Verflixte Erbschaft
Roman. Deutsche Erstausgabe
Die glückliche Evie Crump hat das, wovon viele nur träumen: Jugend, Schönheit und eine feste Rolle in England erfolgreichster TV-Serie! Und nun erbt sie auch noch ein großes Mietshaus in bester Lage. Doch leider wird dieses Haus von sehr eigensinnigen...
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Verflixte Erbschaft “
Klappentext zu „Verflixte Erbschaft “
Die glückliche Evie Crump hat das, wovon viele nur träumen: Jugend, Schönheit und eine feste Rolle in England erfolgreichster TV-Serie! Und nun erbt sie auch noch ein großes Mietshaus in bester Lage. Doch leider wird dieses Haus von sehr eigensinnigen Mietern bewohnt, die direkt aus der Hölle zu kommen scheinen. Bleibt zu hoffen, dass Evie in diesem Kuddelmuddel nicht den hinreißenden Regieassistenten Aden übersieht - denn das wäre dann echtes Pech ...
Lese-Probe zu „Verflixte Erbschaft “
Evie Crump war es leid, auf ihren komischen Namen angesprochen zu werden. Bankangestellte taten das. Am Telefon passierte es. Die Frau in der Reinigung sagte es schon seit Jahren. Selbst ihr Vater gehörte dazu, und der hatte ihn ihr schließlich verpasst.Und erst heute Morgen hatte Evies mit dem prachtvoll klingenden Namen Meredith de Winter ausgestattete Schauspielagentin darauf herumgeritten. Mit ihrer ein halbes Jahrhundert in Gin getränkten und in Silk Cut geräucherten Stimme hatte sie lamentiert: "Wie soll ich denn Arbeit für eine Schauspielerin mit dem Namen Evie Crump finden? Was sehen Sie denn, wenn Sie in den Spiegel schauen, Schätzchen? Da sehen Sie doch ein Mädchen Mitte zwanzig mit großen blauen Augen und bedauerlich zerzaustem Haar, aber doch keine EVIE CRUMP!"
Als Evie daraufhin in den gesprungenen Spiegel der Garderobe blinzelte, schielte ihr daraus jedoch ein räudiger Dachs im Kunstfell entgegen, dessen linkes Auge an einem Faden hing und dessen Pfoten schwach nach Curry rochen. Mein Gott, wie sie dieses Kostüm hasste. Die Frage, ob ihr Hintern darin unvorteilhaft aussah, erübrigte sich jedenfalls.
Ein nicht weniger mottenzerfressenes Eichhörnchen schlurfte aufgeregt herein und meinte ziemlich wütend: "Mmpffu bllllmpf."
"Rück doch bitte dein Mundstück zurecht, Simeon", herrschte Evie es an und schob gelangweilt ihr Auge an Ort und Stelle.
"Entschuldige." Das Eichhörnchen hörte sich gar nicht nach Entschuldigung an. Die schmuddelige Maske zeigte zwar ein schnurrig tollpatschiges Lächeln, aber der großspurig auftretende, vermutlich alkoholisierte Bühneneleve, der darin steckte, war wütend. Wie üblich. "Ich sagte, du hast dein Stichwort für das Lied verpasst, und wenn das noch mal passiert, dann fliegst du RAUS!"
"O nein!" Evie griff sich entsetzt mit ihren Pfoten an ihren Fellkopf. "Sag das nicht! Jag mich nicht allein hinaus in den Wald! Wie soll ich denn ohne dich und all die anderen neurotischen armen Kuscheltiere
... mehr
klarkommen?"
Gutmütiges Geplänkel ist hinter der Bühne nichts Ungewöhnliches. Aber das hier war kein gutmütiges Geplänkel. Mehr als einmal waren die liebenswerten Tierchen von der Bühne gekommen und hatten versucht, hinter den Kulissen übereinander herzufallen.
"Ich hab immer gesagt, dass du eine Fehlbesetzung bist", schrie das Eichhörnchen, vertiefte sich in einen Rucksack und tauchte mit einer Flasche Jack Daniel's wieder auf.
"Du schüttest dir den Whisky doch nur wieder über dein gepolstertes Bäuchlein", erwiderte Evie gelassen. Ihre größte und vermutlich einzige Freude bestand darin, gemein zu Simeon sein.
"Klapp dein Gesicht zu", konterte Simeon darauf gewitzt und trank geräuschvoll einen Schluck aus der Flasche. "Hast du Dachse studiert, wie ich es dir geraten habe? ... Nun, hast du?"
Evie kratzte sich ihren gewaltigen Krauskopf mit einer Plastikpfote. "Hm. Na ja, ich hab mich bei den Soaps schlau gemacht: Big Dachs, Dachsidence. Zählt das auch?"
Wütend warf Simeon seine Pappmachénüsse zu Boden. "Warum nimmst du das nicht ernst?"
"Vielleicht, weil der Text scheiße ist, die Kostüme scheiße sind und das Bühnenbild scheiße ist." Evie verkniff es sich, hinzuzufügen, dass auch Simeon scheiße war. Aber er war es, absolut scheiße. Dagegen sah der größte Dilettant noch wie Laurence Olivier aus.
Das große Eichhörnchen bebte vor Zorn. Also wirklich, dachte Evie, das war zu einfach. Jetzt kam er sicherlich gleich mit seinem Standardsatz, dass Zynismus im Theater nichts verloren habe.
"Zynismus hat im Theater nichts verloren", kreischte er, diesmal genau aufs Stichwort.
"Wir sind aber nicht im Theater", erwiderte Evie gelangweilt. "Wir sind in einem Gemeindehaus am Arsch der Welt und führen ein anti-sexistisches, anti-rassistisches, sich über alle Alters- und Klassenunterschiede und leider auch über jeden Spaß hinwegsetzendes Stück vor einem Publikum gelangweilter Fünfjähriger auf, die dem Ausdruck ihrer Gesichter nach zu urteilen lieber Spritzen gegen Tollwut bekämen." Sie hielt inne. "Dein Schwanz ist wieder abgefallen."
"O verdammt, verdammt, verdammt!", jammerte Simeon, wirbelte herum und warf seine Flasche gerade in dem Augenblick in die rostige Spüle, als die Schulleiterin des Publikums ihren Kopf durch die Tür steckte.
Anfangs erstaunt, gewann sie rasch ihre Fassung wieder und erkundigte sich zögernd: "Könnten Sie vielleicht wieder auf die Bühne zurückkommen? Ihr Freund, der Maulwurf, ist mitten in seinem fröhlichen Tanz ausgerutscht, und sein Kopf steckt in einem Sperrholzbaum. Überall ist Blut, und ich möchte wirklich nicht, dass die Kinder sich diese Ausdrücke anhören müssen."
Eines Tages ließe sich dies alles bestimmt als großartige Geschichte bei einem Glas Wein zum Besten geben, überlegte Evie, doch noch war es nicht soweit. Jeder, der einen Blick in die Unfallstation geworfen und dort ein Rieseneichhörnchen und einen Riesendachs dabei beobachtet hätte, wie sie einen Riesenmaulwurf abstützten, der stark blutend murmelte: "Und dafür habe ich Crimewatch abgelehnt", würde lachen. Sie aber nicht. Nicht jetzt.
"Können wir ihm nicht wenigstens den Kopf abnehmen?", flehte sie Simeon an, als sie sich ungelenk auf zwei dieser orangefarbenen Plastikstühle zubewegten, die schon vom Entwurf her auf Unbequemlichkeit angelegt waren.
"Und den Zauber zerstören? Bist du wahnsinnig?"
Evie seufzte und schloss die Augen. Simeon gab derartige Erklärungen ohne einen Funken Ironie ab. Evie war Schauspielerin geworden, weil sie gerne schauspielerte: So einfach war das. All das mürrische Geschwätz über Wahrheit und Schönheit ließ sie kalt. (Wenn sie ehrlich zu sich war - und das kam in günstigen Augenblicken gelegentlich vor -, gab sie zu, dass sie Schauspielerin geworden war, um berühmt zu werden. Aber das klang schal und billig, und so hielten ihre ehrlichen Momente sich in Grenzen. Doch jedem, der sie kannte, sprang es natürlich ins Gesicht.) Simeon war aus weitaus edleren Gründen Schauspieler geworden, aber unglücklicherweise war er in erster Linie Schauspieler und erst in zweiter Linie ein sympathischer Zeitgenosse.
Und offensichtlich erst in dritter ein Eichhörnchen.
"Die wollten mich für Crimewatch haben", wimmerte der aufgrund seiner Gehirnerschütterung ein wenig lallende Maulwurf. "Und ich habe abgelehnt. Ich bin ein Idiot, ein wahnsinniger, verrückter Idiot."
"Schsch." Evie strich ihm über den Latexkopf, als er zu ihr hinübersackte. Während sie den computergesteuerten Zeitmesser mit der Information, dass es nur noch drei Stunden und vierzehn Minuten abzuwarten galt, zu ignorieren versuchte, fiel ihr ein, wie Meredith ihr diesen Job beschrieben hatte: "Ein tolles Spektakel! Es wird Ihnen gefallen! All diese lächelnden kleinen Gesichter! Mitglied eines fröhlichen Tourneetheaters zu sein!" Die Wirklichkeit zwängte sich in einen mittelalterlichen Ford Transit, worin sich die unterschiedlichsten, von der Theaterwelt Ausgestoßenen mit Trinken, Sticheleien und einer ganz fürchterlichen Ernsthaftigkeit, ihre Fähigkeiten betreffend, bei Laune hielten oder weinten. In all der Zeit, die Evie nun schon in diesem Kleinbus verbrachte, hatte auch sie nichts davon ausgelassen, bis auf die fürchterliche Ernsthaftigkeit. Denn es war ihr völlig unverständlich, wie jemand mit einem funktionierenden Sinn für Humor angesichts dessen, was sie hilflosen Fünfjährigen im Großraum London vorsetzten, ernst bleiben konnte.
Außer natürlich Simeon. Es war ihr nicht entgangen, dass er pompös eine Ausgabe von König Lear aufgeschlagen hatte und darin las, so weit seine schartigen Augenöffnungen dies zuließen.
Das computergesteuerte Schild war recht optimistisch gewesen. Vier Stunden hatten sich im Schneckentempo dahingeschleppt, ehe sie den bandagierten Mimen zusammenpacken und hinten im Lieferwagen verstauen durften. Evie saß auf dem Vordersitz, als das Fahrzeug mit fast fünfzig Stundenkilometern Richtung London, dem Zuhause, einem Bad und flauschigen Handtüchern losfuhr. Die Requisiten, die sie nach vorn hatten bringen müssen, um Platz für den flach liegenden Maulwurf zu schaffen, verstellten ihr fast die Sicht. Und mit dem riesigen Busch in ihrem Arm fühlte sie sich sogar zu schlapp, Simeon mit geschmacklosen Zweideutigkeiten zu ärgern, obwohl die Situation geradezu danach schrie.
Während sie auf die regennasse Schnellstraße starrte, summten Zahlen in ihrem Kopf. Sobald sie nicht anderweitig beschäftigt war, endete sie in letzter Zeit jedes Mal bei Berechnungen. Und die Gleichung lautete in etwa Lohn minus Miete minus Rechnungen minus ein wenig Spaß zum Ausgleich ... Aber sie kriegte es nie so hin, dass irgendwas ausgeglichen wurde. Die Antwort war für gewöhnlich eine ganz widerliche Minussumme.
Wenn nicht bald eine Art von Durchbruch kommt, resümierte Evie zum tausendsten Mal ihr Elend, werde ich mich nach einem richtigen Job umsehen müssen. Schon die bloße Vorstellung trieb ihr den kalten Schweiß auf die Haut. Sie hatte richtige Jobs gehabt, und die hatten sie fast umgebracht. Und so empfand sie für die Pendler, die am Morgen die U-Bahn ansteuerten, die gleiche Bewunderung, mit der die Menschen in den Wochenschauen die Tommies auf ihrem Weg zur Front gefeiert hatten. In Wahrheit war Evie nämlich zu gar nichts Nützlichem fähig. Sie verfügte über die Konzentrationsspanne eines Kleinkindes, dem man Zählen beibringt, und reagierte auf Autoritäten wie ein Pitbull, den man mit einem spitzen Stock anstupst. Dazu kam noch, dass sie es mit der Schauspielerei schaffen musste, denn ansonsten würde ihre Familie in Reih und Glied antreten, um ihr "Das haben wir dir doch gleich gesagt" auf die Stirn zu stempeln. Nein, niemals würde sie ihrer Mutter die Genugtuung bereiten, sich hämisch über das so oft prophezeite Versagen freuen zu können.
Aber diese Beträge. Man konnte nicht ständig über sie hinwegsehen. Die Klamotten vom Vorjahr konnte sie mit geschickt geführter Nadel und Faden auf Vordermann bringen. Sie konnte sich sogar einreden, gerne Smash und Bratensoße zu mögen. Selbst mit einem kleineren Weinglas könnte sie sich anfreunden. Aber die Miete ...
"Soll ich dich zu deiner Tür begleiten?", erkundigte sich Simeon wie jeden Tag.
"Ja. So war es schließlich abgemacht", lautete Evies Antwort wie jeden Tag. Ein paar in den Busch gemurmelte, an Simeon gerichtete Bosheiten halfen ihr, den Rest der Fahrt zu überstehen, bis Simeon - wie üblich - unnötig scharf abbremste und knurrend meinte: "Da wären wir. Vor deinem eleganten Stadthaus."
Evie bedachte ihn mit einem langen, unnachgiebigen Blick. "Du bist schon ein elender Saftarsch, oder?", sagte sie und sprang auf den Bürgersteig.
Der Lieferwagen röhrte davon und ließ Evie vor ihrem eleganten Stadthaus zurück. All seine sechsundzwanzig Stockwerke schossen hoch in den sich verdunkelnden Himmel. Auf den eleganten Stufen lagen elegante Hundescheiße, Zigarettenkippen und Verpackungsmüll aus dem Schnellimbiss. In meinem Leben muss etwas ganz schön schief gegangen sein, wenn ich nicht mal genug Geld verdiene, um mir das hier leisten zu können, sinnierte Evie. Um im Lift den Knopf für ihr Stockwerk drücken zu können, musste sie sich erst einer ihrer Pfoten entledigen, und schon wurde sie mit einem altehrwürdigen Summen belohnt. Gegen den Uringestank hielt sie den Atem an, bis sie den achten Stock erreichte.
Als sie den ersten ihrer fünf Schlüssel in die Tür steckte (Sicherheit hatte Vorrang im Dickens Tower), gestattete sie sich einen ruchlosen kleinen Tagtraum: der Klang einer tiefen, warmen Männerstimme, die sie mit "Evie-Schatz! Bist du's? Ich habe dich so vermisst!" begrüßte.
Stattdessen warf sie trotz Dachskostüm die Knoblauchwolke in dem winzigen Flur fast um, und eine Männerstimme schrie: "Wo bist du gewesen, du nichtsnutzige Dächsin? Beweg deinen Hintern hier rein und mach die Weinflasche auf."
"Ach du liebe Zeit", rief Bing, ihr Mitbewohner aus, als sie in die Küche geschlichen kam. "Da brauch ich gar nicht erst zu fragen, wie dein Tag gewesen ist."
Evie ließ sich in einen wackeligen Stuhl fallen und nahm gierig das ihr gereichte Glas voll Rotwein. "Wenn ich dir aufzähle, Maulwurfunfall, Simeon, Nervenzusammenbruch, sofern ich nicht bald eine anständige Rolle bekomme, dann kannst du die Lücken selbst ausfüllen."
"Also die von Simeon zu füllen, würde mir nichts ausmachen. Er ist hinreißend." Bing war ein goldener, strahlender, sonnengebräunter, durchtrainierter eins neunzig großer Ausbund an Promiskuität. Er schaffte es, auf beneidenswerte Weise unverschämt homosexuell zu sein, ohne dabei, dank seines beeindruckenden Äußeren und seines maskulinen Auftretens, auch nur ein Jota an Männlichkeit zu verlieren. Der einzige mit Sex vergleichbare Zeitvertreib, den es für ihn gab, war die Betrachtung seines blonden Spiegelbilds, was ihm dank der Reflektion des in Augenhöhe angebrachten Grills sogar beim Umrühren der Sauce Bolognese gelang.
"Musst du denn nackt kochen?", erkundigte Evie sich nach ihrem ersten Schluck vin ordinaire.
"Ich hab gern Luft an meiner Haut. Aber keine Sorge, ich trage immer eine Schürze. Mein prächtiges Gerät kommt garantiert nicht in die Nähe deines Essens."
"Tu mir einen Gefallen, und verwende die Wörter 'Gerät' und 'Essen' nicht in einem Satz. Seine Lücke kannst du gar nicht füllen. Die von Simeon, meine ich. Er ist heterosexuell, wie ich dir schon gesagt habe. Und zwar auf eine Weise, die Heteros ganz schlecht aussehen lässt."
"Ein aufrechter Hetero. Den dreh ich schneller um als eine Drehtür." Gleichzeitig hauchte Bing sich einen Kuss über den Grill zu und warf eine Hand voll gehackten Oregano in die Pfanne. "War er wieder ekelhaft zu dir, mein Schatz? Wenn ich ihn gebumst habe, verdresche ich ihn für dich."
"Wie einfühlsam. Er hat abfällige Bemerkungen über dieses Haus hier gemacht."
"Saftsack", sagte Bing unheilvoll. "Das ist unser kleiner Palast. Er besitzt einfach nicht genug Seele, um das zu begreifen."
Evie betrachtete über den Rand ihres Glases lächelnd ihren Mitbewohner, dessen Pobacken sich im perfekten Rhythmus zum blechern aus dem Radio plärrenden Lied der Carpenters anspannten und lockerten. Evie liebte Bing. Er war loyal, lustig und dekorativ, durch und durch Schwuchtel, durch und durch Mann, aber auch ein Ärgernis mit seiner unerschütterlichen Homosexualität und seiner boshaften Zunge. Und er liebte Evie ebenso sehr. Als er eingezogen war, hatte das die kleine, knarrende, feuchte alte Wohnung sofort verändert. Es war vereinbart worden, dass Bing eine geringere Miete zahlen, ihr dafür aber helfen würde, die zahllosen häuslichen Verschönerungsarbeiten durchzuführen, die gemacht werden mussten.
Der Plan war gut gewesen. Er hatte nur einen Haken. Sie lebten jetzt seit sechs Monaten zusammen, und die einzige Verschönerungsarbeit, die stattgefunden hatte, war eine Glitzerkugel, die jetzt über der durchgesessenen dreiteiligen Sitzgarnitur hing. "Sieh es mal so", hatte Bing eines Abends spät über dem letzten Rest einer Weinflasche gemeint: "Ich bin zu sehr mit Sex beschäftigt, um irgendwelche Heimwerkerarbeiten zu erledigen, und du bist aus Mangel an Sex zu sehr damit beschäftigt, depressiv zu sein, um irgendwelche Heimwerkerarbeiten zu erledigen. Außerdem sind wir, was körperliche Arbeit angeht, beide Allergiker."
"Du hascht ja so Rescht", hatte sie lallend erwidert, und beide hatten gackernd losgelacht, glücklich, zusammen und sinnlos betrunken zu sein und jenem Menschentypus anzugehören, dem es gelingt, über den Dingen zu stehen. Heute Abend jedoch hatte Evie, weil sie fror, nüchtern, müde und entmutigt war, Mühe, sich nicht von dem gesprungenen Linoleum aus den Siebzigern runterziehen zu lassen, den Fenstern, die irgend so ein doofer Vormieter vor langer Zeit mit Farbe zugekleistert hatte, so dass sie nicht mehr aufgingen, und der erstaunlich genauen Landkarte von Indien, die die Feuchtigkeit an die Küchenwand gemalt hatte. Als Palast konnte man es wohl kaum bezeichnen, aber selbst diese bescheidene Umgebung würde sie sich nicht mehr leisten können, wenn sich nicht bald ein Durchbruch abzeichnete. Der Seufzer brach sich in ihrem Weinglas und erstarb dort.
"Und diese Heiterkeit baut dich auch immer wieder auf", meinte Bing. "Da war doch noch was?" Er nahm eine nachdenkliche Haltung ein. "Ach ja!" Er wirbelte herum und warf einen mit Tomatensauce verschmierten Kochlöffel nach Evie. "Ein Anwalt hat angerufen! Du musst ihn zurückrufen!"
"Ein Anwalt?", wiederholte Evie entgeistert. "Hat mich angerufen?"
"Ja. Ja. Die Nummer liegt am Telefon. Mach schnell, es ist gleich sechs Uhr."
Evie erhob sich langsam. Warum sollte ein Anwalt sie anrufen? "Glaubst du, dass jemand mich verklagen will?", fragte sie Bing.
"Typisch. Immer siehst du schwarz." Bing scheuchte sie ins Wohnzimmer, wo sich die Sitzgarnitur mit dem Breitwandfernseher, auf dem Bing bestanden hatte, den Platz teilen musste. "Keiner will dich verklagen", versicherte er ihr, als er ihr den Hörer reichte und beim Wählen der Nummer hinzufügte, "es sei denn, er hat im Leamington Spa deine Lady Macbeth gesehen."
Er kehrte zu seinen Töpfen zurück und murmelte abwesend: "Da war doch noch was, woran ich denken wollte?", während er die Spaghetti in das kochende Wasser warf.
Kurz darauf kam Evie in die Küche zurückgestapft. "Ich ..."
"Ja?"
"Ich ..." Sie wirkte völlig verstört.
"Erspar es mir, gewalttätig zu werden." Bing erhob den Kochlöffel. "Was ist, du dösige Eselin?"
"Jemand hat mir testamentarisch was vermacht. Man hat mir ein beträchtliches Erbe hinterlassen. Ja, das ist das Wort, das er benutzt hat - beträchtlich." Evie wandte sich mit großen Augen an Bing. "Man hat mir -"
"Ich hab's verstanden, ich hab's kapiert. Das ist fantastisch! Was mag das wohl sein?"
Evie konnte sich mit derartigen Überlegungen nicht aufhalten, denn sie war ganz auf die Frage konzentriert, wer wohl ihre verzweifelten Gebete erhört haben mochte. Es war beträchtlich, und das musste fürs Erste reichen. Offenbar gab es da oben einen Heiligen für gestresste Schauspielerinnen. "Ich brauche ein Bad", verkündete sie.
"Beeil dich", sagte Bing streng.
Nachdenklich öffnete Evie die Tür des Badezimmers, aus dem ihr zu ihrer Überraschung Wärme, Dampf und der Duft ihres teuren Lieblingsbadeschaums entgegenschlug.
"Allo!" Der dunkle Cherub, dessen Kopf gerade aus den Schaumblasen auftauchte, strahlte sie aus der Badewanne an. "Isch bin Raoul."
Aus der Küche rief Bing: "Ah, das war's, was ich noch sagen wollte."
2
Was zieht man an, wenn man eine Anwaltskanzlei aufsucht? Etwas Graues von Marks & Spencer, wenn man Evie heißt, etwas in Fuchsia von Paul Smith, wenn man Bing ist. In dem antiseptischen Empfangsraum von Snile and Son drückte Evie Bings Hand. Sie war dankbar für seine Unterstützung. Er hätte jetzt auch Marshmallows von Raouls Bäuchlein lecken können, aber er saß neben ihr in all seiner makellosen Pracht."Miss Crump?" Mr. Snile jun. stand in der offenen Tür und füllte mit seinen sich über der gewölbten Stirn lichtenden Haaren und seiner Halbbrille von Kopf bis Fuß seine Rolle aus. "Treten Sie doch näher."
Gutmütiges Geplänkel ist hinter der Bühne nichts Ungewöhnliches. Aber das hier war kein gutmütiges Geplänkel. Mehr als einmal waren die liebenswerten Tierchen von der Bühne gekommen und hatten versucht, hinter den Kulissen übereinander herzufallen.
"Ich hab immer gesagt, dass du eine Fehlbesetzung bist", schrie das Eichhörnchen, vertiefte sich in einen Rucksack und tauchte mit einer Flasche Jack Daniel's wieder auf.
"Du schüttest dir den Whisky doch nur wieder über dein gepolstertes Bäuchlein", erwiderte Evie gelassen. Ihre größte und vermutlich einzige Freude bestand darin, gemein zu Simeon sein.
"Klapp dein Gesicht zu", konterte Simeon darauf gewitzt und trank geräuschvoll einen Schluck aus der Flasche. "Hast du Dachse studiert, wie ich es dir geraten habe? ... Nun, hast du?"
Evie kratzte sich ihren gewaltigen Krauskopf mit einer Plastikpfote. "Hm. Na ja, ich hab mich bei den Soaps schlau gemacht: Big Dachs, Dachsidence. Zählt das auch?"
Wütend warf Simeon seine Pappmachénüsse zu Boden. "Warum nimmst du das nicht ernst?"
"Vielleicht, weil der Text scheiße ist, die Kostüme scheiße sind und das Bühnenbild scheiße ist." Evie verkniff es sich, hinzuzufügen, dass auch Simeon scheiße war. Aber er war es, absolut scheiße. Dagegen sah der größte Dilettant noch wie Laurence Olivier aus.
Das große Eichhörnchen bebte vor Zorn. Also wirklich, dachte Evie, das war zu einfach. Jetzt kam er sicherlich gleich mit seinem Standardsatz, dass Zynismus im Theater nichts verloren habe.
"Zynismus hat im Theater nichts verloren", kreischte er, diesmal genau aufs Stichwort.
"Wir sind aber nicht im Theater", erwiderte Evie gelangweilt. "Wir sind in einem Gemeindehaus am Arsch der Welt und führen ein anti-sexistisches, anti-rassistisches, sich über alle Alters- und Klassenunterschiede und leider auch über jeden Spaß hinwegsetzendes Stück vor einem Publikum gelangweilter Fünfjähriger auf, die dem Ausdruck ihrer Gesichter nach zu urteilen lieber Spritzen gegen Tollwut bekämen." Sie hielt inne. "Dein Schwanz ist wieder abgefallen."
"O verdammt, verdammt, verdammt!", jammerte Simeon, wirbelte herum und warf seine Flasche gerade in dem Augenblick in die rostige Spüle, als die Schulleiterin des Publikums ihren Kopf durch die Tür steckte.
Anfangs erstaunt, gewann sie rasch ihre Fassung wieder und erkundigte sich zögernd: "Könnten Sie vielleicht wieder auf die Bühne zurückkommen? Ihr Freund, der Maulwurf, ist mitten in seinem fröhlichen Tanz ausgerutscht, und sein Kopf steckt in einem Sperrholzbaum. Überall ist Blut, und ich möchte wirklich nicht, dass die Kinder sich diese Ausdrücke anhören müssen."
Eines Tages ließe sich dies alles bestimmt als großartige Geschichte bei einem Glas Wein zum Besten geben, überlegte Evie, doch noch war es nicht soweit. Jeder, der einen Blick in die Unfallstation geworfen und dort ein Rieseneichhörnchen und einen Riesendachs dabei beobachtet hätte, wie sie einen Riesenmaulwurf abstützten, der stark blutend murmelte: "Und dafür habe ich Crimewatch abgelehnt", würde lachen. Sie aber nicht. Nicht jetzt.
"Können wir ihm nicht wenigstens den Kopf abnehmen?", flehte sie Simeon an, als sie sich ungelenk auf zwei dieser orangefarbenen Plastikstühle zubewegten, die schon vom Entwurf her auf Unbequemlichkeit angelegt waren.
"Und den Zauber zerstören? Bist du wahnsinnig?"
Evie seufzte und schloss die Augen. Simeon gab derartige Erklärungen ohne einen Funken Ironie ab. Evie war Schauspielerin geworden, weil sie gerne schauspielerte: So einfach war das. All das mürrische Geschwätz über Wahrheit und Schönheit ließ sie kalt. (Wenn sie ehrlich zu sich war - und das kam in günstigen Augenblicken gelegentlich vor -, gab sie zu, dass sie Schauspielerin geworden war, um berühmt zu werden. Aber das klang schal und billig, und so hielten ihre ehrlichen Momente sich in Grenzen. Doch jedem, der sie kannte, sprang es natürlich ins Gesicht.) Simeon war aus weitaus edleren Gründen Schauspieler geworden, aber unglücklicherweise war er in erster Linie Schauspieler und erst in zweiter Linie ein sympathischer Zeitgenosse.
Und offensichtlich erst in dritter ein Eichhörnchen.
"Die wollten mich für Crimewatch haben", wimmerte der aufgrund seiner Gehirnerschütterung ein wenig lallende Maulwurf. "Und ich habe abgelehnt. Ich bin ein Idiot, ein wahnsinniger, verrückter Idiot."
"Schsch." Evie strich ihm über den Latexkopf, als er zu ihr hinübersackte. Während sie den computergesteuerten Zeitmesser mit der Information, dass es nur noch drei Stunden und vierzehn Minuten abzuwarten galt, zu ignorieren versuchte, fiel ihr ein, wie Meredith ihr diesen Job beschrieben hatte: "Ein tolles Spektakel! Es wird Ihnen gefallen! All diese lächelnden kleinen Gesichter! Mitglied eines fröhlichen Tourneetheaters zu sein!" Die Wirklichkeit zwängte sich in einen mittelalterlichen Ford Transit, worin sich die unterschiedlichsten, von der Theaterwelt Ausgestoßenen mit Trinken, Sticheleien und einer ganz fürchterlichen Ernsthaftigkeit, ihre Fähigkeiten betreffend, bei Laune hielten oder weinten. In all der Zeit, die Evie nun schon in diesem Kleinbus verbrachte, hatte auch sie nichts davon ausgelassen, bis auf die fürchterliche Ernsthaftigkeit. Denn es war ihr völlig unverständlich, wie jemand mit einem funktionierenden Sinn für Humor angesichts dessen, was sie hilflosen Fünfjährigen im Großraum London vorsetzten, ernst bleiben konnte.
Außer natürlich Simeon. Es war ihr nicht entgangen, dass er pompös eine Ausgabe von König Lear aufgeschlagen hatte und darin las, so weit seine schartigen Augenöffnungen dies zuließen.
Das computergesteuerte Schild war recht optimistisch gewesen. Vier Stunden hatten sich im Schneckentempo dahingeschleppt, ehe sie den bandagierten Mimen zusammenpacken und hinten im Lieferwagen verstauen durften. Evie saß auf dem Vordersitz, als das Fahrzeug mit fast fünfzig Stundenkilometern Richtung London, dem Zuhause, einem Bad und flauschigen Handtüchern losfuhr. Die Requisiten, die sie nach vorn hatten bringen müssen, um Platz für den flach liegenden Maulwurf zu schaffen, verstellten ihr fast die Sicht. Und mit dem riesigen Busch in ihrem Arm fühlte sie sich sogar zu schlapp, Simeon mit geschmacklosen Zweideutigkeiten zu ärgern, obwohl die Situation geradezu danach schrie.
Während sie auf die regennasse Schnellstraße starrte, summten Zahlen in ihrem Kopf. Sobald sie nicht anderweitig beschäftigt war, endete sie in letzter Zeit jedes Mal bei Berechnungen. Und die Gleichung lautete in etwa Lohn minus Miete minus Rechnungen minus ein wenig Spaß zum Ausgleich ... Aber sie kriegte es nie so hin, dass irgendwas ausgeglichen wurde. Die Antwort war für gewöhnlich eine ganz widerliche Minussumme.
Wenn nicht bald eine Art von Durchbruch kommt, resümierte Evie zum tausendsten Mal ihr Elend, werde ich mich nach einem richtigen Job umsehen müssen. Schon die bloße Vorstellung trieb ihr den kalten Schweiß auf die Haut. Sie hatte richtige Jobs gehabt, und die hatten sie fast umgebracht. Und so empfand sie für die Pendler, die am Morgen die U-Bahn ansteuerten, die gleiche Bewunderung, mit der die Menschen in den Wochenschauen die Tommies auf ihrem Weg zur Front gefeiert hatten. In Wahrheit war Evie nämlich zu gar nichts Nützlichem fähig. Sie verfügte über die Konzentrationsspanne eines Kleinkindes, dem man Zählen beibringt, und reagierte auf Autoritäten wie ein Pitbull, den man mit einem spitzen Stock anstupst. Dazu kam noch, dass sie es mit der Schauspielerei schaffen musste, denn ansonsten würde ihre Familie in Reih und Glied antreten, um ihr "Das haben wir dir doch gleich gesagt" auf die Stirn zu stempeln. Nein, niemals würde sie ihrer Mutter die Genugtuung bereiten, sich hämisch über das so oft prophezeite Versagen freuen zu können.
Aber diese Beträge. Man konnte nicht ständig über sie hinwegsehen. Die Klamotten vom Vorjahr konnte sie mit geschickt geführter Nadel und Faden auf Vordermann bringen. Sie konnte sich sogar einreden, gerne Smash und Bratensoße zu mögen. Selbst mit einem kleineren Weinglas könnte sie sich anfreunden. Aber die Miete ...
"Soll ich dich zu deiner Tür begleiten?", erkundigte sich Simeon wie jeden Tag.
"Ja. So war es schließlich abgemacht", lautete Evies Antwort wie jeden Tag. Ein paar in den Busch gemurmelte, an Simeon gerichtete Bosheiten halfen ihr, den Rest der Fahrt zu überstehen, bis Simeon - wie üblich - unnötig scharf abbremste und knurrend meinte: "Da wären wir. Vor deinem eleganten Stadthaus."
Evie bedachte ihn mit einem langen, unnachgiebigen Blick. "Du bist schon ein elender Saftarsch, oder?", sagte sie und sprang auf den Bürgersteig.
Der Lieferwagen röhrte davon und ließ Evie vor ihrem eleganten Stadthaus zurück. All seine sechsundzwanzig Stockwerke schossen hoch in den sich verdunkelnden Himmel. Auf den eleganten Stufen lagen elegante Hundescheiße, Zigarettenkippen und Verpackungsmüll aus dem Schnellimbiss. In meinem Leben muss etwas ganz schön schief gegangen sein, wenn ich nicht mal genug Geld verdiene, um mir das hier leisten zu können, sinnierte Evie. Um im Lift den Knopf für ihr Stockwerk drücken zu können, musste sie sich erst einer ihrer Pfoten entledigen, und schon wurde sie mit einem altehrwürdigen Summen belohnt. Gegen den Uringestank hielt sie den Atem an, bis sie den achten Stock erreichte.
Als sie den ersten ihrer fünf Schlüssel in die Tür steckte (Sicherheit hatte Vorrang im Dickens Tower), gestattete sie sich einen ruchlosen kleinen Tagtraum: der Klang einer tiefen, warmen Männerstimme, die sie mit "Evie-Schatz! Bist du's? Ich habe dich so vermisst!" begrüßte.
Stattdessen warf sie trotz Dachskostüm die Knoblauchwolke in dem winzigen Flur fast um, und eine Männerstimme schrie: "Wo bist du gewesen, du nichtsnutzige Dächsin? Beweg deinen Hintern hier rein und mach die Weinflasche auf."
"Ach du liebe Zeit", rief Bing, ihr Mitbewohner aus, als sie in die Küche geschlichen kam. "Da brauch ich gar nicht erst zu fragen, wie dein Tag gewesen ist."
Evie ließ sich in einen wackeligen Stuhl fallen und nahm gierig das ihr gereichte Glas voll Rotwein. "Wenn ich dir aufzähle, Maulwurfunfall, Simeon, Nervenzusammenbruch, sofern ich nicht bald eine anständige Rolle bekomme, dann kannst du die Lücken selbst ausfüllen."
"Also die von Simeon zu füllen, würde mir nichts ausmachen. Er ist hinreißend." Bing war ein goldener, strahlender, sonnengebräunter, durchtrainierter eins neunzig großer Ausbund an Promiskuität. Er schaffte es, auf beneidenswerte Weise unverschämt homosexuell zu sein, ohne dabei, dank seines beeindruckenden Äußeren und seines maskulinen Auftretens, auch nur ein Jota an Männlichkeit zu verlieren. Der einzige mit Sex vergleichbare Zeitvertreib, den es für ihn gab, war die Betrachtung seines blonden Spiegelbilds, was ihm dank der Reflektion des in Augenhöhe angebrachten Grills sogar beim Umrühren der Sauce Bolognese gelang.
"Musst du denn nackt kochen?", erkundigte Evie sich nach ihrem ersten Schluck vin ordinaire.
"Ich hab gern Luft an meiner Haut. Aber keine Sorge, ich trage immer eine Schürze. Mein prächtiges Gerät kommt garantiert nicht in die Nähe deines Essens."
"Tu mir einen Gefallen, und verwende die Wörter 'Gerät' und 'Essen' nicht in einem Satz. Seine Lücke kannst du gar nicht füllen. Die von Simeon, meine ich. Er ist heterosexuell, wie ich dir schon gesagt habe. Und zwar auf eine Weise, die Heteros ganz schlecht aussehen lässt."
"Ein aufrechter Hetero. Den dreh ich schneller um als eine Drehtür." Gleichzeitig hauchte Bing sich einen Kuss über den Grill zu und warf eine Hand voll gehackten Oregano in die Pfanne. "War er wieder ekelhaft zu dir, mein Schatz? Wenn ich ihn gebumst habe, verdresche ich ihn für dich."
"Wie einfühlsam. Er hat abfällige Bemerkungen über dieses Haus hier gemacht."
"Saftsack", sagte Bing unheilvoll. "Das ist unser kleiner Palast. Er besitzt einfach nicht genug Seele, um das zu begreifen."
Evie betrachtete über den Rand ihres Glases lächelnd ihren Mitbewohner, dessen Pobacken sich im perfekten Rhythmus zum blechern aus dem Radio plärrenden Lied der Carpenters anspannten und lockerten. Evie liebte Bing. Er war loyal, lustig und dekorativ, durch und durch Schwuchtel, durch und durch Mann, aber auch ein Ärgernis mit seiner unerschütterlichen Homosexualität und seiner boshaften Zunge. Und er liebte Evie ebenso sehr. Als er eingezogen war, hatte das die kleine, knarrende, feuchte alte Wohnung sofort verändert. Es war vereinbart worden, dass Bing eine geringere Miete zahlen, ihr dafür aber helfen würde, die zahllosen häuslichen Verschönerungsarbeiten durchzuführen, die gemacht werden mussten.
Der Plan war gut gewesen. Er hatte nur einen Haken. Sie lebten jetzt seit sechs Monaten zusammen, und die einzige Verschönerungsarbeit, die stattgefunden hatte, war eine Glitzerkugel, die jetzt über der durchgesessenen dreiteiligen Sitzgarnitur hing. "Sieh es mal so", hatte Bing eines Abends spät über dem letzten Rest einer Weinflasche gemeint: "Ich bin zu sehr mit Sex beschäftigt, um irgendwelche Heimwerkerarbeiten zu erledigen, und du bist aus Mangel an Sex zu sehr damit beschäftigt, depressiv zu sein, um irgendwelche Heimwerkerarbeiten zu erledigen. Außerdem sind wir, was körperliche Arbeit angeht, beide Allergiker."
"Du hascht ja so Rescht", hatte sie lallend erwidert, und beide hatten gackernd losgelacht, glücklich, zusammen und sinnlos betrunken zu sein und jenem Menschentypus anzugehören, dem es gelingt, über den Dingen zu stehen. Heute Abend jedoch hatte Evie, weil sie fror, nüchtern, müde und entmutigt war, Mühe, sich nicht von dem gesprungenen Linoleum aus den Siebzigern runterziehen zu lassen, den Fenstern, die irgend so ein doofer Vormieter vor langer Zeit mit Farbe zugekleistert hatte, so dass sie nicht mehr aufgingen, und der erstaunlich genauen Landkarte von Indien, die die Feuchtigkeit an die Küchenwand gemalt hatte. Als Palast konnte man es wohl kaum bezeichnen, aber selbst diese bescheidene Umgebung würde sie sich nicht mehr leisten können, wenn sich nicht bald ein Durchbruch abzeichnete. Der Seufzer brach sich in ihrem Weinglas und erstarb dort.
"Und diese Heiterkeit baut dich auch immer wieder auf", meinte Bing. "Da war doch noch was?" Er nahm eine nachdenkliche Haltung ein. "Ach ja!" Er wirbelte herum und warf einen mit Tomatensauce verschmierten Kochlöffel nach Evie. "Ein Anwalt hat angerufen! Du musst ihn zurückrufen!"
"Ein Anwalt?", wiederholte Evie entgeistert. "Hat mich angerufen?"
"Ja. Ja. Die Nummer liegt am Telefon. Mach schnell, es ist gleich sechs Uhr."
Evie erhob sich langsam. Warum sollte ein Anwalt sie anrufen? "Glaubst du, dass jemand mich verklagen will?", fragte sie Bing.
"Typisch. Immer siehst du schwarz." Bing scheuchte sie ins Wohnzimmer, wo sich die Sitzgarnitur mit dem Breitwandfernseher, auf dem Bing bestanden hatte, den Platz teilen musste. "Keiner will dich verklagen", versicherte er ihr, als er ihr den Hörer reichte und beim Wählen der Nummer hinzufügte, "es sei denn, er hat im Leamington Spa deine Lady Macbeth gesehen."
Er kehrte zu seinen Töpfen zurück und murmelte abwesend: "Da war doch noch was, woran ich denken wollte?", während er die Spaghetti in das kochende Wasser warf.
Kurz darauf kam Evie in die Küche zurückgestapft. "Ich ..."
"Ja?"
"Ich ..." Sie wirkte völlig verstört.
"Erspar es mir, gewalttätig zu werden." Bing erhob den Kochlöffel. "Was ist, du dösige Eselin?"
"Jemand hat mir testamentarisch was vermacht. Man hat mir ein beträchtliches Erbe hinterlassen. Ja, das ist das Wort, das er benutzt hat - beträchtlich." Evie wandte sich mit großen Augen an Bing. "Man hat mir -"
"Ich hab's verstanden, ich hab's kapiert. Das ist fantastisch! Was mag das wohl sein?"
Evie konnte sich mit derartigen Überlegungen nicht aufhalten, denn sie war ganz auf die Frage konzentriert, wer wohl ihre verzweifelten Gebete erhört haben mochte. Es war beträchtlich, und das musste fürs Erste reichen. Offenbar gab es da oben einen Heiligen für gestresste Schauspielerinnen. "Ich brauche ein Bad", verkündete sie.
"Beeil dich", sagte Bing streng.
Nachdenklich öffnete Evie die Tür des Badezimmers, aus dem ihr zu ihrer Überraschung Wärme, Dampf und der Duft ihres teuren Lieblingsbadeschaums entgegenschlug.
"Allo!" Der dunkle Cherub, dessen Kopf gerade aus den Schaumblasen auftauchte, strahlte sie aus der Badewanne an. "Isch bin Raoul."
Aus der Küche rief Bing: "Ah, das war's, was ich noch sagen wollte."
2
Was zieht man an, wenn man eine Anwaltskanzlei aufsucht? Etwas Graues von Marks & Spencer, wenn man Evie heißt, etwas in Fuchsia von Paul Smith, wenn man Bing ist. In dem antiseptischen Empfangsraum von Snile and Son drückte Evie Bings Hand. Sie war dankbar für seine Unterstützung. Er hätte jetzt auch Marshmallows von Raouls Bäuchlein lecken können, aber er saß neben ihr in all seiner makellosen Pracht."Miss Crump?" Mr. Snile jun. stand in der offenen Tür und füllte mit seinen sich über der gewölbten Stirn lichtenden Haaren und seiner Halbbrille von Kopf bis Fuß seine Rolle aus. "Treten Sie doch näher."
... weniger
Autoren-Porträt von Bernadette Strachan
Bevor Bernadette Strachan sich dem Schreiben zuwandte, betrieb sie ein erfolgreiches Synchronstudio und arbeitete dort mit einer ganzen Reihe von Filmstars zusammen. Bernadette Strachan lebt abwechselnd im englischen Twickenham und in Nashville, Tennessee.
Bibliographische Angaben
- Autor: Bernadette Strachan
- 2005, Maße: 18,5 x 11,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 344236132X
- ISBN-13: 9783442361328
Kommentar zu "Verflixte Erbschaft"
0 Gebrauchte Artikel zu „Verflixte Erbschaft“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Verflixte Erbschaft".
Kommentar verfassen