Tharkarún - Krieger der Nacht
Schatten liegen über dem uralten Reich der acht Völker, in dem Elben und Menschen, Dämonen, Goblins, Faune, Gnome, Feen und Zwerge seit Jahrtausenden miteinander leben. Überall im Reich tauchen plötzlich unheilvolle Feinde auf:...
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Produktinformationen zu „Tharkarún - Krieger der Nacht “
Schatten liegen über dem uralten Reich der acht Völker, in dem Elben und Menschen, Dämonen, Goblins, Faune, Gnome, Feen und Zwerge seit Jahrtausenden miteinander leben. Überall im Reich tauchen plötzlich unheilvolle Feinde auf: die Gremlin, die schattenhaften, wandelbaren Krieger der Nacht. Im Auftrag ihres dunklen Herrn Tharkarún bringen sie Tod und Verderben über das Land, und nur eine geheimnisvolle Prophezeiung weiß, wie ihnen Einhalt zu gebieten wäre: Acht Gefährten müssen ihre Schicksale untrennbar miteinander verbinden. Doch nicht die größten Helden der Völker dürfen sich zusammentun - es müssen ihre gefürchtetsten Schurken sein. Die acht Auserwählten - allen voran der kluge junge Morosilvo Dan Na'Hay - sind stark und rebellisch. Aber der Auftrag, der vor ihnen liegt, ist gefährlicher als sie alle zusammen: Er führt ins tödliche Zentrum der schwarzen Magie.
Chiara Strazzulla schafft eine originelle, mitreißende neue Welt voller Elben, Dämonen, Zwerge, Goblins, Gnome, Faune, Feen - und Menschen!
Klappentext zu „Tharkarún - Krieger der Nacht “
Acht Schurken im Kampf gegen das Böse!Schatten liegen über dem uralten Reich der acht Völker, in dem Elben und Menschen, Dämonen, Goblins, Faune, Gnome, Feen und Zwerge seit Jahrtausenden miteinander leben. Überall im Reich tauchen plötzlich unheilvolle Feinde auf: die Gremlin, die schattenhaften, wandelbaren Krieger der Nacht. Im Auftrag ihres dunklen Herrn Tharkarún bringen sie Tod und Verderben über das Land, und nur eine geheimnisvolle Prophezeiung weiß, wie ihnen Einhalt zu gebieten wäre: Acht Gefährten müssen ihre Schicksale untrennbar miteinander verbinden. Doch nicht die größten Helden der Völker dürfen sich zusammentun - es müssen ihre gefürchtetsten Schurken sein. Die acht Auserwählten - allen voran der kluge junge Morosilvo Dan Na' Hay - sind stark und rebellisch - Aber der Auftrag, der vor ihnen liegt, ist gefährlicher als sie alle zusammen: Er führt ins tödliche Zentrum der schwarzen Magie.
Lese-Probe zu „Tharkarún - Krieger der Nacht “
Tharkarun - Krieger der Nacht von Chiara StrazzullaPROLOG
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AM ANFANG war das Große Flammenmeer, das sich unend-
lich in jede Richtung ausdehnte, und inmitten dieses
Meeres lag die selige Insel Adhon-dil mit ihren weißen Stränden, den goldenen Türmen und den hohen Bergen. Dort, auf den tief in den Wolken verborgenen Gipfeln, war der Sitz der zwölf Götter.
Anman, der Gott der Gerechtigkeit, der Allmächtige, Verfasser aller Gesetze des Universums, führt das Zepter des Herrn der zwölf.
Valdo, der Gott des Wassers und der Meere, hält die Gewässer der Erde in Bewegung und lässt es vom Himmel regnen.
Sirdar, der Gott des Todes und des Schicksals, kennt alle Fäden, die das große Gewebe des Schicksals zusammenhalten, dem selbst er nicht entfliehen kann.
Kentar, der Gott der Kraft und des Krieges, ist stolz und wild. Mit den Funken des Flammenmeeres bringt er seinen Schmiedehammer zum Glühen.
Darylon, der Gott des Wortes und der Künste, trägt in seiner Stimme alle Gesänge und Geschichten und kennt alle lebenden und toten Sprachen.
Talon ist der Gott der Finsternis und aller Dinge, die sich im Dunkeln verbergen, der Gott der Träume und der düsteren Visionen, der nicht bösartig ist, sondern nur melancholisch und rätselhaft. Er ist ein Gott, der niemals lächelt.
Lilya, die Göttin der Zeit, die das Verrinnen der Stunden zählt und alle Geschichten schon aufgeschrieben hat, bevor sie geschehen, kennt den Zeitpunkt, an dem jemand sterben wird, der noch gar nicht geboren ist.
Darni ist die Göttin des Feuers und der Liebe, denn die Liebe ist eine glühende, wunderschöne, aber gefährliche Flamme.
Sadhira, die Göttin des Friedens, versiegelt die Augen des Müden mit Schlaf und bringt das Schweigen dorthin, wo es keine Stille gibt.
Sirna, die Mutter der Erde, deren Leib das Leben hervorbringt, ist Herrin über alle Dinge, die entstehen und wachsen und von ihrem Atem bewegt werden.
Doreah, die Göttin des Lachens, der Feste und des Tanzes, legt den Menschen die Freude in den Mund und hält dunkle Gedanken von ihnen fern.
Nadaret, die Göttin der Trauer, vergießt blutige Tränen über alles Übel der Welt, folgt weinend allen Toten des Krieges und büßt mit ihrem Leid für die Schuld aller Sterblichen.
Anfangs lebten die Götter auf der seligen Insel inmitten des Flammenmeeres ihr unsterbliches Leben. Dort hatten sie ihre Throne und ihre Wohnstätten, ein Jahrhundert bedeutete für sie weniger als ein Augenblick, und ein Zeitalter dauerte auf Adhondil nicht länger als ein ganzer Tag. Doch dann begaben sich Lilya und Sirdar zu Anman, der auf seinem hohen weißen Thron saß, auf seiner Stirn eine aus Wasser und Feuer gewebte Krone, das Zepter der Macht in der Faust.
Und Sirdar verkündete: »Wir werden die Welt aus dem Nichts erschaffen und sie wird inmitten des Flammenmeeres entstehen, denn so steht es im Gewebe des Schicksals geschrieben, und dem Schicksal können nicht einmal die Götter zuwiderhandeln.«
Anman mit der glühenden Krone warf ihm einen weit vorausschauenden Blick zu, betrachtete ihn ernst und stumm und sagte dann: »So sei es.«
Da wandte Lilya ein: »O Herr, wenn wir die Welt erschaffen, werden Völker kommen und sie bewohnen, und mit ihnen wird das Böse kommen, das sich in ihren dunklen Seiten verbergen und sie verderben wird. Es wird Kriege geben und Tote, Hass und Leid, und vieles Gute wird zerstört werden, während das Böse sich erhebt, und dies wird unausweichlich geschehen.«
»Aber es muss geschehen, weil es geschrieben steht«, sagte Sirdar. »Und das, was geschrieben steht, kann nicht verändert werden.«
Und Anman, der Weise, der die Wege des Himmels kennt, beugte sein leuchtendes Haupt und sagte: »So sei es.«
Also rief er die zwölf Götter zusammen und sie schufen die Welt aus dem Nichts und stellten sie wie eine große, nackte Scheibe in das Feuermeer, wo sie schutzlos der Wut der Flammen ausgeliefert war. Es erging der Beschluss, dass jeder der zwölf Götter der soeben erschaffenen Welt ein Geschenk machen sollte und dass sie die beste Welt sein sollte, die man erschaffen könne.
Kentar schmiedete für die Welt eine große Kugelhaube, um sie vor den Flammen zu schützen, eine diamantene Sphäre, die sich stets um ihre eigene Achse drehte, mit der unbeweglichen Scheibe als Zentrum. Und auf der Welt wurde es dunkel, weil diese Glocke dem Licht den Weg verwehrte.
Valdo schenkte der Welt das Wasser, das vom Himmel kam, und alle Wasser der Erde, die gewaltigen Flüsse und die Meere mit ihren unergründlichen Tiefen und die Wolken, die regenschwer unter der großen Haube vorüberzogen. Und zum ersten Mal regnete es auf der Welt, und als der Boden das Wasser trank, erschauerte er vor Freude.
Sirna schenkte der Welt die Pflanzen mit ihren tiefen Wurzeln, die Tiere, die Fische des Meeres und die Geschöpfe der Luft und andere, die noch im Schoß der Erde ruhten. Und die Welt bevölkerte sich, und es wimmelte vor lebendigen Kreaturen, die von Sirnas Atem durchdrungen waren.
Lilya schenkte der Welt die Zeit. Die Sekunden vergingen und damit hatte das Leben ein Maß und alles veränderte sich. Die Erde kannte jetzt Stunden, Tage, Monate und Jahre und von da an begann die Große Zeitrechnung.
Sirdar schenkte der Welt den Tod, die ewige Ruhe nach der Mühsal des Lebens, die alle Wesen vom Fluch der Unsterblichkeit befreit, mit dem die Götter gefesselt sind. Er erklärte sich zum Herrn des Todes; und die Welt erfuhr von dem Unbekannten nach dem Ende und fürchtete sich nicht mehr davor.
Darylon schenkte der Welt die Klänge, das Rauschen der Blätter und das Poltern der fallenden Steine, das Klatschen der Wellen, die Laute der Tiere und Worte von noch unbekannten Sprachen. Und die ganze Welt hallte wider von Stimmen und Tönen.
Darni schenkte der Welt das Feuer, das Licht und Wärme gab und die Augen in staunender Bewunderung und Schönheit leuchten ließ. Es erhellte die Dunkelheit und weckte die Liebe in den Herzen. Das Feuer pulsierte in den Eingeweiden der Welt, sprudelte heftig in den Vulkanen, verletzte manche, aber rettete andere.
Sadhira schenkte der Welt den Schlaf, die Zeit des Vergessens, die dem Geist Erleichterung verschafft wie auch den Tieren, den Pflanzen und der Erde selbst. Der kleine Bruder des Todes und gütiger als er. Und die Welt lernte die nächtliche Ruhe in der ewigen Dunkelheit kennen, die sie noch einhüllte.
Nadaret schenkte der Welt den Wind, auf dass er Bote von Nachrichten sei und Kunde von fernen Orten brächte und damit er mit seinem unterdrückten Klagelied die Traurigkeit in den Herzen wiegte und mit seinem Hauch Veränderung ankündigte. Und so lernte die Welt den Wechsel der Jahreszeiten kennen, den der Wind brachte, den eisigen Winter und den goldenen Sommer.
Doreah schenkte der Welt die Sterne, auf dass sie wie ein kleines kalt leuchtendes Lichtermeer an dem diamantenen Himmelsgewölbe die Dunkelheit und die Seelen der Menschen erhellten. Die Sterne strahlten damals noch heller und auf der Welt wurde Licht - das bleiche Licht der Träume.
Talon schenkte der Welt die dunklen Schatten und die flüchtigen Traumbilder der Nacht, die Angst vor dem Unbekannten. Denn um zu überleben, braucht man auch die Angst. Die kleinen schwachen Geschöpfe zitterten in der Dunkelheit, und die Welt lernte die Erleichterung kennen, einer Gefahr entronnen zu sein.
Anman gab der Welt das Gesetz, in dem er alles regelte, was auf ihr geschah. Und die zwölf besahen sich die Welt, die im Licht der Sterne leuchtete, und sie sahen, dass sie gut war, so vollkommen und glücklich, wie sie es geplant hatten.
Sirdar sagte: »Genießt diesen Blick auf eine vollkommene und glückliche Welt, wie wir sie erdacht haben, denn dies kann nicht von Dauer sein. Es steht schon geschrieben, dass das erste Unglück der Welt aus unserem Schoß geboren wird.«
Darauf fragte Doreah: »Wie kann es sein, dass dieses Unglück von uns ausgeht, die wir diese Welt geschaffen haben und sie lieben?«
»Es steht im Gewebe des Schicksals geschrieben«, antwortete Sirdar, dessen Blick jede Dunkelheit durchdrang, »dass zwei der Unseren sich vereinigen werden. Sie werden zwei Kinder haben, von denen jedes so mächtig sein wird wie wir. Eines von ihnen wird alles Gute in sich tragen, das andere alles Böse, und die beiden werden gegeneinander kämpfen, bis beide geschlagen sein werden und es keinen Sieger geben wird. Die Völker werden Geschöpfe ihres Kampfes sein, sie werden dadurch Hass, Groll und Rachedurst kennenlernen. Und so wird das Böse in die Welt kommen und sie verderben.«
Nadaret wandte sich Anman zu, in seinen Augen lag Bestürzung. »Anman«, fragte er ihn, »gibt es denn keinen Ausweg?«
Anman betrachtete die anderen elf und die Welt und dabei war sein Gesicht ernst und traurig. »Nein«, sagte er schließlich. »Es gibt keinen Ausweg.«
»Aber wenn wir das wussten«, fragte Nadaret, »warum haben wir dann die Welt erschaffen? Etwa um sie leiden zu lassen?« »Wir haben sie erschaffen«, antwortete Anman, »weil es sie geben musste. Wenn es das Böse nicht gibt, hat auch das zukünftige Gute keinen Sinn. Der Tag, an dem alles Unvollkommene ausgelöscht sein wird, steht seit Ewigkeiten fest, doch damit er kommen kann, muss diese Welt existieren, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Die Macht, die man uns übertragen hat, darf uns nicht blenden. Wer nichts tut aus Angst, er könne Schaden anrichten, verursacht damit noch schlimmeren Schaden. Die Welt hatte eine Daseinsberechtigung. Wie konnten wir ihr diese verwehren?«
Niemand antwortete, bis Anman sagte: »Die Welt soll leben.«
Und die Welt lebte unter den Augen der zwölf und so begann das erste Zeitalter der Großen Zeitrechnung. Man nannte es »die Zeit unter den Sternen«.
Es war eine glückliche Zeit. Noch gab es das Böse nicht auf der Welt, die friedlich unter dem Licht der Sterne lebte. Alles war unberührt und makellos. Die Götter besuchten die Welt, die sie aus dem Nichts geschaffen hatten und die sie liebten. Sie durchstreiften Wälder, von denen es heute keine Spuren mehr gibt, zogen über Berge, die heute auf dem Meeresgrund begraben liegen. Die Völker existierten damals noch nicht. Trotzdem liebten die Götter diese Welt und verständigten sich mit ihr. Darylon lehrte die Tiere, die Pflanzen und die Erde selbst, sich mitzuteilen. Lilya zeigte ihnen, wie sie sich erinnern konnten. Sirdar begleitete sie über den Tod hinaus, damit sie ihn nicht fürchteten. Anman achtete darauf, dass niemand die Gesetze brach. Und viele Jahrhunderte lang, die nur die Große Zeitrechnung aufzählen kann, kannte die Welt ausschließlich Frieden, Freiheit und Harmonie, und es schien, als sollte dies auf ewig andauern. Es währte so lange, dass die Götter Hoffnung schöpften, Sirdars Prophezeiung am ersten Tag der Großen Zeitrechnung würde sich nicht erfüllen.
Die Fäden des Schicksals jedoch verwoben sich auf eine Weise, die den Göttern entging, und eines Tages kam Kentar erschöpft von einem langen Ritt in der Dunkelheit der Wälder an eine Quelle. Er legte seine Kleider ab, weil er das Wasser auf seiner Haut spüren wollte. Als er sich der Quelle zuwandte, spiegelte sich Darni in dem Wasser, und sie war nackt und wunderschön. Ihre Haut war bronzefarben und die roten langen Haare fielen ihr über die Schultern. Sie drehte sich zu Kentar um und sah ihn und das Feuer in ihren Augen entzündete die Flamme in seinem Herzen. Darni sah, dass Kentar schön war, groß und stark, und dass sein ungezähmtes Gesicht, umrahmt von einem blonden Lockenschopf, leuchtete. Und die beiden Götter, die in ihrem glücklichen Leben noch nie etwas ersehnt hatten, begehrten einander und entbrannten in Leidenschaft. Dort im Wasser der Quelle vergaßen sie die Prophezeiung. Kentar und Darni vereinigten sich, verborgen vor den Augen der Welt und der anderen zehn Götter, und er legte seinen Samen in ihren Leib. Dies war der Anfang vom Ende.
Als die Leidenschaft aus ihren Köpfen wich, sie sich nackt in der Quelle wiederfanden und sich ihrer Tat bewusst wurden, erkannten sie, dass sich die Prophezeiung durch sie schließlich doch erfüllt hatte. Sie waren verzweifelt. Kentar durcheilte die Welt wie ein Wahnsinniger, und indem er vergebens versuchte, seinem Herzen den Frieden zurückzugeben, zerstörte er alles auf seinem Weg. Alle Geschöpfe flohen vor seiner Wut und selbst die Erde weinte. Darni bedeckte ihr Gesicht mit einem Trauerschleier und verbarg ihren Körper unter schwarzen Tüchern. Sie kehrte eilends nach Adhon-dil zurück, zerkratzte sich unter Tränen die Brust, schrie und klagte. Wie von Sinnen stürzte sie in den goldenen Turm, warf sich vor Anmans Thron in den Staub und bekannte unter Qualen ihre Schuld. Sie bat Anman darum, bestraft zu werden, weil sie das Gesetz verletzt habe, das besagte, dass zwei Unsterbliche sich nie vereinen durften. Sie verlangte, dass man sie von der Insel und aus der Welt verbanne, denn sie sei unwürdig, weiter unter den Göttern zu verweilen oder eine Welt zu bewohnen, die sie selbst dem Abgrund zuführe. Sie verlangte, man solle sie in das Flammenmeer verbannen und ihr die strengste Strafe auferlegen. Anman hörte ihr ernst zu und schwieg. Da öff-
nete sich die Tür des Raumes und Kentar erschien, völlig verstört, ein furchtbarer Anblick, und erklärte, nur er allein trage die Schuld, und was auch immer die Strafe für dieses entsetzliche Vergehen sei, so müsse sie ganz auf ihn fallen.
Anman richtete seinen weit vorausschauenden Blick auf die beiden, hob das Zepter der Macht und erklärte: »Der Rat der Zwölf wird einberufen werden und wir werden ihm enthüllen, was geschehen ist. Ob euch Strafe gebührt, darüber behalte ich mir jedoch die Entscheidung vor. Und mein Entschluss steht schon fest.«
Also wurde der Rat der zwölf zusammengerufen. Sie nahmen auf ihren goldenen Stühlen Platz, Anman in ihrer Mitte. Rechts von ihm saß Valdo, mit seiner bronzenen Lanze und der türkisfarbenen Mähne, die ihm über die nackte Brust fiel. Links von ihm saß Sirdar, ernst und mit bedecktem Haupt, seine Augen schimmerten silbern und er schwieg beharrlich. Die Sitze von Kentar und Darni blieben leer, denn sie standen ja beide gesenkten Hauptes vor dem Rat. Darni war noch immer in schwarze Gewänder gehüllt und ein weiter dunkler Umhang verbarg ihren Körper. Kentar legte seinen Schmiedehammer zu Anmans Füßen ab. Beide gestanden ihre Schuld und baten wieder, man solle sie bestrafen und von der Insel und aus der Welt verbannen.
Da sagte Valdo: »Schwer ist die Schuld, denn ein altes Gesetz ist gebrochen worden. Was sollen die Götter jetzt tun? Die verletzte Welt schreit nach Gerechtigkeit, die Schuldigen verlangen selbst nach ihr. Sollten wir so anmaßend sein, uns selbst nicht zu strafen?«
Anman antwortete nicht. Sein Blick verlor sich in der Unendlichkeit, denn sein Geist sieht und begreift viele Dinge aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die sogar den andern elf verborgen bleiben.
Da sagte Sirdar: »Kentar und Darni wurden nicht von ihrem eigenen Willen gelenkt, sondern von dem des Schicksals. Seit langer Zeit stand geschrieben, dass dies geschehen wird. Sie waren nur Werkzeuge des Schicksals, und das hätte jedem von uns geschehen können. Und was für Götter wären wir, wenn wir nicht vergeben könnten, wenn ein Sünder um Verzeihung bittet für eine Schuld, die er nicht zu verantworten hat?«
Anman schwieg weiter. Dann stand er auf und erhob das Zepter. Er wirkte so groß und erhaben, dass alle ihr Haupt vor ihm beugten. »Das Schicksal hat es so gewollt«, sagte er mit laut tönender Stimme. »Wir waren darauf vorbereitet. Wenn es also eine Schuld gegeben hat, ist sie uns durch die Prophezeiung vergeben. Wir wussten, dass es geschehen musste, und nun ist es geschehen. Wir sollten jetzt nicht an die Vergangenheit denken, sondern an die Zukunft. Vielleicht haben wir bis jetzt die Welt gebraucht, um uns an ihr zu erfreuen, doch nun wird sie uns brauchen, damit sie gerettet werden kann. Darni!«, rief er. Sie eilte zu ihm. »Zeig ihnen die Zukunft! Ich befehle es dir!«
Darni ging in die Mitte des Raumes, richtete sich auf und warf den schwarzen Umhang ab, der sie bedeckte. Und da sahen alle, dass sie schwanger war.
»Das ist die Zukunft«, sagte Anman, »und wir dürfen jetzt nicht mehr an den Umstand selbst denken, sondern müssen seine Folgen ins Auge fassen. Sollen wir eine schwangere Frau verjagen? Warum? Jetzt haben wir nicht mehr das Recht, die Frucht, die in ihrem Leib heranwächst, zu töten, selbst wenn sie Böses hervorbringt. Es war uns erlaubt, ihre Entstehung zu verhindern, und wir sind gescheitert. Ich sagte euch am Tag, als wir sie schufen, dass die Welt das Recht habe zu existieren, was auch immer ihre Existenz mit sich bringe. Heute sage ich euch: Was auch immer im Bauch unserer Schwester heranwächst, hat das gleiche Recht zu leben, ganz egal, ob es gut oder böse sein mag.«
»Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte Doreah.
»Wir werden der Welt helfen«, erklärte Anman, »soweit es in unserer Macht steht. Vergesst nicht, dass das Böse nicht nur Böses mit sich bringt, sondern auch die Geburt der Völker, und unsere Aufgabe wird es sein, sie zu beschützen. Und wir werden alles für sie tun, was uns erlaubt ist.«
Da sprang Kentar auf, griff nach seinem Hammer, richtete seine wilden blauen Augen auf die goldenen undurchdringlichen des Allmächtigen und sagte: »Du hast vergeben, und das werden wir dir nicht vergessen. Wir werden uns dieser Vergebung würdig erweisen. Doch wir sind unrein geworden und durch einen unauslöschlichen Makel entehrt. Ich werde Darni zur Frau nehmen, wir werden Adhon-dil verlassen, um als Verbannte durch die Welt zu ziehen. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um anderen zu helfen, und nicht eher zurückkehren, bis unser Makel abgewaschen sein wird, selbst wenn die Ewigkeit dafür nicht ausreichen sollte.«
Er nahm Darni bei der Hand, und niemand hielt sie auf, da Anman den anderen bedeutet hatte, sie sollten es nicht einmal versuchen. Die beiden verließen Adhon-dil, zogen als Verbannte durch die Welt, wurden Mann und Frau und schworen, nie zurückzukehren. Und auf Adhon-dil bereiteten sich die Götter auf das vor, das da kommen musste, während die Welt weiter ahnungslos und friedlich dahinlebte.
Die Tage der Großen Zeitrechnung vergingen, die Götter warteten und ganz plötzlich ahnte auch die Welt, dass etwas geschehen würde. Im Dunkel der Wälder, im gleichen Dunkel, wo sie sie empfangen hatte, gebar Darni zwei Söhne. Sie kamen schon als Männer zur Welt, in glänzender Rüstung wie Krieger, Kinder der Flamme ihrer Mutter und der Kraft des Vaters, genauso mächtig wie die zwölf Götter. Darnis Schreie stiegen hinauf bis in den Himmel und erreichten auch die Insel, und die Götter erschauerten, weil sie wussten, dass der Moment gekommen war: Die beiden Idole waren geboren.
Sie waren Zwillinge, jeder so mächtig wie der andere: Einer hatte weißes Haar und goldene Augen. Er kannte nichts als Liebe, Mitgefühl und alle guten Gefühle. Er liebte die Welt und alles, was sie bevölkerte, und er hätte nie etwas anderes als ihre Rettung, ihr Glück und ihr Wohlergehen gewünscht. Der andere hatte Haare so schwarz wie die Flügel eines Raben. Er hatte silberne Augen und sein Herz war ebenfalls schwarz. Er kannte nichts als Wut, Hass und Wahnsinn, betrachtete alles Leben mit einer grenzenlosen Verachtung und wünschte sich nichts mehr, als es gänzlich zu vernichten. Die beiden Brüder, das Weiße Idol und das Schwarze Idol, kämpften miteinander in der Welt, der eine, um sie zu retten, der andere, um sie zu zerstören. Ein ganzes Zeitalter lang rangen sie miteinander. Es war das zweite Zeitalter der Großen Zeitrechnung und wurde »das Zeitalter des Chaos« genannt.
Die Götter konnten nur ohnmächtig zusehen. Die beiden Idole waren einander an Kraft ebenbürtig, und so konnte keiner der beiden jemals hoffen, den anderen zu besiegen. Die Blitze, die sie aussandten, trafen die Welt und veränderten sie. Berge wurden eingeebnet und neue erhoben sich, Wälder wurden zu Stein, neue Meere wurden aufgerissen und alte trockneten aus.
Ein Blitz des Schwarzen Idols traf die Himmelskuppel und brannte ein Loch hinein, sodass das Flammenmeer draußen aufloderte und man den Schein durch die entstandene Öffnung sehen konnte. Plötzlich wurde die Welt in ein so blendendes Licht getaucht, dass es die Sterne verblassen und verschwinden ließ. So wurde die Sonne geboren.
Übersetzung: Katharina Schmidt, Barbara Neeb und Ingrid Ickler
© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Verlag, München
AM ANFANG war das Große Flammenmeer, das sich unend-
lich in jede Richtung ausdehnte, und inmitten dieses
Meeres lag die selige Insel Adhon-dil mit ihren weißen Stränden, den goldenen Türmen und den hohen Bergen. Dort, auf den tief in den Wolken verborgenen Gipfeln, war der Sitz der zwölf Götter.
Anman, der Gott der Gerechtigkeit, der Allmächtige, Verfasser aller Gesetze des Universums, führt das Zepter des Herrn der zwölf.
Valdo, der Gott des Wassers und der Meere, hält die Gewässer der Erde in Bewegung und lässt es vom Himmel regnen.
Sirdar, der Gott des Todes und des Schicksals, kennt alle Fäden, die das große Gewebe des Schicksals zusammenhalten, dem selbst er nicht entfliehen kann.
Kentar, der Gott der Kraft und des Krieges, ist stolz und wild. Mit den Funken des Flammenmeeres bringt er seinen Schmiedehammer zum Glühen.
Darylon, der Gott des Wortes und der Künste, trägt in seiner Stimme alle Gesänge und Geschichten und kennt alle lebenden und toten Sprachen.
Talon ist der Gott der Finsternis und aller Dinge, die sich im Dunkeln verbergen, der Gott der Träume und der düsteren Visionen, der nicht bösartig ist, sondern nur melancholisch und rätselhaft. Er ist ein Gott, der niemals lächelt.
Lilya, die Göttin der Zeit, die das Verrinnen der Stunden zählt und alle Geschichten schon aufgeschrieben hat, bevor sie geschehen, kennt den Zeitpunkt, an dem jemand sterben wird, der noch gar nicht geboren ist.
Darni ist die Göttin des Feuers und der Liebe, denn die Liebe ist eine glühende, wunderschöne, aber gefährliche Flamme.
Sadhira, die Göttin des Friedens, versiegelt die Augen des Müden mit Schlaf und bringt das Schweigen dorthin, wo es keine Stille gibt.
Sirna, die Mutter der Erde, deren Leib das Leben hervorbringt, ist Herrin über alle Dinge, die entstehen und wachsen und von ihrem Atem bewegt werden.
Doreah, die Göttin des Lachens, der Feste und des Tanzes, legt den Menschen die Freude in den Mund und hält dunkle Gedanken von ihnen fern.
Nadaret, die Göttin der Trauer, vergießt blutige Tränen über alles Übel der Welt, folgt weinend allen Toten des Krieges und büßt mit ihrem Leid für die Schuld aller Sterblichen.
Anfangs lebten die Götter auf der seligen Insel inmitten des Flammenmeeres ihr unsterbliches Leben. Dort hatten sie ihre Throne und ihre Wohnstätten, ein Jahrhundert bedeutete für sie weniger als ein Augenblick, und ein Zeitalter dauerte auf Adhondil nicht länger als ein ganzer Tag. Doch dann begaben sich Lilya und Sirdar zu Anman, der auf seinem hohen weißen Thron saß, auf seiner Stirn eine aus Wasser und Feuer gewebte Krone, das Zepter der Macht in der Faust.
Und Sirdar verkündete: »Wir werden die Welt aus dem Nichts erschaffen und sie wird inmitten des Flammenmeeres entstehen, denn so steht es im Gewebe des Schicksals geschrieben, und dem Schicksal können nicht einmal die Götter zuwiderhandeln.«
Anman mit der glühenden Krone warf ihm einen weit vorausschauenden Blick zu, betrachtete ihn ernst und stumm und sagte dann: »So sei es.«
Da wandte Lilya ein: »O Herr, wenn wir die Welt erschaffen, werden Völker kommen und sie bewohnen, und mit ihnen wird das Böse kommen, das sich in ihren dunklen Seiten verbergen und sie verderben wird. Es wird Kriege geben und Tote, Hass und Leid, und vieles Gute wird zerstört werden, während das Böse sich erhebt, und dies wird unausweichlich geschehen.«
»Aber es muss geschehen, weil es geschrieben steht«, sagte Sirdar. »Und das, was geschrieben steht, kann nicht verändert werden.«
Und Anman, der Weise, der die Wege des Himmels kennt, beugte sein leuchtendes Haupt und sagte: »So sei es.«
Also rief er die zwölf Götter zusammen und sie schufen die Welt aus dem Nichts und stellten sie wie eine große, nackte Scheibe in das Feuermeer, wo sie schutzlos der Wut der Flammen ausgeliefert war. Es erging der Beschluss, dass jeder der zwölf Götter der soeben erschaffenen Welt ein Geschenk machen sollte und dass sie die beste Welt sein sollte, die man erschaffen könne.
Kentar schmiedete für die Welt eine große Kugelhaube, um sie vor den Flammen zu schützen, eine diamantene Sphäre, die sich stets um ihre eigene Achse drehte, mit der unbeweglichen Scheibe als Zentrum. Und auf der Welt wurde es dunkel, weil diese Glocke dem Licht den Weg verwehrte.
Valdo schenkte der Welt das Wasser, das vom Himmel kam, und alle Wasser der Erde, die gewaltigen Flüsse und die Meere mit ihren unergründlichen Tiefen und die Wolken, die regenschwer unter der großen Haube vorüberzogen. Und zum ersten Mal regnete es auf der Welt, und als der Boden das Wasser trank, erschauerte er vor Freude.
Sirna schenkte der Welt die Pflanzen mit ihren tiefen Wurzeln, die Tiere, die Fische des Meeres und die Geschöpfe der Luft und andere, die noch im Schoß der Erde ruhten. Und die Welt bevölkerte sich, und es wimmelte vor lebendigen Kreaturen, die von Sirnas Atem durchdrungen waren.
Lilya schenkte der Welt die Zeit. Die Sekunden vergingen und damit hatte das Leben ein Maß und alles veränderte sich. Die Erde kannte jetzt Stunden, Tage, Monate und Jahre und von da an begann die Große Zeitrechnung.
Sirdar schenkte der Welt den Tod, die ewige Ruhe nach der Mühsal des Lebens, die alle Wesen vom Fluch der Unsterblichkeit befreit, mit dem die Götter gefesselt sind. Er erklärte sich zum Herrn des Todes; und die Welt erfuhr von dem Unbekannten nach dem Ende und fürchtete sich nicht mehr davor.
Darylon schenkte der Welt die Klänge, das Rauschen der Blätter und das Poltern der fallenden Steine, das Klatschen der Wellen, die Laute der Tiere und Worte von noch unbekannten Sprachen. Und die ganze Welt hallte wider von Stimmen und Tönen.
Darni schenkte der Welt das Feuer, das Licht und Wärme gab und die Augen in staunender Bewunderung und Schönheit leuchten ließ. Es erhellte die Dunkelheit und weckte die Liebe in den Herzen. Das Feuer pulsierte in den Eingeweiden der Welt, sprudelte heftig in den Vulkanen, verletzte manche, aber rettete andere.
Sadhira schenkte der Welt den Schlaf, die Zeit des Vergessens, die dem Geist Erleichterung verschafft wie auch den Tieren, den Pflanzen und der Erde selbst. Der kleine Bruder des Todes und gütiger als er. Und die Welt lernte die nächtliche Ruhe in der ewigen Dunkelheit kennen, die sie noch einhüllte.
Nadaret schenkte der Welt den Wind, auf dass er Bote von Nachrichten sei und Kunde von fernen Orten brächte und damit er mit seinem unterdrückten Klagelied die Traurigkeit in den Herzen wiegte und mit seinem Hauch Veränderung ankündigte. Und so lernte die Welt den Wechsel der Jahreszeiten kennen, den der Wind brachte, den eisigen Winter und den goldenen Sommer.
Doreah schenkte der Welt die Sterne, auf dass sie wie ein kleines kalt leuchtendes Lichtermeer an dem diamantenen Himmelsgewölbe die Dunkelheit und die Seelen der Menschen erhellten. Die Sterne strahlten damals noch heller und auf der Welt wurde Licht - das bleiche Licht der Träume.
Talon schenkte der Welt die dunklen Schatten und die flüchtigen Traumbilder der Nacht, die Angst vor dem Unbekannten. Denn um zu überleben, braucht man auch die Angst. Die kleinen schwachen Geschöpfe zitterten in der Dunkelheit, und die Welt lernte die Erleichterung kennen, einer Gefahr entronnen zu sein.
Anman gab der Welt das Gesetz, in dem er alles regelte, was auf ihr geschah. Und die zwölf besahen sich die Welt, die im Licht der Sterne leuchtete, und sie sahen, dass sie gut war, so vollkommen und glücklich, wie sie es geplant hatten.
Sirdar sagte: »Genießt diesen Blick auf eine vollkommene und glückliche Welt, wie wir sie erdacht haben, denn dies kann nicht von Dauer sein. Es steht schon geschrieben, dass das erste Unglück der Welt aus unserem Schoß geboren wird.«
Darauf fragte Doreah: »Wie kann es sein, dass dieses Unglück von uns ausgeht, die wir diese Welt geschaffen haben und sie lieben?«
»Es steht im Gewebe des Schicksals geschrieben«, antwortete Sirdar, dessen Blick jede Dunkelheit durchdrang, »dass zwei der Unseren sich vereinigen werden. Sie werden zwei Kinder haben, von denen jedes so mächtig sein wird wie wir. Eines von ihnen wird alles Gute in sich tragen, das andere alles Böse, und die beiden werden gegeneinander kämpfen, bis beide geschlagen sein werden und es keinen Sieger geben wird. Die Völker werden Geschöpfe ihres Kampfes sein, sie werden dadurch Hass, Groll und Rachedurst kennenlernen. Und so wird das Böse in die Welt kommen und sie verderben.«
Nadaret wandte sich Anman zu, in seinen Augen lag Bestürzung. »Anman«, fragte er ihn, »gibt es denn keinen Ausweg?«
Anman betrachtete die anderen elf und die Welt und dabei war sein Gesicht ernst und traurig. »Nein«, sagte er schließlich. »Es gibt keinen Ausweg.«
»Aber wenn wir das wussten«, fragte Nadaret, »warum haben wir dann die Welt erschaffen? Etwa um sie leiden zu lassen?« »Wir haben sie erschaffen«, antwortete Anman, »weil es sie geben musste. Wenn es das Böse nicht gibt, hat auch das zukünftige Gute keinen Sinn. Der Tag, an dem alles Unvollkommene ausgelöscht sein wird, steht seit Ewigkeiten fest, doch damit er kommen kann, muss diese Welt existieren, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Die Macht, die man uns übertragen hat, darf uns nicht blenden. Wer nichts tut aus Angst, er könne Schaden anrichten, verursacht damit noch schlimmeren Schaden. Die Welt hatte eine Daseinsberechtigung. Wie konnten wir ihr diese verwehren?«
Niemand antwortete, bis Anman sagte: »Die Welt soll leben.«
Und die Welt lebte unter den Augen der zwölf und so begann das erste Zeitalter der Großen Zeitrechnung. Man nannte es »die Zeit unter den Sternen«.
Es war eine glückliche Zeit. Noch gab es das Böse nicht auf der Welt, die friedlich unter dem Licht der Sterne lebte. Alles war unberührt und makellos. Die Götter besuchten die Welt, die sie aus dem Nichts geschaffen hatten und die sie liebten. Sie durchstreiften Wälder, von denen es heute keine Spuren mehr gibt, zogen über Berge, die heute auf dem Meeresgrund begraben liegen. Die Völker existierten damals noch nicht. Trotzdem liebten die Götter diese Welt und verständigten sich mit ihr. Darylon lehrte die Tiere, die Pflanzen und die Erde selbst, sich mitzuteilen. Lilya zeigte ihnen, wie sie sich erinnern konnten. Sirdar begleitete sie über den Tod hinaus, damit sie ihn nicht fürchteten. Anman achtete darauf, dass niemand die Gesetze brach. Und viele Jahrhunderte lang, die nur die Große Zeitrechnung aufzählen kann, kannte die Welt ausschließlich Frieden, Freiheit und Harmonie, und es schien, als sollte dies auf ewig andauern. Es währte so lange, dass die Götter Hoffnung schöpften, Sirdars Prophezeiung am ersten Tag der Großen Zeitrechnung würde sich nicht erfüllen.
Die Fäden des Schicksals jedoch verwoben sich auf eine Weise, die den Göttern entging, und eines Tages kam Kentar erschöpft von einem langen Ritt in der Dunkelheit der Wälder an eine Quelle. Er legte seine Kleider ab, weil er das Wasser auf seiner Haut spüren wollte. Als er sich der Quelle zuwandte, spiegelte sich Darni in dem Wasser, und sie war nackt und wunderschön. Ihre Haut war bronzefarben und die roten langen Haare fielen ihr über die Schultern. Sie drehte sich zu Kentar um und sah ihn und das Feuer in ihren Augen entzündete die Flamme in seinem Herzen. Darni sah, dass Kentar schön war, groß und stark, und dass sein ungezähmtes Gesicht, umrahmt von einem blonden Lockenschopf, leuchtete. Und die beiden Götter, die in ihrem glücklichen Leben noch nie etwas ersehnt hatten, begehrten einander und entbrannten in Leidenschaft. Dort im Wasser der Quelle vergaßen sie die Prophezeiung. Kentar und Darni vereinigten sich, verborgen vor den Augen der Welt und der anderen zehn Götter, und er legte seinen Samen in ihren Leib. Dies war der Anfang vom Ende.
Als die Leidenschaft aus ihren Köpfen wich, sie sich nackt in der Quelle wiederfanden und sich ihrer Tat bewusst wurden, erkannten sie, dass sich die Prophezeiung durch sie schließlich doch erfüllt hatte. Sie waren verzweifelt. Kentar durcheilte die Welt wie ein Wahnsinniger, und indem er vergebens versuchte, seinem Herzen den Frieden zurückzugeben, zerstörte er alles auf seinem Weg. Alle Geschöpfe flohen vor seiner Wut und selbst die Erde weinte. Darni bedeckte ihr Gesicht mit einem Trauerschleier und verbarg ihren Körper unter schwarzen Tüchern. Sie kehrte eilends nach Adhon-dil zurück, zerkratzte sich unter Tränen die Brust, schrie und klagte. Wie von Sinnen stürzte sie in den goldenen Turm, warf sich vor Anmans Thron in den Staub und bekannte unter Qualen ihre Schuld. Sie bat Anman darum, bestraft zu werden, weil sie das Gesetz verletzt habe, das besagte, dass zwei Unsterbliche sich nie vereinen durften. Sie verlangte, dass man sie von der Insel und aus der Welt verbanne, denn sie sei unwürdig, weiter unter den Göttern zu verweilen oder eine Welt zu bewohnen, die sie selbst dem Abgrund zuführe. Sie verlangte, man solle sie in das Flammenmeer verbannen und ihr die strengste Strafe auferlegen. Anman hörte ihr ernst zu und schwieg. Da öff-
nete sich die Tür des Raumes und Kentar erschien, völlig verstört, ein furchtbarer Anblick, und erklärte, nur er allein trage die Schuld, und was auch immer die Strafe für dieses entsetzliche Vergehen sei, so müsse sie ganz auf ihn fallen.
Anman richtete seinen weit vorausschauenden Blick auf die beiden, hob das Zepter der Macht und erklärte: »Der Rat der Zwölf wird einberufen werden und wir werden ihm enthüllen, was geschehen ist. Ob euch Strafe gebührt, darüber behalte ich mir jedoch die Entscheidung vor. Und mein Entschluss steht schon fest.«
Also wurde der Rat der zwölf zusammengerufen. Sie nahmen auf ihren goldenen Stühlen Platz, Anman in ihrer Mitte. Rechts von ihm saß Valdo, mit seiner bronzenen Lanze und der türkisfarbenen Mähne, die ihm über die nackte Brust fiel. Links von ihm saß Sirdar, ernst und mit bedecktem Haupt, seine Augen schimmerten silbern und er schwieg beharrlich. Die Sitze von Kentar und Darni blieben leer, denn sie standen ja beide gesenkten Hauptes vor dem Rat. Darni war noch immer in schwarze Gewänder gehüllt und ein weiter dunkler Umhang verbarg ihren Körper. Kentar legte seinen Schmiedehammer zu Anmans Füßen ab. Beide gestanden ihre Schuld und baten wieder, man solle sie bestrafen und von der Insel und aus der Welt verbannen.
Da sagte Valdo: »Schwer ist die Schuld, denn ein altes Gesetz ist gebrochen worden. Was sollen die Götter jetzt tun? Die verletzte Welt schreit nach Gerechtigkeit, die Schuldigen verlangen selbst nach ihr. Sollten wir so anmaßend sein, uns selbst nicht zu strafen?«
Anman antwortete nicht. Sein Blick verlor sich in der Unendlichkeit, denn sein Geist sieht und begreift viele Dinge aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die sogar den andern elf verborgen bleiben.
Da sagte Sirdar: »Kentar und Darni wurden nicht von ihrem eigenen Willen gelenkt, sondern von dem des Schicksals. Seit langer Zeit stand geschrieben, dass dies geschehen wird. Sie waren nur Werkzeuge des Schicksals, und das hätte jedem von uns geschehen können. Und was für Götter wären wir, wenn wir nicht vergeben könnten, wenn ein Sünder um Verzeihung bittet für eine Schuld, die er nicht zu verantworten hat?«
Anman schwieg weiter. Dann stand er auf und erhob das Zepter. Er wirkte so groß und erhaben, dass alle ihr Haupt vor ihm beugten. »Das Schicksal hat es so gewollt«, sagte er mit laut tönender Stimme. »Wir waren darauf vorbereitet. Wenn es also eine Schuld gegeben hat, ist sie uns durch die Prophezeiung vergeben. Wir wussten, dass es geschehen musste, und nun ist es geschehen. Wir sollten jetzt nicht an die Vergangenheit denken, sondern an die Zukunft. Vielleicht haben wir bis jetzt die Welt gebraucht, um uns an ihr zu erfreuen, doch nun wird sie uns brauchen, damit sie gerettet werden kann. Darni!«, rief er. Sie eilte zu ihm. »Zeig ihnen die Zukunft! Ich befehle es dir!«
Darni ging in die Mitte des Raumes, richtete sich auf und warf den schwarzen Umhang ab, der sie bedeckte. Und da sahen alle, dass sie schwanger war.
»Das ist die Zukunft«, sagte Anman, »und wir dürfen jetzt nicht mehr an den Umstand selbst denken, sondern müssen seine Folgen ins Auge fassen. Sollen wir eine schwangere Frau verjagen? Warum? Jetzt haben wir nicht mehr das Recht, die Frucht, die in ihrem Leib heranwächst, zu töten, selbst wenn sie Böses hervorbringt. Es war uns erlaubt, ihre Entstehung zu verhindern, und wir sind gescheitert. Ich sagte euch am Tag, als wir sie schufen, dass die Welt das Recht habe zu existieren, was auch immer ihre Existenz mit sich bringe. Heute sage ich euch: Was auch immer im Bauch unserer Schwester heranwächst, hat das gleiche Recht zu leben, ganz egal, ob es gut oder böse sein mag.«
»Und was sollen wir jetzt tun?«, fragte Doreah.
»Wir werden der Welt helfen«, erklärte Anman, »soweit es in unserer Macht steht. Vergesst nicht, dass das Böse nicht nur Böses mit sich bringt, sondern auch die Geburt der Völker, und unsere Aufgabe wird es sein, sie zu beschützen. Und wir werden alles für sie tun, was uns erlaubt ist.«
Da sprang Kentar auf, griff nach seinem Hammer, richtete seine wilden blauen Augen auf die goldenen undurchdringlichen des Allmächtigen und sagte: »Du hast vergeben, und das werden wir dir nicht vergessen. Wir werden uns dieser Vergebung würdig erweisen. Doch wir sind unrein geworden und durch einen unauslöschlichen Makel entehrt. Ich werde Darni zur Frau nehmen, wir werden Adhon-dil verlassen, um als Verbannte durch die Welt zu ziehen. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um anderen zu helfen, und nicht eher zurückkehren, bis unser Makel abgewaschen sein wird, selbst wenn die Ewigkeit dafür nicht ausreichen sollte.«
Er nahm Darni bei der Hand, und niemand hielt sie auf, da Anman den anderen bedeutet hatte, sie sollten es nicht einmal versuchen. Die beiden verließen Adhon-dil, zogen als Verbannte durch die Welt, wurden Mann und Frau und schworen, nie zurückzukehren. Und auf Adhon-dil bereiteten sich die Götter auf das vor, das da kommen musste, während die Welt weiter ahnungslos und friedlich dahinlebte.
Die Tage der Großen Zeitrechnung vergingen, die Götter warteten und ganz plötzlich ahnte auch die Welt, dass etwas geschehen würde. Im Dunkel der Wälder, im gleichen Dunkel, wo sie sie empfangen hatte, gebar Darni zwei Söhne. Sie kamen schon als Männer zur Welt, in glänzender Rüstung wie Krieger, Kinder der Flamme ihrer Mutter und der Kraft des Vaters, genauso mächtig wie die zwölf Götter. Darnis Schreie stiegen hinauf bis in den Himmel und erreichten auch die Insel, und die Götter erschauerten, weil sie wussten, dass der Moment gekommen war: Die beiden Idole waren geboren.
Sie waren Zwillinge, jeder so mächtig wie der andere: Einer hatte weißes Haar und goldene Augen. Er kannte nichts als Liebe, Mitgefühl und alle guten Gefühle. Er liebte die Welt und alles, was sie bevölkerte, und er hätte nie etwas anderes als ihre Rettung, ihr Glück und ihr Wohlergehen gewünscht. Der andere hatte Haare so schwarz wie die Flügel eines Raben. Er hatte silberne Augen und sein Herz war ebenfalls schwarz. Er kannte nichts als Wut, Hass und Wahnsinn, betrachtete alles Leben mit einer grenzenlosen Verachtung und wünschte sich nichts mehr, als es gänzlich zu vernichten. Die beiden Brüder, das Weiße Idol und das Schwarze Idol, kämpften miteinander in der Welt, der eine, um sie zu retten, der andere, um sie zu zerstören. Ein ganzes Zeitalter lang rangen sie miteinander. Es war das zweite Zeitalter der Großen Zeitrechnung und wurde »das Zeitalter des Chaos« genannt.
Die Götter konnten nur ohnmächtig zusehen. Die beiden Idole waren einander an Kraft ebenbürtig, und so konnte keiner der beiden jemals hoffen, den anderen zu besiegen. Die Blitze, die sie aussandten, trafen die Welt und veränderten sie. Berge wurden eingeebnet und neue erhoben sich, Wälder wurden zu Stein, neue Meere wurden aufgerissen und alte trockneten aus.
Ein Blitz des Schwarzen Idols traf die Himmelskuppel und brannte ein Loch hinein, sodass das Flammenmeer draußen aufloderte und man den Schein durch die entstandene Öffnung sehen konnte. Plötzlich wurde die Welt in ein so blendendes Licht getaucht, dass es die Sterne verblassen und verschwinden ließ. So wurde die Sonne geboren.
Übersetzung: Katharina Schmidt, Barbara Neeb und Ingrid Ickler
© 2011 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Verlag, München
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Autoren-Porträt von Chiara Strazzulla
Chiara Strazzulla, geboren 1990 in Syrakus/Sizilien. Sie ist eine leidenschaftliche Theater-, Kunst-, Literatur- und Fantasyliebhaberin. Nach ihrem Schulabschluss in Rom studiert sie in Pisa Literaturwissenschaft.
Bibliographische Angaben
- Autor: Chiara Strazzulla
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2011, 911 Seiten, Maße: 15,5 x 23,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Katharina; Neeb, Barbara; Ickler, Ingrid
- Übersetzer: Katharina Schmidt, Barbara Neeb, Ingrid Ickler
- Verlag: cbj
- ISBN-10: 3570139662
- ISBN-13: 9783570139660
Rezension zu „Tharkarún - Krieger der Nacht “
"Mit Tharkarun versucht Chiara Strazzulla an ihren Erfolg mit Dardamen anzuknüpfen und sie schafft es mit Bravour!"
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