nächsten Worte sorgfältig. „Vielleicht sollte sich einer von uns nach ihm auf die Suche machen."
„Ich würde es so gerne tun. Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, aber ich kann hier nicht weg." Die Frustration war Elphame deutlich anzuhören. „Der Clan ist erst neu zusammengewürfelt und es gibt noch eine Menge Arbeit an der Burg."
„Ich werde gehen", sagte Brighid entschieden.
„Wirklich?", fragte Elphame.
Sie nickte und zuckte mit den Schultern. „Im Wald lebt so viel Wild, dass selbst die menschlichen Jäger leicht für die Verpflegung der Burgbewohner sorgen können - zumindest für eine Weile", fügte sie lächelnd hinzu. „Es bedarf der Fähigkeiten einer Jägerin, um den Weg zu finden, den Cuchulainn durch die Berge genommen hat." Sie warf Lochlan einen gezielten Blick zu. „Oder etwa nicht?"
„Es ist ein verborgener Pfad, und auch wenn ich glaube, dass Cuchulainn Zeichen hinterlassen hat, wird er schwer auszumachen sein - ganz zu schweigen davon, dass er nicht leicht zu begehen ist", stimmte er zu.
„Außerdem gibt es im Ödland nur wenig Wild, sodass ich vor Ort helfen kann, die Bürde des Hungers etwas zu mildern, während sie sich für die Reise fertig machen." Sie lächelte ihre Clanführerin an. „Eine Jägerin ist immer willkommen, vor allem wenn es gilt, viele hungrige Mäulchen zu stopfen."
„Ein Freund ist ebenfalls gern gesehene Gesellschaft", sagte Elphame mit zittriger Stimme. „Danke. Du nimmst mir eine große Last von der Seele."
„Cuchulainn wird mich vermutlich für einen armseligen Ersatz seiner Schwester halten", sagte Brighid schnell, um ihre Gefühle zu verbergen. In den vergangenen zwei Mondzyklen war Elphame ihr so ans Herz gewachsen, als wäre sie ein Teil ihrer Familie. Nein, korrigierte die Jägerin sich, ich bin meiner tatsächlichen Familie entkommen, indem ich mich dem MacCallan-Clan angeschlossen habe. Elphame liegt mir viel mehr am Herzen.
„So etwas denkt er nicht." Die Clanführerin lachte.
„Ich werde eine Karte zeichnen, die dir hilft, den Weg zu finden", sagte Lochlan und legte eine Hand leicht auf ihre Schultern. „Danke, dass du das tust, Brighid."
Sie schaute dem geflügelten Mann in die Augen und unterdrückte den Drang, vor seiner Berührung zurückzuzucken. Die Mehrheit der Clanmitglieder akzeptierte Lochlan inzwischen als Elphames Lebenspartner. Er war halb Fomorianer, aber er hatte der Stammesführerin und dem Clan seine Loyalität bewiesen. Dennoch konnte sie das leichte Unbehagen nicht verhehlen, das sie in seiner Gegenwart empfand.
„Ich werde gleich morgen früh losziehen", sagte sie mit fester Stimme.
Brighid hasste Schnee, doch nicht, weil er ihr körperlich unangenehm war. Wie bei allen Zentauren isolierte ihre Körperwärme sie sehr gut gegen drastische Wetterumschwünge. Sie tat es aus Prinzip, denn er verhüllte die Erde mit einer Decke aus starrer Feuchtigkeit. Die Geschöpfe des Waldes gruben sich entweder ein oder flohen in wärmere Gefilde. Brighid verstand die Tiere. Sie hatte fünf Tage gebraucht, um von der MacCallan-Burg nördlich durch den immer dichter werdenden Wald zum verborgenen Pfad zu gelangen, den Lochlan ihr in seiner detaillierten Landkarte eingezeichnet hatte. Fünf Tage. Sie schnaubte angewidert. Genauso gut hätte sie ein Mensch sein können, der auf seinem dummen Pferd im Kreis reitet. Sie hatte erwartete, die doppelte Strecke in der halben Zeit zurückzulegen.
„Von der Göttin verfluchter Schnee", schimpfte sie. Ihre Stimme hallte seltsam von den vor ihr aufragenden Felswänden wider. „Hier muss es sein." Sie suchte die ungewöhnliche Felsformation vor sich nach einem Anzeichen dafür ab, dass Cuchulainn daran vorbeigekommen war. Sie hoffte, er hatte die Stelle markiert, auch wenn sie bezweifelte, dass es eine weitere Ansammlung roter Steine gab, die aussah wie das geöffnete Maul eines Riesen mit aufgeblähter Zunge und verrottetem Gebiss. Ihre Hufe schlugen dumpf auf die nasse Erde auf, als sie sich dem klaffenden Tunnel näherte.
Mit einem Mal war die Luft erfüllt vom Zischen flatternder Schwingen, und ein schwarzer Schatten rauschte an ihr vorbei und landete auf dem Felsen mit der maulförmigen Öffnung. Brighid blieb abrupt stehen und biss die Zähne zusammen. Der Rabe neigte den Kopf und schaute sie an. Die Jägerin runzelte missbilligend die Stirn.
„Hau ab, blöder Vogel", rief sie und wedelte mit den Armen.
Unerschütterlich fixierte er sie mit seinem kalten, starren Blick. Dann klopfte er langsam und gezielt drei Mal mit dem Schnabel auf den Stein, breitete die Flügel aus und erhob sich mit ruhigen Schlägen in die Luft. Er flog dicht genug über ihrem Kopf hinweg, um ihre Haare aufzuwehen, und sie musste alle Willenskraft aufwenden, um sich nicht zu ducken. Das Gesicht zu einer finsteren Miene verzogen näherte sie sich dem Felsen. Der Vogel hatte krallenförmige Abdrücke im Schnee hinterlassen, sodass unter der weißen Decke das Rot des Steins hervorleuchtete. Brighid streckte eine Hand aus und wischte die Stelle frei. Sie war nicht überrascht, darunter Cuchulainns Zeichen zu entdecken - einen Pfeil, der in Richtung Tunnel zeigte.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich will deine Hilfe nicht, Mutter." Ihre Stimme hallte gruselig von den Tunnelwänden zurück. „Der Preis, den du dafür verlangst, ist mir immer zu hoch gewesen."
Das Krächzen des Raben schwebte auf dem Wind zu ihr, der sich mit einem Mal auf magische Weise warm anfühlte und die Düfte und Geräusche der Zentaurenebene mit sich trug. Brighid schloss die Augen, da eine Welle der Sehnsucht sie übermannte. Das Grün des sich wiegenden Grases war mehr als nur eine Farbe - es erfüllte die Luft mit den unterschiedlichsten Gerüchen und machte sie beinahe greifbar. Auf der Ebene der Zentauren herrschte Frühling, das totale Gegenteil zu dieser kalten Schneewelt der Berge. Das Gras müsste inzwischen kniehoch sein und wäre getüpfelt von blauen, weißen und violetten Wildblumen. Sie atmete tief ein und schmeckte ihre Heimat.
„Schluss damit!" Brighid riss die Augen auf. „Das ist ein Schwindel, Mutter. Freiheit ist das Einzige, was mir die Ebene nicht bieten kann!"
Das Krächzen des Raben wurde leiser und verklang. Mit ihm verschwand der warme, nach Frühling schmeckende Wind. Brighid zitterte. Es sollte sie nicht überraschen, dass ihre Mutter ihr einen Führer schickte. Die Vorahnung, die sie schon den ganzen Tag spürte, wurde von mehr genährt als nur der Aussicht, endlich am Fuß des Bergpasses anzukommen. Sie hätte die Hand ihrer Mutter spüren müssen. Nein, korrigierte sie sich, ich habe sie gespürt - ich wollte es nur nicht wahrhaben.
Ich habe meine Entscheidung getroffen. Ich bin die Jägerin des MacCallan-Clans - ein eingeschworenes Mitglied der Gemeinschaft. Ich bereue es nicht.
Sie straffte die Schultern und betrat die Schlucht, wobei sie die Ahnung der Anwesenheit ihrer Mutter bewusst sowohl körperlich als auch seelisch abschüttelte. Mit einem Mal war sie dankbar für den Schnee, der den Weg bedeckte, denn so brauchte sie all ihre Konzentration und ihre Kraft, um vorwärtszukommen. Sie wollte nicht an ihre Familie denken oder an die vertraute Schönheit ihres Heimatlandes, dem sie aus eigenem Entschluss für immer den Rücken gekehrt hatte.
Der Tag war noch jung. Lochlans Aussage zufolge war es ratsam, den gefährlichsten Teil des Weges vor Einbruch der Dunkelheit hinter sich zu bringen. Wenn alles gut ging, würde sie am kommenden Tag das Lager der Fomorianer und mit ihm Cuchulainn erreichen. Sie beschleunigte ihr Tempo, setzte die Hufe aber weiterhin vorsichtig auf, um nicht aus Versehen in einer schneebedeckten Spalte hängen zu bleiben. Brighid konzentrierte sich vollkommen auf den Weg. Sie dachte nicht an ihre Familie oder an das Leben, von dem sie sich abgewandt hatte, und ignorierte das Schuldgefühl und die Einsamkeit, die jede ihrer Entscheidungen überschattete. Sie hatte die richtige Wahl getroffen, dessen war sie sich sicher, doch nur weil sie weise entschieden hatte, bedeutete das nicht, dass sie den einfacheren Weg gewählt hatte.
Grimmig lächelnd kämpfte sie sich auf dem gefährlichen Untergrund um eine glatte, enge Biegung. Die Route, der sie während ihrer Reise folgen musste, erwies sich als ebenso schwierig wie der Lebensweg, auf dem sie seit Jahren unterwegs war.
Abgelenkt vom inneren Aufruhr und den Herausforderungen, die die Natur an sie stellte, registrierten die feinen Sinne der Jägerin die sie verfolgenden Blicke nur tief in ihrem Unterbewusstsein als ein Gefühl leichten Unbehagens. Eine Empfindung, die sie als Nachwirkung der Einmischung des Abgesandten ihrer Mutter abtat.
Ungehindert von der Dunkelheit glühten die Augen in der Farbe uralten Blutes und beobachteten sie abwartend.
MIRA Taschenbuch Band 65070 © 2005 by P.C. Cast
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Autoren-Porträt von P. C. Cast
P.C. Cast: Die erfolgreiche Autorin der "House of Night"-Serie hat nach ihrer Karriere in der US Air Force fünfzehn Jahre als Highschool-Lehrerin gearbeitet, bevor sie begonnen hat, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Die Bücher der New York Times-Bestsellerautorin sind vielfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Romantic Times Reviewer's Choice Award, dem Daphne du Maurier Award und dem Bookseller's Best. P.C. Cast lebt mit ihrer Tochter und Ko-Autorin in Oklahoma.
Bibliographische Angaben
- Autor: P. C. Cast
- 2013, 1. Aufl., 480 Seiten, Maße: 14,4 x 20,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ivonne Senn
- Verlag: MIRA Taschenbuch
- ISBN-10: 3862784959
- ISBN-13: 9783862784950
- Erscheinungsdatum: 13.12.2012
Rezension zu „Beseelt / Tales of Partholon Bd.5 “
"P.C. Cast ist ein funkelnder Stern am Autorenhimmel." New York Times-Bestsellerautorin Karen Marie Moning
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