Welt in Angst
Doch noch bevor er den Scheck unterschrieben hat, erreicht ihn ein Anruf von seiner Bank: Die Umweltorganisation hat in seinem Namen eine viertel Million Dollar an eine Gruppe von dubiosen Aktivisten in Costa Rica überwiesen. Wofür nur verwenden sie sein Geld? Wie er schon bald von John Kenner, einem Mitarbeiter eines hoch geheimen Regierungsdienstes zur Terrorbekämpfung im Inneren, erfährt, gehört die Gruppe der radikalen Environmental Liberation Front an - und diese macht sich gerade weltweit durch mysteriöse Aktivitäten verdächtig, die auf einen groß angelegten Terrorakt hindeuten.
George Morton ist entsetzt darüber, dass er mit seinem Geld den Ökoterrorismus unterstützt, begibt sich auf die Suche nach Beweisen für die Zusammenarbeit der Umweltschützer mit den Extremisten - und sieht sich vor eine nahezu unlösbare Aufgabe gestellt: Er muss einen künstlich erzeugten Tsunami verhindern, der das Leben von mehreren Millionen Kaliforniern gefährdet.
F George Morton ist Geld eine Nebenshlichkeit. Zu den rauschenden Partys auf seinem riesigen Anwesen in Beverly Hills kommen die Stars der Filmbranche, und in seiner Garage stehen neun Ferraris. Er ist sich der Dekadenz seines Lebensstils bewusst, und um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen hat sich der Mittsechziger leidenschaftlich dem Kampf gegen die globale Erwmung verschrieben. Und so entschlie er sich, dem National Environmental Resource Fund zehn Millionen Dollar zu spenden, die vornehmlich in die Organisation einer Klimakonferenz flien sollen.
Doch noch bevor er den Scheck unterschrieben hat, erreicht ihn ein Anruf von seiner Bank: Die Umweltorganisation hat in seinem Namen eine viertel Million Dollar an eine Gruppe von dubiosen Aktivisten in Costa Rica erwiesen. Wof nur verwenden sie sein Geld? Wie er schon bald von John Kenner, einem Mitarbeiter eines hoch geheimen Regierungsdienstes zur Terrorbekpfung im Inneren, erfrt, geht die Gruppe der radikalen Environmental Liberation Front an - und diese macht sich gerade weltweit durch mysterie Aktiviten verdhtig, die auf einen groangelegten Terrorakt hindeuten.
George Morton ist entsetzt darer, dass er mit seinem Geld den oterrorismus unterstzt, begibt sich auf die Suche nach Beweisen f die Zusammenarbeit der Umweltschzer mit den Extremisten - und sieht sich vor eine nahezu unlbare Aufgabe gestellt: Er muss einen kstlich erzeugten Tsunami verhindern, der das Leben von mehreren Millionen Kaliforniern gefrdet.
Welt in Angst von Michael Crichton
LESEPROBE
Der pazifische Inselstaat Vanutu gab auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg die Absicht bekannt, aufgrund der globalen Erwärmung gegen die Umweltschutzbehörde der USA einen Prozess anzustrengen. Vanutu liegt nur wenige Meter über dem Meeresspiegel, und den achttausend Einwohnern der Insel drohe die Evakuierung aus ihrem Land, weil der Meeresspiegel infolge der globalen Erwärmung ansteige. Die USA, die größte Wirtschaftsmacht der Welt, seien auch der größte Produzent von Kohlendioxid und trügen somit am stärksten zur globalen Erwärmung bei. Der National Environmental Resource Fund (NERF), eine Gruppe amerikanischer Umweltaktivisten, erklärte, er werde Vanutu bei der Klage, die im Sommer 2004 eingereicht werden sollte, unterstützen. Die geschätzten Prozesskosten von über acht Millionen Dollar würden Gerüchten zufolge von dem reichen Wohltäter George Morton getragen, der sich häufig für den Umweltschutz engagierte. Da die Verhandlung vor der bekanntlich liberalen Neunten Kammer in San Francisco stattfinden würde, wurde der Prozess mit einiger Spannung erwartet.
Doch die Klage wurde nie eingereicht. Weder Vanutu noch NERF hatten je eine offizielle Erklärung abgegeben, warum von der Klage Abstand genommen wurde. Selbst nach dem plötzlichen Verschwinden von George Morton blieben die genauen Vorgänge um diesen Prozess aufgrund eines unerklärlichen Desinteresses seitens der Medien ungeklärt. Erst Ende 2004 äußerten sich einige ehemalige Mitglieder von NERF öffentlich darüber, was innerhalb ihrer Organisation passiert war. Darüber hinaus lieferten Enthüllungen aus Mortons Umfeld sowie von ehemaligen Mitarbeitern der in Los Angeles ansässigen Anwaltskanzlei Hassle & Black weitere Einzelheiten der Geschichte.
Somit ist heute bekannt, was sich zwischen Mai und Oktober 2004 im Zusammenhang mit dem Vanutu-Prozess ereignete und warum so viele Menschen in entlegenen Teilen der Erde sterben mussten.
MC,
Los Angeles 2004
Auszüge aus einem internen Geheimbericht des AASBC an den Nationalen Sicherheitsrat. Gemäß Informationsfreiheitsgesetz 3/4/04.
Inzwischen steht fest, dass die xxxxx Verschwörung bis ins Detail geplant war. Die Vorbereitungen liefen bereits seit über einem Jahr, ehe die eigentlichen Ereignisse stattfanden. Es gab bereits am xxxxx März 2003 vorläufige xxxxx, und dem britischen xxxxxxxxxx und dem deutschen xxxxxxxxxx lagen entsprechende Berichte vor.
Der erste Vorfall ereignete sich im Mai 2004 in Paris. Es ist xxxxx xxxxx, dass die Behörden xxxxx xxxxx. Es kann jedoch kein Zweifel mehr daran bestehen, dass das, was in Paris geschah, und die schwerwiegenden Folgen xxxxx xxxxx.
I. Akamai
Paris Nord
Sonntag, 2. Mai 2004, 12.00 Uhr
In der Dunkelheit berührte er ihren Arm und sagte: »Bleib hier.« Sie bewegte sich nicht, wartete einfach. Es roch stark nach Salzwasser, ein schwaches Gurgeln war zu vernehmen. Dann gingen die Lichter an, spiegelten sich auf der Oberfläche eines großen, mit Wasser gefüllten Beckens, das etwa fünfzig Meter lang und zwanzig Meter breit war. Es sah aus wie in einem Hallenbad, wenn man sich die vielen elektronischen Geräte drum herum wegdachte - und das äußerst seltsame Gebilde am hinteren Ende des Beckens. Jonathan Marshall kam zu ihr zurück und hatte ein idiotisches Grinsen im Gesicht. »Quest-ce que tu penses?«, fragte er, obwohl er wusste, dass seine Aussprache furchtbar war. »Was meinst du?«
»Es ist toll«, sagte die Frau. Sie hatte einen exotischen Akzent. Eigentlich war alles an ihr exotisch, dachte Jonathan. Mit ihrem dunklen Teint, den hohen Wangenknochen und dem schwarzen Haar hätte sie ein Model sein können. Und in dem kurzen Rock und mit den Stöckelschuhen hatte sie auch den Gang eines Models. Sie war Halbvietnamesin und hieß Marisa. »Ist denn sonst niemand hier?«, fragte sie und schaute sich um.
»Nein, nein«, sagte er. »Heute ist Sonntag. Da kommt keiner.«
Jonathan Marshall war vierundzwanzig, Physikdoktorand aus London, und arbeitete den Sommer über in dem hochmodernen Laboratoire de Mécanique Ondulatoire Appliquée - dem Labor für Wellenmechanik - des französischen Marine-Instituts in Vissy, nördlich von Paris. Da in dem Vorort überwiegend junge Familien wohnten, war es bislang ein einsamer Sommer für Marshall gewesen. Deshalb konnte er sein Glück kaum fassen, dass er die junge Frau kennen gelernt hatte. Diese unglaublich schöne Frau, die so sexy war.
»Zeig mir, was sie macht, die Maschine«, sagte Marisa. Ihre Augen glänzten. »Zeig mir, was du machst.«
»Mit Vergnügen«, sagte Marshall. Er ging zu dem großen Bedienungsfeld und schaltete die Pumpen und Sensoren ein. Die dreißig Anzeigetafeln der Wellenmaschine am hinteren Ende des Beckens erwachten nacheinander zum Leben. Er warf ihr über die Schulter einen Blick zu, und sie lächelte ihn an. »Das sieht ganz schön kompliziert aus«, sagte sie. Sie trat neben ihn an das Bedienungsfeld. »Nehmt ihr alles mit Kameras auf?«
»Ja, wir haben welche in der Decke und seitlich am Becken. Die machen optische Aufzeichnungen von den erzeugten Wellen. Und im Becken sind Drucksensoren, die zeichnen die Druckparameter der vorbeikommenden Wellen auf.«
»Sind die Kameras jetzt an?«
»Nein, nein«, sagte er. »Die brauchen wir nicht, wir machen ja kein Experiment.«
»Vielleicht doch«, sagte sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Ihre Finger waren lang und zart. Sie hatte schöne Finger. Sie schaute eine Minute zu, dann sagte sie: »Das hier sieht alles sehr teuer aus. Ihr habt bestimmt jede Menge Sicherheitsvorkehrungen, was?«
»Eigentlich nicht«, sagte er. »Bloß Magnetkarten, um reinzukommen. Und nur eine Überwachungskamera.« Er deutete über die Schulter. »Da hinten in der Ecke.« Sie wandte sich um. »Ist die jetzt an?«
»Oh ja«, sagte er. »Die ist immer an.« Ihre Hand streichelte ihm sanft den Nacken. »Dann beobachtet uns jetzt jemand?« »Leider ja.« »Dann sollten wir uns anständig benehmen.« »Wär wohl besser. Was ist denn überhaupt mit deinem Freund?« »Ach, der.« Sie schnaubte verächtlich. »Der kann mich mal.«
Am Morgen hatte Marshall wie jeden Tag sein kleines Apartment verlassen und war in das Café in der Rue Montaigne gegangen. Wie immer hatte er zum Lesen einen Fachartikel mitgenommen. Dann hatte sich diese Frau zusammen mit ihrem Freund an den Nebentisch gesetzt. Und prompt waren die beiden sich in die Wolle geraten. Marshall fand gleich, dass Marisa und der Typ schon äußerlich nicht zueinander passten. Er war Amerikaner, ein bulliger, rotgesichtiger Kerl mit der Statur eines Footballspielers, längerem Haar und einer Nickelbrille, die in seinem fleischigen Gesicht völlig fehl am Platze wirkte. Er sah aus wie ein Schwein, das einen auf Akademiker macht. Er hieß Jim, und er war sauer auf Marisa, weil sie anscheinend den Abend zuvor nicht mit ihm verbracht hatte. »Ich kapier nicht, warum du mir nicht sagen willst, wo du warst«, wiederholte er mehrmals.
»Weil es dich nichts angeht, deshalb.« »Aber wir wollten doch essen gehen.«
»Jimmy, ich hab dir gesagt, dass das nicht klappt.«
»Nein, hast du nicht. Und ich hab im Hotel auf dich gewartet. Den ganzen Abend.« »Na und? Das hat keiner von dir verlangt. Du hättest ausgehen können. Dich amüsieren.« »Aber ich hab auf dich gewartet.« »Jimmy, ich bin nicht dein Eigentum.« Sie war entnervt, seufzte, warf die Hände in die Luft oder schlug sich auf die nackten Knie. Sie hatte die Beine übereinander geschlagen, und ihr kurzer Rock war hochgerutscht. »Ich mache, was mir passt.« »Das hab ich gemerkt.«
»Ja«, sagte sie, und im selben Augenblick sah sie zu Marshall hinüber und sagte: »Was liest du da? Das sieht ziemlich kompliziert aus.« Zuerst war Marshall verunsichert. Sie sprach ihn ganz offensichtlich an, um ihren Freund zu ärgern. Er wollte sich nicht in den Streit der beiden hineinziehen lassen. »Es geht um Physik«, sagte er knapp und drehte sich leicht weg. Er versuchte, nicht auf ihre Schönheit zu achten. »Was für Physik?«, hakte sie nach. »Wellenmechanik. Ozeanwellen.« »Dann bist du Student?« »Doktorand.« »Also einer von den ganz Intelligenten. Bist du Engländer? Wieso bist du in Frankreich?« Und ehe er wusste, wie ihm geschah, unterhielt er sich mit ihr, und sie stellte ihm ihren Freund vor, der Marshall matt angrinste und ihm schlaff die Hand schüttelte.
Es war alles ziemlich peinlich, aber die Frau ließ sich dadurch nicht beirren.
»Arbeitest du hier in der Gegend? Was für Arbeit? Ein Wasserbecken mit einer Maschine? Echt? Kann ich mir gar nicht vorstellen. Zeigst dus mir?« Und jetzt waren sie hier, im Labor für Wellenmechanik. Und Jimmy, der Freund, schmollte draußen auf dem Parkplatz und rauchte eine Zigarette. »Was machen wir mit Jimmy?«, fragte sie, während Marshall am Bedienungsfeld hantierte. »Hier darf er nicht rauchen.« »Ich pass schon auf. Aber ich will ihn nicht noch wütender machen. Kann ich ihn nicht reinlassen?«
Marshall spürte Enttäuschung in sich aufsteigen. »Schön. Meinetwegen.«
Dann drückte sie seine Schulter. »Keine Sorge, er kann ohnehin nicht lange bleiben.« Sie ging zur Tür im hinteren Teil des Labors, öffnete sie, und Jim kam herein. Marshall schaute sich kurz um und sah, dass Jim hinten stehen blieb, die Hände in den Taschen. Marisa kam wieder zu Marshall an das Bedienungsfeld.
»Alles klar«, sagte sie. »Und jetzt zeigs mir.« Die Elektromotoren am hinteren Ende des Beckens surrten, und die Paddel erzeugten die erste Welle. Es war eine kleine Welle, sie plätscherte gleichmäßig über die gesamte Länge des Beckens und lief dann auf einer schrägen Platte am vorderen Ende aus.
»Und das soll eine Flutwelle sein?«, fragte sie. »Es ist die Simulation eines Tsunami, ja«, sagte Marshall, während seine Finger auf der Tastatur tippten. Am Bedienungsfeld zeigten Displays die Temperatur und den Druck an, lieferten Fehlfarbenbilder von der Welle. »Eine Simulation«, sagte sie. »Und was heißt das?« »Wir können Wellen von bis zu einem Meter Höhe erzeugen«, sagte Marshall. »Echte Tsunamis sind dagegen vier, acht, zehn Meter hoch. Manchmal sogar noch höher.« »Eine Welle im Ozean, die zehn Meter hoch ist?« Ihre Augen wurden groß. »Echt?« Sie schaute zur Decke hinauf, versuchte es sich vorzustellen. Marshall nickte. So hoch wie ein dreistöckiges Gebäude. Und die Welle würde mit einer Geschwindigkeit von achthundert Kilometern pro Stunde an Land donnern. »Und wenn sie dann an Land kommt?«, fragte sie. »Ist das die Schräge da vorn? Die Oberfläche sieht aus wie Kies. Soll das der Strand sein?«
»Genau«, sagte Marshall. »Wie weit die Welle an Land spült, hängt von der Neigung des Strandes ab. Wir können jeden beliebigen Winkel einstellen.«
Der Freund trat näher an das Becken, blieb aber nach wie vor hinten. Er sagte kein Wort. Marisa war beeindruckt. »Ihr könnt das einstellen? Wie denn?«
»Über einen kleinen Motor.« »Auf jeden beliebigen Winkel?« Sie kicherte. »Dann mach doch mal vingt-sept, siebenundzwanzig Grad.« »Wird sofort erledigt.« Marshall tippte etwas auf der Tastatur. Mit einem leicht knirschenden Geräusch wurde der Strand steiler. Der Amerikaner merkte, dass sich was tat, und trat noch näher ans Becken. Es ist aber auch wirklich faszinierend, dachte Marshall. Das würde jeden interessieren. Trotzdem sagte der Kerl kein Wort. Er stand bloß da und sah zu, wie sich die kiesige Fläche schräg stellte. Kurz darauf hielt sie an.
»Das ist also der Strand?«, fragte sie. »Ja«, sagte Marshall. »Obwohl siebenundzwanzig Grad ganz schön steil sind, so steile Strände gibt es in Wirklichkeit nur sehr selten. Ich stell ihn lieber auf «
Ihre dunkle Hand schloss sich um seine. »Nein, nein«, sagte sie. Ihre Haut war weich. »Lass es so. Zeig mir eine Welle. Ich möchte eine Welle sehen.«
Jetzt wurden alle dreißig Sekunden kleine Wellen ausgelöst. Sie rollten mit leisem Rauschen über die gesamte Länge des Beckens. »Na gut, aber zuerst muss ich die Küstenform kennen. Im Augenblick verläuft der Strand gerade, aber wenn wir eine kleine Bucht oder so was hätten « »Lässt sich das auch einstellen?«
»Klar. Was solls denn sein? Ein Hafen, eine Flussmündung, eine Bucht «
»Och«, sagte sie mit einem Achselzucken, »mach mal eine Bucht.«
Er lächelte. »Gut. Wie groß?« Die Elektromotoren surrten, als sich die Küstenlinie langsam krümmte, bis der Strand ein Halbrund bildete.
»Toll«, sagte sie. »Los, Jonathan, zeig mir jetzt die Welle.«
»Moment noch. Wie groß soll die Bucht sein?«
»Mmh « Sie machte eine vage Bewegung mit den Armen. »Eine Meile. Eine Bucht, die eine Meile breit ist. Zeigst dus mir jetzt?« Sie beugte sich zu ihm. »Ich warte nicht gern. Damit dus weißt.«
Er roch ihr Parfüm und tippte schnell. »Los gehts«, sagte er. »Eine große Welle rollt in eine Bucht von einer Meile Breite, mit einer Strandneigung von siebenundzwanzig Grad.«
Ein wesentlich lauteres Rauschen ertönte, als die nächste Welle am Ende des Beckens ausgelöst wurde und dann glatt auf sie zurollte, ein gut fünfzehn Zentimeter hoher Wasserkamm.
»Och!« Marisa blickte enttäuscht. »Du hast mir was Großes versprochen.«
»Abwarten«, sagte er.
»Sie wird noch größer, ja?«, sagte sie kichernd. Sie legte ihm wieder die Hand auf die Schulter. Dann drehte der Amerikaner sich um und warf ihr einen bösen Blick zu. Sie reckte trotzig das Kinn in die Luft. Aber als er sich wieder zu dem Becken umdrehte, nahm sie die Hand weg.
Marshall war ernüchtert. Sie benutzte ihn bloß, um ihn eifersüchtig zu machen.
»Wird die Welle wirklich noch größer?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Marshall, »wenn sie sich dem Strand nähert. In tiefem Wasser ist ein Tsunami klein, aber in niedrigem Wasser baut er sich auf. Und durch die Bucht wird seine Wucht gebündelt, sodass die Welle noch höher wird.«
Die Welle wuchs an und krachte dann gegen den halbrunden Strand. Sie schäumte weiß und schwappte an den Seiten hoch. Er schätzte die Höhe auf gut anderthalb Meter.
»Wie hoch wäre das in echt?«, fragte sie.
»Fünfzehn Meter«, sagte er.
»Oh, la la«, sagte sie und spitzte die Lippen. »Weglaufen nützt da wohl nichts.«
»Allerdings nicht«, sagte Marshall. »Der schnellste Läufer hätte keine Chance. 1957 hat es in Hilo auf Hawaii eine Flutwelle gegeben, sie ist mitten in die Stadt rein, so hoch wie die Häuser, und die Leute wollten fliehen, aber «
»Und das ist alles?«, fragte der Amerikaner. »Mehr macht ihr hier nicht?« Seine Stimme klang belegt, als müsste er sich räuspern.
»Hör nicht auf ihn«, sagte sie leise.
»Ja, mehr machen wir hier nicht«, sagte Marshall. »Wir erzeugen Wellen «
»Ist ja super«, sagte der Amerikaner. »Das konnte ich schon mit sechs Monaten in der Badewanne.«
»Na ja«, sagte Marshall und deutete auf das Bedienungsfeld und die Monitore mit den Daten, »wir erstellen Datenbanken für Forscher auf der ganzen Welt, die «
»Schon gut, schon gut. Das reicht. Stinklangweilig. Ich hau ab. Marisa, kommst du mit oder nicht?«
Er starrte sie wütend an.
Marshall hörte, wie sie tief Luft holte.
»Nein«, sagte sie. »Ich bleib hier.«
Der Amerikaner drehte sich um, marschierte zur Tür hinaus und knallte sie hinter sich zu.
Ihre Wohnung lag direkt gegenüber von Notre-Dame am anderen Seine-Ufer, und vom Balkon des Schlafzimmers aus hatte er einen wunderbaren Blick auf die angestrahlte Kathedrale. Es war zehn Uhr abends, aber noch immer war der Himmel tiefblau. Er schaute nach unten auf die Straße, die Lichter der Cafés, das Gewimmel von Menschen - es war ein bezauberndes, buntes Bild.
»Keine Sorge«, sagte sie hinter ihm. »Falls du nach Jimmy Ausschau hältst, der kommt bestimmt nicht.«
Doch er hatte gar nicht an ihn gedacht, bis jetzt. »Nein?«
»Nein«, sagte sie. »Er geht woanders hin. Jimmy hat viele Frauen.« Sie trank einen Schluck Rotwein, stellte das Glas dann auf dem Nachttisch ab. Ohne Umschweife zog sie sich das Oberteil über den Kopf und ließ den Rock fallen. Sie trug nichts darunter.
Ihre hochhackigen Schuhe behielt sie an und kam auf ihn zu. Er musste wohl verblüfft dreingeblickt haben, denn sie murmelte: »Ich habs dir doch gesagt. Ich warte nicht gern.« Dann schlang sie die Arme um ihn und küsste ihn hart, wild, nahezu wütend. Die nächsten Augenblicke waren ein wenig linkisch, weil sie versuchten, sich weiterhin zu küssen, während sie ihm die Sachen vom Leib riss. Sie atmete schwer, keuchte beinah. Sie war so leidenschaftlich, so stürmisch, und ihre Schönheit, die reine Vollkommenheit ihres dunklen Körpers, schüchterte ihn ein, aber nicht lange. Hinterher lag sie an ihn geschmiegt. Ihre Haut war weich, doch der Körper darunter fest und straff. Die Zimmerdecke schimmerte sanft vom Licht der angestrahlten Kirchenfassade gegenüber. Er war entspannt, aber sie wirkte noch immer voller Energie, ruhelos. Er fragte sich, ob sie wirklich gekommen war, trotz ihres Stöhnens und der Schreie am Schluss. Und dann stand sie unvermittelt auf. »Was ist?« Sie trank einen Schluck Wein. »Ich muss mal«, sagte sie, wandte sich ab und verschwand durch eine Tür. Sie hatte ihr Weinglas stehen lassen. Er setzte sich auf und trank einen Schluck, sah das zarte Muster ihrer Lippen auf dem Glasrand. Er schaute auf das Bett und sah die dunklen Striemen von ihren Stöckelschuhen. Sie hatte sie erst mittendrin abgestreift, weggekickt, und jetzt lagen sie unter dem Fenster. Spuren ihrer Leidenschaft. Denn noch immer kam ihm das alles vor wie ein Traum. Er hatte noch nie mit so einer Frau geschlafen.
© 2005 by Verlagsgruppe Random House
Übersetzung: Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
- Autor: Michael Crichton
- 2005, 602 Seiten, Maße: 14,3 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Ulrike Wasel, Klaus Timmermann
- Verlag: Blessing
- ISBN-10: 389667210X
- ISBN-13: 9783896672100
(Der Spiegel)
"Was die Verwandlung von trockenen Fakten in spannende Geschichten angeht, kann keiner Michael Crichton das Wasser reichen."
(Süddeutsche Zeitung)
(Der Spiegel)
"Was die Verwandlung von trockenen Fakten in spannende Geschichten angeht, kann keiner Michael Crichton das Wasser reichen."
(Süddeutsche Zeitung)
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