Überschreiten Sie diese Grenze!
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- Kultur- die Globalisierung und - das Kräftemessen zwischen islamischer und westlicher Welt. Stets bleibt der weltbekannte Autor seinem Einsatz für die Freiheit der Kunst treu. Mehrere, bislang unveröffentlichte Schriften, geben zudem Auskunft über Rushdies langjähriges Leben im Untergrund.
ÜberschreitenSie diese Grenze von SalmanRushdie
LESEPROBE
Angela Carter
(Zuerst erschienen als Einleitung zu BurningYour Boats, den gesammelten Kurzgeschichten von Angela Carter)
Als ich Angela Carter einige Wochen vor ihrem Tod zumletzten Mal besuchte, hatte sie trotz ihrer starken Schmerzen darauf bestanden,sich für den Tee anzukleiden. Mit wachen Augen, hoch aufgerichtet, den Kopf wieein Papagei schief gelegt, die Lippen ironisch geschürzt, saß sie da undwidmete sich hingebungsvoll dem, was man bei einer richtigen Teestunde eben sotut, nämlich die neuesten Bosheiten anzuhören und ebensolche auszuteilen:bissig, scharfzüngig, leidenschaftlich. Kompromisslos offen zu sein warcharakteristisch für sie; als ich einmal am Ende einer Beziehung angelangtwar, die sie missbilligt hatte, rief sie mich an und sagte: «Nun ja. Von heutean werden Sie wohl wieder eine ganze Menge mehr von mir zu sehen kriegen.»Zugleich gehörte es für sie zu den Regeln der Höflichkeit und der vornehmenZurückhaltung, beim Nachmittagstee ein tödliches Leiden zu kaschieren.
Der Tod machte Angela wirklich wütend, aber sie hatte einen Trost:Kurz bevor der Krebs zuschlug, hatte sie eine, wie sie sagte, «immense»Lebensversicherung abgeschlossen. Die Aussicht, dass ihre Versicherer gezwungensein würden, nach so wenigen Prämienzahlungen «ihren Jungs» (ihrem Mann Markund ihrem Sohn Alexander) ein Vermögen auszuzahlen, bereitete ihr großes Vergnügenund inspirierte sie zu einer ausführlichen, schadenfrohen Arie nach Art derschwarzen Komödie, über die nicht zu lachen völlig unmöglich war.
Sie plante ihre Beerdigung sorgfältig. Ich erhielt die Anweisung,Marvells Gedicht «On a Drop of Dew» zu lesen. Das war eine Überraschung. DieAngela, die ich kannte, war stets eine auf skatologische Weise unreligiöse,fröhlich gottlose Frau gewesen; nun aber wünschte sie, dass an ihrem Sargausgerechnet Marvells Meditation über die unsterbliche Seele - «that Drop,That Ray/0f the clean Fountain of Eternal Day» - gesprochenwurde. Was war das - ein letzter, surrealer Scherz der SorteGott-sei-Dank-sterbe-ich-als-Atheist oder eine Verneigung vor derhochsymbolischen Sprache des Metaphysikers Marvell, von einerSchriftstellerin, deren bevorzugte Sprache ebenfalls erhaben und voller Symbolewar? Man sollte anmerken, dass in Marvells Gedicht außer «th'Almighty Sun» keineGottheit auftritt. Vielleicht wollte Angela, immer eine Geberin des Lichts, unsam Ende bitten, uns vorzustellen, wie sie sich in der «Glorie» jenes größerenLichtes auflöste - eine Künstlerin, die schlicht und einfach selbst ein Teilder Kunst wurde.
Sie war jedoch eine viel zu individualistische, zu leidenschaftlicheAutorin, um sich einfach so aufzulösen: mal formell, mal empörend, zugleichexotisch und demotisch, exquisit und ungehobelt, affektiert und burschikos,fabulistisch und sozialistisch, purpurrot und pechschwarz. Ihre Romane sindimmer wieder anders, von der transsexuellen Koloratur des Buchs Eva biszu der Music-Hall-Hupfdohlen-Atmosphäre von Wie's uns gefällt; aber ihrBestes findet man, glaube ich, in ihren Kurzgeschichten. Jene unverwechselbareStimme Angela Carters, diese rauchigen Opiumfresser-Kadenzen, unterbrochendurch harte oder komische Dissonanzen, diese Mondstein-und-Rheinkiesel-Mixturvon Opulenz und Kassenschwindel, kann manchmal bei der Länge eines Romansermüdend wirken. In ihren Kurzgeschichten aber vermag sie zu blenden undzuzustoßen, nur um dann aufzuhören, solange sie noch in der Vorhand ist.
Schon bei ihren ersten Auftritten war Carter fast voll entwickelt;ihre frühe Geschichte «A Very, Very Great Lady and Her Son at Home» strotztbereits von Carter'schen Motiven. Da ist die Liebe zum Romantischen, zurüppigen Sprache und zur hohen Kultur; zugleich aber auch zu primitiven Dingen -fallenden Rosenblättern, die klingen wie Taubenfurze, einem Vater, der nach Pferdeäpfelnstinkt, und Gedärmen, die «große Gleichmacher» sind. Hier ist das Ich einePerformance: parfümiert, dekadent, träge, erotisch, pervers; sehr ähnlich dergeflügelten Fevvers, der Heldin ihres vorletzten Romans Nächte im Zirkus.
Eine andere frühe Geschichte, «A Victorian Fable», kündet vonCarters Sucht nach allen Arkana der Sprache. Dieser außergewöhnliche Text,halb Jabberwocky, halb Fahles Feuer, bringt die Vergangenheit ansLicht wie niemals zuvor, indem ihre toten Wörter zutage gefördert werden: «Inevery snickert and ginnel, bonegrubbers, rufflers, shivering jemmies, anglers,clapperdogeons, peterers, sneeze-lurkers and Whip Jacks with their morts, outof the picaroon, fox and flimp and ogle».
Eins ist klar: Diese frühen Storys bezeugen, dass dieAutorin kein Fleisch-mit-Kartoffeln-Schreiberling ist, sondern eine Rakete,ein Feuerrad. Ihre erste Anthologie wird sie Fireworks nennen.
© 2004 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Übersetzung: Gisela Stege, Barbara Heller und RudolfHermstein
- Autor: Salman Rushdie
- 2004, 1, 576 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Stege, Gisela; Heller, Barbara; Hermstein, Rudolf
- Übersetzer: Barbara Heller, Rudolf Hermstein, Gisela Stege
- Verlag: Rowohlt
- ISBN-10: 3498057731
- ISBN-13: 9783498057732
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