Verlockende Versuchung
Roman. Deutsche Erstausgabe
Als der attraktive Marquis von Thurston die junge Devon verletzt in einer dunklen Gasse Londons findet, bringt er sie trotz großer Bedenken in sein Haus.
Obwohl er sie für eine Diebin hält, kann er sich dem Charme der eigensinnigen Schönheit nicht entziehen.
Obwohl er sie für eine Diebin hält, kann er sich dem Charme der eigensinnigen Schönheit nicht entziehen.
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Verlockende Versuchung “
Als der attraktive Marquis von Thurston die junge Devon verletzt in einer dunklen Gasse Londons findet, bringt er sie trotz großer Bedenken in sein Haus.
Obwohl er sie für eine Diebin hält, kann er sich dem Charme der eigensinnigen Schönheit nicht entziehen.
Obwohl er sie für eine Diebin hält, kann er sich dem Charme der eigensinnigen Schönheit nicht entziehen.
Klappentext zu „Verlockende Versuchung “
Als der attraktive Marquis von Thurston die junge Devon verletzt in einer dunklen Gasse Londons findet, bringt er sie trotz großer Bedenken in sein Haus. Obwohl er sie für eine Diebin hält, kann er sich dem Charme der eigensinnigen Schönheit nicht entziehen.Lese-Probe zu „Verlockende Versuchung “
England, 1794Innerlich verkrampft lag Sebastian Lloyd William Sterling mit weit aufgerissenen Augen in seinem Bett und starrte auf die Schatten, die an der Wand tänzelten. Als seine Amme vor kurzem die Zimmertür einen Spalt geöffnet hatte, um einen Blick auf ihren Zögling zu werfen, hatte er sich schlafend gestellt und seine Augen fest zusammengekniffen.
Wenn seine Eltern sich stritten, war es für den Knaben nie einfach einzuschlafen. Da es ein warmer Tag im Spätseptember war, stand Sebastians Fenster offen, und sein Gemach lag direkt über der Zimmerflucht seiner Mutter. Und nachts, im Dunkeln, trugen ihre Stimmen.
Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass Sebastian ihre Auseinandersetzungen mitbekam. Das letzte Jahr war besonders schlimm gewesen, nicht nur in London während der Ballsaison, sondern auch hier auf Thurston Hall. Wortgefechte standen an der Tagesordnung, sobald sie Besuch hatten, was häufig vorkam, da seine Mutter es liebte, Gastgeberin zu spielen. Sie stritten sich wegen ihrer Untreue, ihrer fröhlichen leichtsinnigen Art und ihres ungebührlichen Benehmens.
Die Bemerkungen kamen natürlich von seinem Vater, denn William Sterling, der Marquess von Thurston, war kein Mann, der über Dinge hinwegsah, die ihm missfielen. Er strafte und kritisierte. Wie sehr Sebastian sich auch anstrengte, er konnte sich beim besten Willen keine Situation ins Gedächtnis rufen, bei der sein Papa ihn - oder jemand anderen - gelobt hätte.
Als Sebastian an diesem Abend in sein Bett gekrochen war, hatte er gewusst, dass ein Disput unausweichlich bevorstand. Er hatte förmlich voller Anspannung auf den Moment gewartet, wenn er ausbrechen würde. Denn seine Eltern hatten an diesem Wochenende eine Gesellschaft gegeben, und vor ein paar Stunden war der letzte Gast abgereist.
Doch dieses Mal ... war der bisher schlimmste Streit. Sebastian hielt sich die Ohren mit beiden Händen fest zu, konnte seine Eltern allerdings immer noch hören. Während Papa brüllte und fluchte,
... mehr
schimpfte und kreischte Mama in schrillen Tönen. Und Sebastian konnte nichts tun, um die beiden davon abzuhalten. Niemand konnte es. Wenn sie eine Auseinandersetzung hatten, ging die Dienerschaft auf Zehenspitzen durch die Gänge und hielt Distanz.
Schließlich wurde im Erdgeschoss eine Tür zugeschlagen.
Mit einem Mal war es totenstill.
Sebastian wusste, dass sein Vater sich mit einer Flasche Gin in sein Arbeitszimmer zurückziehen würde, dass seine Laune am nächsten Morgen fürchterlich sein würde und seine Augen rot unterlaufen und geschwollen sein würden. Sebastian konnte den zornigen Blick am folgenden Tag erahnen. Seine Reitstunde war für morgen angesetzt, und sein Papa sah ihm immer zu, wenn sie auf dem Landsitz wohnten. Der Junge war an die missbilligenden Kommentare gewöhnt, aber Papas Kritik würde sicherlich noch vernichtender als sonst ausfallen. Der Junge seufzte. Außerdem musste er versuchen, seinen jüngeren Bruder Justin von Papa fernzuhalten. Sebastian war vernünftig genug, seinen Vater nicht zu provozieren, wenn dieser schlecht gelaunt war, doch Justin ...
Lange, sehr lange lag der kleine Junge völlig bewegungslos im Dunkeln. Schließlich kroch er aus dem Bett und ging hinaus auf den Flur. In derartigen Nächten sah er immer nach seinem Bruder und seiner Schwester. Er wusste nicht, weshalb. Vielleicht, weil er der Älteste war - war es nicht seine Pflicht, über seine Geschwister zu wachen?
Leise schlich er den Korridor hinunter. Die Amme schlief bereits - aus ihrem Zimmer konnte er lautes Schnarchen vernehmen. Einmal hatte sie Sebastian kräftig ausgescholten, als sie ihn um Mitternacht in der Bibliothek entdeckt hatte. Sebastian hatte im Gegensatz zu anderen Kindern keine Angst vor der Dunkelheit; nur nachts hatte er die Gelegenheit, allein und unbeobachtet zu sein, was ihm sonst kaum gewährt wurde. Dann gab es keine Lehrer, die ihn drängelten, die Amme hatte kein wachsames Auge auf ihn, und auch die Dienerschaft war ihm nicht ständig auf den Fersen.
Lautlos glitt er am Schulzimmer vorbei in Justins Schlafgemach. Sein vier Jahre jüngerer Bruder schlief fest, hatte jedoch einen sorgenvollen Gesichtsausdruck, und seine Unterlippe stand trotzig vor. Schlechte Träume?, fragte sich Sebastian. Er strich liebevoll über das Haar seines Bruders, das ebenso dunkel war wie sein eigenes.
Im Nebenzimmer lag die dreijährige Julianna in ihre Decke eingekuschelt, hatte die Knie bis an die Brust gezogen und ihre Lieblingspuppe fest umklammert. Seidige, walnussbraune Löckchen verteilten sich über das Kopfkissen. Sebastian zog die mit Spitzen umsäumte Überdecke fester um den Körper seiner Schwester. Sie gleicht einem Engel, dachte er zärtlich.
Draußen hatte der Mond bereits den Zenith seiner nächtlichen Laufbahn überschritten. Er wirkte unnatürlich hell und groß. Hunderte von Sternen glitzerten und funkelten und schienen so nah, dass Sebastian glaubte, er müsse nur die Hand ausstrecken, um sie berühren zu können.
Bevor er sich versah, war er auch schon aus dem Haus geschlichen. Er schlenderte die Auffahrt entlang und blieb unter den ausladenden Zweigen einer stattlichen Ulme stehen. Bewegungslos verharrte er und starrte hinauf in den Ehrfurcht gebietenden Nachthimmel, als das Geraschel von Blättern auf der anderen Seite des Weges seine Aufmerksamkeit weckte.
Er blinzelte. "Mama?"
Seine Mutter konnte ihn im Schatten des Baumes nicht ausmachen.
Dann trat er hinter der Ulme hervor. Wie immer war seine Mutter ausgenommen modisch und elegant gekleidet. Sie trug einen karierten Damenmantel mit dazu passender Handtasche, und auf ihren rabenschwarzen Haaren saß eine mit Federn besetzte Haube.
So wie Julianna das Ebenbild eines Engels war, war seine Mama für ihn bei weitem das wunderschönste Geschöpf auf Erden.
Sie blieb abrupt stehen. "Sebastian!", rief sie gereizt. "Was um alles in der Welt machst du hier?"
Sebastian ging auf sie zu und sah sie mit seitlich geneigtem Kopf an. Obwohl er nur zehn Jahre zählte, war er bereits ein wenig größer als seine zierliche Mutter.
"Ich konnte nicht schlafen, Mama."
Sie gab keine Antwort, schien jedoch über das unerwartete Auftauchen ihres Sohnes verärgert zu sein.
Hinter ihr erspähte Sebastian eine Kutsche, die in der Biegung der Auffahrt zum Stehen kam. Seine Augen wurden zu Schlitzen. Er blickte von der Kutsche zu dem Koffer in der Hand seiner Mutter.
"Gehst du fort, Mama?"
Sie holte tief Luft. "Ja ... Ja, Liebes."
"Wohin fährst du, Mama?"
Der Gesichtsausdruck seiner Mutter erhellte sich unvermittelt. "Nun, ich weiß noch nicht genau! Vielleicht nach Paris", sagte sie dann vergnügt. "Oder Venedig. Oh ja, Venedig. Das Wetter ist dort wundervoll zu dieser Jahreszeit. Und es ist so lange her, dass ich dort war. Es ist so lange her, dass ich irgendwo auf dem Kontinent war."
Ein seltsames Gefühl machte sich in Sebastians Magen breit. Obwohl er noch jung war, wusste er, dass etwas nicht stimmte, wenn seine Mutter mitten in der Nacht fortfuhr.
"Venedig ist sehr weit weg, Mama. Gefällt es dir nicht auf Thurston Hall?" Es war unverständlich für Sebastian, wie jemand das prächtige Anwesen, die sauber gepflegten Gärten und die sanft geschwungene Hügelkette, die Thurston Hall umgab, nicht mögen konnte. Er liebte den Stammsitz seiner Familie. Sieben Generationen von Sterlings hatten hier das Licht der Welt erblickt. Wenn er keinen Unterricht hatte, gab es für ihn keine schönere Beschäftigung, als mit seinem Pony über die Hügel zu jagen.
Eines Tages, dachte er stolz, sobald er ein Mann war, würde Thurston Hall und der übrige Familienbesitz ihm gehören. Deshalb musste er dem Unterricht mit großem Eifer folgen und durfte sich nicht vor seiner Verantwortung drücken. Der Titel des Marquess und die damit einhergehenden Verpflichtungen waren nichts, das man auf die leichte Schulter nehmen durfte. Von all dem war es jedoch Thurston Hall, das ihm wirklich am Herzen lag.
Sebastian beobachtete seine Mutter, während er auf eine Antwort wartete. Die Marquise blickte verstohlen zur Kutsche. Die Tür war nun geöffnet, und Sebastian konnte die Umrisse eines Mannes ausmachen.
Dann drehte sich seine Mutter um. "Ich will nur ... Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Ich ertrage es nicht mehr, bei deinem Vater zu bleiben. Ich dachte, ich könnte Mutter und Ehefrau sein, aber ... es geht nicht. Dein Papa ist zu streng und ... Ich weiß, du bist jung, aber du kennst seine Launen. Ich sehne mich nach mehr, mein Liebes. Ich brauche Leben und Heiterkeit und Feste. Wenn ich bei ihm bleibe, werde ich gewiss ersticken!"
Sebastian wusste, dass seine Mutter nichts mehr liebte als bewundert zu werden und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Und er wusste, dass sie Liebhaber hatte. Vor nicht langer Zeit waren Gäste aus London zu Besuch gewesen. Besonders ein Mann hatte seine Mutter unverfroren angestarrt. Sebastian war sich darüber im Klaren, dass Männer seine Mama sehr gerne betrachteten. Kurz darauf waren die beiden auf die Terrasse geschlichen.
Sie hatten nicht bemerkt, dass Sebastian ihnen gefolgt war.
Dort hatten sie sich vor seinen Augen geküsst. Ein ... zwei ... drei leidenschaftliche Küsse.
Küsse, wie sie sich nie zwischen seinem Vater und seiner Mutter abgespielt hatten.
Natürlich wusste Mama nicht, dass er sie beobachtet hatte. Er hatte es ihr nicht erzählt. Er hatte sich niemandem anvertraut, besonders nicht seinem Vater, denn ihm war bewusst, dass dies einen erneuten Streit nach sich ziehen würde. An jenem Tag erfuhr Sebastian die Bedeutung des Wortes Untreue ...
Mamas Geliebter.
Es war ein Geheimnis, das er tief in seiner Seele vergraben hatte ...
Sebastian hatte das qualvolle Gefühl, dass der heutige Abend ein weiteres Geheimnis barg, das ihm zu hüten oblag.
"Daphne!", rief der Mann in der Kutsche.
Derselbe Mann, den Mama auf der Terrasse derart stürmisch geküsst hatte?, fragte sich Sebastian. Doch er wusste es nicht genau.
Seine Mutter wirbelte herum und winkte dem Herrn in der Kutsche, wandte sich dann erneut Sebastian zu, der die Lippen zusammenpresste.
"Ich muss gehen", sagte sie beherzt. "Na, komm. Gib mir einen Kuss."
Sebastian blieb stehen, wo er war, und das feuchte Gras durchnässte den Saum seines Nachtgewandes. Er fröstelte. "Papa wird verärgert sein", gab er zu Bedenken.
"Dein Papa ist immer verärgert. Nun geh ins Haus zurück und husch in dein Bett. Wirst du dich an meiner Statt um deinen Bruder und deine Schwester kümmern, mein Liebes?" Sie stieß ein kleines, helles Lachen aus. "Ach, warum frage ich überhaupt? Natürlich wirst du es tun. Du bist ein so guter Junge."
Sie lächelte und kniff ihm in die Wange. Und fast so, als hätte sie sich daran erinnern müssen, hauchte sie ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann lief sie zur Kutsche.
Einen Moment später half ihr der Mann beim Einsteigen. Für einen Augenblick, kurz bevor die Tür sich schloss, waren ihre Silhouetten im Mondlicht klar erkennbar. Der Mann beugte sich zu ihr hinab, und verschloss ihre Lippen leidenschaftlich mit seinem Mund.
Es war das letzte Mal, dass Sebastian seine geliebte Mama sah.
Ende März, 1815
Devon St. James war völlig ratlos.
In zwei Tagen war die Miete für das kleine Zimmer fällig, in dem sie lebte. Ihr Hauswirt, Mr Phillips, verlangte auf einmal einen skandalös hohen Betrag. Devon war nicht nur empört, sondern zugleich erstaunt, denn der Raum bot gerade einmal genügend Platz für einen Stuhl und das schmale Bett, das sie mit ihrer Mutter bis zu deren Tod geteilt hatte. Zu allem Unglück hatte der Schuft sie erst gestern von der Mieterhöhung in Kenntnis gesetzt.
"Diebische Elster", murmelte Devon entrüstet. Sie zog mitleidslos an den Schleifen ihrer Haube. Dieselbe Unbarmherzigkeit wurde den Bändern ihres wallenden Umhangs zuteil, den sie um ihre Schultern geworfen hatte. Ein altmodisches Kleidungsstück, dessen Saum ausgefranst, zerschlissen und für ihre zarte Figur viel zu groß war. Doch er erfüllte seinen Zweck - wie auch der Rest ihrer Garderobe - und dafür war sie dankbar.
Sie strich sich vorsichtig mit der Hand über die gerundete Wölbung ihres Bauches und hielt kurzzeitig vor dem Hintereingang des Crow's Nest inne, einer Taverne nahe des Strandes, in der sie arbeitete. Nachdem sie die Tür fest hinter sich geschlossen hatte, trat sie hinaus in die feuchte, in Nebelschwaden gehüllte Nacht. Es verging kein Abend, an dem sie den langen Heimweg durch das Gewirr dunkler Seitengässchen nicht fürchtete. Heute war es sogar noch später als sonst gewesen, als der letzte Gast aus der Schankstube getorkelt war. Um sich Mut zu machen, besann sich Devon darauf, dass sie den Weg nun bereits seit einem Jahr ohne Zwischenfälle zurückgelegt hatte.
Ein Jahr. Um Himmels willen, ein ganzes Jahr!
Für den Bruchteil einer Sekunde ließ eine Woge der Traurigkeit ihr Innerstes erkalten. Es kam ihr vor, als sei eine Ewigkeit vergangen! Den Verlust ihrer Mutter fühlte sie wie einen Messerstich, der sich tief in ihr Herz gebohrt hatte. Zuweilen fiel es ihr sehr schwer, nicht zu verzagen. Aber etwas tief in ihr gab sich nicht damit zufrieden, für immer als Bedienung zu arbeiten. Mama hatte es gehasst, dass sie dort arbeitete - ebenso wie sie selbst. Nein, sie würde ihre Hoffnungen und Träume nicht aufgeben. Sie war sogar fester entschlossen denn je zuvor ...
Eines Tages würde sie einen Ausweg aus St. Giles finden. Irgendeinen Ausweg ...
Dieses Versprechen hatte sie sich vor langer Zeit gegeben. Ein Versprechen, das sie unter keinen Umständen brechen wollte.
Wie sie dies allerdings bewerkstelligen sollte, war eine andere Sache, denn Phillips Worte klangen immer noch in ihrem Kopf nach. Es hatte sie große Überwindung gekostet, ihren Stolz hinunterzuschlucken und ihn anzuflehen. Wenn er ihr nur etwas mehr Zeit gewährte, um die Miete aufzutreiben ...
"Auf keinen Fall!", hatte er geknurrt. "Du zahlst, Fräulein, oder du wirst auf die Straße gesetzt!"
Sein aufbrausender Ärger ließ keinen Zweifel darüber offen, dass er meinte, was er sagte.
Welch ein Gauner, dachte sie düster. Sie verachtete ihn schon seit Jahren aus tiefster Seele, denn er hatte ihre Mutter immer unverschämt und grob behandelt. Doch so sehr sie Phillips zum Teufel schicken wollte, würde es ihre eigenen Schwierigkeiten nicht lösen.
Allein Geld könnte dies.
Während sie weiter in Richtung St. Martin's Lane schritt, dachte sie über die kostbaren Münzen nach, die sie in der linken Tasche ihres Kleides aufbewahrt hatte. Heute war ihr Lohn ausbezahlt worden. Noch vor einer Woche war sie so sicher gewesen, dass sie ein weiteres Kleid kaufen könnte, und sich somit ihre Aussichten auf eine bessere Anstellung erhöhen würden. Aber nun musste sie jeden Penny ihres Lohns für die Miete aufbringen ... wenn nicht sogar noch mehr.
Ein Schauder überlief sie, der nichts mit der kühlen Nachtluft zu tun hatte. Großer Gott, was wäre, wenn Phillips sie tatsächlich hinauswerfen würde?
Als sie um die nächste Straßenecke bog, gelang es ihr, die Furcht zu unterdrücken, die sich in ihrem Innersten ausgebreitet hatte. Stattdessen betrachtete sie aufmerksam die Umgebung. Es war still, so still, wie es nur in diesem Teil Londons sein konnte. Dunkelheit hatte die Dächer eingehüllt. Tagsüber drängelten Pferde und Kutschen um einen Platz in den engen Gassen, und das Rufen der Geschäftsleute, die sich trotz des regen Treibens bemerkbar machen wollten, füllte die Luft.
Ihr Umhang flatterte um ihre zierlichen Knöchel, als sie so rasch wie möglich nach Hause eilte - keine leichte Aufgabe angesichts ihres schwellenden Leibes. Einmal verlor sie auf dem rutschigen Kopfsteinpflaster die Balance, doch es gelang ihr gerade noch rechtzeitig, sich wieder zu fangen. Dabei ließ sie ihren Blick schweifen. Niemand war in der Nähe.
"Deiner Zwangslage wäre beizukommen, wenn du ab und zu einen der Gäste ins Hinterzimmer begleiten würdest", hatte Bridget heute festgestellt. "So verdiene ich mir den einen oder anderen Shilling hinzu, wenn ich in Geldnöten bin."
Die Leichtfertigkeit, mit der sie ihr diese Belehrung erteilt hatte, war bestürzend. Obwohl Devon wusste, dass Bridget es gut mit ihr meinte, würde sie ihren Rat natürlich nicht annehmen. Sie weigerte sich, ihren Lebensunterhalt auf dem Rücken zu verdienen!
Ein weiteres Versprechen, das sie sich gegeben hatte.
Als sie ihren Umhang fester um ihre Leibesmitte schlang, fiel ihr Blick auf die nächste Straßenecke. Die Straßen von St. Giles waren gefährlich und unbarmherzig - wahrlich kein Platz für eine Dame.
Besonders nachts.
Natürlich war sie keine wirkliche Dame, nicht so wie Mama. Obwohl ihre Mutter seit Devons Geburt als Näherin gearbeitet hatte, wusste Devon, dass sie davor als Gouvernante angestellt gewesen war.
Aber die Gesellschaft, dachte sie mit einem Anflug von Bitterkeit, vergab einer unverheirateten Frau kein Kind an der Brust und hatte ihre Mutter in die Armut getrieben.
Unbewusst fuhr sie mit der Hand in die Tasche ihres Kleides. Warme Fingerspitzen streiften kaltes Metall. Sie tastete nach dem Kreuz. Erinnerungen schossen ihr durch den Kopf ... Als ihre Mutter den letzten Atemzug getan hatte, hatte Devon die Halskette aus deren Tasche ... in ihre eigene gleiten lassen. Der Verschluss war kaputt, weshalb ihre Mutter das Schmuckstück nicht mehr tragen konnte.
Devon hatte ihn aus Versehen beschädigt.
Zweimal in ihrem Leben hatte sie ihre Mutter zum Weinen gebracht. Sie hatte bittere Tränen vergossen, als Devon die Kette beschädigt hatte, und die Erinnerung daran rief noch immer einen stechenden Schmerz in ihrer Brust hervor. Devon wusste weder etwas über den Wert des Schmuckstücks noch hätte dieses Wissen einen Unterschied gemacht. Die Halskette war der kostbarste Besitz ihrer geliebten Mutter gewesen.
Jetzt war sie ihr wertvollster Besitz.
Niemals würde sie sich von dem Kleinod trennen. Niemals. Egal, welchen Preis sie dafür erzielen könnte, egal, wie sehr der Hunger an ihr nagte oder sie im Regen und in der Kälte übernachten müsste! Solange sie die Kette besaß, trug sie einen Teil ihrer Mutter bei sich.
Devon schlang sich den Umhang fester um die Schultern und wich einer Pfütze aus, die sich während des letzten Regengusses gesammelt hatte. Zu beiden Seiten schmiegten sich die Häuser wie zitternde Kinder gegen die beißende Kälte aneinander. Eine verwahrloste Frau schlief in einem Hauseingang, eingewickelt in eine zerschlissene Decke.
Trotz ihrer gerade getroffenen Entscheidung berührte dieser Anblick Devon im Innersten ihres Herzens. Ich möchte nicht so enden, dachte sie mit einem Anflug von Verzweiflung. Nicht so!Ihre Schritte verlangsamten sich. Mit einem Mal fiel ihr das Gasthaus in der Buckeridge Street ein, in dem sie gewohnt hatten, als sie jung war. Ein abscheulicher, übelriechender Ort voller Abschaum und Fäulnis, und beide, sie und Mama, hatten das Leben dort gehasst.
Schließlich wurde im Erdgeschoss eine Tür zugeschlagen.
Mit einem Mal war es totenstill.
Sebastian wusste, dass sein Vater sich mit einer Flasche Gin in sein Arbeitszimmer zurückziehen würde, dass seine Laune am nächsten Morgen fürchterlich sein würde und seine Augen rot unterlaufen und geschwollen sein würden. Sebastian konnte den zornigen Blick am folgenden Tag erahnen. Seine Reitstunde war für morgen angesetzt, und sein Papa sah ihm immer zu, wenn sie auf dem Landsitz wohnten. Der Junge war an die missbilligenden Kommentare gewöhnt, aber Papas Kritik würde sicherlich noch vernichtender als sonst ausfallen. Der Junge seufzte. Außerdem musste er versuchen, seinen jüngeren Bruder Justin von Papa fernzuhalten. Sebastian war vernünftig genug, seinen Vater nicht zu provozieren, wenn dieser schlecht gelaunt war, doch Justin ...
Lange, sehr lange lag der kleine Junge völlig bewegungslos im Dunkeln. Schließlich kroch er aus dem Bett und ging hinaus auf den Flur. In derartigen Nächten sah er immer nach seinem Bruder und seiner Schwester. Er wusste nicht, weshalb. Vielleicht, weil er der Älteste war - war es nicht seine Pflicht, über seine Geschwister zu wachen?
Leise schlich er den Korridor hinunter. Die Amme schlief bereits - aus ihrem Zimmer konnte er lautes Schnarchen vernehmen. Einmal hatte sie Sebastian kräftig ausgescholten, als sie ihn um Mitternacht in der Bibliothek entdeckt hatte. Sebastian hatte im Gegensatz zu anderen Kindern keine Angst vor der Dunkelheit; nur nachts hatte er die Gelegenheit, allein und unbeobachtet zu sein, was ihm sonst kaum gewährt wurde. Dann gab es keine Lehrer, die ihn drängelten, die Amme hatte kein wachsames Auge auf ihn, und auch die Dienerschaft war ihm nicht ständig auf den Fersen.
Lautlos glitt er am Schulzimmer vorbei in Justins Schlafgemach. Sein vier Jahre jüngerer Bruder schlief fest, hatte jedoch einen sorgenvollen Gesichtsausdruck, und seine Unterlippe stand trotzig vor. Schlechte Träume?, fragte sich Sebastian. Er strich liebevoll über das Haar seines Bruders, das ebenso dunkel war wie sein eigenes.
Im Nebenzimmer lag die dreijährige Julianna in ihre Decke eingekuschelt, hatte die Knie bis an die Brust gezogen und ihre Lieblingspuppe fest umklammert. Seidige, walnussbraune Löckchen verteilten sich über das Kopfkissen. Sebastian zog die mit Spitzen umsäumte Überdecke fester um den Körper seiner Schwester. Sie gleicht einem Engel, dachte er zärtlich.
Draußen hatte der Mond bereits den Zenith seiner nächtlichen Laufbahn überschritten. Er wirkte unnatürlich hell und groß. Hunderte von Sternen glitzerten und funkelten und schienen so nah, dass Sebastian glaubte, er müsse nur die Hand ausstrecken, um sie berühren zu können.
Bevor er sich versah, war er auch schon aus dem Haus geschlichen. Er schlenderte die Auffahrt entlang und blieb unter den ausladenden Zweigen einer stattlichen Ulme stehen. Bewegungslos verharrte er und starrte hinauf in den Ehrfurcht gebietenden Nachthimmel, als das Geraschel von Blättern auf der anderen Seite des Weges seine Aufmerksamkeit weckte.
Er blinzelte. "Mama?"
Seine Mutter konnte ihn im Schatten des Baumes nicht ausmachen.
Dann trat er hinter der Ulme hervor. Wie immer war seine Mutter ausgenommen modisch und elegant gekleidet. Sie trug einen karierten Damenmantel mit dazu passender Handtasche, und auf ihren rabenschwarzen Haaren saß eine mit Federn besetzte Haube.
So wie Julianna das Ebenbild eines Engels war, war seine Mama für ihn bei weitem das wunderschönste Geschöpf auf Erden.
Sie blieb abrupt stehen. "Sebastian!", rief sie gereizt. "Was um alles in der Welt machst du hier?"
Sebastian ging auf sie zu und sah sie mit seitlich geneigtem Kopf an. Obwohl er nur zehn Jahre zählte, war er bereits ein wenig größer als seine zierliche Mutter.
"Ich konnte nicht schlafen, Mama."
Sie gab keine Antwort, schien jedoch über das unerwartete Auftauchen ihres Sohnes verärgert zu sein.
Hinter ihr erspähte Sebastian eine Kutsche, die in der Biegung der Auffahrt zum Stehen kam. Seine Augen wurden zu Schlitzen. Er blickte von der Kutsche zu dem Koffer in der Hand seiner Mutter.
"Gehst du fort, Mama?"
Sie holte tief Luft. "Ja ... Ja, Liebes."
"Wohin fährst du, Mama?"
Der Gesichtsausdruck seiner Mutter erhellte sich unvermittelt. "Nun, ich weiß noch nicht genau! Vielleicht nach Paris", sagte sie dann vergnügt. "Oder Venedig. Oh ja, Venedig. Das Wetter ist dort wundervoll zu dieser Jahreszeit. Und es ist so lange her, dass ich dort war. Es ist so lange her, dass ich irgendwo auf dem Kontinent war."
Ein seltsames Gefühl machte sich in Sebastians Magen breit. Obwohl er noch jung war, wusste er, dass etwas nicht stimmte, wenn seine Mutter mitten in der Nacht fortfuhr.
"Venedig ist sehr weit weg, Mama. Gefällt es dir nicht auf Thurston Hall?" Es war unverständlich für Sebastian, wie jemand das prächtige Anwesen, die sauber gepflegten Gärten und die sanft geschwungene Hügelkette, die Thurston Hall umgab, nicht mögen konnte. Er liebte den Stammsitz seiner Familie. Sieben Generationen von Sterlings hatten hier das Licht der Welt erblickt. Wenn er keinen Unterricht hatte, gab es für ihn keine schönere Beschäftigung, als mit seinem Pony über die Hügel zu jagen.
Eines Tages, dachte er stolz, sobald er ein Mann war, würde Thurston Hall und der übrige Familienbesitz ihm gehören. Deshalb musste er dem Unterricht mit großem Eifer folgen und durfte sich nicht vor seiner Verantwortung drücken. Der Titel des Marquess und die damit einhergehenden Verpflichtungen waren nichts, das man auf die leichte Schulter nehmen durfte. Von all dem war es jedoch Thurston Hall, das ihm wirklich am Herzen lag.
Sebastian beobachtete seine Mutter, während er auf eine Antwort wartete. Die Marquise blickte verstohlen zur Kutsche. Die Tür war nun geöffnet, und Sebastian konnte die Umrisse eines Mannes ausmachen.
Dann drehte sich seine Mutter um. "Ich will nur ... Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Ich ertrage es nicht mehr, bei deinem Vater zu bleiben. Ich dachte, ich könnte Mutter und Ehefrau sein, aber ... es geht nicht. Dein Papa ist zu streng und ... Ich weiß, du bist jung, aber du kennst seine Launen. Ich sehne mich nach mehr, mein Liebes. Ich brauche Leben und Heiterkeit und Feste. Wenn ich bei ihm bleibe, werde ich gewiss ersticken!"
Sebastian wusste, dass seine Mutter nichts mehr liebte als bewundert zu werden und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Und er wusste, dass sie Liebhaber hatte. Vor nicht langer Zeit waren Gäste aus London zu Besuch gewesen. Besonders ein Mann hatte seine Mutter unverfroren angestarrt. Sebastian war sich darüber im Klaren, dass Männer seine Mama sehr gerne betrachteten. Kurz darauf waren die beiden auf die Terrasse geschlichen.
Sie hatten nicht bemerkt, dass Sebastian ihnen gefolgt war.
Dort hatten sie sich vor seinen Augen geküsst. Ein ... zwei ... drei leidenschaftliche Küsse.
Küsse, wie sie sich nie zwischen seinem Vater und seiner Mutter abgespielt hatten.
Natürlich wusste Mama nicht, dass er sie beobachtet hatte. Er hatte es ihr nicht erzählt. Er hatte sich niemandem anvertraut, besonders nicht seinem Vater, denn ihm war bewusst, dass dies einen erneuten Streit nach sich ziehen würde. An jenem Tag erfuhr Sebastian die Bedeutung des Wortes Untreue ...
Mamas Geliebter.
Es war ein Geheimnis, das er tief in seiner Seele vergraben hatte ...
Sebastian hatte das qualvolle Gefühl, dass der heutige Abend ein weiteres Geheimnis barg, das ihm zu hüten oblag.
"Daphne!", rief der Mann in der Kutsche.
Derselbe Mann, den Mama auf der Terrasse derart stürmisch geküsst hatte?, fragte sich Sebastian. Doch er wusste es nicht genau.
Seine Mutter wirbelte herum und winkte dem Herrn in der Kutsche, wandte sich dann erneut Sebastian zu, der die Lippen zusammenpresste.
"Ich muss gehen", sagte sie beherzt. "Na, komm. Gib mir einen Kuss."
Sebastian blieb stehen, wo er war, und das feuchte Gras durchnässte den Saum seines Nachtgewandes. Er fröstelte. "Papa wird verärgert sein", gab er zu Bedenken.
"Dein Papa ist immer verärgert. Nun geh ins Haus zurück und husch in dein Bett. Wirst du dich an meiner Statt um deinen Bruder und deine Schwester kümmern, mein Liebes?" Sie stieß ein kleines, helles Lachen aus. "Ach, warum frage ich überhaupt? Natürlich wirst du es tun. Du bist ein so guter Junge."
Sie lächelte und kniff ihm in die Wange. Und fast so, als hätte sie sich daran erinnern müssen, hauchte sie ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann lief sie zur Kutsche.
Einen Moment später half ihr der Mann beim Einsteigen. Für einen Augenblick, kurz bevor die Tür sich schloss, waren ihre Silhouetten im Mondlicht klar erkennbar. Der Mann beugte sich zu ihr hinab, und verschloss ihre Lippen leidenschaftlich mit seinem Mund.
Es war das letzte Mal, dass Sebastian seine geliebte Mama sah.
Ende März, 1815
Devon St. James war völlig ratlos.
In zwei Tagen war die Miete für das kleine Zimmer fällig, in dem sie lebte. Ihr Hauswirt, Mr Phillips, verlangte auf einmal einen skandalös hohen Betrag. Devon war nicht nur empört, sondern zugleich erstaunt, denn der Raum bot gerade einmal genügend Platz für einen Stuhl und das schmale Bett, das sie mit ihrer Mutter bis zu deren Tod geteilt hatte. Zu allem Unglück hatte der Schuft sie erst gestern von der Mieterhöhung in Kenntnis gesetzt.
"Diebische Elster", murmelte Devon entrüstet. Sie zog mitleidslos an den Schleifen ihrer Haube. Dieselbe Unbarmherzigkeit wurde den Bändern ihres wallenden Umhangs zuteil, den sie um ihre Schultern geworfen hatte. Ein altmodisches Kleidungsstück, dessen Saum ausgefranst, zerschlissen und für ihre zarte Figur viel zu groß war. Doch er erfüllte seinen Zweck - wie auch der Rest ihrer Garderobe - und dafür war sie dankbar.
Sie strich sich vorsichtig mit der Hand über die gerundete Wölbung ihres Bauches und hielt kurzzeitig vor dem Hintereingang des Crow's Nest inne, einer Taverne nahe des Strandes, in der sie arbeitete. Nachdem sie die Tür fest hinter sich geschlossen hatte, trat sie hinaus in die feuchte, in Nebelschwaden gehüllte Nacht. Es verging kein Abend, an dem sie den langen Heimweg durch das Gewirr dunkler Seitengässchen nicht fürchtete. Heute war es sogar noch später als sonst gewesen, als der letzte Gast aus der Schankstube getorkelt war. Um sich Mut zu machen, besann sich Devon darauf, dass sie den Weg nun bereits seit einem Jahr ohne Zwischenfälle zurückgelegt hatte.
Ein Jahr. Um Himmels willen, ein ganzes Jahr!
Für den Bruchteil einer Sekunde ließ eine Woge der Traurigkeit ihr Innerstes erkalten. Es kam ihr vor, als sei eine Ewigkeit vergangen! Den Verlust ihrer Mutter fühlte sie wie einen Messerstich, der sich tief in ihr Herz gebohrt hatte. Zuweilen fiel es ihr sehr schwer, nicht zu verzagen. Aber etwas tief in ihr gab sich nicht damit zufrieden, für immer als Bedienung zu arbeiten. Mama hatte es gehasst, dass sie dort arbeitete - ebenso wie sie selbst. Nein, sie würde ihre Hoffnungen und Träume nicht aufgeben. Sie war sogar fester entschlossen denn je zuvor ...
Eines Tages würde sie einen Ausweg aus St. Giles finden. Irgendeinen Ausweg ...
Dieses Versprechen hatte sie sich vor langer Zeit gegeben. Ein Versprechen, das sie unter keinen Umständen brechen wollte.
Wie sie dies allerdings bewerkstelligen sollte, war eine andere Sache, denn Phillips Worte klangen immer noch in ihrem Kopf nach. Es hatte sie große Überwindung gekostet, ihren Stolz hinunterzuschlucken und ihn anzuflehen. Wenn er ihr nur etwas mehr Zeit gewährte, um die Miete aufzutreiben ...
"Auf keinen Fall!", hatte er geknurrt. "Du zahlst, Fräulein, oder du wirst auf die Straße gesetzt!"
Sein aufbrausender Ärger ließ keinen Zweifel darüber offen, dass er meinte, was er sagte.
Welch ein Gauner, dachte sie düster. Sie verachtete ihn schon seit Jahren aus tiefster Seele, denn er hatte ihre Mutter immer unverschämt und grob behandelt. Doch so sehr sie Phillips zum Teufel schicken wollte, würde es ihre eigenen Schwierigkeiten nicht lösen.
Allein Geld könnte dies.
Während sie weiter in Richtung St. Martin's Lane schritt, dachte sie über die kostbaren Münzen nach, die sie in der linken Tasche ihres Kleides aufbewahrt hatte. Heute war ihr Lohn ausbezahlt worden. Noch vor einer Woche war sie so sicher gewesen, dass sie ein weiteres Kleid kaufen könnte, und sich somit ihre Aussichten auf eine bessere Anstellung erhöhen würden. Aber nun musste sie jeden Penny ihres Lohns für die Miete aufbringen ... wenn nicht sogar noch mehr.
Ein Schauder überlief sie, der nichts mit der kühlen Nachtluft zu tun hatte. Großer Gott, was wäre, wenn Phillips sie tatsächlich hinauswerfen würde?
Als sie um die nächste Straßenecke bog, gelang es ihr, die Furcht zu unterdrücken, die sich in ihrem Innersten ausgebreitet hatte. Stattdessen betrachtete sie aufmerksam die Umgebung. Es war still, so still, wie es nur in diesem Teil Londons sein konnte. Dunkelheit hatte die Dächer eingehüllt. Tagsüber drängelten Pferde und Kutschen um einen Platz in den engen Gassen, und das Rufen der Geschäftsleute, die sich trotz des regen Treibens bemerkbar machen wollten, füllte die Luft.
Ihr Umhang flatterte um ihre zierlichen Knöchel, als sie so rasch wie möglich nach Hause eilte - keine leichte Aufgabe angesichts ihres schwellenden Leibes. Einmal verlor sie auf dem rutschigen Kopfsteinpflaster die Balance, doch es gelang ihr gerade noch rechtzeitig, sich wieder zu fangen. Dabei ließ sie ihren Blick schweifen. Niemand war in der Nähe.
"Deiner Zwangslage wäre beizukommen, wenn du ab und zu einen der Gäste ins Hinterzimmer begleiten würdest", hatte Bridget heute festgestellt. "So verdiene ich mir den einen oder anderen Shilling hinzu, wenn ich in Geldnöten bin."
Die Leichtfertigkeit, mit der sie ihr diese Belehrung erteilt hatte, war bestürzend. Obwohl Devon wusste, dass Bridget es gut mit ihr meinte, würde sie ihren Rat natürlich nicht annehmen. Sie weigerte sich, ihren Lebensunterhalt auf dem Rücken zu verdienen!
Ein weiteres Versprechen, das sie sich gegeben hatte.
Als sie ihren Umhang fester um ihre Leibesmitte schlang, fiel ihr Blick auf die nächste Straßenecke. Die Straßen von St. Giles waren gefährlich und unbarmherzig - wahrlich kein Platz für eine Dame.
Besonders nachts.
Natürlich war sie keine wirkliche Dame, nicht so wie Mama. Obwohl ihre Mutter seit Devons Geburt als Näherin gearbeitet hatte, wusste Devon, dass sie davor als Gouvernante angestellt gewesen war.
Aber die Gesellschaft, dachte sie mit einem Anflug von Bitterkeit, vergab einer unverheirateten Frau kein Kind an der Brust und hatte ihre Mutter in die Armut getrieben.
Unbewusst fuhr sie mit der Hand in die Tasche ihres Kleides. Warme Fingerspitzen streiften kaltes Metall. Sie tastete nach dem Kreuz. Erinnerungen schossen ihr durch den Kopf ... Als ihre Mutter den letzten Atemzug getan hatte, hatte Devon die Halskette aus deren Tasche ... in ihre eigene gleiten lassen. Der Verschluss war kaputt, weshalb ihre Mutter das Schmuckstück nicht mehr tragen konnte.
Devon hatte ihn aus Versehen beschädigt.
Zweimal in ihrem Leben hatte sie ihre Mutter zum Weinen gebracht. Sie hatte bittere Tränen vergossen, als Devon die Kette beschädigt hatte, und die Erinnerung daran rief noch immer einen stechenden Schmerz in ihrer Brust hervor. Devon wusste weder etwas über den Wert des Schmuckstücks noch hätte dieses Wissen einen Unterschied gemacht. Die Halskette war der kostbarste Besitz ihrer geliebten Mutter gewesen.
Jetzt war sie ihr wertvollster Besitz.
Niemals würde sie sich von dem Kleinod trennen. Niemals. Egal, welchen Preis sie dafür erzielen könnte, egal, wie sehr der Hunger an ihr nagte oder sie im Regen und in der Kälte übernachten müsste! Solange sie die Kette besaß, trug sie einen Teil ihrer Mutter bei sich.
Devon schlang sich den Umhang fester um die Schultern und wich einer Pfütze aus, die sich während des letzten Regengusses gesammelt hatte. Zu beiden Seiten schmiegten sich die Häuser wie zitternde Kinder gegen die beißende Kälte aneinander. Eine verwahrloste Frau schlief in einem Hauseingang, eingewickelt in eine zerschlissene Decke.
Trotz ihrer gerade getroffenen Entscheidung berührte dieser Anblick Devon im Innersten ihres Herzens. Ich möchte nicht so enden, dachte sie mit einem Anflug von Verzweiflung. Nicht so!Ihre Schritte verlangsamten sich. Mit einem Mal fiel ihr das Gasthaus in der Buckeridge Street ein, in dem sie gewohnt hatten, als sie jung war. Ein abscheulicher, übelriechender Ort voller Abschaum und Fäulnis, und beide, sie und Mama, hatten das Leben dort gehasst.
... weniger
Autoren-Porträt von Samantha James
Samantha James ist ein Pseudonym. Die Autorin gehört zu den erfolgreichsten Verfasserinnen historischer Liebesromane und verlor sich schon in ihrer Kindheit am liebsten in romantischen Geschichten mit Happyend.
Bibliographische Angaben
- Autor: Samantha James
- 2005, 411 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Brammertz, Beate
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453490371
- ISBN-13: 9783453490376
Kommentar zu "Verlockende Versuchung"
0 Gebrauchte Artikel zu „Verlockende Versuchung“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Verlockende Versuchung".
Kommentar verfassen