Das Kabinett der Wachsmalerin
Der Madame-Tussaud-Roman
Das dramatische Leben der Madame Tussaud
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Kabinett der Wachsmalerin “
Das dramatische Leben der Madame Tussaud
Klappentext zu „Das Kabinett der Wachsmalerin “
Marie Tussaud ist auf Tournee in England, als der Krieg mit Frankreich ausbricht. Alle Häfen werden geschlossen, sie kann nicht zurück nach Paris. Nach vielen abenteuerlichen Jahren als reisende Schaustellerin gründet sie schließlich in London ihr berühmtes Wachsfigurenkabinett. Eine außergewöhnliche Lebensgeschichte, spannend und mitreißend erzählt.England im Winter 1802: Die Zöllner trauen ihren Augen kaum, als sie die Kisten öffnen und darin blutverschmierte Köpfe finden. Sollte von der zarten Französin vor ihnen eine Gefahr ausgehen? Die Wachsbildnerin Marie Tussaud kann den Irrtum aufklären: Sie will auf den britischen Inseln die Figuren der hingerichteten französischen Revolutionäre ausstellen. Der Kriegsausbruch zwingt sie zu bleiben. Dann erfährt sie, dass ihr Mann ihren Wachssalon verpfändet hat, um seine Schulden zu begleichen. Und dass er mit einer anderen Frau zusammenlebt. Marie hat kein Zuhause mehr, keinen Ort, an den sie zurückkehren kann. Sie entscheidet sich für England, lernt die Gefahren des Schaustellerlebens kennen und muss sich als Geschäftsfrau behaupten. Ihre Porträts von Napoleon, Sir Walter Scott und König Georg IV. erregen Aufsehen. Marie will sich als Künstlerin durchsetzen, doch sie zahlt einen hohen Preis dafür.
Lese-Probe zu „Das Kabinett der Wachsmalerin “
Das Kabinett der Wachsmalerin von Sabine WeißKapitel 1
Dover, 1802
Der Zollbeamte würde den Schock seines Lebens bekommen, und Marie konnte nichts tun, um es zu verhindern. Wiederholt hatte sie ihn angesprochen, aber er hatte nicht reagiert. Dabei war sie sicher gewesen, dass ein Zöllner, der mit dem Grenzverkehr zwischen Frankreich und England zu tun hatte, auch der französischen Sprache mächtig war. Das schien jedoch nicht der Fall zu sein. Und die wenigen Brocken englisch, die Marie bislang sprach, hatten einfach nicht ausgereicht.
Das Stemmeisen fraß sich in die Holzkiste hinein, mit einem Krachen gab der Deckel nach. Rot leuchtete unter der Strohfüllung das Blut am Wachskopf der hingerichteten Marie Antoinette hervor. Dass er unter ihren vielen Kisten ausgerechnet diese öffnen musste! Der Mann fuhr zurück, fasste sich wieder und schrie einen Befehl.
Soldaten stürmten in den Raum und umzingelten Marie, der vierjährige Joseph schlang erschrocken die arme um ihre Hüfte. Marie war zierlich, aber umgeben von den Bewaffneten kam sie sich winzig vor. Soldaten, Waffen, Verhaftung, Kerker, Todesangst mit einem Mal war die Erinnerung wieder lebendig an das Jahr 1794, in dem sie und ihre Mutter in Paris verhaftet und eingekerkert worden waren und ihnen der Gang auf die Guillotine gedroht hatte. Angst erfasste sie.
Sollte ihre Tournee in England im Gefängnis enden, bevor sie richtig begonnen hatte? Entschlossen drängte Marie die Erinnerungen zurück. »Es ist ein Missverständnis! Der Kopf ist nicht echt, er ist aus Wachs! ist denn niemand hier, der meine Sprache beherrscht?«, fragte sie laut. Die Soldaten sahen sie ratlos an. Endlich fand sich ein Mann, der sie verstand. Er übersetzte ihre Worte, die feindliche Haltung der Soldaten ließ etwas nach. ein Uniformierter wurde hinausgeschickt und kehrte mit einem
... mehr
Zollbeamten zurück, der weitere Wachsköpfe aus der Kiste holte. Schließlich hielt er einen Wachskopf hoch es war der von Napoleon Bonaparte.
»Was für eine Erklärung haben Sie für diese gefährliche Fracht, Madame?«, fragte er in fast akzentfreiem Französisch. »Ich bin Künstlerin und im Auftrag des gefeierten Wachsfigurensalons von Curtius unterwegs. Dieser Salon in Paris ist für die Lebensechtheit seiner Kunstwerke berühmt. Jetzt, nachdem endlich der Frieden zwischen unseren Ländern wieder eingekehrt ist, möchte ich in London seine Wachsfiguren ausstellen.« Auch wenn Marie seit dem Tod ihres Ziehonkels Curtius der Wachssalon gehörte und sie weitaus die meisten Figuren selbst hergestellt hatte, hielt sie diese Information jetzt zurück. Sie wollte den Beamten nicht noch mehr verwirren.
»Madame, Sie sollten wissen, dass der Friede brüchig ist. Boney«, zum ersten Mal hörte Marie den Spitznamen, den die Engländer Napoleon gegeben hatten, »stellt unsere Geduld auf eine schwere Probe. Dieser Wachskopf könnte für eine Kriegslist genutzt werden«, sagte der Beamte ernst. Marie hatte nicht geahnt, dass sie so misstrauisch empfangen werden würde, denn nach beinahe zehn Jahren Krieg zwischen Frankreich und England war der Friedensvertrag, der in der französischen Kleinstadt Amiens geschlossen worden war, von beiden Völkern erleichtert gefeiert worden.
Seitdem wimmelte Paris von englischen Touristen. auch französische Adelige, Priester und Royalisten, die in England vor dem Revolutionsregime Zuflucht gefunden hatten, kehrten nun in großer Zahl in ihre Heimat zurück. Marie machte sich von ihrem Sohn los, flüsterte ihm ein paar beruhigende Worte ins Ohr und ging auf den Zollbeamten zu.
»Darf ich?« Sie nahm ihm den Wachskopf aus der Hand und drehte ihn herum. »Sehen Sie, er ist leer. Keine geheimen Botschaften oder Waffen sind hier versteckt. Und wenn es Sie beruhigt, ich habe diesen Kopf mit meinen eigenen Händen geschaffen. Kein Soldat Napoleons hatte damit zu tun. Nur eine einfache Frau.«
Der Mann sah sie verdutzt an. Die Soldaten kamen näher. Jetzt trieb die Neugier sie an, Marie kannte diesen Blick von den Besuchern des Kabinetts genau. Marie musste ihre Sensationslust befriedigen, sie übersprang die erste Begegnung mit Napoleon, bei der er den Wachssalon aufgesucht und die Figur Robespierres bewundert hatte, und kam gleich zur Schilderung ihrer eigentlichen Porträtsitzung. »Ein Zufall hatte mich mit der Ehefrau des französischen Herrschers bekanntgemacht. Auch das Wachsabbild der schönen Joséphine finden Sie in diesen Kisten. Ihrer Fürsprache habe ich es zu verdanken, dass mir Napoleon eine Porträtsitzung gewährte.«
Sie hielt den Wachskopf nun so, dass alle ihn gut sehen konnten. »Morgens um sechs Uhr sollte ich mich im Palast der Tuilerien einfinden. Der erste Konsul erwartete mich bereits ungeduldig, also fing ich umgehend an. ich sagte ihm, dass er nicht erschrecken solle, wenn ich sein Gesicht mit einer Gipsschicht bedecken würde, um die Maske anzufertigen, denn er würde durch die Strohhalme in seinen Nasenlöchern atmen können. Er wurde ärgerlich und rief: >Erschrecken! ich würde nicht einmal erschrecken, wenn Sie um meinen Kopf herum geladene Pistolen halten würden.<«
Einige Soldaten konnten sich ein lachen nicht verkneifen. »Letztlich war er so zufrieden mit seinem wächsernen Abbild, dass er zwei seiner Generäle zu mir schickte, damit ich auch sie porträtieren konnte«, erklärte Marie. »In der Ausstellung gibt es Napoleon, seine Frau und seine Generäle in Lebensgröße und in originalgetreuer Kleidung zu sehen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich in einigen Wochen im Lyceum-Theater selbst davon überzeugten, wie lebensecht und menschlich zugleich die Figuren wirken.«
Sie legte den Wachskopf in die Kiste zurück. Der Beamte war beruhigt. Er bat um Verständnis dafür, dass sie auch die anderen Kisten öffnen müssten, um sich von der Harmlosigkeit des Inhalts zu überzeugen. Dieses Mal waren die Männer vorsichtiger. Anschließend entschuldigte er sich bei Marie. »Normalerweise haben immer Beamte Dienst, die in anderen Sprachen bewandert sind, oder es sind Übersetzer zur Hand. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in England und viel Erfolg mit Ihrer Ausstellung. Mich zumindest haben Sie neugierig gemacht.«
Das Novemberwetter war klar und kalt. Der Wind hatte alle Wolken vertrieben, schon in Dover hatten die weißen Klippen in der Wintersonne gestrahlt. Marie hatte für den Transport ihrer Kisten gesorgt und mit Nini, wie sie ihren Sohn Joseph nannte, die nächste Postkutsche nach London bestiegen. Es war ein beeindruckendes Gefährt, das von vier Pferden gezogen wurde, die Garde war bewaffnet und trug ein Horn bei sich, das in jeder Stadt und an jeder Station ertönte.
Sie passierten Schlagbäume, wo der Wegzoll entrichtet werden musste. Alle paar Meilen wurden die Pferde mit einer Schnelligkeit gewechselt, dass man es kaum bemerkte. Nun hielt die Kutsche auf einer Anhöhe an, von der aus die Fahrgäste ihr Ziel betrachten konnten. Auch Marie und Nini stiegen aus. London war so groß, dass es sich am Flusslauf entlang erstreckte, so weit das Auge reichte. Steinkohledampf strömte aus tausenden Schornsteinen und hüllte die Stadt in einen grauen Schleier. Nini staunte über die vielen Schiffe, die die Themse bedeckten. Ein Wald aus Masten schien auf der Wasseroberfläche im Wind zu schwanken. Dahinter erhoben sich, wie ihnen ein Mitreisender erklärte, der Turm der St.-Pauls Kathedrale, der Doppelturm der Westminsterabtei sowie die Türme über hundert weiterer Kirchen. Die Stadt wirkte riesig. Marie hatte noch nie eine so gewaltige Ansammlung von Häusern gesehen. Sie vertraten sich noch ein wenig die Füße, dann gab der Kutscher das Signal zum Aufbruch. Später fuhren sie über eine breite Straße nach London hinein. Marie glaubte ein paarmal, dass sie ihr Ziel, die Stadtmitte, erreicht hatten, weil das Gewimmel auf den Straßen so dicht geworden war, aber die Kutsche ruckelte immer weiter. Sie fühlte sich erschlagen von der schieren Größe der Stadt. auch Nini konnte sich kaum vom Kutschfenster lösen. Schließlich hielt der Wagen, und sie stiegen erschöpft aus.
Marie musste nun nur noch ein Fuhrwerk finden, das sie in ihre Unterkunft in der Surrey Street brachte. Der Lärm auf den Straßen kam ihr ohrenbetäubend vor. Ein Kutscher beschimpfte einen Passanten als »blinden Hund«, damit er aus dem Weg ging, Händler priesen lauthals ihre Waren an, jemand schrie »Haltet den Dieb«, weil ihm sein Taschentuch gestohlen worden war, umherziehende Musiker schlugen das Tamburin und spielten die Fidel dazu.
Endlich fanden sie die richtige Kutsche. Das Haus in der Surrey Street, einer kleinen Straße, die das Themseufer mit der Vergnügungsmeile mit dem Namen »the Strand« verband, machte einen einfachen, sauberen Eindruck. Ihre Wirtin, eine korpulente Dame, die gepflegt, aber für ihr Alter in zu leuchtende Farben gekleidet war, begrüßte sie freundlich und zeigte ihnen ihr Zimmer. Es war mit Tapeten und Teppichen ausgestattet und möbliert. Sie wies Marie einen Schrank zu, in dem sie Brot, Butter, Tee und Kaffee für die täglichen Mahlzeiten lagern konnte, und gab ihr den Schlüssel dafür. Als die Wirtin gegangen war, spürte Marie erst, wie anstrengend die Reise gewesen war.
Ihr Blick blieb im Spiegel hängen, der auf der Kommode stand. Haarsträhnen hatten sich gelöst und fielen ihr dunkel über das Gesicht, unter ihren Augen wölbten sich halbmondförmige Schatten. Sie war beinahe einundvierzig Jahre alt, heute sah man es.
Sie nahm ihr Brusttuch ab und hängte es über den Spiegel. Nini war schon auf das Bett gefallen, Marie setzte sich neben ihn. Sie überlegte einen Moment, ob sie gleich losgehen sollte, um ihren Geschäftspartner Monsieur de Philipsthal aufzusuchen, aber da war ihr Sohn schon eingeschlafen. Sie konnte sich ebenso gut einen Moment ausruhen. Marie schnürte ihre Schuhe auf und legte sich neben ihn. Auch ihr fielen die Augen zu. ...
»Was für eine Erklärung haben Sie für diese gefährliche Fracht, Madame?«, fragte er in fast akzentfreiem Französisch. »Ich bin Künstlerin und im Auftrag des gefeierten Wachsfigurensalons von Curtius unterwegs. Dieser Salon in Paris ist für die Lebensechtheit seiner Kunstwerke berühmt. Jetzt, nachdem endlich der Frieden zwischen unseren Ländern wieder eingekehrt ist, möchte ich in London seine Wachsfiguren ausstellen.« Auch wenn Marie seit dem Tod ihres Ziehonkels Curtius der Wachssalon gehörte und sie weitaus die meisten Figuren selbst hergestellt hatte, hielt sie diese Information jetzt zurück. Sie wollte den Beamten nicht noch mehr verwirren.
»Madame, Sie sollten wissen, dass der Friede brüchig ist. Boney«, zum ersten Mal hörte Marie den Spitznamen, den die Engländer Napoleon gegeben hatten, »stellt unsere Geduld auf eine schwere Probe. Dieser Wachskopf könnte für eine Kriegslist genutzt werden«, sagte der Beamte ernst. Marie hatte nicht geahnt, dass sie so misstrauisch empfangen werden würde, denn nach beinahe zehn Jahren Krieg zwischen Frankreich und England war der Friedensvertrag, der in der französischen Kleinstadt Amiens geschlossen worden war, von beiden Völkern erleichtert gefeiert worden.
Seitdem wimmelte Paris von englischen Touristen. auch französische Adelige, Priester und Royalisten, die in England vor dem Revolutionsregime Zuflucht gefunden hatten, kehrten nun in großer Zahl in ihre Heimat zurück. Marie machte sich von ihrem Sohn los, flüsterte ihm ein paar beruhigende Worte ins Ohr und ging auf den Zollbeamten zu.
»Darf ich?« Sie nahm ihm den Wachskopf aus der Hand und drehte ihn herum. »Sehen Sie, er ist leer. Keine geheimen Botschaften oder Waffen sind hier versteckt. Und wenn es Sie beruhigt, ich habe diesen Kopf mit meinen eigenen Händen geschaffen. Kein Soldat Napoleons hatte damit zu tun. Nur eine einfache Frau.«
Der Mann sah sie verdutzt an. Die Soldaten kamen näher. Jetzt trieb die Neugier sie an, Marie kannte diesen Blick von den Besuchern des Kabinetts genau. Marie musste ihre Sensationslust befriedigen, sie übersprang die erste Begegnung mit Napoleon, bei der er den Wachssalon aufgesucht und die Figur Robespierres bewundert hatte, und kam gleich zur Schilderung ihrer eigentlichen Porträtsitzung. »Ein Zufall hatte mich mit der Ehefrau des französischen Herrschers bekanntgemacht. Auch das Wachsabbild der schönen Joséphine finden Sie in diesen Kisten. Ihrer Fürsprache habe ich es zu verdanken, dass mir Napoleon eine Porträtsitzung gewährte.«
Sie hielt den Wachskopf nun so, dass alle ihn gut sehen konnten. »Morgens um sechs Uhr sollte ich mich im Palast der Tuilerien einfinden. Der erste Konsul erwartete mich bereits ungeduldig, also fing ich umgehend an. ich sagte ihm, dass er nicht erschrecken solle, wenn ich sein Gesicht mit einer Gipsschicht bedecken würde, um die Maske anzufertigen, denn er würde durch die Strohhalme in seinen Nasenlöchern atmen können. Er wurde ärgerlich und rief: >Erschrecken! ich würde nicht einmal erschrecken, wenn Sie um meinen Kopf herum geladene Pistolen halten würden.<«
Einige Soldaten konnten sich ein lachen nicht verkneifen. »Letztlich war er so zufrieden mit seinem wächsernen Abbild, dass er zwei seiner Generäle zu mir schickte, damit ich auch sie porträtieren konnte«, erklärte Marie. »In der Ausstellung gibt es Napoleon, seine Frau und seine Generäle in Lebensgröße und in originalgetreuer Kleidung zu sehen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich in einigen Wochen im Lyceum-Theater selbst davon überzeugten, wie lebensecht und menschlich zugleich die Figuren wirken.«
Sie legte den Wachskopf in die Kiste zurück. Der Beamte war beruhigt. Er bat um Verständnis dafür, dass sie auch die anderen Kisten öffnen müssten, um sich von der Harmlosigkeit des Inhalts zu überzeugen. Dieses Mal waren die Männer vorsichtiger. Anschließend entschuldigte er sich bei Marie. »Normalerweise haben immer Beamte Dienst, die in anderen Sprachen bewandert sind, oder es sind Übersetzer zur Hand. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in England und viel Erfolg mit Ihrer Ausstellung. Mich zumindest haben Sie neugierig gemacht.«
Das Novemberwetter war klar und kalt. Der Wind hatte alle Wolken vertrieben, schon in Dover hatten die weißen Klippen in der Wintersonne gestrahlt. Marie hatte für den Transport ihrer Kisten gesorgt und mit Nini, wie sie ihren Sohn Joseph nannte, die nächste Postkutsche nach London bestiegen. Es war ein beeindruckendes Gefährt, das von vier Pferden gezogen wurde, die Garde war bewaffnet und trug ein Horn bei sich, das in jeder Stadt und an jeder Station ertönte.
Sie passierten Schlagbäume, wo der Wegzoll entrichtet werden musste. Alle paar Meilen wurden die Pferde mit einer Schnelligkeit gewechselt, dass man es kaum bemerkte. Nun hielt die Kutsche auf einer Anhöhe an, von der aus die Fahrgäste ihr Ziel betrachten konnten. Auch Marie und Nini stiegen aus. London war so groß, dass es sich am Flusslauf entlang erstreckte, so weit das Auge reichte. Steinkohledampf strömte aus tausenden Schornsteinen und hüllte die Stadt in einen grauen Schleier. Nini staunte über die vielen Schiffe, die die Themse bedeckten. Ein Wald aus Masten schien auf der Wasseroberfläche im Wind zu schwanken. Dahinter erhoben sich, wie ihnen ein Mitreisender erklärte, der Turm der St.-Pauls Kathedrale, der Doppelturm der Westminsterabtei sowie die Türme über hundert weiterer Kirchen. Die Stadt wirkte riesig. Marie hatte noch nie eine so gewaltige Ansammlung von Häusern gesehen. Sie vertraten sich noch ein wenig die Füße, dann gab der Kutscher das Signal zum Aufbruch. Später fuhren sie über eine breite Straße nach London hinein. Marie glaubte ein paarmal, dass sie ihr Ziel, die Stadtmitte, erreicht hatten, weil das Gewimmel auf den Straßen so dicht geworden war, aber die Kutsche ruckelte immer weiter. Sie fühlte sich erschlagen von der schieren Größe der Stadt. auch Nini konnte sich kaum vom Kutschfenster lösen. Schließlich hielt der Wagen, und sie stiegen erschöpft aus.
Marie musste nun nur noch ein Fuhrwerk finden, das sie in ihre Unterkunft in der Surrey Street brachte. Der Lärm auf den Straßen kam ihr ohrenbetäubend vor. Ein Kutscher beschimpfte einen Passanten als »blinden Hund«, damit er aus dem Weg ging, Händler priesen lauthals ihre Waren an, jemand schrie »Haltet den Dieb«, weil ihm sein Taschentuch gestohlen worden war, umherziehende Musiker schlugen das Tamburin und spielten die Fidel dazu.
Endlich fanden sie die richtige Kutsche. Das Haus in der Surrey Street, einer kleinen Straße, die das Themseufer mit der Vergnügungsmeile mit dem Namen »the Strand« verband, machte einen einfachen, sauberen Eindruck. Ihre Wirtin, eine korpulente Dame, die gepflegt, aber für ihr Alter in zu leuchtende Farben gekleidet war, begrüßte sie freundlich und zeigte ihnen ihr Zimmer. Es war mit Tapeten und Teppichen ausgestattet und möbliert. Sie wies Marie einen Schrank zu, in dem sie Brot, Butter, Tee und Kaffee für die täglichen Mahlzeiten lagern konnte, und gab ihr den Schlüssel dafür. Als die Wirtin gegangen war, spürte Marie erst, wie anstrengend die Reise gewesen war.
Ihr Blick blieb im Spiegel hängen, der auf der Kommode stand. Haarsträhnen hatten sich gelöst und fielen ihr dunkel über das Gesicht, unter ihren Augen wölbten sich halbmondförmige Schatten. Sie war beinahe einundvierzig Jahre alt, heute sah man es.
Sie nahm ihr Brusttuch ab und hängte es über den Spiegel. Nini war schon auf das Bett gefallen, Marie setzte sich neben ihn. Sie überlegte einen Moment, ob sie gleich losgehen sollte, um ihren Geschäftspartner Monsieur de Philipsthal aufzusuchen, aber da war ihr Sohn schon eingeschlafen. Sie konnte sich ebenso gut einen Moment ausruhen. Marie schnürte ihre Schuhe auf und legte sich neben ihn. Auch ihr fielen die Augen zu. ...
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Autoren-Porträt von Sabine Weiß
Weiß, SabineSabine Weiß studierte in Hamburg Geschichte. Heute lebt sie mit ihrer Familie in der Nordheide. Ihre beiden Romane über Madame Tussaud waren große Erfolge. Mehr unter: www.sabineweiss.com
Bibliographische Angaben
- Autor: Sabine Weiß
- 2010, 400 Seiten, Maße: 12,6 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548609775
- ISBN-13: 9783548609775
- Erscheinungsdatum: 15.07.2010
Rezension zu „Das Kabinett der Wachsmalerin “
»In ihrem Debütroman schildert Sabine Weiß das Leben der jungen Marie Tussaud so spannend, lebensprall und atmosphärisch, dass es eine Lust ist, ins Paris des 18. Jahrhunderts einzutauchen.«TV Spielfilm»Sabine Weiß entwickelt einen spannenden Plot mit ausgeprägter Sensibilität für die historischen Figuren und das Zeitgeschehen. Ein großer Roman.« Hamburger Abendblatt
»Auch der zweite Tussaud-Roman von Sabine Weiß ist mitreißend erzählte Geschichte. Er komplettiert das Bild einer couragierten, bis heute faszinierenden Frau.« TV TODAY/ 28.03.-10.04.09
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