Wer hier klaut, stirbt!

Horst Lichter und sein Laden – das sind Bestandteile einer großen menschlichen Lebensphilosophie.

Und so wie das Abenteuer der Philosophie nach Aristoteles mit dem Staunen beginnt, sollte sich auch der Besucher der Oldiethek einen gesunden Sinn fürs Staunen bewahrt haben.

Ich jedenfalls bin aus dem Staunen kaum mehr herausgekommen, nachdem ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte: hinter das Geheimnis von Lichters Oldiethek zu schauen.

Ich hoffe, Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, geht es beim Lesen dieses Buches ebenso.

Im September 2008 Carsten Tergast

Es ist eine der anrührendsten Geschichten, die Lichters Oldiethek mit den unendlich vielen kuriosen Gegenständen zu erzählen weiß: als Horst Lichter einmal von einer alten Dame einen kompletten Brockhaus von 1895 geschenkt bekommt, weil sie Angst hat, dass ihre Kinder und Enkel das gute Stück entweder wegschmeißen oder meistbietend verhökern.

Die Geschichte ist eine von vielen schönen Geschichten dieses Buches – und sie zeigt vor allem eins: Irgendwann fangen Menschen an zu überlegen, wo die Dinge, die ihnen ans Herz gewachsen sind, später einmal bleiben werden.

Viele der Gegenstände in Horst‘ Oldiethek sind durch solche Gedanken hier gestrandet: weil die Spender der Dinge sicher sein konnten, dass die damit verbundenen Geschichten und Gefühle nur so gerettet werden können. Horst Lichter: Der ist ein Sammler alter Dinge, aber vor allem ist er auch ein Geschichtensammler. Und kaum etwas macht ihm, der so ungerne die Zukunft plant, mehr Sorgen als der Gedanke daran, was einmal mit der Oldiethek und ihrem reichen Geschichtenschatz geschehen wird, wenn er einmal nicht mehr ist: „Sach mal, hast du dir eigentlich mal überlegt, wo das hier alles bleibt?“

Undenkbar, dass all das verloren gehen könnte. Denn seit fast zwanzig Jahren finden hier Dinge und Geschichten einen Ort, an dem sie weiterleben dürfen.

Aber ist Horst wirklich nur ein „Messie im Endstadium“, wie mal einer boshaft bemerkt hat? Einer, der nix wegschmeißen kann und in seinem Sammelsurium noch irgendwann untergehen wird? Keinesfalls. Horst Lichter: Der ist höchstens ein Romantiker im Endstadium.

„Wer hier klaut, stirbt!“ So steht es auf einem Schild an der Eingangstüre zu diesem vielleicht seltsamsten Laden Deutschlands.

„Laden“ ist auch das Wort, das Horst Lichter meistens gebraucht, wenn er über seine Oldiethek spricht. „DER Laden“, um genau zu sein, denn sowas Verrücktes gibt‘s nirgends sonst.

Einen Riesenfehler macht allerdings, wer diesen Laden für eine Art Museum hält: „Wer so denkt, hat den Laden nicht verstanden“, sagt Horst eindringlich. Hier wird nicht totes Material ausgestellt, eingeordnet und analysiert. Hier dürfen alte Dinge einen ewigen Frühling erleben. So wie seine Dinosaurier. Ja, genau. Was? Dinosaurier? Tatsächlich: Dinosaurier.

Nach dem Öffnen der schweren Eingangstür macht der Besucher erstmal große Augen. Sobald seine Riesenkuller sich an das schummrige Licht gewöhnt haben, erblicken sie unzählige Gegenstände: Überall stehen Gerätschaften, Möbel, Fahrzeuge. Gemälde, Tafeln, Plakate hängen an den Wänden, egal, wohin man blickt. Schränke und Regale, vollgestopft mit den verrücktesten Dingen. Nach der ersten Sprachlosigkeit folgen die Kommentare: „Guck mal, die vielen Kaffeekannen!“

„Auf genau so einem Motorrad hab ich damals fahren gelernt!“ „Mit solchen Töpfen können die jungen Leute heute ja gar nicht mehr kochen.“

Jeder Einzelne findet in dieser Trödel-Kitsch-Antiquitäten- Mischung irgendwann etwas, was ihn persönlich berührt. Der Laden ist ein echter Herz-Öffner, schon manch einer hat hier Geschichten preisgegeben, die ihm sonst niemand entlockt hätte. Jeder Millimeter im Laden ist ausgefüllt mit den verschiedensten Dingen und Gegenständen.

„Kein Wunder, dass dich das schockt“, sagt Horst, „wenn du hier reinkommst, bist du natürlich erstmal platt, weil hier ja viel zu viel drin ist. Da blickst du gar nicht durch, was das soll.“

Viel zu viel und doch nie genug. Denn wer sich auf die Fülle in der Oldiethek eingelassen hat, verfällt ihr und möchte am liebsten zu jeder Kleinigkeit in den Regalen so geniale Geschichten hören, wie Horst Lichter sie über fast jeden Gegenstand hier erzählen kann.

© Gütersloher Verlagshaus

Fotos v. Peter Wirtz