Tutanchamun
Leben und Sterben des jungen Pharao
Die Wahrheit über die atemberaubenden Intrigen am Hofe des Pharaos und das Rätsel um den frühen Tod von Tutanchamun. 1922 wurde der Weltöffentlichkeit eine Sensation präsentiert: die unversehrte Grabkammer des jung verstorbenen Pharao mit seinen Schätzen....
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Produktinformationen zu „Tutanchamun “
Die Wahrheit über die atemberaubenden Intrigen am Hofe des Pharaos und das Rätsel um den frühen Tod von Tutanchamun. 1922 wurde der Weltöffentlichkeit eine Sensation präsentiert: die unversehrte Grabkammer des jung verstorbenen Pharao mit seinen Schätzen. Wer war dieser Gottkönig, der in unruhiger Zeit als Kind auf den Thron kam und unter ungeklärten Umständen starb? Ein fesselnder Forschungsbericht und "eine spannend zu lesende Geschichte aus dem Tal der Könige" dpa.
Lese-Probe zu „Tutanchamun “
VorwortDie Archäologie hat zwei sehr unterschiedliche Gesichter. Ihr öffentliches Gesicht ist aufregend und blendet mit abenteuerlichen Ausgrabungen und Funden von glitzernden Goldschätzen, wofür die Entdeckung des Grabes von Tutanchamun im Jahr 1922 geradezu ein Paradebeispiel ist. Ihr privates Gesicht ist weit weniger glanzvoll - es besteht aus zeitraubenden, peinlich genauen Untersuchungen oft winziger und scheinbar bedeutungsloser Bröckchen staubigen Materials im Hinterzimmer irgendeines kleinen Museums. Aber gerade in diesen Hinterzimmern werden oft die aufregendsten Entdeckungen gemacht. Denn was sagt uns schließlich die Entdeckung eines Grabes voller Gold? Dass der Bestattete ein reicher König war? Das wissen wir schon. Andererseits kann uns die gründliche Untersuchung kleiner Fundstücke nach dem Verebben der ersten Aufregung bislang unbekannte Einzelheiten über den Leichnam verraten. Archäologie erfordert geduldige Detektivarbeit; aber sie kann uns über die Toten Dinge enthüllen, von denen sie einst vielleicht selbst kaum wussten, als sie noch lebten.
Mich hat immer das private Gesicht der Archäologie fasziniert. Mein Interesse an diesem Gebiet erwachte durch Zufall, als ich sieben Jahre alt war und in Bolton in Nordengland lebte. Damals kam ich zum ersten Mal in eine Bücherei für Erwachsene und zog zufällig ein Buch über das alte Ägypten aus einem Regal. Ich tauchte in eine Welt ein, die mir noch magischer erschien als die der Märchen, denn sie war zwar exotisch, aber von wirklichen Menschen bewohnt. Ich betrachtete die Reproduktionen ihrer Wandbilder und Skulpturen, und die Welt des alten Ägypten zog mich in ihren Bann und verzauberte mich. Am Tag darauf überredete ich meinen Vater, mit mir ins Museum unserer Stadt zu gehen. Dort konnte ich nur durch ein fächerförmiges Fenster in einer Tür ein solches Wandbild erspähen, denn die Abteilung war noch nicht fertig. In den darauf folgenden Monaten verschlang ich alles über das Thema Ägypten, was ich zu
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fassen bekam, und brachte mir sogar selbst die Bedeutung der wichtigsten Hieroglyphen bei, sodass ich einige ohne fremde Hilfe entziffern konnte. Im Alter von neun Jahren wusste ich, was ich einmal werden wollte - Ägyptologin.
Zu den ersten Geschichten aus Ägypten, die ich mit sieben Jahren las, gehörte die vom "Kindkönig" Tutanchamun. Die Entdeckung seines Grabes und der atemberaubenden Schätze darin hatten weltweit Staunen und Bewunderung ausgelöst. Mich interessierte jedoch das private Gesicht Tutanchamuns mehr als die Grabbeigaben. Seine Geschichte war die eines Knaben, der etwa so alt war wie ich damals und der zum mächtigsten Herrscher der Welt geworden war - heute würde das der Wahl eines Kindes zum Präsidenten der Vereinigten Staaten entsprechen. Aber diese Geschichte steckte voller Geheimnisse. Das Grab verriet uns, dass Tutanchamun ein König war, und ein sehr reicher dazu. Aber wer war er darüber hinaus? Wer waren seine Eltern? Was für eine Kindheit hatte er gehabt? Wie mochte er sich gefühlt haben in dem Wissen, dass er alles haben konnte, was er wollte, und dass jeder in seiner Umgebung genau das tun würde, was er wünschte? Und wie konnte ein so junger Mann so plötzlich sterben? Ich las alle verfügbaren Bücher über ihn und versuchte, der Wahrheit auf den Grund zu kommen - wenn es in der Geschichte überhaupt so etwas wie Wahrheit gibt. Aber die Dinge, die ich wissen wollte, fand ich nicht. Offenbar wusste niemand, wer Tutanchamun wirklich war. Die Geschichten, die mir in den Büchern über ihn erzählt wurden, überzeugten mich ganz und gar nicht.
Ich war entschlossen, mehr herauszufinden. So wurde ich zur Detektivin, die die Tiefen der Zeit zu durchleuchten versuchte, und ich habe fast mein ganzes Leben damit verbracht, um zusammenzufügen, was ich fand. Manchmal beschäftigten mich monate- oder gar jahrelang Bereiche von Tutanchamuns Leben, die eine undurchdringliche Finsternis umgab, und dann tauchte ganz unerwartet, oft von völlig unvermuteter Seite her, ein winziges Stückchen neuer Information auf und warf ein wenig mehr Licht in das Dunkel.
Meine Suche nach dem wahren Tutanchamun lässt sich vielleicht mit der Suche nach dem Mörder in einem Fernsehkrimi vergleichen. Dort gibt es stets sehr auffällige "Spuren", die unweigerlich auf die falsche Fährte führen, und man zeigt anklagend mit dem Finger auf die falschen Leute. Dann erscheint der Kommissar auf der Bildfläche, nimmt scheinbar bedeutungslose Gegenstände und Tatsachen unter die Lupe und fängt an, Fragen über Dinge zu stellen, die nicht zusammenpassen; und allmählich beginnt sich eine andere Geschichte herauszuschälen - und als Zuschauer fragt man sich: "Warum habe ich das nicht selbst gesehen? Es liegt doch auf der Hand!" Als ich über Tutanchamun las und las, beschlich mich das Gefühl, dass aus dem Gefundenen viel zu voreilig Schlüsse gezogen worden waren. Schließlich war ein fast intaktes Grab gefunden worden - also mussten die Antworten doch darin zu finden sein, wenn auf die forensischen Zweige der verschiedenen Wissenschaften Verlass war. Einige Menschen, die vor 3500 Jahren lebten, hatten gemeinsam wohlüberlegt die Gegenstände ausgesucht und zusammengestellt, von denen sie dachten, sie seien für Tutanchamun am wichtigsten, und in den von ihnen gewählten Objekten mussten die Informationen stecken, die wir brauchten.
Fast zwanzig Jahre, nachdem ich mich in die Erforschung des alten Ägypten gestürzt hatte, führte mich mein Weg wieder ins Museum von Bolton zurück. Inzwischen war ich Studentin der Ägyptologie geworden und arbeitete als Praktikantin in Bolton, um praktische Erfahrung mit der Identifizierung von Fundstücken zu gewinnen. Natürlich gab es in Bolton nichts aus Tutanchamuns Grab zu untersuchen. Aber ich wollte mich behutsam an den Kindkönig herantasten. Wenn ich herausfinden wollte, wer Tutanchamun war, musste ich mehr über die Menschen herausfinden, die in seinem Umkreis lebten, zum Beispiel über seinen Vorgänger Echnaton.
Tutanchamun war mit sechs oder sieben Jahren auf den Thron gekommen, also musste er in der Mitte der Regierungszeit Echnatons geboren worden sein. Echnaton, den viele Gelehrte den "Ketzerkönig" nennen, zählt zu den charismatischsten, rätselhaftesten und faszinierendsten Persönlichkeiten der Geschichte. Um seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen, brach er mit jahrhundertealten Konventionen. Wie ein altägyptischer Hippie verließ er sein Zuhause und suchte sich einen eigenen Platz zum Leben, an dem er sich mit seinen Anhängern umgab. Er änderte jeden Aspekt des Lebens, den er ändern konnte, und lebte hinfort in Splendid isolation an dem Ort, den wir heute Tell el-Amarna nennen, etwa auf der Hälfte des Weges von Kairo nach Luxor gelegen. Zum Unglück für Ägypten und für die Geschichte war Echnaton zum König bestimmt. Wäre er ein normaler Sterblicher gewesen, vielleicht ein einflussreicher Mann der Religion, hätte die Nachwelt ihn wohlwollender betrachtet. Aber als König hatte er eine Verantwortung gegenüber seinem Land und seinem Volk, die er eindeutig vernachlässigte. Ob er das absichtlich tat, bleibt offen. Aber nach seiner Regierungszeit war Ägypten nie mehr das, was es vorher war. Und so wurde sein Nachfolger Tutanchamun mitten in eine Staatskrise hineingeboren.
Der einstige Standort von Tell el-Amarna ist, archäologisch gesprochen, eine Zeitkapsel. Die Stadt wurde im vierten Jahr der Regierungszeit Echnatons gegründet und war bewohnt, bis er dreizehn Jahre später starb. Inschriften bezeugen, dass Tutanchamun danach wahrscheinlich noch kurze Zeit dort lebte, dann wurde die Stadt verlassen. Höchstwahrscheinlich wurde Tutanchamun in Amarna geboren, verbrachte seine Kindheit dort und wurde auch noch dort zum König ernannt. In diesen Straßen hatte er einst gespielt. Welche Spuren konnte ich dort von ihm finden? Die Suche nach den Wurzeln Tutanchamuns veranlasste mich, Tell el-Amarna genauer zu erforschen.
Wo ehemals Tell el-Amarna lag, findet man heute eine leere, verlassene Wüstenebene vor. Sie ist aufgrund politischer Spannungen, verursacht durch den Auftrieb des islamischen Fundamentalismus in Ägypten in den letzten Jahren, für Touristen so gut wie unzugänglich. Rund zehn Jahre nach dem Tod Tutanchamuns riss ein unversöhnlicher Feind der alten Königsfamilie, der General und Oberbefehlshaber des ägyptischen Heeres Haremhab, den Thron an sich, vermutlich durch einen Militärputsch, und begann systematisch alle Erinnerungen an die gesamte Familie der mittleren 18. Dynastie zu vernichten. Haremhab und sein Freund und Nachfolger Paramses, der spätere Ramses I. der 19. Dynastie, nannten Echnaton von nun an den "großen Verbrecher". Im alten Ägypten war die Erinnerung an den Namen eines Menschen die Voraussetzung für seine Unsterblichkeit. Wurde sein Name nach 3000 Jahren noch genannt, dann hatte dieser Mensch praktisch Unsterblichkeit erlangt, tilgte man den Namen, so erlosch auch die Existenz seines Trägers. Die Ramessiden-Herrscher der 19. Dynastie versuchten alle Spuren Echnatons und seiner Nachfolger auszumerzen. Sie zerschmetterten Statuen, rissen Bauwerke ab und kratzten Namen aus. Nur Tutanchamun ist uns dank einer Fügung des Schicksals in seinem Grab erhalten geblieben.
Um den wahren Tutanchamun aufzuspüren, begann ich eine minutiöse Untersuchung der Funde aus Tell el-Amarna. Im Sommer 1976 saß ich an einem Tisch in den Tiefen des Museums von Bolton und hatte einen Berg Bruchstücke vor mir liegen, von dem muffig riechender Staub aufstieg. Zwischen diesen Tonscherben und Steinfragmenten, die eher den Eindruck machten, als wären sie auf einer Müllhalde aufgelesen worden, und dem Bild vom goldstrotzenden Ägypten, das mich als Kind fasziniert hatte, lagen Welten, und ich dachte - nicht zum ersten Mal - darüber nach, wie fremd doch die Welt war, die ich da betreten hatte. Ich nahm die nächste der vielen kleinen Terrakottaformen mit dem Abdruck einer Traube in die Hand. Sie war vor 3500 Jahren in einem viel heißeren Klima als dem von Lancashire zur Herstellung einer glasierten Wandkachel verwendet worden. Die damit gefertigte Kachel, die vielleicht an einer bemalten Palastwand angebracht wurde, war wahrscheinlich hinreißend schön. Aber das Modell selbst glich hundert anderen, die ich bereits studiert hatte. Meine Aufgabe bestand darin, jedes Stück genau zu untersuchen, zu messen und so zu beschreiben, dass in künftigen Jahren andere, die sich an diesen Tisch setzten, genau erkennen konnten, welches Stück ich jeweils katalogisiert hatte. Aber selbst der reiche Wortschatz der englischen Sprache hatte, wie ich seufzend feststellte, seine Grenzen.
Fast mechanisch nahm ich das nächste Stück in die Hand. Ich starrte es an: Es sah anders aus als die vorigen. Es war ein Stück Quarzit, ein rötlicher Stein, der zu den härtesten zählt, die in Ägypten verarbeitet wurden. Das Stück lag ganz unten in einer Transportkiste, die per Schiff vor fast fünfzig Jahren von Tell el-Amarna nach Bolton geschickt worden war. Provinzmuseen haben in der Regel zu wenig Personal und zu wenig Geld, und im vergangenen halben Jahrhundert war vor mir noch niemand dazu gekommen, die Kiste auch nur zu öffnen. Das Fragment war vielleicht ein Stück von einer zertrümmerten Mauer, denn es trug auf einer Seite eine Hieroglypheninschrift. Mir fiel auf, dass die Inschrift über eine andere, frühere gemeißelt worden war, die man absichtlich ausgekratzt hatte. Man nennt so etwas ein Palimpsest. Jetzt hatte ich endlich etwas Interessanteres in der Hand. Das Stück war nicht mit einem Etikett versehen, das Aufschluss darüber gab, wo oder wann man es gefunden hatte. Es war nur das erste von einem Haufen ähnlicher Stücke, die nun meiner Aufmerksamkeit harrten. Wie gewöhnlich wandte ich mich den Grabungsaufzeichnungen zu, um zu sehen, ob ich aus ihnen Genaueres entnehmen konnte.
Die Grabungsberichte aus Tell el-Amarna über die Jahre 1921 bis 1935 sind keineswegs so vollständig, wie man eigentlich annehmen sollte. Nicht ganz zu Unrecht sagt man, dass sich ein Archäologe von einem Grabräuber nur dadurch unterscheidet, dass er veröffentlicht, was er gefunden hat. An einem Grabungsort ist die Arbeit oft hektisch, besonders, wenn der Sand so viele Schätze birgt wie in Ägypten. Normalerweise zeichneten die Ägyptologen zuerst den Fundort eines jeden Stückes in Karten von der Grabungsstätte ein und reichten es dann zur Registrierung an andere weiter. Einzelne wichtige Stücke wurden vielleicht fotografiert, aber in den zwanziger und dreißiger Jahren war es eher üblich, dass sie von Helfern, die meist kaum dafür qualifiziert waren, von Hand kopiert wurden. (Das heißt, sie zeichneten das Objekt so genau wie möglich nach dem Augenschein.) Wurden an dieser Stelle irgendwelche Fehler gemacht, korrigierte man sie theoretisch bald danach. Hatte man die Stücke markiert und registriert, wurden sie in die Zentrale der Grabungsexpedition geschickt - in diesem Fall nach London -, wo man sie auf die vorgesehenen Museen und Sammler verteilte. In den Museen wurden sie, wiederum theoretisch, von einem lächelnden und entspannten Experten sofort ausgepackt, noch einmal untersucht und die Fehler korrigiert, die möglicherweise am Grabungsort gemacht worden waren.
In der Praxis funktionierte das natürlich selten so. Viel wahrscheinlicher war, dass die Kisten an einem Ort eintrafen, an dem der Zuständige gerade mit einer Ausstellung oder einer anderen dringenden Arbeit beschäftigt war. Die Kisten wurden dann routinemäßig im Tagebuch als "Gemischte Objekte" eingetragen, mit dem Namen des Grabungsortes beschriftet und zur Seite gestellt, bis sich schließlich jemand ihrer annahm. Manchmal konnte das, wie in diesem Fall, eine ganze Weile dauern! Gab es mit einem Stück Probleme, studierte man die Grabungsberichte. Für diese sehr speziellen Berichte ist der Markt jedoch begrenzt, und die Veröffentlichungskosten sind hoch, daher verzeichnete man oft nur den genauen Fundort der größeren Stücke. Den Rest fasste man in allgemeineren Angaben zusammen, wie etwa: "Haus 12, Räume A-F, gemischte Fragmente, darunter..." Der Experte, der zu Hause im Museum die Stücke untersuchte, studierte die Berichte, um zu sehen, ob er darin etwas über die Fragmente fand, die sein Museum erhalten hatte. Wenn ja, konnten sie als Zugang eingetragen werden - sie bekamen eine neue Museumsnummer, wurden bei Bedarf untersucht und dann für zukünftige Forschungszwecke der Sammlung eingegliedert. Bei kleinen Stücken, die im Bericht nicht erwähnt wurden, vergab man neue Nummern, bis man Zeit fand, sich die Grabungskarten selbst anzuschauen, in der Hoffnung, die genaue Fundstelle der Stücke ermitteln zu können. Das Ganze war ein langwieriger Vorgang, und es konnte Jahre dauern, bis die Arbeit abgeschlossen war.
Im Falle der Quarzitfragmente hatte ich Glück. Da einige von ihnen Palimpsest-Inschriften trugen, hatte man ihnen große Aufmerksamkeit geschenkt. Ich stellte fest, dass sie 1923 im Süden der Ebene von Tell el-Amarna entdeckt worden waren, an einem Ort, an dem einst ein Palast namens Maruaton gestanden hatte. Sie stammten von Gebäuden, die Archäologen damals "Sonnenschatten" nannten. Die Fragmente waren an Ort und Stelle von Hand kopiert worden, und die Beschriftung vermerkte auch die ursprüngliche Inschrift, die einmal unter der gestanden hatte, die heute auf den ersten Blick sichtbar war. Offenkundig waren die Stücke von beträchtlicher Bedeutung.
Aber mit diesen Steinfragmenten hatte es noch etwas anderes, etwas Außergewöhnliches auf sich, wie ich feststellte, als ich mich der Verteilerliste zuwandte - diese Stücke sollten überhaupt nicht hier sein! Nach der Liste waren sie 1923 Boston in den Vereinigten Staaten zugeteilt worden! Es war nicht das erste Mal, dass so etwas vorkam. Die Stücke wurden verteilt, die Verteilerliste getippt, und dann tippte jemand auf den Addressaufkleber für die Transportkiste ein "l" anstelle eines "s" - und prompt landete die Kiste in Bolton statt in Boston - und das bedeutet, dass jeder, der in den letzten fünfzig Jahren diese Stücke untersuchen wollte, Kontakt mit Boston aufgenommen hatte, wo sie natürlich nicht zu finden waren! Durch eine Laune des Schicksals hatten sich diese Funde anscheinend in Luft aufgelöst. Wer hätte
ahnen können, dass sie sich auf dem Boden einer Kiste im Keller eines kleinen Provinzmuseums in Lancashire verbargen?
Jetzt war ich aufgeregt und dachte, so ähnlich müsse sich Howard Carter gefühlt haben, als er 1922 den ersten Schlag gegen den zugemauerten Eingang des Grabes von Tutanchamun geführt hatte. Würde ich etwas von Bedeutung finden - oder nur Altbekanntes? Dies war das fesselnde private Gesicht der Archäologie. Als ich das Stück schräg unter das Licht einer starken Lampe hielt und die Inschriften las, durchlief mich eine Welle der Erregung. Die Inschriften waren falsch gelesen und falsch veröffentlicht worden: Sie hießen nicht das, was sie nach den Grabungsberichten heißen sollten. Durch einen außerordentlichen Zufall rutschten Teile des Puzzles, das ich zusammengesetzt hatte, nun an den richtigen Platz, und zum ersten Mal sah ich die Umrisse des wahren Tutanchamun Gestalt annehmen.
An jenem Nachmittag ging ich nicht nach Hause: Ich schwebte auf Wolken. Ich fühlte mich, als müsse man mir meine Entdeckung irgendwie ansehen, als müssten die Menschen auf mich zukommen und mich beglückwünschen. Natürlich geschah nichts dergleichen; für die Vorübereilenden war ich ein anonymer Mensch wie alle anderen. Aber innerlich jubelte ich, denn all meine Kindheitsträume hatten sich erfüllt. Für mich hatte sich fraglos das private Gesicht der Archäologie als aufregender erwiesen als das öffentliche, und in diesem Moment hätte ich nicht einmal für eine Sekunde mit Howard Carter tauschen wollen.
Teil Eins
DER ARCHÄOLOGISCHE TUTANCHAMUN
EinleitungDas alte Ägypten ist zeitlich ein sehr fernes Land. Aber die seit dem Ende der dynastischen Ära vergangene Zeit ließ das, was von ihr geblieben ist, nahezu unberührt. Die Denkmäler des damaligen Volkes, die in leuchtenden Farben ausgemalten Gräber und die honiggelben Tempel locken täglich Besucher in diese alte Welt, als sei sie noch lebendig. Die von den Archäologen entdeckten Zeugnisse der Vergangenheit sind in anderen Ländern oft fragmentarisch und oft nur Fachleuten zugänglich, aber in Ägypten hat das warme, trockene Klima alles mehr oder minder intakt erhalten.
Zu den ersten Geschichten aus Ägypten, die ich mit sieben Jahren las, gehörte die vom "Kindkönig" Tutanchamun. Die Entdeckung seines Grabes und der atemberaubenden Schätze darin hatten weltweit Staunen und Bewunderung ausgelöst. Mich interessierte jedoch das private Gesicht Tutanchamuns mehr als die Grabbeigaben. Seine Geschichte war die eines Knaben, der etwa so alt war wie ich damals und der zum mächtigsten Herrscher der Welt geworden war - heute würde das der Wahl eines Kindes zum Präsidenten der Vereinigten Staaten entsprechen. Aber diese Geschichte steckte voller Geheimnisse. Das Grab verriet uns, dass Tutanchamun ein König war, und ein sehr reicher dazu. Aber wer war er darüber hinaus? Wer waren seine Eltern? Was für eine Kindheit hatte er gehabt? Wie mochte er sich gefühlt haben in dem Wissen, dass er alles haben konnte, was er wollte, und dass jeder in seiner Umgebung genau das tun würde, was er wünschte? Und wie konnte ein so junger Mann so plötzlich sterben? Ich las alle verfügbaren Bücher über ihn und versuchte, der Wahrheit auf den Grund zu kommen - wenn es in der Geschichte überhaupt so etwas wie Wahrheit gibt. Aber die Dinge, die ich wissen wollte, fand ich nicht. Offenbar wusste niemand, wer Tutanchamun wirklich war. Die Geschichten, die mir in den Büchern über ihn erzählt wurden, überzeugten mich ganz und gar nicht.
Ich war entschlossen, mehr herauszufinden. So wurde ich zur Detektivin, die die Tiefen der Zeit zu durchleuchten versuchte, und ich habe fast mein ganzes Leben damit verbracht, um zusammenzufügen, was ich fand. Manchmal beschäftigten mich monate- oder gar jahrelang Bereiche von Tutanchamuns Leben, die eine undurchdringliche Finsternis umgab, und dann tauchte ganz unerwartet, oft von völlig unvermuteter Seite her, ein winziges Stückchen neuer Information auf und warf ein wenig mehr Licht in das Dunkel.
Meine Suche nach dem wahren Tutanchamun lässt sich vielleicht mit der Suche nach dem Mörder in einem Fernsehkrimi vergleichen. Dort gibt es stets sehr auffällige "Spuren", die unweigerlich auf die falsche Fährte führen, und man zeigt anklagend mit dem Finger auf die falschen Leute. Dann erscheint der Kommissar auf der Bildfläche, nimmt scheinbar bedeutungslose Gegenstände und Tatsachen unter die Lupe und fängt an, Fragen über Dinge zu stellen, die nicht zusammenpassen; und allmählich beginnt sich eine andere Geschichte herauszuschälen - und als Zuschauer fragt man sich: "Warum habe ich das nicht selbst gesehen? Es liegt doch auf der Hand!" Als ich über Tutanchamun las und las, beschlich mich das Gefühl, dass aus dem Gefundenen viel zu voreilig Schlüsse gezogen worden waren. Schließlich war ein fast intaktes Grab gefunden worden - also mussten die Antworten doch darin zu finden sein, wenn auf die forensischen Zweige der verschiedenen Wissenschaften Verlass war. Einige Menschen, die vor 3500 Jahren lebten, hatten gemeinsam wohlüberlegt die Gegenstände ausgesucht und zusammengestellt, von denen sie dachten, sie seien für Tutanchamun am wichtigsten, und in den von ihnen gewählten Objekten mussten die Informationen stecken, die wir brauchten.
Fast zwanzig Jahre, nachdem ich mich in die Erforschung des alten Ägypten gestürzt hatte, führte mich mein Weg wieder ins Museum von Bolton zurück. Inzwischen war ich Studentin der Ägyptologie geworden und arbeitete als Praktikantin in Bolton, um praktische Erfahrung mit der Identifizierung von Fundstücken zu gewinnen. Natürlich gab es in Bolton nichts aus Tutanchamuns Grab zu untersuchen. Aber ich wollte mich behutsam an den Kindkönig herantasten. Wenn ich herausfinden wollte, wer Tutanchamun war, musste ich mehr über die Menschen herausfinden, die in seinem Umkreis lebten, zum Beispiel über seinen Vorgänger Echnaton.
Tutanchamun war mit sechs oder sieben Jahren auf den Thron gekommen, also musste er in der Mitte der Regierungszeit Echnatons geboren worden sein. Echnaton, den viele Gelehrte den "Ketzerkönig" nennen, zählt zu den charismatischsten, rätselhaftesten und faszinierendsten Persönlichkeiten der Geschichte. Um seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen, brach er mit jahrhundertealten Konventionen. Wie ein altägyptischer Hippie verließ er sein Zuhause und suchte sich einen eigenen Platz zum Leben, an dem er sich mit seinen Anhängern umgab. Er änderte jeden Aspekt des Lebens, den er ändern konnte, und lebte hinfort in Splendid isolation an dem Ort, den wir heute Tell el-Amarna nennen, etwa auf der Hälfte des Weges von Kairo nach Luxor gelegen. Zum Unglück für Ägypten und für die Geschichte war Echnaton zum König bestimmt. Wäre er ein normaler Sterblicher gewesen, vielleicht ein einflussreicher Mann der Religion, hätte die Nachwelt ihn wohlwollender betrachtet. Aber als König hatte er eine Verantwortung gegenüber seinem Land und seinem Volk, die er eindeutig vernachlässigte. Ob er das absichtlich tat, bleibt offen. Aber nach seiner Regierungszeit war Ägypten nie mehr das, was es vorher war. Und so wurde sein Nachfolger Tutanchamun mitten in eine Staatskrise hineingeboren.
Der einstige Standort von Tell el-Amarna ist, archäologisch gesprochen, eine Zeitkapsel. Die Stadt wurde im vierten Jahr der Regierungszeit Echnatons gegründet und war bewohnt, bis er dreizehn Jahre später starb. Inschriften bezeugen, dass Tutanchamun danach wahrscheinlich noch kurze Zeit dort lebte, dann wurde die Stadt verlassen. Höchstwahrscheinlich wurde Tutanchamun in Amarna geboren, verbrachte seine Kindheit dort und wurde auch noch dort zum König ernannt. In diesen Straßen hatte er einst gespielt. Welche Spuren konnte ich dort von ihm finden? Die Suche nach den Wurzeln Tutanchamuns veranlasste mich, Tell el-Amarna genauer zu erforschen.
Wo ehemals Tell el-Amarna lag, findet man heute eine leere, verlassene Wüstenebene vor. Sie ist aufgrund politischer Spannungen, verursacht durch den Auftrieb des islamischen Fundamentalismus in Ägypten in den letzten Jahren, für Touristen so gut wie unzugänglich. Rund zehn Jahre nach dem Tod Tutanchamuns riss ein unversöhnlicher Feind der alten Königsfamilie, der General und Oberbefehlshaber des ägyptischen Heeres Haremhab, den Thron an sich, vermutlich durch einen Militärputsch, und begann systematisch alle Erinnerungen an die gesamte Familie der mittleren 18. Dynastie zu vernichten. Haremhab und sein Freund und Nachfolger Paramses, der spätere Ramses I. der 19. Dynastie, nannten Echnaton von nun an den "großen Verbrecher". Im alten Ägypten war die Erinnerung an den Namen eines Menschen die Voraussetzung für seine Unsterblichkeit. Wurde sein Name nach 3000 Jahren noch genannt, dann hatte dieser Mensch praktisch Unsterblichkeit erlangt, tilgte man den Namen, so erlosch auch die Existenz seines Trägers. Die Ramessiden-Herrscher der 19. Dynastie versuchten alle Spuren Echnatons und seiner Nachfolger auszumerzen. Sie zerschmetterten Statuen, rissen Bauwerke ab und kratzten Namen aus. Nur Tutanchamun ist uns dank einer Fügung des Schicksals in seinem Grab erhalten geblieben.
Um den wahren Tutanchamun aufzuspüren, begann ich eine minutiöse Untersuchung der Funde aus Tell el-Amarna. Im Sommer 1976 saß ich an einem Tisch in den Tiefen des Museums von Bolton und hatte einen Berg Bruchstücke vor mir liegen, von dem muffig riechender Staub aufstieg. Zwischen diesen Tonscherben und Steinfragmenten, die eher den Eindruck machten, als wären sie auf einer Müllhalde aufgelesen worden, und dem Bild vom goldstrotzenden Ägypten, das mich als Kind fasziniert hatte, lagen Welten, und ich dachte - nicht zum ersten Mal - darüber nach, wie fremd doch die Welt war, die ich da betreten hatte. Ich nahm die nächste der vielen kleinen Terrakottaformen mit dem Abdruck einer Traube in die Hand. Sie war vor 3500 Jahren in einem viel heißeren Klima als dem von Lancashire zur Herstellung einer glasierten Wandkachel verwendet worden. Die damit gefertigte Kachel, die vielleicht an einer bemalten Palastwand angebracht wurde, war wahrscheinlich hinreißend schön. Aber das Modell selbst glich hundert anderen, die ich bereits studiert hatte. Meine Aufgabe bestand darin, jedes Stück genau zu untersuchen, zu messen und so zu beschreiben, dass in künftigen Jahren andere, die sich an diesen Tisch setzten, genau erkennen konnten, welches Stück ich jeweils katalogisiert hatte. Aber selbst der reiche Wortschatz der englischen Sprache hatte, wie ich seufzend feststellte, seine Grenzen.
Fast mechanisch nahm ich das nächste Stück in die Hand. Ich starrte es an: Es sah anders aus als die vorigen. Es war ein Stück Quarzit, ein rötlicher Stein, der zu den härtesten zählt, die in Ägypten verarbeitet wurden. Das Stück lag ganz unten in einer Transportkiste, die per Schiff vor fast fünfzig Jahren von Tell el-Amarna nach Bolton geschickt worden war. Provinzmuseen haben in der Regel zu wenig Personal und zu wenig Geld, und im vergangenen halben Jahrhundert war vor mir noch niemand dazu gekommen, die Kiste auch nur zu öffnen. Das Fragment war vielleicht ein Stück von einer zertrümmerten Mauer, denn es trug auf einer Seite eine Hieroglypheninschrift. Mir fiel auf, dass die Inschrift über eine andere, frühere gemeißelt worden war, die man absichtlich ausgekratzt hatte. Man nennt so etwas ein Palimpsest. Jetzt hatte ich endlich etwas Interessanteres in der Hand. Das Stück war nicht mit einem Etikett versehen, das Aufschluss darüber gab, wo oder wann man es gefunden hatte. Es war nur das erste von einem Haufen ähnlicher Stücke, die nun meiner Aufmerksamkeit harrten. Wie gewöhnlich wandte ich mich den Grabungsaufzeichnungen zu, um zu sehen, ob ich aus ihnen Genaueres entnehmen konnte.
Die Grabungsberichte aus Tell el-Amarna über die Jahre 1921 bis 1935 sind keineswegs so vollständig, wie man eigentlich annehmen sollte. Nicht ganz zu Unrecht sagt man, dass sich ein Archäologe von einem Grabräuber nur dadurch unterscheidet, dass er veröffentlicht, was er gefunden hat. An einem Grabungsort ist die Arbeit oft hektisch, besonders, wenn der Sand so viele Schätze birgt wie in Ägypten. Normalerweise zeichneten die Ägyptologen zuerst den Fundort eines jeden Stückes in Karten von der Grabungsstätte ein und reichten es dann zur Registrierung an andere weiter. Einzelne wichtige Stücke wurden vielleicht fotografiert, aber in den zwanziger und dreißiger Jahren war es eher üblich, dass sie von Helfern, die meist kaum dafür qualifiziert waren, von Hand kopiert wurden. (Das heißt, sie zeichneten das Objekt so genau wie möglich nach dem Augenschein.) Wurden an dieser Stelle irgendwelche Fehler gemacht, korrigierte man sie theoretisch bald danach. Hatte man die Stücke markiert und registriert, wurden sie in die Zentrale der Grabungsexpedition geschickt - in diesem Fall nach London -, wo man sie auf die vorgesehenen Museen und Sammler verteilte. In den Museen wurden sie, wiederum theoretisch, von einem lächelnden und entspannten Experten sofort ausgepackt, noch einmal untersucht und die Fehler korrigiert, die möglicherweise am Grabungsort gemacht worden waren.
In der Praxis funktionierte das natürlich selten so. Viel wahrscheinlicher war, dass die Kisten an einem Ort eintrafen, an dem der Zuständige gerade mit einer Ausstellung oder einer anderen dringenden Arbeit beschäftigt war. Die Kisten wurden dann routinemäßig im Tagebuch als "Gemischte Objekte" eingetragen, mit dem Namen des Grabungsortes beschriftet und zur Seite gestellt, bis sich schließlich jemand ihrer annahm. Manchmal konnte das, wie in diesem Fall, eine ganze Weile dauern! Gab es mit einem Stück Probleme, studierte man die Grabungsberichte. Für diese sehr speziellen Berichte ist der Markt jedoch begrenzt, und die Veröffentlichungskosten sind hoch, daher verzeichnete man oft nur den genauen Fundort der größeren Stücke. Den Rest fasste man in allgemeineren Angaben zusammen, wie etwa: "Haus 12, Räume A-F, gemischte Fragmente, darunter..." Der Experte, der zu Hause im Museum die Stücke untersuchte, studierte die Berichte, um zu sehen, ob er darin etwas über die Fragmente fand, die sein Museum erhalten hatte. Wenn ja, konnten sie als Zugang eingetragen werden - sie bekamen eine neue Museumsnummer, wurden bei Bedarf untersucht und dann für zukünftige Forschungszwecke der Sammlung eingegliedert. Bei kleinen Stücken, die im Bericht nicht erwähnt wurden, vergab man neue Nummern, bis man Zeit fand, sich die Grabungskarten selbst anzuschauen, in der Hoffnung, die genaue Fundstelle der Stücke ermitteln zu können. Das Ganze war ein langwieriger Vorgang, und es konnte Jahre dauern, bis die Arbeit abgeschlossen war.
Im Falle der Quarzitfragmente hatte ich Glück. Da einige von ihnen Palimpsest-Inschriften trugen, hatte man ihnen große Aufmerksamkeit geschenkt. Ich stellte fest, dass sie 1923 im Süden der Ebene von Tell el-Amarna entdeckt worden waren, an einem Ort, an dem einst ein Palast namens Maruaton gestanden hatte. Sie stammten von Gebäuden, die Archäologen damals "Sonnenschatten" nannten. Die Fragmente waren an Ort und Stelle von Hand kopiert worden, und die Beschriftung vermerkte auch die ursprüngliche Inschrift, die einmal unter der gestanden hatte, die heute auf den ersten Blick sichtbar war. Offenkundig waren die Stücke von beträchtlicher Bedeutung.
Aber mit diesen Steinfragmenten hatte es noch etwas anderes, etwas Außergewöhnliches auf sich, wie ich feststellte, als ich mich der Verteilerliste zuwandte - diese Stücke sollten überhaupt nicht hier sein! Nach der Liste waren sie 1923 Boston in den Vereinigten Staaten zugeteilt worden! Es war nicht das erste Mal, dass so etwas vorkam. Die Stücke wurden verteilt, die Verteilerliste getippt, und dann tippte jemand auf den Addressaufkleber für die Transportkiste ein "l" anstelle eines "s" - und prompt landete die Kiste in Bolton statt in Boston - und das bedeutet, dass jeder, der in den letzten fünfzig Jahren diese Stücke untersuchen wollte, Kontakt mit Boston aufgenommen hatte, wo sie natürlich nicht zu finden waren! Durch eine Laune des Schicksals hatten sich diese Funde anscheinend in Luft aufgelöst. Wer hätte
ahnen können, dass sie sich auf dem Boden einer Kiste im Keller eines kleinen Provinzmuseums in Lancashire verbargen?
Jetzt war ich aufgeregt und dachte, so ähnlich müsse sich Howard Carter gefühlt haben, als er 1922 den ersten Schlag gegen den zugemauerten Eingang des Grabes von Tutanchamun geführt hatte. Würde ich etwas von Bedeutung finden - oder nur Altbekanntes? Dies war das fesselnde private Gesicht der Archäologie. Als ich das Stück schräg unter das Licht einer starken Lampe hielt und die Inschriften las, durchlief mich eine Welle der Erregung. Die Inschriften waren falsch gelesen und falsch veröffentlicht worden: Sie hießen nicht das, was sie nach den Grabungsberichten heißen sollten. Durch einen außerordentlichen Zufall rutschten Teile des Puzzles, das ich zusammengesetzt hatte, nun an den richtigen Platz, und zum ersten Mal sah ich die Umrisse des wahren Tutanchamun Gestalt annehmen.
An jenem Nachmittag ging ich nicht nach Hause: Ich schwebte auf Wolken. Ich fühlte mich, als müsse man mir meine Entdeckung irgendwie ansehen, als müssten die Menschen auf mich zukommen und mich beglückwünschen. Natürlich geschah nichts dergleichen; für die Vorübereilenden war ich ein anonymer Mensch wie alle anderen. Aber innerlich jubelte ich, denn all meine Kindheitsträume hatten sich erfüllt. Für mich hatte sich fraglos das private Gesicht der Archäologie als aufregender erwiesen als das öffentliche, und in diesem Moment hätte ich nicht einmal für eine Sekunde mit Howard Carter tauschen wollen.
Teil Eins
DER ARCHÄOLOGISCHE TUTANCHAMUN
EinleitungDas alte Ägypten ist zeitlich ein sehr fernes Land. Aber die seit dem Ende der dynastischen Ära vergangene Zeit ließ das, was von ihr geblieben ist, nahezu unberührt. Die Denkmäler des damaligen Volkes, die in leuchtenden Farben ausgemalten Gräber und die honiggelben Tempel locken täglich Besucher in diese alte Welt, als sei sie noch lebendig. Die von den Archäologen entdeckten Zeugnisse der Vergangenheit sind in anderen Ländern oft fragmentarisch und oft nur Fachleuten zugänglich, aber in Ägypten hat das warme, trockene Klima alles mehr oder minder intakt erhalten.
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Autoren-Porträt von Christine El Mahdy
Christine El Mahdy arbeitete in den ägyptischen Abteilungen des Bolton Museum in Lancashire und des Liverpool University Museum, bevor sie 1988 die Egyptian Society gründete.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christine El Mahdy
- 2004, 446 Seiten, 16 farbige Abbildungen, Maße: 12,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Christa Broermann
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442152607
- ISBN-13: 9783442152605
Rezension zu „Tutanchamun “
»Spannend wie ein Krimi und voller Geheimnisse war das Leben des berühmtesten ägyptischen Pharaos.«
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