Tod in Turin
Ein Fall für Commissario Lupo. Roman
Turin lebt in Angst und Schrecken: Scheinbar wahllos erschießt ein Unbekannter am helllichten Tag mehrere Menschen. Commissario Lupo erkennt zunächst keinen logischen Zusammenhang zwischen den Opfern, bis er einen furchtbaren Verdacht hegt: Der Mörder tötet...
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Produktinformationen zu „Tod in Turin “
Turin lebt in Angst und Schrecken: Scheinbar wahllos erschießt ein Unbekannter am helllichten Tag mehrere Menschen. Commissario Lupo erkennt zunächst keinen logischen Zusammenhang zwischen den Opfern, bis er einen furchtbaren Verdacht hegt: Der Mörder tötet aus Willkür, und die wenigen Spuren, die er hinterlässt, führen Lupo immer wieder zu seinem besten Freund Polo Chieli ...
Lese-Probe zu „Tod in Turin “
Gott war ungerecht.Er hatte ihn nur zuf llig ausgew hlt. Unter Tausenden.
Gelangweilt hatte er die Rechnungsb cher, die er ber seine Gesch pfe f hrte, durchgebl ttert und ihn verurteilt. Ohne seine Geschichte zu kennen. Ohne sich jemals f r ihn interessiert zu haben.
Ohne ihm jemals ein Zeichen gegeben zu haben, dass er existierte.
Ein Vater, der zu viel zu tun hatte.
Der als Pfaffen verkleidete Kinderm dchen und Diener engagierte, damit diese seine Aufgaben, seine Pflichten erledigten.
Als es ihm dann endlich gelungen war, auf eigenen F en zu stehen und er etwas wirklich Wichtiges zu tun hatte, da hatte ihm Gott ein nun gar nicht mehr erw nschtes Zeichen seiner Existenz gegeben.
Einen Tumor.
Noch drei, vier Monate zu leben.
Einen sch nen gro en Koffer voller Grauen f r die Heimreise.
Nein, diese Reise w rde er nicht alleine antreten.
Auch er w rde den Zufall entscheiden lassen.
Mit demselben gelangweilten Desinteresse.
Er atmete tief ein.
Seit seiner Kindheit hatte er einen immer wiederkehrenden Traum: Er hielt ein Gewehr im Anschlag, ging zu einem Fenster und schoss blind hinaus. Auf irgendeinen Passanten auf der Stra e. Gleichg ltig ob Mann oder Frau.
Er hatte sich noch nicht entschieden.
Hinter den Fensterl den verborgen beobachtete er das Gedr nge auf der Piazza Vittorio: Zwei Studenten und eine Schwarze, die auf die Stra enbahn warteten.
Ein alter Mann, der unsicheren Schritts die Schienen berquerte.
Zwei Stra enkehrer, die sich ber einen Kanalschacht beugten.
Und ein Gewimmel unbekannter, hastender, identit tsloser Menschen unter den Arkaden in diesem fr hen Winterlicht.
Der Morgen war voller Schnee.
Fahl.
Mit einem Himmel, der ins Flussbett des Po zu st rzen schien, unf hig sich auf dem H gel zu halten, den das Grau der Kirche Gran Madre beherrschte.
Er trat einen Schritt zur ck.
Seine H nde waren eiskalt.
Er st tzte das Gewehr auf den Boden und dachte an seinen Traum: Ein Projektil,
... mehr
das in einen Hals drang. Oder in ein Herz. Blut auf dem Asphalt. Die Best rzung in den Gesichtern der Menschen, die umherstanden. Kinder, die weggezogen wurden.
Oh, wenn er wirklich w hlen k nnte, dann den gellenden Schrei einer unbekannten Frau, die sich ber den toten K rper ihres Kindes beugte.
Eine gr ssliche Vorstellung und gleichzeitig sehr entspannend.
Von der jene d stere Faszination ausging, die allein das Wissen zu vermitteln vermag, absolute Macht ber das Schicksal eines anderen Menschen zu haben.
Er l chelte.
Die Laune dieses seines Fingers am Abzug entschied ber das Leben eines Unbekannten, das v llig in seiner Hand lag.
Er nahm das Gewehr wieder hoch.
Sah durch das Zielfernrohr hinunter.
Und schoss.
Der Commissario putzte sich die Nase.
Lupo hatte eine b se Erk ltung, die ihn seit Tagen plagte. Und deshalb war er seinem Broterwerb, den er zunehmend schwerer ertrug, noch ungn diger gegen ber gestimmt.
Er verweilte lange im Eingangsbereich des Hauses, das mit einer Vergangenheit erf llt war, die nichts mit der Gegenwart zu tun hatte.
Um Zeit zu gewinnen.
Um ihn noch ein wenig hinauszuz gern, den Schmerz in einem fassungslosen Blick, der sich wie eine Sturzwelle ber den berbringer der Ungl cksmeldung ergie en w rde. Unvermeidlich.
Er hasste es, mit schlechten Nachrichten zu kommen.
Und der Tod war die schlimmste von allen.
Er stieg langsam eine von Armut dunkel gewordene, aber sauber gehaltene Treppe hinauf. Hohe Stufen, geschm ckt mit Weihnachtssternen, die in kleinen T pfen auf jedem Treppenabsatz standen.
Das T rschild war von Hand geschrieben worden.
Claudio Legnano und Marina Salomone.
Zwei Namen.
Zwei Leben, die in Stolz miteinander verbunden gewesen waren.
Ein klarer, eleganter Schriftzug, wie in fr heren Zeiten mit Tusche geschrieben. Sorgf ltig jedes Jahr ein paar Tage vor dem Fest erneuert.
Er l utete.
Wartete voller Unruhe und knetete sich nerv s die H nde.
Er war nur zuf llig zu diesem Mord hinzugekommen.
Als er gerade die Br cke bei der Gran Madre berquerte, hatte er einen entfernten Schrei geh rt, der vom Wind herbeigetragen worden war.
Zun chst hatte er nicht weiter darauf geachtet.
Er war damit besch ftigt gewesen, ber die endlose Liste mit Weihnachtsw nschen nachzugr beln, die ihm seine beiden unversch mten S hne ausgeh ndigt hatten.
"Wir wissen schon, dass du hoch verschuldet bist. Aber bist nicht du es gewesen, der uns die Unschuld genommen hat? Als du uns gesagt hast, dass es das Christkind gar nicht gibt?"
Dann hatte er die vielen Menschen gesehen, die sich um den winzigen K rper angesammelt hatten.
Eine d nne Stimme unterbrach seine Gedanken.
"Ich komme schon, ich komme schon!"
Die T r ffnete sich und das rosige Gesicht einer alten Frau erschien.
Wei e, kurz geschnittene Haare.
Ein fr hlicher, respektloser Blick.
Das L cheln wurde strahlender, als sie im Blick des Unbekannten das Staunen ber ihre Kleidung las.
"Wussten Sie nicht, junger Mann, dass ich S ngerin bin?"
Und sie l chelte weiter, als w rde dieser kokette Satz ausreichen, den Body in einem hellen Kornblumenblau zu erkl ren, der ihren vogelleichten K rper umschmiegte, und das um die H ften geschlungene und zu einer gro en Schleife gebundene, leuchtend rote Tuch.
"Kommen Sie, bleiben Sie doch nicht in der T r stehen, kommen Sie herein, es zieht hier berall."
Lupo gehorchte.
Als er den mit Schirmen voll gestellten Eingangsbereich durchquert hatte, umfing ihn das Schmachten eines Wiener Walzers und der kr ftige Geruch von Auberginen, die wohl im Ofen schmorten.
"Setzen Sie sich doch, setzen Sie sich doch. Sie wollten wahrscheinlich zu Claudio. Er ist wie immer zu sp t. Nie ist er p nktlich, nicht wahr? M chten Sie einen Kaffee? Wer wei , wen er heute schon wieder getroffen hat. Wir wollen nur hoffen, dass es keine Rothaarige ist, denn dann k nnte es sein, dass er Ihre Verabredung vergisst."
Der Commissario f hlte sich unbehaglich.
Es war sehr sauber, nirgendwo lag auch nur ein Staubk rnchen.
Eine abgenutzte Existenz, gleich einem ausgeblichenen Zimmer in einer Pension, gerade ausreichend zum berleben.
Doch eine Existenz voller W rde.
Und noch voller Hoffnungen.
Vielleicht sogar voller Pl ne.
Und er war hier, um sie in Tr mmer zu schlagen.
Aus einem Impuls heraus nahm er ihre H nde.
Und sie verstand auf einmal, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste.
"Keine Angst. Ich bin stark. Sagen Sie es mir. Bitte..."
Wie immer war Ferro von Lupo eingesch chtert.
Von seiner h flichen Art. Von seiner Unbek mmertheit und seiner schlampigen Kleidung. Von seiner anarchistischen Einstellung gegen ber dem Gesetz und den Vorgesetzten. Von seinem Ungehaltensein ber den B rokratismus, in den jede Ermittlung zwangsl ufig m ndete.
Lupo, der Wolf.
Richtige W lfe gingen in Rudeln auf Jagd.
Dieser jedoch nicht.
Dieser wollte alleine agieren.
Wollte niemanden um etwas bitten.
Ferro hatte versucht, ihn zu b ndigen.
Er hatte ihn gezwungen, mit den anderen zusammenzuarbeiten, im Team, mit der Truppe.
Doch mit ihnen zusammen hatte er sich als Null erwiesen.
Alleine aber konnte Lupo sich ohne extreme ngste im Labyrinth seiner Intuitionen und seiner Stimmungen bewegen. Und seinem Gewissen folgen.
Also hatte Ferro ihn aus den Reihen genommen.
Ein Commissario, der niemanden befehligte.
Der seine Kollegen gering sch tzte.
Aber doch der Einzige, den Ferro f r wirklich f hig hielt.
"M chten Sie einen Kaffee?"
"Nur, wenn Sie einen nehmen."
Da war es wieder, dieses Benehmen, das so gar nicht in ein Polizeipr sidium zu passen schien. So, als m sse nun er, Ferro pers nlich, der Pr sident dieses Pr sidiums, aufstehen und den Posten eines Polizisten einnehmen.
Er nahm das Telefon und orderte einen Kaffee. Dabei stellte er erstaunt fest, dass er freundlicher war als sonst.
"Sie stecken mich noch an, Lupo."
"Wie bitte?"
"Ach nichts. Sagen Sie mir lieber, wie Sie in diese Sache hineingeraten sind."
"Ich habe die Jungen zur Schule gebracht und dann das Auto bei der Esperia abgestellt. Wie jeden Tag."
"Sagen Sie nur, Sie nehmen auch bei Schnee das Boot!"
Lupo musste ber Ferros Erstaunen l cheln, was dessen Unbehagen noch vergr erte.
"Da ist er am sch nsten, der Po. Und schimmert wie ein Komet. Man muss sich nur etwas berziehen. Sie sollten es auch einmal versuchen."
"Ja, ja. Ich sehe mich schon dabei - aber was wollten Sie gerade sagen?"
"Nichts weiter. Ich bin zu Fu ber die Br cke gegangen, um dann die Stra enbahn zu nehmen, und da lag er, auf den Schienen, mit einer Kugel im Kopf. Mitten auf dem Platz. Ich habe Fersini angerufen und er hat zwei Streifenwagen vorbeigeschickt."
Der Questore nickte.
Mit den beiden Streifenwagen war aber auch Commissario Modica gekommen. Ein Kalabrese der empfindlichen Art, davon berzeugt, dass alle es immerzu nur auf ihn abgesehen hatten. Und der hatte ihm einen ziemlich entt uschenden Bericht auf den Schreibtisch gelegt.
"Haben Sie Modica getroffen, als Sie hierher gekommen sind?"
"Er ist drau en. Und hechelt wie ein Jagdhund, der hinter einer Maus her ist. Er wartet nur auf eine Gelegenheit, hereinkommen zu k nnen. Ich sch tze, er f ngt den Kaffee ab, um ihn uns pers nlich zu bringen."
"Sie m gen ihn nicht, stimmt's?"
"Oh, wenn es das ist: Sie m gen ihn auch nicht."
"Er macht seine Arbeit."
"Auch Henker tun ihre Arbeit."
Ferro seufzte.
Lupo hatte zwei Universit tsabschl sse und pflegte mit ironischem Unterton zu sagen: "Wer ohne Hoffnung ist, hat nur eine Wahl: Entweder er wird Priester oder er geht zu den Carabinieri."
Er hatte es dann aber vorgezogen, zur Polizei zu gehen.
Es klopfte.
Und Lupo l chelte wieder. Sein so h fliches L cheln. Das mehr ein inneres L cheln war, so als w rde er sich scheuen, andere an seinen Empfindungen teilhaben zu lassen.
"Ja bitte!"
Hinter dem Polizisten schob sich lautlos wie ein Schatten der massige K rper Modicas herein.
Er war klein, halslos, sein Haar gl nzte vor Brillantine. Den ma geschneiderten Zweireiher trug er mit offensichtlichem Unbehagen und seine Hosen schlugen ber den Slippern Falten.
Nur mit M he hielt der untere Knopf des Sakkos einen vorquellenden Bauch zur ck, der von allzu h ufigen Trattoriabesuchen zeugte.
"Dottore, entschuldigen Sie, aber es gibt Neuigkeiten. Ich h tte mir sonst nie erlaubt, das wissen Sie, aber..."
Er traf mit unfehlbarer Sicherheit immer diesen falschen, schmierigen und unterw rfigen Ton, der bei ihm zerknautscht wirkte wie seine Kleidung.
Die Augen huschten umher, damit ihm nicht das kleinste Anzeichen einer Ver nderung entginge, der er sich dann anpassen w rde wie ein Cham leon.
"Lassen Sie h ren."
"Der Schuss ist vom f nften Stock des Wohnhauses Piazza Vittorio Nr. 12 abgegeben worden. Das fragliche Dachzimmer, denn um ein solches handelt es sich bei dem Tatort, erweist sich als seit sechs Monaten unbewohnt. Keine Spuren eines Einbruchs an der T r. Zweifelsohne handelt es sich bei der Mordwaffe um ein Pr zisionsgewehr. Keine Fingerabdr cke. berall Staub, au er am Fenster und auf dem Durchgang zwischen diesem und der T r. Eine Strecke, die, wie ich hinzuf gen muss, mehrere Male begangen worden ist, nicht nur heute. Es ist gewisserma en so etwas wie ein richtiger Pfad zu erkennen. Das Verbrechen ist mit Sicherheit das Werk eines Profis, von langer Hand vorbereitet. Es wurde sogar das Stativ eines Fotoapparates gefunden. Wir vernehmen gerade die Hausbewohner. Doch bisher ohne Erfolg: Niemand hat etwas gesehen oder geh rt."
"Holen Sie mal Luft, Modica."
"Jawohl, Dottore."
Alle sahen ihn neugierig an.
Als handele es sich wirklich um einen Befehl, den er nun gewissenhaft ausf hren w rde.
Der Polizist, der bis dahin unbeweglich die Plastikbecher auf einem kleinen Tablett balanciert hatte, brach hoffnungsfroh das Schweigen: "Der Kaffee!"
"Wollen Sie auch einen?"
"Wie Sie m chten."
"Mir ist das v llig gleichg ltig, Modica. Wollen Sie nun einen oder nicht?"
Der Commissario sah Lupo misslaunig an, als sei der f r diese unerfreuliche Situation, f r diesen ungerechtfertigten Anfall von Zorn verantwortlich.
Schlie lich nickte Modica schwach.
"Danke."
"Danke, was?"
"Danke, ja."
"Na also."
"Ich will diesen Fall, Dottore. Ich habe auch eine Chance verdient."
"Warum sind dann Sie zu dieser Frau gegangen, um ihr die Nachricht zu berbringen, Lupo?"
Lupo straffte die Schultern.
Er sah zum Fenster hinaus.
Es schneite wieder in dicken Flocken, und die Stadt hatte ihre Ger usche verloren.
Zugedeckt von der wei glitzernden Stille.
Er dachte an den zusammengekr mmten K rper.
An die kleinen Flocken, die sich still auf der hageren, von Blut gezeichneten Wange niedergelassen hatten.
An das abgegriffene Portemonnaie, das beim Sturz aus der Tasche geglitten war.
An die k mmerlichen dreitausend Lire, die sich darin befunden hatten.
An das mit eleganter Schrift beschriebene K rtchen.
Marina Salomone, Via Bava 4
Wenn Claudio je meine Hilfe ben tigen sollte.
An die kleine Fotografie.
An das antike Frauengesicht.
An die Widmung auf der R ckseite.
Meine sch nsten 60 Jahre in Liebe. Mit dir.
Lupo seufzte.
"Ich habe gedacht, das sei besser. Modica hat nicht gen gend Geduld mit alten Leuten."
"Aber es w re seine Aufgabe gewesen."
"Geschehen ist geschehen."
"Was denken Sie von dem Ganzen?"
"Das war kein Profi. Profis schie en nicht daneben. Au erdem scheint es mir v llig idiotisch..."
"Was denn?"
"W rden Sie einen Killer anheuern, um einen Mann zu erschie en, dessen Leben ohnehin schon fast zu Ende ist?"
"Es k nnte gute Gr nde gegeben haben."
"Sicherlich nicht wegen des Geldes."
"Modica wird es herausfinden. Verbauen Sie ihm nicht den Weg."
"Soll das hei en, dass Sie jetzt mir den Weg verbauen?"
Der Questore nickte schweren Herzens.
Er wusste, dass Lupo sich korrekt verhalten w rde.
Aber er sah sich gezwungen, ihm diese Absage zu erteilen.
Und er konnte diesen anklagenden Blick, der von keiner Geste, keinem Murren, keinem Anzeichen von Groll begleitet wurde, kaum ertragen.
"Es tut mir Leid."
"Verstehe. Ich habe aber der Salomone versprochen, heute Abend noch einmal bei ihr vorbeizuschauen. Ich werde auf jeden Fall hingehen."
Ferro wurde bewusst, dass es Lupo nicht einfach um eine Verpflichtung ging, sondern um etwas sehr Pers nliches: Er hatte sein Wort gegeben.
Diese Frau hatte ihn in seinem Innersten ber hrt. Es war, als w rde er sich f r das verantwortlich f hlen, was er mit seinem Klopfen an ihre T r ausgel st hatte.
Er sch ttelte den Kopf.
Am n chsten Tag w rden die Zeitungen voll sein von einem Verbrechen, das die Menschen so wenige Tage vor Weihnachten durch seine grausame Absurdit t ersch ttern w rde.
Von ihm w rde man verlangen, so schnell wie m glich den Schuldigen zu finden.
Und das w rde er nicht k nnen.
Vielleicht steckte tats chlich kein Profi dahinter.
Vielleicht aber, und das war die Auffassung, zu der er pers nlich neigte, war es doch ein solcher, der nur die falsche Person get tet hatte.
Jedenfalls hatte dieser nicht die geringste Spur hinterlassen. Der einzige schmale Pfad f hrte zu eben jener alten Frau.
Lupo hatte Recht gehabt. Modicas derbe, unsensible Art h tte sie nur in Schweigen verharren lassen.
Er nickte, wobei ihm eine salomonische Idee durch den Kopf schoss, wie er die Bruchst cke dieses Mordfalls auf zynische Weise neu verteilen konnte.
Doch Lupo wehrte ab.
Er dr ckte die Hand, die ihm gereicht wurde und gab dem hintersinnigen Locken, das die Augen seines Vorgesetzten glitzern lie , nicht nach.
"Sie werden mich nicht mit ins Boot bekommen. Das gelingt Ihnen nicht. Es ist nicht meine Schuld, wenn Sie so wenig Vertrauen in Modica haben."
Lupo betrat in Gedanken versunken die Grabkammer.
Ein Raum ohne Licht.
Wo die Jahreszeiten wechseln konnten, ohne dass man es bemerkte. Bet ubt von jenem blassm den Gr n, das sich ber die W nde rankte wie kr nklicher Efeu.
Zwei Schreibtische, die einander gegen berstanden.
Ein alter, langsamer Computer, der unter Ged chtnisschwund litt und wehm tig mit seinen Programmen ratterte, sobald man irgendetwas von ihm verlangte.
Und De Mattia.
Der Einzige, der gl cklich war, in diesem d steren K mmerchen zu hausen, von dem er sich schon fast lustvoll einh llen lie : Fluchtst tte vor den anderen Leben, die er hasste.
Jenes mit einer massigen, m rrischen und z nkischen Ehefrau, die keine Kinder hatte geb ren k nnen.
Und jenes auf der Stra e, jenes der Ermittlungen, den Verh ren, wo Gef hle und Schw chen ihn erschreckten. Die entmutigten Menschen, die vom Schicksal oder von der Erb rmlichkeit ihrer eigenen Handlungen gezwungen waren, sich vor ihm zu entbl en.
Er hatte Angst vor ihnen.
Vor ihren Vergehen.
Vor der Verderbnis ihrer Worte.
"Er hat ihn dir weggenommen, nicht wahr?"
Lupo zuckte mit den Schultern.
"Ich hoffe, ja. Im letzten Moment war er noch versucht, mich zu berreden, irgendwie doch dabeizubleiben. Im Hintergrund. Wie ein Trottel auf Abruf."
"Aber du hast es ihm ausgeredet. Mit einer deiner kleinen H flichkeiten."
Lupo l chelte. Zum ersten Mal an diesem Tag.
Sie waren zwei, die nur ertragen wurden.
Und deshalb mochten sie sich.
Zwei schiefe T ne.
Die in ihrem Gleichklang miteinander verbunden waren und sich erg nzten.
Komplizen. Freunde.
Was der eine liebte, hasste der andere.
"Ich wei es nicht. Und du? Hast du deine geheimen Verbindungen wieder spielen lassen?"
De Mattia nickte mit Nachdruck. Befriedigt. Es gab Dinge, die nur er herausfinden konnte.
Seine riesigen, kurzsichtigen Augen leuchteten.
Er schob die immer kalte Pfeife von einem Mundwinkel in den anderen.
Mit einer wichtigen Bewegung lie er seine Brille, die er in die Stirn geschoben hatte, wieder auf die Nase rutschen.
Gewisserma en um zu bedeuten, dass das St ck nunmehr beginne.
"Claudio Legnano und Marina Salomone: Bis in die siebziger Jahre sind sie mindestens einmal im Monat festgenommen worden. Alle beide. Stammkunden sozusagen."
"Weswegen?"
"Oh, von allem ein bisschen: Schl gereien, Ruhest rung, Trunkenheit, Bel stigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Erregung ffentlichen rgernisses. Sie haben sogar einmal eine Prozession bei der Consolata-Kirche aufgel st."
"Wie das denn?"
"Sie haben Lungenst cke in die Menge geworfen und dann ein Dutzend halb verhungerte Katzen aus einem K fig gelassen. Kannst du dir das vorstellen?"
Ja, Lupo konnte es sich sehr gut vorstellen.
Mit einem Mal f hlte er etwas Schmerzliches in sich aufsteigen.
Ohne Grund.
Von Minute zu Minute wurde es st rker.
Nicht wegen etwas, das er tat oder nicht tat.
Es passierte ihm h ufig, dass er sich in einer pl tzlich aufwallenden Stimmung verlor. Einfach so, ohne dass er sich dessen gewahr wurde.
Sein Geist h rte auf zu arbeiten.
Sein Blick verlor sich in einem Fenster, das er nicht sah, in einem Himmel, einem Licht.
Die Ger usche erstarben in jenem Grau, das alles d mpfte.
Und seine Gedanken h rten auf zu denken.
Sie hielten an, blieben in der Luft h ngen wie Wolken in der Windstille. Ohne eine Form anzunehmen oder gr er zu werden oder sich aufzul sen.
Und dann verfiel er in tiefe Traurigkeit.
Die ihn so pl tzlich traf, dass er aus seiner Gedankenverlorenheit wieder auftauchte.
Als h tte seine Seele sich f r einen Moment von seinem K rper l sen m ssen, um sich selbst zu sehen. Um ihm mitzuteilen, dass etwas Wichtiges geschehen war.Auch wenn er es nicht bemerkt hatte.
Oh, wenn er wirklich w hlen k nnte, dann den gellenden Schrei einer unbekannten Frau, die sich ber den toten K rper ihres Kindes beugte.
Eine gr ssliche Vorstellung und gleichzeitig sehr entspannend.
Von der jene d stere Faszination ausging, die allein das Wissen zu vermitteln vermag, absolute Macht ber das Schicksal eines anderen Menschen zu haben.
Er l chelte.
Die Laune dieses seines Fingers am Abzug entschied ber das Leben eines Unbekannten, das v llig in seiner Hand lag.
Er nahm das Gewehr wieder hoch.
Sah durch das Zielfernrohr hinunter.
Und schoss.
Der Commissario putzte sich die Nase.
Lupo hatte eine b se Erk ltung, die ihn seit Tagen plagte. Und deshalb war er seinem Broterwerb, den er zunehmend schwerer ertrug, noch ungn diger gegen ber gestimmt.
Er verweilte lange im Eingangsbereich des Hauses, das mit einer Vergangenheit erf llt war, die nichts mit der Gegenwart zu tun hatte.
Um Zeit zu gewinnen.
Um ihn noch ein wenig hinauszuz gern, den Schmerz in einem fassungslosen Blick, der sich wie eine Sturzwelle ber den berbringer der Ungl cksmeldung ergie en w rde. Unvermeidlich.
Er hasste es, mit schlechten Nachrichten zu kommen.
Und der Tod war die schlimmste von allen.
Er stieg langsam eine von Armut dunkel gewordene, aber sauber gehaltene Treppe hinauf. Hohe Stufen, geschm ckt mit Weihnachtssternen, die in kleinen T pfen auf jedem Treppenabsatz standen.
Das T rschild war von Hand geschrieben worden.
Claudio Legnano und Marina Salomone.
Zwei Namen.
Zwei Leben, die in Stolz miteinander verbunden gewesen waren.
Ein klarer, eleganter Schriftzug, wie in fr heren Zeiten mit Tusche geschrieben. Sorgf ltig jedes Jahr ein paar Tage vor dem Fest erneuert.
Er l utete.
Wartete voller Unruhe und knetete sich nerv s die H nde.
Er war nur zuf llig zu diesem Mord hinzugekommen.
Als er gerade die Br cke bei der Gran Madre berquerte, hatte er einen entfernten Schrei geh rt, der vom Wind herbeigetragen worden war.
Zun chst hatte er nicht weiter darauf geachtet.
Er war damit besch ftigt gewesen, ber die endlose Liste mit Weihnachtsw nschen nachzugr beln, die ihm seine beiden unversch mten S hne ausgeh ndigt hatten.
"Wir wissen schon, dass du hoch verschuldet bist. Aber bist nicht du es gewesen, der uns die Unschuld genommen hat? Als du uns gesagt hast, dass es das Christkind gar nicht gibt?"
Dann hatte er die vielen Menschen gesehen, die sich um den winzigen K rper angesammelt hatten.
Eine d nne Stimme unterbrach seine Gedanken.
"Ich komme schon, ich komme schon!"
Die T r ffnete sich und das rosige Gesicht einer alten Frau erschien.
Wei e, kurz geschnittene Haare.
Ein fr hlicher, respektloser Blick.
Das L cheln wurde strahlender, als sie im Blick des Unbekannten das Staunen ber ihre Kleidung las.
"Wussten Sie nicht, junger Mann, dass ich S ngerin bin?"
Und sie l chelte weiter, als w rde dieser kokette Satz ausreichen, den Body in einem hellen Kornblumenblau zu erkl ren, der ihren vogelleichten K rper umschmiegte, und das um die H ften geschlungene und zu einer gro en Schleife gebundene, leuchtend rote Tuch.
"Kommen Sie, bleiben Sie doch nicht in der T r stehen, kommen Sie herein, es zieht hier berall."
Lupo gehorchte.
Als er den mit Schirmen voll gestellten Eingangsbereich durchquert hatte, umfing ihn das Schmachten eines Wiener Walzers und der kr ftige Geruch von Auberginen, die wohl im Ofen schmorten.
"Setzen Sie sich doch, setzen Sie sich doch. Sie wollten wahrscheinlich zu Claudio. Er ist wie immer zu sp t. Nie ist er p nktlich, nicht wahr? M chten Sie einen Kaffee? Wer wei , wen er heute schon wieder getroffen hat. Wir wollen nur hoffen, dass es keine Rothaarige ist, denn dann k nnte es sein, dass er Ihre Verabredung vergisst."
Der Commissario f hlte sich unbehaglich.
Es war sehr sauber, nirgendwo lag auch nur ein Staubk rnchen.
Eine abgenutzte Existenz, gleich einem ausgeblichenen Zimmer in einer Pension, gerade ausreichend zum berleben.
Doch eine Existenz voller W rde.
Und noch voller Hoffnungen.
Vielleicht sogar voller Pl ne.
Und er war hier, um sie in Tr mmer zu schlagen.
Aus einem Impuls heraus nahm er ihre H nde.
Und sie verstand auf einmal, dass etwas Furchtbares geschehen sein musste.
"Keine Angst. Ich bin stark. Sagen Sie es mir. Bitte..."
Wie immer war Ferro von Lupo eingesch chtert.
Von seiner h flichen Art. Von seiner Unbek mmertheit und seiner schlampigen Kleidung. Von seiner anarchistischen Einstellung gegen ber dem Gesetz und den Vorgesetzten. Von seinem Ungehaltensein ber den B rokratismus, in den jede Ermittlung zwangsl ufig m ndete.
Lupo, der Wolf.
Richtige W lfe gingen in Rudeln auf Jagd.
Dieser jedoch nicht.
Dieser wollte alleine agieren.
Wollte niemanden um etwas bitten.
Ferro hatte versucht, ihn zu b ndigen.
Er hatte ihn gezwungen, mit den anderen zusammenzuarbeiten, im Team, mit der Truppe.
Doch mit ihnen zusammen hatte er sich als Null erwiesen.
Alleine aber konnte Lupo sich ohne extreme ngste im Labyrinth seiner Intuitionen und seiner Stimmungen bewegen. Und seinem Gewissen folgen.
Also hatte Ferro ihn aus den Reihen genommen.
Ein Commissario, der niemanden befehligte.
Der seine Kollegen gering sch tzte.
Aber doch der Einzige, den Ferro f r wirklich f hig hielt.
"M chten Sie einen Kaffee?"
"Nur, wenn Sie einen nehmen."
Da war es wieder, dieses Benehmen, das so gar nicht in ein Polizeipr sidium zu passen schien. So, als m sse nun er, Ferro pers nlich, der Pr sident dieses Pr sidiums, aufstehen und den Posten eines Polizisten einnehmen.
Er nahm das Telefon und orderte einen Kaffee. Dabei stellte er erstaunt fest, dass er freundlicher war als sonst.
"Sie stecken mich noch an, Lupo."
"Wie bitte?"
"Ach nichts. Sagen Sie mir lieber, wie Sie in diese Sache hineingeraten sind."
"Ich habe die Jungen zur Schule gebracht und dann das Auto bei der Esperia abgestellt. Wie jeden Tag."
"Sagen Sie nur, Sie nehmen auch bei Schnee das Boot!"
Lupo musste ber Ferros Erstaunen l cheln, was dessen Unbehagen noch vergr erte.
"Da ist er am sch nsten, der Po. Und schimmert wie ein Komet. Man muss sich nur etwas berziehen. Sie sollten es auch einmal versuchen."
"Ja, ja. Ich sehe mich schon dabei - aber was wollten Sie gerade sagen?"
"Nichts weiter. Ich bin zu Fu ber die Br cke gegangen, um dann die Stra enbahn zu nehmen, und da lag er, auf den Schienen, mit einer Kugel im Kopf. Mitten auf dem Platz. Ich habe Fersini angerufen und er hat zwei Streifenwagen vorbeigeschickt."
Der Questore nickte.
Mit den beiden Streifenwagen war aber auch Commissario Modica gekommen. Ein Kalabrese der empfindlichen Art, davon berzeugt, dass alle es immerzu nur auf ihn abgesehen hatten. Und der hatte ihm einen ziemlich entt uschenden Bericht auf den Schreibtisch gelegt.
"Haben Sie Modica getroffen, als Sie hierher gekommen sind?"
"Er ist drau en. Und hechelt wie ein Jagdhund, der hinter einer Maus her ist. Er wartet nur auf eine Gelegenheit, hereinkommen zu k nnen. Ich sch tze, er f ngt den Kaffee ab, um ihn uns pers nlich zu bringen."
"Sie m gen ihn nicht, stimmt's?"
"Oh, wenn es das ist: Sie m gen ihn auch nicht."
"Er macht seine Arbeit."
"Auch Henker tun ihre Arbeit."
Ferro seufzte.
Lupo hatte zwei Universit tsabschl sse und pflegte mit ironischem Unterton zu sagen: "Wer ohne Hoffnung ist, hat nur eine Wahl: Entweder er wird Priester oder er geht zu den Carabinieri."
Er hatte es dann aber vorgezogen, zur Polizei zu gehen.
Es klopfte.
Und Lupo l chelte wieder. Sein so h fliches L cheln. Das mehr ein inneres L cheln war, so als w rde er sich scheuen, andere an seinen Empfindungen teilhaben zu lassen.
"Ja bitte!"
Hinter dem Polizisten schob sich lautlos wie ein Schatten der massige K rper Modicas herein.
Er war klein, halslos, sein Haar gl nzte vor Brillantine. Den ma geschneiderten Zweireiher trug er mit offensichtlichem Unbehagen und seine Hosen schlugen ber den Slippern Falten.
Nur mit M he hielt der untere Knopf des Sakkos einen vorquellenden Bauch zur ck, der von allzu h ufigen Trattoriabesuchen zeugte.
"Dottore, entschuldigen Sie, aber es gibt Neuigkeiten. Ich h tte mir sonst nie erlaubt, das wissen Sie, aber..."
Er traf mit unfehlbarer Sicherheit immer diesen falschen, schmierigen und unterw rfigen Ton, der bei ihm zerknautscht wirkte wie seine Kleidung.
Die Augen huschten umher, damit ihm nicht das kleinste Anzeichen einer Ver nderung entginge, der er sich dann anpassen w rde wie ein Cham leon.
"Lassen Sie h ren."
"Der Schuss ist vom f nften Stock des Wohnhauses Piazza Vittorio Nr. 12 abgegeben worden. Das fragliche Dachzimmer, denn um ein solches handelt es sich bei dem Tatort, erweist sich als seit sechs Monaten unbewohnt. Keine Spuren eines Einbruchs an der T r. Zweifelsohne handelt es sich bei der Mordwaffe um ein Pr zisionsgewehr. Keine Fingerabdr cke. berall Staub, au er am Fenster und auf dem Durchgang zwischen diesem und der T r. Eine Strecke, die, wie ich hinzuf gen muss, mehrere Male begangen worden ist, nicht nur heute. Es ist gewisserma en so etwas wie ein richtiger Pfad zu erkennen. Das Verbrechen ist mit Sicherheit das Werk eines Profis, von langer Hand vorbereitet. Es wurde sogar das Stativ eines Fotoapparates gefunden. Wir vernehmen gerade die Hausbewohner. Doch bisher ohne Erfolg: Niemand hat etwas gesehen oder geh rt."
"Holen Sie mal Luft, Modica."
"Jawohl, Dottore."
Alle sahen ihn neugierig an.
Als handele es sich wirklich um einen Befehl, den er nun gewissenhaft ausf hren w rde.
Der Polizist, der bis dahin unbeweglich die Plastikbecher auf einem kleinen Tablett balanciert hatte, brach hoffnungsfroh das Schweigen: "Der Kaffee!"
"Wollen Sie auch einen?"
"Wie Sie m chten."
"Mir ist das v llig gleichg ltig, Modica. Wollen Sie nun einen oder nicht?"
Der Commissario sah Lupo misslaunig an, als sei der f r diese unerfreuliche Situation, f r diesen ungerechtfertigten Anfall von Zorn verantwortlich.
Schlie lich nickte Modica schwach.
"Danke."
"Danke, was?"
"Danke, ja."
"Na also."
"Ich will diesen Fall, Dottore. Ich habe auch eine Chance verdient."
"Warum sind dann Sie zu dieser Frau gegangen, um ihr die Nachricht zu berbringen, Lupo?"
Lupo straffte die Schultern.
Er sah zum Fenster hinaus.
Es schneite wieder in dicken Flocken, und die Stadt hatte ihre Ger usche verloren.
Zugedeckt von der wei glitzernden Stille.
Er dachte an den zusammengekr mmten K rper.
An die kleinen Flocken, die sich still auf der hageren, von Blut gezeichneten Wange niedergelassen hatten.
An das abgegriffene Portemonnaie, das beim Sturz aus der Tasche geglitten war.
An die k mmerlichen dreitausend Lire, die sich darin befunden hatten.
An das mit eleganter Schrift beschriebene K rtchen.
Marina Salomone, Via Bava 4
Wenn Claudio je meine Hilfe ben tigen sollte.
An die kleine Fotografie.
An das antike Frauengesicht.
An die Widmung auf der R ckseite.
Meine sch nsten 60 Jahre in Liebe. Mit dir.
Lupo seufzte.
"Ich habe gedacht, das sei besser. Modica hat nicht gen gend Geduld mit alten Leuten."
"Aber es w re seine Aufgabe gewesen."
"Geschehen ist geschehen."
"Was denken Sie von dem Ganzen?"
"Das war kein Profi. Profis schie en nicht daneben. Au erdem scheint es mir v llig idiotisch..."
"Was denn?"
"W rden Sie einen Killer anheuern, um einen Mann zu erschie en, dessen Leben ohnehin schon fast zu Ende ist?"
"Es k nnte gute Gr nde gegeben haben."
"Sicherlich nicht wegen des Geldes."
"Modica wird es herausfinden. Verbauen Sie ihm nicht den Weg."
"Soll das hei en, dass Sie jetzt mir den Weg verbauen?"
Der Questore nickte schweren Herzens.
Er wusste, dass Lupo sich korrekt verhalten w rde.
Aber er sah sich gezwungen, ihm diese Absage zu erteilen.
Und er konnte diesen anklagenden Blick, der von keiner Geste, keinem Murren, keinem Anzeichen von Groll begleitet wurde, kaum ertragen.
"Es tut mir Leid."
"Verstehe. Ich habe aber der Salomone versprochen, heute Abend noch einmal bei ihr vorbeizuschauen. Ich werde auf jeden Fall hingehen."
Ferro wurde bewusst, dass es Lupo nicht einfach um eine Verpflichtung ging, sondern um etwas sehr Pers nliches: Er hatte sein Wort gegeben.
Diese Frau hatte ihn in seinem Innersten ber hrt. Es war, als w rde er sich f r das verantwortlich f hlen, was er mit seinem Klopfen an ihre T r ausgel st hatte.
Er sch ttelte den Kopf.
Am n chsten Tag w rden die Zeitungen voll sein von einem Verbrechen, das die Menschen so wenige Tage vor Weihnachten durch seine grausame Absurdit t ersch ttern w rde.
Von ihm w rde man verlangen, so schnell wie m glich den Schuldigen zu finden.
Und das w rde er nicht k nnen.
Vielleicht steckte tats chlich kein Profi dahinter.
Vielleicht aber, und das war die Auffassung, zu der er pers nlich neigte, war es doch ein solcher, der nur die falsche Person get tet hatte.
Jedenfalls hatte dieser nicht die geringste Spur hinterlassen. Der einzige schmale Pfad f hrte zu eben jener alten Frau.
Lupo hatte Recht gehabt. Modicas derbe, unsensible Art h tte sie nur in Schweigen verharren lassen.
Er nickte, wobei ihm eine salomonische Idee durch den Kopf schoss, wie er die Bruchst cke dieses Mordfalls auf zynische Weise neu verteilen konnte.
Doch Lupo wehrte ab.
Er dr ckte die Hand, die ihm gereicht wurde und gab dem hintersinnigen Locken, das die Augen seines Vorgesetzten glitzern lie , nicht nach.
"Sie werden mich nicht mit ins Boot bekommen. Das gelingt Ihnen nicht. Es ist nicht meine Schuld, wenn Sie so wenig Vertrauen in Modica haben."
Lupo betrat in Gedanken versunken die Grabkammer.
Ein Raum ohne Licht.
Wo die Jahreszeiten wechseln konnten, ohne dass man es bemerkte. Bet ubt von jenem blassm den Gr n, das sich ber die W nde rankte wie kr nklicher Efeu.
Zwei Schreibtische, die einander gegen berstanden.
Ein alter, langsamer Computer, der unter Ged chtnisschwund litt und wehm tig mit seinen Programmen ratterte, sobald man irgendetwas von ihm verlangte.
Und De Mattia.
Der Einzige, der gl cklich war, in diesem d steren K mmerchen zu hausen, von dem er sich schon fast lustvoll einh llen lie : Fluchtst tte vor den anderen Leben, die er hasste.
Jenes mit einer massigen, m rrischen und z nkischen Ehefrau, die keine Kinder hatte geb ren k nnen.
Und jenes auf der Stra e, jenes der Ermittlungen, den Verh ren, wo Gef hle und Schw chen ihn erschreckten. Die entmutigten Menschen, die vom Schicksal oder von der Erb rmlichkeit ihrer eigenen Handlungen gezwungen waren, sich vor ihm zu entbl en.
Er hatte Angst vor ihnen.
Vor ihren Vergehen.
Vor der Verderbnis ihrer Worte.
"Er hat ihn dir weggenommen, nicht wahr?"
Lupo zuckte mit den Schultern.
"Ich hoffe, ja. Im letzten Moment war er noch versucht, mich zu berreden, irgendwie doch dabeizubleiben. Im Hintergrund. Wie ein Trottel auf Abruf."
"Aber du hast es ihm ausgeredet. Mit einer deiner kleinen H flichkeiten."
Lupo l chelte. Zum ersten Mal an diesem Tag.
Sie waren zwei, die nur ertragen wurden.
Und deshalb mochten sie sich.
Zwei schiefe T ne.
Die in ihrem Gleichklang miteinander verbunden waren und sich erg nzten.
Komplizen. Freunde.
Was der eine liebte, hasste der andere.
"Ich wei es nicht. Und du? Hast du deine geheimen Verbindungen wieder spielen lassen?"
De Mattia nickte mit Nachdruck. Befriedigt. Es gab Dinge, die nur er herausfinden konnte.
Seine riesigen, kurzsichtigen Augen leuchteten.
Er schob die immer kalte Pfeife von einem Mundwinkel in den anderen.
Mit einer wichtigen Bewegung lie er seine Brille, die er in die Stirn geschoben hatte, wieder auf die Nase rutschen.
Gewisserma en um zu bedeuten, dass das St ck nunmehr beginne.
"Claudio Legnano und Marina Salomone: Bis in die siebziger Jahre sind sie mindestens einmal im Monat festgenommen worden. Alle beide. Stammkunden sozusagen."
"Weswegen?"
"Oh, von allem ein bisschen: Schl gereien, Ruhest rung, Trunkenheit, Bel stigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Erregung ffentlichen rgernisses. Sie haben sogar einmal eine Prozession bei der Consolata-Kirche aufgel st."
"Wie das denn?"
"Sie haben Lungenst cke in die Menge geworfen und dann ein Dutzend halb verhungerte Katzen aus einem K fig gelassen. Kannst du dir das vorstellen?"
Ja, Lupo konnte es sich sehr gut vorstellen.
Mit einem Mal f hlte er etwas Schmerzliches in sich aufsteigen.
Ohne Grund.
Von Minute zu Minute wurde es st rker.
Nicht wegen etwas, das er tat oder nicht tat.
Es passierte ihm h ufig, dass er sich in einer pl tzlich aufwallenden Stimmung verlor. Einfach so, ohne dass er sich dessen gewahr wurde.
Sein Geist h rte auf zu arbeiten.
Sein Blick verlor sich in einem Fenster, das er nicht sah, in einem Himmel, einem Licht.
Die Ger usche erstarben in jenem Grau, das alles d mpfte.
Und seine Gedanken h rten auf zu denken.
Sie hielten an, blieben in der Luft h ngen wie Wolken in der Windstille. Ohne eine Form anzunehmen oder gr er zu werden oder sich aufzul sen.
Und dann verfiel er in tiefe Traurigkeit.
Die ihn so pl tzlich traf, dass er aus seiner Gedankenverlorenheit wieder auftauchte.
Als h tte seine Seele sich f r einen Moment von seinem K rper l sen m ssen, um sich selbst zu sehen. Um ihm mitzuteilen, dass etwas Wichtiges geschehen war.Auch wenn er es nicht bemerkt hatte.
... weniger
Autoren-Porträt von Piero Soria
Piero Soria wurde 1944 in Turin geboren und arbeitet seit mehr als dreißig Jahren als Journalist bei der Tageszeitung "La Stampa".
Bibliographische Angaben
- Autor: Piero Soria
- 2002, 380 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Italien. v. Birgitta Höpken
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442453321
- ISBN-13: 9783442453320
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