Wahnsinn mit Methode
Finanzcrash und Weltwirtschaft
Die Bankenkrise, die sich zu einer neuen Weltwirtschaftskrise auswächst, ist ein Thema, das uns alle angeht. Sahra Wagenknecht diskutiert in ihrem neuen Buch "Wahnsinn mit Methode" den globalen Finanzcrash, den man in Fachkreisen schon lange...
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Produktinformationen zu „Wahnsinn mit Methode “
Die Bankenkrise, die sich zu einer neuen Weltwirtschaftskrise auswächst, ist ein Thema, das uns alle angeht. Sahra Wagenknecht diskutiert in ihrem neuen Buch "Wahnsinn mit Methode" den globalen Finanzcrash, den man in Fachkreisen schon lange vorausgesehen hat, und entwirft Entwicklungsperspektiven. Sie analysiert die Funktionsweise der internationalen Finanzmärkte und erklärt, weshalb die globalen Finanzjongleure allein die Krise nicht mehr in den Griff bekommen können. Wagenknecht zeigt, welche Auswege sich durch eine undogmatische, marxistisch geprägte Denkweise auftun können. Ein Buch von höchster Aktualität und Brisanz.
Lese-Probe zu „Wahnsinn mit Methode “
Wahnsinn mit Methode von Sahra Wagenknecht Vorwort
Nichts gilt mehr, und alles ist auf einmal anders. Banker, Politiker und sogenannte Wirtschaftsexperten, die uns über Jahre mit eifernder Borniertheit das Loblied freier Märkte vorgesungen haben und noch gestern den Staat zu wirtschaftlicher Abstinenz und Demut verdammen wollten, nehmen denselben Staat heute ohne auch nur ein Gefühl von Peinlichkeit in die Pflicht. Der Ruf nach Deregulierung, Privatisierung und Marktorientierung, das Mantra des Neoliberalismus, wirkt plötzlich so altbacken und unzeitgemäß wie in den 90er Jahren die Forderung nach Verstaatlichung zentraler Wirtschaftsbereiche, die damals nur wenige Linke noch vorzutragen wagten.
Zu den ersten Renditefreunden, die die Zeichen der neuen Zeit erkannt hatten, gehörte der Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der schon im März 2008 die Öffentlichkeit mit der Bemerkung aufstörte, er glaube nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes und fordere daher »eine konzertierte Aktion von Notenbanken, Anlegern und Regierungen, um dieses Zusammenschmelzen von Werten endlich zu beenden«.
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Ackermann war nicht der einzige, der die ungezügelten Märkte auf einmal gar nicht mehr heilsam fand. Ins gleiche Horn blies wenige Zeit später der Lobbyverband der europäischen Banken, die European Banking Federation, der die EU-Institutionen im April um eine »public policy action« anschnorrte, weil die Märkte »sich nicht mehr allein helfen« könnten. Ganz im Trend propagiert seither auch das Handelsblatt, dass »der Kapitalismus […] zurzeit nur mit Hilfe des Staates überleben« könne und »die Vorstellung, dass Märkte alles regeln können […], Lügen gestraft« werde.
Der Kapitalismus ist sichtlich in schlechter Verfassung. Stolze Brokerhäuser mit über hundert Jahren Tradition und Vermögenswerten von mehr als einer halben Billion Dollar brechen zusammen wie Kartenhäuser, in die plötzlich der Wind hineinweht. Von den fünf großen Investmentbanken, die über Jahrzehnte das Geschehen an den internationalen Finanzmärkten mitbestimmt haben, waren als eigenständige Institute im Oktober 2008 gerade noch zwei übrig, und auch die waren keine Investmentbanken mehr. Der Pleitegeier kreist und sucht sich immer neue Opfer. Versicherungsriesen, Hedgefonds, Hypothekenfinanzierer, Banken, große, kleine. Sie straucheln, fallen, sterben – oder retten sich in den warmen Schoß von Mutter Staat.
Denn inzwischen ist Josef Ackermann am Ziel. Mit lässiger Geste, als ginge es um Peanuts, schnüren Politiker diesseits und jenseits des Atlantik billionenschwere Carepakete, um ein manisch-depressiv gewordenes Finanzsystem vor dem Selbstmord zu bewahren. Rettungsschirme werden aufgespannt, giftige Papiere auf Steuerzahlers Rechnung eingekauft, morbide Banken durch Kapitalspritzen und Einlagegarantien wieder hochgepäppelt. In Musterländern des ungezügelten Kapitalismus, den USA und Großbritannien, werden zentrale Bereiche des Finanzsektors kurzerhand verstaatlicht. Der französische Präsident Sarkozy fordert sogar, was mancher noch vor kurzem im Programm der Linken lieber nicht haben wollte: Staatseigentum in Schlüsselindustrien. Der geschmähte Staat wird zum letzten Rettungsanker der Finanzpaläste und Vermögensmilliarden. »Privat vor Staat« hat ausgedient. Um die ungenießbare Suppe auszulöffeln, die die Finanzhaie und Renditejäger sich und der Welt eingebrockt haben, ist die öffentliche Hand allemal noch gut genug.
Dass ein außer Rand und Band geratenes Finanzsystem Wachstum und Wohlstand schädigt und zerstört, liegt freilich nicht erst seit Beginn der aktuellen Krise auf der Hand. Infolge der Deregulierung gab es in den letzten zwei Jahrzehnten mehr Finanzblasen und ihnen folgende Zusammenbrüche als in den zwei Jahrhunderten zuvor. Anstelle der unsichtbaren Hand »effizienter Märkte«, die die globale Ersparnis mit weiser Voraussicht in die nützlichsten Verwendungen lenkt, spielten und spielen Hedgefonds und Investmentbanker im globalen Finanzkasino Russisch Roulette. Hyperliquide Finanzinvestoren erpressen Entlassungen, Dumpinglöhne, längere Arbeitszeiten und die Einschränkung von Investitionen, um ihren Anteilseignern immer unverschämtere Summen ins Portefeuille zu schütten. Kreditgepanzerte Private Equity-Piraten filetieren vormals gesunde Unternehmen und zwingen ihnen unerträgliche Schulden auf. Neue Formen der Spekulation und hochkomplexe Derivate, deren Struktur selbst ihre Schöpfer nicht mehr verstehen, sorgen seit Jahren für Schlagzeilen.
Aber so lange sich mit all dem viel Geld verdienen ließ, lohnte das Spiel, und die grenzenlose Freiheit der Märkte beziehungsweise derer, die sich auf ihnen austoben dürfen, galt als heilig. Erst seit der freie Markt dazu übergegangen ist, die Profite und Vermögen mit gleicher Brutalität wieder zu vernichten, mit der er sie einst hervorgebracht hatte, ist sein Ansehen rapide gesunken.
Zumal nicht nur die Finanzhaie kränkeln. Auch um die reale Wirtschaft ist es schlecht bestellt. Deutsche Autobauer kündigen Massenentlassungen an und schicken ihre Beschäftigten in ungewollte Ferientage. Auch andere Branchen melden ernste Krisensymptome. Aufträge brechen ein, Kredite werden rar und teuer. Angst geht um: Vor einem Absturz, der tiefer ist als alles, was die heutigen Generationen an Einbrüchen und Krisen bisher in ihrer Lebenszeit erfahren haben. Schon als sich vor den Schaltern des britischen Bankhauses Northern Rock lange Schlangen verängstigter Kunden bildeten, kamen dunkle Erinnerungen auf. Erinnerungen an Bilder aus Geschichtsbüchern, deren Möglichkeit zur Wiederkehr die Ideologen der Markteffizienz ein halbes Jahrhundert lang erfolgreich verdrängt hatten. Zwar melden sich, sobald einige Wochen ohne größere Katastrophen vergehen, seit Beginn der Krise im Sommer 2007 in schöner Regelmäßigkeit die Gesundbeter zurück, die unverzagt vorhersagen, dass das Schlimmste überstanden sei und die internationale Finanzwelt sich auf dem Wege der Gesundung befinde. Aber ein solches Pfeifen im Walde kennt man ja. Erinnert sei an die unsterbliche Prognose der renommierten Harvard Economic Society vom November 1929, »dass eine ernsthafte Depression außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt. Wir haben auch nicht mit anhaltenden Liquidationen [auf dem Aktienmarkt] zu rechnen. « Ein Jahr später befand sich die Weltwirtschaft im Würgegriff der bis dahin verheerendsten Krise in der Geschichte des Kapitalismus, die Aktienkurse waren ins Bodenlose gefallen und auch die Harvard Economic Society befand sich in Liquidation, zumindest letzteres verdientermaßen.
Vielleicht um dieses Schicksal nicht dereinst teilen zu müssen, verbreiten gegenwärtig auffallend wenige Wirtschaftsinstitute Optimismus. Die seriöseren stimmen die Öffentlichkeit darauf ein, dass das alles wahrscheinlich erst der Anfang war und es so glimpflich wie nach den letzten Krisen – etwa dem Platzen der Internet-Blase – diesmal nicht abgehen wird. Der IWF korrigierte seine Schätzung der erwartbaren Verluste aus dem Finanzdesaster schon dreimal nach oben: Ausfälle in der Größenordnung von 1.400 Milliarden Dollar werden jetzt erwartet. Selbst damit liegt der IWF längst nicht am oberen Ende. Die Bank of England prognostiziert inzwischen globale Verluste aus der Finanzkrise in Höhe von 2.800 Milliarden Dollar. Das ist mehr, als die gesamte deutsche Wirtschaft in einem Jahr an Gütern und Leistungen produziert. Bleibt es dabei, ist der Verlust, den irgendjemand am Ende ausbaden muss, immerhin so groß, als hätten alle Beschäftigten in Deutschland sich über ein Jahr lang auf die faule Haut gelegt. Und wohlgemerkt: Hier geht es nicht um realwirtschaftliche Folgeschäden, sondern nur um faule Kredite und wertlos gewordene Finanzpapiere.
Unversehens sind die 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts in die Tageszeitungen und Talkshows zurückgekehrt. Dass wir heute auf eine globale Wirtschaftskrise vergleichbaren Ausmaßes zusteuern, wird zwar nur von wenigen Ökonomen vorhergesagt, aber von bedenklich vielen immerhin für möglich gehalten. Tatsächlich gibt es zwischen den 20er Jahren und den Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit beunruhigende Parallelen. Damals wie heute war die Einkommensverteilung in den Industrieländern über die Jahre immer ungleicher geworden und hatte schließlich perverse Ausmaße erreicht. 1929 wurde in den USA ein Drittel aller Einkommen von 5 Prozent der Bevölkerung eingestrichen. Die reichsten 1 Prozent besaßen 36 Prozent des gesamten Geldvermögens. Heute liegt deren Vermögensanteil bei etwa der Hälfte und auch die Konzentration der Einkommen ist annähernd so hoch wie damals.
Weil wenige sehr viel mehr verdienten, als sie konsumieren konnten, und viele weit weniger, als sie gern konsumiert hätten, lohnte es in den 20er Jahren kaum noch, in die Ausweitung der Produktion realer Güter zu investieren. Stattdessen rollte eine Welle von Unternehmens-Fusionen und Zusammenschlüssen, in deren Ergebnis immer größere und marktmächtigere Trusts und Kartelle entstanden. Deren satte Gewinne wie auch das Geld der immer reicheren Oberschicht fluteten die Wall Street. Auch damals war der globale Kapitalverkehr unreguliert und unkontrolliert. Geld aus aller Herren Länder war am Aufblähen der riesigen Spekulationsblase auf dem amerikanischen Aktienmarkt kräftig beteiligt, und ein internationaler Strom von Gold und Silber half außerdem, immer größere weltwirtschaftliche Ungleichgewichte für eine gewisse Zeit zu überbrücken.
Natürlich gibt es auch gravierende Unterschiede zwischen der Gegenwart und der Zeit vor achtzig Jahren. Die Kapitalströme rasen heute per Knopfdruck als digitale Ziffern in Computern von Kontinent zu Kontinent, und sie haben Größenordnungen erreicht, die das Vorstellungsvermögen der damaligen Finanzjongleure weit überstiegen hätten. Auch verschifft heute niemand mehr Ladungen von Gold- und Silberbarren, um Defizite in der Leistungsbilanz auszugleichen. Die globale Wirtschaft ist ungleich vernetzter und verflochtener als ein Jahrhundert zuvor. Im Vergleich zu den Umsätzen der Weltkonzerne unserer Zeit waren die amerikanischen Trusts der 20er Jahre kleinwüchsige Zwerge.
Aber eine wichtige Übereinstimmung bleibt: Damals wie heute sind Finanzblasen nicht einfach das Werk unmoralischer Spekulanten oder angelsächsischer Investmentmethoden, die zu beklagen inzwischen wieder populär geworden ist. Der endlose Finanzschaum quillt vielmehr aus den Lebensadern eines Wirtschaftssystems, in dem nur produziert und investiert wird, wenn die Rendite für die Kapitalgeber stimmt.
© Das Neue Berlin Verlag
Der Kapitalismus ist sichtlich in schlechter Verfassung. Stolze Brokerhäuser mit über hundert Jahren Tradition und Vermögenswerten von mehr als einer halben Billion Dollar brechen zusammen wie Kartenhäuser, in die plötzlich der Wind hineinweht. Von den fünf großen Investmentbanken, die über Jahrzehnte das Geschehen an den internationalen Finanzmärkten mitbestimmt haben, waren als eigenständige Institute im Oktober 2008 gerade noch zwei übrig, und auch die waren keine Investmentbanken mehr. Der Pleitegeier kreist und sucht sich immer neue Opfer. Versicherungsriesen, Hedgefonds, Hypothekenfinanzierer, Banken, große, kleine. Sie straucheln, fallen, sterben – oder retten sich in den warmen Schoß von Mutter Staat.
Denn inzwischen ist Josef Ackermann am Ziel. Mit lässiger Geste, als ginge es um Peanuts, schnüren Politiker diesseits und jenseits des Atlantik billionenschwere Carepakete, um ein manisch-depressiv gewordenes Finanzsystem vor dem Selbstmord zu bewahren. Rettungsschirme werden aufgespannt, giftige Papiere auf Steuerzahlers Rechnung eingekauft, morbide Banken durch Kapitalspritzen und Einlagegarantien wieder hochgepäppelt. In Musterländern des ungezügelten Kapitalismus, den USA und Großbritannien, werden zentrale Bereiche des Finanzsektors kurzerhand verstaatlicht. Der französische Präsident Sarkozy fordert sogar, was mancher noch vor kurzem im Programm der Linken lieber nicht haben wollte: Staatseigentum in Schlüsselindustrien. Der geschmähte Staat wird zum letzten Rettungsanker der Finanzpaläste und Vermögensmilliarden. »Privat vor Staat« hat ausgedient. Um die ungenießbare Suppe auszulöffeln, die die Finanzhaie und Renditejäger sich und der Welt eingebrockt haben, ist die öffentliche Hand allemal noch gut genug.
Dass ein außer Rand und Band geratenes Finanzsystem Wachstum und Wohlstand schädigt und zerstört, liegt freilich nicht erst seit Beginn der aktuellen Krise auf der Hand. Infolge der Deregulierung gab es in den letzten zwei Jahrzehnten mehr Finanzblasen und ihnen folgende Zusammenbrüche als in den zwei Jahrhunderten zuvor. Anstelle der unsichtbaren Hand »effizienter Märkte«, die die globale Ersparnis mit weiser Voraussicht in die nützlichsten Verwendungen lenkt, spielten und spielen Hedgefonds und Investmentbanker im globalen Finanzkasino Russisch Roulette. Hyperliquide Finanzinvestoren erpressen Entlassungen, Dumpinglöhne, längere Arbeitszeiten und die Einschränkung von Investitionen, um ihren Anteilseignern immer unverschämtere Summen ins Portefeuille zu schütten. Kreditgepanzerte Private Equity-Piraten filetieren vormals gesunde Unternehmen und zwingen ihnen unerträgliche Schulden auf. Neue Formen der Spekulation und hochkomplexe Derivate, deren Struktur selbst ihre Schöpfer nicht mehr verstehen, sorgen seit Jahren für Schlagzeilen.
Aber so lange sich mit all dem viel Geld verdienen ließ, lohnte das Spiel, und die grenzenlose Freiheit der Märkte beziehungsweise derer, die sich auf ihnen austoben dürfen, galt als heilig. Erst seit der freie Markt dazu übergegangen ist, die Profite und Vermögen mit gleicher Brutalität wieder zu vernichten, mit der er sie einst hervorgebracht hatte, ist sein Ansehen rapide gesunken.
Zumal nicht nur die Finanzhaie kränkeln. Auch um die reale Wirtschaft ist es schlecht bestellt. Deutsche Autobauer kündigen Massenentlassungen an und schicken ihre Beschäftigten in ungewollte Ferientage. Auch andere Branchen melden ernste Krisensymptome. Aufträge brechen ein, Kredite werden rar und teuer. Angst geht um: Vor einem Absturz, der tiefer ist als alles, was die heutigen Generationen an Einbrüchen und Krisen bisher in ihrer Lebenszeit erfahren haben. Schon als sich vor den Schaltern des britischen Bankhauses Northern Rock lange Schlangen verängstigter Kunden bildeten, kamen dunkle Erinnerungen auf. Erinnerungen an Bilder aus Geschichtsbüchern, deren Möglichkeit zur Wiederkehr die Ideologen der Markteffizienz ein halbes Jahrhundert lang erfolgreich verdrängt hatten. Zwar melden sich, sobald einige Wochen ohne größere Katastrophen vergehen, seit Beginn der Krise im Sommer 2007 in schöner Regelmäßigkeit die Gesundbeter zurück, die unverzagt vorhersagen, dass das Schlimmste überstanden sei und die internationale Finanzwelt sich auf dem Wege der Gesundung befinde. Aber ein solches Pfeifen im Walde kennt man ja. Erinnert sei an die unsterbliche Prognose der renommierten Harvard Economic Society vom November 1929, »dass eine ernsthafte Depression außerhalb des Bereichs des Möglichen liegt. Wir haben auch nicht mit anhaltenden Liquidationen [auf dem Aktienmarkt] zu rechnen. « Ein Jahr später befand sich die Weltwirtschaft im Würgegriff der bis dahin verheerendsten Krise in der Geschichte des Kapitalismus, die Aktienkurse waren ins Bodenlose gefallen und auch die Harvard Economic Society befand sich in Liquidation, zumindest letzteres verdientermaßen.
Vielleicht um dieses Schicksal nicht dereinst teilen zu müssen, verbreiten gegenwärtig auffallend wenige Wirtschaftsinstitute Optimismus. Die seriöseren stimmen die Öffentlichkeit darauf ein, dass das alles wahrscheinlich erst der Anfang war und es so glimpflich wie nach den letzten Krisen – etwa dem Platzen der Internet-Blase – diesmal nicht abgehen wird. Der IWF korrigierte seine Schätzung der erwartbaren Verluste aus dem Finanzdesaster schon dreimal nach oben: Ausfälle in der Größenordnung von 1.400 Milliarden Dollar werden jetzt erwartet. Selbst damit liegt der IWF längst nicht am oberen Ende. Die Bank of England prognostiziert inzwischen globale Verluste aus der Finanzkrise in Höhe von 2.800 Milliarden Dollar. Das ist mehr, als die gesamte deutsche Wirtschaft in einem Jahr an Gütern und Leistungen produziert. Bleibt es dabei, ist der Verlust, den irgendjemand am Ende ausbaden muss, immerhin so groß, als hätten alle Beschäftigten in Deutschland sich über ein Jahr lang auf die faule Haut gelegt. Und wohlgemerkt: Hier geht es nicht um realwirtschaftliche Folgeschäden, sondern nur um faule Kredite und wertlos gewordene Finanzpapiere.
Unversehens sind die 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts in die Tageszeitungen und Talkshows zurückgekehrt. Dass wir heute auf eine globale Wirtschaftskrise vergleichbaren Ausmaßes zusteuern, wird zwar nur von wenigen Ökonomen vorhergesagt, aber von bedenklich vielen immerhin für möglich gehalten. Tatsächlich gibt es zwischen den 20er Jahren und den Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit beunruhigende Parallelen. Damals wie heute war die Einkommensverteilung in den Industrieländern über die Jahre immer ungleicher geworden und hatte schließlich perverse Ausmaße erreicht. 1929 wurde in den USA ein Drittel aller Einkommen von 5 Prozent der Bevölkerung eingestrichen. Die reichsten 1 Prozent besaßen 36 Prozent des gesamten Geldvermögens. Heute liegt deren Vermögensanteil bei etwa der Hälfte und auch die Konzentration der Einkommen ist annähernd so hoch wie damals.
Weil wenige sehr viel mehr verdienten, als sie konsumieren konnten, und viele weit weniger, als sie gern konsumiert hätten, lohnte es in den 20er Jahren kaum noch, in die Ausweitung der Produktion realer Güter zu investieren. Stattdessen rollte eine Welle von Unternehmens-Fusionen und Zusammenschlüssen, in deren Ergebnis immer größere und marktmächtigere Trusts und Kartelle entstanden. Deren satte Gewinne wie auch das Geld der immer reicheren Oberschicht fluteten die Wall Street. Auch damals war der globale Kapitalverkehr unreguliert und unkontrolliert. Geld aus aller Herren Länder war am Aufblähen der riesigen Spekulationsblase auf dem amerikanischen Aktienmarkt kräftig beteiligt, und ein internationaler Strom von Gold und Silber half außerdem, immer größere weltwirtschaftliche Ungleichgewichte für eine gewisse Zeit zu überbrücken.
Natürlich gibt es auch gravierende Unterschiede zwischen der Gegenwart und der Zeit vor achtzig Jahren. Die Kapitalströme rasen heute per Knopfdruck als digitale Ziffern in Computern von Kontinent zu Kontinent, und sie haben Größenordnungen erreicht, die das Vorstellungsvermögen der damaligen Finanzjongleure weit überstiegen hätten. Auch verschifft heute niemand mehr Ladungen von Gold- und Silberbarren, um Defizite in der Leistungsbilanz auszugleichen. Die globale Wirtschaft ist ungleich vernetzter und verflochtener als ein Jahrhundert zuvor. Im Vergleich zu den Umsätzen der Weltkonzerne unserer Zeit waren die amerikanischen Trusts der 20er Jahre kleinwüchsige Zwerge.
Aber eine wichtige Übereinstimmung bleibt: Damals wie heute sind Finanzblasen nicht einfach das Werk unmoralischer Spekulanten oder angelsächsischer Investmentmethoden, die zu beklagen inzwischen wieder populär geworden ist. Der endlose Finanzschaum quillt vielmehr aus den Lebensadern eines Wirtschaftssystems, in dem nur produziert und investiert wird, wenn die Rendite für die Kapitalgeber stimmt.
© Das Neue Berlin Verlag
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Autoren-Porträt von Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht, geboren 1969 in Jena, Politikerin, Buchautorin und Anhängerin eines undogmatischen Marxismus. Seit 2004 Mitglied des Europaparlaments und Vorstandsmitglied derLINKEN. Zuletzt erschienene Bücher von ihr: „Kapitalismus im Koma“ (2003), „Aló Presidente“ (2004) und „Armut und Reichtum heute“ (2007).
Bibliographische Angaben
- Autor: Sahra Wagenknecht
- 2008, 254 Seiten, Maße: 12,5 x 21 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Das Neue Berlin
- ISBN-10: 3360019563
- ISBN-13: 9783360019561
Rezension zu „Wahnsinn mit Methode “
Die Bankenkrise, die sich zu einer neuen Weltwirtschaftsskrise auswächst, ist ein Thema, das uns alle angeht. Sahra Wagenknecht diskutiert in ihrem neuen Buch »Wahnsinn mit Methode« den globalen Finanzcrash, den man in Fachkreisen schon lange vorausgesehen hat, und entwirft Entwicklungsperspektiven.Sie analysiert die Funktionsweise der internationalen Finanzmärkte und erklärt, weshalb die globalen Finanzjongleure allein die Krise nicht mehr in den Griff bekommen können. Wagenknecht zeigt, welche Auswege sich durch eine undogmatische, marxistisch geprägte Denkweise au un können. Ein Buch von höchster Aktualität und Brisanz. Eine Person, die mit ihrem Au reten und ihrem Äußeren mit einem Schlag den jahrzehntedicken Staub von einer ganzen Bewegung gewischt hat: Sahra Wagenknecht. (taz).
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