Titan
Roman
Sein großes Verhandlungsgeschick und sein Redetalent haben Cicero an die Spitze der Macht gebracht. Er bekleidet als Konsul das höchste Amt in Rom. Aber seine Widersacher haben sich längst formiert. Und es scheint der gerissene Caesar zu...
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Produktinformationen zu „Titan “
Sein großes Verhandlungsgeschick und sein Redetalent haben Cicero an die Spitze der Macht gebracht. Er bekleidet als Konsul das höchste Amt in Rom. Aber seine Widersacher haben sich längst formiert. Und es scheint der gerissene Caesar zu sein, der im Hintergrund die Fäden zieht.
Nach "Imperium" und "Pompeji" nun Robert Harris- neuer historischer Thriller aus dem antiken Rom Cicero hat es geschafft - Verhandlungsgeschick und sein Redetalent haben ihn an die Spitze der Macht gebracht: Er bekleidet als Konsul das höchste Amt in Rom. Aber seine Widersacher haben sich längst formiert. Eine große Verschwörung droht die Republik zu stürzen. Und immer wieder scheint es der gerissene Caesar zu sein, der im Hintergrund die Fäden zieht ...
Rom im Jahr 63 v. Chr.: Cicero ist endlich Konsul. Im Wahlkampf hat er sich gegen den korrupten Patrizier Catilina durchgesetzt. Aber zur Verwirklichung seiner politischen Ideale läuft ihm die Zeit davon, denn Catilina hat den Kampf noch nicht aufgegeben: Zusammen mit enttäuschten Aristokraten, Veteranen, Kriminellen und anderem Gesindel bereitet er eine große Verschwörung vor, um an die Macht zu gelangen. Aber welche Rolle spielt der umtriebige Caesar dabei? Der Einfluss seines Kontrahenten wächst unaufhörlich, und Cicero muss seine Tugendhaftigkeit auf die zwangsläufige Probe stellen: Wenn man die Macht im Staat innehat - ist es dann gerechtfertigt, illegale Methoden anzuwenden, um die Republik zu retten? Schließlich erfährt Cicero von einer konspirativen Sitzung, auf der seine Ermordung geplant wurde ...Robert Harris zeigt sich wieder einmal als wahrer Meister: Er entführt seine Leser mit einem brillant recherchierten historischen Roman ins antike Rom und liefert zugleich einen packenden Politthriller, der aktueller nicht sein könnte.o ist endlich Konsul. Im Wahlkampf hat er sich gegen den korrupten Patrizier Catilina durchgesetzt. Aber zur Verwirklichung seiner politischen Ideale läuft ihm die Zeit davon, denn Catilina hat den Kampf noch nicht aufgegeben: Zusammen mit enttäuschten Aristokraten, Veteranen, Kriminellen und anderem Gesindel bereitet er eine große Verschwörung vor, um an die Macht zu gelangen. Aber welche Rolle spielt der umtriebige Caesar dabei? Der Einfluss seines Kontrahenten wächst unaufhörlich, und Cicero muss seine Tugendha
Rom im Jahr 63 v. Chr.: Cicero ist endlich Konsul. Im Wahlkampf hat er sich gegen den korrupten Patrizier Catilina durchgesetzt. Aber zur Verwirklichung seiner politischen Ideale läuft ihm die Zeit davon, denn Catilina hat den Kampf noch nicht aufgegeben: Zusammen mit enttäuschten Aristokraten, Veteranen, Kriminellen und anderem Gesindel bereitet er eine große Verschwörung vor, um an die Macht zu gelangen. Aber welche Rolle spielt der umtriebige Caesar dabei? Der Einfluss seines Kontrahenten wächst unaufhörlich, und Cicero muss seine Tugendhaftigkeit auf die zwangsläufige Probe stellen: Wenn man die Macht im Staat innehat - ist es dann gerechtfertigt, illegale Methoden anzuwenden, um die Republik zu retten? Schließlich erfährt Cicero von einer konspirativen Sitzung, auf der seine Ermordung geplant wurde ...Robert Harris zeigt sich wieder einmal als wahrer Meister: Er entführt seine Leser mit einem brillant recherchierten historischen Roman ins antike Rom und liefert zugleich einen packenden Politthriller, der aktueller nicht sein könnte.o ist endlich Konsul. Im Wahlkampf hat er sich gegen den korrupten Patrizier Catilina durchgesetzt. Aber zur Verwirklichung seiner politischen Ideale läuft ihm die Zeit davon, denn Catilina hat den Kampf noch nicht aufgegeben: Zusammen mit enttäuschten Aristokraten, Veteranen, Kriminellen und anderem Gesindel bereitet er eine große Verschwörung vor, um an die Macht zu gelangen. Aber welche Rolle spielt der umtriebige Caesar dabei? Der Einfluss seines Kontrahenten wächst unaufhörlich, und Cicero muss seine Tugendha
Lese-Probe zu „Titan “
Titan von Robert HarrisKAPITEL I
Zwei Tage vor der Amtseinführung von Marcus Tullius Cicero zum Konsul von Rom wurde nahe den Schiffshäusern der republikanischen Kriegsflotte die Leiche eines Kindes aus dem Tiber gezogen. Ein derartiger Fund, wie tragisch auch immer, hätte normalerweise nicht der Beachtung eines designierten Konsuls bedurft. An dieser speziellen Leiche jedoch war etwas so Groteskes, etwas so den öffentlichen Frieden Bedrohendes, dass der für die Ordnung in der Stadt verantwortliche Beamte, Gaius Octavius, nach Cicero schicken ließ mit der Bitte, sofort zu kommen.
Cicero war zunächst unschlüssig, ob er gehen solle. Er schützte Arbeit vor. Da er bei den Konsulatswahlen die meisten Stimme erhalten hatte, fi el es ihm und nicht dem Zweiten Konsul zu, die Eröffnungssitzung des Senats zu leiten. Er schrieb gerade an seiner Antrittsrede. Allerdings war mir klar, dass dies nicht der einzige Grund war. Wenn es um den Tod ging, war er ungewöhnlich zimperlich. Sogar das Töten von Tieren bei den Spielen verstörte ihn, und diese Schwäche – ein weiches Herz wird in der Politik leider immer als Schwäche wahrgenommen – fiel allmählich auf. Sein erster Impuls war, mich an seiner Stelle zu schicken.
»Natürlich gehe ich«, sagte ich vorsichtig. »Aber …« Ich ließ den Satz unvollendet.
»Aber was?«, fragte er scharf. »Du glaubst, das gibt ein schlechtes Bild ab, oder?«
Ich antwortete nicht und fuhr mit der Übertragung seiner Rede fort. Das Schweigen zog sich in die Länge.
»Ja, ja, schon gut«, sagte er schließlich, stöhnte und stand schwerfällig auf. »Octavius ist ein tumber Trottel, aber er ist gewissenhaft. Er würde mich nicht rufen lassen, wenn es nicht wichtig wäre. Wie auch immer, ich brauche sowieso etwas frische
... mehr
Luft.«
Es war Ende Dezember – der Himmel war dunkelgrau, und der Wind war so schneidend, dass er einem den Atem nahm. Auf der Straße warteten etwa ein Dutzend Bittsteller in der Hoffnung, vorgelassen zu werden, und sobald der designierte Konsul durch die Tür trat, stürmten sie über die Straße auf ihn zu. »Nicht jetzt«, sagte ich und stieß sie zurück.
»Nicht heute.« Cicero warf sich den Saum seines Umhangs über die Schulter, drückte das Kinn auf die Brust, und wir gingen mit forschen Schritten den Hügel hinunter.
Nachdem wir über das Forum gegangen waren und durch die Porta Flumentana die Stadt verlassen hatten, überquerten wir den Tiber. Wir hatten schätzungsweise eine Meile zurückgelegt. Unter uns rauschte der Fluss, schnell und hoch, mit buckeligen, gelblich braunen Strudeln und wirbelnden Strömungen. Geradeaus, gegenüber der Tiberinsel, inmitten der Kais und Kräne der Navalia, wimmelte es von Menschen. (Damals war die Insel noch nicht durch Brücken mit den beiden Flussufern verbunden, woraus man ersehen kann, vor wie langer Zeit – vor mehr als einem halben Jahrhundert – sich dies alles abgespielt hat.) Als wir näher kamen, wurde Cicero von vielen der Schaulustigen erkannt. Sie starrten ihn neugierig an und machten eine Gasse frei, um uns durchzulassen. Eine Postenkette Legionäre aus den Marinekasernen riegelte den Schauplatz ab. Octavius wartete schon auf uns.
»Verzeih die Störung«, sagte Octavius und schüttelte meinem Herrn die Hand. »Ich weiß, wie beschäftigt du sein musst, so kurz vor deiner Amtseinführung.«
»Es ist mir immer eine Freude, dich zu sehen, mein lieber Octavius, egal, zu welcher Zeit. Du kennst Tiro, meinen Sekretär?«
Octavius warf mir einen gleichgültigen Blick zu. Obwohl man ihn heute nur noch als den Vater von Augustus kennt, war er zu jener Zeit der plebejische Ädil und ganz entschieden der kommende Mann. Wahrscheinlich hätte er es selbst bis zum Konsul gebracht, wäre er nicht vorzeitig – etwa vier Jahre nach diesem Zusammentreffen – am Fieber gestorben.
Er führte uns aus dem Wind in eines der großen Schiffshäuser der Marine, wo auf riesigen Holzwalzen das nackte Gerippe einer reparaturbedürftigen Liburne stand. Daneben lag etwas auf dem Boden, das mit Segeltuch zugedeckt war. Octavius machte keine großen Umstände, warf das Laken zur Seite und enthüllte uns den nackten Körper eines Jungen. Ich erinnere mich, dass er etwa zwölf Jahre alt war. Er hatte ein schönes und heiteres, in seiner Zartheit ziemlich feminines Gesicht, Spuren von goldener Farbe glitzerten auf Nase und Wangen, und in seinen nassen braunen Locken steckte ein Fetzen von einer roten Schleife. Die Kehle war aufgeschlitzt und der Körper der Länge nach bis zur Leiste aufgeschnitten – man hatte ihn ausgeweidet. Es war kein Blut zu sehen, nur diese dunkle, längliche Höhle voller Flussschlamm, die wie ein ausgenommener Fisch aussah. Wie Cicero es schaffte, den Anblick zu ertragen und dabei seine Fassung zu wahren, weiß ich nicht, aber er schluckte hörbar und wandte seinen Blick nicht ab. Schließlich sagte er heiser:
»Was für eine Gräueltat.«
»Das ist noch nicht alles«, sagte Octavius. Er ging in die Hocke, umfasste den Schädel des Jungen mit beiden Händen und drehte ihn nach links. Mit der Bewegung des Kopfes öffnete und schloss sich die klaffende Halswunde auf obszöne Weise wie ein zweiter Mund, der uns eine Warnung zuzuflüstern versuchte. Octavius schien für all das vollkommen unempfänglich zu sein, allerdings war er Soldat und ohne Zweifel an einen solchen Anblick gewöhnt. Er strich dem Jungen die Haare zurück und legte genau über dem rechten Ohr eine tiefe Wunde frei, in die er seinen Daumen drückte. »Siehst du das? Scheint so, als hätte man ihn von hinten niedergeschlagen. Vermutlich mit einem Hammer.«
»Farbe im Gesicht. Schleifen im Haar. Von hinten niedergeschlagen, mit einem Hammer«, wiederholte Cicero, wobei die Worte immer langsamer aus seinem Mund kamen, während ihm klarwurde, wohin seine Gedanken ihn führten. »Dann die Kehle durchgeschnitten, und zum Schluss den Körper ausgeweidet.«
»Genau«, sagte Octavius. »Die Mörder müssen es darauf abgesehen haben, seine Eingeweide zu untersuchen. Er war ein Opfer – ein Menschenopfer.«
Bei diesen Worten stellten sich mir die Nackenhaare auf, und ich wusste, dass ich mich an diesem kalten, trüben Ort in Gegenwart des Bösen befand – des Bösen als einer spürbaren Kraft, so machtvoll wie der Blitz.
»Sind dir irgendwelche Sekten in der Stadt bekannt, die derart abscheuliche Praktiken pflegen?«, fragte Cicero.
»Keine. Natürlich kommen da immer die Gallier infrage – es heißt, dass sie solche Sachen machen. Aber im Augenblick sind nur wenige in der Stadt, und die führen sich ganz anständig auf.«
»Wer ist das Opfer? Hat schon jemand Anspruch auf ihn erhoben?«
»Das ist der zweite Grund, warum ich dich holen ließ, damit du selbst einen Blick auf das Opfer werfen kannst.«
Octavius drehte die Leiche auf den Bauch. »Hier, über dem Gesäß, siehst du das kleine Zeichen des Besitzers? Wer den Körper in den Fluss geworfen hat, hat es vielleicht übersehen.
›C.Ant.M.f.C.n.‹ Gaius Antonius, Sohn des Marcus, Enkel des Gaius. Na, wenn das keine berühmte Familie ist! Er war ein Sklave deines Mitkonsuls Antonius Hybrida.« Er erhob sich, wischte sich die Hände an dem Segeltuch ab und warf es dann achtlos wieder über die Leiche. »Was willst du jetzt unternehmen?«
Cicero schaute wie hypnotisiert auf das armselige Bündel.
»Wer weiß von der Sache?«
»Niemand.«
»Hybrida?«
»Nein.«
»Was ist mit den Leuten da draußen?«
»Es geht das Gerücht, dass es sich um irgendeine Art Ritualmord handelt. Niemand weiß so gut wie du, wie das bei Menschenmassen ist. Sie sagen, dies sei am Vorabend deines Konsulats ein schlechtes Omen.«
»Da könnten sie Recht haben.«
»Der Winter war bis jetzt hart. Die Leute werden sich nicht so schnell beruhigen. Ich dachte mir, wir könnten das Priesterkollegium der Pontifi ces benachrichtigen und bitten, irgendeine Art von Reinigungszeremonie …«
»Nein, nein«, sagte Cicero schnell und wandte den Blick von der Leiche ab. »Keine Priester. Priester machen alles nur noch schlimmer.«
»Was sollen wir also tun?«
»Kein Wort zu niemandem! Die Leiche so schnell wie möglich verbrennen. Niemand darf sie sehen. Verbiete jedem, der sie gesehen hat, unter Androhung von Kerker oder Schlimmerem, dass er auch nur ein Wort verlauten lässt.«
»Und die Leute da draußen?«
»Du kümmerst dich um die Leiche, ich kümmere mich um die Leute.«
Octavius zuckte mit den Achseln. »Wie du willst.« Er klang gleichgültig. Er hatte nur noch einen Tag im Amt – ich stellte mir vor, dass er froh war, dass Problem los zu sein. Cicero ging zur Tür und atmete ein paarmal tief durch, so dass seine Wangen wieder etwas Farbe bekamen. Dann sah ich, was ich schon so oft bei ihm gesehen hatte, nämlich dass er die Schultern durchdrückte und ein selbstbewusstes Gesicht aufsetzte. Er ging nach draußen und kletterte auf einen Stapel Spanten, um zu dem Menschenauflauf sprechen.
»Menschen von Rom, ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugt, dass die dunklen Gerüchte, die in der Stadt umgehen, falsch sind!« Er musste brüllen, um sich gegen das Heulen des schneidenden Windes Gehör zu verschaffen.
»Geht nach Hause zu euren Familien und genießt die restlichen Festtage.«
»Aber ich habe die Leiche selbst gesehen!«, rief ein Mann.
»Das war ein Menschenopfer, es wird Unheil über die Republik bringen!«
Andere schlossen sich an. »Die Stadt ist verflucht!«
»Euer Konsulat ist verflucht!«
»Holt die Priester!«
Cicero hob die Hände. »Es stimmt, die Leiche befand sich in einem grauenvollen Zustand. Aber was habt ihr erwartet? Der arme Bursche hat lange im Wasser gelegen. Die Fische haben auch Hunger. Die besorgen sich ihr Futter dort, wo sie es kriegen können. Wollt ihr wirklich, dass ich einen Priester hole? Was soll der tun? Die Fische verfluchen? Die Fische segnen?« Ein paar fingen an zu lachen. »Seit wann fürchten sich Römer vor Fischen? Geht nach Hause. Lasst es euch gutgehen. Übermorgen haben wir ein neues Jahr, mit einem neuen Konsul – einem, da könnt ihr sicher sein, der immer für euer Wohlergehen sorgen wird!«
Es war keine große Ansprache, nicht nach seinen Maßstäben, aber sie erfüllte ihren Zweck. Einige aus der Menge ließen ihn sogar hochleben. Er sprang von dem Holzstapel herunter. Die Legionäre drängten den Pöbel zurück, und wir machten uns schnell auf den Rückweg. Als wir uns dem Stadttor näherten, schaute ich mich noch einmal um. Die ersten Schaulustigen lösten sich schon aus der Menge und machten sich davon, um neue Vergnügungen aufzutun. Als ich mich wieder Cicero zuwandte, um ihm zur Wirkung seiner Worte zu gratulieren, stand er vornübergebeugt am Straßenrand und übergab sich.
Übersetzung: Wolfgang Müller
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Es war Ende Dezember – der Himmel war dunkelgrau, und der Wind war so schneidend, dass er einem den Atem nahm. Auf der Straße warteten etwa ein Dutzend Bittsteller in der Hoffnung, vorgelassen zu werden, und sobald der designierte Konsul durch die Tür trat, stürmten sie über die Straße auf ihn zu. »Nicht jetzt«, sagte ich und stieß sie zurück.
»Nicht heute.« Cicero warf sich den Saum seines Umhangs über die Schulter, drückte das Kinn auf die Brust, und wir gingen mit forschen Schritten den Hügel hinunter.
Nachdem wir über das Forum gegangen waren und durch die Porta Flumentana die Stadt verlassen hatten, überquerten wir den Tiber. Wir hatten schätzungsweise eine Meile zurückgelegt. Unter uns rauschte der Fluss, schnell und hoch, mit buckeligen, gelblich braunen Strudeln und wirbelnden Strömungen. Geradeaus, gegenüber der Tiberinsel, inmitten der Kais und Kräne der Navalia, wimmelte es von Menschen. (Damals war die Insel noch nicht durch Brücken mit den beiden Flussufern verbunden, woraus man ersehen kann, vor wie langer Zeit – vor mehr als einem halben Jahrhundert – sich dies alles abgespielt hat.) Als wir näher kamen, wurde Cicero von vielen der Schaulustigen erkannt. Sie starrten ihn neugierig an und machten eine Gasse frei, um uns durchzulassen. Eine Postenkette Legionäre aus den Marinekasernen riegelte den Schauplatz ab. Octavius wartete schon auf uns.
»Verzeih die Störung«, sagte Octavius und schüttelte meinem Herrn die Hand. »Ich weiß, wie beschäftigt du sein musst, so kurz vor deiner Amtseinführung.«
»Es ist mir immer eine Freude, dich zu sehen, mein lieber Octavius, egal, zu welcher Zeit. Du kennst Tiro, meinen Sekretär?«
Octavius warf mir einen gleichgültigen Blick zu. Obwohl man ihn heute nur noch als den Vater von Augustus kennt, war er zu jener Zeit der plebejische Ädil und ganz entschieden der kommende Mann. Wahrscheinlich hätte er es selbst bis zum Konsul gebracht, wäre er nicht vorzeitig – etwa vier Jahre nach diesem Zusammentreffen – am Fieber gestorben.
Er führte uns aus dem Wind in eines der großen Schiffshäuser der Marine, wo auf riesigen Holzwalzen das nackte Gerippe einer reparaturbedürftigen Liburne stand. Daneben lag etwas auf dem Boden, das mit Segeltuch zugedeckt war. Octavius machte keine großen Umstände, warf das Laken zur Seite und enthüllte uns den nackten Körper eines Jungen. Ich erinnere mich, dass er etwa zwölf Jahre alt war. Er hatte ein schönes und heiteres, in seiner Zartheit ziemlich feminines Gesicht, Spuren von goldener Farbe glitzerten auf Nase und Wangen, und in seinen nassen braunen Locken steckte ein Fetzen von einer roten Schleife. Die Kehle war aufgeschlitzt und der Körper der Länge nach bis zur Leiste aufgeschnitten – man hatte ihn ausgeweidet. Es war kein Blut zu sehen, nur diese dunkle, längliche Höhle voller Flussschlamm, die wie ein ausgenommener Fisch aussah. Wie Cicero es schaffte, den Anblick zu ertragen und dabei seine Fassung zu wahren, weiß ich nicht, aber er schluckte hörbar und wandte seinen Blick nicht ab. Schließlich sagte er heiser:
»Was für eine Gräueltat.«
»Das ist noch nicht alles«, sagte Octavius. Er ging in die Hocke, umfasste den Schädel des Jungen mit beiden Händen und drehte ihn nach links. Mit der Bewegung des Kopfes öffnete und schloss sich die klaffende Halswunde auf obszöne Weise wie ein zweiter Mund, der uns eine Warnung zuzuflüstern versuchte. Octavius schien für all das vollkommen unempfänglich zu sein, allerdings war er Soldat und ohne Zweifel an einen solchen Anblick gewöhnt. Er strich dem Jungen die Haare zurück und legte genau über dem rechten Ohr eine tiefe Wunde frei, in die er seinen Daumen drückte. »Siehst du das? Scheint so, als hätte man ihn von hinten niedergeschlagen. Vermutlich mit einem Hammer.«
»Farbe im Gesicht. Schleifen im Haar. Von hinten niedergeschlagen, mit einem Hammer«, wiederholte Cicero, wobei die Worte immer langsamer aus seinem Mund kamen, während ihm klarwurde, wohin seine Gedanken ihn führten. »Dann die Kehle durchgeschnitten, und zum Schluss den Körper ausgeweidet.«
»Genau«, sagte Octavius. »Die Mörder müssen es darauf abgesehen haben, seine Eingeweide zu untersuchen. Er war ein Opfer – ein Menschenopfer.«
Bei diesen Worten stellten sich mir die Nackenhaare auf, und ich wusste, dass ich mich an diesem kalten, trüben Ort in Gegenwart des Bösen befand – des Bösen als einer spürbaren Kraft, so machtvoll wie der Blitz.
»Sind dir irgendwelche Sekten in der Stadt bekannt, die derart abscheuliche Praktiken pflegen?«, fragte Cicero.
»Keine. Natürlich kommen da immer die Gallier infrage – es heißt, dass sie solche Sachen machen. Aber im Augenblick sind nur wenige in der Stadt, und die führen sich ganz anständig auf.«
»Wer ist das Opfer? Hat schon jemand Anspruch auf ihn erhoben?«
»Das ist der zweite Grund, warum ich dich holen ließ, damit du selbst einen Blick auf das Opfer werfen kannst.«
Octavius drehte die Leiche auf den Bauch. »Hier, über dem Gesäß, siehst du das kleine Zeichen des Besitzers? Wer den Körper in den Fluss geworfen hat, hat es vielleicht übersehen.
›C.Ant.M.f.C.n.‹ Gaius Antonius, Sohn des Marcus, Enkel des Gaius. Na, wenn das keine berühmte Familie ist! Er war ein Sklave deines Mitkonsuls Antonius Hybrida.« Er erhob sich, wischte sich die Hände an dem Segeltuch ab und warf es dann achtlos wieder über die Leiche. »Was willst du jetzt unternehmen?«
Cicero schaute wie hypnotisiert auf das armselige Bündel.
»Wer weiß von der Sache?«
»Niemand.«
»Hybrida?«
»Nein.«
»Was ist mit den Leuten da draußen?«
»Es geht das Gerücht, dass es sich um irgendeine Art Ritualmord handelt. Niemand weiß so gut wie du, wie das bei Menschenmassen ist. Sie sagen, dies sei am Vorabend deines Konsulats ein schlechtes Omen.«
»Da könnten sie Recht haben.«
»Der Winter war bis jetzt hart. Die Leute werden sich nicht so schnell beruhigen. Ich dachte mir, wir könnten das Priesterkollegium der Pontifi ces benachrichtigen und bitten, irgendeine Art von Reinigungszeremonie …«
»Nein, nein«, sagte Cicero schnell und wandte den Blick von der Leiche ab. »Keine Priester. Priester machen alles nur noch schlimmer.«
»Was sollen wir also tun?«
»Kein Wort zu niemandem! Die Leiche so schnell wie möglich verbrennen. Niemand darf sie sehen. Verbiete jedem, der sie gesehen hat, unter Androhung von Kerker oder Schlimmerem, dass er auch nur ein Wort verlauten lässt.«
»Und die Leute da draußen?«
»Du kümmerst dich um die Leiche, ich kümmere mich um die Leute.«
Octavius zuckte mit den Achseln. »Wie du willst.« Er klang gleichgültig. Er hatte nur noch einen Tag im Amt – ich stellte mir vor, dass er froh war, dass Problem los zu sein. Cicero ging zur Tür und atmete ein paarmal tief durch, so dass seine Wangen wieder etwas Farbe bekamen. Dann sah ich, was ich schon so oft bei ihm gesehen hatte, nämlich dass er die Schultern durchdrückte und ein selbstbewusstes Gesicht aufsetzte. Er ging nach draußen und kletterte auf einen Stapel Spanten, um zu dem Menschenauflauf sprechen.
»Menschen von Rom, ich habe mich mit eigenen Augen davon überzeugt, dass die dunklen Gerüchte, die in der Stadt umgehen, falsch sind!« Er musste brüllen, um sich gegen das Heulen des schneidenden Windes Gehör zu verschaffen.
»Geht nach Hause zu euren Familien und genießt die restlichen Festtage.«
»Aber ich habe die Leiche selbst gesehen!«, rief ein Mann.
»Das war ein Menschenopfer, es wird Unheil über die Republik bringen!«
Andere schlossen sich an. »Die Stadt ist verflucht!«
»Euer Konsulat ist verflucht!«
»Holt die Priester!«
Cicero hob die Hände. »Es stimmt, die Leiche befand sich in einem grauenvollen Zustand. Aber was habt ihr erwartet? Der arme Bursche hat lange im Wasser gelegen. Die Fische haben auch Hunger. Die besorgen sich ihr Futter dort, wo sie es kriegen können. Wollt ihr wirklich, dass ich einen Priester hole? Was soll der tun? Die Fische verfluchen? Die Fische segnen?« Ein paar fingen an zu lachen. »Seit wann fürchten sich Römer vor Fischen? Geht nach Hause. Lasst es euch gutgehen. Übermorgen haben wir ein neues Jahr, mit einem neuen Konsul – einem, da könnt ihr sicher sein, der immer für euer Wohlergehen sorgen wird!«
Es war keine große Ansprache, nicht nach seinen Maßstäben, aber sie erfüllte ihren Zweck. Einige aus der Menge ließen ihn sogar hochleben. Er sprang von dem Holzstapel herunter. Die Legionäre drängten den Pöbel zurück, und wir machten uns schnell auf den Rückweg. Als wir uns dem Stadttor näherten, schaute ich mich noch einmal um. Die ersten Schaulustigen lösten sich schon aus der Menge und machten sich davon, um neue Vergnügungen aufzutun. Als ich mich wieder Cicero zuwandte, um ihm zur Wirkung seiner Worte zu gratulieren, stand er vornübergebeugt am Straßenrand und übergab sich.
Übersetzung: Wolfgang Müller
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Robert Harris
Robert Harris wurde 1957 in Nottingham geboren und studierte in Cambridge. Er war Reporter bei der BBC, Redakteur beim "Observer" und Kolumnist bei der "Sunday Times" und dem "Daily Telegraph". 2003 wurde er als bester Kolumnist mit dem British Press Award ausgezeichnet. Er schrieb mehrere Sachbücher und zahlreiche Romane. Robert Harris lebt mit seiner Familie in Berkshire.
Bibliographische Angaben
- Autor: Robert Harris
- 2009, 541 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Müller, Wolfgang
- Übersetzer: Wolfgang Müller
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453001583
- ISBN-13: 9783453001589
Rezension zu „Titan “
"Die Mächtigen kennt Harris gut, er beobachtet sie genau. Harris durchschaut die Strategien der Herrschenden. Er seziert ihre Auftritte und erkennt dabei historische Parallelen. (...) Cicero ist auch der Protagonist seines aktuellen Romans 'Titan'. Das ist antike Politik, doch Harris hat auch hier immer die Gegenwart im Blick."
Kommentar zu "Titan"
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