Venedig kann sehr kalt sein
Ray Garetts junge Frau hat sich umgebracht. Nun verfolgt ihn sein Schwiegervater hasserfüllt, weil er glaubt, Garett trage die Schuld am Tod des einzigen, geliebten Kindes. In Rom wird Garett bei einem Mordanschlag nur leicht verletzt. Statt sich jedoch...
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Ray Garetts junge Frau hat sich umgebracht. Nun verfolgt ihn sein Schwiegervater hasserfüllt, weil er glaubt, Garett trage die Schuld am Tod des einzigen, geliebten Kindes. In Rom wird Garett bei einem Mordanschlag nur leicht verletzt. Statt sich jedoch vom Schwiegervater fernzuhalten, reist Garett ihm nach Venedig nach, um ihn von seiner Unschuld zu überzeugen. Vergeblich.
Venedig kann sehrkalt sein von PatriciaHighsmith
LESEPROBE
1
Coleman sagte: »Siewar mein einziges Kind. Aber nicht Ihre einzige Frau. Nur Ihre letzte.«
Ray schwieg. Was füreine Antwort erwartete Coleman darauf? Dachten denn andere schon zehn Tage nachdem Tod ihrer Frau daran, wieder zu heiraten? Brachten sie überhaupt die Kraftauf, bei solch einer Bemerkung wütend zu werden? Ray ging mit gesenktem Kopf,die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Er zitterte. Die schneidendeKälte des kommenden Winters lag in der römischen Nachtluft. Die Straße, durchdie sie gingen, war dunkel. Ray hob den Kopf, suchte ein Straßenschild, fandaber keines. »Sie wissen den Weg?» fragte er Coleman.
»Da unten sind sicherTaxis», sagte Coleman und wies mit dem Kopf nach vorne.
Der Gehweg führteabwärts. Ihre Schritte klangen heller, denn die Schuhe rutschten ein bißchen: schrapp, schrapp, schrapp, schrapp. Für einen Schritt von Ray brauchte der andere fast zwei.Der Mann war klein, sein Gang schnell, abgehackt und wiegend zugleich. Ab undzu wehte der Qualm von Colemans Zigarre, die er zwischen den Vorderzähnenhielt, schwarz und bitter herüber und stieg Ray in die Nase. Coleman hatte zueinem Restaurant gewollt, für das es sich nicht lohnte, Rom zu durchqueren,fand Ray. Er war mit Coleman um acht im Caffe Greco verabredet gewesen. Colemanhatte gesagt, er müsse in dem Restaurant einen Mann treffen (wie war noch seinName?), doch der war nicht gekommen. Und sobald sie dort waren, hatte Colemanihn kein einziges Mal erwähnt - Ray fragte sich inzwischen, ob es den Mannüberhaupt gab. Coleman war eigenartig. Vielleicht hatte er in diesem Restaurantein paarmal mit Peggy gegessen, mittags oder abends, und mochte es wegen derErinnerungen. Im Restaurant hatte er vor allem von Peggy gesprochen, nicht sozornig wie auf Mallorca; heute abend hatte er sogar ab und zu leise gelacht.Aber sein Groll, seine Fra ge standen ihm immer noch ins Gesicht geschrieben.Und Rays Versuch, mit ihm zu reden, hatte zu nichts geführt. Für Rar war dasnur ein weiterer Abend, den er über sich ergehen ließ, ein Abend wie vieleandere auf Mallorca, seit Peggys Tod vor zehn Tagen: farblos, gedämpft, wie vonder Welt getrennt - Abende mit Speisen, die gegessen wurden, ganz oder zurHälfte, nur weil sie auf den Tisch kamen.
»Sie fliegen weiternach New York«, sagte Coleman. »Zuerst nach Paris.«
»Geschäftlich?«
»Sozusagen. Doch dasläßt sich alles in zwei Tagen erledigen.« Ray wollte in Rom einige Malertreffen und sehen, ob sie Interesse hatten, sich von seiner Galerie in New Yorkvertreten zu lassen. Die Galerie gab es noch gar nicht. Heute hatte er keineTelefongespräche geführt, obwohl er seit Mittag in Rom war. Er seufzte, weil erwußte, daß er nicht den Mut hatte, die Maler zu treffen und zu überzeugen, dieGalerie Garrett werde ein Erfolg werden.
Viale Pola, las Rayauf einem Straßenschild.
Vor ihm lag einbreiterer Boulevard: Das dürfte die Nomentana sein.
Undeutlich nahm erwahr, wie Coleman etwas aus seiner Manteltasche zog. Dann drehte der Mann sichplötzlich ihm zu, ein Schuß fiel, explodierte zwischen ihnen, schleuderte Rayrückwärts gegen eine Hecke und dröhnte ihm so laut in den Ohren, daß er einigeSekunden lang Colemans davoneilende Schritte auf dem Pflaster nicht hören konnte.Jetzt war Coleman schon außer Sicht, und Ray wußte nicht, oh eine Kugel ihnzurückgeschleudert hatte oder ob er vor Überraschung hintenübergefallen war.
»Che c'è?« schrie ein Mann auseinem Fenster.
Ray rang keuchendnach Luft - er hatte den Atem angehalten -, mühte sich dann, aus der Heckeherauszukommen und aufzustehen. »Nieste«, riefer automatisch zurück. Wenn er tief einatmete, tat nichts weh. Er war alsonicht getroffen, sagte er sich und ging langsam weiter in die Richtung, dieColeman und er vorher eingeschlagen hatten.
»Das ist der Mann!«
»Was ist passiert?«
Die Stimmen wurdenleiser, als Ray die Nomentana erreichte.Sofort kam ein Taxi von links. Er winkte es heran.
»AlbergoMediterraneo.« Er sank zurück in den Sitz, spürte ein Stechen, ein Brennen imlinken Oberarm. Er hob den Arm: Die Kugel hatte den Knochen sicherlich nichtdurchschlagen. Er tastete den Mantelärmel ab und blieb mit einem Finger in demLoch im Ärmel hängen. Nach weiterem Suchen fand er das Austrittsloch auf deranderen Seite des Ärmels. Und nun spürte er die warme Nässe in seiner Armbeuge,wo sich das Blut sammelte.
Das Mediterraneo warein modernes Hotel, dessen Stil Ray nicht gefiel, doch seine Lieblingshotelswaren alle ausgebucht gewesen. Er holte sich seinen Schlüssel und fuhr mit demPagen hinauf, die Linke in der Manteltasche, damit kein Blut auf denTeppichboden tropfte. Die Tür seines Zimmers hinter sich zu schließen gab ihmein Gefühl der Sicherheit; dennoch mußte Ray in allen Ecken nachsehen, nachdemer Licht gemacht hatte, als rechne er damit, Coleman in einer zu entdecken.
Er ging insBadezimmer, fuhr aus seinem Mantel und warf ihn auf das Bett im Schlafzimmer,zog dann sein Jackett aus und sah Blutspritzer und einen blutigen Streifen, dersich den blauweiß gestreiften Hemdsärmel hinabzog. Weg mit dem Hemd.
Die Wunde war einekleine Kerbe, etwa einen Zentimeter lang, ein klassischer Streifschuß. Ernäßte einen sauberen Waschlappen und wusch die Wunde aus, holte ein Pflasteraus einem Seitenfach des Koffers und erinnerte sich, daß nur noch dieses breitePflaster in der Blechbüchse übrig gewesen war, als er das Arzneischränkchen aufMallorca ausgeräumt hatte. Dann nahm er die Zähne zu Hilfe und band sich einTaschentuch fest um den Arm. Das Hemd weichte er in kaltem Wasser ein.
Fünf Minuten später,im Pyjama, rief Ray die Bar an und bestellte einen doppelten Dewar's. DemZimmerjungen gab er ein gutes Trinkgeld. Dann löschte er das Licht und trat mitdem Drink ans Fenster. Sein Zimmer lag ziemlich weit oben. Rom wirkte weit undflach, bis auf die ferne, massige Kuppel des Petersdoms und die Säule derTrinitä dei Monti über der Spanischen Treppe. So wie er rückwärts in die Heckegefallen war, dachte Ray, könnte Coleman annehmen, er sei tot. Er lächeltedünn, runzelte aber die Stirn: Wo hatte sich Coleman die Pistole beschafft?Und wann?
Der Mann flog morgenmit einer Mittagsmaschine nach Venedig. Mit Inez und Antonio, hatte Coleman amAbend gesagt - er brauche Tapetenwechsel, wolle etwas Schönes sehenund eine bessere Stadt als Venedig sei ihm nicht eingefallen. Würde Colemanmorgen früh anrufen, um zu erfahren, oh er in sein Hotel zurückgekehrt war? Undwenn man im Hotel sagte: »Ja, Mr. Garrett ist im Hause« - würde der andereaufhängen? Außerdem: Wenn Coleman glaubte, ihn getötet zu haben, was würde erdann Inez sagen? »Ray und ich haben uns in der Nähe der Nomentana getrennt undverschiedene Taxis genommen. Keine Ahnung, wer das getan haben könnte.« Oderhatte Coleman vorher das Abendessen mit ihm gar nicht erwähnt, sondern gesagt,er werde mit jemand anderem essen? Und hatte er die Pistole sofort, heuteabend noch, von einer Brücke in den Tiber geworfen?
Ray nahm einen größeren Schluck Whisky. Coleman würde nichthier im Hotel anrufen, ihm wäre das schlichtweg egal. Und sollte man ihn daraufansprechen, würde er lügen, und zwar gut.
Außerdem würde der Mann selbstverständlich herausfinden,daß er noch am Leben war, einfach weil in den Zeitungen nichts von seinem Tod odereiner schweren Verletzung stehen würde. Und sollte er dann schon in Paris oderNew York sein, dann sähe das für Coleman so aus, als sei er geflüchtet, weggelaufenwie ein Feigling, bevor alles erklärt, etikettiert und analysiert werdenkonnte. Ray wußte, daß er nach Venedig fliegen mußte. Er wußte auch, daßweitere Gespräche folgen würden.
Der Drink half; Ray entspannte sich auf einmal und wurdemüde. Er starrte zu seinem großen, offenen Koffer auf der Ablage hinüber. AufMallorca hatte er klug gepackt, weder die Manschettenknöpfe vergessen noch denZeichenblock, seinen Tintenfüller und die Adreßbücher. Seine restlichenSachen, zwei Kisten und mehrere große Kartons, hatte er nach Paris geschickt.Warum Paris und nicht New York, wußte er selber nicht, denn in Paris würde ersie doch nur nach New York weitersenden müssen. Praktisch war die Regelungnicht, aber angesichts der verwirrenden Umstände, unter denen er auf Mallorcagepackt hatte, fand er es erstaunlich, daß er alles so gut geschafft hatte.Coleman war am Tag vor der Beerdigung von Rom herübergeflogen und hinterhernoch drei Tage geblieben, und in dieser Zeit hatte Ray Peggys und seine Sachengepackt, Rechnungen mit örtlichen Lieferanten beglichen, Briefe geschrieben,telefonisch den Vertrag mit seinem Vermieter
Dekkard gekündigt, der in Madrid wohnte. Und die ganze Zeitwar Coleman durch das Haus geschlichen, wie betäubt, eher schweigsam, doch Rayhatte gesehen, wie sein schmaler Mund sich zu einem kurzen geraden Strichverdünnte, während sein Zorn auf Ray allmählich wuchs und sich verhärtete. Raywußte noch, wie er einmal ins Wohnzimmer gekommen war, weil er Coleman etwasfragen wollte (Coleman hätte das Gästezimmer haben können, schlief aber lieberauf der Couch), und den anderen dort angetroffen hatte, einen Lampenständer ausTerracotta in den Händen, der wie ein großer Flaschenkürbis geformt war - undwie er einen Moment gedacht hatte, der Mann würde damit nach ihm werfen. AberColeman hatte ihn wieder hingestellt. Ray hatte ihn gefragt, oh er mit insvierzig Kilometer entfernte Palma fahren wolle - er mußte in die Stadt, umsich um den Versand seiner Sachen zu kümmern. Coleman hatte abgelehnt. Tagsdarauf war er von Palma nach Rom zurückgeflogen, zu Inez, seiner gegenwärtigenGeliebten. Ray kannte sie noch nicht. Sie hatte Coleman zweimal auf Mallorcaangerufen. Man hatte ihn auf das Postamt geholt, um die Anrufeentgegenzunehmen, denn im Haus gab es kein Telefon. Frauen hatte Colemanimmer, obwohl Ray nicht verstand, was sie an ihm fanden.
Vorsichtig schlüpfte er ins Bett; er wollte vermeiden, daßsein Arm noch mehr blutete. Ärgerlich, daß Inez und Antonio, der Italiener,Coleman begleiten würden. Ray hatte Antonio noch nie getroffen, aber den Typkonnte er sich vorstellen: schwach, gutaussehend und jung, gut gekleidet, ohneGeld; jetzt nur noch ein Anhang, doch wahrscheinlich Inez' früherer Liebhaber.Inez dürfte in den Vierzigern sein, Witwe vielleicht, wohlhabend, womöglichselber Malerin, allerdings eine schlechte. Könnte er in Venedig Coleman nurnoch einmal allein treffen, dann könnte er vielleicht alles in einfachen Wortenerklären: die schlichte Tatsache, daß er nicht wußte, warum Peggy sichumgebracht harte, daß er es wirklich nicht erklären konnte. Sollte er Colemandazu bringen, das zu glauben (und nicht, daß sein Schwiegersohn ihm eineentscheidende Tatsache oder ein Geheimnis vorenthielt), dann - ja, was dann?Ray wollte sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Er schlief ein.
Am nächsten Morgen buchte er einen Abendflug nach Venedig,reservierte telegrafisch ein Zimmer in der Pensione Seguso am Zattere-Kai underledigte vier Anrufe bei Malern und sagt - er brauche Tapetenwechsel, wolleetwas Schönes sehen und eine bessere Stadt als Venedig sei ihm nicht eingefallen.Würde Coleman morgen früh anrufen, um zu erfahren, oh er in sein Hotelzurückgekehrt war? Und wenn man im Hotel sagte: »Ja, Mr. Garrett ist im Hause«- würde der andere aufhängen? Außerdem: Wenn Coleman glaubte, ihn getötet zuhaben, was würde er dann Inez sagen? »Ray und ich haben uns in der Nähe derNomentana getrennt und verschiedene Taxis genommen. Keine Ahnung, wer dasgetan haben könnte.« Oder hatte Coleman vorher das Abendessen mit ihm garnicht erwähnt, sondern gesagt, er werde mit jemand anderem essen? Und hatte erdie Pistole sofort, heute abend noch, von einer Brücke in den Tiber geworfen?
Ray nahm einen größeren Schluck Whisky. Coleman würde nichthier im Hotel anrufen, ihm wäre das schlichtweg egal. Und sollte man ihn daraufansprechen, würde er lügen, und zwar gut.
Außerdem würde der Mann selbstverständlich herausfinden,daß er noch am Leben war, einfach weil in den Zeitungen nichts von seinem Tododer einer schweren Verletzung stehen würde. Und sollte er dann schon in Parisoder New York sein, dann sähe das für Coleman so aus, als sei er geflüchtet,weggelaufen wie ein Feigling, bevor alles erklärt, etikettiert und analysiertwerden konnte. Ray wußte, daß er nach Venedig fliegen mußte. Er wußte auch, daßweitere Gespräche folgen würden.
Der Drink half; Ray entspannte sich auf einmal und wurdemüde. Er starrte zu seinem großen, offenen Koffer auf der Ablage hinüber. AufMallorca hatte er klug gepackt, weder die Manschettenknöpfe vergessen noch denZeichenblock, seinen Tintenfüller und die Adreßbücher. Seine restlichenSachen, zwei Kisten und mehrere große Kartons, hatte er nach Paris geschickt.Warum Paris und nicht New York, wußte er selber nicht, denn in Paris würde ersie doch nur nach New York weitersenden müssen. Praktisch war die Regelungnicht, aber angesichts der verwirrenden Umstände, unter denen er auf Mallorcagepackt hatte, fand er es erstaunlich, daß er alles so gut geschafft hatte.Coleman war am Tag vor der Beerdigung von Rom herübergeflogen und hinterhernoch drei Tage geblieben, und in dieser Zeit hatte Ray Peggys und seine Sachengepackt, Rechnungen mit örtlichen Lieferanten beglichen, Briefe geschrieben,telefonisch den Vertrag mit seinem Vermieter
Dekkard gekündigt, der in Madrid wohnte. Und die ganze Zeit warColeman durch das Haus geschlichen, wie betäubt, eher schweigsam, doch Rayhatte gesehen, wie sein schmaler Mund sich zu einem kurzen geraden Strichverdünnte, während sein Zorn auf Ray allmählich wuchs und sich verhärtete. Raywußte noch, wie er einmal ins Wohnzimmer gekommen war, weil er Coleman etwasfragen wollte (Coleman hätte das Gästezimmer haben können, schlief aber lieberauf der Couch), und den anderen dort angetroffen hatte, einen Lampenständer ausTerracotta in den Händen, der wie ein großer Flaschenkürbis geformt war - undwie er einen Moment gedacht hatte, der Mann würde damit nach ihm werfen. AberColeman hatte ihn wieder hingestellt. Ray hatte ihn gefragt, oh er mit insvierzig Kilometer entfernte Palma fahren wolle - er mußte in die Stadt, umsich um den Versand seiner Sachen zu kümmern. Coleman hatte abgelehnt. Tagsdarauf war er von Palma nach Rom zurückgeflogen, zu Inez, seiner gegenwärtigenGeliebten. Ray kannte sie noch nicht. Sie hatte Coleman zweimal auf Mallorcaangerufen. Man hatte ihn auf das Postamt geholt, um die Anrufeentgegenzunehmen, denn im Haus gab es kein Telefon. Frauen hatte Colemanimmer, obwohl Ray nicht verstand, was sie an ihm fanden.
Vorsichtig schlüpfte er ins Bett; er wollte vermeiden, daßsein Arm noch mehr blutete. Ärgerlich, daß Inez und Antonio, der Italiener,Coleman begleiten würden. Ray hatte Antonio noch nie getroffen, aber den Typkonnte er sich vorstellen: schwach, gutaussehend und jung, gut gekleidet, ohneGeld; jetzt nur noch ein Anhang, doch wahrscheinlich Inez' früherer Liebhaber.Inez dürfte in den Vierzigern sein, Witwe vielleicht, wohlhabend, womöglichselber Malerin, allerdings eine schlechte. Könnte er in Venedig Coleman nurnoch einmal allein treffen, dann könnte er vielleicht alles in einfachen Wortenerklären: die schlichte Tatsache, daß er nicht wußte, warum Peggy sichumgebracht harte, daß er es wirklich nicht erklären konnte. Sollte er Colemandazu bringen, das zu glauben (und nicht, daß sein Schwiegersohn ihm eineentscheidende Tatsache oder ein Geheimnis vorenthielt), dann - ja, was dann?Ray wollte sich darüber nicht den Kopf zerbrechen. Er schlief ein.
Am nächsten Morgen buchte er einen Abendflug nach Venedig,reservierte telegrafisch ein Zimmer in der Pensione Seguso am Zattere-Kai underledigte vier Anrufe bei Malern und Kunstgalerienin Rom, die ihm zwei Termine eintrugen. Bei diesen wiederum konnte er sicheinen Maler für die zukünftige Galerie Garrett sichern, einen gewissenGuglielmo Guardini, der phantastische Landschaften malte, in allenEinzelheiten und mit feinen Pinselstrichen. Nur eine mündliche Übereinkunft,nichts Schriftliches; dennoch munterte es Ray auf. Vielleicht würden Bruce under in New York nun doch nicht die Galerie der Schlechten Kunst eröffnen müssen.Das war Rays Idee gewesen, die letzte Rettung sozusagen: Sollten sie keineguten Maler finden können, dann eben die schlechtesten, und die Leute würdenkommen, lachen, bleiben und kaufen, um etwas anderes zu haben als andere, dienur »die Besten sammelten. »Wir brauchen bloß herumzusitzen und zu warten»,hatte Bruce gesagt, »nur die Schlechtesten nehmen und nicht erklären, was wirda tun. Galerie der Schlechten Kunst müssen wir sie ja nicht nennen. Sagen wirGalerie Zero. Die Öffentlichkeit wird schon bald dahinterkommen.« Sie hattengelacht, als sie auf Mallorca darüber redeten: Bruce hatte den letzten Sommerdort verbracht. Und vielleicht war die Idee gar nicht so abwegig; dennoch warRay an jenem Abend in Rom froh, mit dem Maler Guardini festeren Boden unter denFüßen zu haben.
Als er nach dem einsamenAbendessen seinen Koffer aus dem Hotel holte, hatte niemand für ihn angerufen.
© SueddeutscheZeitung Kriminalbibliothek 2006 /Diogenes Verlag AG, Zürich
Übersetzung: MatthiasJendis
- Autor: Patricia Highsmith
- 2006, 231 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Jendis, Matthias
- Verlag: Süddeutsche Zeitung / Bibliothek
- ISBN-10: 3866152272
- ISBN-13: 9783866152274
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