Wie geht's, Deutschland?
Populisten. Profiteure. Patrioten. Eine Bilanz der Einheit
Ist 20 Jahre nach dem Fall der Mauer zusammengewachsen, was zusammengehört? Ja und nein, meint Autor Michael Jürgs, und belegt es mit den Aussagen vieler prominenter und unbekannter Zeitzeugen. Populisten, Profiteure und Patrioten werden...
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Produktinformationen zu „Wie geht's, Deutschland? “
Ist 20 Jahre nach dem Fall der Mauer zusammengewachsen, was zusammengehört? Ja und nein, meint Autor Michael Jürgs, und belegt es mit den Aussagen vieler prominenter und unbekannter Zeitzeugen. Populisten, Profiteure und Patrioten werden porträtiert - die Helden und die Macher der deutschen Einheit.
Klappentext zu „Wie geht's, Deutschland? “
Das deutsche Thema 2009: 20 Jahre Deutsche EinheitZwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer lotet der renommierte Journalist und Bestsellerautor Michael Jürgs die (Schief-) Lage der Nation aus. Wie ist es um die innere Einheit Deutschlands bestellt? Gibt es die vielzitierte Mauer in den Köpfen noch? Ist sie womöglich unüberwindbarer denn je? Die befragten Zeitzeugen antworten vielstimmig, darunter bekannte wie Angela Merkel, Matthias Platzeck, Egon Bahr, Joachim Gauck, Gregor Gysi, Erich Loest, Günther Jauch und Lothar de Maizière. Kein Geschichtsbuch, sondern ein Buch mit vielen Geschichten, die eine authentische Sicht auf ein Land erlauben, das noch immer nach seiner Einheit sucht.
Das deutsche Thema 2009: 20 Jahre Deutsche EinheitZwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer lotet der renommierte Journalist und Bestsellerautor Michael Jürgs die (Schief-) Lage der Nation aus. Wie ist es um die innere Einheit Deutschlands bestellt? Gibt es die vielzitierte Mauer in den Köpfen noch? Ist sie womöglich unüberwindbarer denn je? Die befragten Zeitzeugen antworten vielstimmig, darunter bekannte wie Angela Merkel, Matthias Platzeck, Egon Bahr, Joachim Gauck, Gregor Gysi, Erich Loest, Günther Jauch und Lothar de Maizière. Kein Geschichtsbuch, sondern ein Buch mit vielen Geschichten, die eine authentische Sicht auf ein Land erlauben, das noch immer nach seiner Einheit sucht.
Lese-Probe zu „Wie geht's, Deutschland? “
Wie geht’s, Deutschland? von Michael JürgsProlog
Die richtig guten Geschichten fangen klassisch an: »Es war einmal.«
Unvollendete Geschichten enden mit der Aussage: »Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.«
Es war einmal, am 9. November 1989, dass ein Wunder geschah und die Mauer brach. Da bei diesem Wunder kein Schuss fiel und niemand sein Leben verlor, leben die meisten Wundermacher noch heute. Fast zwanzig Jahre danach habe ich mich auf eine Reise begeben, um sie zu besuchen. Es gab viele Bahnhöfe, an denen ich bei dieser Deutschlandreise einstieg und ausstieg, und oft musste ich Schutt wegräumen, um Geschichten aus jenen Zeiten des Umbruchs und des Abbruchs und des Aufbruchs zu finden, die nicht längst schon in deutschen Geschichtsbüchern vergraben sind. Dies ist kein typisches deutsches Geschichtsbuch, sondern ein Buch voller Geschichten über Menschen, die das scheinbar unzerstörbar fest gemauerte System der SED in einer friedlichen Revolution besiegten. Über Menschen, die im geeinten Deutschland neu anfangen mussten, sich eine neue Biografie aufbauten, die tief stürzten oder hoch aufstiegen, die auf ihre Art versuchen, mit der Einheit zu leben. Ich fand fröhliche Gewinner und traurige Verlierer, wachsame Träumer und verbohrte Ewiggestrige, eingebildete Profiteure und gebildete Patrioten, in Bad Schmiedeberg oder in Kamp-Lintfort, in der Birthler-Behörde oder im Bundeskanzleramt, am Hamburger Elbufer oder im Berliner Admiralspalast, in der Zentralen DDR-Hinrichtungsstätte in Leipzig oder in der Psychiatrie von Zschadraß.
Von manchen der Zeitzeugen, die ich befragte, wie sie die Nacht der Nächte am 9. November 1989 erlebt hätten und was aus ihnen seither geworden sei, bekam ich bei konspirativ anmutenden Treffen Dokumente oder gar Akten zugesteckt, und jene, die sie mir gaben, wollten auf
... mehr
keinen Fall, dass ich ihnen in meinem Buch dafür namentlich dankte. Auf vielen nächtlichen Zugfahrten durchs dunkle Deutschland – wobei zwischen Dunkeldeutschland Ost und West auf solchen Fahrten kein Unterschied sichtbar ist – schlief ich ein und träumte wirres Zeug:
von schönen Frauen und einer blonden Prinzessin, die ihr Herz als Krone trug, von Straßenkötern, die auf fremden Sternen wohnten, und von Mousse au chocolat in kleinen Töpfen. Das alles scheint völlig verrückt, aber erklärbar ist es doch, denn es ist genau das Gegenteil dessen, was ich tagsüber erlebt hatte: graugesichtige Männer mit Brettern vor dem Kopf, vermiefte Plattenbauten, Sättigungsbeilagen. Treuester Reisebegleiter war übrigens, ganz irdisch, mein iPod, auf dem die Musik gespeichert war, die mich wieder wach machte. Neil Young und Mozart, Cat Power und Nora Jones, Bruce Springsteen und Brahms.
Wie geht’s, Deutschland?
Populisten nützen die Krise des Kapitalismus und verklären die sozialistische Vergangenheit. Nostalgie im Osten wird dadurch gefördert. Eine andere Art von Aufbau Ost. Viele im Wes ten verlangen, es müsse endlich Schluss sein mit dem teuren Aufbau Ost. Die Reise zur heutigen Lage der Nation war auch eine Reise zurück in jene wahnsinnige Zeit, als die Mauer fiel. Bei der Recherche fand ich nicht nur bislang Unbekanntes, ich traf auch auf die unbekannten Eliten des Landes, die vor Ort im Alltag alles Mögliche und Unmögliche versuchen, um zu erfüllen, was die deutsche Nationalhymne verspricht – blühe, deutsches Vaterland. Einmal stieß ich dabei sogar auf mich selbst. Mein letzter Leitartikel als »Stern«-Chefredakteur hatte den Titel »Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?« – Fragezeichen, nicht Ausrufezeichen! –, und in dem steht neben Sätzen respektvoller Bewunderung für den Mut der mir damals fremden Deutschen auch der Satz, dass ein einig Vaterland in »meinen Träumen von den neunziger Jahren keine Rolle spielt«. Vier Tage später, am 30. Januar 1990, wurde ich gefeuert. Womit bewiesen wäre: Auch mein Leben hat sich durch die Einheit geändert.
Viele Erinnerungen, viele Einzelheiten, viele Farbtupfer ergeben zwar ein Bild im deutschen Rahmen, aber das bedeutet nicht, dass dieses Bild von Deutschland das einzig gültige ist. Man darf sich auch ein anderes malen. Es kommt auf die Perspektive an. Ein Journalist, der aufschreibt, was er sieht und wonach es riecht und wie es schmeckt, hat ein anderes Bild vom geeinten Deutschland als der Zeitgeschichtler, der sein Bild aus Akten komponiert. Ein Reporter, der Zeitzeugen der Revolution von 1989 nach Brüchen in ihren Biografien befragt, schildert den realen Zustand in einer Nussschale, die vielen Historikern und Politikern lächerlich klein erscheint, weil sie das große Ganze im Auge haben und meinen, nur so könne man sich ein Urteil erlauben. Jeder Blick kann außerdem von Vorurteilen getrübt sein.
Auch für solche Vorurteile habe ich Belege gefunden: Der Ossi an sich ist unersättlich, hat keinen Geschmack, schlurft verdrießlich durch seinen Alltag, ist andauernd beleidigt und sehnt sich in Wahrheit nach den alten Zeiten zurück, in denen ihm die DDR zwar stank, doch es ihm wenigstens warm war im Mief. Der Wessi an sich ist arrogant, hält die Brüder und Schwestern für nörgelige Verwandte, die seit bald zwanzig Jahren auf seine Kosten leben, beklagt die dadurch entstandenen Löcher im eigenen Haushalt, wünscht sich seine gute alte Bundesrepublik zurück.
Meine Bilanz der Einheit ist vorläufig, subjektiv und nur möglich, wenn aus heutiger Sicht die Zeiten beschrieben werden, denen vor allem die Deutschen Ost entronnen sind. Dass meine Begegnungen mit denen spannender waren als die im Westen, ist allerdings auch wahr. Deutschland West hat die Revolution gespannt beobachtet, Deutschland Ost hat sie mutig gewagt.
Es war einmal …, dass ein Wunder passierte. Kein vernünftiger Mensch glaubt an Wunder, aber die Tanzenden auf der Berliner Mauer am 9. November 1989 waren real und der Beweis, dass es offenbar immer wieder Wunder auf Erden gibt. Alle Deutschen kniffen einheitlich verblüfft ihre Augen erst mal zu und trauten nicht der Wirklichkeit, doch als sie die wieder öffneten, bot sich ihnen der gleiche wunderbare Wahnsinn. Ich wollte wissen, was davon in der Wirklichkeit überlebt hat.
Kapitel 1
Die Klagen der Nation
Im fernen Osten, nahe der polnischen Grenze, lernte ich einen Unternehmer kennen, der statt in Sachsen ebenso gut in Reutlingen, Paderborn oder Landshut hätte leben können. Seine Weste spannte gesamtdeutsch über einem runden Bauch, sein Hund schnarchte zu seinen Füßen, seine Sekretärin tat wichtig. Was hinter ihm an der Wand hing, wäre allerdings im Westen aufgefallen. Das schwarz gerahmte Foto zeigte ihn als Offizier der Nationalen Volksarmee. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2005 ließ dieser Unternehmer die einhundertzwanzig Mitarbeiter seiner Firma im Hof antreten. Dann stellte er ihnen einen Mann vor, der verlegen lächelnd neben ihm auf der Rampe stand, an der sonst die Lastwagen auf Ladung warten. »Das ist mein Freund«, sagte er sinngemäß, denn genau weiß er das wirklich nicht mehr, »der ist in der CDU. Es geht mich nichts an, was ihr wählt, aber eure Erststimme für den Direktkandidaten gebt ihr ihm. Klar?«
Klar.
Noch Fragen?
Keine Fragen.
Ihr Firmenchef war bereits ihr Vorgesetzter, als die meisten von ihnen noch, so wie er, die Uniform der Nationalen Volksarmee trugen. Seinen Befehlen zu gehorchen war damals Pflicht, aber die Aufforderung, den Kandidaten der CDU zu wählen, wirkte deshalb nicht automatisch auf sie wie der Befehl auf einem anderen Hof, dem irgendeiner Kaserne in der einstigen DDR. Dass sie noch immer reflexartig Haltung annahmen, weil ein ehemaliger Repräsentant der untergegangenen Ordnung zu ihnen sprach, ist zwar eine naheliegende Vermutung. Aber sie ist falsch. Diese Vergangenheit war passé, und ihr eigenes Kapitel darin haben sie verarbeitet. Ihr Boss zählte jetzt zu den Stützen der Gesellschaft, hatte die da geltenden Regeln genauso effizient verinnerlicht wie früher die des alten Systems. Gemeinsam mit ihm waren auch seine Angestellten im real existierenden Kapitalismus angekommen. Sie hatten eine feste Arbeit und keine Angst vor der Zukunft. Die deutsche Einheit hat auch ihr Leben verändert.
Es ist ein besseres als das Leben früher.
Dass es ihnen heute gut geht, verdanken sie nicht nur eigener Leistung, sondern mehr noch dem Mut ihres Chefs, der mit erstaunlichem Gespür für die kommenden Bedürfnisse eines freien Marktes schon im Sommer 1990 einen Heizungs- und Sanitärbetrieb gegründet hatte. Er verschaffte ihnen eine neue Exis tenz. Um die nicht zu gefährden, mussten sie sich gelegentlich halt anpassen. Doch jede Form der Anpassung war ihnen aus den Zeiten der Diktatur vertraut. Sie wussten aus Erfahrung, dass es im Zweifelsfall besser wäre, die Schnauze zu halten. Die keinen Widerspruch duldende Ansage ihres Arbeitgebers war so ein Fall. Da die Ergebnisse der kommenden Wahl nicht wie einst in der DDR bereits vor der Wahl feststanden, blieb ihnen noch die freie Entscheidung, mit der Zweitstimme auf der Liste ihre Lieblingskandidaten von der PDS anzukreuzen.
Hans-Joachim Maaz, Psychiater und Psychoanalytiker, hat nach der deutschen Herbstrevolution 1989 mit seinem Buch »Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR« den waghalsigen Versuch unternommen, ein Volk auf die Couch zu legen und dessen psychische Deformationen, entstanden über Jahrzehnte durch im Alltag notwendige Unterdrückung wahrer Gefühle, zu analysieren. Maaz sieht außer in den sowieso vorhandenen psychischen Spätfolgen der Diktatur die wesentliche Ursache für die immer wieder auffälligen Verstörungen seiner ostdeutschen Landsleute in ihrer beruflichen Existenzangst. Deshalb bedürften sie dringend einer Therapie: »Menschen, die in Arbeit sind, trauen sich heute weniger als früher. So schlimm es war mit der Stasi, man wusste mit den Typen umzugehen und hatte gelernt, seine wahre Meinung vor denen zu verbergen. Die Angst vor dem Jobverlust dagegen, die ist heute existenziell.«
Bei seiner Analyse hebt er kaum die Stimme. Der Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Evangelischen Diakoniewerk Halle, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie, wirkt müde, als sei ihm, angesichts des Ruhestands, die Lust bereits ausgegangen. Zwar könne man mittlerweile nicht nur denken, sondern vor allem sagen, was man wolle, aber weil sich dadurch anschließend nichts ändere, »ist es nichts mehr wert: Die Erschlaffung und die Resignation sind sicher auch daraus entstanden, dass uns die Revolution geraubt wurde durch die Westdeutschen. Das war die ers te große Enttäuschung nach dem Umbruch.«
Maaz vergleicht diese Enttäuschung, der andere folgten, nicht etwa mit einem Raubüberfall, doch eine Art geistiger Diebstahl, eine unbewusste Verletzung des Urheberrechts, ist es für ihn allemal. Als im Zuge der laufenden Demonstrationen nicht nur die Mauer in Berlin, sondern alle Mauern gefallen waren, als Gedanken nicht nur frei waren, sondern frei ausgesprochen werden konnten, als die Bonzen zum Teufel oder aus ihren Ämtern gejagt waren, als die Angst endlich vertrieben schien und das Volk gesiegt hatte, wurde den Siegern innerhalb weniger Monate der Sieg wieder gestohlen. Erschöpft von ihrem Aufstand, wehrten sich die Aufständischen nicht, zumal sie bereits begonnen hatten, den gerade bewiesenen Mut zu hinterfragen. Sie waren in erster Linie geborene Deutsche und keine geborenen Revolutionäre.
Umso bewundernswerter sei doch ihre Leistung gewesen, sagt Rainer Eppelmann, den ich später auch um eine Erklärung für das mangelnde Selbstbewusstsein seiner Landsleute bitte. Er baute die »Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« auf, war aufgrund seiner politischen Biografie genau der richtige Mann für diese Aufgabe und hat nicht erst 1989 gelernt, sich zu wehren. Als Pfarrer der Samariterkirche in Berlin predigte er zivilen Ungehorsam, als das noch lebensgefährlich war. Eppelmann hat sich nie einschüchtern lassen, nicht als junger Mann, der sowohl den
Wehrdienst als auch den Einsatz als Bausoldat verweigerte und zu acht Monaten Haft verurteilt wurde, nicht, als ihn die Krake Stasi verschlingen wollte, weil er zusammen mit Robert Havemann im »Berliner Appell« forderte, Frieden zu schaffen ohne Waffen und an den Schulen auf Wehrkundeunterricht zu verzichten. »Revolution ist ein Wort, das die Deutschen nicht mögen«, sagt er, »und deshalb ist auch der Ossi nicht stolz darauf, dabei gewesen zu sein.«
Nur wegen der unerträglich gewordenen irdischen Zustände im Arbeiter- und Bauernparadies hätten sie keine andere Wahl gesehen, als sich mit der Parole »Wir sind das Volk« gegen die Obrigkeiten zu wehren. Dies ging nicht ohne Umsturz, ohne Revolution. Sie konnten ja nicht einfach alle abhauen aus der DDR, sie mussten ja bleiben, logisch. Und weil sie nicht wegkonnten, musste die DDR weg, auch logisch. Jetzt, da dies erreicht war, sollte aber bitte wieder Ruhe einkehren. Statt mit Stolz auf das Vollbrachte den Westdeutschen auf Augenhöhe entgegenzutreten, akzeptierten zu viele Ostler, dass die Westler ihren Sieg frech für sich reklamierten. »Wir wollen ja keine Sonderrechte, also keine Ostquoten für Ostgoten. Wir sind doch keine Kaninchen, die geschützt werden müssen, wir wollen nur gleich behandelt werden wie ihr im Westen« (Eppelmann).
Die Westler waren zwar nicht geschult im dialektischen Materialismus, aber sie wussten, wie man sich mit passenden Sprüchen durchsetzt. Das bessere System habe sich als siegreich erwiesen, lautete ihre angeberische Botschaft, und sie als Vertreter des Besseren seien die wahren Sieger. Maaz: »Wir haben es hingenommen, als die Wessis sagten, ist ja ganz schön gewesen mit euren revolutionären Ideen, aber die brauchen wir jetzt nicht mehr, jetzt kümmern wir uns um euch. Wir Ossis sind also selbst schuld, schieben aber nichtsdestotrotz die Schuld auf die Wessis.« Auch bei dieser merkwürdigen Mischung von Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen wäre seine Analyse der zerrissenen Volksseele sicher hilfreich. Es sei die bis in den Alltag hinein spürbare Arroganz der West- deutschen, die eigentlichen Sieger zu sein, die sie noch heute so verbittere, bestätigten mir nicht nur die Verlierer der Einheit, bei denen eine Verbitterung noch verständlich wäre. So argumentieren auch die Gewinner. Sie messen das Erreichte an dem, was im Westen in über vierzig Jahren wirtschaftlicher Blüte mit harter Arbeit erreicht worden ist, statt ihr neues Leben, was angebracht wäre, mit den Verhältnissen in den ehemaligen sozialistischen Bruderländern zu vergleichen. Die hatten und haben viel größere Hürden zu überwinden auf dem Weg zur Marktwirtschaft, weil ihnen keine reiche Schwester bei der Sanierung der Trümmerlandschaft half, die der Sozialismus hinterlassen hatte. Aber die Brudervölker stimmen keine Jammerchöre an, obwohl ihr Lebensstandard weit unter dem der Ostdeutschen liegt.
Was außerdem zum allgemeinen Frust beiträgt, sind die geplatzten Illusionen von der Warenwunderwelt des Westens, die in der Einheit jedem erschwinglich sein würde. Entpolitisierung als »Gegenwelle zur gerade erlebten politischen Bewegung« war laut Maaz die Folge. Sie hätten nach dem Umbruch ihre gesamte Geschichte selbst aufarbeiten müssen, »hätten selbst unseren Saustall in Ordnung bringen müssen. Wir selbst hätten die Urteile sprechen müssen über die Täter. Dafür hätten wir aber mehr Zeit gebraucht. Danach erst hätte man verhandeln sollen über die einzelnen Bedingungen der Einheit.« Im selben Atemzug gibt er aber zu, dass diese Analyse des Psychiaters fern der damaligen Wirklichkeit ist. »Wie das politisch hätte umgesetzt werden können, weiß ich nicht, war tatsächlich wohl bei dem Zeitdruck nicht machbar.« Für die psychische Entwicklung der Ostdeutschen ist das Versäumnis dennoch »im Blick zurück aus heutiger Sicht ein großer Fehler gewesen«.
Weil sich viele Ossis nicht mehr erinnern wollen, welchen fins teren Zeiten sie entronnen sind, werden sie von den Westdeutschen daran erinnert. Es war ja nicht nur die Stasi, die ihr Leben bedrückte. Es war die SED, deren Nachfolgepartei Die Linke heute in fast allen neuen Bundesländern schon wieder zweit stärkste Kraft geworden ist. Deren Erfolge sieht Eppelmann nicht als Zufall, denn die »Aktivisten des Widerstandes waren in Wahrheit nur ganz wenige. Deutlich unter tausend«. Die Kleiderordnung hatte sich über Nacht geändert, die bisher getragenen Kleider wurden gewendet, aber hineingewachsen sind die meisten Ostdeutschen bis heute nicht.
Die Anpassung an den Zeitgeist scheint nicht gelungen, es ist nur eine Als-Ob-Anpassung. Also behaupten viele, sie seien an der Einheit innerlich zerbrochen. Was von den Westdeutschen als durchsichtiges Manöver der Ostdeutschen angesehen wird, um mehr rauszuholen für sich. Geld natürlich, was sonst. Maaz selbst zählt sich zu den Gewinnern, obwohl er auf eigenem Terrain, in seinem Behandlungszimmer, auf mich ziemlich verloren wirkt. Rechts an der Wand steht die Couch. Draußen wartet ein Patient auf ihn. Nach seiner Theorie müsste es in den neuen Bundesländern Millionen von Patienten geben. Die Diagnose über die Ursachen ihrer Beschwerden würde etwa so lauten: eine Mischung aus depressiver Resignation, weil es keine Wiedergutmachung geben kann für gescheiterte Lebenspläne, einer nach wie vor vorhandenen ohnmächtigen Wut über den Verrat ihrer Ideale durch die sozialistischen Menschheitsbeglücker und immer noch tiefen Minderwertigkeitsgefühlen wegen der Abhängigkeit vom Wohlwollen der anderen Deutschen. Da bei einer solchen Gemengelage von Symptomen kaum ein Psychiater helfen kann, retten sich viele Ostdeutsche selbst, flüchten in eine einfache Therapie, indem sie ihre Vergangenheit schlicht verklären, denn die kann ihnen von den selbst ernannten Siegern nicht auch noch genommen werden. »Dabei seid ihr doch nur Zuschauer gewesen«, poltert Eppelmann und nimmt mich stellvertretend für alle, die er meint, ins Visier, »warum solltet ihr stolz sein auf unsere Revolution?«
Die Vergangenheit der Ostdeutschen kümmert Westdeutsche eh nicht. Viele setzen das verrottete politische und wirtschaftliche System der DDR mit dem Verhalten der Menschen gleich, die da lebten, so als hätten die in dem von oben bestimmten Unten kein selbstbestimmtes Leben gekannt – Liebe, Geburten, Freunde, Familie. Als hätte es in Dunkeldeutschland keine Jahreszeiten gege- ben, keine Sonnenaufgänge, keine Sternennächte. Einstige Bürger der DDR wiederum fühlen sich persönlich angegriffen, wenn über ihr Staatswesen pauschal geurteilt wird, als hätten sie alle in Käfigen unter Aufsicht der Stasi hausen müssen. Immer wieder hörte ich auf meinen Reisen durch Deutschland den Vorwurf: Ihr habt euch nie für unsere Biografien interessiert.
In die ziehen sie sich deshalb beleidigt zurück. Von wegen »Vorwärts immer, rückwärts nimmer«, wie es eine berühmte Losung im real dahinvegetierenden Sozialismus verheißen hatte. Wer im Hier und Heute für sich keinen Fortschritt erkennen mag, geht eben einen Schritt zurück. Dass staatliche Versprechen, Verheißungen, Verlautbarungen nichts mit der von ihnen erfahrenen Realität zu tun hatten, wissen die Ostdeutschen. Im anderen deutschen Staat gab es beispielsweise einen »Designpreis der Deutschen Demokratischen Republik«, doch falls ein junges Mädchen eine Lehre als Gebrauchswerberin begann, um später Schaufenster zu dekorieren, scheiterte sie an der Wirklichkeit. In den Schaufenstern lag nichts, was sie hätte dekorieren können, um unentschlossene Käufer anzulocken. Die standen immer entschlossen in einer Schlange, ganz egal, was zufällig im Angebot war. Würde ich heute im Westen in Fußgängerzonen Passanten befragen, was ihnen spontan als typisch für die andere Zone einfällt, wäre das Bild von Schlangen vor den HO-Läden sicher unter den ersten drei Antworten.
In der realen DDR-Mangelwirtschaft gab es kaum etwas, woran eine Gebrauchswerberin neue Ideen hätte erproben können. Junge Männer dagegen, die Medaillen für »Ausgezeichnete Leistungen in den bewaffneten Organen des Ministeriums des Inneren« anstrebten oder »Hervorragende Leistungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse«, hatten viele Gelegenheiten, sich zu profilieren. Auch »Verdiente Mitarbeiter der Staatssicherheit « liefen zuhauf herum, obwohl die ihre Medaillen in der Öffentlichkeit nicht zeigten, lieber unerkannt und unter sich blieben. Die ebenfalls jährlich vom Staat verliehenen Medaillen für »Hervorragende Leistungen im Bauwesen« hätten angesichts der nach 1989 sichtbar gewordenen Ruinen, die als bewohnbar galten, besser »Potemkin’sche Orden des Volkes« genannt werden müssen. Mit der Wirklichkeit hatten die im »Bauwesen« der DDR tätigen Genossen so ihre Probleme. Wolfgang Berghofer, einst Oberbürgermeister von Dresden und in seiner Amtszeit verzweifelt bemüht, den Verfall aufzuhalten, ist überzeugt davon, dass Städte wie die seinige oder Pirna oder Riesa innerlich unrettbar zerbröselt wären, falls es bis zum Zusammenbruch der DDR noch drei, vier Jahre länger gedauert hätte.
Tatsache ist nun mal, dass der deutsche Sozialismus à la DDR wirtschaftlich, politisch und moralisch versagt hat, dass es deshalb eines zweiten deutschen Staates nicht mehr bedurfte. »Rückwärts immer häufiger« passt dennoch vielen im Osten als Alternative zur deutschen Neuzeit inzwischen besser ins selbst gemalte Weltbild, in dem eine diffuse allgemeine Angst vor der Zukunft die vorherrschende Grundierung ist: Fast siebzig Prozent der Ostdeutschen fürchten gesellschaftliche Veränderungen, fast sechzig Prozent empfinden ihr Leben als ständigen Kampf und deshalb als Dauerstress, fast fünfzig Prozent fühlen sich vom Staat verlassen, der sich früher um sie gekümmert habe.
Leiden die denn an Gedächtnisverlust?, frage ich Doktor Maaz, den Arzt und Therapeuten. Haben viele bereits vergessen, wie ihr Leben tatsächlich aussah in der DDR? Wollen die wirklich ihren Staat zurück, frei nach der zynischen Schlussfolgerung, nun sei ja alles saniert, was der Sozialismus an Schrott und Trümmern hinterlassen hatte, nun könnte man es doch noch einmal versuchen? Natürlich nicht. Rückwärts zwar schon, aber nicht zurück zu den alten Zuständen. Maaz deutet die neue Volksbewegung, die von undifferenzierter Ostalgie angetrieben wird, ganz einfach: »Wenn mir meine Welt immer wieder von Wessis erklärt wird, bin ich automatisch mehr als je zuvor ein überzeugter Ossi.« Ein belastbares Nationalgefühl Ost existierte nicht mal in jener Zeit, als der Osten noch fest für die Ewigkeit gemauert schien, obwohl die SED immer versuchte, es diesseits vom kurzfristigen Stolz auf sportliche Erfolge langfristig zu etablieren. Das Nationalgefühl Ost, das sich in trotzigen, aber nicht immer so komischen Äußerlichkeiten zeigt wie dem scheinbar spielerisch provokanten Outfit junger Paare in Ostdiscos – er in Uniform der Volksarmee, sie im blauen FDJ-Hemd –, gedeiht erst jetzt im geeinten Deutschland, ist eigentlich reaktionär, aber verständlich.
Früher gab es zwar die Abhorch- und Zugreiftrupps von der Stasi, und es gab keine Bananen, und die Menschen durften nicht laut sagen, was sie dachten, und nicht dahin reisen, wohin sie wollten usw., aber sie hatten alle selbst dann eine Arbeit, wenn sie mangels Material an ihrem Arbeitsplatz nichts zu tun hatten. Die verdeckte Arbeitslosigkeit in Kombinaten, die in keiner Bilanz auftauchte, weil im staatlich sanktionierten System der Täuscher keine Arbeitslosen vorgesehen waren, betrug etwa fünfzehn Prozent. Das ist zahlenmäßig nicht weit entfernt vom heutigen Durchschnitt in den neuen Bundesländern.
Nach Dienstschluss begann die eigentlich spannendere, die wesentliche Tätigkeit, die Suche nach irgendwelchen Ersatzteilen, nach Mörtel und Farbe für die bedürftigen Altbauten. Wohnungen in den äußerlich hässlichen, aber innen modernen Plattenbauten waren deshalb heiß begehrt. In den zentral beheizten Wohnblöcken ließ sich wenigstens die Zimmertemperatur regeln, indem man die Fenster öffnete. Die Mieter hatten ein eigenes Bad und ein eigenes Klo statt des üblichen Plumpsklos im Hausflur. Das war sichtbarer, spürbarer Fortschritt.
Er sei, sagt Eppelmann, wie die meisten Bürger davon überzeugt gewesen, dass man sich fügen müsse in die Umstände und Zustände, »dass die DDR länger bestehen würde, als ich lebe. Also richtete ich mich möglichst anständig im Unabänderlichen ein, immer in der Hoffnung, mir wenigstens einen Teil meiner bescheidenen Wünsche ans Leben erfüllen zu können. Nur so ist verständlich, dass wir, als das Unerwartete doch passierte, das Wunder, auf einmal so ungeduldig waren. Wir hatten nicht vierzig Jahre Zeit wie ihr, alles aufzubauen. Wir waren schon hinweg über die Mitte des Lebens und wollten nicht aufs Glück warten, bis wir achtzig sind.«
Copyright © 2008 der Originalausgabe by C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
von schönen Frauen und einer blonden Prinzessin, die ihr Herz als Krone trug, von Straßenkötern, die auf fremden Sternen wohnten, und von Mousse au chocolat in kleinen Töpfen. Das alles scheint völlig verrückt, aber erklärbar ist es doch, denn es ist genau das Gegenteil dessen, was ich tagsüber erlebt hatte: graugesichtige Männer mit Brettern vor dem Kopf, vermiefte Plattenbauten, Sättigungsbeilagen. Treuester Reisebegleiter war übrigens, ganz irdisch, mein iPod, auf dem die Musik gespeichert war, die mich wieder wach machte. Neil Young und Mozart, Cat Power und Nora Jones, Bruce Springsteen und Brahms.
Wie geht’s, Deutschland?
Populisten nützen die Krise des Kapitalismus und verklären die sozialistische Vergangenheit. Nostalgie im Osten wird dadurch gefördert. Eine andere Art von Aufbau Ost. Viele im Wes ten verlangen, es müsse endlich Schluss sein mit dem teuren Aufbau Ost. Die Reise zur heutigen Lage der Nation war auch eine Reise zurück in jene wahnsinnige Zeit, als die Mauer fiel. Bei der Recherche fand ich nicht nur bislang Unbekanntes, ich traf auch auf die unbekannten Eliten des Landes, die vor Ort im Alltag alles Mögliche und Unmögliche versuchen, um zu erfüllen, was die deutsche Nationalhymne verspricht – blühe, deutsches Vaterland. Einmal stieß ich dabei sogar auf mich selbst. Mein letzter Leitartikel als »Stern«-Chefredakteur hatte den Titel »Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?« – Fragezeichen, nicht Ausrufezeichen! –, und in dem steht neben Sätzen respektvoller Bewunderung für den Mut der mir damals fremden Deutschen auch der Satz, dass ein einig Vaterland in »meinen Träumen von den neunziger Jahren keine Rolle spielt«. Vier Tage später, am 30. Januar 1990, wurde ich gefeuert. Womit bewiesen wäre: Auch mein Leben hat sich durch die Einheit geändert.
Viele Erinnerungen, viele Einzelheiten, viele Farbtupfer ergeben zwar ein Bild im deutschen Rahmen, aber das bedeutet nicht, dass dieses Bild von Deutschland das einzig gültige ist. Man darf sich auch ein anderes malen. Es kommt auf die Perspektive an. Ein Journalist, der aufschreibt, was er sieht und wonach es riecht und wie es schmeckt, hat ein anderes Bild vom geeinten Deutschland als der Zeitgeschichtler, der sein Bild aus Akten komponiert. Ein Reporter, der Zeitzeugen der Revolution von 1989 nach Brüchen in ihren Biografien befragt, schildert den realen Zustand in einer Nussschale, die vielen Historikern und Politikern lächerlich klein erscheint, weil sie das große Ganze im Auge haben und meinen, nur so könne man sich ein Urteil erlauben. Jeder Blick kann außerdem von Vorurteilen getrübt sein.
Auch für solche Vorurteile habe ich Belege gefunden: Der Ossi an sich ist unersättlich, hat keinen Geschmack, schlurft verdrießlich durch seinen Alltag, ist andauernd beleidigt und sehnt sich in Wahrheit nach den alten Zeiten zurück, in denen ihm die DDR zwar stank, doch es ihm wenigstens warm war im Mief. Der Wessi an sich ist arrogant, hält die Brüder und Schwestern für nörgelige Verwandte, die seit bald zwanzig Jahren auf seine Kosten leben, beklagt die dadurch entstandenen Löcher im eigenen Haushalt, wünscht sich seine gute alte Bundesrepublik zurück.
Meine Bilanz der Einheit ist vorläufig, subjektiv und nur möglich, wenn aus heutiger Sicht die Zeiten beschrieben werden, denen vor allem die Deutschen Ost entronnen sind. Dass meine Begegnungen mit denen spannender waren als die im Westen, ist allerdings auch wahr. Deutschland West hat die Revolution gespannt beobachtet, Deutschland Ost hat sie mutig gewagt.
Es war einmal …, dass ein Wunder passierte. Kein vernünftiger Mensch glaubt an Wunder, aber die Tanzenden auf der Berliner Mauer am 9. November 1989 waren real und der Beweis, dass es offenbar immer wieder Wunder auf Erden gibt. Alle Deutschen kniffen einheitlich verblüfft ihre Augen erst mal zu und trauten nicht der Wirklichkeit, doch als sie die wieder öffneten, bot sich ihnen der gleiche wunderbare Wahnsinn. Ich wollte wissen, was davon in der Wirklichkeit überlebt hat.
Kapitel 1
Die Klagen der Nation
Im fernen Osten, nahe der polnischen Grenze, lernte ich einen Unternehmer kennen, der statt in Sachsen ebenso gut in Reutlingen, Paderborn oder Landshut hätte leben können. Seine Weste spannte gesamtdeutsch über einem runden Bauch, sein Hund schnarchte zu seinen Füßen, seine Sekretärin tat wichtig. Was hinter ihm an der Wand hing, wäre allerdings im Westen aufgefallen. Das schwarz gerahmte Foto zeigte ihn als Offizier der Nationalen Volksarmee. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2005 ließ dieser Unternehmer die einhundertzwanzig Mitarbeiter seiner Firma im Hof antreten. Dann stellte er ihnen einen Mann vor, der verlegen lächelnd neben ihm auf der Rampe stand, an der sonst die Lastwagen auf Ladung warten. »Das ist mein Freund«, sagte er sinngemäß, denn genau weiß er das wirklich nicht mehr, »der ist in der CDU. Es geht mich nichts an, was ihr wählt, aber eure Erststimme für den Direktkandidaten gebt ihr ihm. Klar?«
Klar.
Noch Fragen?
Keine Fragen.
Ihr Firmenchef war bereits ihr Vorgesetzter, als die meisten von ihnen noch, so wie er, die Uniform der Nationalen Volksarmee trugen. Seinen Befehlen zu gehorchen war damals Pflicht, aber die Aufforderung, den Kandidaten der CDU zu wählen, wirkte deshalb nicht automatisch auf sie wie der Befehl auf einem anderen Hof, dem irgendeiner Kaserne in der einstigen DDR. Dass sie noch immer reflexartig Haltung annahmen, weil ein ehemaliger Repräsentant der untergegangenen Ordnung zu ihnen sprach, ist zwar eine naheliegende Vermutung. Aber sie ist falsch. Diese Vergangenheit war passé, und ihr eigenes Kapitel darin haben sie verarbeitet. Ihr Boss zählte jetzt zu den Stützen der Gesellschaft, hatte die da geltenden Regeln genauso effizient verinnerlicht wie früher die des alten Systems. Gemeinsam mit ihm waren auch seine Angestellten im real existierenden Kapitalismus angekommen. Sie hatten eine feste Arbeit und keine Angst vor der Zukunft. Die deutsche Einheit hat auch ihr Leben verändert.
Es ist ein besseres als das Leben früher.
Dass es ihnen heute gut geht, verdanken sie nicht nur eigener Leistung, sondern mehr noch dem Mut ihres Chefs, der mit erstaunlichem Gespür für die kommenden Bedürfnisse eines freien Marktes schon im Sommer 1990 einen Heizungs- und Sanitärbetrieb gegründet hatte. Er verschaffte ihnen eine neue Exis tenz. Um die nicht zu gefährden, mussten sie sich gelegentlich halt anpassen. Doch jede Form der Anpassung war ihnen aus den Zeiten der Diktatur vertraut. Sie wussten aus Erfahrung, dass es im Zweifelsfall besser wäre, die Schnauze zu halten. Die keinen Widerspruch duldende Ansage ihres Arbeitgebers war so ein Fall. Da die Ergebnisse der kommenden Wahl nicht wie einst in der DDR bereits vor der Wahl feststanden, blieb ihnen noch die freie Entscheidung, mit der Zweitstimme auf der Liste ihre Lieblingskandidaten von der PDS anzukreuzen.
Hans-Joachim Maaz, Psychiater und Psychoanalytiker, hat nach der deutschen Herbstrevolution 1989 mit seinem Buch »Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR« den waghalsigen Versuch unternommen, ein Volk auf die Couch zu legen und dessen psychische Deformationen, entstanden über Jahrzehnte durch im Alltag notwendige Unterdrückung wahrer Gefühle, zu analysieren. Maaz sieht außer in den sowieso vorhandenen psychischen Spätfolgen der Diktatur die wesentliche Ursache für die immer wieder auffälligen Verstörungen seiner ostdeutschen Landsleute in ihrer beruflichen Existenzangst. Deshalb bedürften sie dringend einer Therapie: »Menschen, die in Arbeit sind, trauen sich heute weniger als früher. So schlimm es war mit der Stasi, man wusste mit den Typen umzugehen und hatte gelernt, seine wahre Meinung vor denen zu verbergen. Die Angst vor dem Jobverlust dagegen, die ist heute existenziell.«
Bei seiner Analyse hebt er kaum die Stimme. Der Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Evangelischen Diakoniewerk Halle, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie, wirkt müde, als sei ihm, angesichts des Ruhestands, die Lust bereits ausgegangen. Zwar könne man mittlerweile nicht nur denken, sondern vor allem sagen, was man wolle, aber weil sich dadurch anschließend nichts ändere, »ist es nichts mehr wert: Die Erschlaffung und die Resignation sind sicher auch daraus entstanden, dass uns die Revolution geraubt wurde durch die Westdeutschen. Das war die ers te große Enttäuschung nach dem Umbruch.«
Maaz vergleicht diese Enttäuschung, der andere folgten, nicht etwa mit einem Raubüberfall, doch eine Art geistiger Diebstahl, eine unbewusste Verletzung des Urheberrechts, ist es für ihn allemal. Als im Zuge der laufenden Demonstrationen nicht nur die Mauer in Berlin, sondern alle Mauern gefallen waren, als Gedanken nicht nur frei waren, sondern frei ausgesprochen werden konnten, als die Bonzen zum Teufel oder aus ihren Ämtern gejagt waren, als die Angst endlich vertrieben schien und das Volk gesiegt hatte, wurde den Siegern innerhalb weniger Monate der Sieg wieder gestohlen. Erschöpft von ihrem Aufstand, wehrten sich die Aufständischen nicht, zumal sie bereits begonnen hatten, den gerade bewiesenen Mut zu hinterfragen. Sie waren in erster Linie geborene Deutsche und keine geborenen Revolutionäre.
Umso bewundernswerter sei doch ihre Leistung gewesen, sagt Rainer Eppelmann, den ich später auch um eine Erklärung für das mangelnde Selbstbewusstsein seiner Landsleute bitte. Er baute die »Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« auf, war aufgrund seiner politischen Biografie genau der richtige Mann für diese Aufgabe und hat nicht erst 1989 gelernt, sich zu wehren. Als Pfarrer der Samariterkirche in Berlin predigte er zivilen Ungehorsam, als das noch lebensgefährlich war. Eppelmann hat sich nie einschüchtern lassen, nicht als junger Mann, der sowohl den
Wehrdienst als auch den Einsatz als Bausoldat verweigerte und zu acht Monaten Haft verurteilt wurde, nicht, als ihn die Krake Stasi verschlingen wollte, weil er zusammen mit Robert Havemann im »Berliner Appell« forderte, Frieden zu schaffen ohne Waffen und an den Schulen auf Wehrkundeunterricht zu verzichten. »Revolution ist ein Wort, das die Deutschen nicht mögen«, sagt er, »und deshalb ist auch der Ossi nicht stolz darauf, dabei gewesen zu sein.«
Nur wegen der unerträglich gewordenen irdischen Zustände im Arbeiter- und Bauernparadies hätten sie keine andere Wahl gesehen, als sich mit der Parole »Wir sind das Volk« gegen die Obrigkeiten zu wehren. Dies ging nicht ohne Umsturz, ohne Revolution. Sie konnten ja nicht einfach alle abhauen aus der DDR, sie mussten ja bleiben, logisch. Und weil sie nicht wegkonnten, musste die DDR weg, auch logisch. Jetzt, da dies erreicht war, sollte aber bitte wieder Ruhe einkehren. Statt mit Stolz auf das Vollbrachte den Westdeutschen auf Augenhöhe entgegenzutreten, akzeptierten zu viele Ostler, dass die Westler ihren Sieg frech für sich reklamierten. »Wir wollen ja keine Sonderrechte, also keine Ostquoten für Ostgoten. Wir sind doch keine Kaninchen, die geschützt werden müssen, wir wollen nur gleich behandelt werden wie ihr im Westen« (Eppelmann).
Die Westler waren zwar nicht geschult im dialektischen Materialismus, aber sie wussten, wie man sich mit passenden Sprüchen durchsetzt. Das bessere System habe sich als siegreich erwiesen, lautete ihre angeberische Botschaft, und sie als Vertreter des Besseren seien die wahren Sieger. Maaz: »Wir haben es hingenommen, als die Wessis sagten, ist ja ganz schön gewesen mit euren revolutionären Ideen, aber die brauchen wir jetzt nicht mehr, jetzt kümmern wir uns um euch. Wir Ossis sind also selbst schuld, schieben aber nichtsdestotrotz die Schuld auf die Wessis.« Auch bei dieser merkwürdigen Mischung von Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen wäre seine Analyse der zerrissenen Volksseele sicher hilfreich. Es sei die bis in den Alltag hinein spürbare Arroganz der West- deutschen, die eigentlichen Sieger zu sein, die sie noch heute so verbittere, bestätigten mir nicht nur die Verlierer der Einheit, bei denen eine Verbitterung noch verständlich wäre. So argumentieren auch die Gewinner. Sie messen das Erreichte an dem, was im Westen in über vierzig Jahren wirtschaftlicher Blüte mit harter Arbeit erreicht worden ist, statt ihr neues Leben, was angebracht wäre, mit den Verhältnissen in den ehemaligen sozialistischen Bruderländern zu vergleichen. Die hatten und haben viel größere Hürden zu überwinden auf dem Weg zur Marktwirtschaft, weil ihnen keine reiche Schwester bei der Sanierung der Trümmerlandschaft half, die der Sozialismus hinterlassen hatte. Aber die Brudervölker stimmen keine Jammerchöre an, obwohl ihr Lebensstandard weit unter dem der Ostdeutschen liegt.
Was außerdem zum allgemeinen Frust beiträgt, sind die geplatzten Illusionen von der Warenwunderwelt des Westens, die in der Einheit jedem erschwinglich sein würde. Entpolitisierung als »Gegenwelle zur gerade erlebten politischen Bewegung« war laut Maaz die Folge. Sie hätten nach dem Umbruch ihre gesamte Geschichte selbst aufarbeiten müssen, »hätten selbst unseren Saustall in Ordnung bringen müssen. Wir selbst hätten die Urteile sprechen müssen über die Täter. Dafür hätten wir aber mehr Zeit gebraucht. Danach erst hätte man verhandeln sollen über die einzelnen Bedingungen der Einheit.« Im selben Atemzug gibt er aber zu, dass diese Analyse des Psychiaters fern der damaligen Wirklichkeit ist. »Wie das politisch hätte umgesetzt werden können, weiß ich nicht, war tatsächlich wohl bei dem Zeitdruck nicht machbar.« Für die psychische Entwicklung der Ostdeutschen ist das Versäumnis dennoch »im Blick zurück aus heutiger Sicht ein großer Fehler gewesen«.
Weil sich viele Ossis nicht mehr erinnern wollen, welchen fins teren Zeiten sie entronnen sind, werden sie von den Westdeutschen daran erinnert. Es war ja nicht nur die Stasi, die ihr Leben bedrückte. Es war die SED, deren Nachfolgepartei Die Linke heute in fast allen neuen Bundesländern schon wieder zweit stärkste Kraft geworden ist. Deren Erfolge sieht Eppelmann nicht als Zufall, denn die »Aktivisten des Widerstandes waren in Wahrheit nur ganz wenige. Deutlich unter tausend«. Die Kleiderordnung hatte sich über Nacht geändert, die bisher getragenen Kleider wurden gewendet, aber hineingewachsen sind die meisten Ostdeutschen bis heute nicht.
Die Anpassung an den Zeitgeist scheint nicht gelungen, es ist nur eine Als-Ob-Anpassung. Also behaupten viele, sie seien an der Einheit innerlich zerbrochen. Was von den Westdeutschen als durchsichtiges Manöver der Ostdeutschen angesehen wird, um mehr rauszuholen für sich. Geld natürlich, was sonst. Maaz selbst zählt sich zu den Gewinnern, obwohl er auf eigenem Terrain, in seinem Behandlungszimmer, auf mich ziemlich verloren wirkt. Rechts an der Wand steht die Couch. Draußen wartet ein Patient auf ihn. Nach seiner Theorie müsste es in den neuen Bundesländern Millionen von Patienten geben. Die Diagnose über die Ursachen ihrer Beschwerden würde etwa so lauten: eine Mischung aus depressiver Resignation, weil es keine Wiedergutmachung geben kann für gescheiterte Lebenspläne, einer nach wie vor vorhandenen ohnmächtigen Wut über den Verrat ihrer Ideale durch die sozialistischen Menschheitsbeglücker und immer noch tiefen Minderwertigkeitsgefühlen wegen der Abhängigkeit vom Wohlwollen der anderen Deutschen. Da bei einer solchen Gemengelage von Symptomen kaum ein Psychiater helfen kann, retten sich viele Ostdeutsche selbst, flüchten in eine einfache Therapie, indem sie ihre Vergangenheit schlicht verklären, denn die kann ihnen von den selbst ernannten Siegern nicht auch noch genommen werden. »Dabei seid ihr doch nur Zuschauer gewesen«, poltert Eppelmann und nimmt mich stellvertretend für alle, die er meint, ins Visier, »warum solltet ihr stolz sein auf unsere Revolution?«
Die Vergangenheit der Ostdeutschen kümmert Westdeutsche eh nicht. Viele setzen das verrottete politische und wirtschaftliche System der DDR mit dem Verhalten der Menschen gleich, die da lebten, so als hätten die in dem von oben bestimmten Unten kein selbstbestimmtes Leben gekannt – Liebe, Geburten, Freunde, Familie. Als hätte es in Dunkeldeutschland keine Jahreszeiten gege- ben, keine Sonnenaufgänge, keine Sternennächte. Einstige Bürger der DDR wiederum fühlen sich persönlich angegriffen, wenn über ihr Staatswesen pauschal geurteilt wird, als hätten sie alle in Käfigen unter Aufsicht der Stasi hausen müssen. Immer wieder hörte ich auf meinen Reisen durch Deutschland den Vorwurf: Ihr habt euch nie für unsere Biografien interessiert.
In die ziehen sie sich deshalb beleidigt zurück. Von wegen »Vorwärts immer, rückwärts nimmer«, wie es eine berühmte Losung im real dahinvegetierenden Sozialismus verheißen hatte. Wer im Hier und Heute für sich keinen Fortschritt erkennen mag, geht eben einen Schritt zurück. Dass staatliche Versprechen, Verheißungen, Verlautbarungen nichts mit der von ihnen erfahrenen Realität zu tun hatten, wissen die Ostdeutschen. Im anderen deutschen Staat gab es beispielsweise einen »Designpreis der Deutschen Demokratischen Republik«, doch falls ein junges Mädchen eine Lehre als Gebrauchswerberin begann, um später Schaufenster zu dekorieren, scheiterte sie an der Wirklichkeit. In den Schaufenstern lag nichts, was sie hätte dekorieren können, um unentschlossene Käufer anzulocken. Die standen immer entschlossen in einer Schlange, ganz egal, was zufällig im Angebot war. Würde ich heute im Westen in Fußgängerzonen Passanten befragen, was ihnen spontan als typisch für die andere Zone einfällt, wäre das Bild von Schlangen vor den HO-Läden sicher unter den ersten drei Antworten.
In der realen DDR-Mangelwirtschaft gab es kaum etwas, woran eine Gebrauchswerberin neue Ideen hätte erproben können. Junge Männer dagegen, die Medaillen für »Ausgezeichnete Leistungen in den bewaffneten Organen des Ministeriums des Inneren« anstrebten oder »Hervorragende Leistungen in den Kampfgruppen der Arbeiterklasse«, hatten viele Gelegenheiten, sich zu profilieren. Auch »Verdiente Mitarbeiter der Staatssicherheit « liefen zuhauf herum, obwohl die ihre Medaillen in der Öffentlichkeit nicht zeigten, lieber unerkannt und unter sich blieben. Die ebenfalls jährlich vom Staat verliehenen Medaillen für »Hervorragende Leistungen im Bauwesen« hätten angesichts der nach 1989 sichtbar gewordenen Ruinen, die als bewohnbar galten, besser »Potemkin’sche Orden des Volkes« genannt werden müssen. Mit der Wirklichkeit hatten die im »Bauwesen« der DDR tätigen Genossen so ihre Probleme. Wolfgang Berghofer, einst Oberbürgermeister von Dresden und in seiner Amtszeit verzweifelt bemüht, den Verfall aufzuhalten, ist überzeugt davon, dass Städte wie die seinige oder Pirna oder Riesa innerlich unrettbar zerbröselt wären, falls es bis zum Zusammenbruch der DDR noch drei, vier Jahre länger gedauert hätte.
Tatsache ist nun mal, dass der deutsche Sozialismus à la DDR wirtschaftlich, politisch und moralisch versagt hat, dass es deshalb eines zweiten deutschen Staates nicht mehr bedurfte. »Rückwärts immer häufiger« passt dennoch vielen im Osten als Alternative zur deutschen Neuzeit inzwischen besser ins selbst gemalte Weltbild, in dem eine diffuse allgemeine Angst vor der Zukunft die vorherrschende Grundierung ist: Fast siebzig Prozent der Ostdeutschen fürchten gesellschaftliche Veränderungen, fast sechzig Prozent empfinden ihr Leben als ständigen Kampf und deshalb als Dauerstress, fast fünfzig Prozent fühlen sich vom Staat verlassen, der sich früher um sie gekümmert habe.
Leiden die denn an Gedächtnisverlust?, frage ich Doktor Maaz, den Arzt und Therapeuten. Haben viele bereits vergessen, wie ihr Leben tatsächlich aussah in der DDR? Wollen die wirklich ihren Staat zurück, frei nach der zynischen Schlussfolgerung, nun sei ja alles saniert, was der Sozialismus an Schrott und Trümmern hinterlassen hatte, nun könnte man es doch noch einmal versuchen? Natürlich nicht. Rückwärts zwar schon, aber nicht zurück zu den alten Zuständen. Maaz deutet die neue Volksbewegung, die von undifferenzierter Ostalgie angetrieben wird, ganz einfach: »Wenn mir meine Welt immer wieder von Wessis erklärt wird, bin ich automatisch mehr als je zuvor ein überzeugter Ossi.« Ein belastbares Nationalgefühl Ost existierte nicht mal in jener Zeit, als der Osten noch fest für die Ewigkeit gemauert schien, obwohl die SED immer versuchte, es diesseits vom kurzfristigen Stolz auf sportliche Erfolge langfristig zu etablieren. Das Nationalgefühl Ost, das sich in trotzigen, aber nicht immer so komischen Äußerlichkeiten zeigt wie dem scheinbar spielerisch provokanten Outfit junger Paare in Ostdiscos – er in Uniform der Volksarmee, sie im blauen FDJ-Hemd –, gedeiht erst jetzt im geeinten Deutschland, ist eigentlich reaktionär, aber verständlich.
Früher gab es zwar die Abhorch- und Zugreiftrupps von der Stasi, und es gab keine Bananen, und die Menschen durften nicht laut sagen, was sie dachten, und nicht dahin reisen, wohin sie wollten usw., aber sie hatten alle selbst dann eine Arbeit, wenn sie mangels Material an ihrem Arbeitsplatz nichts zu tun hatten. Die verdeckte Arbeitslosigkeit in Kombinaten, die in keiner Bilanz auftauchte, weil im staatlich sanktionierten System der Täuscher keine Arbeitslosen vorgesehen waren, betrug etwa fünfzehn Prozent. Das ist zahlenmäßig nicht weit entfernt vom heutigen Durchschnitt in den neuen Bundesländern.
Nach Dienstschluss begann die eigentlich spannendere, die wesentliche Tätigkeit, die Suche nach irgendwelchen Ersatzteilen, nach Mörtel und Farbe für die bedürftigen Altbauten. Wohnungen in den äußerlich hässlichen, aber innen modernen Plattenbauten waren deshalb heiß begehrt. In den zentral beheizten Wohnblöcken ließ sich wenigstens die Zimmertemperatur regeln, indem man die Fenster öffnete. Die Mieter hatten ein eigenes Bad und ein eigenes Klo statt des üblichen Plumpsklos im Hausflur. Das war sichtbarer, spürbarer Fortschritt.
Er sei, sagt Eppelmann, wie die meisten Bürger davon überzeugt gewesen, dass man sich fügen müsse in die Umstände und Zustände, »dass die DDR länger bestehen würde, als ich lebe. Also richtete ich mich möglichst anständig im Unabänderlichen ein, immer in der Hoffnung, mir wenigstens einen Teil meiner bescheidenen Wünsche ans Leben erfüllen zu können. Nur so ist verständlich, dass wir, als das Unerwartete doch passierte, das Wunder, auf einmal so ungeduldig waren. Wir hatten nicht vierzig Jahre Zeit wie ihr, alles aufzubauen. Wir waren schon hinweg über die Mitte des Lebens und wollten nicht aufs Glück warten, bis wir achtzig sind.«
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Autoren-Porträt von Michael Jürgs
Michael Jürgs, geboren 1945, war Chefredakteur von "Stern" und "Tempo". Er hat sich als Autor zahlreicher Biografien einen Namen gemacht. Seine Bücher waren alle Bestseller. Er ist Co-Autor vieler Fernsehdokumentationen, die nach seinen Büchern gedreht wurden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michael Jürgs
- 2009, 368 Seiten, Maße: 12,5 x 18,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442155797
- ISBN-13: 9783442155798
Rezension zu „Wie geht's, Deutschland? “
"Für sein neues Buch ist Jürgs durch Deutschland gefahren, bekommt Einblicke in den Seelenzustand eines Landes. Sein Befund: Viele Ostdeutsche haben etwas Entscheidendes verloren im Prozess der Einheit."
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