Talschluss
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Olga Flor führt uns in ihrem zweiten Roman in eine perfekt arrangierte Scheinidylle. Sprachlich präzise und mit Sinn für das psychologische Detail verdichtet sie dieses pittoreske Szenario zu einem Kammerspiel um Macht, Sex und die Brüchigkeit familiärer Intimität.
Talschluß von OlgaFlor
LESEPROBE
Dicht und stickig legt sich dieLuft auf Nase und Mund; es ist viel zu warm in dem kleinen Zimmer, ich reißedas Fenster auf. Grete hat auf einer solchen Temperatur bestanden, schon wegender Kinder, hat sie gesagt. Von mir aus darf es ruhig kalt werden in der Nacht,wozu haben wir diese dicken Decken, in die ich zurücklaufen kann,hineinspringen; ich atme wieder frei. Ich sehe Arturs Blick vor mir, kurz vordem Umdrehen, kurz vor dem Abtauchen in der Nacht, warum Artur? Für einen mussich mich schließlich entscheiden, an einen werde ich ein bisschen denken, mirseinen Blick vor Augen halten, seinen Mund, seinen Körper, bevor die Bilderabdriften, die Bahn sich nicht mehr steuern lässt. Warum ein neuer Körper?Warum diese Sucht nach einem neuen Körper, als könnte der mir etwaszurückgeben, das ich einmal gehabt haben muss, vor dem Einsetzen derErinnerung, den fehlenden Teil, die Vollständigkeit; als könnte er das Lochstopfen, ich weiß es doch besser, und doch. Der Ring, der die Zunge durchbohrt,als hätte er ein Schweigegelübde abgelegt, als wollte er sich bei jedem Wort andas gebrochene Versprechen erinnern. Projiziere ich nicht das Bild an dieInnenseite meiner Augen lider, und zwar mit voller Absicht und mit Anstrengung?Habe ich nicht mit Vorbedacht ausgewählt? Habe ich nicht die Gelegenheitengemustert, wo sie sich geboten haben, den kleinen blassen Dunkelhaarigen oderden anderen, den mit den langen Haaren, mit den federnden Schritten, demfreundlichen erwartungsvollen Blick, aber nein, der war mir natürlich zuharmlos. Stoff will ich haben für meine Wach träume, Zunder für denZimmerbrand, es hat der Dritte sein müssen, der Zornige, Artur, dessenSelbstgefälligkeit auf einem schmalen Grat stolziert. Ist halt ein biss chentheatralischer. Macht mehr her, so war es doch. Dann graben mir meineMännerphantasien die Krallen ins Fleisch. Was bringt mich das weiter? Ich sehealso: das Sanfte unter den wilden Augenbrauen, den Seeräuberblick unter demkahlen Schädel, den Bartanflug rund um die aufgeworfenen Lippen, dasUnbeholfene, das mich rührt. Und später dann im Traum schon Thomas unter demBaum, Thomas, wie er sich umdreht, den tropfenden Schwanz in der Hand, da, sagter, hast du nicht mal wieder Lust, und ich: nein, nein, entschieden nicht, warnicht so gemeint, sagt er später, packt das Werkzeug weg, das tapfere Werkzeug,sieben auf einen Streich, sagt er, nur ein Scherz. Und wieder Grete: Öffnedich. Dann: ein Planet, der in die Erde stürzt, ich auf der Flucht an Bord einesSchiffes an der Seite eines unbekannten Freundes, ich sorge für meine Kinder,es sind zwei oder drei, ich bringe die Kinder in Sicherheit, später erfahreich, dass die Aufprallstelle im Pazifischen Ozean war, mein Freund hat es aufCNN gesehen; wo bleibt die Flutwelle, frage ich, der Kapitän lässt keineJapaner an Bord, warum keine Japaner, müsste ich mich nicht unter normalenUmständen dagegen aussprechen, aber das hier sind keine normalen Umstände, hierwird nicht diskutiert, hier wird nicht gefragt, wer auffällig wird, begibt sichselbst in unabsehbare Gefahr. Das Ärgste ist ausgestanden, es ist ein kleinerPlanet, die Erde wird ihn schlucken, sage ich, die Bildschirmlaufschriftverkündet, dass jemand, dessen Namen ich vermutlich kennen müsste, in Zukunftnur mehr als Puppenspieler tätig sein wolle, ich bleibe dabei: die Erde wird’sschon schlucken, der Fernsehsprecher ist ganz derselben Meinung, dieLaufschrift zieht nach: »Earth will swallow«, und mit der Zeit begreife ich,dass ich dem Fernsehsprecher seine Rede einflüstern kann, und das, das weiß ichmit Sicherheit, ist meine Rettung. Die Erdkruste ist ein schwimmendes Gebilde.Die Haut der Erde schließt sich ohne Narbe. Ich wache auf und vergrabe meineHände unter dem Polster, aus dem Schuppen der Jungen Musik. Ich gehe aufs Klo,wieder ins Bett, der Schlaf will nicht kommen; ich denke an die Hütte, und wielange ich nach einem geeigneten Ort gesucht habe, etwas Authentisches, hatGrete gesagt, authentisch wofür, habe ich gefragt, aber das hat sie nichtverstanden, ein Ort, hat sie gesagt, der mit sich im Reinen ist, verstehst du. Ichhabe sie mir angesehen, bei diesem ersten Gespräch, das mache ich immer so. Siehat mich richtiggehend um einen Termin gebeten, in einem Café, hat keinenZweifel daran gelassen, dass es um etwas Geschäftliches geht. Ihr Haar einheller Fleck, ein Lichtbogen vor der dunklen Tä felung; das macht sie nicht mitAbsicht, das passiert ihr, dass die Umgebung den idealen Hintergrund für siedarstellt. In der Tiefe ein Einbruch, eine Raumnische, der Weg zum Telefon, zumKlo.
© 2005 by Zsolnay Verlag, Wien
- Autor: Olga Flor
- 2005, 171 Seiten, Maße: 13,4 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Paul Zsolnay Verlag
- ISBN-10: 3552053328
- ISBN-13: 9783552053328
- Erscheinungsdatum: 31.01.2005
Paul Jandl, NZZ, 21.4.05
""Es ist nicht wahr, dass wir in einer Zeit ohne Dramen leben", meinte Ingeborg Bachmann einmal - die Dramen fänden "im Innern" statt. Talschluss" ist eine faszinierende Fahrt in dieses Innen.... "
Daniela Strigl, Süddeutsche Zeitung, 18.04.06
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Talschluss".
Kommentar verfassen