Verräterblut / Vampire Earth Bd.5
"Vampire Earth" - der erste Kontakt wird tödlich enden ...
Weite Teile der Erde werden von Aliens besetzt gehalten, die des Nachts auf Beutejagd unter den Menschen gehen. Als David Valentine, einer der Anführer des Widerstands, gefangen...
Weite Teile der Erde werden von Aliens besetzt gehalten, die des Nachts auf Beutejagd unter den Menschen gehen. Als David Valentine, einer der Anführer des Widerstands, gefangen...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Taschenbuch
9.95 €
Produktdetails
Produktinformationen zu „Verräterblut / Vampire Earth Bd.5 “
"Vampire Earth" - der erste Kontakt wird tödlich enden ...
Weite Teile der Erde werden von Aliens besetzt gehalten, die des Nachts auf Beutejagd unter den Menschen gehen. Als David Valentine, einer der Anführer des Widerstands, gefangen genommen wird, steht auf einmal die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel ...
Weite Teile der Erde werden von Aliens besetzt gehalten, die des Nachts auf Beutejagd unter den Menschen gehen. Als David Valentine, einer der Anführer des Widerstands, gefangen genommen wird, steht auf einmal die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel ...
Klappentext zu „Verräterblut / Vampire Earth Bd.5 “
"Vampire Earth" - der erste Kontakt wird tödlich enden ...Weite Teile der Erde werden von Aliens besetzt gehalten, die des Nachts auf Beutejagd unter den Menschen gehen. Als David Valentine, einer der Anführer des Widerstands, gefangen genommen wird, steht auf einmal die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel ...
Lese-Probe zu „Verräterblut / Vampire Earth Bd.5 “
Verräterblut von E.E. KnightDallas im März des fünfzigsten Jahres der kurischen Herrschaft: Zehn Quadratkilometer Baustahl und Beton rauchen und knistern, während die Stadt im Würgegriff einer Belagerung stirbt.
Von den Geräuschen des Straßenkampfs abgesehen, deren Ursprung durch den Widerhall zwischen den Wolkenkratzern nur schwer auszumachen ist, wirkt die Stadt sonderbar verlassen. Hier und da kann man herumstöbernde Krähen und Hunde mit eingezogenem Schwanz ausmachen, aber von menschlichem Leben ist nichts zu sehen. Dumpfes Donnergrollen in der Ferne und die plötzlichen Ausbrüche von Maschinengewehrfeuer, ein paar Blocks entfernt, ersetzen, was in friedlicheren Zeiten vielleicht der Lärm von Presslufthämmern beim Aufreißen von Bürgersteigen gewesen wäre. Wenn sich Menschen rühren, dann hastig. Sie strömen aus Türen heraus und huschen eilends über die Straßen, um der Gefahr zu entrinnen, im Freien einer heulenden Granate zum Opfer zu fallen.
Aus der Luft oder auf den militärischen Karten in den Führungsbunkern zeigt sich Big D heute als Netzwerk sich bekämpfender Kreise.
... mehr
Der größte Kreis umfasst die großen Türme im Stadtzentrum. Die Wolkenkratzer, die oberhalb des zwanzigsten Stockwerks spinnwebartig mit Trossen verbunden sind, an denen die Kur mit ihren Tentakeln sicher von einem Gebäude zum anderen kommen, ohne sich unter ihre menschlichen Herden auf den Straßen zu mischen, weisen frische Löcher, Risse und Mulden auf, verursacht von den Geschützen und Raketen der Belagerer. Auf den Straßen werden konzentrische Kreise aus Schutthaufen von Geschützbatterien verteidigt, an denen alle nur denkbaren Kräfte eingesetzt werden, von professionellen Soldaten bis hin zu unbedeutenden Bediensteten dessen, was noch bis zum letzten Jahr die begüterte und sich beständig ausbreitende Nord-Texas-Kooperative war.
Rund um diese zentrale Achse herum gibt es eine ganze Reihe kleinerer Kreise, die sich um die innere Befestigung drängen wie die Kammern in der Trommel eines Revolvers. In vorderster Front die Texaner aus den Pinewoods und dem Grenzgebiet am Rio Grande; weiter im Norden und im Osten flattert die Trikolore der Ozarks. Ein paar kleinere Lager füllen die Lücken nach hinten aus, bemannt von Milizgruppen der Männer und Frauen, die aus dem harten Griff der Kooperative befreit werden konnten.
Im Nordwesten der Stadt umgibt einer dieser kleineren Kreise einen Flugplatz, der einst unter dem Namen Love Field bekannt war. Die Soldaten an diesem Ort sind nicht dazu positioniert worden, die Stadt anzugreifen. Die Ad-hoc-Einheit, die den Fughafen besetzt hat, ist infolge des Aufruhrs von Little Rock entstanden, der die Operation Archangel eingeleitet hat. Sie beteiligt sich an der Belagerung einerseits aus sentimentalen Gründen zum Zeichen ihrer Dankbarkeit gegenüber den Texanern, die den Arkansas River heraufgekommen waren, um sie zu retten, ist andererseits jedoch ein Teil jenes waffenstrotzenden Rings um die Stadt, der einen organisierten Ausfall verhindern soll. Der Flugplatz stellt die Verbindung zwischen der äußersten linken Flanke der Ozark-Truppen und der äußerst rechten der Texaner dar.
Ihre Regimentsflagge, eine schwarz-blaue Silhouette eines Arkansas- Razorbacks unter der texanischen Flagge und der der Ozarks, trägt den Schriftzug WIR LASSEN UNS NICHT FRESSEN. Aus der Ferne betrachtet scheint die Truppe in diesem speziellen Lager, von Veteranen Valentines Rasiermesser genannt, nicht in der Verfassung zu sein, mehr als eine Unterstützungstruppe darzustellen. Nur ein paar Mörser- und Maschinengewehrstellungen kennzeichnen ihre Linien und scheinen eher der Verteidigung des Lagers zu dienen als dem Beschuss ihrer Gegenspieler innerhalb der Stadt. Anstelle von Geschützen umschließt Stacheldraht rollenweise einen Bereich des offenen Geländes, auf dem Rinder darauf warten, geschlachtet und den täglichen Rationen zugeführt zu werden, und die Werkstattgebäude sind angefüllt mit den Geräuschen von Generatoren und Elektrowerkzeugen. Auf dem Marsch von den Ozarks nach Südwesten erwiesen sich die Rasiermesser als unbezahlbar, wenn es darum ging, kurische Transporte abzufangen und Rinder, Weizen, Schweine und Mais den diversen Regimentsküchen zuzuführen. Ihr Geschick verrät, dass viele der Soldaten der Rasiermesser aus dem Hinterland stammen und im Zuge des Aufruhrs von Little Rock per Zufall zu einer Einheit verschmolzen sind.
Ein General, gleich, auf welcher Seite er steht, würde, so er ein wenig Verstand militärischer und anderer Art besitzt, beim Blick in eine Karte davon ausgehen, dass die Rasiermesser unter all den Lagern rund um Big D das ungefährlichste unterhalten.
Aber Güte lässt sich nur schwer aus der Ferne ermessen.
Der erste Hinweis findet sich in den Gewehren, die jeder Soldat im Dienst stets in Griffweite hat: lange Mordgeräte mit schwerem Lauf, überdimensionierten Bananenmagazinen und eingebauten Zweibeinständern, einige zusätzlich ausgestattet mit Zielfernrohren, andere mit einer Vorrichtung zur Aufnahme großer Trommelmagazine. Diese Waffen, Souvenirs aus der kurzzeitigen Integration der Rasiermesser in Solons Armee von Trans-Mississippi, sind das Beste, was die berühmte Waffenschmiede Atlanta Gunworks produziert. Dank diesem Typ Drei ist jeder der Soldaten in der Lage, sich im Nu in eine EinMann- Unterstützungstruppe zu verwandeln, wenn er nur einen Schraubenschlüssel und einen Gurt mit passender Munition bei sich hat.
Und dann sind da noch die »Prowler«, wie die Rasiermesser ihre Patrouillenwagen nennen. Die Mechaniker der Rasiermesser sorgen dafür, dass die nützlichsten Einzelteile aus Quisling-Wracks ihren Weg in den Fuhrpark des Regiments finden, wo sie in gepanzerte Wagen und Mörserfahrzeuge eingebaut werden. Hochachsig und mit breiten Reifen gerüstet, abgedeckt mit einem Gewebe, das dem Beschuss durch Panzerfäuste standhält, verfügt jedes der gepanzerten Sumpffahrzeuge über ein paar wütende Augen und scharfe Hauer und Zähne irgendwo über und vor den Vorderrädern. Ein paar sind mit elektrischen Winden ausgestattet, durch die die Fahrzeugfront wie ein Mauls wirkt, und auf den Ladeflächen vieler Wagen befinden sich rückstoßfreie Waffen, Miniguns und automatische Granatwerfer. Andere, längere und schwerere Doppelachser, sind dazu gebaut, Soldaten zu transportieren, die die Wagen durch Türen im Heck oder an den Seiten besteigen. Die Tanks werden unterwegs mit Hilfe einer Sammlung von Anhängerpumpen aus erbeuteten Treibstofflagern gefüllt und dienen innerhalb des Lagers als Reserve für den Fall eines Versorgungsengpasses.
Die Rasiermesser dürften eigentlich nicht einsatzfähig sein. Von Soldaten, die unter den schlimmsten denkbaren Umständen zusammengewürfelt wurden, kann kaum erwartet werden, dass sie entschlossen zum Angriff ausrücken, und erst recht nicht, dass sie mitten in feindlichem Gebiet ganz allein eine wertvolle Stellung halten. Der Erfolg ihrer berühmten Operation am Ufer des Arkansas River darf als Maßstab für die Inkompetenz des Feindes ebenso wie für ihren eigenen Mut gelten. Aber auch die Improvisationsfähigkeit der Offiziere, die den Aufstand von Little Rock organisiert haben, sollte nicht unerwähnt bleiben.
Einer dieser Männer schreitet bei Sonnenaufgang durch den Randbereich des Flugplatzes. Seine dunkle, grau-grün gefleckte Uniformstarrt vor »Dallas-Staub«, eine hafermehlfarbene Mischung aus pulverisiertem Beton, Asche und profanem winterlichem Schmutz. Schwarzes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar bedeckt seinen Kopf, und eine dünne, weiße Narbe an der rechten Seite seines Gesichts offenbart die frühe Frühlingsbräune, ein Hinweis auf den großzügigen Vorrat an Melanin in seinen Genen. Eine kurze Version des Ordonanzgewehrs seiner Rasiermesser mit einem abgesägten Klapplauf hüpft an einer engen Schlinge an dem ledernen Uniformgürtel. Der Mehrzweckgurt schmückt sich mit allen erdenklichen Ausrüstungsgegenständen, von einem Parang mit breiter Klinge über eine Gasmaske und Munition für eine Signalpistole bis hin zu einem »Camel-Bag« mit Wasser über der Schulter. Einem Veteranen der Rasiermesser würden die jedem Reglement widersprechenden Mokassins an seinen Füßen auffallen, woraus er schließen würde, dass Major Valentine gerade von einem seiner Aufklärungseinsätze zurückkehrt.
David Valentine atmete noch einen letzten Mundvoll sauberer Luft, ehe er in den Gestank hinabstieg, der an den Bau einer Bisamratte erinnerte. Mit einer herausgerissenen jungen Löwenzahnpflanze in einer Hand stieg er vorsichtig hinab. Von der Treppe, die in das Untergeschoss des alten Flughafengebäudes führte, war nicht mehr viel übrig. Der Eingang war erweitert, die aufwühlte Erde mit Sperrholzbrettern abgedeckt worden, die knapp zweieinhalb Meter in die Tiefe zu der Stelle führten, an der früher die Kellertür gewesen war.
Der Eingang zum Razorback-Hauptquartier erinnerte an ein überdimensioniertes Mauseloch und narrte so die Augen, die bisweilen hoch über der Stellung der Belagerer vorüberzogen.
Er legte seine Waffe in den Putzeimer und blieb auf einem Teppichrest am Eingang stehen, um seinen Augen Gelegenheit zu geben, sich an die Dunkelheit im Inneren zu gewöhnen. Der taube, alte Pooter, eines der Meerschweinchen seines Regiments, stellte sich in seinem Hasendrahtkäfig auf einem Regal neben dem Eingang auf die Hinterbeine und pfiff einen Willkommensgruß. Valentine warf ihm den Löwenzahn hin.
»Sie haben uns also doch nicht beschossen«, sagte er zu Pooter.
Pooter bedachte ihn mit einem Geräusch, das einem Kichern ähnelte, während ein milchig weißer Löwenzahnstängel zwischen seinen rasant arbeitenden Kiefern verschwand.
Sollten die Kur sie wieder einmal einstauben, so würde Pooter mit einem lautstarken Hustenanfall zugrunde gehen und den Männern in dem Keller Zeit geben, Alarm zu schlagen, die Plastikvorhänge abzusenken und Gasmasken und Handschuhe anzulegen.
Valentine war müde. Er hatte die letzten acht Stunden damit zugebracht, die Vorposten abzugehen, die sie in Erwartung eines Kampfes errichtet hatten, der nicht stattfand. Er wäre wahrscheinlich nicht so müde gewesen, hätte etwas stattgefunden. Das sonderbare Ich-lebe-nochund- kann-alles-erreichen-Hochgefühl hätte ihn einfach in das Hauptquartier seiner Rasiermesser zurückgetragen.
Auf der Pooter gegenüberliegenden Seite der Tür war ein von Sandsäcken umgebenes Kabuff, vollgestellt mit geborgenen Lehnstühlen, die zwischen Tausenden von lose gebundenen Seiten aus vielleicht hundert verschiedenen Zeitschriften und Büchern der Zeit vor '22 standen. Dort hatte es sich ein Team von Nails Bären, die Notfalltruppe des Razorback-HQ, bequem gemacht. Die Bären rauchten erbeuteten Tabak und lasen Bücher- oder Zeitschriftenfragmente.
Bis auf einen. Der Bär, den Valentine unter dem Namen Lost & Found kannte, stand gleich vor dem Kabuff im tiefsten Schatten des Eingangsbereichs und hielt ein Sturmgewehr in den Armen, als wäre es ein Baby. Zu seinen Füßen stand ein Kübel mit weißem Pulver.
Valentine atmete die Luft im Hauptquartier, die ungefähr zehn Grad wärmer war als die kühle Morgenluft des texanischen Frühlings im Freien. Allerlei Gerüche wogten durch seine Nasenlöcher: der Bär, Tabak, schwacher Fäkaliendunst, Kaffee, abgestandener Schweiß, trocknende Wäsche und ein Hauch von gedünstetem Kohl in salziger Brühe.
»Morgen, Sir«, sagte Lost & Found und sah an Valentine vorbei zur Tür hinaus, während er mit dem Fuß den Kübel anstupste.
Brav legte Valentine seinen Uniformgurt ab und warf ihn in das Dekontaminationsfass. Der Rest seiner Kleider folgte sogleich, und schließlich stand er nackt auf den Teppichfetzen.
Er nahm eine Handvoll Borsäure aus dem Kübel und rieb sich damit ab, wobei er sich vor allem auf sein schulterlanges schwarzes Haar, die Achselhöhlen und den Schritt konzentrierte. Rote Läuse liebten die Wärme und Geborgenheit in der direkten Umgebung der Haarfollikel, und das Bataillon sollte keinen Mann mehr an das Läusefieber verlieren. Colonel Meadows hatte mit den zwanzig Prozent der Razorbacks, die die Betten des Feldlazaretts füllten und zweimal täglich Lauch-Leber-Suppe verzehrten, um wieder zu Kräften zu kommen, schon genug zu tun.
Valentine ging zu einer Reihe von Schränken. Klebestreifen mit Namen pappten auf der frischen Farbe, die auf den alten Rost aufgetragen worden war. Er nahm sich eine Uniform aus dem Spind. Hank hatte in der Nacht, während Valentine unterwegs gewesen war, dort eine frische Uniform deponiert. Gewöhnliche Soldaten mussten sich mit den verknitterten Inhalten der Wäscheeimer zufriedengeben, aber die Razorback-Offiziere hatten Schränke für ihre Innendienstuniformen. Als er mit einem grau-grünen Tarnanzug der Razorbacks (bestimmt zum Gebrauch durch die Gemischte Infanteriedivision des Kommandos Süd - manche meinten, das Farbschema entspräche dem Hinterteil eines Waschbären) wieder ordentlich bekleidet war, schlüpfte er in Mokassins mit Ledersohle und folgte mit seiner Wolfsnase dem Kaffeegeruch.
Er passierte einen Funk-/Feldtelefon-Operator mit Headset, dessen Ausrüstung mit dünnen Tüchern abgedeckt war, die nach Petroleum rochen. Um ihn herum befanden sich sechs verschiedene RAUCHEN VERBOTEN-Schilder auf Englisch, Spanisch und Französisch. Das Petroleum hielt die Elektrozecken fern. Die kleinen Mistviecher fraßen die Isolierungen elektrischer Anlagen und wuchsen zu beinahe acht Zentimeter langen Parasiten heran, deren metallisches Chitin unausweichlich die elektrische Ausrüstung kurzschlossen.
Der Junge mit dem Headset, er war siebzehn, aber so hager, dass er für vierzehn durchgegangen wäre, studierte die zappelnden Nadeln des Funkgeräts, als wären es Wünschelruten. Valentine zog eine Braue hoch und erhielt ein Kopfschütteln zur Antwort. Daraufhin warf er einen Blick auf das Klemmbrett mit den neuesten Kommunikationsprotokollen. Am Vortag hatte es in Dallas Gerede gegeben, das im Dallas Corridor GHQ Befürchtungen bezüglich eines Gegenschlags im Gebiet der Razorbacks geweckt hatte, aber in der letzten Nacht war alles ruhig geblieben.
Frühstück oder Dusche?
Valentine beschloss, der Borsäure noch etwas Zeit zu lassen, und ging in die Küche.
Während der fünf Wochen, die sie nun schon den Flugplatz besetzt hielten, hatten Narcisse und ihre Mitarbeiter Spülbecken und Öfen aufgebaut. Sogar einen Pizzaofen hatten sie in Betrieb nehmen können. Die Kompanien, die im Wechsel vorgelagerte Positionen einnahmen, gönnten sich stets eine Pizzaparty, ehe sie hinaus zu den befestigten Posten krochen, die über die Anfahrtswege nach Dallas wachten. Narcisse trug keine Uniform und bekleidete keinen Rang. Sie streifte mit ihrem Rollstuhl ganz nach Lust und Laune zwischen den Bataillonsküchen und den Krankenstuben hin und her, munterte die Männer auf und verteilte Essen. Eskortiert wurde sie dabei von einem unerschütterlichen Hund, vielleicht ein Rottweilermischling, der während des Marsches von den Ouachitas in Richtung Süden in ihr Lager gekommen war. Die Männer und Frauen, deren Aufgabe es war, für das Wohlbehagen der Frontsoldaten zu sorgen, gehorchten der alten, beinlosen Haitianerin, als wäre sie ein Feldmarschall auf Kontrollbesuch.
Valentine sagte den Kartoffelschälern Guten Morgen, die in einem Raum mit verblasstem Anstrich arbeiteten, der in früherer Zeit eine Instandhaltungswerkstatt gewesen war, wusch sich die Hände und goss sich Wasser aus dem heißen Kessel in einen Becher. Er warf einen von Narcisses Kräuterteebeuteln hinein, die in einem geflochtenen Korb auf einem hohen Regalbrett lagen, deckte das Gebräu mit einem Plastikdeckel ab, der sich als Untertasse ausgab, und ging die Stufen hinunter in das zweite Kellergeschoss, in dem die Wohnquartiere untergebracht waren.
Auf dem Weg nach unten nahm er das Aroma des ziehenden Tees wahr. Er roch vage nach Orangen - nur Gott wusste, wie Narcisse an Orangenschalen gekommen war - und schien stets in den Teil des Körpers zu wandern, der am reparaturbedürftigsten war. Litt man unter Verstopfung, wirkte er lösend, lief alles aus einem heraus, setzte er einen Stöpsel. Er heilte Kopfschmerz, machte des Morgens wach und linderte die Angst, die sich bei längerem Granatbeschuss auszubreiten pflegte.
Mitten zwischen den alten Sanitärinstallationen und den Verteilerkästen hatte Valentine einen Raum für sich allein. In der Ferne klapperte ein Generator, der zwar beständig Strom lieferte, sich aber anhörte, als wäre er mit seinem Tagesablauf nicht eben glücklich. Den Korridor hin unter belegte Colonel Meadows einen ehemaligen Büro- raum der Flughafenpolizei, aber Valentine konnte kein Licht unter der Tür erkennen, als machte er kehrt und schob das Laken zur Seite, das den Zugang zu seinem Quartier verdeckte.
Seine Nase verriet ihm, dass jemand in seinem Raum lag, noch bevor seine Augen die l-förmige Erhebung in seinem Drahtgestellbett sah. Ein fahles, mit Borsäure überzogenes Bein, das in einem schwieligen Fuß mit Hammerzehen endete, ragte aus der wollenen Armeedecke hervor, und am anderen Ende war gerade noch ein mit dem Messer gekürzter Schopf leuchtend roter Haare zu erkennen.
Alessa Duvalier war aus dem Stadtkern von Dallas zurück.
Valentine studierte ihren Fuß. Bei manchen Leuten zeigten sich die Spuren eines harten Lebens in den Augen, bei anderen an den rauen Händen. Einige wenige waren, wie Narcisse, verkrüppelt. Während der Rest von Duvalier ziemlich hübsch war - oder sogar erlesen schön, wenn ihre Stimmung danach war oder es sein musste -, manifestierte sich in ihrem Fuß all das Schlimme, das die Katze in ihrem Leben hatte durchmachen müssen. Zwischen den Zehen dunkel vor Dreck, die Fersen von Hornhaut überzogen, die Zehen verdreht, die Zehennägel schmutzverkrustet und eingerissen, am Knöchel verschorft und vernarbt von endlosen Kilometern auf durchgelatschten Socken - ihre Füße erzählten eine grausige Geschichte.
Ihre Ausrüstung lag in zwei Spülbecken und verbreitete Kampfergeruch, der von ihrem Aufenthalt in dem Dekontaminationsfass kündete. Der Wanderstock, in dem ihr Schwert verborgen war, lag auf den weit alltäglicheren Stiefeln und Socken.
»Val, bist du das?«, fragte sie verschlafen unter der Decke. Ihre Stimme klang gedämpft unter dem Haufen Wolle, mit dem sie Mund und Nase zum Schutz vor der Kälte des Kellers abgedeckt hatte. Sie regte sich, und er erhaschte einen Blick auf ihren Oberschenkel. Sie war nur mit einem locker sitzenden Hemd bekleidet ins Bett gefallen. Valentine und Duvalier waren nie ein Liebespaar gewesen, aber sie waren so vertraut miteinander wie ein Ehepaar.
»Ja.«
»Platz genug für uns beide.«
»Erst duschen. Dann würde ich gern hören ...«
»Lass mir noch eine Stunde. Ich bin erst um vier Uhr früh reingekommen.«
»Ich war draußen bei den Vorposten. Mir ist nicht gemeldet worden, dass du ...«
Sie schnaubte. Valentine hörte Hanks rasche Schritte auf der Treppe, die er gerade heruntergekommen war.
Er warf einen Blick auf seine Automatikuhr, ein Geschenk von Meadows, das der Colonel ihm überreicht hatte, als er das Kommando über die Razorbacks übernommen hatte. Die Gravur auf der Rückseite verkündete eine achtundvierzig Jahre alte ewige Liebe zwischen zwei Sätzen Initialen, die beide mit einem C endeten. »Dann eben in einer Stunde. Frühstück?«
»Irgendwas.«
Valentine gönnte sich eine belebende Dusche, wodurch Hank damit beschäftigt war, heißes Wasser aus der Küche herunterzuschleppen. Gelegentlich hatte Valentine sich in ruhigen Stunden um die Bildung des Jungen gekümmert und versucht, sich der Lektionen zu erinnern, die Vater Max ihm mit dreizehn erteilt hatte, und er hatte ihn in das Bataillon aufgenommen, um ihn ohne größere Probleme versorgen und einkleiden zu können. Sie teilten mehr als nur die Zugehörigkeit zu diesem Bataillon. Beide hatten schreckliche, rot-weiße Verbrennungsnarben; Valentine am Rücken, Hank auf der nur noch halb einsatzfähigen rechten Hand.
»Wie definiert man ein gleichschenkliges Dreieck?«, fragte Valentine, während er seine Beine von oben bis unten mit einem seifengetränkten Lappen bearbeitete.
»Alle ... nein, zwei Seiten sind gleich lang«, sagte Hank.
»Und wenn alle Seiten gleich lang sind?«
»Dann ist es ein gleichseitiges Dreieck«, sagte Hank.
Auch die Frage nach den Winkeln in einem gleichseitigen Dreieck konnte Hank beantworten. Morgen würde Valentine ihm zeigen, wie man Dreiecke zu navigatorischen Zwecken nutzen konnte ... es war stets hilfreich, frühzeitig auf die praktische Anwendung einzugehen. In ungefähr einer Woche wäre der Junge imstande, einen Breitengrad mit Hilfe der Sonne und eines Sextanten zu bestimmen, vorausgesetzt, er wusste noch, was eine Lotschnur war.
»Ahn-Kha hast du heute Morgen wohl noch nicht gesehen, oder?«
»Nein, Sir«, sagte Hank und fiel mit geübter Leichtigkeit zurück in den militärischen Ton.
Valentine hatte die Anwesenheit des Grogs im Hauptquartier nicht gerochen, aber Ahn-Kha zog sich im Hauptquartier meist in ein teilweise versperrtes Treppenhaus zurück. Derzeit war Ahn-Kha mit der Prüfung und Ausbildung einiger neuer Razorbacks beschäftigt, vorwiegend Freiwillige aus Texas, die über die reichlich desorganisierte Personalverwaltung des Kommandos Süd im Norden der Stadt ihren Weg zu ihnen gefunden hatten. Zumeist sammelte das Kommando Süd all die Rekruten ein, die die texanischen Einheiten nicht wollten, und Ahn-Kha wusste, wie man aus Zitronen Limonade machte. Das Erste, was die Rekruten nach Valentines Dafürhalten lernen sollten, war, Grogs zu respektieren, ob sie Freund oder Feind waren.
Viel zu viele hatten in der Vergangenheit aufgrund von Fehleinschätzungen ihr Leben verloren.
Valentine bat Hank, ihm ein Tablett mit Essen vorzubereiten, sah, dass in Meadows' Büro inzwischen Licht brannte, und steckte den Kopf zur Tür hinein, um nachzuhaken, ob sein Vorgesetzter ihm etwas Neues über den Angriff erzählen konnte, der sie den Gerüchten zufolge erwartete.
»Bei den Vorposten herrscht Ruhe, Sir«, berichtete Valentine.
»Ich bin alles andere als ruhig«, kommentierte William Post. In seinem grau melierten Haar befanden sich weiße Streifen voller Borsäure. »Narcisse hat gestern Abend Chili gemacht.« Valentines alter Untergebener, ein ehemaliger Quisling von der Küstenmarine, der ihm geholfen hatte, die Thunderbolt quer durch die Karibik und zurück zu steuern, und einer der besten Offiziere war, die er kannte, widmete sich wieder dem Sortieren der Kommunikationsprotokolle. Valentines Gehör fing einen unterdrückten Rülpser auf.
»War hier irgendwas los?« Abgesehen von dem üblichen morgendlichen Gasangriff.
Meadows sah aus wie ein Mann, den man gerade aus den zwanzig Minuten Schlaf gerissen hatte, die ihm in der ganzen Nacht zuteilgeworden waren. Er knöpfte sein Hemd zu, und die Hand mit den fehlenden Fingern huschte wie ein emsiges Insekt über die Knopfreihe. »Nicht mal das übliche Störfeuer. Haben wohl endlich keine Munition mehr. Riesenflügler waren heute Nacht unterwegs.«
Riesenflügler waren die großen, an Wasserspeier erinnernden Flugwesen, die die Kur in den höheren Gebäuden von Dallas hielten. Klüger und seltener als die Harpyien, die Valentine erlebt hatte, neigten sie dazu, sich bei Dunkelheit hoch am Himmel zu bewegen, außerhalb der Reichweite von Gewehren. Vor ein paar Wochen hatte Valentine ein totes Exemplar zu sehen bekommen, das nur durch Zufall erlegt worden war; es hatte ein Fernglas bei sich und eine Luftaufnahme, auf der mit Fettstift die aktuellen Positionen der Belagerer verzeichnet waren.
»Ich habe Kompanie A zurückbeordert«, berichtete Post. »Die Panzerfahrzeuge sind immer noch einsatzbereit, und Kompanie C ist alarmiert. Nur für alle Fälle.«
»Danke, Will«, sagte Valentine. »Colonel, ich glaube immer noch, dass die eine Überraschung für uns vorbereiten. Ich schlage vor, dass wir unsere Linien vollständig bemannt halten.« Valentine bedauerte seine Worte, noch ehe seine Zunge zur Ruhe gekommen war. Meadows war selbst klug genug, dass man ihm keine Selbstverständlichkeiten unter die Nase reiben musste.
»Unsere Quellen könnten falschliegen. Wieder mal«, sagte Meadows und musterte den Eingangskorb neben der Tür. In dem Korb stapelten sich Mitteilungen, die während der Nacht eingegangen waren, die jedoch nicht wichtig genug waren, den Kommandierenden Offizier zu wecken. Die Annahme, dass ein Angriff bevorstand, beruhte auf Valentines Informationen, die entweder bei Befragungen von Deserteuren ans Licht gekommen waren oder auf dem vagen Gerede der Operationszentrale Dallas basierten, demzufolge die Stadt vor Betriebsamkeit brummte.
»Sir, Smoke ist zurückgekommen, während ich unterwegs war«, sagte Valentine. »Ich werde mich beim Frühstück mit ihr besprechen.«
Post zwinkerte Valentine schelmisch zu, während Meadows seine Mitteilungen las. Der Umstand, dass Duvalier Valentines Bett in Besitz zu nehmen pflegte, wann immer sie bei den Razorbacks war, hatte zu einigen Witzeleien über Valentines »Operationszentrale« geführt, und Valentine nahm an, dass die besten Kommentare geradewegs Posts spöttischer Kehle entstammten.
»Wie halten sich die Männer am Boulevard?«, fragte Meadows.
Der »Boulevard« war eine breite, in Ost-West-Richtung verlaufende Straße, die die vorderste Front der Stellungen der Razorbacks kennzeichnete. Scharfschützen und Maschinengewehrnester bekämpften einander über fünf Spuren der ehemaligen texanischen Nationalstraße aus der Deckung von zerschossenen Ladenfronten.
»Die fühlen sich da an der Front nicht sehr wohl, Sir«, berichtete Post. Post hatte feine Antennen, wenn es um die Stimmung im Regiment ging. Wichtiger noch, er interessierte sich dafür, und, was noch besser war, er kümmerte sich um die Sorgen der Männer. Unter den Nachschuboffizieren des Hinterlands galt Post als ewiges Schreckgespenst, wenn es um das Wohlergehen seiner Männer ging. »Sie waren nur drei Tage auf dem Flugplatz.« In Erwartung eines möglichen Angriffs hatte man vergleichsweise frische Kompanien an die Front beordert.
»Wenn bis morgen früh nichts passiert, lösen wir sie ab.«
»Wird gemacht, Sir«, antwortete Post.
»Ich werde jetzt nach Smoke sehen, Colonel, falls Sie nichts dagegen haben«, sagte Valentine.
»Richten Sie ihr meinen Dank aus, Major. Schnappen Sie sich was zu essen, und hauen Sie sich hin.« Meadows neigte dazu, seine Anweisungen kurz und prägnant zu halten. Und manchmal waren sie auch recht angenehm. Meadows nahm die Protokolle aus seinem Korb, warf einen kurzen Blick darauf und reichte sie Valentine.
Valentine las sie auf dem Rückweg in die Kombüse - die Küche, korrigierte er sich in Gedanken. Bisweilen schlich sich noch immer die Seemannssprache in seinen Kopf, ein Überbleibsel aus dem Jahr, in dem er sich in der Uniform des Feindes bei der Küstenmarine verdingt und schließlich auf der Thunderbolt gelebt hatte, nachdem er sie den Kur abgenommen hatte.
01:30 Trinkwasserleitung zu vorgeschobenen Stellungen instandgesetzt. 02:28 VB3 VB11 Gelegentliches Artilleriefeuer von der anderen Seite der Stadt sicht- und hörbar. 03:55 VB3 Sperrfeuer beendet. 04:10 VB12 meldet: Ein Zug wurde aus nördlicher Richtung im Bereich der Stadt gehört. VB bezeichnete die mit Feldtelefonen ausgerüsteten vorgeschobenen Beobachtungsposten. Auch Valentine hatte den Artillerieeinsatz auf der anderen Seite der Stadt gehört und gesehen. Das Feuer war zwischen den hohen Gebäuden aufgeflackert, die unter dem nächtlichen Himmel an Grabmale einer toten Stadt erinnert hatten.
Die einzig misstrauenerweckende Nachricht war die von dem Zug. Die Schienen, die nach Dallas führten, waren bereits zu Beginn der Belagerung unterbrochen, aufgerissen, zerbombt, untergepflügt oder anderweitig blockiert worden. Einen Zug in Gang zu setzen, ergab wenig Sinn - es sei denn, die Kur verlagerten lediglich Truppen innerhalb der Stadt.
Valentine nahm das mit Speisen beladene Tablett und verpflichtete Hank als Kaffeeträger. Dann kehrte er in sein Quartier zurück. Duvalier zuckte zusammen, als er eintrat, doch dann entspannte sie sich wieder und schlug die Augen auf.
»Essen«, sagte sie.
»Und Kaffee«, entgegnete Valentine, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie einen gesitteten Eindruck machte. Hank, immerhin ein Teenager, hatte an der Stelle gewartet, an der er den besten Ausblick auf den Raum und das Bett hatte.
»Was gibt es Neues in D?«, fragte Valentine und stellte das Tablett vorübergehend auf dem Bett ab, ehe er seinen provisorischen Schreibtisch hochklappte, so dass sie einen Essplatz hatten.
»Keine Anzeichen für einen Ausfall. Ich habe zwei zusätzliche Schützenmannschaften gesehen und Feldpolizei in ihrer Station, aber es wurden keine weiteren Truppen aufgestellt.«
Hank hängte Duvaliers Sachen zum Trocknen auf. Valentine sah, wie der Junge ein Gähnen unterdrücken musste.
»Die Quislinge?«
»Die meisten Einheiten sind schon vor über einem Monat auf halbe Rationen gesetzt worden. Interne Sicherheit und Feldpolizei natürlich ausgenommen. Und ein paar der höheren Offiziere; die sind so fett wie eh und je. Ich habe ein paar der Männer reden gehört. Niemand traut sich noch, sich krankzumelden. Den Gerüchten zufolge gehen den Kur langsam die Auren aus, und auf der Krankenliste halten sie als Erstes nach Nachschub Ausschau.«
Copyright © 2010 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Der größte Kreis umfasst die großen Türme im Stadtzentrum. Die Wolkenkratzer, die oberhalb des zwanzigsten Stockwerks spinnwebartig mit Trossen verbunden sind, an denen die Kur mit ihren Tentakeln sicher von einem Gebäude zum anderen kommen, ohne sich unter ihre menschlichen Herden auf den Straßen zu mischen, weisen frische Löcher, Risse und Mulden auf, verursacht von den Geschützen und Raketen der Belagerer. Auf den Straßen werden konzentrische Kreise aus Schutthaufen von Geschützbatterien verteidigt, an denen alle nur denkbaren Kräfte eingesetzt werden, von professionellen Soldaten bis hin zu unbedeutenden Bediensteten dessen, was noch bis zum letzten Jahr die begüterte und sich beständig ausbreitende Nord-Texas-Kooperative war.
Rund um diese zentrale Achse herum gibt es eine ganze Reihe kleinerer Kreise, die sich um die innere Befestigung drängen wie die Kammern in der Trommel eines Revolvers. In vorderster Front die Texaner aus den Pinewoods und dem Grenzgebiet am Rio Grande; weiter im Norden und im Osten flattert die Trikolore der Ozarks. Ein paar kleinere Lager füllen die Lücken nach hinten aus, bemannt von Milizgruppen der Männer und Frauen, die aus dem harten Griff der Kooperative befreit werden konnten.
Im Nordwesten der Stadt umgibt einer dieser kleineren Kreise einen Flugplatz, der einst unter dem Namen Love Field bekannt war. Die Soldaten an diesem Ort sind nicht dazu positioniert worden, die Stadt anzugreifen. Die Ad-hoc-Einheit, die den Fughafen besetzt hat, ist infolge des Aufruhrs von Little Rock entstanden, der die Operation Archangel eingeleitet hat. Sie beteiligt sich an der Belagerung einerseits aus sentimentalen Gründen zum Zeichen ihrer Dankbarkeit gegenüber den Texanern, die den Arkansas River heraufgekommen waren, um sie zu retten, ist andererseits jedoch ein Teil jenes waffenstrotzenden Rings um die Stadt, der einen organisierten Ausfall verhindern soll. Der Flugplatz stellt die Verbindung zwischen der äußersten linken Flanke der Ozark-Truppen und der äußerst rechten der Texaner dar.
Ihre Regimentsflagge, eine schwarz-blaue Silhouette eines Arkansas- Razorbacks unter der texanischen Flagge und der der Ozarks, trägt den Schriftzug WIR LASSEN UNS NICHT FRESSEN. Aus der Ferne betrachtet scheint die Truppe in diesem speziellen Lager, von Veteranen Valentines Rasiermesser genannt, nicht in der Verfassung zu sein, mehr als eine Unterstützungstruppe darzustellen. Nur ein paar Mörser- und Maschinengewehrstellungen kennzeichnen ihre Linien und scheinen eher der Verteidigung des Lagers zu dienen als dem Beschuss ihrer Gegenspieler innerhalb der Stadt. Anstelle von Geschützen umschließt Stacheldraht rollenweise einen Bereich des offenen Geländes, auf dem Rinder darauf warten, geschlachtet und den täglichen Rationen zugeführt zu werden, und die Werkstattgebäude sind angefüllt mit den Geräuschen von Generatoren und Elektrowerkzeugen. Auf dem Marsch von den Ozarks nach Südwesten erwiesen sich die Rasiermesser als unbezahlbar, wenn es darum ging, kurische Transporte abzufangen und Rinder, Weizen, Schweine und Mais den diversen Regimentsküchen zuzuführen. Ihr Geschick verrät, dass viele der Soldaten der Rasiermesser aus dem Hinterland stammen und im Zuge des Aufruhrs von Little Rock per Zufall zu einer Einheit verschmolzen sind.
Ein General, gleich, auf welcher Seite er steht, würde, so er ein wenig Verstand militärischer und anderer Art besitzt, beim Blick in eine Karte davon ausgehen, dass die Rasiermesser unter all den Lagern rund um Big D das ungefährlichste unterhalten.
Aber Güte lässt sich nur schwer aus der Ferne ermessen.
Der erste Hinweis findet sich in den Gewehren, die jeder Soldat im Dienst stets in Griffweite hat: lange Mordgeräte mit schwerem Lauf, überdimensionierten Bananenmagazinen und eingebauten Zweibeinständern, einige zusätzlich ausgestattet mit Zielfernrohren, andere mit einer Vorrichtung zur Aufnahme großer Trommelmagazine. Diese Waffen, Souvenirs aus der kurzzeitigen Integration der Rasiermesser in Solons Armee von Trans-Mississippi, sind das Beste, was die berühmte Waffenschmiede Atlanta Gunworks produziert. Dank diesem Typ Drei ist jeder der Soldaten in der Lage, sich im Nu in eine EinMann- Unterstützungstruppe zu verwandeln, wenn er nur einen Schraubenschlüssel und einen Gurt mit passender Munition bei sich hat.
Und dann sind da noch die »Prowler«, wie die Rasiermesser ihre Patrouillenwagen nennen. Die Mechaniker der Rasiermesser sorgen dafür, dass die nützlichsten Einzelteile aus Quisling-Wracks ihren Weg in den Fuhrpark des Regiments finden, wo sie in gepanzerte Wagen und Mörserfahrzeuge eingebaut werden. Hochachsig und mit breiten Reifen gerüstet, abgedeckt mit einem Gewebe, das dem Beschuss durch Panzerfäuste standhält, verfügt jedes der gepanzerten Sumpffahrzeuge über ein paar wütende Augen und scharfe Hauer und Zähne irgendwo über und vor den Vorderrädern. Ein paar sind mit elektrischen Winden ausgestattet, durch die die Fahrzeugfront wie ein Mauls wirkt, und auf den Ladeflächen vieler Wagen befinden sich rückstoßfreie Waffen, Miniguns und automatische Granatwerfer. Andere, längere und schwerere Doppelachser, sind dazu gebaut, Soldaten zu transportieren, die die Wagen durch Türen im Heck oder an den Seiten besteigen. Die Tanks werden unterwegs mit Hilfe einer Sammlung von Anhängerpumpen aus erbeuteten Treibstofflagern gefüllt und dienen innerhalb des Lagers als Reserve für den Fall eines Versorgungsengpasses.
Die Rasiermesser dürften eigentlich nicht einsatzfähig sein. Von Soldaten, die unter den schlimmsten denkbaren Umständen zusammengewürfelt wurden, kann kaum erwartet werden, dass sie entschlossen zum Angriff ausrücken, und erst recht nicht, dass sie mitten in feindlichem Gebiet ganz allein eine wertvolle Stellung halten. Der Erfolg ihrer berühmten Operation am Ufer des Arkansas River darf als Maßstab für die Inkompetenz des Feindes ebenso wie für ihren eigenen Mut gelten. Aber auch die Improvisationsfähigkeit der Offiziere, die den Aufstand von Little Rock organisiert haben, sollte nicht unerwähnt bleiben.
Einer dieser Männer schreitet bei Sonnenaufgang durch den Randbereich des Flugplatzes. Seine dunkle, grau-grün gefleckte Uniformstarrt vor »Dallas-Staub«, eine hafermehlfarbene Mischung aus pulverisiertem Beton, Asche und profanem winterlichem Schmutz. Schwarzes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar bedeckt seinen Kopf, und eine dünne, weiße Narbe an der rechten Seite seines Gesichts offenbart die frühe Frühlingsbräune, ein Hinweis auf den großzügigen Vorrat an Melanin in seinen Genen. Eine kurze Version des Ordonanzgewehrs seiner Rasiermesser mit einem abgesägten Klapplauf hüpft an einer engen Schlinge an dem ledernen Uniformgürtel. Der Mehrzweckgurt schmückt sich mit allen erdenklichen Ausrüstungsgegenständen, von einem Parang mit breiter Klinge über eine Gasmaske und Munition für eine Signalpistole bis hin zu einem »Camel-Bag« mit Wasser über der Schulter. Einem Veteranen der Rasiermesser würden die jedem Reglement widersprechenden Mokassins an seinen Füßen auffallen, woraus er schließen würde, dass Major Valentine gerade von einem seiner Aufklärungseinsätze zurückkehrt.
David Valentine atmete noch einen letzten Mundvoll sauberer Luft, ehe er in den Gestank hinabstieg, der an den Bau einer Bisamratte erinnerte. Mit einer herausgerissenen jungen Löwenzahnpflanze in einer Hand stieg er vorsichtig hinab. Von der Treppe, die in das Untergeschoss des alten Flughafengebäudes führte, war nicht mehr viel übrig. Der Eingang war erweitert, die aufwühlte Erde mit Sperrholzbrettern abgedeckt worden, die knapp zweieinhalb Meter in die Tiefe zu der Stelle führten, an der früher die Kellertür gewesen war.
Der Eingang zum Razorback-Hauptquartier erinnerte an ein überdimensioniertes Mauseloch und narrte so die Augen, die bisweilen hoch über der Stellung der Belagerer vorüberzogen.
Er legte seine Waffe in den Putzeimer und blieb auf einem Teppichrest am Eingang stehen, um seinen Augen Gelegenheit zu geben, sich an die Dunkelheit im Inneren zu gewöhnen. Der taube, alte Pooter, eines der Meerschweinchen seines Regiments, stellte sich in seinem Hasendrahtkäfig auf einem Regal neben dem Eingang auf die Hinterbeine und pfiff einen Willkommensgruß. Valentine warf ihm den Löwenzahn hin.
»Sie haben uns also doch nicht beschossen«, sagte er zu Pooter.
Pooter bedachte ihn mit einem Geräusch, das einem Kichern ähnelte, während ein milchig weißer Löwenzahnstängel zwischen seinen rasant arbeitenden Kiefern verschwand.
Sollten die Kur sie wieder einmal einstauben, so würde Pooter mit einem lautstarken Hustenanfall zugrunde gehen und den Männern in dem Keller Zeit geben, Alarm zu schlagen, die Plastikvorhänge abzusenken und Gasmasken und Handschuhe anzulegen.
Valentine war müde. Er hatte die letzten acht Stunden damit zugebracht, die Vorposten abzugehen, die sie in Erwartung eines Kampfes errichtet hatten, der nicht stattfand. Er wäre wahrscheinlich nicht so müde gewesen, hätte etwas stattgefunden. Das sonderbare Ich-lebe-nochund- kann-alles-erreichen-Hochgefühl hätte ihn einfach in das Hauptquartier seiner Rasiermesser zurückgetragen.
Auf der Pooter gegenüberliegenden Seite der Tür war ein von Sandsäcken umgebenes Kabuff, vollgestellt mit geborgenen Lehnstühlen, die zwischen Tausenden von lose gebundenen Seiten aus vielleicht hundert verschiedenen Zeitschriften und Büchern der Zeit vor '22 standen. Dort hatte es sich ein Team von Nails Bären, die Notfalltruppe des Razorback-HQ, bequem gemacht. Die Bären rauchten erbeuteten Tabak und lasen Bücher- oder Zeitschriftenfragmente.
Bis auf einen. Der Bär, den Valentine unter dem Namen Lost & Found kannte, stand gleich vor dem Kabuff im tiefsten Schatten des Eingangsbereichs und hielt ein Sturmgewehr in den Armen, als wäre es ein Baby. Zu seinen Füßen stand ein Kübel mit weißem Pulver.
Valentine atmete die Luft im Hauptquartier, die ungefähr zehn Grad wärmer war als die kühle Morgenluft des texanischen Frühlings im Freien. Allerlei Gerüche wogten durch seine Nasenlöcher: der Bär, Tabak, schwacher Fäkaliendunst, Kaffee, abgestandener Schweiß, trocknende Wäsche und ein Hauch von gedünstetem Kohl in salziger Brühe.
»Morgen, Sir«, sagte Lost & Found und sah an Valentine vorbei zur Tür hinaus, während er mit dem Fuß den Kübel anstupste.
Brav legte Valentine seinen Uniformgurt ab und warf ihn in das Dekontaminationsfass. Der Rest seiner Kleider folgte sogleich, und schließlich stand er nackt auf den Teppichfetzen.
Er nahm eine Handvoll Borsäure aus dem Kübel und rieb sich damit ab, wobei er sich vor allem auf sein schulterlanges schwarzes Haar, die Achselhöhlen und den Schritt konzentrierte. Rote Läuse liebten die Wärme und Geborgenheit in der direkten Umgebung der Haarfollikel, und das Bataillon sollte keinen Mann mehr an das Läusefieber verlieren. Colonel Meadows hatte mit den zwanzig Prozent der Razorbacks, die die Betten des Feldlazaretts füllten und zweimal täglich Lauch-Leber-Suppe verzehrten, um wieder zu Kräften zu kommen, schon genug zu tun.
Valentine ging zu einer Reihe von Schränken. Klebestreifen mit Namen pappten auf der frischen Farbe, die auf den alten Rost aufgetragen worden war. Er nahm sich eine Uniform aus dem Spind. Hank hatte in der Nacht, während Valentine unterwegs gewesen war, dort eine frische Uniform deponiert. Gewöhnliche Soldaten mussten sich mit den verknitterten Inhalten der Wäscheeimer zufriedengeben, aber die Razorback-Offiziere hatten Schränke für ihre Innendienstuniformen. Als er mit einem grau-grünen Tarnanzug der Razorbacks (bestimmt zum Gebrauch durch die Gemischte Infanteriedivision des Kommandos Süd - manche meinten, das Farbschema entspräche dem Hinterteil eines Waschbären) wieder ordentlich bekleidet war, schlüpfte er in Mokassins mit Ledersohle und folgte mit seiner Wolfsnase dem Kaffeegeruch.
Er passierte einen Funk-/Feldtelefon-Operator mit Headset, dessen Ausrüstung mit dünnen Tüchern abgedeckt war, die nach Petroleum rochen. Um ihn herum befanden sich sechs verschiedene RAUCHEN VERBOTEN-Schilder auf Englisch, Spanisch und Französisch. Das Petroleum hielt die Elektrozecken fern. Die kleinen Mistviecher fraßen die Isolierungen elektrischer Anlagen und wuchsen zu beinahe acht Zentimeter langen Parasiten heran, deren metallisches Chitin unausweichlich die elektrische Ausrüstung kurzschlossen.
Der Junge mit dem Headset, er war siebzehn, aber so hager, dass er für vierzehn durchgegangen wäre, studierte die zappelnden Nadeln des Funkgeräts, als wären es Wünschelruten. Valentine zog eine Braue hoch und erhielt ein Kopfschütteln zur Antwort. Daraufhin warf er einen Blick auf das Klemmbrett mit den neuesten Kommunikationsprotokollen. Am Vortag hatte es in Dallas Gerede gegeben, das im Dallas Corridor GHQ Befürchtungen bezüglich eines Gegenschlags im Gebiet der Razorbacks geweckt hatte, aber in der letzten Nacht war alles ruhig geblieben.
Frühstück oder Dusche?
Valentine beschloss, der Borsäure noch etwas Zeit zu lassen, und ging in die Küche.
Während der fünf Wochen, die sie nun schon den Flugplatz besetzt hielten, hatten Narcisse und ihre Mitarbeiter Spülbecken und Öfen aufgebaut. Sogar einen Pizzaofen hatten sie in Betrieb nehmen können. Die Kompanien, die im Wechsel vorgelagerte Positionen einnahmen, gönnten sich stets eine Pizzaparty, ehe sie hinaus zu den befestigten Posten krochen, die über die Anfahrtswege nach Dallas wachten. Narcisse trug keine Uniform und bekleidete keinen Rang. Sie streifte mit ihrem Rollstuhl ganz nach Lust und Laune zwischen den Bataillonsküchen und den Krankenstuben hin und her, munterte die Männer auf und verteilte Essen. Eskortiert wurde sie dabei von einem unerschütterlichen Hund, vielleicht ein Rottweilermischling, der während des Marsches von den Ouachitas in Richtung Süden in ihr Lager gekommen war. Die Männer und Frauen, deren Aufgabe es war, für das Wohlbehagen der Frontsoldaten zu sorgen, gehorchten der alten, beinlosen Haitianerin, als wäre sie ein Feldmarschall auf Kontrollbesuch.
Valentine sagte den Kartoffelschälern Guten Morgen, die in einem Raum mit verblasstem Anstrich arbeiteten, der in früherer Zeit eine Instandhaltungswerkstatt gewesen war, wusch sich die Hände und goss sich Wasser aus dem heißen Kessel in einen Becher. Er warf einen von Narcisses Kräuterteebeuteln hinein, die in einem geflochtenen Korb auf einem hohen Regalbrett lagen, deckte das Gebräu mit einem Plastikdeckel ab, der sich als Untertasse ausgab, und ging die Stufen hinunter in das zweite Kellergeschoss, in dem die Wohnquartiere untergebracht waren.
Auf dem Weg nach unten nahm er das Aroma des ziehenden Tees wahr. Er roch vage nach Orangen - nur Gott wusste, wie Narcisse an Orangenschalen gekommen war - und schien stets in den Teil des Körpers zu wandern, der am reparaturbedürftigsten war. Litt man unter Verstopfung, wirkte er lösend, lief alles aus einem heraus, setzte er einen Stöpsel. Er heilte Kopfschmerz, machte des Morgens wach und linderte die Angst, die sich bei längerem Granatbeschuss auszubreiten pflegte.
Mitten zwischen den alten Sanitärinstallationen und den Verteilerkästen hatte Valentine einen Raum für sich allein. In der Ferne klapperte ein Generator, der zwar beständig Strom lieferte, sich aber anhörte, als wäre er mit seinem Tagesablauf nicht eben glücklich. Den Korridor hin unter belegte Colonel Meadows einen ehemaligen Büro- raum der Flughafenpolizei, aber Valentine konnte kein Licht unter der Tür erkennen, als machte er kehrt und schob das Laken zur Seite, das den Zugang zu seinem Quartier verdeckte.
Seine Nase verriet ihm, dass jemand in seinem Raum lag, noch bevor seine Augen die l-förmige Erhebung in seinem Drahtgestellbett sah. Ein fahles, mit Borsäure überzogenes Bein, das in einem schwieligen Fuß mit Hammerzehen endete, ragte aus der wollenen Armeedecke hervor, und am anderen Ende war gerade noch ein mit dem Messer gekürzter Schopf leuchtend roter Haare zu erkennen.
Alessa Duvalier war aus dem Stadtkern von Dallas zurück.
Valentine studierte ihren Fuß. Bei manchen Leuten zeigten sich die Spuren eines harten Lebens in den Augen, bei anderen an den rauen Händen. Einige wenige waren, wie Narcisse, verkrüppelt. Während der Rest von Duvalier ziemlich hübsch war - oder sogar erlesen schön, wenn ihre Stimmung danach war oder es sein musste -, manifestierte sich in ihrem Fuß all das Schlimme, das die Katze in ihrem Leben hatte durchmachen müssen. Zwischen den Zehen dunkel vor Dreck, die Fersen von Hornhaut überzogen, die Zehen verdreht, die Zehennägel schmutzverkrustet und eingerissen, am Knöchel verschorft und vernarbt von endlosen Kilometern auf durchgelatschten Socken - ihre Füße erzählten eine grausige Geschichte.
Ihre Ausrüstung lag in zwei Spülbecken und verbreitete Kampfergeruch, der von ihrem Aufenthalt in dem Dekontaminationsfass kündete. Der Wanderstock, in dem ihr Schwert verborgen war, lag auf den weit alltäglicheren Stiefeln und Socken.
»Val, bist du das?«, fragte sie verschlafen unter der Decke. Ihre Stimme klang gedämpft unter dem Haufen Wolle, mit dem sie Mund und Nase zum Schutz vor der Kälte des Kellers abgedeckt hatte. Sie regte sich, und er erhaschte einen Blick auf ihren Oberschenkel. Sie war nur mit einem locker sitzenden Hemd bekleidet ins Bett gefallen. Valentine und Duvalier waren nie ein Liebespaar gewesen, aber sie waren so vertraut miteinander wie ein Ehepaar.
»Ja.«
»Platz genug für uns beide.«
»Erst duschen. Dann würde ich gern hören ...«
»Lass mir noch eine Stunde. Ich bin erst um vier Uhr früh reingekommen.«
»Ich war draußen bei den Vorposten. Mir ist nicht gemeldet worden, dass du ...«
Sie schnaubte. Valentine hörte Hanks rasche Schritte auf der Treppe, die er gerade heruntergekommen war.
Er warf einen Blick auf seine Automatikuhr, ein Geschenk von Meadows, das der Colonel ihm überreicht hatte, als er das Kommando über die Razorbacks übernommen hatte. Die Gravur auf der Rückseite verkündete eine achtundvierzig Jahre alte ewige Liebe zwischen zwei Sätzen Initialen, die beide mit einem C endeten. »Dann eben in einer Stunde. Frühstück?«
»Irgendwas.«
Valentine gönnte sich eine belebende Dusche, wodurch Hank damit beschäftigt war, heißes Wasser aus der Küche herunterzuschleppen. Gelegentlich hatte Valentine sich in ruhigen Stunden um die Bildung des Jungen gekümmert und versucht, sich der Lektionen zu erinnern, die Vater Max ihm mit dreizehn erteilt hatte, und er hatte ihn in das Bataillon aufgenommen, um ihn ohne größere Probleme versorgen und einkleiden zu können. Sie teilten mehr als nur die Zugehörigkeit zu diesem Bataillon. Beide hatten schreckliche, rot-weiße Verbrennungsnarben; Valentine am Rücken, Hank auf der nur noch halb einsatzfähigen rechten Hand.
»Wie definiert man ein gleichschenkliges Dreieck?«, fragte Valentine, während er seine Beine von oben bis unten mit einem seifengetränkten Lappen bearbeitete.
»Alle ... nein, zwei Seiten sind gleich lang«, sagte Hank.
»Und wenn alle Seiten gleich lang sind?«
»Dann ist es ein gleichseitiges Dreieck«, sagte Hank.
Auch die Frage nach den Winkeln in einem gleichseitigen Dreieck konnte Hank beantworten. Morgen würde Valentine ihm zeigen, wie man Dreiecke zu navigatorischen Zwecken nutzen konnte ... es war stets hilfreich, frühzeitig auf die praktische Anwendung einzugehen. In ungefähr einer Woche wäre der Junge imstande, einen Breitengrad mit Hilfe der Sonne und eines Sextanten zu bestimmen, vorausgesetzt, er wusste noch, was eine Lotschnur war.
»Ahn-Kha hast du heute Morgen wohl noch nicht gesehen, oder?«
»Nein, Sir«, sagte Hank und fiel mit geübter Leichtigkeit zurück in den militärischen Ton.
Valentine hatte die Anwesenheit des Grogs im Hauptquartier nicht gerochen, aber Ahn-Kha zog sich im Hauptquartier meist in ein teilweise versperrtes Treppenhaus zurück. Derzeit war Ahn-Kha mit der Prüfung und Ausbildung einiger neuer Razorbacks beschäftigt, vorwiegend Freiwillige aus Texas, die über die reichlich desorganisierte Personalverwaltung des Kommandos Süd im Norden der Stadt ihren Weg zu ihnen gefunden hatten. Zumeist sammelte das Kommando Süd all die Rekruten ein, die die texanischen Einheiten nicht wollten, und Ahn-Kha wusste, wie man aus Zitronen Limonade machte. Das Erste, was die Rekruten nach Valentines Dafürhalten lernen sollten, war, Grogs zu respektieren, ob sie Freund oder Feind waren.
Viel zu viele hatten in der Vergangenheit aufgrund von Fehleinschätzungen ihr Leben verloren.
Valentine bat Hank, ihm ein Tablett mit Essen vorzubereiten, sah, dass in Meadows' Büro inzwischen Licht brannte, und steckte den Kopf zur Tür hinein, um nachzuhaken, ob sein Vorgesetzter ihm etwas Neues über den Angriff erzählen konnte, der sie den Gerüchten zufolge erwartete.
»Bei den Vorposten herrscht Ruhe, Sir«, berichtete Valentine.
»Ich bin alles andere als ruhig«, kommentierte William Post. In seinem grau melierten Haar befanden sich weiße Streifen voller Borsäure. »Narcisse hat gestern Abend Chili gemacht.« Valentines alter Untergebener, ein ehemaliger Quisling von der Küstenmarine, der ihm geholfen hatte, die Thunderbolt quer durch die Karibik und zurück zu steuern, und einer der besten Offiziere war, die er kannte, widmete sich wieder dem Sortieren der Kommunikationsprotokolle. Valentines Gehör fing einen unterdrückten Rülpser auf.
»War hier irgendwas los?« Abgesehen von dem üblichen morgendlichen Gasangriff.
Meadows sah aus wie ein Mann, den man gerade aus den zwanzig Minuten Schlaf gerissen hatte, die ihm in der ganzen Nacht zuteilgeworden waren. Er knöpfte sein Hemd zu, und die Hand mit den fehlenden Fingern huschte wie ein emsiges Insekt über die Knopfreihe. »Nicht mal das übliche Störfeuer. Haben wohl endlich keine Munition mehr. Riesenflügler waren heute Nacht unterwegs.«
Riesenflügler waren die großen, an Wasserspeier erinnernden Flugwesen, die die Kur in den höheren Gebäuden von Dallas hielten. Klüger und seltener als die Harpyien, die Valentine erlebt hatte, neigten sie dazu, sich bei Dunkelheit hoch am Himmel zu bewegen, außerhalb der Reichweite von Gewehren. Vor ein paar Wochen hatte Valentine ein totes Exemplar zu sehen bekommen, das nur durch Zufall erlegt worden war; es hatte ein Fernglas bei sich und eine Luftaufnahme, auf der mit Fettstift die aktuellen Positionen der Belagerer verzeichnet waren.
»Ich habe Kompanie A zurückbeordert«, berichtete Post. »Die Panzerfahrzeuge sind immer noch einsatzbereit, und Kompanie C ist alarmiert. Nur für alle Fälle.«
»Danke, Will«, sagte Valentine. »Colonel, ich glaube immer noch, dass die eine Überraschung für uns vorbereiten. Ich schlage vor, dass wir unsere Linien vollständig bemannt halten.« Valentine bedauerte seine Worte, noch ehe seine Zunge zur Ruhe gekommen war. Meadows war selbst klug genug, dass man ihm keine Selbstverständlichkeiten unter die Nase reiben musste.
»Unsere Quellen könnten falschliegen. Wieder mal«, sagte Meadows und musterte den Eingangskorb neben der Tür. In dem Korb stapelten sich Mitteilungen, die während der Nacht eingegangen waren, die jedoch nicht wichtig genug waren, den Kommandierenden Offizier zu wecken. Die Annahme, dass ein Angriff bevorstand, beruhte auf Valentines Informationen, die entweder bei Befragungen von Deserteuren ans Licht gekommen waren oder auf dem vagen Gerede der Operationszentrale Dallas basierten, demzufolge die Stadt vor Betriebsamkeit brummte.
»Sir, Smoke ist zurückgekommen, während ich unterwegs war«, sagte Valentine. »Ich werde mich beim Frühstück mit ihr besprechen.«
Post zwinkerte Valentine schelmisch zu, während Meadows seine Mitteilungen las. Der Umstand, dass Duvalier Valentines Bett in Besitz zu nehmen pflegte, wann immer sie bei den Razorbacks war, hatte zu einigen Witzeleien über Valentines »Operationszentrale« geführt, und Valentine nahm an, dass die besten Kommentare geradewegs Posts spöttischer Kehle entstammten.
»Wie halten sich die Männer am Boulevard?«, fragte Meadows.
Der »Boulevard« war eine breite, in Ost-West-Richtung verlaufende Straße, die die vorderste Front der Stellungen der Razorbacks kennzeichnete. Scharfschützen und Maschinengewehrnester bekämpften einander über fünf Spuren der ehemaligen texanischen Nationalstraße aus der Deckung von zerschossenen Ladenfronten.
»Die fühlen sich da an der Front nicht sehr wohl, Sir«, berichtete Post. Post hatte feine Antennen, wenn es um die Stimmung im Regiment ging. Wichtiger noch, er interessierte sich dafür, und, was noch besser war, er kümmerte sich um die Sorgen der Männer. Unter den Nachschuboffizieren des Hinterlands galt Post als ewiges Schreckgespenst, wenn es um das Wohlergehen seiner Männer ging. »Sie waren nur drei Tage auf dem Flugplatz.« In Erwartung eines möglichen Angriffs hatte man vergleichsweise frische Kompanien an die Front beordert.
»Wenn bis morgen früh nichts passiert, lösen wir sie ab.«
»Wird gemacht, Sir«, antwortete Post.
»Ich werde jetzt nach Smoke sehen, Colonel, falls Sie nichts dagegen haben«, sagte Valentine.
»Richten Sie ihr meinen Dank aus, Major. Schnappen Sie sich was zu essen, und hauen Sie sich hin.« Meadows neigte dazu, seine Anweisungen kurz und prägnant zu halten. Und manchmal waren sie auch recht angenehm. Meadows nahm die Protokolle aus seinem Korb, warf einen kurzen Blick darauf und reichte sie Valentine.
Valentine las sie auf dem Rückweg in die Kombüse - die Küche, korrigierte er sich in Gedanken. Bisweilen schlich sich noch immer die Seemannssprache in seinen Kopf, ein Überbleibsel aus dem Jahr, in dem er sich in der Uniform des Feindes bei der Küstenmarine verdingt und schließlich auf der Thunderbolt gelebt hatte, nachdem er sie den Kur abgenommen hatte.
01:30 Trinkwasserleitung zu vorgeschobenen Stellungen instandgesetzt. 02:28 VB3 VB11 Gelegentliches Artilleriefeuer von der anderen Seite der Stadt sicht- und hörbar. 03:55 VB3 Sperrfeuer beendet. 04:10 VB12 meldet: Ein Zug wurde aus nördlicher Richtung im Bereich der Stadt gehört. VB bezeichnete die mit Feldtelefonen ausgerüsteten vorgeschobenen Beobachtungsposten. Auch Valentine hatte den Artillerieeinsatz auf der anderen Seite der Stadt gehört und gesehen. Das Feuer war zwischen den hohen Gebäuden aufgeflackert, die unter dem nächtlichen Himmel an Grabmale einer toten Stadt erinnert hatten.
Die einzig misstrauenerweckende Nachricht war die von dem Zug. Die Schienen, die nach Dallas führten, waren bereits zu Beginn der Belagerung unterbrochen, aufgerissen, zerbombt, untergepflügt oder anderweitig blockiert worden. Einen Zug in Gang zu setzen, ergab wenig Sinn - es sei denn, die Kur verlagerten lediglich Truppen innerhalb der Stadt.
Valentine nahm das mit Speisen beladene Tablett und verpflichtete Hank als Kaffeeträger. Dann kehrte er in sein Quartier zurück. Duvalier zuckte zusammen, als er eintrat, doch dann entspannte sie sich wieder und schlug die Augen auf.
»Essen«, sagte sie.
»Und Kaffee«, entgegnete Valentine, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie einen gesitteten Eindruck machte. Hank, immerhin ein Teenager, hatte an der Stelle gewartet, an der er den besten Ausblick auf den Raum und das Bett hatte.
»Was gibt es Neues in D?«, fragte Valentine und stellte das Tablett vorübergehend auf dem Bett ab, ehe er seinen provisorischen Schreibtisch hochklappte, so dass sie einen Essplatz hatten.
»Keine Anzeichen für einen Ausfall. Ich habe zwei zusätzliche Schützenmannschaften gesehen und Feldpolizei in ihrer Station, aber es wurden keine weiteren Truppen aufgestellt.«
Hank hängte Duvaliers Sachen zum Trocknen auf. Valentine sah, wie der Junge ein Gähnen unterdrücken musste.
»Die Quislinge?«
»Die meisten Einheiten sind schon vor über einem Monat auf halbe Rationen gesetzt worden. Interne Sicherheit und Feldpolizei natürlich ausgenommen. Und ein paar der höheren Offiziere; die sind so fett wie eh und je. Ich habe ein paar der Männer reden gehört. Niemand traut sich noch, sich krankzumelden. Den Gerüchten zufolge gehen den Kur langsam die Auren aus, und auf der Krankenliste halten sie als Erstes nach Nachschub Ausschau.«
Copyright © 2010 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von E. E. Knight
E. E. Knight studierte Geschichte und Politikwissenschaften an der Northern Illinois University, bevor er sich ganz dem Schreiben von Science-Fiction- und Fantasy-Romanen zuwandte. Seine Serie Vampire Earth war in den USA und in Großbritannien ein großer Erfolg. Der Autor lebt und arbeitet in Chicago.
Bibliographische Angaben
- Autor: E. E. Knight
- 2010, 479 Seiten, Maße: 11,8 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Frauke Meier
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453526899
- ISBN-13: 9783453526891
Kommentar zu "Verräterblut / Vampire Earth Bd.5"
0 Gebrauchte Artikel zu „Verräterblut / Vampire Earth Bd.5“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Verräterblut / Vampire Earth Bd.5".
Kommentar verfassen