Wir Himmelstöchter
Nicht zuletzt durch Nai-nais Küche denn Essen ist in China mehr als nur Nahrung: In ihm spiegeln sich das Leben, die Liebe und der ganze Kosmos wider!
New York, 1958: Leslies Großmutter Nai-nai darf endlich zur Familie ihres Sohnes einreisen. Schlagartig ändert sich bei den Lis der Alltag. Nai-nai übernimmt den Haushalt. Ab jetzt wird traditionell chinesisch gekocht! Und weil Nai-nai nur frische Zutaten akzeptiert, wird jeder Zentimeter Garten, selbst der Sandkasten, zum Kräuter- und Gemüsebeet. Sogar auf der Verkehrsinsel an der Hauptstraße baut sie Suppengemüse an. Und Leslie bekommt endlich eine Lunchbox mit in die Schule. Doch darin sind Dinge, die die anderen verächtlich als "runzlige Baumrinde" und "Giftfrüchte mit Terpentingeschmack" bezeichnen. Aber Leslie mag, was Nai-nai so liebevoll zubereitet hat. Als Nai-nai ihr von ihrem aufregenden Leben erzählt, findet Leslie einen Weg, ihr chinesisches Erbe und ihr exotisches Aussehen mit ihrer amerikanischen Herkunft zu versöhnen.
Nicht zuletzt durch Nai-nais Küche - denn Essen ist in China mehr als nur Nahrung: In ihm spiegeln sich das Leben, die Liebe und der ganze Kosmos wider!" - "Eine wunderbare Familiengeschichte. ... Der schöne Untertitel 'Was ich von meiner chinesischen Großmutter über das Leben, die Liebe und das Kochen lernte' hält inhaltlich, was er verspricht - inklusive feiner Rezepte zum Nachkochen." - " - Gesundheit
"In der Tradition von Amy Tan verwebt Leslie Li ihre Familiengeschichte mit der Küche ihrer Vorfahren." - Booklist
"Dieses Buch ist mehr als befriedigend und das poetische Ende bleibt noch lange nach der letzten Seite im Gedächtnis." - Publishers Weekly
Wir Himmelstöchter von Leslie Li
LESEPROBE
Ein Spaziergang in Nai-nais Garten
In keinen Bereich des Lebens darfsich Gleichgültigkeit einschleichen - am allerwenigsten in die Kochkunst.
- Yuan Mei, Gelehrter aus der QuingDynastie
Als Nai-nai bei uns einzog, hatte sie in den acht Jahren, die sieim vorrevolutionären Kuba verbracht hatte, kein einziges Wort Spanisch gelernt.Genauso wenig sollte sie in den fünfzehn Jahren, die sie dann bei uns lebte,ein einziges Wort Englisch lernen. Meine Schwestern und ich, die nur Englisch sprachen,eigneten sich ein paar Worte Chinesisch an. Der Satz, den wir am häufigstenbrauchten, war Bu dong(Ich verstehe nicht). Es war dies ein höchst untauglicher Versuch, mit Nai-nai zu kommunizieren. Oder eher, dies eben nicht zu tun.Wir hatten unser chinesisches Erbe stets auf Armeslänge Abstand von unsgehalten, um es dann in Form unserer überaus sonderbaren chinesischenGroßmutter aufgedrängt zu bekommen. Nai-nai war ihrerneuen amerikanischen Heimat gegenüber keineswegs feindlich eingestellt, sieließ sie einfach nur völlig gleichgültig. Das moderne amerikanischeVorstadtleben mochte sie vielleicht ein klein wenig irritieren, aber imInnersten ihres Wesens - sie war von solider bäuerlicher Herkunft und durch dieauf die Landwirtschaft aufbauende chinesische Kultur der Zeit vor 1949 geprägt- blieb sie fest wie ein Fels. Sie war durch nichts und niemanden zuerschüttern. Sie, die Veränderungen gegenüber völlig immun war, brachtenichtsdestotrotz große Veränderungen in unser Leben. Sie begann auf der Stelleunser Zuhause zu verwandeln, so dass es schließlich der ländlichen Häuslichkeitentsprach, die sie von jeher kannte. Das Essen bildete das Zentrum von Nai-nais Dasein. Allerdings weniger der Verzehr der Speisenals vielmehr deren Zubereitung. So wie sie heftige Debatten genoss (an denensie sich zwar nur selten beteiligte, bei denen sie sich aber, wie am niedergeschlagenenoder verwirrten Gesichtsausdruck meines Vaters nur allzu deutlich abzulesenwar, stets durchsetzte), genoss sie gutes Essen. Dabei waren ihr die beiden grundlegendenVoraussetzungen geradezu heilig: die frischesten Zutaten (wenn möglich selbstangebaut) und eine sorgfältige Zubereitung. Was die erste der beidenVoraussetzungen anging, hätten wir eigentlich vorgewarnt sein sollen. Denn kurznach ihrer Ankunft hatte sie unseren Sandkasten hinter dem Haus auf das Genauestein Augenschein genommen. Es kam dann so, wie es kommen musste: Die Schaukel, dieWippe und die Rutsche, dort, wo meine Schwester und ich jahrelang gespielthatten, wurden abgebaut und fortgeschafft. Nai-naiwollte einen Gemüsegarten anlegen und brauchte dafür unseren Sandkasten,natürlich ohne Spielgeräte. Wir ärgerten uns vergeblich darüber, dass unsergeheiligter Platz entweiht und die rostigen Erinnerungen an unsere Kindheitverbannt wurden, nur damit Nai-nai dort, wo wir unsereSandkuchen gebacken und unsere Sandburgen gebaut hatten, jetzt ihre Tomaten undihren Pak Choi gießen konnte. Dies nämlich tat sieden ganzen Spätfrühling und Sommer hindurch. Jeden Tag. Morgens oder abends,und manchmal, wenn es besonders heiß war, auch beides. Ihr Leben richtete sichnach dem Lauf der Sonne und war entsprechend regelmäßig: Um sechs Uhr stand sieauf, nahm ein leichtes Frühstück zu sich, das aus juk,einer dünnen Reisschleimsuppe, oder geema wot mein, einemleichten Nudelgericht, bestand, und ging dann nach draußen, um sich um ihrenSandkastengarten zu kümmern. Ihr botanischer Blick machte hier jedoch nichtHalt. Er wanderte weiter nach oben zur »Felsenbank«, wie wir das Plateaunannten, das mit Brombeersträuchern, hohen Gräsern und ein paar dürrenHeidelbeerbüschen bewachsen und durch einen Rasenstreifen und eine zwei Meterhohe Felsmauer vom Sandkasten getrennt war. Die Felsenbank führte zu unserenverschiedenen Waldverstecken: Flat Rock, Teepee und Old Baldy. Nai-nai befreite das Plateau von jeglichem Unkraut, grubden Boden um, zerkleinerte die Erdklumpen und legte dann ihren zweitenGemüsegarten an, der eine exakte Kopie des ersten war. Damit waren wirgezwungen, die Felsenbank vorsichtig und auf Zehenspitzen zu überqueren, um zuunseren Treffpunkten im Wald zu gelangen. Auf dem Esstisch standen von nun angroße Platten mit Pak Choi, der nur kurz angebratenworden war, in feine Streifen geschnittenem Lendensteak und Tomaten, deren Hautzwar schrumpelig, aber deren Fruchtfleisch fest war. Dies war neu für uns. Wennmeine Mutter Gemüse zubereitete, war es stets völlig ausgelaugt. Ihre »leicht sautierten Tomaten« waren gewöhnlich totgekocht.Den Rasen vor unserem Haus schmückten früher Blumenbeete in drei verschiedenenFormen: eine gerade Linie roter Strauchrosen; ein runder Fleck mit duftendenPfingstrosen und Maiglöckchen; und ein gewundener Pfad mit rosa und blauenHyazinthen, karminroten Tulpen, sonnengelben Jonquillenund Narzissen. Aber auch diese Beete sollten, wie schon unser Sandkasten unddie Felsenbank, Nai-nais Hacke zum Opfer fallen. (Wardenn überhaupt nichts vor ihr sicher? Nichts unantastbar?) Statt der roten,gelben, rosa und lila Blüten, die dort im Frühjahr das Auge erfreut hatten,sprossen jetzt jeden Sommer die weißgrünen, länglichen Köpfe des Pak Chois und die runden, roten Tomaten. AlsVergeltungsmaßnahme traten meine Schwestern und ich gegen Nai-naisallgegenwärtigen Pak Choi in den Hungerstreik. Wirversuchten, so wenig wie möglich von dem gehassten Gemüse zu essen, ohne dabeidie Aufmerksamkeit unserer Eltern auf uns zu ziehen. Denn damit hätten wirriskiert, noch eine Extra-Portion aufgeladen zu bekommen. Wenn wir inBegleitung unserer nicht-chinesischen Freunde nach Hause kamen (unserechinesisch-amerikanischen Freunde hätten Verständnis gezeigt und unsbemitleidet), mieden wir den Vordereingang mit seinem peinlichen Gemüsepfad undnahmen stattdessen die Hintertür. Unglücklicherweise brachte der Weg durch dieHintertür jedoch andere Probleme mit sich. An manchen Tagen trocknete meineMutter ihre Wäsche auf der Wäschespinne hinter dem Haus. An anderen, wenn Nai-nai schneller war, hingen dort, sauber aufgereiht, Pak-Choi-Blätter. Manchmal standen auf der Wäschespinneauch Kuchenbleche mit Chilischoten, die in der Sonne langsam vor sich hinschrumpelten. Nai-nai legte den Pak Choi in großen Steingutgefäßen ein und servierte ihn dannzu pfannengebratenem Schweinefleisch. Diegetrockneten Chilis verwendete sie für eine ganze Reihe von Gerichten, um ihnenbesonderen Pfiff zu verleihen. Die frischen Chilis hackte sie klein,zerquetschte sie und schmeckte sie mit Knoblauch, Salz und Gewürzen (ohne Öl) ab.Diesen Brei füllte sie in Flaschen und stellte ihn in den Küchenschrank, wo erreifte, bis schließlich la-jiao daraus gewordenwar, welches nur äußerst sparsam verwendet werden durfte. Nicht, weil es soscharf war, sondern weil es, und das mussten sogar wir zugeben, so gutschmeckte. Nai-nai widmete sich jedoch regelmäßigauch noch einer anderen Tätigkeit, die es, wenn wir mit nicht-chinesischen Freundenkamen, erforderlich machte, zuerst das Terrain auszukundschaften, um zuentscheiden, welchen Eingang wir nehmen konnten. Mein Vater hatte Nai-nai einen teuren Messerschleifer gekauft. Sie zog esjedoch vor, ihr chinesisches Hackmesser mit Hilfe von ein wenig Wasser,Muskelkraft und der feinkörnigen Steinplatten am Rande der Veranda hinterm Hauszu bearbeiten, bis es scharf wie eine Rasierklinge war. Der obere Teil derKlinge zeigte noch ein stumpfes Granitgrau, wurde zur Mitte hin immer hellerund blanker, bis es an der Schneide leuchtete wie ein Blitz und wahrscheinlichgenauso gefährlich war. Als der hölzerne Griff auseinander brach, kaufte meineMutter Nai-nai ein neues Hackmesser, das diese jedochganz hinten in die Messerschublade verbannte. Dort lag es dann, und niemandsollte je damit Fleisch schneiden, Gemüse würfeln, Feuerholz spalten, Fischeausnehmen und schuppen, Knoblauch zerquetschen, Ingwerscheiben platt drücken,Bleistifte spitzen, Essstäbchen schnitzen oder zahllose andere Aufgabenerfüllen. Die stets erfinderische Nai-nai, derenLebensmotto »Spare in der Zeit, so hast du in der Not« lautete, schnitzte sichein kleines Aststück vom Essigbaum im Vorgarten zurecht und befestigte es amEnde des Hackmessers. Anschließend prüfte sie dessen Funktionsfähigkeit, indemsie mit der Zielstrebigkeit einer Axtmörderin ein Stück Schweinekeule so kleinhackte, dass sie beinahe die Konsistenz von Brei annahm. Dann gab sie gehackte,getrocknete chinesische Schwarzpilze, knackige Wasserkastanien, Knoblauch,Sojasoße und verschiedene Gewürze dazu und dämpfte den großen Fleischklops, biser im eigenen Saft schwamm, ein sicheres Zeichen dafür, dass er gar war. Beidiesem Gericht hätte ich ihr beinahe den riesigen Berg von Pak Choi verziehen, den es dazu gab. (...)
© LimesVerlag
Übersetzung:Gloria Ernst
- Autor: Leslie Li
- 2006, 1, 315 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Dtsch. v. Gloria Ernst
- Verlag: Limes
- ISBN-10: 380902516X
- ISBN-13: 9783809025160
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