Unsere 50er Jahre
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Kriegsheimkehrer, Wohnungsnot, Flucht in den Westen, FDJ oder der Aufstand vom 17. Juni: Die 50er-Jahre waren in beiden Teilen Deutschlands eine Zeit dramatischer Veränderungen und schicksalhafter Neuanfänge. In keinem anderen Jahrzehnt nach dem Krieg lagen Verzweiflung und Aufbruchstimmung mehr so nah beieinander wie in den 50er-Jahren.
Im Herbst 2005 startet die ARD unter der Regie von Jan Schütte das große, 6-teilige TV-Ereignis über die 50er-Jahre. Dieses Begleitbuch zur Serie erzählt nicht nur die Lebensgeschichten der Zeitzeugen aus Ost und West, sondern zeigt über den Film hinaus, wie die "große" Geschichte Schicksale und Lebensläufe von Menschen bestimmt. Buchautor Rudolf Großkopff verknüpft persönliche Erlebnisse von Zeitzeugen und typische Erfahrungen mit umfassendem Hintergrundwissen zur Zeitgeschichte. Zum ersten Mal vermittelt ein Buch ein lebendiges, umfassendes gesamtdeutsches Bild eines Jahrzehnts, an dessen Ende Deutschland und seine Menschen nicht mehr so waren wie zu Beginn.
Unsere 50er Jahre vonRudolf Großkopff
LESEPROBE
Die langweiligen, die spannenden Jahre
Eine Eröffnungsbilanz
Die Fünfzigerjahre sind die Dekade mit dem schlechtesten Rufin der Nachkriegszeit. »Sie waren das muffigste und zu Recht vergessene Jahrzehntdes vergangenen Jahrhunderts«, heißt es Anfang 2005 in dermonatlichen Kulturbeilage des Spiegel. AnSchlagworten dieser Qualität herrscht kein Mangel. Die Autorin Heide Riedelschrieb vor einigen Jahren über den typischen Bundesbürger jener Zeit: »Erbaute auf, aß sich einige Speckgürtel an, hörte dabei Radio, und als er sattwar, reiste er.« Piefig, miefig, spießig, lautet das weit verbreitete Klischee;und manch einer mag denken: Ein Glück, dass ich nicht dabei war.
Es hat auch Versuche gegeben, die Ära sensibler zu verstehenund zu schildern. Klaus Harpprecht sprach einmal von der »radikalsten sozialen Umwälzung«seit dem Dreißigjährigen Krieg. Die Fenster und Türen zur Welt hätten sichgeöffnet; die Wirklichkeit sei komplizierter gewesen als die von einem Buch insandere, von einem Feuilleton ins nächste weiter geschleppten Klischees. VieleMenschen, die dabei waren, halten daran fest, dass ihre Fünfziger zwar ineinigem den bis heute gängigen Gemeinplätzen ähnelten, aber gleichzeitig auchganz anders waren. Die Jahre zwischen 1950 und 1960 bestandennicht nur aus Restauration, Prüderie und Langeweile, sondern waren voll vonheftigen Konflikten, kultureller Vielfalt, Lebensfreude und dramatischenEntwicklungen, die Deutschland grundlegend veränderten und bis ins dritteJahrtausend fortwirken. Das galt für ganz Deutschland, wenn auch mitunterschiedlichen politischen Vorzeichen und Ergebnissen. Hat das Jahrzehntseinen schlechten Ruf also nur deshalb, weil es am wenigsten bekannt und ammeisten verkannt ist?
Eine »seltsame Mengung der Gefühle«
Mama reckt ein nacktes Baby hoch, Papa ein Sektglas.Lächelnde Großeltern flankieren das glückliche Trio. Die viel geleseneIllustrierte Quick druckt dievollendete Idylle auf der Titelseite ihres Neujahrsheftes 1950. Das Fotospiegelt allerdings mehr Wunschdenken als Wirklichkeit wider. Denn die soziale,wirtschaftliche und psychische Situation der Deutschen ist höchst ungewiss, inder Bundesrepublik wie in der DDR. Bundespräsident Theodor Heuss sagt in seinerersten Neujahrsansprache: »Wir gehen in das neue Jahr mit einer seltsamenMengung der Gefühle.«
In den Städten erinnert jeder Gang auf die Straße daran,dass es keine normalen Zeiten sind. Die berühmten Trümmerfrauen haben ihrenDienst getan, Fahrbahnen und Trottoirs sind weitgehend vom Schutt geräumt. Dochnoch immer ragen überall Ruinen empor, durch deren Fensterhöhlen der Windpfeift. Viele Stadtkinder haben noch nie eine intakte Straßenflucht gesehen,sie kennen nur Fronten, die wie schlechte Gebisse von Lücken durchsetzt sind.An den Ruinenwänden können sie entdecken, wo einmal das Bad, die Küche, derWohnraum waren. Und auf den Trümmergrundstücken stehen Schilder »Betretenverboten«, weil Wände oder Decken zusammenstürzen könnten. Aber kaum einerhält sich daran.
Den Kindern dienen solche Grundstücke als früheAbenteuerspielplätze, die Erwachsenen haben Trampelpfade als Wegabkürzungdarüber gelegt. Unkraut, Sträucher und Bäumchen, vorzugsweise die anspruchslosenBirken, übergrünen allmählich die Schuttberge. Die Bauwirtschaft ist zwarangesprungen, aber im Vordergrund steht noch immer die Schadensbeseitigung,oft in provisorischer Form: einstöckige Geschäfte, errichtet auf den altenFundamenten. Die ostdeutschen Städte wirken bunter, jedoch nur wegen der riesigenTransparente, die den Sieg des Sozialismus verheißen.
Autos sind rar, Parkuhren und Verkehrsampeln um 1950 nichteinmal dem Namen nach bekannt. Immerhin fehlen inzwischen jene merkwürdigenGefährte, die mit Holzgas betrieben wurden, als es kein Benzin gab. DasVerbrennen von Holz erzeugte den Ersatzantriebsstoff, und das geschah in hohenBehältern, die vor allem an Lastwagen neben dem Führerhaus hochragten.Mercedes hat schon das erste neue Modell auf den Markt gebracht und wirbt nunfür den klassisch wirkenden 170 D. Auch Volkswagen hat 1950 die ersten 50000 Exemplaredes Käfers ausgeliefert, einen Großteil allerdings ins Ausland. Die meistenAutos sind Vorkriegsmodelle, hundertmal geflickt, und gehören entweder Behördenoder Firmen. Privatautos sind die Ausnahme.
Straßenbahnen, Busse, U- und S-Bahnen fahren Anfang derFünfzigerjahre fast überall wieder. Sie bestreiten, neben dem Fahrrad, denHauptteil des Personenverkehrs innerhalb der Städte. Viele Wagen tragen dieSpuren der Kriegsschäden, und grundsätzlich gilt, dass alles, was sich aufSchienen bewegt, quietscht und rumpelt. Die Anwohner leiden, ohne zu klagen.Der Lärm gehört dazu. An Autobahnen gibt es nur jene 2100 Kilometer,die in der NS-Zeit und davor entstanden sind. Die Land- und Fernstraßen sind kurvenreichund voller oberflächlich ausgebesserter Schlaglöcher. In den ostbayerischenMittelgebirgen schneidet der Schnee manche Dörfer im Winter wochenlang von derAußenwelt ab. Den Großteil des Überlandverkehrs erledigt die Bahn, die indieser Zeit noch ein sehr dichtes Netz betreibt und auch abgelegene Ortebedient. Das Reisen mit ihr ist kein Vergnügen. Die Waggons sind alt undungepflegt, die mit Kohle betriebenen Lokomotiven stoßen eine Menge Dampf undRuß aus.
Um viele ländliche Gegenden hat der Krieg einen Bogengeschlagen - keine zerstörten Häuser, keine Besatzungstruppen, keineErfahrungen mit dem Hunger. Dank ihres Monopols bei der Erzeugung vonLebensmitteln haben sich die Bauern eine komfortable Stellung verschafft.Vieles ist in den Schwarzhandel geflossen, der vorgeschriebenen Erfassung allerLebensmittel zum Trotz. Noch immer kursieren Witze über Landwirte, die ihre Ställeangeblich mit eingetauschten Perserteppichen ausgestattet haben. Doch auch aufdem Land ist das Leben hart. Maschinen sind rar, sodass die Arbeit der Bauerneine Plackerei ist, die gerade noch Zeit für den sonntäglichen Gottesdienstund einen Gang ins Wirtshaus lässt. Die Stadt ist weit, und die einzigeVerbindung zum Weltgeschehen ermöglicht für viele das Radio. So denken undleben die Leute auf dem Land völlig anders als die Bewohner der Stadt. DieAngleichung beginnt erst, als im Laufe des Jahrzehnts viele Beschäftigte derLandwirtschaft in andere Berufe wechseln und die Motorisierung die Regionen aneinanderrückte.
(...)
© Eichborn AG
- Autor: Rudolf Großkopff
- 2005, 256 Seiten, 40 Schwarz-Weiß-Abbildungen, mit Abbildungen, Maße: 15,8 x 22,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Eichborn
- ISBN-10: 3821856203
- ISBN-13: 9783821856209
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