Verschleierte Flucht
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Beck schildert beeindruckend Lebensbedingungen und Einstellungen der Menschen, denen sie begegnet ist. Ihre Liebe zu Land und Leuten kontrastiert mit der brisanten politischen Weltlage, die sich mit einem Mal um sie zusammenballt. Denn Ost- und West-Geheimdienste sind ihr auf der Spur, um ihre Geschichte zu ihren Zwecken zu instrumentalisieren.
Doch die abenteuerliche Flucht birgt viele Gefahren. Zu Fuß und auf Eseln muß Beck die zerklüfteten Berge des Hindukusch bezwingen, muß durch Regen, Schnee und zerstörte Dörfer, vorbei an Blindgängern und sowjetischen Militärposten ...
Verschleierte Flucht von Kerstin Beck
LESEPROBE
Allahs istder Osten und der Westen.
Er leitet, wen Er will,
auf den geraden Weg.
(Koran 2.142)
Verschleierung
Kabul, Mittwoch 14. 3. 1984, 6.30 h
Am 13. März, Dienstagabend, war ichmit Assad-Ullah, einem Gebietskommandanten derafghanischen Freiheitskämpfer, den Mudschahedin,im Haus seiner Mutter am südlichen Stadtrand von Kabul eingetroffen. Ich hattedie herzliche Gastfreundschaft der Familie genossen, war begrüßt worden wie eineheimgekehrte Tochter und saß bis in die Nacht mit den Frauen des Hauseszusammen auf den am Boden liegenden Baumwollmatten, trank Tee und redete mitihnen über das für sie wichtigste Thema überhaupt: die Familie. Sie fragtenmich über alles aus, was sie dabei interessierte. »Hast du Mutter und Vater?« - »Ja.« - »Leben die noch?« - »Ja.«- »Hast du Geschwister?« - »Ja, eine Schwester.« -»Hast du einen Mann und Kinder?« - »Nein.« - »Warumnicht, du bist doch schon 24, du musst bald heiraten, sonst bist du zu alt.« - »Seit wann bist du in Kabul?«- »Seit sechs Monaten. « - »Was hast du an der Universität gemacht?« - »Paschtu und Dari studiert.« - »Warum willst dunach Pakistan?« - »Ich will nicht zurück in die DDR.« - »Ist das Ostdeutschland?« - »Ja.«- »Da regieren doch die Kommunisten.« - »Ja.« Schließlichsagte eine ältere Frau: »Es ist gut, dass du mit dem Kommunismus Schlussgemacht hast. Hier wollen sie auch den Kommunismus einführen. Aber diese neuenSitten in Kabul sind schlecht für unser Land. Mein Sohn wird dir helfen, nachPakistan zu kommen. Dann kannst du entscheiden, was du tun willst. Kennst duauch die Kalima?« »Ja«,antwortete ich und dankte im Stillen meinen Professoren der Humboldt-Universiätin Berlin für den umfassenden Islamkunde-Unterricht, der auch dasGlaubensbekenntnis der Moslems zum Inhalt hatte. »Sag sie doch mal auf!«, forderte mich eine andere Frau auf. So sprach ich zurZufriedenheit aller die drei arabischen Kalima,die für mich wie Zauberformeln wirkten: »Bismillahar-Rahman ner-Rahim -Im Namen Allahs, des Erbarmers des Barmherzigen. Laillah-hi illala wa Muhammad Rassul Allah - Esgibt keinen Gott außer Allah und Mohammad ist sein Gesandter. Allah-hu akbar -Allah ist größer.« »Afarin- ausgezeichnet«, lobten mich die Frauen und nickten mir lächelnd zu. »Ah,du bist Muslima geworden, gut, gut«, kommentierte dieMadar-Kalan, die Oma, aus ihrer Ecke, »willstdu nicht einen Mudschahed heiraten?« Ich warbelustigt über das Angebot und versteckte mein Gesicht hinter den Händen. Ichkonnte ja nicht wissen, wie ernst sie das meinte. Und was ich zu dem Zeitpunktnoch nicht ahnte: Das gleiche Angebot würde mir noch des Öfteren unterbreitet werden.Nachdem nun alles gefragt und gesagt war, verteilten die Frauen und Mädchenweitere Matratzen im Zimmer, die sie von einem hohen Stapel aus der Ecke desZimmers holten. Endlich legten sich alle schlafen. Die Frauen und Kinder schliefenin einem Zimmer, die Männer und älteren Jungen, die sich nicht im Frauenzimmeraufhalten durften, in einem Nebenzimmer. Aufgeregt vom Ausgang dieses Tages,drehte ich mich noch hin und her und schlief dann schließlich ein. Mitten inder Nacht wachte ich auf, weil ich Bauchkrämpfe hatte und dringend auf dieToilette musste. Traditionelle afghanische Häuser haben jedoch keine Toilettemit Sitz und Wasserspülung, sondern man geht im wahrsten Sinne des Wortes aufdas Häuschen im Hof. Man muss eine kleine Holz- oder Lehmtreppe hochsteigen, umauf das Dach des Toilettenhäuschens zu gelangen. Dort zielt man in ein kleinesLoch in der Mitte des Daches das große Geschäft, während das kleine Geschäfteine Lehmrinne entlangläuft und draußen in denoffenen stinkenden Abwasserkanal tropft. Damit man dabei nicht nass wird odereinen Sonnenstich bekommt, gibt es immerhin ein Dach darüber. Die Seiten sindhalb hoch ummauert. Alle paar Wochen wird das Innere des Häuschens entleert undals Dung für die Felder verwendet. Ich schlich mich also nach reiflicherÜberlegung aus dem Zimmer. »Kudscha meeri? - Wo gehst du hin?«,wollte gleich eine wachsame männliche Stimme aus der Ecke des Hofes wissen. »AufsKlo«, flüsterte ich zurück. »Weißt du, wo es ist? Brauchst du Hilfe?«, fragte die Stimme wieder. »Ja, ich weiß, wo es ist, undnein, danke, ich brauche keine Hilfe. Es geht schon«, flüsterte ich soentschlossen wie möglich und kletterte die ausgetretenen Stufen der Holztreppehoch. Ein greller Lichtblitz blendete mich unvermittelt, ich fühlte michirgendwie ertappt. Doch es war nur einer der zwei riesigen Scheinwerfer auf demAsamai-Berg mitten in Kabul, der die Stadt unddie umliegenden Berge ableuchtete, um Mudschahedin aufzuspürenund bei ihren vorwiegend nächtlichen Aktionen zu stören. Heute Morgen, es warnoch stockdunkel draußen, sollte ich mich umziehen, mir afghanische Kleidunganziehen: eine weiße, lange, pyjamaartige Hose mit Spitzenmuster am unteren Randund einem sehr weiten Bund, der von einer Schnur zusammengerafft und gehaltenwird, ein weinrotes wadenlanges Kleid aus dickem Baumwollstoff mit kleinenaufgedruckten schwarzen Blüten, etwas zu kleine afghanische Pumps, einen weißenHaarschleier und darüber einen ausgewaschenen grünen afghanischenPlisseeschleier, wie ihn viele Frauen in der Stadt tragen. Mir war erklärtworden, wie man den Schleier hochklappt, so dass der vordere bestickte, nur biszu den Knien reichende Teil auf dem Kopf liegt, während der Plisseestoff weiterhinden Rücken verhüllt, und was ich machen muss, wenn das Kopfteil, an dem derganze Schleier angenäht ist, verrutscht. »Wenn der Schleier nach hintenrutscht, ziehst du innen an dem kleinen angenähten Stoffläppchen unterhalb desGitters. Außerdem kannst du dir damit die Nase abwischen, wenn sie tropft. BeimLaufen hältst du mit der linken Hand die Vorderseite zu, damit der Schleiernicht so rumflattert«, hatte mich Bibi Dschan in dieGeheimnisse der Tschadri eingeführt. »Eigentlicheine sehr praktische Sache, dieser Schleier«, sagte ich, »man kann darunter soallerhand verstecken: Männer zum Beispiel oder Waffen oder Ausländerinnen wiemich jetzt.« Nachdem ich fertig angezogen war, bandBibi Dschan meine Jeans, den Pullover, eineSteppjacke und die Stiefel in ein Tuch und drückte mir das Bündel in die Hand.Meine Papiere wie Pass, Abiturzeugnis und Studienbuch, dazu Taschentücher, meineZahnbürste, Zahncreme, Creme, Kopfschmerztabletten und afghanisches Geld hatte ichin meiner kleinen afghanischen, ledernen Umhängetasche. Diese verbreitete eineneinmaligen, typischen, herb-süßlichen Geruch, der von der traditionellen Artdes Gerbens herrührte und Jahrzehnte anhält. Im Hof wartete schon ihr Sohn undmahnte zur Eile. Es war kurz vor halb sieben, und die Sonne ging eben aufhinter den Bergen östlich von Kabul. Wir verabschiedeten uns herzlich voneinander,und die Zurückbleibenden wünschten uns alles Gute. Dann stieg ich ohne zuzögern in das bereitstehende Taxi. Kommandant Assad-Ullahsetzte sich nach vorne zum Fahrer, den ich als den vom gestrigen Abend wiedererkannte. ( )
© Ullstein Buchverlage
- Autor: Kerstin Beck
- 2006, 269 Seiten, 8 Abbildungen, Maße: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548368514
- ISBN-13: 9783548368511
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