Unwiderstehliche Küsse
Roman. Deutsche Erstausgabe
Gefährlich, verführerisch und unglaublich heiß!
Clarinda Cardew ist gefangen im Harem eines Sultans. Befreien soll sie ausgerechnet Ashton Burke - der legendäre Abenteurer, dem sie einst das Herz stahl. Clarinda weiß, Ashton...
Clarinda Cardew ist gefangen im Harem eines Sultans. Befreien soll sie ausgerechnet Ashton Burke - der legendäre Abenteurer, dem sie einst das Herz stahl. Clarinda weiß, Ashton...
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Produktinformationen zu „Unwiderstehliche Küsse “
Gefährlich, verführerisch und unglaublich heiß!
Clarinda Cardew ist gefangen im Harem eines Sultans. Befreien soll sie ausgerechnet Ashton Burke - der legendäre Abenteurer, dem sie einst das Herz stahl. Clarinda weiß, Ashton ist ihre einzige Chance auf Rettung, doch ihr Herz wünscht sich so viel mehr. Gemeinsam gefangen in einem Palast des sinnlichen Vergnügens, flammt die alte Leidenschaft zwischen ihnen wieder auf. Und beide erkennen, dass die verführerischste Lust von allen die Liebe selbst ist.
Clarinda Cardew ist gefangen im Harem eines Sultans. Befreien soll sie ausgerechnet Ashton Burke - der legendäre Abenteurer, dem sie einst das Herz stahl. Clarinda weiß, Ashton ist ihre einzige Chance auf Rettung, doch ihr Herz wünscht sich so viel mehr. Gemeinsam gefangen in einem Palast des sinnlichen Vergnügens, flammt die alte Leidenschaft zwischen ihnen wieder auf. Und beide erkennen, dass die verführerischste Lust von allen die Liebe selbst ist.
Klappentext zu „Unwiderstehliche Küsse “
Gefährlich, verführerisch und unglaublich heiß!Clarinda Cardew ist gefangen im Harem eines Sultans. Befreien soll sie ausgerechnet Ashton Burke - der legendäre Abenteurer, dem sie einst das Herz stahl. Clarinda weiß, Ashton ist ihre einzige Chance auf Rettung, doch ihr Herz wünscht sich so viel mehr. Gemeinsam gefangen in einem Palast des sinnlichen Vergnügens, flammt die alte Leidenschaft zwischen ihnen wieder auf. Und beide erkennen, dass die verführerischste Lust von allen die Liebe selbst ist ...
Lese-Probe zu „Unwiderstehliche Küsse “
Unwiderstehliche Küsse von Teresa MedeirosAus dem Amerikanischen von Ute-Christine Geiler
Kapitel eins
1834
»Oh Clarinda! Hast du die letzte Ausgabe von Snitch irgendwo gesehen? Ich habe sie noch rasch an den Docks erstanden, bevor wir abgefahren sind. Es ist ein absolut göttlicher Artikel über Captain Sir Ashton Burke darin!«
Clarinda Cardew spürte, wie ihre Finger sich unwillkürlich verkrampften und sich in den ledernen Einband des Buches krallten, das sie gerade las. Trotz der milden Brise, die vom Meer her wehte und ihre Wangen streichelte, erstarrten ihre Gesichtszüge zu einer Maske kalkulierten Desinteresses, die sie immer aufsetzte, wenn dieser Name fiel. Sie benötigte keinen Spiegel, um ihre Miene zu überprüfen. Sie hatte schließlich neun Jahre lang Zeit gehabt zu üben.
»Ach wirklich?«, murmelte sie, ohne ihre Augen von der Seite zu heben.
Unglücklicherweise war Poppy zu sehr von ihrem Gesprächsthema eingenommen, um Clarindas auffälligen Mangel an Interesse zur Kenntnis zu nehmen. Poppy rückte ihre Brille zurecht, die auf ihrer Nasenspitze saß, und lehnte sich auf ihrem Stuhl vor. »Wenn man diesem Artikel hier glauben darf, spricht er mehr als fünfzehn Sprachen fließend, einschließlich Französisch, Italienisch, Latein, Arabisch und Sanskrit. Das letzte Jahrzehnt hat er angeblich damit verbracht, von einer Ecke der Erde zur anderen zu reisen.«
»Genau genommen«, wandte Clarinda mit leiser Ironie ein, »hat die Erde keine Ecken. Sie ist rund.«
... mehr
Unbeeindruckt fuhr Poppy fort: »Nachdem er sein Regiment in der Armee der Ostindien-Kompanie im burmesischen Krieg von einem eindrucksvollen Sieg zum nächsten geführt hat, wurde ihm vom König die Ritter- würde verliehen. Wegen seines ungestümen Einsatzes im Nahkampf haben seine Männer ihm den Spitznamen ›Sir Wild‹ gegeben.«
»Das klingt auch gleich viel furchteinflößender als ›Sir Höflich‹.« Clarinda war selbst reichlich wild zumute, während sie in ihrem Buch blätterte und blind auf die Wörter starrte, die genauso gut in Sanskrit hätten geschrieben sein können.
»Gerüchten nach«, las Poppy vor, »soll er während seiner Zeit in Indien eine wunderschöne Hindustani-Prinzessin vor Banditen gerettet haben, die sie aus ihrem Palast entführt hatten. Als ihr Vater ihm als Belohnung ihre Hand zur Ehe antrug und ein Vermögen in Gold und Juwelen bot, unterrichtete Burke ihn, dass er mit einem Kuss schon mehr als genug belohnt sei.«
»Ihr Vater muss ausgezeichnet küssen«, erwiderte Clarinda und hob das Buch, um ihr Gesicht dahinter zu verstecken.
Poppy löste ihren verträumten Blick lang genug von dem Klatschblättchen, um Clarinda erbittert anzusehen. »Doch nicht von ihrem Vater, Dummerchen. Von der Prinzessin. In dem Artikel wird behauptet, seine romantischen Abenteuer seien nahezu ebenso legendär wie seine militärischen. Es heißt hier, nachdem er seine Entlassung aus der Armee beantragt hatte, sei Burke von der Afrikanischen Assoziation eingestellt worden, um eine Expedition tief ins Innere des Kontinents zu leiten. Sein Vertrag mit dem Verein endete vor drei Jahren, als er mit zahlreichen Aufzeichnungen zu Bräuchen - vor allem Bräuchen im Zusammenhang mit der Fortpflanzung - der primitiven Stämme, die er dort entdeckt hatte, aus Afrika zurückkehrte. Selbst die abgebrühtesten Gelehrten waren von der Detailverliebtheit der Beschreibung seiner Funde schockiert. Manche von ihnen sind sogar so weit gegangen anzudeuten, er könnte sich selbst an diesen Fruchtbarkeitsriten beteiligt haben!«
Clarinda verzog bei Poppys schrillem Gelächter unwillkürlich das Gesicht. Das Bild eines Mannes, der sich in die schlanken glatten Arme einer ebenholzfarbenen Schönheit sinken ließ, während Flammen um sie tanzten und die Trommeln der Eingeborenen in einem unwiderstehlichen Rhythmus schlugen, ließ ihre Schläfen unangenehm pochen. Kurz erwog sie, das Klatschblättchen einfach über Bord zu werfen. Vielleicht auch Poppy gleich mit.
Für gewöhnlich war Penelope Montmorency, die Clarinda und ihre früheren Klassenkameradinnen in Miss Bedelia Throckmortons Pensionat für höhere Töchter einfach Poppy nannten, eine angenehme Gesellschaft. Sie hatte zwar eine Schwäche für Klatsch und mit Zuckerguss überzogene Teekuchen sowie die Neigung, alles, was sie sagte, so zu betonen, als stünde am Ende ein Ausrufezeichen, aber sie war auch gutmütig und loyal ohne eine Unze Boshaftigkeit in ihrer kleinen leicht rundlichen Gestalt.
Poppy war meistens zufrieden damit, Clarinda aus den geheiligten Seiten des Ladies' Fashionable Repository vorzulesen. Aber offensichtlich konnten sich die üppigen Federn, die ausgestopften Vögel und Unmengen Bänder, mit denen die Französinnen diesen Sommer die Krempen ihrer Hüte überluden, mit den legendären Heldentaten - ob nun romantischer oder anderer Natur - des schneidigen Captain Sir Ashton Burke nicht messen.
Das sanfte Heben und Senken des Schiffsdecks unter ihren Stühlen fühlte sich für Clarinda mit einem Mal nicht mehr beruhigend an. Obwohl sie nie unter Seekrankheit zu leiden hatte, begann sie sich entschieden mulmig zu fühlen. Sie legte ihr Buch beiseite, stand aus dem Liegestuhl auf und ging nach vorn zum Bug des Schiffes, um das Gefühl abzuschütteln. Es gab nichts als See und Himmel, so weit das Auge reichte, und damit auch keinen Ort, an den sie sich zurückziehen konnte, um Poppys Faszination für das Thema des Artikels zu entkommen.
»Seit er seine Verbindung sowohl mit der Ostindien- Kompanie als auch mit der Afrikanischen Assoziation beendet hat«, las ihre Freundin weiter, »ist das Mysterium, das Burke umgibt, noch rätselhafter geworden. Es gibt Leute, die Spekulationen darüber anstellen, wie er nun seine Zeit verbringt, ob er unbezahlbare archäologische Schätze hebt oder ob er am Ende gar als Spion in Diensten einer fremden Regierung steht.«
Clarinda zwang sich zu einem Gähnen. »Er kann nicht sonderlich geschickt in dem Metier sein, wenn irgendjemand den Verdacht hegt, er sei ein Spion.«
»Zu dem Artikel gehört auch eine Zeichnung von ihm.« Fröhliches Blätterrascheln war zu hören, während Poppy das Klatschblättchen erst in die eine, dann in die andere Richtung wendete, um die Zeichnung aus allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten, bevor sie voller Überzeugung verkündete: »Ich fürchte, der Künstler hat ihm geschmeichelt. Kein Mann kann so gut aussehen, oder?«
Clarinda umklammerte die Reling des Schiffes und bekämpfte den Drang, herumzuwirbeln und Poppy die Zeitung aus den Händen zu reißen. Sie brauchte keine Zeichnung, um sich an die Augen mit der bernsteinfarbenen schwarzgeränderten Iris zu erinnern, in der klare goldene Pünktchen schimmerten. Oder an das unbekümmerte Grübchen in seiner Wange und die wunderschön geschnittenen Lippen, die immer kurz davor zu stehen schienen, sich zu einem spöttischen Lächeln zu verziehen, bevor sie weicher wurden, um einen Kuss zu stehlen ... oder ein wehrloses Herz. Vielleicht hätten Michelangelo oder Raphael diesen Details gerecht werden können, aber es war unmöglich, mit ein paar achtlosen Bleistiftstrichen die unbändige Lebenskraft eines solchen Mannes einzufangen.
»Er ist vielleicht viele Jahre lang nicht in England gewesen, aber ihr seid doch auf benachbarten Landsitzen aufgewachsen, nicht wahr?«, erkundigte Poppy sich. »Sicherlich hast du ihn wenigstens flüchtig gekannt, oder?«
»Es ist Jahre her, seit ich ihn das letzte Mal zu Gesicht bekommen habe, und da war er kaum mehr als ein junger Bursche. Meine Erinnerung an ihn ist ein wenig verschwommen «, log Clarinda. »Ich erinnere mich vage an eine lange gebogene Nase, dürre O-Beine und vorstehende Zähne wie bei einem Biber.« Clarinda benötigte einen Moment, um zu erkennen, dass sie damit den unsympathischsten ihrer Tanzlehrer bei Miss Throckmorton beschrieben hatte. Der arme Mr. Tudbury hatte zudem die unselige Neigung, beim Sprechen zu spucken, wenn er ihr und den anderen das Kommando zu einer Pirouette oder zu einem battement glissé gab.
Poppy seufzte wehmütig. »Ich frage mich, wohin der Captain wohl dieses Mal verschwunden ist. Denkst du, er ist wieder eine Prinzessin retten gegangen?«
Von dem verräterischen Aufzucken von Sehnsucht in ihrem Herzen getroffen, drehte sich Clarinda zu ihr um und schaute sie an. »Wirklich, Poppy! Es besteht keine Notwendigkeit, den Mann anzuhimmeln, als seien wir beide ein paar alberner Schulmädchen. Er ist nichts als ein habgieriger Glücksritter, der seinen Lebensunterhalt mit Grabräubereien und damit, sein Schwert an den Meistbietenden zu verhökern, bestreitet. Die Presse hat vielleicht beschlossen, ihn zu glorifizieren, aber das macht ihn noch lange nicht zu einem Helden.« Clarinda mahnte sich innerlich zu Geduld. »Die meisten Männer, die sich mit Gerüchten und Geheimnissen umgeben, tun das, weil es in ihrem Leben nichts von echter Substanz gibt. Sie verbreiten all diese Gerüchte, um ihre eigenen ... Unzulänglichkeiten zu verdecken.«
»Unzulänglichkeiten?« Poppys lavendelblaue Augen weiteten sich hinter den dicken Linsen ihrer Brille. »Sicherlich willst du damit nicht sagen ...« Unmengen aprikosenblonder Korkenzieherlocken wippten wie die Ohren eines Spaniels, als sie sich die Hand vor den Mund schlug, um ein schockiertes Kichern zu verbergen. »Himmel, Clarinda, du Schlimme! Du musst wirklich lernen, deine unartige Zunge zu hüten. Schließlich wirst du in weniger als vierzehn Tagen einen Earl heiraten.«
Poppys mahnende Worte erinnerten Clarinda daran, was und wer sie am Ende dieser Reise durch die unruhigen Gewässer des Nordatlantiks erwartete. Sie brauchte Poppy nicht, um sich vor Augen zu führen, dass sie von jeder eifrigen jungen Debütantin glühend beneidet wurde, deren Hoffnungen durch die kürzlich erfolgte Bekanntmachung ihrer Verlobung alle zunichtegemacht worden waren. Irgendwie war es ihr gelungen, sich den begehrtesten Junggesellen von ganz England zu angeln und das im verhältnismäßig fortgeschrittenen Alter von sechsundzwanzig Jahren.
Ihr Verlobter war ein wunderbarer Mann - gut aussehend, intelligent und vornehm sowohl dem Namen als auch dem Wesen nach. Er war alles, was sich eine Frau nur wünschen konnte ... und sollte.
Was den hohlen Schmerz in Clarindas Herz nicht erklären konnte, als sie sich wieder zum Meer umdrehte, um Poppys neckendem Blick auszuweichen. Oder dem verzweifelten Verlangen, sich den Hut vom Kopf zu reißen, die Perlmuttkämme aus ihrer Frisur zu ziehen und sich den Wind ungehindert durch die langen weizenblonden Haare wehen zu lassen.
Die Sonne schimmerte auf den Kronen der Wellen in der Ferne, und die unerbittliche Helligkeit blendete sie. »Wenn ich Countess bin«, erklärte sie mit entschlossener Fröhlichkeit, »werde ich nie wieder meine Zunge hüten müssen. Ich erwarte vielmehr, dass alle anderen um mich herum aufpassen, was sie sagen.«
»Und das beginnt bei mir, vermute ich.« Poppy warf das Skandalblättchen zur Seite und erhob sich, um sich neben Clarinda an die Reling zu stellen. »Ich dachte, du seist mehr an Captain Burkes Abenteuern interessiert, da er ja schließlich dein Schwa...«
»Lass uns von etwas anderem reden, ja?«, unterbrach Clarinda sie, bevor Poppy das Unaussprechliche sagen konnte und sie letztlich doch dazu treiben würde, über Bord zu springen. »Beispielsweise darüber, dass du die gefeierte Sensation des Regimentes sein wirst, wenn wir erst einmal in Burma angekommen sind.«
»Glaubst du das wirklich?« Ein erfreutes Strahlen breitete sich auf Poppys Gesicht aus und ließ ihre roten Apfelbäckchen leuchten. »Ich mag Soldaten ja so sehr. Ich war immer schon der Ansicht, dass eine Uniform jeden Mann - und sei er noch so unscheinbar - wie einen Prinzen und Helden aussehen lassen kann!«
»Warte nur ab, und sieh es dir selbst an. Gut aussehende junge Offiziere werden sich Faustkämpfe liefern und sich gegenseitig zum Duell fordern, um sich anstellen zu dürfen und deine Tanzkarte auszufüllen.« Clarinda war fest entschlossen, dafür zu sorgen. Selbst wenn ihr frischgebackener Ehemann die Männer unter seinem Kommando dazu abordnen musste - zur Not unter Androhung drastischster Strafen.
»Was aber, wenn Gerüchte über meine«, Poppy warf einen Blick über die Schulter hinter sich und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, als ob sich irgendwo eine Klatschbase versteckt haben könnte, »Indiskretion bereits einigen der Ehefrauen der Offiziere über Briefe aus England zu Ohren gekommen sind?«
Es war eine unvorstellbare Ironie des Schicksals, dass ein schüchternes liebenswürdiges Geschöpf wie Poppy völlig unbeabsichtigt in den Skandal der Saison verwickelt worden war. Ein Skandal, der die Zungen zum Glühen gebracht und von London bis nach Surrey für vor Erstaunen offen stehende Münder gesorgt hatte. Zudem hatte der Skandal ihre letzte Hoffnung zerstört, einen Ehemann zu finden, bevor sie endgültig als alte Jungfer abgestempelt wurde.
Clarinda war selbst sprachlos, als sie das erste Mal gehört hatte, dass Poppy in einer mehr als kompromittierenden Lage mit einem gewissen jungen Herrn aus Berwickshire entdeckt worden war. Sie hatte die abenteuerliche Geschichte als Unsinn abgetan, bis sie erfahren hatte, dass es mehr als ein Dutzend Zeugen für den Vorfall gegeben hatte. Unfähig, den Gedanken daran zu ertragen, dass Poppy für eine Sünde bestraft wurde, die sie gar nicht begangen hatte, hatte sie unverzüglich eine Reisetasche gepackt und war ihrer Freundin zu Hilfe geeilt. Genauso, wie sie es unzählige Male während ihrer gemeinsamen Schulzeit getan hatte, als die reicheren hübscheren Mädchen sich über Poppys schlecht sitzende Kleider oder ihre dicken Brillengläser lustig gemacht oder sie gar Piggy statt Poppy gerufen hatten.
Poppy, die einzige Tochter eines einfachen Squire vom Land, war immer schon übertrieben dankbar für Clarindas Unterstützung gewesen, aber Clarinda war ebenso dankbar für Poppys treue Freundschaft. Clarindas Vater wollte unbedingt, dass seine Tochter eine erstklassige höhere Erziehung genoss. Das Erste, was sie in Miss Throckmortons Mädchenpensionat gelernt hatte, war, dass man mit Geld nicht die Achtung derjenigen kaufen konnte, die sich einbildeten, aufgrund ihrer Abstammung normalen Sterblichen überlegen zu sein. Als die heranwachsenden jungen »Damen« herausfanden, dass Clarindas Vater sein Vermögen im Handel verdient hatte, hatten sie ihre vornehmen Nasen gereckt und sich unverhohlen über ihre Abstammung lustig gemacht ... oder den Mangel daran. Indem sie selbst die Nase hoch getragen und so getan hatte, als ob die grausamen Worte sie nicht treffen konnten, hatte sie sich am Ende ihren Respekt erworben und war schließlich sogar eines der beliebtesten jungen Mädchen der Schule gewesen.
Aber sie hatte nie vergessen, dass Poppy ihre erste und treueste Freundin gewesen war, und dass sie sich ursprünglich zueinander hingezogen gefühlt hatten, weil keine von ihnen zu den anderen passte.
Clarinda vertraute darauf, dass der Außenposten in Burma voller einsamer Offiziere wäre, die sich verzweifelt nach weiblicher Gesellschaft sehnten. Frauen von vornehmer Herkunft wären dort nur spärlich gesät, und vergangene Fehltritte würden hier leichter vergeben und vergessen werden, statt dass man sie immer wieder boshaft neu aufleben ließ.
Sie selbst und Poppy flohen beide aus England und vor ihren Erinnerungen, den guten wie den schlechten.
»Jeder Offizier oder Gentleman, der solch müßigem Geschwätz Beachtung schenkt, ist es nicht wert, Miss Poppy Montmorency die Stiefel zu polieren«, beruhigte sie ihre Freundin, »und noch viel weniger, um ihre Hand zur Ehe anzuhalten.«
Poppys Lächeln erstrahlte wieder und brachte die Grübchen in ihren Wangen zum Vorschein. »Ich hoffe nur, dass ich einen Mann finde, der auch nur halb so leidenschaftlich und mir halb so ergeben ist wie deiner. Ich finde es furchtbar romantisch, dass er eine Passage auf einem seiner Schiffe für dich arrangiert, damit du um die halbe Welt reisen kannst, um seine Braut zu werden.«
Leidenschaft war kein Wort, das Clarinda je mit ihrem Verlobten in Verbindung gebracht hatte. Sicher, er hatte ihr lange Zeit den Hof gemacht, aber sein Heiratsantrag hatte aus einer langen Aufzählung all der Gründe bestanden, weswegen sie so gut zusammenpassten, und nicht aus einer glühenden Liebeserklärung. Doch seine Hartnäckigkeit und Beständigkeit hatten sie am Ende überzeugt, dass er sie nie verlassen und irgendeinem dummen Traum nachjagen würde.
Ihr Achselzucken deutete eine Leichtigkeit um ihr Herz an, die sie nicht wirklich verspürte. »Der Earl ist sowohl mir ergeben als auch praktisch veranlagt. Seine Stellung in der Ostindien-Kompanie bringt unglaubliche Verantwortung mit sich. Ich kann kaum von ihm erwarten, dass er für so etwas Frivoles wie eine Hochzeit seine Verpflichtungen vernachlässigt und nach London zurückkehrt. « Sie hakte sich bei Poppy unter und wandte ihr Gesicht in den Wind, genoss die Verheißung auf Freiheit, selbst wenn es nur eine Illusion war. »Ich kann gar nicht beschreiben, was für eine Freude und ein Trost es für mich ist, dich bei dieser Reise an meiner Seite zu wissen. Ich schlage vor, wir hören jetzt beide auf, uns Sorgen wegen der Vergangenheit oder um die Zukunft zu machen, und fangen stattdessen an, jeden einzelnen Augenblick dieser Reise zu genießen. Es ist gut möglich, dass es unser letztes großes Abenteuer wird, bevor wir uns einem Leben fader Ehrbarkeit widmen müssen.«
Clarinda wurde abrupt unterbrochen, als aus dem klaren blauen Himmel Donner dröhnte. Poppy und ihr blieb kaum genug Zeit, sich umzudrehen und ihre verwunderten Blicke auf das wolkenlose Blau zu richten, bevor etwas mit einem gewaltigen Aufspritzen vor ihnen auf dem Wasser aufschlug und sie beide mit kühlem Salzwasser überschüttete.
»Was, zur Hölle, ...?«, stieß Clarinda aus, dankbar dafür, dass sie in Vorbereitung auf ihren neuen Stand im Leben das Fluchen noch nicht aufgegeben hatte.
Ehe sie sich das Wasser aus den Augen wischen konnte, erklang ein neuerlicher Knall, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen hinter ihnen. Sie wirbelten herum und sahen gerade noch, wie der hohe Hauptmast des Schiffes einknickte und umfiel wie ein gefällter Baum. Der mächtige Stamm war unter dem tödlichen Gewicht einer Kanonenkugel gebrochen. Clarinda war sich vage bewusst, dass Poppys Fingernägel sich in die zarte Haut ihres Unterarmes bohrten, aber alles, was sie tun konnte, war, in hilflosem Entsetzen zuzuschauen, wie Unmengen von Segeltuch nach unten rauschten und das Deck unter sich begruben.
Sie waren gezwungen, einander loszulassen und die Reling hinter ihnen zu umklammern, als das Schiff sich zur Seite neigte und nach links steuerte, eine Vorwärtsbewegung war ohne Hauptmast nicht mehr möglich. Heisere Schreie drangen an ihre Ohren, untermalt von dem schrillen Schmerzensschrei irgendeiner armen Seele an Bord. Seeleute kamen aus allen Richtungen an Deck geeilt, manche mit Wassereimern bewaffnet, andere fielen auf die Knie, um die glimmenden Flämmchen am Toppsegel mit den bloßen Händen auszuschlagen.
Als das Schiff sich in einem schwindelerregenden Kreis zu drehen begann, kam ein junger Leutnant vom Hinterdeck zu ihnen gerannt. »Bitte, meine Damen, Sie müssen unter Deck. Wir werden angegriffen.«
»Angegriffen?«, wiederholte Clarinda, die wild hervorgestoßenen Worte verwirrten sie noch mehr. Soweit sie wusste, gab es niemanden mehr, der sie angreifen konnte. Seit der endgültigen Niederlage Napoleons waren die meisten von Englands Feinden unterworfen worden, wenn nicht mit Schwertern und Kanonen, dann durch Abkommen und Verträge. Niemand hatte es in den letzten zwei Jahrzehnten gewagt, Englands Vorherrschaft auf den sieben Weltmeeren infrage zu stellen.
Der Seemann blieb stolpernd vor ihnen stehen und riss sich seinen Zweispitz vom Kopf, er erinnerte sich offenbar auch unter solch schwierigen Umständen seiner Manieren. »Ich fürchte, es sind Piraten, Miss.« Sein Adamsapfel hüpfte in seinem Hals auf und nieder, als er sich mannhaft bemühte, seine eigene Angst herunterzuschlucken. »Korsaren.«
Poppy schnappte nach Luft. Man musste dieses Wort nur flüstern, um selbst in den unerschrockensten Seelen Furcht und Entsetzen zu säen. Eltern hatten es benutzt, um Generationen von aufrührerischen Kindern im Zaum zu halten, flüsterten in ihre kleinen Ohren, dass die Piraten kommen und sie aus den Betten stehlen würden, falls sie nicht artig ihr Abendgebet sprachen oder auch den letzten Löffel Haferbrei aufaßen.
Die Korsaren waren berüchtigt dafür, im Mittelmeer ihr Unwesen zu treiben. Sie überfielen jedes Schiff, das ihnen begegnete, auf der Suche nach Beute, keine davon so wertvoll wie die Frauen, die sie gefangen nahmen und auf den Sklavenmärkten der Barbarenküste in Nordafrika und Arabien verkauften.
Und die hatten noch Glück.
»Das verstehe ich nicht.« Clarinda biss die Zähne aufeinander, um ihr plötzliches Klappern zu unterbinden. »Ich dachte, die Franzosen hätten die Korsaren unterworfen, als sie Algerien erobert haben.«
»Die meisten von ihnen haben da wirklich aufgegeben. Das hat jedoch nur dazu geführt, dass die Unverbesserlichen jetzt noch rücksichtsloser und verzweifelter sind.« Der Leutnant warf einen Blick auf das wachsende Chaos hinter sich. »Bitte, Miss, wir haben nicht viel Zeit, Sie beide in Sicherheit zu bringen.« Seine Stimme brach, sie verriet seine Jugend und wie dicht er davor stand, selbst in Panik zu verfallen. »Wenn sie entern ...«
Es war nicht nötig, dass er zu Ende sprach. Und Clarinda hatte nicht das Herz, ihn darauf hinzuweisen, dass, wenn die Korsaren tatsächlich enterten, es keinen Ort an Bord des Schiffes gab, an dem sie oder Poppy - oder irgendeine andere Frau, die Ehefrau des Kapitäns und ihre eigenen Zofen eingeschlossen - vor dem brutalem Zugriff der Piraten sicher wären.
Sie schloss ihre Finger um Poppys zitternde Hand und zauberte aus den Resten ihres rasch schwindenden Mutes ein beruhigendes Lächeln auf ihre Lippen. »Komm, meine Liebe. Es sieht ganz so aus, als stünde uns ein viel größeres Abenteuer bevor, als wir geahnt haben.«
Der Leutnant zog seine Pistole und ging zurück übers Deck, er bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Hand in Hand wie zwei kleine Mädchen gehorchten sie. Sie waren schon zur Hälfte durch den engen Zwischengang geeilt, über den sie in die notdürftige Sicherheit des Schiffsbauches gelangen würden, als Clarinda jäh stehen blieb.
Mit einem entschuldigenden Blick zu Poppy riss sie ihre Hand los und rannte zurück über das Deck.
»Clarinda!«, schrie Poppy mit vor Entsetzen schriller Stimme. »Was tust du da?«
»Ich erweise mich als sentimentale Närrin«, murmelte Clarinda halblaut.
Das Skandalblättchen lag immer noch neben dem Stuhl, wo Poppy es achtlos hingeworfen hatte. Als Clarinda die Seite mit der Zeichnung von Captain Burke darauf aufhob, waren irgendwo an Bord die ersten Pistolenschüsse zu hören, gefolgt von dem Klirren von Stahl auf Stahl.
Sie wirbelte herum, rannte an die Seite ihrer Freundin und zog die atemlose Poppy mit sich; sie beeilten sich nun beide, wie um die verlorene Zeit wieder gutzumachen. Clarinda wollte nicht, dass irgendjemand anders für ihre Dummheit büßen musste. Der Leutnant hatte gerade erst die Klappe geöffnet und winkte sie hastig zu sich und in die schattige Öffnung des Kabinenganges. Sie waren fast am Ziel, als seine Miene sich jäh änderte.
Sein Mund wurde schlaff. Er schaute Clarinda verständnislos an, als hätte jemand auf seine Kosten einen Scherz gemacht, den er nicht ganz begreifen konnte.
Dann senkte er seinen Blick auf seine Brust.
Da erst bemerkte Clarinda die silbrige Spitze der Klinge, die in der Mitte aus seinem Brustkorb ragte. Poppy stieß einen markerschütternden Schrei aus. Als der Leutnant nach vorn fiel, machte Clarinda unwillkürlich einen Schritt in seine Richtung, um seinen Fall aufzuhalten. Während sie noch die Hände nach ihm ausstreckte, wurde die lange gebogene Klinge von hinten wieder aus seinem Oberkörper gezogen und vor ihnen geschwenkt. Der Leutnant sank in einem blutigen Haufen aufs Deck, sodass sie nun allein einem halben Dutzend Männern gegenüberstanden, die mit Pistolen und Krummsäbeln bewaffnet waren. Ihre Turbane und die wehenden Gewänder waren mit Blutspritzern übersät, von denen nur wenige von ihnen selbst stammten.
Ihr Atem ging immer schneller, Entsetzen und Panik ergriffen von ihr Besitz, als Clarinda sich rückwärts- bewegte, sich von ihnen entfernte und dabei eine vor Schreck stumme Poppy mit sich zog. Sie sandte dem bemitleidenswerten jungen Leutnant einen letzten Blick, aber das Blut, das aus seinem Mund rann, und der Schleier, der sich vor seine Augen legte, zeigte klar, dass ihm nicht mehr zu helfen war. Im Tod wirkte er noch jünger als im Leben. Clarindas heftiges Bedauern, dass es ihr nicht wenigstens vergönnt gewesen war, seinen Kopf auf ihren Schoß zu betten, während er starb, wandelte sich in den wilden Drang, zu beschützen und zu überleben.
Sie schob Poppy hinter sich, griff unter ihren Hut und zückte die einzige Waffe, die ihr zur Verfügung stand. Sie schwenkte die perlenbesetzte Hutnadel in Richtung der näher kommenden Männer. »Bleibt uns vom Leib, ihr elenden Briganten. Oder ich durchbohre euch, das schwöre ich.«
Die Männer verstanden ihre Worte vermutlich nicht, aber das mörderische Funkeln in ihren Augen entging ihnen nicht. Der Hüne mit dem blutigen Krummsäbel in der Hand blickte von seiner langen geschwungenen Klinge zu der dünnen Nadel in Clarindas weißen Fingern.
Sein olivfarbenes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, wobei mehrere blendend weiße Zähne zum Vorschein kamen und ein goldener, der sich genau in der Mitte seiner Zahnreihe befand. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte bellend. Die anderen Männer zögerten nicht, stimmten in sein Gelächter ein und ließen keinen Zweifel daran, dass der Scherz auf Clarindas Kosten ging.
Als der Mann dann sprach, tat er das mit lauter Stimme, aber in so klarem Englisch wie ihr eigenes. »Es wäre eine Schande, ein Geschöpf mit solchem Geist zu töten. Sie wird uns auf dem Markt einen hübschen Gewinn bringen. « Er musterte sie von Kopf bis Fuß, und das Glitzern in seinen Augen gab ihr das Gefühl, als stünde sie bereits nackt und zitternd auf dem Block des Auktionators auf irgendeinem Sklavenmarkt. »Es gibt viele Männer auf der Welt, die ein fürstliches Lösegeld für das Vergnügen zahlen würden, sie zu brechen.«
In dem Augenblick riss eine plötzliche Windböe Clarinda den Hut vom Kopf. Ihr Haar löste sich aus den Kämmen und fiel in einer Wolke weizenblonder Seide auf ihre Schultern.
Die Korsaren stießen bewundernde Ahs und Ohs aus. Ein Mann mit dem Gesicht eines unterernährten Wiesels und zwei abgebrochenen und schwarz angelaufenen Vorderzähnen streckte tatsächlich eine Hand aus, als wollte er ihr Haar berühren; seine Züge und sein Mund wirkten willenlos vor Sehnsucht. Bevor seine schmutzverkrusteten Finger auch nur eine Strähne berühren konnten, stach ihm Clarinda mit der Hutnadel tief in den Handrücken zwischen Daumen und Zeigefinger.
Mit einem lauten Aufheulen zog der Seeräuber seine verwundete Hand zurück und holte aus, als wollte er sie schlagen. Der Hüne versetzte ihm fast beiläufig einen Hieb, sodass er flach auf dem Deck landete, es schien ihn nicht mehr Kraft zu kosten, als ein gewöhnlicher Mann brauchte, um eine Mücke zu erschlagen.
»Behalt deine dreckigen Finger bei dir«, knurrte er. »Ich will keine Flecken auf unserer Ware.«
Das zärtliche Lächeln, das er Clarinda schenkte, war noch Furcht einflößender als sein Brummen. Ihrer notdürftigen Waffe beraubt, begann sie vor ihm zurückzuweichen, wobei sich Poppy immer noch an ihren Rücken klammerte.
Das Schluchzen in der Stimme ihrer Freundin spiegelte ihre eigene wachsende Verzweiflung wider. »Ach, wenn nur Captain Ashton Burke hier wäre!«, stöhnte Poppy. »Ich weiß genau, so ein Mann könnte uns retten.«
Als der Halbkreis aus Korsaren näher rückte, glitzerte auf ihren braunen Gesichtern der Schweiß des Kampfes, und in ihren dunklen Augen glomm eine verstörende Mischung aus Verlangen und Mordlust; genau da kam ein noch heftigerer Wind auf und entriss Captain Burkes Bild Clarindas tauben Fingern. Das Blatt mit der Zeichnung wirbelte über die Schiffsreling und wurde vom Wind davongetragen.
»Das ist das Problem mit Helden, Poppy«, bemerkte Clarinda grimmig. »Es ist nie einer in der Nähe, wenn du einen brauchst.«
Kapitel zwei
Keine Frau ist es wert, für sie zu sterben.
Diese Überzeugung hatte dafür gesorgt, dass Ashton Burke die vergangenen neun Jahre am Leben geblieben war. Sie hatte ihn dazu veranlasst, den tödlichen Spitzen von zahllosen Bajonetten auszuweichen, wenn er im Monsun Burmas, in dem man die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte, für seine Männer und für sein Vaterland England kämpfte. Sie hatte seinen Schritt gefestigt, als er sich mit der Machete einen Weg durch den Dschungel Indiens gebahnt hatte, wo die Luft so schwer und drückend war, dass sie sich einem wie eine Python um den Hals legte, um einem die Atemluft abzuschnüren. Sie hatte ihn endlose Stunden im Sattel gehalten, während er sein Pferd über sengenden Sand durch die Wüste Nordafrikas getrieben hatte, verfolgt von Beduinenstämmen und ihren Kriegerfürsten, die nach seinem Blut lechzten und nach der antiken Kostbarkeit, die er gerade aus ihrem gierigen Zugriff entwendet hatte.
Keine Frau ist es wert, für sie zu sterben.
Unglücklicherweise war das Erschießungskommando, dem er gegenüberstand, anderer Ansicht. Wie übrigens auch der erboste Ehemann, der seine Exekution angeordnet hatte.
Er blickte auf die Dutzend geladenen Musketen, deren Läufe auf ihn gerichtet waren, und musste unwillkürlich an mitternachtsschwarzes Haar denken, das sich über nach Jasmin und Myrrhe duftende Haut ergoss, einladende braune Augen, umrahmt mit Kajal, was ihre exotische Form betonte, volle Lippen in der Farbe von Zimt, die aber nach Honig und reifem Granatapfel schmeckten.
Vielleicht hatten das Erschießungskommando und der Ehemann doch recht. Vielleicht waren es manche Frauen wert, für sie zu sterben.
Als sie kamen, um ihm die Augen zu verbinden, und er die blendende Wüstensonne nicht länger sehen konnte, standen ihm seltsamerweise nicht diese exotischen Augen oder diese vollen Lippen vor Augen. Stattdessen waren es grüne Augen in der Farbe von Klee im Frühling und eine rosafarbene Oberlippe, die fast so voll war wie die Unterlippe, deren köstliche Weichheit einen Mann dazu verlockte, sich vorzubeugen und ganz zart daran zu knabbern.
Als er einen seiner vermutlich letzten Atemzüge tat, war es nicht der verführerische Duft von Jasmin und Myrrhe, sondern ein neckender Anflug von Maiglöckchen, so klar und rein wie Blüten, die vom letzten Schnee des Winters umgeben waren. Es war der Duft all dessen, nach dem zu sehnen er sich in den letzten Jahren verboten hatte, seit er sich in das selbstauferlegte Exil zurückgezogen hatte. Es war der Duft von England, der Duft der Heimat ... und ihr Duft.
Er hatte fast ein Jahrzehnt lang angestrengt jeden Gedanken an sie vermieden, aber es schien so, als habe sie auf der Lauer gelegen und auf den Moment gewartet, in dem er schutzlos war. Ein spöttisches Lächeln trat auf seine Lippen, was seine Scharfrichter zu nervösem Gemurmel veranlasste, während sie auf den Schießbefehl warteten. Sein legendärer Ruf, mit knapper Not jeder Gefahr zu entrinnen, war ihm offenbar vorausgeeilt. Das hier war schwerlich das erste Mal, dass er dem sicheren Tod ins Angesicht blickte. Es war noch nicht einmal das erste Erschießungskommando, dem er gegenüberstand.
Was sie nicht wissen konnten, war, dass sein Lächeln sich nicht über sie lustig machte, sondern über ihn selbst. Vielleicht war es nur recht und billig, dass sie ihn in diesen letzten Augenblicken seines Lebens verfolgte. Denn bald genug würde er sie verfolgen. Er wollte verdammt sein - und das war beileibe nicht ausgeschlossen, wenn man die beträchtliche Anzahl Gebote betrachtete, die er allein in den letzten vierzehn Tagen gebrochen hatte -, wenn er sich in die Ewigkeit zurückzog, ohne ihr einen letzten Besuch abzustatten.
Er konnte fast vor sich sehen, wie er sich im Mondschein in Form einer Nebelwolke über ihrem Bett materialisierte. Er konnte ihr weizenblondes seidiges Haar ausgebreitet auf ihrem Kopfkissen erkennen, das sanfte Heben und Senken ihrer Brüste unter dem Oberteil eines albern jungfräulichen Nachthemdes. Er würde über ihr schweben, sich vorbeugen, um einen letzten Kuss von ihren im Schlaf geteilten Lippen zu stehlen, während er alle leeren Stellen in ihr mit sich füllte. Dann würde sie am Morgen voller Sehnsucht erwachen, ohne sich an mehr zu erinnern, als an den Traum von einem Mann, der sie einmal geliebt hatte, nicht nur mit seinem Körper, sondern auch mit seiner ganzen Seele. Ein kehliges Kommando, gefolgt von dem Geräusch eines Dutzend Musketen, die gleichzeitig entsichert wurden, riss ihn aus seinen Gedanken.
Es schien ganz so, als wollte man ihm noch nicht einmal eine letzte Zigarre zum Rauchen gönnen oder die Gelegenheit, mit seinem Schöpfer seinen Frieden zu machen. Er würde hier in Marokko sterben - ein Fremder in einem Land, in dem niemand ihn betrauerte, niemand über seinem blutigen Leichnam Tränen vergießen würde. Wenn die Nachricht von seinem unrühmlichen Ende nach England gelangte, zweifelte er nicht, dass seine Eltern enttäuscht seufzen würden, während sein älterer Bruder mit gewohnt stoischer Zurückhaltung die Bürde des Skandals schultern würde. Erhobenen Hauptes und all dem anderen Unsinn.
Aber was war mit ihr?
Würde sie ihren Schock zum Ausdruck bringen und ihr Beileid in höflichen Worten übermitteln, dann leise in ihr Taschentuch schluchzen, wenn sie glaubte, dass niemand zuschaute? Würde sie mitten in der Nacht aufwachen, von Bedauern und Reue über vertane Chancen geschüttelt, all die vergeudeten Momente, die Nächte, die sie nun niemals zusammen erleben würden?
Er schnaubte. Es war viel wahrscheinlicher, dass sie einen Freudentanz auf seinem Grab aufführte, als seinetwegen auch nur eine einzige Träne zu vergießen.
Er reckte die Schultern und legte den Kopf in den Nacken, wappnete sich für das, was gleich kommen musste. Tief in seinem Herzen hatte er immer gewusst, dass er eines Tages als Schurke sterben würde, nicht als Held. Aber wenigstens würde er mit der Befriedigung abtreten, dass sie nie erfahren würde, dass ihr Name das letzte Wort gewesen war, das ihm über die Lippen kam.
Ein Trommelwirbel kündigte die letzten Augenblicke seines Lebens an.
Er kniff die Augen unter der Binde zu. Selbst in der Dunkelheit war sie da, lachte ihn mit ihrem übermütigen Lächeln und ihren tanzenden grünen Augen an.
Er hielt den Atem an, wartete darauf, das Kommando zu hören, das dem derben Scherz seines Lebens ein Ende bereiten würde.
Doch was er stattdessen hörte, waren laute Stimmen, ein kurzes, aber heftiges Handgemenge und etwas, das klang, als ob ein ganzes Regiment auf den Hof stürmte, auf dem er erschossen werden sollte.
Er verspannte sich. Es wurde etwas gerufen, das Meiste waren arabische Proteste gegen die Unterbrechung seiner Exekution. Aber es wurde auch in einer Sprache gesprochen, die er schon seit langer Zeit nicht mehr vernommen hatte. Eine Sprache, die an diesem Ort der Welt unmöglich zu hören sein konnte - das Englisch des Königs. Da er spürte, er befand sich nicht länger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, begann er, sich an den Seilen zu schaffen zu machen, die seine Hände hinter seinem Rücken fesselten. Während die Unruhe zunahm, nahm er etwas in sich wahr, das er eigentlich seit Langem aufgegeben hatte.
Hoffnung.
Das heisere Arabisch gipfelte in einem wüsten Fluch, bevor es in ein mit einem schweren Akzent belastetes Englisch des wütenden Ehemannes überging. »Wer sind Sie, dass Sie mit Ihren ungläubigen Hunden in mein Heim eindringen und mich auf diese beschämende Weise entehren?«
Endlich gaben die Seile seinen verzweifelten Bemühungen nach, sich zu befreien, und fielen von Ashs Handgelenken. Genau in dem Moment, als er eine Hand hob, um sich die Augenbinde abzunehmen, hörte er eine Stimme, die er überall wiedererkannt hätte. Sie war ebenso entschlossen wie damals, als sie von ihm verlangt hatte, seine Spielzeugkriegsschiffe herzugeben, da er anderenfalls damit rechnen müsse, dass sie im Badezuber versenkt würden.
Ash riss sich die Binde herunter und schaute verblüfft in kühle graue Augen, die ihm so vertraut waren wie seine eigenen bernsteinfarbenen.
Die knappen Worte seines Retters fühlten sich in der schwülen Hitze Marokkos wie scharfkantige Eisscheiben an. »Ich bin sein Bruder!«
»Lord Dravenwood wird Sie bald empfangen.«
»Das hatte ich befürchtet«, murmelte Ash, während er sich von dem Stapel Sandsäcke abstieß, an den er sich gelehnt hatte, um dem jungen Korporal mit den geröteten Wangen zu folgen. Es war unmöglich zu sagen, ob die streng förmliche Art des Mannes an seinem militärischen Training lag oder ein Ausdruck von Missbilligung war. Ash vermutete Letzteres.
Als er sich unter der Klappe des geräumigen Zeltes hindurchduckte und so den Strahlen der gnadenlosen Wüstensonne entkam, kostete es ihn Mühe, sich einen anerkennenden Pfiff zu verkneifen. Das musste der Neid seinem Bruder lassen, es war ihm gelungen, eine Oase makelloser englischer Kultur selbst in der Wildnis der marokkanischen Wüste unmittelbar vor den Mauern Marrakeschs zu erschaffen. Wenn die Zeltwände nicht leicht im Wind wehen würden und nicht eine feine Sandschicht auf sämtlichen Oberflächen läge, hätte Ash ebenso gut gerade in den eleganten Salon in einem Londoner Stadthaus schlendern können.
Ein türkischer Teppich belebte das Zeltinnere mit smaragdgrünen und granatroten Farbtupfern. Der Teppich war zweifellos aufgerollt und den ganzen weiten Weg von England hertransportiert worden, obwohl ein ebenso kostbarer mühelos für ein paar Pfund auf irgendeinem der Basare vor Ort hätte gekauft werden können. Ein einzelnes Platzset aus Porzellan, Bleikristall und Silber zierte einen rechteckigen Tisch mit einer weißen Leinentischdecke. Es gab sogar einen Teewagen auf Rollen mit einem goldgeränderten Worcester-Teeservice, um es seinem Bruder und seinen obersten Kommandanten zu ermöglichen, dem zivilisiertesten Ritual der Engländer zu frönen - dem Nachmittagstee.
Der geschnitzte Fuß einer griechischen Chaiselongue lugte unter einem Paravent hervor, hinter dem sich der zur privaten Nutzung abgetrennte Zeltbereich verbarg. Das Regal aus Mahagoni daneben beherbergte eine ordentliche Reihe ledergebundener Bücher. Dieses Mal konnte Ash ein Schnauben nicht ganz unterdrücken. Vermutlich standen sie auch noch alphabetisch sortiert. Selbst als kleiner Junge hatte sein Bruder als Lektüre immer schon schwere Wälzer mit militärischen Abhandlungen bis ins letzte Detail über irgendwelche Schlachten und die Gedankenspiele griechischer Philosophen bevorzugt, während Ash selbst am liebsten die Heldentaten gelesen hatte, die den Köpfen von Männern mit so fruchtbarer Fantasie wie Sir Walter Scott und Daniel Defoe entsprungen waren. Das heißt natürlich nur, wenn er nicht gerade ein Bändchen mit unartigen Zeichnungen durchblätterte, das einer der keckeren Lakaien seines Vaters ins Haus geschmuggelt hatte.
An der westlichen Wand des Zeltes hing an einem dünnen Strick, der oben an dem Zeltgestänge befestigt war, ein Landschaftsgemälde in goldverziertem Rahmen. Ash betrachtete blinzelnd das Gemälde und erkannte schließlich den romantischen Malstil John Constables. Er war sich fast sicher, ein Original vor sich zu haben.
Er schüttelte verwundert den Kopf, fragte sich, wie viele Wagen, Pferde und Kamele nötig gewesen waren, die Ausstattung seines Bruders hierherzutransportieren. Ash hatte sich immer etwas darauf eingebildet, dass er mit leichtem Gepäck reiste. Er hatte es auf die harte Tour gelernt, einen hastigen Rückzug mit nicht mehr als den Kleidern auf dem Leib anzutreten - und manchmal noch nicht einmal das.
Sein Bruder hatte immer schon der Bequemlichkeit von Heim und Herd den Vorzug gegeben. Leider brachte der Umstand, dass er zu einem Mitglied in dem berühmten Direktorengremium der Ostindien-Kompanie aufgestiegen war, mit sich, dass er viel reiste, mitunter zu den unzivilisiertesten Orten auf der Erde. Sobald er die herausragende Stellung im Viererrat erreicht hatte - was ihm angesichts seines kometenhaften politischen Aufstiegs sicher bald gelänge -, würde er wahrscheinlich seine Geschäfte mehrheitlich von zu Hause aus erledigen, ohne seinen gemütlichen Salon in Dryden Hall zu verlassen, in dem Anwesen der Familie in Surrey.
Sein Bruder wirkte genau so, als gehörte er hinter ebendiesen Schreibtisch aus Mahagoni, an dem er gerade Notizen in eine ledergebundene Kladde machte. Seine Handschrift war immer schon das Einzige an ihm gewesen, was nicht unbedingt perfekt geraten war. Als Ash näher kam, kratzte die Silberspitze des Stiftes weiter über das Papier. Er schaute nicht auf, noch nicht einmal, als Ash direkt vor dem Schreibtisch stehen blieb.
Ash verspürte ein allzu vertrautes Aufflackern von Verärgerung. Die Fähigkeit seines Bruders, sich auf die vor ihm liegende Aufgabe voll und ganz zu konzentrieren, war beinahe legendär. Ash erinnerte es daran, dass er sich früher nicht mit dem Krumen Aufmerksamkeit begnügt hätte, den Max ihm jetzt gnädigerweise zugestand.
Er beugte sich vor und stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch, dabei sagte er gedehnt: »Hallo, Max.«
Der Stift verharrte mitten im Wort und hinterließ einen hässlichen Tintenfleck auf der Seite. Das schätzte Max sicher nicht, überlegte Ash mit grimmiger, durchaus boshafter Befriedigung. Sein Bruder hatte für Unzulänglichkeiten noch nie Verständnis aufgebracht. Besonders bei sich selbst nicht.
Max hob langsam den Kopf, um Ash mit einem frostigen Blick zu bedenken, der zu einem Handgemenge geführt hätte, wenn sie beide noch in kurzen Hosen gesteckt hätten. »Du weißt genau, dass ich mir aus diesem Spitznamen nie etwas gemacht habe.«
Er log. Es war sein Vater, der es hasste, wenn sie einander mit etwas anderem ansprachen als ihrem vollen Vornamen. Ihr Vater hatte immer gesagt, Max und Ash seien gewöhnliche Namen, die besser zu Straßenjungen oder Kaminkehrerburschen passten als zu den Söhnen eines Herzogs.
Ash richtete sich auf, zuversichtlich, dass sein spöttisches Lächeln nicht nur seinen Bruder weiter erzürnen würde. »Wäre es dir lieber, wenn ich dich mit ›Lord Dravenwood‹ anspräche?«
»Du kannst mich mit meinem Namen ansprechen - Maximillian.« Max schlug die Kladde vor sich zu und steckte den Stift wieder in das Tintenfass zurück.
Seit fast zehn Jahren hatten sie sich nicht mehr gegenübergestanden. Andere Brüder hätten sich die Hände geschüttelt, sich gegenseitig auf die Schulter geklopft oder gar herzlich umarmt. Aber sie musterten sich nur einen langen stummen Augenblick, in dem sie versuchten einander einzuschätzen.
Trotz ihrer Entfremdung trafen die Veränderungen in seinem Bruder Ash unvorbereitet. Max war nur achtzehn Monate älter als er, aber das dunkle Haar an seinen Schläfen war bereits mit Silber durchsetzt. Die Last der Verantwortung hatte tiefe Furchen neben seine Mundwinkel und einen Kranz feiner Fältchen um seine Augen gegraben. Ash konnte an dem Blick dieser Augen erkennen, dass Max nicht sonderlich erfreut darüber war, was er sah.
Während er darauf gewartet hatte, dass sein Bruder ihn zu sich rief, hatte Ash ein Bad genommen und war in die sauberen Kleider geschlüpft, die ihm zur Verfügung gestellt worden waren. Da sie in dem behelfsmäßigen Lager die beiden einzigen Männer waren, die so breite Schultern hatten und über sechs Fuß groß waren, vermutete er, die Kleider gehörten Max. Das mochte die leichte Abneigung erklären, die Ash verspürt hatte, während er sie sich überstreifte. Er hatte als kleiner Junge genug abgelegte Kleider seines Bruders auftragen müssen.
Er hatte die Kleider leicht verändert, damit sie ihm passten, hatte den steif gestärkten Kragen weggelassen und das weiße Leinenhemd nicht bis oben zugeknöpft. Er hatte sich geweigert, die stoffbezogenen Knöpfe des Rockes zu schließen und gänzlich auf die Weste verzichtet. Reuig strich er sich über das frisch rasierte Kinn. Ihm fehlte der kurz gestutzte Bart ein wenig, den er gewöhnlich trug. Der schützte nicht nur sein Gesicht vor dem scharfen Sand, den der Wind vor sich her wehte, sondern hatte sich auch mehrmals als nützlich erwiesen, wenn es um Leben oder Tod ging, wenn er rasch in einer Menge untertauchen musste. Wenigstens hatte Max keine Zeit gehabt, ihm einen Barbier zu schicken, um ihm die karamellfarbene Haarmähne zu schneiden, die ihm bis auf die Schultern fiel.
»Setz dich«, sagte Max knapp und nickte zu dem Stuhl, der in einem genau bemessenen Winkel vor dem Schreibtisch stand.
Natürlich saß Max selbst auf einem ledernen Polsterstuhl, der vermutlich so viel Pfund gekostet hatte, wie er wog. Ash ließ sich vorsichtig auf das knarzende Gestell aus Holz und Stoff nieder und hoffte, es werde nicht unter seinem Gewicht zusammenbrechen, sodass er auf dem Boden landete.
Er streckte seine langen Beine vor sich aus und zog eine türkische Zigarre aus seiner Tasche. Er hatte sie von einem liebenswerten jungen Leutnant geschnorrt, während er auf Max' Aufforderung wartete.
An der Sohle seines Stiefels entzündete er ein Streichholz und führte die Flamme zu der Zigarrenspitze. Sie fing mit einem leisen Zischen Feuer und sandte eine aromatische Rauchsäule gen Himmel.
Max' angewiderte Grimasse war nicht misszuverstehen. »Ich finde, Brandy und Zigarren bleiben am besten auf den Empfangssalon nach dem Supper beschränkt.«
Ash nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre, widerstand nur mit Mühe dem kindischen Verlangen, seinem Bruder Rauchringe ins Gesicht zu blasen. »Ich kann nirgends einen Salon entdecken, und ich hatte nicht damit gerechnet, zum Supper geladen zu werden. Obwohl ich natürlich einen Brandy nicht ablehnen würde, wenn du mir einen anbieten willst.«
Ohne ein Wort stand Max auf und marschierte zu der Bleikristallkaraffe auf dem Seitentischchen. Er schenkte genau drei Finger hoch der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in ein bauchiges Glas und reichte es Ash, bevor er zu seinem Stuhl zurückkehrte.
Ash nahm einen Schluck von dem teuren Brandy, genoss das weiche Brennen in seiner Kehle, dann senkte er das Glas wieder und seufzte zufrieden. »Meine unvergängliche Dankbarkeit ist dir sicher. Was auch immer du sonst an Charaktermängeln aufzuweisen hast, an deinem Geschmack in Bezug auf Spirituosen gibt es nichts auszusetzen. «
Max lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sandte Ash einen tadelnden Blick. »Ich dachte eigentlich, du wärst mir für etwas Wichtigeres dankbar. Wie beispielsweise, dir deine ... Haut gerettet zu haben.«
Max' unmerkliches Zögern war an exakt dem Punkt aufgetreten, an dem ihr Vater immer das Wort wertlos eingefügt hatte. Trotz seiner kohlschwarzen Haare war Max immer der goldene Sohn gewesen, der Junge, der nichts falsch machen konnte, während Ash auf der anderen Seite nichts richtig machen konnte. Von dem Moment seiner Geburt an hatte ihr Vater keinen Zweifel daran gelassen, dass Max der Erbe war und Ash nur Ersatz. Und ein armseliger Ersatz obendrein. Nachdem Ash erst einmal begriffen hatte, dass es unmöglich war, es ihrem Vater recht zu machen, hatte er alle Versuche aufgegeben.
Er zuckte die Achseln. »Ich habe dich gerade erst meiner unvergänglichen Dankbarkeit versichert. Viel mehr habe ich nicht zu bieten, außer den Kleidern auf meinem Leib. Und ich hege den starken Verdacht, dass es eigentlich deine sind.«
Max schüttelte abgestoßen den Kopf. »Ich nehme an, es hätte mich nicht überraschen dürfen, dass bei deiner letzten Klemme eine Frau im Spiel war.«
»Ist das nicht immer so?« Einen Stiefel über das Knie des anderen Beines legend, schenkte Ash seinem Bruder ein träges Lächeln.
»Würdest du mir vielleicht erklären, was dich dazu getrieben hat, die Ehefrau eines mächtigen - und außergewöhnlich heißblütigen - Mannes zu verführen? Eines mächtigen Stammesführers in einem Teil der Welt, in dem die leiseste eingebildete Beleidigung einen Mann den Kopf kosten kann? Besonders wenn dieser Kopf zufällig zu dem Körper eines Engländers gehört?«
»Eine seiner Frauen«, verbesserte Ash ihn milde. »Und was verleitet einen Mann gewöhnlich dazu, eine Frau zu verführen? Ein Seitenblick unter dichten seidigen Wimpern? Weiche Lippen, wie zum Küssen geschaffen? Ein einladender Hüftschwung? Ich bezweifle, dass selbst ein Mann von deiner legendären moralischen Stärke solchen Reizen gegenüber unempfänglich bleiben würde.«
Ash wollte seinen Atem nicht darauf verschwenden, zu erklären, dass Fatima zu ihm gekommen war. Sie hatte verstohlen an die Tür seiner Unterkunft geklopft, nachdem sie sich auf dem Marktplatz begegnet waren. Sie hatte die hauchdünne Seide zurückgezogen, die ihre vollen Brüste bedeckte, nicht um ihn mit ihrer Nacktheit zu verführen, sondern um ihm die frischen blauen Flecken zu zeigen, die ihr Ehemann ihr mit seinen Fäusten zugefügt hatte. Angesichts der verblassten Narben war ihm sofort klar, dass die frischen Prellungen nur die letzten in einer langen Reihe von Verletzungen ihrer perfekten Haut waren. Ebenso wenig erläuterte Ash, dass er sie nicht aus Lust mit den Lippen berührt hatte, sondern um den Schmerz zu lindern. Oder dass, nachdem sie ihm die Arme um den Hals geschlungen hatte und sie beide auf sein Bett gefallen waren, er es gewesen war, der zur Vernunft gekommen war und versucht hatte, sich aus ihrer Umarmung zu lösen. Sie hatte eine erholsame Nacht in seinem Bett verbracht, während er sich schlaflos auf dem harten Fußboden gewälzt und sich die ganze Zeit einen Narren geschimpft hatte.
Er sparte es sich, Max irgendetwas davon zu sagen. Er wusste, sein Bruder würde ihm niemals glauben. Er glaubte es sich ja selbst kaum.
»Als ob dem Mann Hörner aufzusetzen nicht schon schlimm genug wäre«, sagte Max, »musstest du auch noch allem die Krone aufsetzen, indem du sie auf ein Schiff verfrachtet und ihr dabei geholfen hast, ihm wegzulaufen. War das alles Teil deines hirnverbrannten Plans? Sich im nächsten Hafen mit ihr zu treffen und in irgendeinem dreckigen Wirtshaus zu bleiben, bis du ihrer müde geworden bist und dich daran machst, irgendeiner anderen Schönheit nachzusteigen, auf die du ein Auge geworfen hast?«
Genau genommen hatte Ash nicht vorgehabt, Fatima je wiederzusehen. Bevor ihr Schiff abgesegelt war, hatte er ihr eine prall gefüllte Geldbörse in die Hand gedrückt, mit so viel Gold darin, dass sie nie wieder auf die Gnade und das Wohlwollen eines Mannes angewiesen wäre, ihn selbst eingeschlossen. Wenn nicht einer von Mustafas Männern zufällig Zeuge des dankbaren Kusses gewesen wäre, den sie ihm gegeben hatte, bevor sie an Bord des Schiffes gegangen war, hätte sich Ash auf dem nächsten Schiff wiedergefunden, auf dem Weg irgendwohin in die Welt, nur nicht nach Marokko, wo er vor einem Erschießungskommando auf Mustafas Hof gelandet war.
Er schwenkte den restlichen Brandy in seinem Glas, ehe er ihn in einem einzigen Zug austrank. »Es wundert mich, dass du nicht einfach zugelassen hast, dass Mustafas Männer mich erschießen.«
»Denk nur nicht, ich sei nicht in Versuchung gewesen «, bemerkte Max grimmig. »Ich hätte vielleicht sogar genau das getan, wenn ich nicht einen Auftrag für dich hätte.«
Ash beugte sich vor und stellte das leere Glas auf den Schreibtisch. »Vielleicht ist die Neuigkeit noch nicht bis zu dir vorgedrungen, aber ich habe mein Offizierspatent verkauft. Ich arbeite nicht länger für die Kompanie. Oder für dich. Ich habe mehrere Jahre meiner Jugend im Dienst für König, Vaterland und die Kompanie vergeudet. Jetzt kümmere ich mich nur noch um mich selbst.«
»Ich bin sehr wohl im Bilde über deine Heldentaten als Söldner. Wie unsere Eltern im Übrigen auch. Dein Treiben liefert mehr als genug Futter für die Londoner Klatschpresse und hat unseren Vater oft genug beim Frühstück an den Rande eines Anfalles gebracht.«
»Jetzt versuchst du, mir eine Freude zu machen.«
Der Anflug eines Lächelns zuckte um Max' Lippen, und einen flüchtigen Moment lang waren sie wieder die Brüder, die unter der Decke den Streich ausgeheckt hatten, ihrem Vater einen Frosch in den Badezuber zu legen. Trotz der Bemühungen ihres Vaters, einen Keil zwischen sie zu treiben, indem er Max ununterbrochen überschwänglich lobte und Ash andauernd kritisierte, waren sie wie Pech und Schwefel gewesen.
Das alles hatte sich geändert, nachdem Ash aus Eton heimgekehrt war und der Bruder, den er geliebt und bewundert hatte, verschwunden war, ersetzt durch einen jungen Mann, der ihn so kalt und verächtlich behandelte wie ihr Vater. Ashs Schmerz und seine Verwunderung hatten sich langsam in Zorn verwandelt, dann in Gleichgültigkeit. Da Max sich ihm nicht anvertrauen wollte, konnte Ash nur davon ausgehen, dass Max sich nicht länger mit einem jüngeren Bruder abgeben wollte, dessen Halstuch ständig schief hing und bei dem man sich darauf verlassen konnte, dass er während einer Unterhaltung genau im falschen Moment mit einer sarkastischen Bemerkung herausplatzte.
Selbst jetzt war Max' Belustigung über Ashs Spitze nur von kurzer Dauer. Als müsse er seine Hände irgendwie beschäftigen, begann er, einen bereits tadellos ordentlichen Stapel Papier zu ordnen. »Es geht um meine Verlobte. Vor drei Monaten war sie auf dem Weg nach Burma zu unserer Hochzeit, als ihr Schiff überfallen wurde und sie und ihre Gesellschafterin entführt wurden.« Nicht länger imstande, die Charade sinniger Aktivität aufrechtzuerhalten, hielt er seine Hände still. Er hob den Kopf und schaute Ash in die Augen, zeigte ihm endlich, wie tief seine Verzweiflung reichte. »Von Korsaren.«
Ash konnte sich ein mitleidiges Zusammenzucken kaum verkneifen. Sie wussten beide, eine Frau, die das Pech hatte, in die Hände dieser Barbaren zu fallen, war tot besser dran.
»Hat man dir schon eine Lösegeldforderung geschickt? «, fragte er. Ihre Entführer wären viel weniger geneigt, die Ware zu ruinieren, wenn sie glaubten, dass ihnen ein schöner Profit winkte, wenn sie sie unversehrt ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgaben.
Max schüttelte den Kopf. »Ich habe noch keine Nachricht erhalten, aber ich habe Nachforschungen angestellt. Einer verlässlichen Quelle zufolge ist sie«, er wandte den Blick ab und schluckte, hatte offenbar große Schwierigkeiten, die nächsten Worte auszusprechen, »verkauft worden. An einen mächtigen Sultan in der Provinz El Jadida.«
Copyright © 2013 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München
Unbeeindruckt fuhr Poppy fort: »Nachdem er sein Regiment in der Armee der Ostindien-Kompanie im burmesischen Krieg von einem eindrucksvollen Sieg zum nächsten geführt hat, wurde ihm vom König die Ritter- würde verliehen. Wegen seines ungestümen Einsatzes im Nahkampf haben seine Männer ihm den Spitznamen ›Sir Wild‹ gegeben.«
»Das klingt auch gleich viel furchteinflößender als ›Sir Höflich‹.« Clarinda war selbst reichlich wild zumute, während sie in ihrem Buch blätterte und blind auf die Wörter starrte, die genauso gut in Sanskrit hätten geschrieben sein können.
»Gerüchten nach«, las Poppy vor, »soll er während seiner Zeit in Indien eine wunderschöne Hindustani-Prinzessin vor Banditen gerettet haben, die sie aus ihrem Palast entführt hatten. Als ihr Vater ihm als Belohnung ihre Hand zur Ehe antrug und ein Vermögen in Gold und Juwelen bot, unterrichtete Burke ihn, dass er mit einem Kuss schon mehr als genug belohnt sei.«
»Ihr Vater muss ausgezeichnet küssen«, erwiderte Clarinda und hob das Buch, um ihr Gesicht dahinter zu verstecken.
Poppy löste ihren verträumten Blick lang genug von dem Klatschblättchen, um Clarinda erbittert anzusehen. »Doch nicht von ihrem Vater, Dummerchen. Von der Prinzessin. In dem Artikel wird behauptet, seine romantischen Abenteuer seien nahezu ebenso legendär wie seine militärischen. Es heißt hier, nachdem er seine Entlassung aus der Armee beantragt hatte, sei Burke von der Afrikanischen Assoziation eingestellt worden, um eine Expedition tief ins Innere des Kontinents zu leiten. Sein Vertrag mit dem Verein endete vor drei Jahren, als er mit zahlreichen Aufzeichnungen zu Bräuchen - vor allem Bräuchen im Zusammenhang mit der Fortpflanzung - der primitiven Stämme, die er dort entdeckt hatte, aus Afrika zurückkehrte. Selbst die abgebrühtesten Gelehrten waren von der Detailverliebtheit der Beschreibung seiner Funde schockiert. Manche von ihnen sind sogar so weit gegangen anzudeuten, er könnte sich selbst an diesen Fruchtbarkeitsriten beteiligt haben!«
Clarinda verzog bei Poppys schrillem Gelächter unwillkürlich das Gesicht. Das Bild eines Mannes, der sich in die schlanken glatten Arme einer ebenholzfarbenen Schönheit sinken ließ, während Flammen um sie tanzten und die Trommeln der Eingeborenen in einem unwiderstehlichen Rhythmus schlugen, ließ ihre Schläfen unangenehm pochen. Kurz erwog sie, das Klatschblättchen einfach über Bord zu werfen. Vielleicht auch Poppy gleich mit.
Für gewöhnlich war Penelope Montmorency, die Clarinda und ihre früheren Klassenkameradinnen in Miss Bedelia Throckmortons Pensionat für höhere Töchter einfach Poppy nannten, eine angenehme Gesellschaft. Sie hatte zwar eine Schwäche für Klatsch und mit Zuckerguss überzogene Teekuchen sowie die Neigung, alles, was sie sagte, so zu betonen, als stünde am Ende ein Ausrufezeichen, aber sie war auch gutmütig und loyal ohne eine Unze Boshaftigkeit in ihrer kleinen leicht rundlichen Gestalt.
Poppy war meistens zufrieden damit, Clarinda aus den geheiligten Seiten des Ladies' Fashionable Repository vorzulesen. Aber offensichtlich konnten sich die üppigen Federn, die ausgestopften Vögel und Unmengen Bänder, mit denen die Französinnen diesen Sommer die Krempen ihrer Hüte überluden, mit den legendären Heldentaten - ob nun romantischer oder anderer Natur - des schneidigen Captain Sir Ashton Burke nicht messen.
Das sanfte Heben und Senken des Schiffsdecks unter ihren Stühlen fühlte sich für Clarinda mit einem Mal nicht mehr beruhigend an. Obwohl sie nie unter Seekrankheit zu leiden hatte, begann sie sich entschieden mulmig zu fühlen. Sie legte ihr Buch beiseite, stand aus dem Liegestuhl auf und ging nach vorn zum Bug des Schiffes, um das Gefühl abzuschütteln. Es gab nichts als See und Himmel, so weit das Auge reichte, und damit auch keinen Ort, an den sie sich zurückziehen konnte, um Poppys Faszination für das Thema des Artikels zu entkommen.
»Seit er seine Verbindung sowohl mit der Ostindien- Kompanie als auch mit der Afrikanischen Assoziation beendet hat«, las ihre Freundin weiter, »ist das Mysterium, das Burke umgibt, noch rätselhafter geworden. Es gibt Leute, die Spekulationen darüber anstellen, wie er nun seine Zeit verbringt, ob er unbezahlbare archäologische Schätze hebt oder ob er am Ende gar als Spion in Diensten einer fremden Regierung steht.«
Clarinda zwang sich zu einem Gähnen. »Er kann nicht sonderlich geschickt in dem Metier sein, wenn irgendjemand den Verdacht hegt, er sei ein Spion.«
»Zu dem Artikel gehört auch eine Zeichnung von ihm.« Fröhliches Blätterrascheln war zu hören, während Poppy das Klatschblättchen erst in die eine, dann in die andere Richtung wendete, um die Zeichnung aus allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten, bevor sie voller Überzeugung verkündete: »Ich fürchte, der Künstler hat ihm geschmeichelt. Kein Mann kann so gut aussehen, oder?«
Clarinda umklammerte die Reling des Schiffes und bekämpfte den Drang, herumzuwirbeln und Poppy die Zeitung aus den Händen zu reißen. Sie brauchte keine Zeichnung, um sich an die Augen mit der bernsteinfarbenen schwarzgeränderten Iris zu erinnern, in der klare goldene Pünktchen schimmerten. Oder an das unbekümmerte Grübchen in seiner Wange und die wunderschön geschnittenen Lippen, die immer kurz davor zu stehen schienen, sich zu einem spöttischen Lächeln zu verziehen, bevor sie weicher wurden, um einen Kuss zu stehlen ... oder ein wehrloses Herz. Vielleicht hätten Michelangelo oder Raphael diesen Details gerecht werden können, aber es war unmöglich, mit ein paar achtlosen Bleistiftstrichen die unbändige Lebenskraft eines solchen Mannes einzufangen.
»Er ist vielleicht viele Jahre lang nicht in England gewesen, aber ihr seid doch auf benachbarten Landsitzen aufgewachsen, nicht wahr?«, erkundigte Poppy sich. »Sicherlich hast du ihn wenigstens flüchtig gekannt, oder?«
»Es ist Jahre her, seit ich ihn das letzte Mal zu Gesicht bekommen habe, und da war er kaum mehr als ein junger Bursche. Meine Erinnerung an ihn ist ein wenig verschwommen «, log Clarinda. »Ich erinnere mich vage an eine lange gebogene Nase, dürre O-Beine und vorstehende Zähne wie bei einem Biber.« Clarinda benötigte einen Moment, um zu erkennen, dass sie damit den unsympathischsten ihrer Tanzlehrer bei Miss Throckmorton beschrieben hatte. Der arme Mr. Tudbury hatte zudem die unselige Neigung, beim Sprechen zu spucken, wenn er ihr und den anderen das Kommando zu einer Pirouette oder zu einem battement glissé gab.
Poppy seufzte wehmütig. »Ich frage mich, wohin der Captain wohl dieses Mal verschwunden ist. Denkst du, er ist wieder eine Prinzessin retten gegangen?«
Von dem verräterischen Aufzucken von Sehnsucht in ihrem Herzen getroffen, drehte sich Clarinda zu ihr um und schaute sie an. »Wirklich, Poppy! Es besteht keine Notwendigkeit, den Mann anzuhimmeln, als seien wir beide ein paar alberner Schulmädchen. Er ist nichts als ein habgieriger Glücksritter, der seinen Lebensunterhalt mit Grabräubereien und damit, sein Schwert an den Meistbietenden zu verhökern, bestreitet. Die Presse hat vielleicht beschlossen, ihn zu glorifizieren, aber das macht ihn noch lange nicht zu einem Helden.« Clarinda mahnte sich innerlich zu Geduld. »Die meisten Männer, die sich mit Gerüchten und Geheimnissen umgeben, tun das, weil es in ihrem Leben nichts von echter Substanz gibt. Sie verbreiten all diese Gerüchte, um ihre eigenen ... Unzulänglichkeiten zu verdecken.«
»Unzulänglichkeiten?« Poppys lavendelblaue Augen weiteten sich hinter den dicken Linsen ihrer Brille. »Sicherlich willst du damit nicht sagen ...« Unmengen aprikosenblonder Korkenzieherlocken wippten wie die Ohren eines Spaniels, als sie sich die Hand vor den Mund schlug, um ein schockiertes Kichern zu verbergen. »Himmel, Clarinda, du Schlimme! Du musst wirklich lernen, deine unartige Zunge zu hüten. Schließlich wirst du in weniger als vierzehn Tagen einen Earl heiraten.«
Poppys mahnende Worte erinnerten Clarinda daran, was und wer sie am Ende dieser Reise durch die unruhigen Gewässer des Nordatlantiks erwartete. Sie brauchte Poppy nicht, um sich vor Augen zu führen, dass sie von jeder eifrigen jungen Debütantin glühend beneidet wurde, deren Hoffnungen durch die kürzlich erfolgte Bekanntmachung ihrer Verlobung alle zunichtegemacht worden waren. Irgendwie war es ihr gelungen, sich den begehrtesten Junggesellen von ganz England zu angeln und das im verhältnismäßig fortgeschrittenen Alter von sechsundzwanzig Jahren.
Ihr Verlobter war ein wunderbarer Mann - gut aussehend, intelligent und vornehm sowohl dem Namen als auch dem Wesen nach. Er war alles, was sich eine Frau nur wünschen konnte ... und sollte.
Was den hohlen Schmerz in Clarindas Herz nicht erklären konnte, als sie sich wieder zum Meer umdrehte, um Poppys neckendem Blick auszuweichen. Oder dem verzweifelten Verlangen, sich den Hut vom Kopf zu reißen, die Perlmuttkämme aus ihrer Frisur zu ziehen und sich den Wind ungehindert durch die langen weizenblonden Haare wehen zu lassen.
Die Sonne schimmerte auf den Kronen der Wellen in der Ferne, und die unerbittliche Helligkeit blendete sie. »Wenn ich Countess bin«, erklärte sie mit entschlossener Fröhlichkeit, »werde ich nie wieder meine Zunge hüten müssen. Ich erwarte vielmehr, dass alle anderen um mich herum aufpassen, was sie sagen.«
»Und das beginnt bei mir, vermute ich.« Poppy warf das Skandalblättchen zur Seite und erhob sich, um sich neben Clarinda an die Reling zu stellen. »Ich dachte, du seist mehr an Captain Burkes Abenteuern interessiert, da er ja schließlich dein Schwa...«
»Lass uns von etwas anderem reden, ja?«, unterbrach Clarinda sie, bevor Poppy das Unaussprechliche sagen konnte und sie letztlich doch dazu treiben würde, über Bord zu springen. »Beispielsweise darüber, dass du die gefeierte Sensation des Regimentes sein wirst, wenn wir erst einmal in Burma angekommen sind.«
»Glaubst du das wirklich?« Ein erfreutes Strahlen breitete sich auf Poppys Gesicht aus und ließ ihre roten Apfelbäckchen leuchten. »Ich mag Soldaten ja so sehr. Ich war immer schon der Ansicht, dass eine Uniform jeden Mann - und sei er noch so unscheinbar - wie einen Prinzen und Helden aussehen lassen kann!«
»Warte nur ab, und sieh es dir selbst an. Gut aussehende junge Offiziere werden sich Faustkämpfe liefern und sich gegenseitig zum Duell fordern, um sich anstellen zu dürfen und deine Tanzkarte auszufüllen.« Clarinda war fest entschlossen, dafür zu sorgen. Selbst wenn ihr frischgebackener Ehemann die Männer unter seinem Kommando dazu abordnen musste - zur Not unter Androhung drastischster Strafen.
»Was aber, wenn Gerüchte über meine«, Poppy warf einen Blick über die Schulter hinter sich und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, als ob sich irgendwo eine Klatschbase versteckt haben könnte, »Indiskretion bereits einigen der Ehefrauen der Offiziere über Briefe aus England zu Ohren gekommen sind?«
Es war eine unvorstellbare Ironie des Schicksals, dass ein schüchternes liebenswürdiges Geschöpf wie Poppy völlig unbeabsichtigt in den Skandal der Saison verwickelt worden war. Ein Skandal, der die Zungen zum Glühen gebracht und von London bis nach Surrey für vor Erstaunen offen stehende Münder gesorgt hatte. Zudem hatte der Skandal ihre letzte Hoffnung zerstört, einen Ehemann zu finden, bevor sie endgültig als alte Jungfer abgestempelt wurde.
Clarinda war selbst sprachlos, als sie das erste Mal gehört hatte, dass Poppy in einer mehr als kompromittierenden Lage mit einem gewissen jungen Herrn aus Berwickshire entdeckt worden war. Sie hatte die abenteuerliche Geschichte als Unsinn abgetan, bis sie erfahren hatte, dass es mehr als ein Dutzend Zeugen für den Vorfall gegeben hatte. Unfähig, den Gedanken daran zu ertragen, dass Poppy für eine Sünde bestraft wurde, die sie gar nicht begangen hatte, hatte sie unverzüglich eine Reisetasche gepackt und war ihrer Freundin zu Hilfe geeilt. Genauso, wie sie es unzählige Male während ihrer gemeinsamen Schulzeit getan hatte, als die reicheren hübscheren Mädchen sich über Poppys schlecht sitzende Kleider oder ihre dicken Brillengläser lustig gemacht oder sie gar Piggy statt Poppy gerufen hatten.
Poppy, die einzige Tochter eines einfachen Squire vom Land, war immer schon übertrieben dankbar für Clarindas Unterstützung gewesen, aber Clarinda war ebenso dankbar für Poppys treue Freundschaft. Clarindas Vater wollte unbedingt, dass seine Tochter eine erstklassige höhere Erziehung genoss. Das Erste, was sie in Miss Throckmortons Mädchenpensionat gelernt hatte, war, dass man mit Geld nicht die Achtung derjenigen kaufen konnte, die sich einbildeten, aufgrund ihrer Abstammung normalen Sterblichen überlegen zu sein. Als die heranwachsenden jungen »Damen« herausfanden, dass Clarindas Vater sein Vermögen im Handel verdient hatte, hatten sie ihre vornehmen Nasen gereckt und sich unverhohlen über ihre Abstammung lustig gemacht ... oder den Mangel daran. Indem sie selbst die Nase hoch getragen und so getan hatte, als ob die grausamen Worte sie nicht treffen konnten, hatte sie sich am Ende ihren Respekt erworben und war schließlich sogar eines der beliebtesten jungen Mädchen der Schule gewesen.
Aber sie hatte nie vergessen, dass Poppy ihre erste und treueste Freundin gewesen war, und dass sie sich ursprünglich zueinander hingezogen gefühlt hatten, weil keine von ihnen zu den anderen passte.
Clarinda vertraute darauf, dass der Außenposten in Burma voller einsamer Offiziere wäre, die sich verzweifelt nach weiblicher Gesellschaft sehnten. Frauen von vornehmer Herkunft wären dort nur spärlich gesät, und vergangene Fehltritte würden hier leichter vergeben und vergessen werden, statt dass man sie immer wieder boshaft neu aufleben ließ.
Sie selbst und Poppy flohen beide aus England und vor ihren Erinnerungen, den guten wie den schlechten.
»Jeder Offizier oder Gentleman, der solch müßigem Geschwätz Beachtung schenkt, ist es nicht wert, Miss Poppy Montmorency die Stiefel zu polieren«, beruhigte sie ihre Freundin, »und noch viel weniger, um ihre Hand zur Ehe anzuhalten.«
Poppys Lächeln erstrahlte wieder und brachte die Grübchen in ihren Wangen zum Vorschein. »Ich hoffe nur, dass ich einen Mann finde, der auch nur halb so leidenschaftlich und mir halb so ergeben ist wie deiner. Ich finde es furchtbar romantisch, dass er eine Passage auf einem seiner Schiffe für dich arrangiert, damit du um die halbe Welt reisen kannst, um seine Braut zu werden.«
Leidenschaft war kein Wort, das Clarinda je mit ihrem Verlobten in Verbindung gebracht hatte. Sicher, er hatte ihr lange Zeit den Hof gemacht, aber sein Heiratsantrag hatte aus einer langen Aufzählung all der Gründe bestanden, weswegen sie so gut zusammenpassten, und nicht aus einer glühenden Liebeserklärung. Doch seine Hartnäckigkeit und Beständigkeit hatten sie am Ende überzeugt, dass er sie nie verlassen und irgendeinem dummen Traum nachjagen würde.
Ihr Achselzucken deutete eine Leichtigkeit um ihr Herz an, die sie nicht wirklich verspürte. »Der Earl ist sowohl mir ergeben als auch praktisch veranlagt. Seine Stellung in der Ostindien-Kompanie bringt unglaubliche Verantwortung mit sich. Ich kann kaum von ihm erwarten, dass er für so etwas Frivoles wie eine Hochzeit seine Verpflichtungen vernachlässigt und nach London zurückkehrt. « Sie hakte sich bei Poppy unter und wandte ihr Gesicht in den Wind, genoss die Verheißung auf Freiheit, selbst wenn es nur eine Illusion war. »Ich kann gar nicht beschreiben, was für eine Freude und ein Trost es für mich ist, dich bei dieser Reise an meiner Seite zu wissen. Ich schlage vor, wir hören jetzt beide auf, uns Sorgen wegen der Vergangenheit oder um die Zukunft zu machen, und fangen stattdessen an, jeden einzelnen Augenblick dieser Reise zu genießen. Es ist gut möglich, dass es unser letztes großes Abenteuer wird, bevor wir uns einem Leben fader Ehrbarkeit widmen müssen.«
Clarinda wurde abrupt unterbrochen, als aus dem klaren blauen Himmel Donner dröhnte. Poppy und ihr blieb kaum genug Zeit, sich umzudrehen und ihre verwunderten Blicke auf das wolkenlose Blau zu richten, bevor etwas mit einem gewaltigen Aufspritzen vor ihnen auf dem Wasser aufschlug und sie beide mit kühlem Salzwasser überschüttete.
»Was, zur Hölle, ...?«, stieß Clarinda aus, dankbar dafür, dass sie in Vorbereitung auf ihren neuen Stand im Leben das Fluchen noch nicht aufgegeben hatte.
Ehe sie sich das Wasser aus den Augen wischen konnte, erklang ein neuerlicher Knall, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Krachen hinter ihnen. Sie wirbelten herum und sahen gerade noch, wie der hohe Hauptmast des Schiffes einknickte und umfiel wie ein gefällter Baum. Der mächtige Stamm war unter dem tödlichen Gewicht einer Kanonenkugel gebrochen. Clarinda war sich vage bewusst, dass Poppys Fingernägel sich in die zarte Haut ihres Unterarmes bohrten, aber alles, was sie tun konnte, war, in hilflosem Entsetzen zuzuschauen, wie Unmengen von Segeltuch nach unten rauschten und das Deck unter sich begruben.
Sie waren gezwungen, einander loszulassen und die Reling hinter ihnen zu umklammern, als das Schiff sich zur Seite neigte und nach links steuerte, eine Vorwärtsbewegung war ohne Hauptmast nicht mehr möglich. Heisere Schreie drangen an ihre Ohren, untermalt von dem schrillen Schmerzensschrei irgendeiner armen Seele an Bord. Seeleute kamen aus allen Richtungen an Deck geeilt, manche mit Wassereimern bewaffnet, andere fielen auf die Knie, um die glimmenden Flämmchen am Toppsegel mit den bloßen Händen auszuschlagen.
Als das Schiff sich in einem schwindelerregenden Kreis zu drehen begann, kam ein junger Leutnant vom Hinterdeck zu ihnen gerannt. »Bitte, meine Damen, Sie müssen unter Deck. Wir werden angegriffen.«
»Angegriffen?«, wiederholte Clarinda, die wild hervorgestoßenen Worte verwirrten sie noch mehr. Soweit sie wusste, gab es niemanden mehr, der sie angreifen konnte. Seit der endgültigen Niederlage Napoleons waren die meisten von Englands Feinden unterworfen worden, wenn nicht mit Schwertern und Kanonen, dann durch Abkommen und Verträge. Niemand hatte es in den letzten zwei Jahrzehnten gewagt, Englands Vorherrschaft auf den sieben Weltmeeren infrage zu stellen.
Der Seemann blieb stolpernd vor ihnen stehen und riss sich seinen Zweispitz vom Kopf, er erinnerte sich offenbar auch unter solch schwierigen Umständen seiner Manieren. »Ich fürchte, es sind Piraten, Miss.« Sein Adamsapfel hüpfte in seinem Hals auf und nieder, als er sich mannhaft bemühte, seine eigene Angst herunterzuschlucken. »Korsaren.«
Poppy schnappte nach Luft. Man musste dieses Wort nur flüstern, um selbst in den unerschrockensten Seelen Furcht und Entsetzen zu säen. Eltern hatten es benutzt, um Generationen von aufrührerischen Kindern im Zaum zu halten, flüsterten in ihre kleinen Ohren, dass die Piraten kommen und sie aus den Betten stehlen würden, falls sie nicht artig ihr Abendgebet sprachen oder auch den letzten Löffel Haferbrei aufaßen.
Die Korsaren waren berüchtigt dafür, im Mittelmeer ihr Unwesen zu treiben. Sie überfielen jedes Schiff, das ihnen begegnete, auf der Suche nach Beute, keine davon so wertvoll wie die Frauen, die sie gefangen nahmen und auf den Sklavenmärkten der Barbarenküste in Nordafrika und Arabien verkauften.
Und die hatten noch Glück.
»Das verstehe ich nicht.« Clarinda biss die Zähne aufeinander, um ihr plötzliches Klappern zu unterbinden. »Ich dachte, die Franzosen hätten die Korsaren unterworfen, als sie Algerien erobert haben.«
»Die meisten von ihnen haben da wirklich aufgegeben. Das hat jedoch nur dazu geführt, dass die Unverbesserlichen jetzt noch rücksichtsloser und verzweifelter sind.« Der Leutnant warf einen Blick auf das wachsende Chaos hinter sich. »Bitte, Miss, wir haben nicht viel Zeit, Sie beide in Sicherheit zu bringen.« Seine Stimme brach, sie verriet seine Jugend und wie dicht er davor stand, selbst in Panik zu verfallen. »Wenn sie entern ...«
Es war nicht nötig, dass er zu Ende sprach. Und Clarinda hatte nicht das Herz, ihn darauf hinzuweisen, dass, wenn die Korsaren tatsächlich enterten, es keinen Ort an Bord des Schiffes gab, an dem sie oder Poppy - oder irgendeine andere Frau, die Ehefrau des Kapitäns und ihre eigenen Zofen eingeschlossen - vor dem brutalem Zugriff der Piraten sicher wären.
Sie schloss ihre Finger um Poppys zitternde Hand und zauberte aus den Resten ihres rasch schwindenden Mutes ein beruhigendes Lächeln auf ihre Lippen. »Komm, meine Liebe. Es sieht ganz so aus, als stünde uns ein viel größeres Abenteuer bevor, als wir geahnt haben.«
Der Leutnant zog seine Pistole und ging zurück übers Deck, er bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Hand in Hand wie zwei kleine Mädchen gehorchten sie. Sie waren schon zur Hälfte durch den engen Zwischengang geeilt, über den sie in die notdürftige Sicherheit des Schiffsbauches gelangen würden, als Clarinda jäh stehen blieb.
Mit einem entschuldigenden Blick zu Poppy riss sie ihre Hand los und rannte zurück über das Deck.
»Clarinda!«, schrie Poppy mit vor Entsetzen schriller Stimme. »Was tust du da?«
»Ich erweise mich als sentimentale Närrin«, murmelte Clarinda halblaut.
Das Skandalblättchen lag immer noch neben dem Stuhl, wo Poppy es achtlos hingeworfen hatte. Als Clarinda die Seite mit der Zeichnung von Captain Burke darauf aufhob, waren irgendwo an Bord die ersten Pistolenschüsse zu hören, gefolgt von dem Klirren von Stahl auf Stahl.
Sie wirbelte herum, rannte an die Seite ihrer Freundin und zog die atemlose Poppy mit sich; sie beeilten sich nun beide, wie um die verlorene Zeit wieder gutzumachen. Clarinda wollte nicht, dass irgendjemand anders für ihre Dummheit büßen musste. Der Leutnant hatte gerade erst die Klappe geöffnet und winkte sie hastig zu sich und in die schattige Öffnung des Kabinenganges. Sie waren fast am Ziel, als seine Miene sich jäh änderte.
Sein Mund wurde schlaff. Er schaute Clarinda verständnislos an, als hätte jemand auf seine Kosten einen Scherz gemacht, den er nicht ganz begreifen konnte.
Dann senkte er seinen Blick auf seine Brust.
Da erst bemerkte Clarinda die silbrige Spitze der Klinge, die in der Mitte aus seinem Brustkorb ragte. Poppy stieß einen markerschütternden Schrei aus. Als der Leutnant nach vorn fiel, machte Clarinda unwillkürlich einen Schritt in seine Richtung, um seinen Fall aufzuhalten. Während sie noch die Hände nach ihm ausstreckte, wurde die lange gebogene Klinge von hinten wieder aus seinem Oberkörper gezogen und vor ihnen geschwenkt. Der Leutnant sank in einem blutigen Haufen aufs Deck, sodass sie nun allein einem halben Dutzend Männern gegenüberstanden, die mit Pistolen und Krummsäbeln bewaffnet waren. Ihre Turbane und die wehenden Gewänder waren mit Blutspritzern übersät, von denen nur wenige von ihnen selbst stammten.
Ihr Atem ging immer schneller, Entsetzen und Panik ergriffen von ihr Besitz, als Clarinda sich rückwärts- bewegte, sich von ihnen entfernte und dabei eine vor Schreck stumme Poppy mit sich zog. Sie sandte dem bemitleidenswerten jungen Leutnant einen letzten Blick, aber das Blut, das aus seinem Mund rann, und der Schleier, der sich vor seine Augen legte, zeigte klar, dass ihm nicht mehr zu helfen war. Im Tod wirkte er noch jünger als im Leben. Clarindas heftiges Bedauern, dass es ihr nicht wenigstens vergönnt gewesen war, seinen Kopf auf ihren Schoß zu betten, während er starb, wandelte sich in den wilden Drang, zu beschützen und zu überleben.
Sie schob Poppy hinter sich, griff unter ihren Hut und zückte die einzige Waffe, die ihr zur Verfügung stand. Sie schwenkte die perlenbesetzte Hutnadel in Richtung der näher kommenden Männer. »Bleibt uns vom Leib, ihr elenden Briganten. Oder ich durchbohre euch, das schwöre ich.«
Die Männer verstanden ihre Worte vermutlich nicht, aber das mörderische Funkeln in ihren Augen entging ihnen nicht. Der Hüne mit dem blutigen Krummsäbel in der Hand blickte von seiner langen geschwungenen Klinge zu der dünnen Nadel in Clarindas weißen Fingern.
Sein olivfarbenes Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, wobei mehrere blendend weiße Zähne zum Vorschein kamen und ein goldener, der sich genau in der Mitte seiner Zahnreihe befand. Er warf den Kopf in den Nacken und lachte bellend. Die anderen Männer zögerten nicht, stimmten in sein Gelächter ein und ließen keinen Zweifel daran, dass der Scherz auf Clarindas Kosten ging.
Als der Mann dann sprach, tat er das mit lauter Stimme, aber in so klarem Englisch wie ihr eigenes. »Es wäre eine Schande, ein Geschöpf mit solchem Geist zu töten. Sie wird uns auf dem Markt einen hübschen Gewinn bringen. « Er musterte sie von Kopf bis Fuß, und das Glitzern in seinen Augen gab ihr das Gefühl, als stünde sie bereits nackt und zitternd auf dem Block des Auktionators auf irgendeinem Sklavenmarkt. »Es gibt viele Männer auf der Welt, die ein fürstliches Lösegeld für das Vergnügen zahlen würden, sie zu brechen.«
In dem Augenblick riss eine plötzliche Windböe Clarinda den Hut vom Kopf. Ihr Haar löste sich aus den Kämmen und fiel in einer Wolke weizenblonder Seide auf ihre Schultern.
Die Korsaren stießen bewundernde Ahs und Ohs aus. Ein Mann mit dem Gesicht eines unterernährten Wiesels und zwei abgebrochenen und schwarz angelaufenen Vorderzähnen streckte tatsächlich eine Hand aus, als wollte er ihr Haar berühren; seine Züge und sein Mund wirkten willenlos vor Sehnsucht. Bevor seine schmutzverkrusteten Finger auch nur eine Strähne berühren konnten, stach ihm Clarinda mit der Hutnadel tief in den Handrücken zwischen Daumen und Zeigefinger.
Mit einem lauten Aufheulen zog der Seeräuber seine verwundete Hand zurück und holte aus, als wollte er sie schlagen. Der Hüne versetzte ihm fast beiläufig einen Hieb, sodass er flach auf dem Deck landete, es schien ihn nicht mehr Kraft zu kosten, als ein gewöhnlicher Mann brauchte, um eine Mücke zu erschlagen.
»Behalt deine dreckigen Finger bei dir«, knurrte er. »Ich will keine Flecken auf unserer Ware.«
Das zärtliche Lächeln, das er Clarinda schenkte, war noch Furcht einflößender als sein Brummen. Ihrer notdürftigen Waffe beraubt, begann sie vor ihm zurückzuweichen, wobei sich Poppy immer noch an ihren Rücken klammerte.
Das Schluchzen in der Stimme ihrer Freundin spiegelte ihre eigene wachsende Verzweiflung wider. »Ach, wenn nur Captain Ashton Burke hier wäre!«, stöhnte Poppy. »Ich weiß genau, so ein Mann könnte uns retten.«
Als der Halbkreis aus Korsaren näher rückte, glitzerte auf ihren braunen Gesichtern der Schweiß des Kampfes, und in ihren dunklen Augen glomm eine verstörende Mischung aus Verlangen und Mordlust; genau da kam ein noch heftigerer Wind auf und entriss Captain Burkes Bild Clarindas tauben Fingern. Das Blatt mit der Zeichnung wirbelte über die Schiffsreling und wurde vom Wind davongetragen.
»Das ist das Problem mit Helden, Poppy«, bemerkte Clarinda grimmig. »Es ist nie einer in der Nähe, wenn du einen brauchst.«
Kapitel zwei
Keine Frau ist es wert, für sie zu sterben.
Diese Überzeugung hatte dafür gesorgt, dass Ashton Burke die vergangenen neun Jahre am Leben geblieben war. Sie hatte ihn dazu veranlasst, den tödlichen Spitzen von zahllosen Bajonetten auszuweichen, wenn er im Monsun Burmas, in dem man die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte, für seine Männer und für sein Vaterland England kämpfte. Sie hatte seinen Schritt gefestigt, als er sich mit der Machete einen Weg durch den Dschungel Indiens gebahnt hatte, wo die Luft so schwer und drückend war, dass sie sich einem wie eine Python um den Hals legte, um einem die Atemluft abzuschnüren. Sie hatte ihn endlose Stunden im Sattel gehalten, während er sein Pferd über sengenden Sand durch die Wüste Nordafrikas getrieben hatte, verfolgt von Beduinenstämmen und ihren Kriegerfürsten, die nach seinem Blut lechzten und nach der antiken Kostbarkeit, die er gerade aus ihrem gierigen Zugriff entwendet hatte.
Keine Frau ist es wert, für sie zu sterben.
Unglücklicherweise war das Erschießungskommando, dem er gegenüberstand, anderer Ansicht. Wie übrigens auch der erboste Ehemann, der seine Exekution angeordnet hatte.
Er blickte auf die Dutzend geladenen Musketen, deren Läufe auf ihn gerichtet waren, und musste unwillkürlich an mitternachtsschwarzes Haar denken, das sich über nach Jasmin und Myrrhe duftende Haut ergoss, einladende braune Augen, umrahmt mit Kajal, was ihre exotische Form betonte, volle Lippen in der Farbe von Zimt, die aber nach Honig und reifem Granatapfel schmeckten.
Vielleicht hatten das Erschießungskommando und der Ehemann doch recht. Vielleicht waren es manche Frauen wert, für sie zu sterben.
Als sie kamen, um ihm die Augen zu verbinden, und er die blendende Wüstensonne nicht länger sehen konnte, standen ihm seltsamerweise nicht diese exotischen Augen oder diese vollen Lippen vor Augen. Stattdessen waren es grüne Augen in der Farbe von Klee im Frühling und eine rosafarbene Oberlippe, die fast so voll war wie die Unterlippe, deren köstliche Weichheit einen Mann dazu verlockte, sich vorzubeugen und ganz zart daran zu knabbern.
Als er einen seiner vermutlich letzten Atemzüge tat, war es nicht der verführerische Duft von Jasmin und Myrrhe, sondern ein neckender Anflug von Maiglöckchen, so klar und rein wie Blüten, die vom letzten Schnee des Winters umgeben waren. Es war der Duft all dessen, nach dem zu sehnen er sich in den letzten Jahren verboten hatte, seit er sich in das selbstauferlegte Exil zurückgezogen hatte. Es war der Duft von England, der Duft der Heimat ... und ihr Duft.
Er hatte fast ein Jahrzehnt lang angestrengt jeden Gedanken an sie vermieden, aber es schien so, als habe sie auf der Lauer gelegen und auf den Moment gewartet, in dem er schutzlos war. Ein spöttisches Lächeln trat auf seine Lippen, was seine Scharfrichter zu nervösem Gemurmel veranlasste, während sie auf den Schießbefehl warteten. Sein legendärer Ruf, mit knapper Not jeder Gefahr zu entrinnen, war ihm offenbar vorausgeeilt. Das hier war schwerlich das erste Mal, dass er dem sicheren Tod ins Angesicht blickte. Es war noch nicht einmal das erste Erschießungskommando, dem er gegenüberstand.
Was sie nicht wissen konnten, war, dass sein Lächeln sich nicht über sie lustig machte, sondern über ihn selbst. Vielleicht war es nur recht und billig, dass sie ihn in diesen letzten Augenblicken seines Lebens verfolgte. Denn bald genug würde er sie verfolgen. Er wollte verdammt sein - und das war beileibe nicht ausgeschlossen, wenn man die beträchtliche Anzahl Gebote betrachtete, die er allein in den letzten vierzehn Tagen gebrochen hatte -, wenn er sich in die Ewigkeit zurückzog, ohne ihr einen letzten Besuch abzustatten.
Er konnte fast vor sich sehen, wie er sich im Mondschein in Form einer Nebelwolke über ihrem Bett materialisierte. Er konnte ihr weizenblondes seidiges Haar ausgebreitet auf ihrem Kopfkissen erkennen, das sanfte Heben und Senken ihrer Brüste unter dem Oberteil eines albern jungfräulichen Nachthemdes. Er würde über ihr schweben, sich vorbeugen, um einen letzten Kuss von ihren im Schlaf geteilten Lippen zu stehlen, während er alle leeren Stellen in ihr mit sich füllte. Dann würde sie am Morgen voller Sehnsucht erwachen, ohne sich an mehr zu erinnern, als an den Traum von einem Mann, der sie einmal geliebt hatte, nicht nur mit seinem Körper, sondern auch mit seiner ganzen Seele. Ein kehliges Kommando, gefolgt von dem Geräusch eines Dutzend Musketen, die gleichzeitig entsichert wurden, riss ihn aus seinen Gedanken.
Es schien ganz so, als wollte man ihm noch nicht einmal eine letzte Zigarre zum Rauchen gönnen oder die Gelegenheit, mit seinem Schöpfer seinen Frieden zu machen. Er würde hier in Marokko sterben - ein Fremder in einem Land, in dem niemand ihn betrauerte, niemand über seinem blutigen Leichnam Tränen vergießen würde. Wenn die Nachricht von seinem unrühmlichen Ende nach England gelangte, zweifelte er nicht, dass seine Eltern enttäuscht seufzen würden, während sein älterer Bruder mit gewohnt stoischer Zurückhaltung die Bürde des Skandals schultern würde. Erhobenen Hauptes und all dem anderen Unsinn.
Aber was war mit ihr?
Würde sie ihren Schock zum Ausdruck bringen und ihr Beileid in höflichen Worten übermitteln, dann leise in ihr Taschentuch schluchzen, wenn sie glaubte, dass niemand zuschaute? Würde sie mitten in der Nacht aufwachen, von Bedauern und Reue über vertane Chancen geschüttelt, all die vergeudeten Momente, die Nächte, die sie nun niemals zusammen erleben würden?
Er schnaubte. Es war viel wahrscheinlicher, dass sie einen Freudentanz auf seinem Grab aufführte, als seinetwegen auch nur eine einzige Träne zu vergießen.
Er reckte die Schultern und legte den Kopf in den Nacken, wappnete sich für das, was gleich kommen musste. Tief in seinem Herzen hatte er immer gewusst, dass er eines Tages als Schurke sterben würde, nicht als Held. Aber wenigstens würde er mit der Befriedigung abtreten, dass sie nie erfahren würde, dass ihr Name das letzte Wort gewesen war, das ihm über die Lippen kam.
Ein Trommelwirbel kündigte die letzten Augenblicke seines Lebens an.
Er kniff die Augen unter der Binde zu. Selbst in der Dunkelheit war sie da, lachte ihn mit ihrem übermütigen Lächeln und ihren tanzenden grünen Augen an.
Er hielt den Atem an, wartete darauf, das Kommando zu hören, das dem derben Scherz seines Lebens ein Ende bereiten würde.
Doch was er stattdessen hörte, waren laute Stimmen, ein kurzes, aber heftiges Handgemenge und etwas, das klang, als ob ein ganzes Regiment auf den Hof stürmte, auf dem er erschossen werden sollte.
Er verspannte sich. Es wurde etwas gerufen, das Meiste waren arabische Proteste gegen die Unterbrechung seiner Exekution. Aber es wurde auch in einer Sprache gesprochen, die er schon seit langer Zeit nicht mehr vernommen hatte. Eine Sprache, die an diesem Ort der Welt unmöglich zu hören sein konnte - das Englisch des Königs. Da er spürte, er befand sich nicht länger im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, begann er, sich an den Seilen zu schaffen zu machen, die seine Hände hinter seinem Rücken fesselten. Während die Unruhe zunahm, nahm er etwas in sich wahr, das er eigentlich seit Langem aufgegeben hatte.
Hoffnung.
Das heisere Arabisch gipfelte in einem wüsten Fluch, bevor es in ein mit einem schweren Akzent belastetes Englisch des wütenden Ehemannes überging. »Wer sind Sie, dass Sie mit Ihren ungläubigen Hunden in mein Heim eindringen und mich auf diese beschämende Weise entehren?«
Endlich gaben die Seile seinen verzweifelten Bemühungen nach, sich zu befreien, und fielen von Ashs Handgelenken. Genau in dem Moment, als er eine Hand hob, um sich die Augenbinde abzunehmen, hörte er eine Stimme, die er überall wiedererkannt hätte. Sie war ebenso entschlossen wie damals, als sie von ihm verlangt hatte, seine Spielzeugkriegsschiffe herzugeben, da er anderenfalls damit rechnen müsse, dass sie im Badezuber versenkt würden.
Ash riss sich die Binde herunter und schaute verblüfft in kühle graue Augen, die ihm so vertraut waren wie seine eigenen bernsteinfarbenen.
Die knappen Worte seines Retters fühlten sich in der schwülen Hitze Marokkos wie scharfkantige Eisscheiben an. »Ich bin sein Bruder!«
»Lord Dravenwood wird Sie bald empfangen.«
»Das hatte ich befürchtet«, murmelte Ash, während er sich von dem Stapel Sandsäcke abstieß, an den er sich gelehnt hatte, um dem jungen Korporal mit den geröteten Wangen zu folgen. Es war unmöglich zu sagen, ob die streng förmliche Art des Mannes an seinem militärischen Training lag oder ein Ausdruck von Missbilligung war. Ash vermutete Letzteres.
Als er sich unter der Klappe des geräumigen Zeltes hindurchduckte und so den Strahlen der gnadenlosen Wüstensonne entkam, kostete es ihn Mühe, sich einen anerkennenden Pfiff zu verkneifen. Das musste der Neid seinem Bruder lassen, es war ihm gelungen, eine Oase makelloser englischer Kultur selbst in der Wildnis der marokkanischen Wüste unmittelbar vor den Mauern Marrakeschs zu erschaffen. Wenn die Zeltwände nicht leicht im Wind wehen würden und nicht eine feine Sandschicht auf sämtlichen Oberflächen läge, hätte Ash ebenso gut gerade in den eleganten Salon in einem Londoner Stadthaus schlendern können.
Ein türkischer Teppich belebte das Zeltinnere mit smaragdgrünen und granatroten Farbtupfern. Der Teppich war zweifellos aufgerollt und den ganzen weiten Weg von England hertransportiert worden, obwohl ein ebenso kostbarer mühelos für ein paar Pfund auf irgendeinem der Basare vor Ort hätte gekauft werden können. Ein einzelnes Platzset aus Porzellan, Bleikristall und Silber zierte einen rechteckigen Tisch mit einer weißen Leinentischdecke. Es gab sogar einen Teewagen auf Rollen mit einem goldgeränderten Worcester-Teeservice, um es seinem Bruder und seinen obersten Kommandanten zu ermöglichen, dem zivilisiertesten Ritual der Engländer zu frönen - dem Nachmittagstee.
Der geschnitzte Fuß einer griechischen Chaiselongue lugte unter einem Paravent hervor, hinter dem sich der zur privaten Nutzung abgetrennte Zeltbereich verbarg. Das Regal aus Mahagoni daneben beherbergte eine ordentliche Reihe ledergebundener Bücher. Dieses Mal konnte Ash ein Schnauben nicht ganz unterdrücken. Vermutlich standen sie auch noch alphabetisch sortiert. Selbst als kleiner Junge hatte sein Bruder als Lektüre immer schon schwere Wälzer mit militärischen Abhandlungen bis ins letzte Detail über irgendwelche Schlachten und die Gedankenspiele griechischer Philosophen bevorzugt, während Ash selbst am liebsten die Heldentaten gelesen hatte, die den Köpfen von Männern mit so fruchtbarer Fantasie wie Sir Walter Scott und Daniel Defoe entsprungen waren. Das heißt natürlich nur, wenn er nicht gerade ein Bändchen mit unartigen Zeichnungen durchblätterte, das einer der keckeren Lakaien seines Vaters ins Haus geschmuggelt hatte.
An der westlichen Wand des Zeltes hing an einem dünnen Strick, der oben an dem Zeltgestänge befestigt war, ein Landschaftsgemälde in goldverziertem Rahmen. Ash betrachtete blinzelnd das Gemälde und erkannte schließlich den romantischen Malstil John Constables. Er war sich fast sicher, ein Original vor sich zu haben.
Er schüttelte verwundert den Kopf, fragte sich, wie viele Wagen, Pferde und Kamele nötig gewesen waren, die Ausstattung seines Bruders hierherzutransportieren. Ash hatte sich immer etwas darauf eingebildet, dass er mit leichtem Gepäck reiste. Er hatte es auf die harte Tour gelernt, einen hastigen Rückzug mit nicht mehr als den Kleidern auf dem Leib anzutreten - und manchmal noch nicht einmal das.
Sein Bruder hatte immer schon der Bequemlichkeit von Heim und Herd den Vorzug gegeben. Leider brachte der Umstand, dass er zu einem Mitglied in dem berühmten Direktorengremium der Ostindien-Kompanie aufgestiegen war, mit sich, dass er viel reiste, mitunter zu den unzivilisiertesten Orten auf der Erde. Sobald er die herausragende Stellung im Viererrat erreicht hatte - was ihm angesichts seines kometenhaften politischen Aufstiegs sicher bald gelänge -, würde er wahrscheinlich seine Geschäfte mehrheitlich von zu Hause aus erledigen, ohne seinen gemütlichen Salon in Dryden Hall zu verlassen, in dem Anwesen der Familie in Surrey.
Sein Bruder wirkte genau so, als gehörte er hinter ebendiesen Schreibtisch aus Mahagoni, an dem er gerade Notizen in eine ledergebundene Kladde machte. Seine Handschrift war immer schon das Einzige an ihm gewesen, was nicht unbedingt perfekt geraten war. Als Ash näher kam, kratzte die Silberspitze des Stiftes weiter über das Papier. Er schaute nicht auf, noch nicht einmal, als Ash direkt vor dem Schreibtisch stehen blieb.
Ash verspürte ein allzu vertrautes Aufflackern von Verärgerung. Die Fähigkeit seines Bruders, sich auf die vor ihm liegende Aufgabe voll und ganz zu konzentrieren, war beinahe legendär. Ash erinnerte es daran, dass er sich früher nicht mit dem Krumen Aufmerksamkeit begnügt hätte, den Max ihm jetzt gnädigerweise zugestand.
Er beugte sich vor und stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch, dabei sagte er gedehnt: »Hallo, Max.«
Der Stift verharrte mitten im Wort und hinterließ einen hässlichen Tintenfleck auf der Seite. Das schätzte Max sicher nicht, überlegte Ash mit grimmiger, durchaus boshafter Befriedigung. Sein Bruder hatte für Unzulänglichkeiten noch nie Verständnis aufgebracht. Besonders bei sich selbst nicht.
Max hob langsam den Kopf, um Ash mit einem frostigen Blick zu bedenken, der zu einem Handgemenge geführt hätte, wenn sie beide noch in kurzen Hosen gesteckt hätten. »Du weißt genau, dass ich mir aus diesem Spitznamen nie etwas gemacht habe.«
Er log. Es war sein Vater, der es hasste, wenn sie einander mit etwas anderem ansprachen als ihrem vollen Vornamen. Ihr Vater hatte immer gesagt, Max und Ash seien gewöhnliche Namen, die besser zu Straßenjungen oder Kaminkehrerburschen passten als zu den Söhnen eines Herzogs.
Ash richtete sich auf, zuversichtlich, dass sein spöttisches Lächeln nicht nur seinen Bruder weiter erzürnen würde. »Wäre es dir lieber, wenn ich dich mit ›Lord Dravenwood‹ anspräche?«
»Du kannst mich mit meinem Namen ansprechen - Maximillian.« Max schlug die Kladde vor sich zu und steckte den Stift wieder in das Tintenfass zurück.
Seit fast zehn Jahren hatten sie sich nicht mehr gegenübergestanden. Andere Brüder hätten sich die Hände geschüttelt, sich gegenseitig auf die Schulter geklopft oder gar herzlich umarmt. Aber sie musterten sich nur einen langen stummen Augenblick, in dem sie versuchten einander einzuschätzen.
Trotz ihrer Entfremdung trafen die Veränderungen in seinem Bruder Ash unvorbereitet. Max war nur achtzehn Monate älter als er, aber das dunkle Haar an seinen Schläfen war bereits mit Silber durchsetzt. Die Last der Verantwortung hatte tiefe Furchen neben seine Mundwinkel und einen Kranz feiner Fältchen um seine Augen gegraben. Ash konnte an dem Blick dieser Augen erkennen, dass Max nicht sonderlich erfreut darüber war, was er sah.
Während er darauf gewartet hatte, dass sein Bruder ihn zu sich rief, hatte Ash ein Bad genommen und war in die sauberen Kleider geschlüpft, die ihm zur Verfügung gestellt worden waren. Da sie in dem behelfsmäßigen Lager die beiden einzigen Männer waren, die so breite Schultern hatten und über sechs Fuß groß waren, vermutete er, die Kleider gehörten Max. Das mochte die leichte Abneigung erklären, die Ash verspürt hatte, während er sie sich überstreifte. Er hatte als kleiner Junge genug abgelegte Kleider seines Bruders auftragen müssen.
Er hatte die Kleider leicht verändert, damit sie ihm passten, hatte den steif gestärkten Kragen weggelassen und das weiße Leinenhemd nicht bis oben zugeknöpft. Er hatte sich geweigert, die stoffbezogenen Knöpfe des Rockes zu schließen und gänzlich auf die Weste verzichtet. Reuig strich er sich über das frisch rasierte Kinn. Ihm fehlte der kurz gestutzte Bart ein wenig, den er gewöhnlich trug. Der schützte nicht nur sein Gesicht vor dem scharfen Sand, den der Wind vor sich her wehte, sondern hatte sich auch mehrmals als nützlich erwiesen, wenn es um Leben oder Tod ging, wenn er rasch in einer Menge untertauchen musste. Wenigstens hatte Max keine Zeit gehabt, ihm einen Barbier zu schicken, um ihm die karamellfarbene Haarmähne zu schneiden, die ihm bis auf die Schultern fiel.
»Setz dich«, sagte Max knapp und nickte zu dem Stuhl, der in einem genau bemessenen Winkel vor dem Schreibtisch stand.
Natürlich saß Max selbst auf einem ledernen Polsterstuhl, der vermutlich so viel Pfund gekostet hatte, wie er wog. Ash ließ sich vorsichtig auf das knarzende Gestell aus Holz und Stoff nieder und hoffte, es werde nicht unter seinem Gewicht zusammenbrechen, sodass er auf dem Boden landete.
Er streckte seine langen Beine vor sich aus und zog eine türkische Zigarre aus seiner Tasche. Er hatte sie von einem liebenswerten jungen Leutnant geschnorrt, während er auf Max' Aufforderung wartete.
An der Sohle seines Stiefels entzündete er ein Streichholz und führte die Flamme zu der Zigarrenspitze. Sie fing mit einem leisen Zischen Feuer und sandte eine aromatische Rauchsäule gen Himmel.
Max' angewiderte Grimasse war nicht misszuverstehen. »Ich finde, Brandy und Zigarren bleiben am besten auf den Empfangssalon nach dem Supper beschränkt.«
Ash nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre, widerstand nur mit Mühe dem kindischen Verlangen, seinem Bruder Rauchringe ins Gesicht zu blasen. »Ich kann nirgends einen Salon entdecken, und ich hatte nicht damit gerechnet, zum Supper geladen zu werden. Obwohl ich natürlich einen Brandy nicht ablehnen würde, wenn du mir einen anbieten willst.«
Ohne ein Wort stand Max auf und marschierte zu der Bleikristallkaraffe auf dem Seitentischchen. Er schenkte genau drei Finger hoch der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in ein bauchiges Glas und reichte es Ash, bevor er zu seinem Stuhl zurückkehrte.
Ash nahm einen Schluck von dem teuren Brandy, genoss das weiche Brennen in seiner Kehle, dann senkte er das Glas wieder und seufzte zufrieden. »Meine unvergängliche Dankbarkeit ist dir sicher. Was auch immer du sonst an Charaktermängeln aufzuweisen hast, an deinem Geschmack in Bezug auf Spirituosen gibt es nichts auszusetzen. «
Max lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sandte Ash einen tadelnden Blick. »Ich dachte eigentlich, du wärst mir für etwas Wichtigeres dankbar. Wie beispielsweise, dir deine ... Haut gerettet zu haben.«
Max' unmerkliches Zögern war an exakt dem Punkt aufgetreten, an dem ihr Vater immer das Wort wertlos eingefügt hatte. Trotz seiner kohlschwarzen Haare war Max immer der goldene Sohn gewesen, der Junge, der nichts falsch machen konnte, während Ash auf der anderen Seite nichts richtig machen konnte. Von dem Moment seiner Geburt an hatte ihr Vater keinen Zweifel daran gelassen, dass Max der Erbe war und Ash nur Ersatz. Und ein armseliger Ersatz obendrein. Nachdem Ash erst einmal begriffen hatte, dass es unmöglich war, es ihrem Vater recht zu machen, hatte er alle Versuche aufgegeben.
Er zuckte die Achseln. »Ich habe dich gerade erst meiner unvergänglichen Dankbarkeit versichert. Viel mehr habe ich nicht zu bieten, außer den Kleidern auf meinem Leib. Und ich hege den starken Verdacht, dass es eigentlich deine sind.«
Max schüttelte abgestoßen den Kopf. »Ich nehme an, es hätte mich nicht überraschen dürfen, dass bei deiner letzten Klemme eine Frau im Spiel war.«
»Ist das nicht immer so?« Einen Stiefel über das Knie des anderen Beines legend, schenkte Ash seinem Bruder ein träges Lächeln.
»Würdest du mir vielleicht erklären, was dich dazu getrieben hat, die Ehefrau eines mächtigen - und außergewöhnlich heißblütigen - Mannes zu verführen? Eines mächtigen Stammesführers in einem Teil der Welt, in dem die leiseste eingebildete Beleidigung einen Mann den Kopf kosten kann? Besonders wenn dieser Kopf zufällig zu dem Körper eines Engländers gehört?«
»Eine seiner Frauen«, verbesserte Ash ihn milde. »Und was verleitet einen Mann gewöhnlich dazu, eine Frau zu verführen? Ein Seitenblick unter dichten seidigen Wimpern? Weiche Lippen, wie zum Küssen geschaffen? Ein einladender Hüftschwung? Ich bezweifle, dass selbst ein Mann von deiner legendären moralischen Stärke solchen Reizen gegenüber unempfänglich bleiben würde.«
Ash wollte seinen Atem nicht darauf verschwenden, zu erklären, dass Fatima zu ihm gekommen war. Sie hatte verstohlen an die Tür seiner Unterkunft geklopft, nachdem sie sich auf dem Marktplatz begegnet waren. Sie hatte die hauchdünne Seide zurückgezogen, die ihre vollen Brüste bedeckte, nicht um ihn mit ihrer Nacktheit zu verführen, sondern um ihm die frischen blauen Flecken zu zeigen, die ihr Ehemann ihr mit seinen Fäusten zugefügt hatte. Angesichts der verblassten Narben war ihm sofort klar, dass die frischen Prellungen nur die letzten in einer langen Reihe von Verletzungen ihrer perfekten Haut waren. Ebenso wenig erläuterte Ash, dass er sie nicht aus Lust mit den Lippen berührt hatte, sondern um den Schmerz zu lindern. Oder dass, nachdem sie ihm die Arme um den Hals geschlungen hatte und sie beide auf sein Bett gefallen waren, er es gewesen war, der zur Vernunft gekommen war und versucht hatte, sich aus ihrer Umarmung zu lösen. Sie hatte eine erholsame Nacht in seinem Bett verbracht, während er sich schlaflos auf dem harten Fußboden gewälzt und sich die ganze Zeit einen Narren geschimpft hatte.
Er sparte es sich, Max irgendetwas davon zu sagen. Er wusste, sein Bruder würde ihm niemals glauben. Er glaubte es sich ja selbst kaum.
»Als ob dem Mann Hörner aufzusetzen nicht schon schlimm genug wäre«, sagte Max, »musstest du auch noch allem die Krone aufsetzen, indem du sie auf ein Schiff verfrachtet und ihr dabei geholfen hast, ihm wegzulaufen. War das alles Teil deines hirnverbrannten Plans? Sich im nächsten Hafen mit ihr zu treffen und in irgendeinem dreckigen Wirtshaus zu bleiben, bis du ihrer müde geworden bist und dich daran machst, irgendeiner anderen Schönheit nachzusteigen, auf die du ein Auge geworfen hast?«
Genau genommen hatte Ash nicht vorgehabt, Fatima je wiederzusehen. Bevor ihr Schiff abgesegelt war, hatte er ihr eine prall gefüllte Geldbörse in die Hand gedrückt, mit so viel Gold darin, dass sie nie wieder auf die Gnade und das Wohlwollen eines Mannes angewiesen wäre, ihn selbst eingeschlossen. Wenn nicht einer von Mustafas Männern zufällig Zeuge des dankbaren Kusses gewesen wäre, den sie ihm gegeben hatte, bevor sie an Bord des Schiffes gegangen war, hätte sich Ash auf dem nächsten Schiff wiedergefunden, auf dem Weg irgendwohin in die Welt, nur nicht nach Marokko, wo er vor einem Erschießungskommando auf Mustafas Hof gelandet war.
Er schwenkte den restlichen Brandy in seinem Glas, ehe er ihn in einem einzigen Zug austrank. »Es wundert mich, dass du nicht einfach zugelassen hast, dass Mustafas Männer mich erschießen.«
»Denk nur nicht, ich sei nicht in Versuchung gewesen «, bemerkte Max grimmig. »Ich hätte vielleicht sogar genau das getan, wenn ich nicht einen Auftrag für dich hätte.«
Ash beugte sich vor und stellte das leere Glas auf den Schreibtisch. »Vielleicht ist die Neuigkeit noch nicht bis zu dir vorgedrungen, aber ich habe mein Offizierspatent verkauft. Ich arbeite nicht länger für die Kompanie. Oder für dich. Ich habe mehrere Jahre meiner Jugend im Dienst für König, Vaterland und die Kompanie vergeudet. Jetzt kümmere ich mich nur noch um mich selbst.«
»Ich bin sehr wohl im Bilde über deine Heldentaten als Söldner. Wie unsere Eltern im Übrigen auch. Dein Treiben liefert mehr als genug Futter für die Londoner Klatschpresse und hat unseren Vater oft genug beim Frühstück an den Rande eines Anfalles gebracht.«
»Jetzt versuchst du, mir eine Freude zu machen.«
Der Anflug eines Lächelns zuckte um Max' Lippen, und einen flüchtigen Moment lang waren sie wieder die Brüder, die unter der Decke den Streich ausgeheckt hatten, ihrem Vater einen Frosch in den Badezuber zu legen. Trotz der Bemühungen ihres Vaters, einen Keil zwischen sie zu treiben, indem er Max ununterbrochen überschwänglich lobte und Ash andauernd kritisierte, waren sie wie Pech und Schwefel gewesen.
Das alles hatte sich geändert, nachdem Ash aus Eton heimgekehrt war und der Bruder, den er geliebt und bewundert hatte, verschwunden war, ersetzt durch einen jungen Mann, der ihn so kalt und verächtlich behandelte wie ihr Vater. Ashs Schmerz und seine Verwunderung hatten sich langsam in Zorn verwandelt, dann in Gleichgültigkeit. Da Max sich ihm nicht anvertrauen wollte, konnte Ash nur davon ausgehen, dass Max sich nicht länger mit einem jüngeren Bruder abgeben wollte, dessen Halstuch ständig schief hing und bei dem man sich darauf verlassen konnte, dass er während einer Unterhaltung genau im falschen Moment mit einer sarkastischen Bemerkung herausplatzte.
Selbst jetzt war Max' Belustigung über Ashs Spitze nur von kurzer Dauer. Als müsse er seine Hände irgendwie beschäftigen, begann er, einen bereits tadellos ordentlichen Stapel Papier zu ordnen. »Es geht um meine Verlobte. Vor drei Monaten war sie auf dem Weg nach Burma zu unserer Hochzeit, als ihr Schiff überfallen wurde und sie und ihre Gesellschafterin entführt wurden.« Nicht länger imstande, die Charade sinniger Aktivität aufrechtzuerhalten, hielt er seine Hände still. Er hob den Kopf und schaute Ash in die Augen, zeigte ihm endlich, wie tief seine Verzweiflung reichte. »Von Korsaren.«
Ash konnte sich ein mitleidiges Zusammenzucken kaum verkneifen. Sie wussten beide, eine Frau, die das Pech hatte, in die Hände dieser Barbaren zu fallen, war tot besser dran.
»Hat man dir schon eine Lösegeldforderung geschickt? «, fragte er. Ihre Entführer wären viel weniger geneigt, die Ware zu ruinieren, wenn sie glaubten, dass ihnen ein schöner Profit winkte, wenn sie sie unversehrt ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgaben.
Max schüttelte den Kopf. »Ich habe noch keine Nachricht erhalten, aber ich habe Nachforschungen angestellt. Einer verlässlichen Quelle zufolge ist sie«, er wandte den Blick ab und schluckte, hatte offenbar große Schwierigkeiten, die nächsten Worte auszusprechen, »verkauft worden. An einen mächtigen Sultan in der Provinz El Jadida.«
Copyright © 2013 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München
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Autoren-Porträt von Teresa Medeiros
Teresa Medeiros wurde von der Zeitschrift "Affaire de Coeur" mit dem Preis der "10 besten Romanautorinnen der USA" ausgezeichnet und erhielt den Kritikerpreis der Romantic Times für den besten historischen Liebes- und Unterhaltungsroman. Sie lebt mit ihrem Mann Michael und vier neurotischen, heiß geliebten Katzen in Kentucky.
Bibliographische Angaben
- Autor: Teresa Medeiros
- 2013, 448 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Geiler, Ute-Christine
- Übersetzer: Ute-Christine Geiler
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442381436
- ISBN-13: 9783442381432
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