Und vom Himmel fielen Sterne
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Und vom Himmel fielen Sterne von Seth Kantner
LESEPROBE
Im BadMouse Year - zwei Jahre, nachdem die Zeitschriften behauptethatten, ein weißer Mann habe den Mond betreten - tauchte eines Tages Enuk Wolfglove in der Dämmerung dessonnenlosen Winters, mitten im wehenden Schnee, bei uns auf. Sein Hundegespannwar kurz im Sturm zu sehen und verschwand dann wieder. Plötzlich trat Abe ans Fenster wie ein Bär, der eine Witterung aufgenommenhat. »Reisende!« Er drückte seine halb gerauchte Zigarette aus, schnippte sie inRichtung Werkbank, wischte die ascheverschmierten Finger an seinerSeehundfellhose ab. Wir Kinder verfolgten die Flugbahn der Zigarette - wirwürden sie später rauchen, hinter den Schneewehen, und tun, als wären wirKünstler wie er. »Schürt ihr das Feuer?« Abe grinste wie ein älterer Bruder, wie unser besterFreund, überhaupt nicht wie ein Dad. »Und verstecktdas Vanilla.« Sein Kopf undseine breiten Schultern verschwanden in seinem Karibu-Kalbslederparka.Er schlug gegen die Tür, um die festgefrorene Karibufelldichtungzu lösen, und stemmte sich gegen den Sturm. Jerry schob die Zigarette in dieTasche, hob den Blick. »Die teilen wir uns«, murmelte er. Iris und ich liefenaufgeregt über den Besuch hin und her. Wir waren barfuß,hatten rote Zehen. Es wurde dunkel, sonst wären wir alle in unsere Parkas geschlüpftund hinausgeeilt. Jerry schob ein Holzscheit in den Kanonenofen. Das zweiteverklemmte sich, und er musste es rauchend und Funken sprühend wiederherauszerren. »Scheißding!«, rief er aus, ganz wie Abe. Er war zehn, doppelt so alt wie ich, groß gewachsen,und er hatte die guten schwarzen Haare. Außerdem erinnerte er sich an Städteund Autos und Rasenflächen und rote Äpfel an den Bäumen - wenn das stimmte.Jerry ließ die Zugluftklappe offen, bis die Flammen das Rohr rot leckten undRauch aus den Ritzen drang. Funken löschte er mit feuchtem Finger. Dann wischteer ihn an einem Scheit ab, beäugte ihn und befeuchtete ihn noch einmal. InSachen Feuer war Abe streng, da gab es keine Gnade. »Enuk Wolfglove!«,sagte Iris. »Er ist allein.« Durch das schlagende Visqueen-Fenster beobachteten wir, wie Abeund der Mann, die Schultern hochgezogen, die Hunde neben unserem Gespann in denWeiden anketteten. Enuk lebte im Westen, flussabwärtsin Takunak, aber wie der Wind näherte er sich jedesMal aus einer anderen Richtung. Iris zählte mit kurzsichtig zusammengekniffenenAugen Enuks Huskys. Abewürde zu großzügig sein, zu viel Fisch und Karibu vonunserem Futterhaufen hergeben, der bis zum Tauwetter reichen musste. Iris hatteein schlechtes Gewissen, wenn unsere Hunde zu wenig bekamen und gezwungenwaren, ihren eigenen Kot zu fressen. Sie war acht, hatte schwarze Haare undblaue Augen, mit denen sie nicht besonders gut sah, weil sie im vorletztenFrühjahr während der Schlittenfahrt von den Dog Die Mountains dieArmee-Schneebrille nicht aufgesetzt hatte. Irgendwann wollte Abe von einem Versandhaus eine Brille schicken lassen. Ichbrach einen dünnen Eiszapfen von der Innenseite des Fensters und lutschtedaran. »Warum machen sie sie da drüben an?« Das Eisschmeckte nach gefrorenem Atem und nassem Karibufell.Jerry sah uns über die Schulter. »Du redest schon VillageEnglish, obwohl sie noch nicht mal vom Eis runter sind.«Er klang angespannt. Menschen machten ihn nervös. Sie machten uns alle nervös,nur nicht Iris. Unsere Familie lebte draußen in der Tundra. Abehatte nach der alten Art der Eskimos eine Grube gegraben und aus Holzscheitenund Stangen unser Iglu gebaut, zu einer Zeit vor meiner Erinnerung. Die Eskimoslebten, anders als wir, nicht mehr so. Der einzige Raum in dem Iglu war groß,fast fünf mal fünf Meter, und lag ganz im schützenden Boden. Im hinteren Teil,über unseren Betten, wuchsen Bäume aus der Erde auf dem Dach, und wenn esstürmte, hörten wir ihre Wurzeln ächzen. Wände und Dach hatte Abe mit getrocknetem Teichschlick isoliert, in dem Mäuseraschelten, sich balgten, nagten und sich ihr Nest bauten. Sie schmarotzten vonunserer Wärme und unserem Essen, das sie zu schwarzem Kötelverdauten. Abe war vor etwas davongelaufen,vielleicht vor Straßen und Regeln. Kleine Dinge störten ihn nicht; Abe mochte Fleisch, getrocknet, gekocht, roh oder gefroren.Die Fliegeneier darauf machten ihm nichts aus -solange die winzigen Maden sich nicht bewegten. Irgendwann einmal hatten wireine Mom gehabt. Sie würde nicht zurückkommen. Das,wusste Iris, hatte sie Jerry an dem Tag gesagt, an dem sie wegflog. Sie besaßeine zwölfsaitige Gitarre und liebte die Musik wohl mehr als Karibus und Bären und ein undichtes Dach aus Moos. Siehatte uns keines der vielen behaglichen Dinge zurückgelassen, die für Kinder mitMüttern ganz selbstverständlich sind. Abe sprach niedarüber. Er malte auch nie ein Bild zu dem Thema. Ihr Verschwinden bildete denHintergrund für meine Erinnerungen. Iris kratzte mit den Fingernägeln, über diesie die Ärmel gezogen hatte, am vereisten Fenster. Die knochigen Ellbogen standenspitz aus ihrer Bluse hervor. »Sie binden die Hunde unter den Weiden fest,damit die Schneewehen sie nicht begraben.« Iris machtesich daran, unsere Parkas an Haken über der Holzkiste zu hängen, mukluks und andere Kleidungsstücke, an denen Karibuhaare klebten, zusammenzuschiebenund unter unseren Betten verschwinden zu lassen. Sie wischte die Haare und Abes Späne sowie sein Sägemehl mit einem Gänseflügel in dieSchmutzecke. Der Nordwind fegte über die offene Tundra und heulte durch dieFichten am Ufer, wo unser Schlickhaus im Permafrostbodenvergraben lag. Das Oberlicht erzitterte. Schnee legte sich wie eineSpitzenborte über das Flussufer und verbarg, grauer Wolle gleich, den Horizont.Über uns nahm der kalte Himmel eine nächtlich purpurne Farbe an, und über demWind und den sturmgepeitschten Ästen hingen wässrige Sterne. Draußen unter demEis, vor unserer Tür, floss der breite Kuguruk Rivervorbei, durch den arktischen Teil Alaskas, den unsere Schulbücher aus demVersandhaus eine »öde Eiswüste« nennen. Ich empfand diese oberflächlich hingeworfeneBeschreibung aus dem fernen, reichen Osten, schwarz auf weiß in einem Lehrbuch,als Schande. Aber mein Protest ließ Abe nur mit denAchseln zucken. Das selbst konstruierte Visqueen-Fenstererzitterte im Sturm. Die Männer zerhackten ein gefrorenes Karibufür die Hunde. Die Huskys rissen das Fell vom Fleisch, von dem sie große Stückehinunterschlangen. Die Haut hielten sie mit den Pfoten fest, damit keiner sieihnen nehmen konnte. Sobald der letzte Knochen und Fleischrest vom Schneeverschwunden waren, kauten sie das Fell von der Haut und fraßen diese. Dannrollten sie sich zusammen, um Gesicht und Füße vor der Kälte zu schützen. Wirhörten die Männer oben auf dem Dach durch den Schnee stapfen, hinunter zu demGraben vor dem Iglu. Abe schob den knirschendenSchnee beiseite und hämmerte gegen die Felltür. »Schlagt das Eis am unterenSpalt ab! Hört ihr mich?« Jerry holte das Beil. »Undjetzt geht weg von der Tür!« Seine Stimme drang vomWind und den Fellen verzerrt. Ich versteckte mich hinter dem Wasserfass. Abe und Enuk wehten mit demwirbelnden Schnee herein, die Gesichter weiß von der Kälte. Ich starrte vollerSehnsucht ihre Erfrierungen an, die Narben der Helden. Als Abedie Kapuze zurückschlug, lösten sich seine lockigen blonden Haare, und seine türkisblauenAugen blitzten aus seinem bärtigen Gesicht. »Ganz schön windig draußen.« »Alappaa, der Wind.« Enuk war einpaar Zentimeter kleiner als Abe, sein breites Gesichtsteif gefroren, sein Ziegenbart mit Reif überzogen. Die Männer klopftengrinsend den Schnee von den Parkas und mukluks undwischten das Eis aus den Bärten. Iris schaufelte, barfußzwischen ihnen herumtanzend, den Schnee in den Schmutzwassereimer. Gern hätteich mich bewegt wie sie, leichtfüßig und mit einem Lächeln. Ich stand aufgeregtüber den Besuch hinter dem Wasserfass auf dem Dreck und dem feuchten Mäusekot. ( )
© GoldmannVerlag
Übersetzung:Sonja Hauser
- Autor: Seth Kantner
- 2006, 383 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Dtsch. v. Sonja Hauser
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442460255
- ISBN-13: 9783442460250
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