Warum ich ein Schicksal bin
Otto A. Böhmer verfolgt Nietzsches Lebensstationen, von der deutschen Provinz über die frühe Professur in Basel bis in die psychiatrische Klinik. Er erzählt anhand zahlreicher Episoden von einem hochgenialen philosophischen Einzelgänger, seinen...
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Produktinformationen zu „Warum ich ein Schicksal bin “
Otto A. Böhmer verfolgt Nietzsches Lebensstationen, von der deutschen Provinz über die frühe Professur in Basel bis in die psychiatrische Klinik. Er erzählt anhand zahlreicher Episoden von einem hochgenialen philosophischen Einzelgänger, seinen Gedankenpfaden, seinem geistigen Absturz, von einem Menschen im Widerspruch zwischen Wirkmächtigkeit und Scheitern.
Lese-Probe zu „Warum ich ein Schicksal bin “
Nach einer weltweit erhobenen Umfrage gilt er - mit deutlichem Abstand vor den Herren Kant, Heidegger und Hegel - als Deutschlands bekanntester Denker: Friedrich Nietzsche. Er hat der Philosophie zu neuem, wenngleich merkwürdig schillerndem Glanz verholfen. Das lag vor allem daran, daß Nietzsche, letztendlich, mehr Dichter als Philosoph war: Er schrieb eine berückende Prosa, die fast alle Nuancen der Welt- und Ich-Erfahrung umfaßte. Zudem verstand er es meisterlich, sein Leben selbst in Philosophie umzusetzen: Ihm lauschte er seine Befindlichkeiten, Visionen, Ängste, auch seinen geheimen Zorn und Hochmut ab, und er braute daraus Einsichten zusammen, die ebenso treffend wie abwegig, ebenso großartig wie verstiegen anmuten. - Bis es dazu kam, brauchte es allerdings seine Zeit: Friedrich Nietzsches Werdegang nämlich beginnt im stillen: "Ich bin zu Röcken geboren, einem Dorf, das in der Nähe von Lützen liegt und sich an der Landstraße entlang hinzieht. Rings wird es von Weidengebüsch und vereinzelten Pappeln und Ulmen umschlossen, so daß aus der Ferne nur die ragenden Schornsteine und der altertümliche Kirchturm durch die grünen Wipfel hindurchschauen. Innerhalb des Dorfes breiten sich größere Teiche aus, nur durch schmale Landstrecken von einander getrennt; ringsum frisches Grün und knorrige Weiden. Etwas höher liegt das Pfarrhaus und die Kirche ..."So hebt ein Lebenslauf an, den der gerade 17jährige Friedrich Nietzsche zu Papier bringt, der in der Familie Fritz oder, noch lieber, Herzensfritz genannt wird. Er ist ein Jüngling mit vielseitigen Interessen; von den Geistestaten, die er später ausheckt und die ihm seinen bis heute anhaltenden Ruhm eintragen, wagt er damals, im Jahre 1861, allenfalls zu träumen. Daß Großes aus ihnen wird: das malen sich junge Menschen ohnehin gerne aus; es ist ihr Recht, es gehört zu ihnen, zu ihrer Jugend, ihrer Ungeduld, Sehnsucht, ihrer Maßlosigkeit und hochgesteckten Erwartung. Nietzsche macht da keine Ausnahme, obwohl seine Träume
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das Areal des Vertrauten zunächst kaum übersteigen. Als Kind wird er umhegt und umsorgt; darin kann man sich einrichten: "Hier bin ich am 15.Oktober 1844 geboren und erhielt meinem Geburtstag angemessen den Namen 'Friedrich Wilhelm'. Was ich über die ersten Jahre meines Lebens weiß, ist zu unbedeutend, um es zu erzählen. Verschiedne Eigenschaften entwickelten sich schon sehr frühe. So eine gewisse Ruhe und Schweigsamkeit, durch die ich mich von andern Kindern leicht fern hielt, dabei eine bisweilen ausbrechende Leidenschaftlichkeit. Von der Außenwelt unberührt lebte ich in einem glücklichen Familienkreis; das Dorf und die nächste Umgebung war meine Welt, alles Fernerliegende ein mir unbekanntes Zauberreich."
Nietzsche stammt aus einem protestantischen Elternhaus: Schon der Großvater Friedrich August Ludwig Nietzsche war Superintendent, der 1796, also in bewegten Zeiten, ein frommes Buch verfaßte, welches, so verhieß es sein Untertitel, "zur Belehrung und Beruhigung ... der gegenwärtigen Gährung in der theologischen Welt" anhalten sollte - was allerdings nicht ganz gelang. Sein Sohn Carl Ludwig Nietzsche, der Vater des Philosophen, betätigte sich zunächst als Erzieher der Töchter des Herzogs von Altenburg, ehe ihm von Friedrich Wilhelm IV., dem er dafür ein Leben lang schwärmerisch verbunden blieb, die Pfarrstelle im preußisch-sächsischen Röcken bei Lützen übertragen wurde. Nietzsches Mutter Franziska paßte vorzüglich in dieses geistliche Umfeld: Sie war die jüngste Tochter des Landpfarrers Oehler aus Pobles und brachte von Haus die fromme Gesinnung mit, die in der Familie Nietzsche, zu der noch Carl Ludwigs unverheiratete Schwestern Auguste und Rosalie gehörten, vorherrschend blieb. Als ihm sein Wunschkind, der lange erwartete Sohn, geboren wird, den er eigenhändig taufen darf, ist dies für Vater Nietzsche, der seine Nerven nicht immer so im Griff hat, wie man es von einem bodenständigen Gottesmann erwarten darf, fast schon zuviel des Guten: "Das, was ich heute erlebe, ist doch das Größte, das Herrlichste, mein Kindlein soll ich taufen! Oh seliger Augenblick, oh köstliche Feier, oh unaussprechlich heiliges Werk, sei mir gesegnet im Namen des Herrn! - Mit tiefbewegtem Herzen spreche ich es aus: So bringt mir denn mein liebes Kind, daß ich es dem Herrn weihe. Mein Sohn, Friedrich Wilhelm, so sollst Du genennet werden auf Erden, zur Erinnerung an meinen königlichen Wohltäter, an dessen Geburtstag Du geboren wurdest."
Nietzsches Vater, der musikalisches Talent besitzt, neigt zur Überspanntheit. Er steigert sich gern in Ideen hinein, die ihn vorübergehend besetzt halten, und er gerät dabei des öfteren in gefährliche Randzonen des Bewußtseins. Mag sein, daß Nietzsches Krankheit, von der noch zu reden sein wird, auch erblich bedingt ist; auf jeden Fall ist das Elternhaus, in dem es verschwörerisch-fromm und betulich zugeht, eine eigenartige Heimstatt für den kleinen Fritz gewesen. Zwei Geschwister werden ihm noch geboren: 1846 kommt die Schwester Elisabeth zur Welt, 1848 ein Bruder, der den Namen Joseph erhält und bereits zwei Jahre später wieder abberufen wird von der Welt: Er stirbt, nachdem zuvor bereits sein Vater, gerade mal 35jährig, gestorben ist. Carl Ludwig Nietzsche hat sich schwere Kopfverletzungen nach einem Treppensturz zugezogen, die auf heimtückische Weise nachwirken und irreparable Schäden hinterlassen. Um seinen Tod rankt sich alsbald eine Legende, die der erwachsene Nietzsche in der Folgezeit immer dann aufgreift, wenn er auf sein eigenes Schicksal zu sprechen kommt, in dem er, untergründig, ein ähnliches Verhängnis am Werk sieht wie im knapp bemessenen Leben seines Vaters. - Friedrich Nietzsche wächst nun in einem reinen Frauen-Haushalt auf - ein biographischer Tatbestand, der natürlich die Psychologen auf den Plan gerufen hat. Was sie herausfanden, bestätigt nur naheliegende Vermutungen; dem Gang des Lebens, um das es geht, läßt sich dadurch keine nachträgliche Richtungsänderung aufnötigen. - Im April 1850 wird der Röckener Hausstand aufgelöst, und Familie Nietzsche zieht um nach Naumburg an der Saale. Dort hat die Großmutter vor ihrer Ehe gelebt und dem Städtchen ein treues Andenken bewahrt. Dem kleinen Fritz fällt es nicht leicht, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und zu behaupten. Als er mit acht Jahren auf das Naumburger Domgymnasium kommt, gilt er als Außenseiter; in seinem Lebenslauf heißt es dazu vorsichtig: "Die düsteren Lehrzimmer, die strengen und gelehrten Mienen meiner Lehrer, die vielen, so erwachsenen Mitschüler, die mit Geringschätzung auf mich herabsahen und im Gefühl eigner Würde die Neulinge kaum beachteten, alles dies machte mich ängstlich und scheu, und erst allmählich gewöhnte ich mich, meine Stellung mit mehr Zuversicht zu behaupten. Zu gleicher Zeit entwickelten sich auch verschiedne Lieblingsneigungen, von denen einige sich bis jetzt erhalten haben. Ins Besondere war es die Neigung zur Musik, die im Laufe der Zeit nur zunahm und jetzt unerschütterlich fest in meiner Seele wurzelt."
Nietzsche stammt aus einem protestantischen Elternhaus: Schon der Großvater Friedrich August Ludwig Nietzsche war Superintendent, der 1796, also in bewegten Zeiten, ein frommes Buch verfaßte, welches, so verhieß es sein Untertitel, "zur Belehrung und Beruhigung ... der gegenwärtigen Gährung in der theologischen Welt" anhalten sollte - was allerdings nicht ganz gelang. Sein Sohn Carl Ludwig Nietzsche, der Vater des Philosophen, betätigte sich zunächst als Erzieher der Töchter des Herzogs von Altenburg, ehe ihm von Friedrich Wilhelm IV., dem er dafür ein Leben lang schwärmerisch verbunden blieb, die Pfarrstelle im preußisch-sächsischen Röcken bei Lützen übertragen wurde. Nietzsches Mutter Franziska paßte vorzüglich in dieses geistliche Umfeld: Sie war die jüngste Tochter des Landpfarrers Oehler aus Pobles und brachte von Haus die fromme Gesinnung mit, die in der Familie Nietzsche, zu der noch Carl Ludwigs unverheiratete Schwestern Auguste und Rosalie gehörten, vorherrschend blieb. Als ihm sein Wunschkind, der lange erwartete Sohn, geboren wird, den er eigenhändig taufen darf, ist dies für Vater Nietzsche, der seine Nerven nicht immer so im Griff hat, wie man es von einem bodenständigen Gottesmann erwarten darf, fast schon zuviel des Guten: "Das, was ich heute erlebe, ist doch das Größte, das Herrlichste, mein Kindlein soll ich taufen! Oh seliger Augenblick, oh köstliche Feier, oh unaussprechlich heiliges Werk, sei mir gesegnet im Namen des Herrn! - Mit tiefbewegtem Herzen spreche ich es aus: So bringt mir denn mein liebes Kind, daß ich es dem Herrn weihe. Mein Sohn, Friedrich Wilhelm, so sollst Du genennet werden auf Erden, zur Erinnerung an meinen königlichen Wohltäter, an dessen Geburtstag Du geboren wurdest."
Nietzsches Vater, der musikalisches Talent besitzt, neigt zur Überspanntheit. Er steigert sich gern in Ideen hinein, die ihn vorübergehend besetzt halten, und er gerät dabei des öfteren in gefährliche Randzonen des Bewußtseins. Mag sein, daß Nietzsches Krankheit, von der noch zu reden sein wird, auch erblich bedingt ist; auf jeden Fall ist das Elternhaus, in dem es verschwörerisch-fromm und betulich zugeht, eine eigenartige Heimstatt für den kleinen Fritz gewesen. Zwei Geschwister werden ihm noch geboren: 1846 kommt die Schwester Elisabeth zur Welt, 1848 ein Bruder, der den Namen Joseph erhält und bereits zwei Jahre später wieder abberufen wird von der Welt: Er stirbt, nachdem zuvor bereits sein Vater, gerade mal 35jährig, gestorben ist. Carl Ludwig Nietzsche hat sich schwere Kopfverletzungen nach einem Treppensturz zugezogen, die auf heimtückische Weise nachwirken und irreparable Schäden hinterlassen. Um seinen Tod rankt sich alsbald eine Legende, die der erwachsene Nietzsche in der Folgezeit immer dann aufgreift, wenn er auf sein eigenes Schicksal zu sprechen kommt, in dem er, untergründig, ein ähnliches Verhängnis am Werk sieht wie im knapp bemessenen Leben seines Vaters. - Friedrich Nietzsche wächst nun in einem reinen Frauen-Haushalt auf - ein biographischer Tatbestand, der natürlich die Psychologen auf den Plan gerufen hat. Was sie herausfanden, bestätigt nur naheliegende Vermutungen; dem Gang des Lebens, um das es geht, läßt sich dadurch keine nachträgliche Richtungsänderung aufnötigen. - Im April 1850 wird der Röckener Hausstand aufgelöst, und Familie Nietzsche zieht um nach Naumburg an der Saale. Dort hat die Großmutter vor ihrer Ehe gelebt und dem Städtchen ein treues Andenken bewahrt. Dem kleinen Fritz fällt es nicht leicht, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden und zu behaupten. Als er mit acht Jahren auf das Naumburger Domgymnasium kommt, gilt er als Außenseiter; in seinem Lebenslauf heißt es dazu vorsichtig: "Die düsteren Lehrzimmer, die strengen und gelehrten Mienen meiner Lehrer, die vielen, so erwachsenen Mitschüler, die mit Geringschätzung auf mich herabsahen und im Gefühl eigner Würde die Neulinge kaum beachteten, alles dies machte mich ängstlich und scheu, und erst allmählich gewöhnte ich mich, meine Stellung mit mehr Zuversicht zu behaupten. Zu gleicher Zeit entwickelten sich auch verschiedne Lieblingsneigungen, von denen einige sich bis jetzt erhalten haben. Ins Besondere war es die Neigung zur Musik, die im Laufe der Zeit nur zunahm und jetzt unerschütterlich fest in meiner Seele wurzelt."
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Autoren-Porträt von Otto A. Böhmer
Otto A. Böhner, 1949 in Rothenburg ob der Tauber geboren, lebt in Wöllstadt (Wetterau). Studium der Philosophie, Politologie, Soziologie und Literaturwissenschaft an den Universitäten Münster und Freiburg. Promotion mit einer Arbeit über J.G. Fichte. 1983 erschien sein erster Roman , weitere folgten. Funkarbeiten u.a. für den SWR, WDR und BR. Essays und Literaturkritiken u.a. für Die Zeit, die Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung und die Süddeutsche Zeitung. Mehrere renommierte Auszeichnungen, darunter der Erich-Fried-Preis 2001.
Bibliographische Angaben
- Autor: Otto A. Böhmer
- 2004, 1, 134 Seiten, Maße: 11,8 x 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Reclam, Leipzig
- ISBN-10: 3379200980
- ISBN-13: 9783379200981
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