"Was ich noch zu sagen hätte"
Der 1942 in Berlin geborene Reinhard Mey ist eine Ausnahmeerscheinung in der zeitgenössischen Musikszene: von seinem ersten Auftritt auf der legendären Burg Waldeck mit seinem Lied Ich wollte wie Orpheus singen 1964 bis in die Gegenwart reicht seine beispiellose Karriere, die ihn nicht nur in Deutschland sondern auch in Frankreich und Holland populär machte. Bis heute sind bei seinen großen Tourneen die Konzertsäle des Landes ausverkauft, sein Werk umfasst über 50 Alben mit fast 500 Chansons. Auf der Hommage-CD zu Reinhard Meys 60. Geburtstag 2002 interpretierten Xavier Naidoo, Glashaus, Thomas D. oder Götz Alsmann seine Lieder.
Gemeinsam mit Bernd Schroeder hat Reinhard Mey nun zum ersten Mal die Geschichte seines Lebens und seiner Musik erzählt - von der Kindheit in Berlin und den Liedermacheranfängen in den Kneipen, von der Burg Waldeck und der Karriere in Frankreich, von seinem Konzert am 9. November 1989 (!) in Dresden, seiner Familie und seinen Kindern, von seiner Freundschaft mit Klaus Hoffmann und seiner großen Leidenschaft - dem Fliegen. Ergänzt wird das Buch durch eine Vielzahl von Liedertexten und Fotografien.
Was ichnoch zu sagen hätte von ReinhardMey
LESEPROBE
What a lucky man you are oder Aller guten Dinge sind drei
Allerguten Dinge sind drei 1987
Der Weckerfiept: Halb sieben, Unheil nimm deinen Lauf!
Der Großemuß zur ersten Stunde: »Los, steh auf!
Und mach'leise, daß nicht gleich der Mittlere aufwacht,
Der kannnoch schlafen.« Rums, die erste Türe kracht,
Die Dieleknarrt, die Spülung rauscht und überdies
Ist dieKleine aufgewacht und schreit wie am Spieß.
Ich setzt'sie auf den Topf, sie ist ganz rot vor Wut,
Ichschmier' dem Großen schnell ein Pausenbrot, »mach's
gut!
Vergiß denTurnbeutel nicht!« Der Mittlere kommt, »Mann,
Lauf hiernicht barfuß rum, los, zieh dir Puschen an!«
Ich seh'grad zu, wie mein Toast in Flammen aufgeht,
Da hat dieKleine ihren Topf samt Inhalt umgedreht
Und stürztesich auf mich mit einem Freudenschrei -
Aller gutenDinge sind drei!
Ich hab'den Mittleren zur Schule gebracht
Undverwische die Spuren der Haselnußcremeschlacht.
Dies istdie Zeit, wo ich an meinen Schreibtisch kann,
Die Kleinemalt mein Bein mit einem Filzstift an
Underledigt, während eines kurzen Telefonats
DurchZerreißen die gesamte Post des Vormonats.
Der Großekommt nach Haus und macht ein langes
Gesicht:
AlleKumpels ha'm Computer, nur er wieder nicht.
Die Kleinepinkelt auf den Teppich, die bringt mich ins
Grab,
Vorher hol'ich noch den Mittler'n von der Schule ab.
Dann gibt'sMittag und Streit, wer's erste Fischstäbchen
kriegt,
Bis dieTränen fließen und es auf der Erde liegt.
Die Kleineniest mich an und hat den Mund voll dabei.
Aller gutenDinge sind drei!
Ich nöt'gesie zum Mittagsschlaf, jetzt hätt' ich etwas Zeit.
Der Großebeichtet mir seine Geschichtsarbeit.
Und jetzthat er drei Chaoten zum Spielen bestellt:
»Nicht solaut!« Doch als der erste Stuhl umfällt
Ist dieKleine wach, der Mittlere schluchzt: »Ich denk',
Ich sollzum Kindergeburtstag und hab' noch kein Ge-
schenk!«
Die Kleinesteckt sich erst mal eine Erbse ins Ohr,
Der Doktorist ein Freund und nimmt uns rasch mal vor.
Ich kauf'schnell ein Geschenk und geb' den Mittleren ab,
Komm'schweißgebadet raus, ich glaub', ich mache
schlapp,
DerAutoschlüssel weg, wie komm' ich jetzt nach Haus,
Nurwiderwillig spuckt die Kleine ihn dann doch noch aus,
Ein Nachbargrüßt: »Na, Sie haben wohl immer frei?!«
Aller gutenDinge sind drei!
Zu Hausesetzt bereits der Abendwahnsinn ein,
Die Kleinerollt sich gleich mit hohen, spitzen Schrei'n
In einenVorhang ein zu einem dicken Ball'n
Und läßtsich samt Gardine auf den Boden fall'n.
Beim Großendröhnt ohrenbetäubende Musik,
»Ey, Alter,bleib ganz cool, ich übe Mathematik.«
DerMittlere kommt vom Geburtstag mit dem Rekord
ImNegerkußwettessen, und er übergibt sich sofort.
Der Großeund die Kleine krieg'n 'ne Stulle aufs Brett,
DerNegerkußwettesser eine Schüssel vors Bett.
ZweiEinschlafgeschichten bei jedem von den Drein,
Ich selber schlafe direkt bei derTagesschau ein.
Ich schlepp' mich ins Bett, dieFüße schwer wie Blei.
Aller guten Dinge sind drei!
Meine Frau lächelt mir zu: »Na,überleg es dir
Vielleicht sind aller guten Dingeja auch ...«
Ich breche zusammen, nein, esbleibt dabei,
Aller guten Dinge sind drei!
Als ichdie Meys im Dezember 2004 zum ersten Mal besuche, sind die drei Kinder bereitsaus dem Haus. Man spürt ein Vakuum. Das Haus zeugt noch von den Kindern, vonder fünfköpfigen Familie. Und Reinhard und Hella, die » Übriggebliebenen«,scheinen mit der neuen Situation noch nicht sehr vertraut. Doch dazu später.Noch sind wir im Jahre 1976, dem Jahr der Familiengründung. Das erste Kind,Frederik, kommt.
Nachdem esso lange nicht geklappt hatte, sagte Hella eines Tages, ich glaube, es istsoweit. Ich hatte gerade eine Tour beendet, und wir sind hier in Berlin zumArzt gegangen, und tatsächlich, Wunder über Wunder! Ich hab sofort meineTermine abgesagt, und von da an hab ich ihr beim Brüten geholfen, so gut dasging. Ich sagte mir: Jetzt hast du dieses Glück am Schlafittchen, jetzt tu auchwas dafür, jetzt laß das nicht los, jetzt halt das fest und setz die Prioritätendiesmal richtig. Renn nicht und hetz nicht wieder und brich nicht irgendeineTournee vom Zaun, die du genausogut ein halbes Jahr verschieben kannst oderdie du vielleicht überhaupt nicht machen mußt, riskiere nicht, daß du nicht dabist, wenn das Kind kommt, du mußt jetzt nicht auf Tournee gehen, dann kannstdu diese Schwangerschaft miterleben, und vielleicht kommt diese Chance niewieder, also erleb es jetzt, verzettele dich nicht. Das habe ich ganz sicheraus meinen Beziehungen vorher gelernt.
Duhattest vorher gesagt, du wolltest keine Kinder?
In demMoment, als sie sagte, ich wünsche mir das, und ich merkte, daß das nicht eineSchnapsidee, sondern ein tiefer Wunsch von ihr war, der ihr bisher nichterfüllt worden war, war für mich völlig klar, das machen wir. Und es war diebeste Entscheidung in meinem ganzen Leben, aber das wußte ich natürlich in demMoment noch nicht. Ich wollte, daß sie glücklich ist. Und ich wußte nicht, wiesehr ich mich damit selbst auch glücklich machen würde.
Wie weitspielte der Gedanke bei dir eine Rolle, was ich da zeuge, was da entsteht, isteine Reproduktion meiner selbst?
Keine.Diese Gedanken hatte ich nie. Da war nicht der Wunsch, jetzt mal zu kucken,wird das ein kleiner Reinhard oder so was. Ich wollte wirklich ein Kind, obSohn oder Tochter, das spielte für mich keine Rolle. Nein, ich spürte, daßdieser Kinderwunsch bei Hella ganz tief saß, das war für mich einfachentscheidend.
Wenn esjetzt nicht so gekommen wäre, hättet ihr eines adoptiert?
Ja, ganzsicher, das denk ich schon. Wir haben heute noch darüber nachgedacht, ob wirvielleicht jetzt noch ein Kind adoptieren können. (...)
© VerlagKiepenheuer & Witsch, Köln
- Autoren: Reinhard Mey , Bernd Schroeder
- 2005, 7. Aufl., 304 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 13,4 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 346203622X
- ISBN-13: 9783462036220
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