Unsichtbare Spuren
1999 - tiefster Winter in Norddeutschland: Eine 17-jährige Anhalterin wird ermordet. 5 Jahre später wird wieder ein junges Mädchen tot aufgefunden. Und wahrscheinlich ist der Täter noch für weitere Morde verantwortlich. Sören Henning, Hauptkommissar bei...
1999 - tiefster Winter in Norddeutschland: Eine 17-jährige Anhalterin wird ermordet. 5 Jahre später wird wieder ein junges Mädchen tot aufgefunden. Und wahrscheinlich ist der Täter noch für weitere Morde verantwortlich. Sören Henning, Hauptkommissar bei der Kripo Kiel, wird zum Leiter einer Sonderkommission ernannt. Im Zuge seiner Ermittlungen macht er eine alarmierende Entdeckung.
Andreas Franz ist einer der beliebtesten deutschen Krimi-Autoren. Alle seine Romane wurden Bestseller.
Ein Täter, der nach dem Zufallsprinzip mordet? Da passiert ein neuer Mord und Henning erhält ein Gedicht und einen kurzen Brief, die offenbar vom Täter stammen. Dem Kommissar wird klar, dass er selbst ins Visier des Serienkillers geraten ist ....
Unsichtbare Spurenvon Andreas Franz
LESEPROBE
SONNTAG, 17.30 UHR
»Ich habe Sabinenicht umgebracht«, beteuerte Georg Nissen zum wiederholten Male und schüttelteden Kopf. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn, in den Handflächen und unter denAchseln seines Hemdes gebildet, auf dem sich zwei große Flecken abzeichneten.Seit über zwei Stunden wurde er abwechselnd von Sören Henning und Lisa Santosverhört, wobei die Fragen zunehmend schärfer wurden. Henning, der allmählichungeduldig wurde, stützte sich auf den Tisch, während Lisa Santos an die Wandgelehnt dastand, die Arme über der Brust verschränkt und die Vernehmungaufmerksam verfolgte. Besonders aber beobachtete sie die Reaktionen von GeorgNissen auf die Fragen, seine Mimik, seine Gestik, wie er sprach.
»Herr Nissen, Siehaben vor sechzehn Jahren schon einmal eine Frau vergewaltigt und sind dafürverurteilt worden. Was Sie in der Zwischenzeit getrieben haben, entzieht sichunserer Kenntnis, aber eines wissen wir, Sie hatten Geschlechtsverkehr mitSabine Körner. Ich wiederhole mich ungern, aber der Todeszeitpunkt wurde aufdie Zeit zwischen halb sieben und acht Uhr am Freitagmorgen festgelegt. Wielange wollen Sie eigentlich noch leugnen, wo doch alles gegen Sie spricht? Siehaben sie mitgenommen, Sie haben sie gevögelt und sich dann wie ein Stück Dreckihrer entledigt. Und Sie sind mit einer Brutalität und Grausamkeit vorgegangen,wie ich es in meiner Dienstzeit bisher nicht erlebt habe.«
Nissen fuhr sichverzweifelt durchs Haar und verschränkte schließlich die Hände im Nacken, denKopf gesenkt. »Das stimmt alles nicht, ich habe sie nicht umgebracht, ichkönnte so was überhaupt nicht. Verdammt noch mal, ich habe ja schon zugegeben,mit ihr geschlafen zu haben, aber ich habe
sie bei Ahrensbergan der B 76 wieder abgesetzt und bin zu rück nach Eckernförde gefahren, weilich meinen Koffer vergessen hatte. Wie oft soll ich das noch sagen?! Prüfen Siedas doch nach. Woher soll ich denn wissen, wer sie danach mitgenommen hat.«
»Niemand, weil Sieder Letzte waren, der sie lebend gesehen hat. Es gibt keinen anderen, schon garnicht diesen ominösen großen Unbekannten. Sagen Sie uns nur, wie sich allesabgespielt hat. Hat sie sich gewehrt, oder hat sie mehr Geld verlangt, als siebereit waren ihr zu geben? War es so?«, sagte Henning hart und stützte sich mitbeiden Händen auf den Tisch und sah Nissen durchdringend an. »Nein, nein,nein!«, schrie Nissen und sprang auf. »Ich habe ihr zweihundert Mark gegeben,damit sie mit mir schläft. Ich weiß, ich weiß, das war ein Fehler, aber sie war Verdammt, sie hat mich einfach angetörnt. Sie wollte nach Flensburg zu einerFreundin, weil sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat. Ich konnte sie abernicht nach Flensburg bringen, weil ich nach Eckernförde gleich einen Termin inBöklund hatte.«
»Setzen Sie sichwieder«, herrschte Henning ihn an. »Wieso fahren Sie nach Böklund über Schleswig? Gibt es keinen kürzeren Weg? Fürmich ist das ein ziemlicher Umweg.«
»Nein, es gibtkeinen schnelleren Weg als über Schleswig. Man kann natürlich auch die Fährebei Missunde nehmen, aber das dauert. Ich habe es nicht getan, ich habe Sabinenicht umgebracht!«
Henning griff sichans Kinn und sah Nissen an. »Seltsam, wir haben bei ihr kein Geld gefunden,nicht einen Pfennig. Dafür haben wir aber einen Regenschirm gefunden, der Ihnengehört «
»Auch das habe ichIhnen doch schon ausführlich erklärt «
»Ja, ja, die alteGeschichte, dass Sie Mitleid mit ihr hatten und ihr den Regenschirm schenkten.Mir bricht es fast das Herz.«
Henning ging zuSantos und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Daraufhin löste sie sich von der Wandund setzte das Verhör fort.
»Herr Nissen, wieist Ihre Ehe? Glücklich?«, fragte sie. Nissen sah Santos erschöpft undhilfesuchend an und antwortete nach einer Weile: »Was spielt das für eineRolle? Für Sie bin ich doch sowieso der Täter. Sie haben meine DNA, Sie wissen,dass ich Sabine mitgenommen und mit ihr geschlafen habe, und Sie meinen auch zuwissen, dass ich sie umgebracht habe. Was sollen also diese Fragen noch?«
»Von Ahrensbergbeziehungsweise Louisenlund bis nach Haddeby sind es morgens um die von Ihnenangegebene Zeit maximal zehn Minuten. Und es war noch dunkel, sodass Sie mit anSicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen konnten, von niemandemgesehen zu werden. Warum haben Sie es getan? Erleichtern Sie doch endlich Ihr Gewissen «
»Halten Sie denMund! Ich habe ein reines Gewissen, da gibt es nichts zu erleichtern. Das istalles ein verdammter Zufall, nichts als ein großer, gottverdammter Zufall. Abereinmal Verbrecher, immer Verbrecher, was? So denkt ihr Bullen doch, oder?«
»Beweisen Sie unsIhre Unschuld, und Sie können als freier Mann dieses Gebäude verlassen«, sagteHenning kalt und hart, mit einer Spur Zynismus in der Stimme, denn er wusste, Nissenwürde nichts vorbringen können, das ihn entlastete.
»Wie soll ichIhnen meine Unschuld beweisen? Sie haben sich doch schon alles sozurechtgelegt, dass ich da gar nicht mehr rauskomme. Und das nur, weil ichSabine mitgenommen und mit ihr eine schnelle Nummer geschoben habe. Ist das einVerbrechen?«
»Nein, aber derMord. Was für ein Gefühl ist das, wenn man einem jungen Mädchen immer und immerwieder einen Pflasterstein ins Gesicht schlägt, bis dieses Gesicht nicht mehrzu erkennen ist? Oder wie ist das, wenn man diesem Mädchen am Ende noch dieAugen aussticht? Ist das ein zusätzlicher Kick, noch ein Orgasmus obendrauf?«,fragte Henning noch einen Tick zynischer und deutete auf die Fotos der Toten,die er bewusst vor Nissen ausgebreitet hatte. »Hm, wie ist das?
Schauen Sie sichnoch mal an, was Sie angerichtet haben! Hier, hübsches Gesicht, was?!«
Georg Nissenatmete tief durch und erwiderte: »Egal, was ich sage, Sie glauben mir sowiesonicht. Ich möchte mit meinem Anwalt sprechen.«
»Der ist nochnicht aufgetaucht. Leider«, sagte Henning kalt lächelnd. »Und es stimmt, ichglaube Ihnen nicht. Ich glaube nämlich nicht an diese berühmten Zufälle. Es istdumm gelaufen für Sie, Sie hätten alles, zumindest fast alles mit ihr machen dürfen,nur das mit dem Umbringen, das war ein saudummer Fehler.«
(...)
© Droemer KnaurVerlag
Andreas Franz starb im März 2011. Er war verheiratet und hatte fünf Kinder.
Interview mit Andreas Franz
"Eine perfekteFrau" wurde bisher noch nicht veröffentlicht. Wie entstand die Idee zu dieserGeschichte?
Keine Ahnung, ehrlich, sie war plötzlich in meinem Kopf, undda ich über einen etwas morbiden Humor verfüge, dachte ich mir, schreib s auf.Ach ja, es ist im übrigen erst die zweite Kurzgeschichte, die ich geschriebenhabe.
Es geht in "Eine perfekte Frau" um die zerstörerischeKraft, die Liebe entfalten kann, wenn sie in die Irre geht. Was geht in einemMenschen vor, wenn er den Wunsch entwickelt zu töten, was er liebt? Was für einMensch ist Annette Groß?
In diesem speziellen Fall geht es ja darum, dass AnnetteGroß in einer heilen, behüteten Welt lebt. Und als sie ihren Mann mit einervermeintlichen Geliebten sieht, bricht für sie das fragile Kartenhaus dieserheilen Welt zusammen. Wenn er schon fremdgeht, soll er lieber tot sein, alseiner anderen zu gehören. Doch das Wesentliche ist wohl die fehlendeKommunikation zwischen beiden. Sie bildet sich ein, er habe eine Geliebte,während er mit Annette nicht über seine finanziellen Probleme gesprochen hat.Die größten Missverständnisse entstehen, wenn über die wesentlichen Dinge nichtmiteinander geredet wird. Das betrifft vor allem Ehepartner. Es muss ja nichtimmer gleich mit Mord enden, eine Scheidung tut s auch. Und was in einemMenschen vorgeht, der beschließt zu töten, was er liebt, diese Frage ist nurschwer zu beantworten; wenn überhaupt.
Sie haben einmal gesagt, dass sich die wenigsten Tatenpsychologisch erklären lassen: "Der menschliche Geist, die Psyche und dieEmotionen sind dazu noch viel zu wenig erforscht." Glauben Sie, Geist undPsyche lassen sich so weit erforschen, dass die "Erklärung" von Verbrechenmöglich wird? Und, wenn ja: Welche Wissenschaft könnte dies leisten?
Ich bin davon überzeugt, dass man Geist und Psyche nievollständig erforschen wird. Und somit werden sich auch bestimmte Verbrechenniemals erklären lassen, haben doch viele Täter selbst keine Erklärung parat.Und mir ist keine Wissenschaft bekannt, die dies leisten könnte.
Zu "TeuflischeVersprechen": Sie selbst bezeichnen es als "ein Buch über modernenSklavenhandel", das die brutalen Methoden der Menschenhändler 1:1 abbildet.Julia Durant ermittelt auch gegen einige Männer und Frauen in hochrangigenPositionen. Was genau macht es für die Ermittler - in diesem konkreten Fall undgenerell - so schwierig, gegen "Großkopferte" zu ermitteln?
Ich fürchte fast, mit der Beantwortung dieser Frage werdeich in ein Wespennest stechen. Das Problem, gegen "Großkopferte" zu ermitteln,besteht einfach in der aktuellen Gesetzgebung. Unsere Politiker z.B. haben sichquasi einen rechtsfreien Raum geschaffen, zu dem nicht einmal das BKA Zutritthat. Ich erinnere nur an diverse "Affären" in den letzten Jahren, nach derenAufdeckung so genannte Untersuchungsausschüsse gebildet wurden, die in derRegel kein für die Öffentlichkeit befriedigendes Ergebnis gebracht haben. Icherinnere nur an den Ausspruch eines dieser Kandidaten - "Mein Ehrgefühlverbietet es mir, die Namen der Spender preiszugeben". Ich fürchte, Ehrgefühl,Moral und ethische Grundsätze sind in bestimmten Kreisen kaum noch oder garnicht mehr vorhanden.
In einem Interview mit dem Autor Andreas Pflüger ("OperationRubikon") wies der ehemalige BKA-Präsident Hans-Ludwig Zachert auf eineGesetzesnovelle aus dem Jahre 1996 hin, durch die der BKA-Präsident zumpolitischen Beamten umgewandelt wurde. Das bedeutet konkret: Der BKA-Präsidentkann, z.B. wenn er gegen seinen Dienstherrn, den Innenminister, oder andere Ministerermittelt, jederzeit ohne Angabe von Gründen seines Amtes enthoben werden.
Fast alle vonIhnen beschriebenen Fälle beruhen auf wahren Begebenheiten. Sie haben guteKontakte zur Frankfurter Polizei. Gleichzeitig sagen Sie - wie mit ähnlichenWorten übrigens auch Henning Mankell: "Die Wirklichkeit sieht allemal düstereraus, als meine Phantasie es zulässt." Wie passt das zusammen? WelcheWirklichkeiten verschließen sich Ihnen beim Schreiben?
Es ist richtig, dass ich das gesagt habe. Jedes Mal, wenn ichmit Kripobeamten spreche, erfahre ich, wie skrupellos manche Menschen vorgehen,so skrupellos, dass meine Phantasie nicht ausreicht, um mir dies auszudenken.Allerdings erhalte ich so nach und nach Einblick in Abgründe, die die wenigstensehen oder sehen wollen. Dabei handelt es sich nicht nur um "einfache" Mörderoder Serientäter, sondern auch um die kriminellen Machenschaften in Politik undWirtschaft. Es ist ein dichtes und immer dichter werdendes Netz derorganisierten Kriminalität, die mittlerweile alle Bereiche des politischen,wirtschaftlichen und kulturellen Lebens infiltriert oder sogar unter Kontrollehat. Und das ist erschreckend, aber nicht mehr zu ändern.
Es gibt immerwieder Polizisten, die an dem, was sie über Jahre sehen, seelisch zerbrechen.Wie wird innerhalb der Polizei mit psychischen Problemen umgegangen? Welche Artvon Hilfe ist hier überhaupt möglich?
Es gibt Polizeipsychologen, die sich um z.B. traumatisierteBeamte kümmern, die mit schrecklichen Bildern konfrontiert wurden. Allerdingsreden viele Beamte nicht über ihre Probleme, sondern fangen etwa an zu trinken,häusliche Gewalt findet man in dieser Berufsgruppe auch nicht selten, dieScheidungsrate ist relativ hoch. Welche Hilfe überhaupt möglich ist ich weißes nicht.
Was sind Ihrenächsten Pläne? Auf Ihrer Website ist zu lesen, dass Sie u.a. an einem Romanarbeiten, der außerhalb der Julia Durant- und Peter-Brandt-Reihen erscheinenwird.
Im Frühjahr erscheinen zwei Bücher, der dritte Band derOffenbach-Reihe um Peter Brandt und Elvira Klein, "Schrei der Nachtigall",sowie ein Hardcover, in dem es um einen Serienkiller geht und auch um dieProbleme von Polizisten. Der Fall, den ich schildern werde, beruht auf wahrenBegebenheiten. Mehr möchte ich dazu nicht verraten.
1970 haben Siedas Gymnasium verlassen und eine Sprachschule besucht, um "etwas Ordentlichesaus meinem Leben zu machen." Ist Ihnen das gelungen?
Ich denke schon. Schreiben war ein lang gehegter Traum, derWirklichkeit wurde. Was kann es Schöneres und Erfüllteres geben?!
Die Fragenstellte Roland Große Holtforth, Literaturtest.
- Autor: Andreas Franz
- 2006, 1, 464 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Knaur
- ISBN-10: 3426662124
- ISBN-13: 9783426662120
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