Würde
Roman
Belüge deinen Nächsten wie dich selbst
Kapstadt, die Mutterstadt Südafrikas, die Schöne mit den vielen Gesichtern. Während im Schatten des Tafelbergs Flüchtlinge ums Überleben kämpfen, korrupte Polizisten ihr...
Kapstadt, die Mutterstadt Südafrikas, die Schöne mit den vielen Gesichtern. Während im Schatten des Tafelbergs Flüchtlinge ums Überleben kämpfen, korrupte Polizisten ihr...
Leider schon ausverkauft
Buch
1.00 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Würde “
Belüge deinen Nächsten wie dich selbst
Kapstadt, die Mutterstadt Südafrikas, die Schöne mit den vielen Gesichtern. Während im Schatten des Tafelbergs Flüchtlinge ums Überleben kämpfen, korrupte Polizisten ihr Gehalt aufbessern und das organisierte Verbrechen blüht, frisst der Alltag an Richard Calloways Glück: Eine triste Vorstadtidylle, eine eintönige Ehe und Dinnerparties, auf denen man sich nichts zu sagen hat. Doch dann übernimmt der Anwalt einen Fall, der sein Leben für immer verändern wird: Ein russischer Geschäftsmann soll einen Jungen überfahren haben. Der Augenzeuge ist verschwunden. Und die Aktenlage ist undurchsichtig. Als Richard dann auch noch auf die sinnliche nigerianische Einwanderin Abayomi trifft, wagt er sich Schritt für Schritt hinaus aus seinem Alltag. Doch auch der kleinste Schritt kann ein Schritt zu viel sein. Und manchmal gerät man in einen Strudel, aus dem es kein Entkommen gibt ...
Ein sprachgewaltiger, hoch spannender Roman über die Wahrheit, die keiner kennt, die Gerechtigkeit, die brüchig ist, und die Würde, die man schnell verlieren kann. Andrew Brown spielt grandios mit unserer Wahrnehmung - so dass der Leser am Ende selbst nicht mehr weiß, wie ihm geschieht.
Auf der Shortlist für den renommierten Commonwealth Writer's Prize
Kapstadt, die Mutterstadt Südafrikas, die Schöne mit den vielen Gesichtern. Während im Schatten des Tafelbergs Flüchtlinge ums Überleben kämpfen, korrupte Polizisten ihr Gehalt aufbessern und das organisierte Verbrechen blüht, frisst der Alltag an Richard Calloways Glück: Eine triste Vorstadtidylle, eine eintönige Ehe und Dinnerparties, auf denen man sich nichts zu sagen hat. Doch dann übernimmt der Anwalt einen Fall, der sein Leben für immer verändern wird: Ein russischer Geschäftsmann soll einen Jungen überfahren haben. Der Augenzeuge ist verschwunden. Und die Aktenlage ist undurchsichtig. Als Richard dann auch noch auf die sinnliche nigerianische Einwanderin Abayomi trifft, wagt er sich Schritt für Schritt hinaus aus seinem Alltag. Doch auch der kleinste Schritt kann ein Schritt zu viel sein. Und manchmal gerät man in einen Strudel, aus dem es kein Entkommen gibt ...
Ein sprachgewaltiger, hoch spannender Roman über die Wahrheit, die keiner kennt, die Gerechtigkeit, die brüchig ist, und die Würde, die man schnell verlieren kann. Andrew Brown spielt grandios mit unserer Wahrnehmung - so dass der Leser am Ende selbst nicht mehr weiß, wie ihm geschieht.
Auf der Shortlist für den renommierten Commonwealth Writer's Prize
Klappentext zu „Würde “
Belüge deinen Nächsten wie dich selbstKapstadt, die Mutterstadt Südafrikas, die Schöne mit den vielen Gesichtern. Während im Schatten des Tafelbergs Flüchtlinge ums Überleben kämpfen, korrupte Polizisten ihr Gehalt aufbessern und das organisierte Verbrechen blüht, frisst der Alltag an Richard Calloways Glück: Eine triste Vorstadtidylle, eine eintönige Ehe und Dinnerparties, auf denen man sich nichts zu sagen hat. Doch dann übernimmt der Anwalt einen Fall, der sein Leben für immer verändern wird: Ein russischer Geschäftsmann soll einen Jungen überfahren haben. Der Augenzeuge ist verschwunden. Und die Aktenlage ist undurchsichtig. Als Richard dann auch noch auf die sinnliche nigerianische Einwanderin Abayomi trifft, wagt er sich Schritt für Schritt hinaus aus seinem Alltag. Doch auch der kleinste Schritt kann ein Schritt zu viel sein. Und manchmal gerät man in einen Strudel, aus dem es kein Entkommen gibt ...
Ein sprachgewaltiger, hoch spannender Roman über die Wahrheit, die keiner kennt, die Gerechtigkeit, die brüchig ist, und die Würde, die man schnell verlieren kann. Andrew Brown spielt grandios mit unserer Wahrnehmung so dass der Leser am Ende selbst nicht mehr weiß, wie ihm geschieht.
¢Andrew Brown schreibt, wie er spricht: Eindringlich, kühl, mit heißem Herz.¢
titel, thesen, temperamente, ARD ¢Ein starker, erschütternder und doch lebensbejahender Roman. Mag Afrika noch immer klischeehaft sein, Andrew Brown ist ein Autor, der daran etwas ändert.¢
Manuela Martini, Focus Online ¢Südafrika ist eine komplexe Gesellschaft. Komplexe Gesellschaften kann man am besten in komplexen Romanen erzählen. Bestenfalls sind das dann Romane, die mit dieser Wirklichkeit derart umgehen, dass diese als Grund für menschliche Irrungen, Tragödien und Dramen sichtbar wird. Weil er das meisterlich gut tut, gilt der 1966 geborene Andrew Brown im Moment als einer der spannendsten Autoren der südafrikanischen Literatur, abseits aller Genreschubladen. (...) Ein menschliche Verhaltensweisen grandios sezierender Roman.¢Thomas Wörtche, Deutschlandradio Kultur
titel, thesen, temperamente, ARD ¢Ein starker, erschütternder und doch lebensbejahender Roman. Mag Afrika noch immer klischeehaft sein, Andrew Brown ist ein Autor, der daran etwas ändert.¢
Manuela Martini, Focus Online ¢Südafrika ist eine komplexe Gesellschaft. Komplexe Gesellschaften kann man am besten in komplexen Romanen erzählen. Bestenfalls sind das dann Romane, die mit dieser Wirklichkeit derart umgehen, dass diese als Grund für menschliche Irrungen, Tragödien und Dramen sichtbar wird. Weil er das meisterlich gut tut, gilt der 1966 geborene Andrew Brown im Moment als einer der spannendsten Autoren der südafrikanischen Literatur, abseits aller Genreschubladen. (...) Ein menschliche Verhaltensweisen grandios sezierender Roman.¢Thomas Wörtche, Deutschlandradio Kultur
Lese-Probe zu „Würde “
Würde von Andrew Brown»Hallo. Ich heiße Abayomi. Bitte treten Sie ein.«
Diese wenigen Worte werden sein Leben für immer verändern. Der Klang ihrer Stimme, so nah an seinem Ohr, macht eine Veränderung fast unabdingbar. Wie bei jedem ersten Mal geht auch hier etwas Wesentliches verloren, und zugleich wird eine neue Erkenntnis gewonnen.
Er kann sie noch nicht sehen. Sie steht im Schatten der Eingangstür, geblendet vom Sonnenlicht, das grell auf die weißen Wände fällt. Um ihre Gestalt auszumachen, kneift er die Augen zusammen. Aber bereits ihre Stimme lässt erahnen, dass er mit diesem Schritt einen Weg einschlägt, der in starkem Widerspruch zu seinem bisherigen Leben stehen wird. Der sinnliche Singsang, der Klang ihres fremdländischen Akzents, die erotische Atmosphäre - all das verbindet sich im Bruchteil eines Augenblicks zu einem Ganzen, das ihn beinahe das Gleichgewicht verlieren lässt. Alles trägt eine Frische in sich, die ihn aufrüttelt und aus seiner trägen Gesetztheit reißt.
Selbst wenn er sich jetzt umdrehte und wieder ginge, bliebe ihm etwas Reines und Ergreifendes im Gedächtnis. Er könnte sich irgendwo hinsetzen, umgeben von Betriebsamkeit und Lärm, und sich diese Erinnerung vor Augen führen. Er könnte sie wie einen kleinen Kieselstein in die Tasche stecken und mit dem Daumen immer wieder über die glatte Oberfläche streichen. Oder er könnte sie in einer samtgefütterten Schatulle aufbewahren und manchmal, wenn er allein wäre, herausholen und betrachten.
... mehr
Es sind nur wenige Schritte, die ihn zu dieser Tür geführt haben. Gewöhnliche Entscheidungen, die großenteils spontan getroffen wurden, kaum merklich - und doch alle auf diesen einen Punkt zulaufend, auf diese Initiation. Das Ziel seiner halbbewussten Handlungen liegt hinter dieser Tür, in dem dämmerigen Raum, zu dem sie führt. Verlockend und doch heimtückisch. Vielleicht könnte er dem Sog jetzt noch Einhalt gebieten. Er könnte sich zurückziehen, sich entschuldigen und gehen. Oder er könnte einen Schritt nach vorn tun und eintreten.
Ein Schritt zurück - die Tür würde sich wieder schließen, und er würde sich später nur noch an einen kurzen Blick in eine andere Welt erinnern.
Ein Schritt nach vorn - und die Tür würde hinter ihm zufallen. Er würde in einen tosenden Sturm treten, der ihn auf einen wilden Pfad aus Tod und Wiedergeburt triebe. Einmal im Inneren des Hauses wäre für ihn die Straße vor der Tür für immer verschwunden.
Eines weiß er: Über die gleiche Schwelle wird er kein zweites Mal als derselbe Mann treten.
Seine Freunde kennen ihn als zuverlässig und integer. Er jedoch vermutet, dass dies in Wahrheit nur höfliche Umschreibungen für »langweilig« sind. In den Augen seiner Mitmenschen bleibt er stets der Gleiche: alltäglich, konturenlos. Keiner ahnt, wie kurz er davorsteht, die Kontrolle zu verlieren. Er malt sich immer wieder aus, wie er loslässt, wie er seinen Gefühlen freien Lauf lässt - wie einer, der im türkisgrünen Wasser einer Bucht treibt, Arme und Beine gespreizt, weit vom Ufer entfernt.
Einmal träumte er, ein Astronaut zu sein und mit schweren Stiefeln auf sein Raumschiff zu klettern. Er blickte in die Gischt aus Sternen hinauf. Dort oben war es vollkommen still. Dann ging er in die Hocke und sprang. Sein Körper schwebte davon, in den grenzenlosen Weltraum hinaus. Als er aufwachte, lastete eine schwere Traurigkeit auf ihm.
Sein Leben wurde im Lauf der Jahre zu einer Anhäufung aus Bedauern und Reue - der Möglichkeiten wegen, die sich ihm boten und nicht ergriffen wurden, der Chancen wegen, die er nicht zu nutzen wagte. Voll Missmut blickt er zurück. Und trotzdem: Panik erfüllt ihn bei der Vorstellung, seinen bisherigen Weg zu verlassen. Er fühlt sich wie ein Fliesenleger, der während der Arbeit auf einmal merkt, dass sein Muster asymmetrisch verläuft, aber nichts mehr dagegen tun kann. Verbissen fährt er mit seiner Tätigkeit fort, wobei er mit jeder neuen Fliese weiter von seiner ursprünglichen Linienführung abkommt.
Es erscheint ihm, als hätte er sich sein ganzes Erwachsenenleben lang auf einer Verkehrsinsel befunden, umgeben von viel- befahrenen Straßen und Erwartungen. An manchen Tagen trottet er wie ein Zugpferd mit Scheuklappen dahin. An anderen stolpert er verwundet auf einem schmalen Grünstreifen entlang, während große Lastwagen an ihm vorbeidonnern. Keiner bemerkt sein Bluten, sein unsicheres Wanken. Für die anderen verfolgt er entschlossen seinen Weg.
Täglich tauchen kleine Abzweigungen auf, es werden scheinbar unwichtige Entscheidungen gefällt, die ihn jedoch immer weiterführen. Die Gabelungen sind so unmerklich, dass er auf derselben Insel zu bleiben scheint und lange nicht einmal bezweifelt, dass diese Insel seine Bestimmung ist.
Angst, Bequemlichkeit, Ekel - das sind die Zäune, die ihn eingrenzen. Sie mögen kaum zu erkennen sein, und doch sind sie stärker als jede Fessel. Wenn er die Insel jetzt verlässt, wird er mit anderen Welten zusammenstoßen - Welten, die nur wenige Zentimeter entfernt an ihm vorbeirauschen. Etwas Unbekanntes wird ihn ergreifen, und diese Möglichkeit jagt ihm Furcht ein. Die Vorstellung ängstigt ihn, frei dahinzulaufen, hin- und hergeschleudert zu werden durch den Zusammenprall mit fremden Menschen. Aber zugleich weiß er, dass er das Ende seines bisherigen Weges erreicht hat und sich jetzt entscheiden muss: Entweder überwindet er die Grenze, oder er schreckt vor ihr zurück und erstarrt für immer.
Sie steht hinter der offenen Tür, vor den neugierigen Blicken der Vorübergehenden verborgen, und wartet darauf, dass er eintritt. Er holt tief Luft und macht einen Schritt in den Gang hinein. Sie weicht nicht zurück. Jetzt ist er ihr ganz nah. Der Hausflur liegt im Dämmerlicht, das nach der grellen Sonne auf der Straße angenehm ist. Es riecht nach Sandelholz, Zedern und Palmöl.
Der Duft erinnert ihn an ein Strandhaus am Meer von Inhambane, wo er als Kind gewesen war. Er saß dort auf einer Holz veranda und bohrte die Zehen in den warmen Sand, während über ihm im nachmittäglichen Wind Palmwedel rauschten. Neugierig beobachtete er Fischer mit entblößten Oberkörpern, die ihre Boote an den kleinen Strand zogen. Die abblätternden Farben der Planken leuchteten rot, grün und gelb. Das nach Teeröl riechende Holz lief zu einem Kiel zusammen, der eine tiefe Spur im Sand hinterließ. Kleine Fische waren an zusammengeknüpfte Schnüre gebunden, das Salzwasser tropfte von den muskulösen Rücken der Männer. Dem Jungen stieg der Vanille duft der Kastanien und der Cashewnüsse in die Nase, die auf einem Feuer in der Nähe rösteten. Hinter ihm auf der Veranda zerstampfte eine junge Hausangestellte Maiskörner für das Abendessen. Den Rock hatte sie sich bis zu den Hüften hochgeschoben. Sie roch nach Kernseife und Haaröl.
Die Tür fällt leise hinter ihm ins Schloss.
»Willkommen im Touch of Africa. Ich bin Abayomi. Deine Freude.«
1
Stefan Svritsky war ein Mann, der schon vor langer Zeit seine Angst gemeistert hatte. Sein Sieg über die Angst erlaubte es ihm, die Furcht anderer gnadenlos auszunutzen. Er entstammte einer armen Familie aus Murmansk, einer Stadt auf der Halbinsel Kola im äußersten Nordwesten Russlands. Obwohl der Hafen das ganze Jahr über eisfrei war und deshalb historisch als wichtiger Marinestützpunkt galt, lag Murmansk doch nördlich des Polarkreises, und das Leben in dem verschmutzten Sozialwohnungsblock war hart. Sein Vater hatte sich als Deckhelfer auf einem Flottenversorgungsschiff verdingt und zu Hause dieselbe militärische Disziplin verlangt, die er selbst bei der Arbeit ertragen musste. Er terrorisierte seine kleine Familie mit harschen Befehlen und einem aufbrausenden Gemüt. Sein Tod, die Folge eines Unfalls auf See, wurde von allen als Atempause erlebt, auch wenn das niemand laut aussprach. Gleichzeitig mussten sich die Zurückgebliebenen nun mit einer dürftigen Witwenrente über Wasser halten. Um über die Runden zu kommen, verließ Svritsky schon früh die Schule und arbeitete ebenso wie sein älterer Bruder als Schiffsbelader im Handelshafen.
Sein Bruder schien mit der harten Knochenarbeit auf den beißend kalten Piers zufrieden zu sein, aber Stefan wartete bald sehnsüchtig darauf zu entkommen. Nach einer Weile bemerkte er, dass bestimmte Ladungen anders behandelt wurden als der Rest. Während die meiste eingehende Fracht einen gnadenlosen sowjetischen Verwaltungsaufwand durchlaufen musste, wurden die Holzkisten, die für die Dienststellen der örtlichen Miliz bestimmt waren, unter den wachsamen Augen des Polizeioberkommissars auf einen gesonderten Lastwagen verladen und weggebracht. Svritsky stellte sicher, dass er beim Entladen dieser Güter stets anwesend war, und er nickte dem Kommissar ehrerbietig zu, ehe die Kisten abtransportiert wurden.
Nach ein oder zwei Monaten begann der Mann, ihn ebenfalls zu grüßen, indem er den Kopf ein wenig zur Seite legte, um zu bedeuten, dass er die Aufmerksamkeitsbekundungen des jungen Burschen bemerkt hatte. Eines Morgens, als sie wieder einmal eine neue Ladung löschten, kam einer der Hafenarbeiter ins Stolpern. Die Kiste, die er gerade trug, glitt ihm aus den Händen, und mit einem lauten Knall fiel sie mit der Ecke auf den harten Betonboden. Das Geräusch des berstenden Holzes und die wütenden Rufe des Kommissars brachten den ganzen Pier vorübergehend zum Stillstand. Svritsky stürmte auf den Kollegen zu und brüllte ihn an, um ihn so von den Flaschen mit teurem Whisky abzulenken, die zwischen den zerbrochenen Holzlatten hervorblitzten. Dann warf er hastig eine Plane darüber.
Der Polizeioberkommissar musterte ihn, sagte aber nichts. Als die nächste Ladung eintraf, befahl er dem Kontrolleur mit harscher Stimme, von nun an solle Svritsky die Löschung der Fracht beaufsichtigen. Schon bald machte sich der Kommissar nicht länger die Mühe, selbst zu den Docks herunterzukommen, sondern ließ Svritsky die illegalen Waren direkt zur Miliz bringen. Am Ende des Jahres hatte der junge Mann die Piers hinter sich gelassen und begonnen, ausschließlich für die Miliz zu arbeiten, indem er ihr bei verschiedenen zwielichtigen Aufgaben zur Hand ging.
Sein Aufstieg in der sowjetischen Unterwelt vollzog sich rasch und problemlos. Er wusste, wie man Loyalität mit ausgeprägter Selbstsucht verband. Jahrelang hielt er den Schwarzmarkt im nördlichen Russland unter seiner brutalen Kontrolle und belieferte die gesamte politische Elite mit verbotenen Luxusgütern.
Das Monopol der Miliz fand mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein jähes Ende. Importkontrollen brachen zusammen, und so mancher Gangster ergriff die Gelegenheit, gewaltsam sein Territorium auszuweiten. Russland wurde für einen früheren Milizganoven immer gefährlicher, so dass sich Svritsky schon bald gezwungen sah, das Land zu verlassen. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Westafrika kam er ohne Freunde oder Familie nach Kapstadt. Es gelang ihm recht schnell, diese fehlenden emotionalen Bindungen zu seinem Vorteil zu nutzen. Durch seine unerschrockene, eigenständige Art wusste er selbst die geringste Schwäche seiner Mitmenschen auszunutzen. Die Entschlossenheit und Bereitschaft des Russen, Menschen auszubeuten, um sein Ziel zu erreichen, machte ihn zu einem gefürchteten Konkurrenten der örtlichen Verbrecher. Mit seiner Mischung aus Intelligenz und Skrupellosigkeit war er ihnen sogar deutlich überlegen. Während sie noch versuchten, mit Drohungen und Beschimpfungen weiterzukommen, führte Svritsky seine Pläne bereits aus. Schon bald hatte er seine Macht in den Nachtclubs und Geschäften der Innenstadt gefestigt.
Sein schwerer Körper und sein fleischig rundes Gesicht, das oft feucht glänzte, unterstrichen noch seinen Ruf als knallharter Gangster. Sein rasierter Kopf und die knopfartige Nase erinnerten an ein Stachelschwein. Als Jugendlicher hatte er unter schwerer Akne gelitten, wodurch seine Haut auch jetzt noch wie die unebene Oberfläche eines Haferbreis aussah. Weißgraue Bartstoppeln verbargen die schlimmsten Narben. Doch wenn er wütend war, rötete sich sein Nacken, als wäre er mit heißem Wasser verbrüht worden, und die Pockennarben schienen sich wie Wunden zu entzünden. Seinen rechten Unterarm zierte die Tätowierung einer nackten Frau, die versuchte, eine Schlange in Schach zu halten. Der dicke Leib des Tieres hatte sich um einen Schenkel der Frau gewickelt und zwischen die Beine gedrängt, wobei es sich vor den zusammengezogenen roten Brustwarzen aufbäumte.
Svritsky trug gern locker geschnittene Shorts, die seine stämmigen Oberschenkel gerade einmal zur Hälfte bedeckten. Dazu hatte er meist weiße Socken und Turnschuhe an. Kurzärmlige Polohemden betonten seine fassförmige Brust und die kraftvollen, behaarten Arme. In einer solchen Aufmachung hätten die meisten Geschäftsmänner lächerlich gewirkt, doch in seinem Fall hob sie die bedrohliche Ausstrahlung noch hervor. In seinen Augen zeigte sich gnadenlose Entschlossenheit. Die Iris wirkte manchmal beinahe opak - ein lebloses Grau wie die Farbe des Meeres seiner Heimatstadt -, nur um sich dann blitzschnell in ein gefährliches Grün zu verwandeln, die schillernde Farbe brennenden Bariums. Am erschreckendsten wirkte er, wenn er sein Gegenüber regungslos anstarrte.
Richard Calloway beobachtete, wie sein Mandant jetzt den zornig funkelnden Blick auf die zierliche Gestalt von Cerissa du Toit richtete, die Behördenleiterin der Generalstaatsanwaltschaft. Du Toit hatte Svritskys Verbrecherlaufbahn in Südafrika verfolgt und ihn immer wieder wegen verschiedener Delikte wie versuchter Mord, Betrug, Korruption, Drogenhandel und Steuerhinterziehung angeklagt. Sie war bisher jedoch stets erfolglos gewesen, was großenteils auf Richards Bemühungen als Svritskys Anwalt zurückzuführen war. Einmal war es ihr mehr oder weniger zufällig gelungen, ihn wegen unversteuerten Einkommens und eines tätlichen Angriffs zu einer unbedeutenden Geldstrafe zu verurteilen. Es war ein ausgesprochen unbefriedigender Fall gewesen, wobei ihre Enttäuschung auch nicht durch den Tobsuchtsanfall gemildert wurde, den Svritsky während seiner Anhörung vor Gericht bekam.
Der Russe war vor zwölf Jahren zum ersten Mal in Richards Kanzlei aufgetaucht. Damals hatte man ihn wegen Kokainbesitzes angeklagt. Sich ganz auf die Unfähigkeit des zuständigen Polizeikommissars und des Staatsanwalts verlassend, war es Richard problemlos gelungen, für seinen Mandanten einen Freispruch zu erlangen. Als Nächstes wurde einer der Handlanger des Russen wegen Erpressung vor Gericht gestellt. Der Fall gab Richard einen ersten Einblick in die gnadenlose Welt des Stefan Svritsky. Eine mittelmäßig geführte Untersuchung und der Widerwille eingeschüchterter Zeugen zu einer klaren Aussage ermöglichten es ihm, die Argumente der Staatsanwaltschaft zu untergraben, auch wenn sich die Angelegenheit monatelang hinzog. Es folgte eine Reihe von Fällen, die einige Beachtung fanden und Svritsky zu Richards profitabelstem Mandanten machten.
Dieser Erfolg stellte sich für Richard als zweischneidiges Schwert heraus, denn er fand Svritsky sowohl körperlich als auch seiner zwielichtigen Geschäfte wegen mehr als abstoßend. Er begann sich zu fragen, warum das organisierte Verbrechen oftmals so glorifiziert und in Filmen und Büchern als geradezu nobel dargestellt wurde, da die Männer angeblich noch wussten, was Treue und Mut waren. Die Realität sah ganz anders aus.
Trotz seiner Vorbehalte hatte es Richard anfangs amüsiert, bei Essenseinladungen wie nebenbei den Namen seines Mandanten fallen zu lassen und so die gesetzten Mittelschichtpaare aus seinem Bekanntenkreis aufzuschrecken. Eine Weile hatte er sie mit schockierenden Geschichten aus der Unterwelt unterhalten. Doch diese Gelegenheiten ergaben sich nicht allzu oft und wogen kaum die vielen Stunden auf, die er damit verbrachte, neben seinem Mandanten zu sitzen und dessen schmierige Boshaftigkeit ertragen zu müssen. Manchmal hatte er sogar das Bedürfnis, sich nach einem solchen Treffen zu duschen, seinen feuchten Nacken zu waschen und seine Haare mit heißem Wasser zu übergießen. Er hatte die unaufhörliche Selbstdarstellung des Russen satt, und gleichzeitig langweilte sie ihn fast tödlich.
Als er drei Tage zuvor die neue Anklage gelesen hatte, waren ihm die Anschuldigungen mehr als vertraut vorgekommen. Während er die Zeugenaussagen überflog, konnte er sich das bevorstehende Kreuzverhör vorstellen, die wiederholten Einsprüche, die Vorwürfe der Täuschung und all die anderen üblichen Possen vor Gericht. Sobald er die Akte zusammengeklappt hatte, beschlich ihn das Gefühl, die Verhandlung wäre bereits vorüber. Er hatte keine Lust mehr, sich mit den Einzelheiten dieses Falls auseinanderzusetzen, widersprüchliche Aussagen zu hinterfragen und sich auf die Schwächen der Anklage zu stürzen.
Hinter den langweiligen Aktenseiten lauerte jedoch auch seine versteckte Angst, was eine Niederlage für ihn bedeuten könnte. Svritsky erwartete Erfolg, und allein die Vorstellung zu verlieren ließ Richards Herzschlag ansteigen. Einmal hatte er versucht, sich zu weigern, einen Fall zu übernehmen. Doch die zornigen Augen seines Mandanten hatten ihn schnell eines Besseren belehrt.
Svritskys kaum unterdrückte Aggression hinsichtlich Du Toit machte Richard nervös. Ursprünglich hatte er es für taktisch geschickt gehalten, seinen Mandanten zu der Besprechung mitzubringen. Er wollte seine Gegnerin verunsichern, wenn nicht sogar einschüchtern. Doch als er jetzt beobachtete, wie sich Svritskys Körper einem Ringkämpfer gleich anspannte, als würde er jeden Augenblick losschlagen, fragte er sich, ob diese Strategie nicht doch etwas kühn gewesen war. Er legte seine Hand auf den Arm des Russen. Dieser fuhr jedoch ungerührt fort, Du Toit anzustarren.
Die Staatsanwältin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie ignorierte den wütend schnaubenden Mann und wandte sich an Richard. »Mr Calloway, ich möchte Ihren Mandanten nicht sehen«, wies sie ihn zurecht. »Um genau zu sein - eigentlich möchte ich auch Sie nicht sehen. Doch da Sie mich um einen Termin gebeten haben, werde ich Ihnen den Gefallen tun und mir anhören, was Sie mir zu sagen haben. Aber ich habe nicht viel Zeit, ja?«
Du Toit hatte kurz geschnittenes Haar mit Strähnen vor den Ohren. Sie trug fast keinen Schmuck und war unauffällig in unifarbenen Hosen und locker sitzenden Blazern gekleidet. Ihr Gesicht war schmal und spitz, und ihre Stimme klang schrill und raspelnd. Dennoch wirkte ihre Körpersprache auffallend selbstbewusst. Ihre Gegenwart machte Richard stets ein wenig nervös. Oft kam er sich wie ein gescholtenes Kind vor, obwohl sie in Wahrheit genauso alt war wie er. Um nicht unsicher zu wirken, rief er sich die Tatsache ins Gedächtnis, dass er ihre juristischen Angriffe wiederholt erfolgreich abgewehrt hatte. Doch mit jeder neuen Herausforderung, jedem neuen Fall, wurde das unangenehme Gefühl stärker, dass ihre hartnäckige Verfolgung seines Mandanten eines Tages doch noch Früchte tragen würde.
Dieses Mal lautete die Anklage auf fahrlässige Tötung. Angeblich hatte Svritsky kurz nach Neujahr hinter dem Steuer eines Ford V8 Coupés gesessen und einen jungen Mann beim Überqueren einer fast menschenleeren Straße in der Nähe des Stadtzentrums überfahren und getötet. Die Staatsanwaltschaft behauptete, der Russe habe angehalten und sei ausgestiegen. Nachdem er festgestellt habe, dass der Mann tot war, sei er vom Unfallort geflohen. Die Sachlage wurde noch durch die Tatsache verschlimmert, dass der Unfall weder der Polizei gemeldet noch ein Krankenwagen gerufen worden war. Stattdessen sei Svritsky - so die Staatsanwaltschaft - am Morgen nach dem Unfall zur Polizei gegangen und habe den Wagen dort als gestohlen gemeldet.
Die Anklage war ungewöhnlich. Sie hatte nichts mit den üblichen geschäftlichen Machenschaften seines Mandanten zu tun, weshalb der Russe das Ganze auch nicht ernst zu nehmen schien. Doch Richard war auf der Hut. Gerade weil es sich um fahrlässige Tötung und nicht um vorsätzlichen Mord handelte, konnte es sich als ein schwieriger und damit gefährlicher Fall herausstellen.
»Cerissa«, sagte er jetzt und zwang sich dazu, herzlich zu klingen. »Ich weiß, dass bereits Februar ist, aber ich möchte dennoch nicht versäumen, Ihnen noch ein gutes neues Jahr zu wünschen. Hoffen wir, dass es für uns alle glücklich verläuft.«
»Mr Calloway, versuchen Sie es bloß nicht auf diese Tour. Wir wissen beide nur allzu genau, dass ein gutes Jahr für mich nur ein schlechtes für Sie und Ihren Mandanten bedeuten kann. Also bitte keine Schmeicheleien. Ihr Mandant soll draußen warten, und Sie können mit mir in mein Büro kommen - auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, was Sie damit erreichen wollen.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und eilte in ihr Zimmer. Die Tür ließ sie offen stehen, damit Richard ihr folgen konnte.
»Ein wenig empfindlich heute, die Gute«, meinte er leichthin.
Der Russe kochte vor Zorn. »Ich werde ihr das Herz ausreißen und es ihr unter die hässliche Nase halten. Diese Schlampe!«
Richard zuckte zusammen. Svritsky spannte den Kiefer so stark an, dass er bebte. Auch die Tätowierung auf seinem Arm fing zu zittern an. Die Schlange und die nackte Frau schienen lasziv miteinander zu tanzen.
»Beruhigen Sie sich, Stefan. Sie markiert nur die Harte. Das ist ihr Job. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Sie heute mitzunehmen. Lassen Sie mich mit ihr reden, und wir treffen uns dann draußen. Rauchen Sie eine Zigarette. Ich berichte Ihnen, was sie gesagt hat.«
Svritsky würdigte ihn keines Blickes, gab aber nach. Mit großen Schritten ging er den Korridor entlang zur Treppe. Seine Tennisschuhe quietschten auf dem gebohnerten Boden, und er murmelte etwas vor sich hin. Richard blickte dem breiten Rücken seines Mandanten mit einer Mischung aus Abscheu und Furcht hinterher. Dann betrat er das Büro.
Du Toits Arbeitsplatz war bis oben hin vollgestellt. Sie saß hinter ihrem zerkratzten Schreibtisch und zog gerade einen Packen Unterlagen aus einem braunen Umschlag. Richard war schon oft hier gewesen, aber trotzdem überraschte es ihn immer wieder, wie karg und ärmlich das Büro der Leiterin der Generalstaatsanwaltschaft ausgestattet war. Akten und Urteilsregister stapelten sich auf Schreibtisch und Boden, und die jeweiligen Inhalte quollen wie Eingeweide aus einem aufgeschlitzten Bauch hervor. Es gab weder Aktenschränke noch Regale, um das Chaos zu bändigen. Er fragte sich, wie sie ohne Registrator und Assistent den Überblick behielt.
Ein winziger Bereich des Schreibtisches war von Unterlagen frei geblieben, um in der Nähe der Wand einen fleckig braunen Wasserkessel und einen Becher unterzubringen. Richard las die Schrift auf dem Becher - »Deine Probleme sind nicht meine« - und schnitt innerlich eine Grimasse. Pulverkaffeegranulat vermischt mit Wasser bildete um den Fuß des Bechers eine klebrig braune Pfütze. Die Fenster aus Aluminium blickten auf einige graue Gebäude hinaus, während die Zimmerwände bis auf wenige eingerissene und verblichene Behördenposter von traurigen Kindern und Frauen mit misshandelten Handgelenken kahl waren. Richard vermochte sich nicht vorzustellen, wie man an einem solchen Ort arbeiten konnte, und doch besaß diese eindringliche Echtheit auch etwas Faszinierendes.
Er dachte an die Räume seiner eigenen Kanzlei, die sich in einem neu renovierten Gebäude in De Waterkant befand. Die offene Bauweise des Hauses nutzte das Tageslicht durch mehrere geschickt konzipierte Portale, ohne dabei Hitze oder grelle Sonnenstrahlen hereinzulassen. Das Dach war in ein Sonnendeck samt Schirmen, Ruhesesseln und einer Bar aus dunklem Holz umgebaut worden. Von dort oben hatte man einen herrlichen Blick auf ganz Kapstadt - vom Fuß des Signal Hill über das Stadtbecken bis hin zum Hafen und der funkelnden Bucht vor Robben Island. Die Büroeinrichtung mit ihren Couchtischen aus Glas und Chrom, den Ledersofas, den breiten Konferenz- tischen und den Stühlen mit hohen Lehnen wirkte funktional und einladend. Eiswürfel klirrten in Wasserkrügen, in denen Zweige frischer Minze schwammen.
Die Innenarchitektin, mit einer der Firmenpartner verheiratet, hatte die hellen Räume durch zurückhaltend farbenfrohe Kunstwerke noch freundlicher gestaltet. Im Foyer wurde der Besucher von einer Reihe von Leinwänden begrüßt, deren Struktur an Baumrinden erinnerte. Die Naturthematik wurde außerdem durch einen kleinen japanischen Garten und einen Bonsai auf jedem Couchtisch fortgesetzt, während Palmfarne und Bambus bis ins Dachgeschoss mit seinen Holzträgern hinaufreichten. Einer der Partner hatte einmal vorgeschlagen, in der Kanzlei eine Taubenfamilie frei fliegen zu lassen. Aber die Vorstellung, ihren Klienten die Verträge mit Vogelexkrementen präsentieren zu müssen, hatte die anfängliche Begeisterung der Kollegen im Keim erstickt.
Jetzt sehnte sich Richard fast nach seinem Büro. Er malte sich aus, wie er mit einem Schokoladen-Biscotto den Milchschaum seines Cappuccinos auftunkte. Nomphula, die geschäftige Tea Lady, legte ihm immer einen Keks auf seine Untertasse, obwohl die Kekse eigentlich den Klienten vorbehalten waren, die im Foyer auf ihre teuren Beratungsgespräche warteten. Der Büroleiter setzte auf »kleine Aufmerksamkeiten und tiefe Dekolletés«, wie er das nannte, um von dem schwindelerregenden Stundensatz der Seniorpartner abzulenken. Der Ausschnitt der Empfangsdame war tatsächlich atemberaubend.
Doch trotz dieser hübschen kleinen Details besaß der schmuddelige Raum der Staatsanwältin mehr Leidenschaft und Charakter als Richards vornehme Kanzlei. Die wenigen Hilfsmittel unterstrichen für ihn nur noch ihre Entschlossenheit, ihren Einsatz - und seine fehlende Begeisterung für seinen Beruf. Du Toit bedurfte keiner Effekthascherei, da war er sich sicher. Sie musste zu gesellschaftlichen Anlässen keine amüsanten Geschichten erzählen. Er konnte sie sich nicht einmal als Gastgeberin vorstellen. Sie besaß weder die Leichtigkeit noch die Verlogenheit für solche Dinge. Abends im Bett, wenn sie mit ihren müden Gedanken allein war, wusste sie jedoch, was sie erreicht hatte. So abgedroschen es auch sein mochte - Richard verspürte auf einmal einen nagenden Zweifel an seinem Erfolg, seinen Mandanten bisher immer wieder frei bekommen zu haben. Geld und eitle Genugtuung reichten ihm plötzlich nicht mehr.
»Mr Calloway.« Du Toit kam gleich zur Sache. »Wenn Sie mit Ihrem Mandanten noch mal unangekündigt hier auftauchen, werde ich Sie der Anwaltskammer melden. Sie wissen genau, dass Sie mir sein Kommen verschwiegen haben. Ich habe Ihnen keine Genehmigung erteilt.«
»Tut mir leid«, erwiderte er ein wenig zu widerstandslos, wie er fand. »Ich habe wohl vergessen, Sie rechtzeitig darüber zu informieren. Verzeihen Sie. Er raucht jetzt draußen eine Zigarette. «
Richard ärgerte sich über seine eigene Taktik. Er hatte die Staatsanwältin damit keineswegs eingeschüchtert, sondern nur gegen sich aufgebracht. Das Ekzem in seinen Kniekehlen fühlte sich trocken an und juckte. Er sehnte sich danach, die Salbe, die ihm der Dermatologe verschrieben hatte, aufzutragen, um die Reizung zu lindern.
Du Toit schnaubte und zog ein zerknittertes Päckchen Zigaretten aus der Jackentasche. Sie öffnete das Schiebefenster und runzelte die Stirn, als eine staubige Brise ins Zimmer wehte. Das Plastikfeuerzeug wirkte billig, erzeugte aber eine große blaue Flamme. Sie zog an der Zigarette und blies den Rauch in den warmen Wind hinaus. Richard ekelte sich auf einmal vor dem Qualm, der über ihre Haut und ihre Haare strich, als er ins Zimmer zurückgeweht wurde. Er stellte sich den rauchig beißenden Geruch ihres Körpers am Ende eines Tages vor.
»Nicht mal im eigenen Büro darf man heutzutage noch rauchen «, meinte sie wehmütig und ein wenig weicher.
Richard nutzte die Gelegenheit und trat näher an den Tisch heran. »Cerissa, hören Sie«, sagte er. »Will die Generalstaatsanwaltschaft diesen Fall wirklich verfolgen?« Er versuchte, seine Stimme zu senken, um ernster zu klingen. »Ich habe mir die Unterlagen und Zeugenaussagen genau angesehen, und meiner Meinung nach liegt für eine Anklage überhaupt nicht genug vor ... Natürlich nur, soweit ich das beurteilen kann«, fügte er hinzu, als er sah, wie sich ihre Miene verfinsterte. »Diese Zeugenaussage ... Die Aussage des einzigen Zeugen ... Meiner Ansicht nach ist sie völlig unbrauchbar. Daraus lässt sich keine Anklage machen. Sie ist nicht einmal richtig unterschrieben. Wir wissen doch alle, dass es sich um einen falschen Namen handelt, und außerdem erfahren wir kaum etwas darüber, was der Zeuge gesehen haben will.« Er merkte, dass er zu weit gegangen war, und hielt inne, um auf ihre Reaktion zu warten.
»Stimmt. Wir wissen, dass es sich um einen falschen Namen handelt«, erwiderte Du Toit kühl. »Das macht aber die Aussage noch lange nicht falsch, Mr Calloway.«
»Verzeihen Sie, soll das heißen, dass Sie diesen Zeugen tatsächlich aufgetrieben haben? Haben Sie mit ihm persönlich gesprochen? «
»Nein, das soll es nicht heißen. Ich will damit sagen, dass Ihnen eines bestimmt nicht entgangen wäre, wenn Sie die Akten tatsächlich so genau angesehen hätten, wie Sie behaupten: Wir haben einen Zeugen, der beobachtet hat, dass Ihr Mandant wenige Minuten vor dem Unfall vor seinem Club in das betreffende Fahrzeug gestiegen ist. Und wir haben einen weiteren Zeugen, der am Unfallort selbst war und gesehen hat, wie jemand, dessen Beschreibung eindeutig auf Ihren Mandanten zutrifft, aus seinem Wagen gestiegen ist und den sterbenden Fußgänger kurz in Augenschein genommen hat. Das klingt in meinen Ohren nach einem klaren Fall. Wenn Sie also wirklich die Unterlagen gelesen hätten, Mr Calloway, dann würden Sie das wissen. Also - was wollen Sie mir eigentlich sagen?«
Richard errötete und wechselte dann die Taktik, indem er seiner Stimme einen festeren Ausdruck verlieh. »Ms du Toit, solange Sie diesen angeblichen zweiten Zeugen nicht auftreiben, identifizieren und uns seine konkrete Aussage vorlegen, werde ich beantragen, das Verfahren einzustellen. Mit Verlaub, aber man kann nicht von mir verlangen, einen Mann zu verteidigen, dem fahrlässige Tötung vorgeworfen wird, wenn der wichtigste Augenzeuge nicht identifiziert ist und nichts weiter ausgesagt hat, als dass er gesehen haben will, wie der Wagen das Unfall opfer überfahren hat. Ich glaube nicht, dass mich der Richter dazu zwingen würde, unter diesen Umständen weiterzumachen. Bestimmt nicht.«
»Das ist also die Version, die Ihnen Ihr Mandant aufgetischt hat, Mr Calloway?« Du Toit verschränkte die Arme, die Zigarette noch immer zwischen den Fingern. »Dass er nicht dort war? Dass er nicht hinterm Steuer saß? Dass er keine Fahrerflucht begangen hat?«
Deutsch von Mechthild Barth
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Es sind nur wenige Schritte, die ihn zu dieser Tür geführt haben. Gewöhnliche Entscheidungen, die großenteils spontan getroffen wurden, kaum merklich - und doch alle auf diesen einen Punkt zulaufend, auf diese Initiation. Das Ziel seiner halbbewussten Handlungen liegt hinter dieser Tür, in dem dämmerigen Raum, zu dem sie führt. Verlockend und doch heimtückisch. Vielleicht könnte er dem Sog jetzt noch Einhalt gebieten. Er könnte sich zurückziehen, sich entschuldigen und gehen. Oder er könnte einen Schritt nach vorn tun und eintreten.
Ein Schritt zurück - die Tür würde sich wieder schließen, und er würde sich später nur noch an einen kurzen Blick in eine andere Welt erinnern.
Ein Schritt nach vorn - und die Tür würde hinter ihm zufallen. Er würde in einen tosenden Sturm treten, der ihn auf einen wilden Pfad aus Tod und Wiedergeburt triebe. Einmal im Inneren des Hauses wäre für ihn die Straße vor der Tür für immer verschwunden.
Eines weiß er: Über die gleiche Schwelle wird er kein zweites Mal als derselbe Mann treten.
Seine Freunde kennen ihn als zuverlässig und integer. Er jedoch vermutet, dass dies in Wahrheit nur höfliche Umschreibungen für »langweilig« sind. In den Augen seiner Mitmenschen bleibt er stets der Gleiche: alltäglich, konturenlos. Keiner ahnt, wie kurz er davorsteht, die Kontrolle zu verlieren. Er malt sich immer wieder aus, wie er loslässt, wie er seinen Gefühlen freien Lauf lässt - wie einer, der im türkisgrünen Wasser einer Bucht treibt, Arme und Beine gespreizt, weit vom Ufer entfernt.
Einmal träumte er, ein Astronaut zu sein und mit schweren Stiefeln auf sein Raumschiff zu klettern. Er blickte in die Gischt aus Sternen hinauf. Dort oben war es vollkommen still. Dann ging er in die Hocke und sprang. Sein Körper schwebte davon, in den grenzenlosen Weltraum hinaus. Als er aufwachte, lastete eine schwere Traurigkeit auf ihm.
Sein Leben wurde im Lauf der Jahre zu einer Anhäufung aus Bedauern und Reue - der Möglichkeiten wegen, die sich ihm boten und nicht ergriffen wurden, der Chancen wegen, die er nicht zu nutzen wagte. Voll Missmut blickt er zurück. Und trotzdem: Panik erfüllt ihn bei der Vorstellung, seinen bisherigen Weg zu verlassen. Er fühlt sich wie ein Fliesenleger, der während der Arbeit auf einmal merkt, dass sein Muster asymmetrisch verläuft, aber nichts mehr dagegen tun kann. Verbissen fährt er mit seiner Tätigkeit fort, wobei er mit jeder neuen Fliese weiter von seiner ursprünglichen Linienführung abkommt.
Es erscheint ihm, als hätte er sich sein ganzes Erwachsenenleben lang auf einer Verkehrsinsel befunden, umgeben von viel- befahrenen Straßen und Erwartungen. An manchen Tagen trottet er wie ein Zugpferd mit Scheuklappen dahin. An anderen stolpert er verwundet auf einem schmalen Grünstreifen entlang, während große Lastwagen an ihm vorbeidonnern. Keiner bemerkt sein Bluten, sein unsicheres Wanken. Für die anderen verfolgt er entschlossen seinen Weg.
Täglich tauchen kleine Abzweigungen auf, es werden scheinbar unwichtige Entscheidungen gefällt, die ihn jedoch immer weiterführen. Die Gabelungen sind so unmerklich, dass er auf derselben Insel zu bleiben scheint und lange nicht einmal bezweifelt, dass diese Insel seine Bestimmung ist.
Angst, Bequemlichkeit, Ekel - das sind die Zäune, die ihn eingrenzen. Sie mögen kaum zu erkennen sein, und doch sind sie stärker als jede Fessel. Wenn er die Insel jetzt verlässt, wird er mit anderen Welten zusammenstoßen - Welten, die nur wenige Zentimeter entfernt an ihm vorbeirauschen. Etwas Unbekanntes wird ihn ergreifen, und diese Möglichkeit jagt ihm Furcht ein. Die Vorstellung ängstigt ihn, frei dahinzulaufen, hin- und hergeschleudert zu werden durch den Zusammenprall mit fremden Menschen. Aber zugleich weiß er, dass er das Ende seines bisherigen Weges erreicht hat und sich jetzt entscheiden muss: Entweder überwindet er die Grenze, oder er schreckt vor ihr zurück und erstarrt für immer.
Sie steht hinter der offenen Tür, vor den neugierigen Blicken der Vorübergehenden verborgen, und wartet darauf, dass er eintritt. Er holt tief Luft und macht einen Schritt in den Gang hinein. Sie weicht nicht zurück. Jetzt ist er ihr ganz nah. Der Hausflur liegt im Dämmerlicht, das nach der grellen Sonne auf der Straße angenehm ist. Es riecht nach Sandelholz, Zedern und Palmöl.
Der Duft erinnert ihn an ein Strandhaus am Meer von Inhambane, wo er als Kind gewesen war. Er saß dort auf einer Holz veranda und bohrte die Zehen in den warmen Sand, während über ihm im nachmittäglichen Wind Palmwedel rauschten. Neugierig beobachtete er Fischer mit entblößten Oberkörpern, die ihre Boote an den kleinen Strand zogen. Die abblätternden Farben der Planken leuchteten rot, grün und gelb. Das nach Teeröl riechende Holz lief zu einem Kiel zusammen, der eine tiefe Spur im Sand hinterließ. Kleine Fische waren an zusammengeknüpfte Schnüre gebunden, das Salzwasser tropfte von den muskulösen Rücken der Männer. Dem Jungen stieg der Vanille duft der Kastanien und der Cashewnüsse in die Nase, die auf einem Feuer in der Nähe rösteten. Hinter ihm auf der Veranda zerstampfte eine junge Hausangestellte Maiskörner für das Abendessen. Den Rock hatte sie sich bis zu den Hüften hochgeschoben. Sie roch nach Kernseife und Haaröl.
Die Tür fällt leise hinter ihm ins Schloss.
»Willkommen im Touch of Africa. Ich bin Abayomi. Deine Freude.«
1
Stefan Svritsky war ein Mann, der schon vor langer Zeit seine Angst gemeistert hatte. Sein Sieg über die Angst erlaubte es ihm, die Furcht anderer gnadenlos auszunutzen. Er entstammte einer armen Familie aus Murmansk, einer Stadt auf der Halbinsel Kola im äußersten Nordwesten Russlands. Obwohl der Hafen das ganze Jahr über eisfrei war und deshalb historisch als wichtiger Marinestützpunkt galt, lag Murmansk doch nördlich des Polarkreises, und das Leben in dem verschmutzten Sozialwohnungsblock war hart. Sein Vater hatte sich als Deckhelfer auf einem Flottenversorgungsschiff verdingt und zu Hause dieselbe militärische Disziplin verlangt, die er selbst bei der Arbeit ertragen musste. Er terrorisierte seine kleine Familie mit harschen Befehlen und einem aufbrausenden Gemüt. Sein Tod, die Folge eines Unfalls auf See, wurde von allen als Atempause erlebt, auch wenn das niemand laut aussprach. Gleichzeitig mussten sich die Zurückgebliebenen nun mit einer dürftigen Witwenrente über Wasser halten. Um über die Runden zu kommen, verließ Svritsky schon früh die Schule und arbeitete ebenso wie sein älterer Bruder als Schiffsbelader im Handelshafen.
Sein Bruder schien mit der harten Knochenarbeit auf den beißend kalten Piers zufrieden zu sein, aber Stefan wartete bald sehnsüchtig darauf zu entkommen. Nach einer Weile bemerkte er, dass bestimmte Ladungen anders behandelt wurden als der Rest. Während die meiste eingehende Fracht einen gnadenlosen sowjetischen Verwaltungsaufwand durchlaufen musste, wurden die Holzkisten, die für die Dienststellen der örtlichen Miliz bestimmt waren, unter den wachsamen Augen des Polizeioberkommissars auf einen gesonderten Lastwagen verladen und weggebracht. Svritsky stellte sicher, dass er beim Entladen dieser Güter stets anwesend war, und er nickte dem Kommissar ehrerbietig zu, ehe die Kisten abtransportiert wurden.
Nach ein oder zwei Monaten begann der Mann, ihn ebenfalls zu grüßen, indem er den Kopf ein wenig zur Seite legte, um zu bedeuten, dass er die Aufmerksamkeitsbekundungen des jungen Burschen bemerkt hatte. Eines Morgens, als sie wieder einmal eine neue Ladung löschten, kam einer der Hafenarbeiter ins Stolpern. Die Kiste, die er gerade trug, glitt ihm aus den Händen, und mit einem lauten Knall fiel sie mit der Ecke auf den harten Betonboden. Das Geräusch des berstenden Holzes und die wütenden Rufe des Kommissars brachten den ganzen Pier vorübergehend zum Stillstand. Svritsky stürmte auf den Kollegen zu und brüllte ihn an, um ihn so von den Flaschen mit teurem Whisky abzulenken, die zwischen den zerbrochenen Holzlatten hervorblitzten. Dann warf er hastig eine Plane darüber.
Der Polizeioberkommissar musterte ihn, sagte aber nichts. Als die nächste Ladung eintraf, befahl er dem Kontrolleur mit harscher Stimme, von nun an solle Svritsky die Löschung der Fracht beaufsichtigen. Schon bald machte sich der Kommissar nicht länger die Mühe, selbst zu den Docks herunterzukommen, sondern ließ Svritsky die illegalen Waren direkt zur Miliz bringen. Am Ende des Jahres hatte der junge Mann die Piers hinter sich gelassen und begonnen, ausschließlich für die Miliz zu arbeiten, indem er ihr bei verschiedenen zwielichtigen Aufgaben zur Hand ging.
Sein Aufstieg in der sowjetischen Unterwelt vollzog sich rasch und problemlos. Er wusste, wie man Loyalität mit ausgeprägter Selbstsucht verband. Jahrelang hielt er den Schwarzmarkt im nördlichen Russland unter seiner brutalen Kontrolle und belieferte die gesamte politische Elite mit verbotenen Luxusgütern.
Das Monopol der Miliz fand mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein jähes Ende. Importkontrollen brachen zusammen, und so mancher Gangster ergriff die Gelegenheit, gewaltsam sein Territorium auszuweiten. Russland wurde für einen früheren Milizganoven immer gefährlicher, so dass sich Svritsky schon bald gezwungen sah, das Land zu verlassen. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Westafrika kam er ohne Freunde oder Familie nach Kapstadt. Es gelang ihm recht schnell, diese fehlenden emotionalen Bindungen zu seinem Vorteil zu nutzen. Durch seine unerschrockene, eigenständige Art wusste er selbst die geringste Schwäche seiner Mitmenschen auszunutzen. Die Entschlossenheit und Bereitschaft des Russen, Menschen auszubeuten, um sein Ziel zu erreichen, machte ihn zu einem gefürchteten Konkurrenten der örtlichen Verbrecher. Mit seiner Mischung aus Intelligenz und Skrupellosigkeit war er ihnen sogar deutlich überlegen. Während sie noch versuchten, mit Drohungen und Beschimpfungen weiterzukommen, führte Svritsky seine Pläne bereits aus. Schon bald hatte er seine Macht in den Nachtclubs und Geschäften der Innenstadt gefestigt.
Sein schwerer Körper und sein fleischig rundes Gesicht, das oft feucht glänzte, unterstrichen noch seinen Ruf als knallharter Gangster. Sein rasierter Kopf und die knopfartige Nase erinnerten an ein Stachelschwein. Als Jugendlicher hatte er unter schwerer Akne gelitten, wodurch seine Haut auch jetzt noch wie die unebene Oberfläche eines Haferbreis aussah. Weißgraue Bartstoppeln verbargen die schlimmsten Narben. Doch wenn er wütend war, rötete sich sein Nacken, als wäre er mit heißem Wasser verbrüht worden, und die Pockennarben schienen sich wie Wunden zu entzünden. Seinen rechten Unterarm zierte die Tätowierung einer nackten Frau, die versuchte, eine Schlange in Schach zu halten. Der dicke Leib des Tieres hatte sich um einen Schenkel der Frau gewickelt und zwischen die Beine gedrängt, wobei es sich vor den zusammengezogenen roten Brustwarzen aufbäumte.
Svritsky trug gern locker geschnittene Shorts, die seine stämmigen Oberschenkel gerade einmal zur Hälfte bedeckten. Dazu hatte er meist weiße Socken und Turnschuhe an. Kurzärmlige Polohemden betonten seine fassförmige Brust und die kraftvollen, behaarten Arme. In einer solchen Aufmachung hätten die meisten Geschäftsmänner lächerlich gewirkt, doch in seinem Fall hob sie die bedrohliche Ausstrahlung noch hervor. In seinen Augen zeigte sich gnadenlose Entschlossenheit. Die Iris wirkte manchmal beinahe opak - ein lebloses Grau wie die Farbe des Meeres seiner Heimatstadt -, nur um sich dann blitzschnell in ein gefährliches Grün zu verwandeln, die schillernde Farbe brennenden Bariums. Am erschreckendsten wirkte er, wenn er sein Gegenüber regungslos anstarrte.
Richard Calloway beobachtete, wie sein Mandant jetzt den zornig funkelnden Blick auf die zierliche Gestalt von Cerissa du Toit richtete, die Behördenleiterin der Generalstaatsanwaltschaft. Du Toit hatte Svritskys Verbrecherlaufbahn in Südafrika verfolgt und ihn immer wieder wegen verschiedener Delikte wie versuchter Mord, Betrug, Korruption, Drogenhandel und Steuerhinterziehung angeklagt. Sie war bisher jedoch stets erfolglos gewesen, was großenteils auf Richards Bemühungen als Svritskys Anwalt zurückzuführen war. Einmal war es ihr mehr oder weniger zufällig gelungen, ihn wegen unversteuerten Einkommens und eines tätlichen Angriffs zu einer unbedeutenden Geldstrafe zu verurteilen. Es war ein ausgesprochen unbefriedigender Fall gewesen, wobei ihre Enttäuschung auch nicht durch den Tobsuchtsanfall gemildert wurde, den Svritsky während seiner Anhörung vor Gericht bekam.
Der Russe war vor zwölf Jahren zum ersten Mal in Richards Kanzlei aufgetaucht. Damals hatte man ihn wegen Kokainbesitzes angeklagt. Sich ganz auf die Unfähigkeit des zuständigen Polizeikommissars und des Staatsanwalts verlassend, war es Richard problemlos gelungen, für seinen Mandanten einen Freispruch zu erlangen. Als Nächstes wurde einer der Handlanger des Russen wegen Erpressung vor Gericht gestellt. Der Fall gab Richard einen ersten Einblick in die gnadenlose Welt des Stefan Svritsky. Eine mittelmäßig geführte Untersuchung und der Widerwille eingeschüchterter Zeugen zu einer klaren Aussage ermöglichten es ihm, die Argumente der Staatsanwaltschaft zu untergraben, auch wenn sich die Angelegenheit monatelang hinzog. Es folgte eine Reihe von Fällen, die einige Beachtung fanden und Svritsky zu Richards profitabelstem Mandanten machten.
Dieser Erfolg stellte sich für Richard als zweischneidiges Schwert heraus, denn er fand Svritsky sowohl körperlich als auch seiner zwielichtigen Geschäfte wegen mehr als abstoßend. Er begann sich zu fragen, warum das organisierte Verbrechen oftmals so glorifiziert und in Filmen und Büchern als geradezu nobel dargestellt wurde, da die Männer angeblich noch wussten, was Treue und Mut waren. Die Realität sah ganz anders aus.
Trotz seiner Vorbehalte hatte es Richard anfangs amüsiert, bei Essenseinladungen wie nebenbei den Namen seines Mandanten fallen zu lassen und so die gesetzten Mittelschichtpaare aus seinem Bekanntenkreis aufzuschrecken. Eine Weile hatte er sie mit schockierenden Geschichten aus der Unterwelt unterhalten. Doch diese Gelegenheiten ergaben sich nicht allzu oft und wogen kaum die vielen Stunden auf, die er damit verbrachte, neben seinem Mandanten zu sitzen und dessen schmierige Boshaftigkeit ertragen zu müssen. Manchmal hatte er sogar das Bedürfnis, sich nach einem solchen Treffen zu duschen, seinen feuchten Nacken zu waschen und seine Haare mit heißem Wasser zu übergießen. Er hatte die unaufhörliche Selbstdarstellung des Russen satt, und gleichzeitig langweilte sie ihn fast tödlich.
Als er drei Tage zuvor die neue Anklage gelesen hatte, waren ihm die Anschuldigungen mehr als vertraut vorgekommen. Während er die Zeugenaussagen überflog, konnte er sich das bevorstehende Kreuzverhör vorstellen, die wiederholten Einsprüche, die Vorwürfe der Täuschung und all die anderen üblichen Possen vor Gericht. Sobald er die Akte zusammengeklappt hatte, beschlich ihn das Gefühl, die Verhandlung wäre bereits vorüber. Er hatte keine Lust mehr, sich mit den Einzelheiten dieses Falls auseinanderzusetzen, widersprüchliche Aussagen zu hinterfragen und sich auf die Schwächen der Anklage zu stürzen.
Hinter den langweiligen Aktenseiten lauerte jedoch auch seine versteckte Angst, was eine Niederlage für ihn bedeuten könnte. Svritsky erwartete Erfolg, und allein die Vorstellung zu verlieren ließ Richards Herzschlag ansteigen. Einmal hatte er versucht, sich zu weigern, einen Fall zu übernehmen. Doch die zornigen Augen seines Mandanten hatten ihn schnell eines Besseren belehrt.
Svritskys kaum unterdrückte Aggression hinsichtlich Du Toit machte Richard nervös. Ursprünglich hatte er es für taktisch geschickt gehalten, seinen Mandanten zu der Besprechung mitzubringen. Er wollte seine Gegnerin verunsichern, wenn nicht sogar einschüchtern. Doch als er jetzt beobachtete, wie sich Svritskys Körper einem Ringkämpfer gleich anspannte, als würde er jeden Augenblick losschlagen, fragte er sich, ob diese Strategie nicht doch etwas kühn gewesen war. Er legte seine Hand auf den Arm des Russen. Dieser fuhr jedoch ungerührt fort, Du Toit anzustarren.
Die Staatsanwältin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Sie ignorierte den wütend schnaubenden Mann und wandte sich an Richard. »Mr Calloway, ich möchte Ihren Mandanten nicht sehen«, wies sie ihn zurecht. »Um genau zu sein - eigentlich möchte ich auch Sie nicht sehen. Doch da Sie mich um einen Termin gebeten haben, werde ich Ihnen den Gefallen tun und mir anhören, was Sie mir zu sagen haben. Aber ich habe nicht viel Zeit, ja?«
Du Toit hatte kurz geschnittenes Haar mit Strähnen vor den Ohren. Sie trug fast keinen Schmuck und war unauffällig in unifarbenen Hosen und locker sitzenden Blazern gekleidet. Ihr Gesicht war schmal und spitz, und ihre Stimme klang schrill und raspelnd. Dennoch wirkte ihre Körpersprache auffallend selbstbewusst. Ihre Gegenwart machte Richard stets ein wenig nervös. Oft kam er sich wie ein gescholtenes Kind vor, obwohl sie in Wahrheit genauso alt war wie er. Um nicht unsicher zu wirken, rief er sich die Tatsache ins Gedächtnis, dass er ihre juristischen Angriffe wiederholt erfolgreich abgewehrt hatte. Doch mit jeder neuen Herausforderung, jedem neuen Fall, wurde das unangenehme Gefühl stärker, dass ihre hartnäckige Verfolgung seines Mandanten eines Tages doch noch Früchte tragen würde.
Dieses Mal lautete die Anklage auf fahrlässige Tötung. Angeblich hatte Svritsky kurz nach Neujahr hinter dem Steuer eines Ford V8 Coupés gesessen und einen jungen Mann beim Überqueren einer fast menschenleeren Straße in der Nähe des Stadtzentrums überfahren und getötet. Die Staatsanwaltschaft behauptete, der Russe habe angehalten und sei ausgestiegen. Nachdem er festgestellt habe, dass der Mann tot war, sei er vom Unfallort geflohen. Die Sachlage wurde noch durch die Tatsache verschlimmert, dass der Unfall weder der Polizei gemeldet noch ein Krankenwagen gerufen worden war. Stattdessen sei Svritsky - so die Staatsanwaltschaft - am Morgen nach dem Unfall zur Polizei gegangen und habe den Wagen dort als gestohlen gemeldet.
Die Anklage war ungewöhnlich. Sie hatte nichts mit den üblichen geschäftlichen Machenschaften seines Mandanten zu tun, weshalb der Russe das Ganze auch nicht ernst zu nehmen schien. Doch Richard war auf der Hut. Gerade weil es sich um fahrlässige Tötung und nicht um vorsätzlichen Mord handelte, konnte es sich als ein schwieriger und damit gefährlicher Fall herausstellen.
»Cerissa«, sagte er jetzt und zwang sich dazu, herzlich zu klingen. »Ich weiß, dass bereits Februar ist, aber ich möchte dennoch nicht versäumen, Ihnen noch ein gutes neues Jahr zu wünschen. Hoffen wir, dass es für uns alle glücklich verläuft.«
»Mr Calloway, versuchen Sie es bloß nicht auf diese Tour. Wir wissen beide nur allzu genau, dass ein gutes Jahr für mich nur ein schlechtes für Sie und Ihren Mandanten bedeuten kann. Also bitte keine Schmeicheleien. Ihr Mandant soll draußen warten, und Sie können mit mir in mein Büro kommen - auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, was Sie damit erreichen wollen.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und eilte in ihr Zimmer. Die Tür ließ sie offen stehen, damit Richard ihr folgen konnte.
»Ein wenig empfindlich heute, die Gute«, meinte er leichthin.
Der Russe kochte vor Zorn. »Ich werde ihr das Herz ausreißen und es ihr unter die hässliche Nase halten. Diese Schlampe!«
Richard zuckte zusammen. Svritsky spannte den Kiefer so stark an, dass er bebte. Auch die Tätowierung auf seinem Arm fing zu zittern an. Die Schlange und die nackte Frau schienen lasziv miteinander zu tanzen.
»Beruhigen Sie sich, Stefan. Sie markiert nur die Harte. Das ist ihr Job. Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Sie heute mitzunehmen. Lassen Sie mich mit ihr reden, und wir treffen uns dann draußen. Rauchen Sie eine Zigarette. Ich berichte Ihnen, was sie gesagt hat.«
Svritsky würdigte ihn keines Blickes, gab aber nach. Mit großen Schritten ging er den Korridor entlang zur Treppe. Seine Tennisschuhe quietschten auf dem gebohnerten Boden, und er murmelte etwas vor sich hin. Richard blickte dem breiten Rücken seines Mandanten mit einer Mischung aus Abscheu und Furcht hinterher. Dann betrat er das Büro.
Du Toits Arbeitsplatz war bis oben hin vollgestellt. Sie saß hinter ihrem zerkratzten Schreibtisch und zog gerade einen Packen Unterlagen aus einem braunen Umschlag. Richard war schon oft hier gewesen, aber trotzdem überraschte es ihn immer wieder, wie karg und ärmlich das Büro der Leiterin der Generalstaatsanwaltschaft ausgestattet war. Akten und Urteilsregister stapelten sich auf Schreibtisch und Boden, und die jeweiligen Inhalte quollen wie Eingeweide aus einem aufgeschlitzten Bauch hervor. Es gab weder Aktenschränke noch Regale, um das Chaos zu bändigen. Er fragte sich, wie sie ohne Registrator und Assistent den Überblick behielt.
Ein winziger Bereich des Schreibtisches war von Unterlagen frei geblieben, um in der Nähe der Wand einen fleckig braunen Wasserkessel und einen Becher unterzubringen. Richard las die Schrift auf dem Becher - »Deine Probleme sind nicht meine« - und schnitt innerlich eine Grimasse. Pulverkaffeegranulat vermischt mit Wasser bildete um den Fuß des Bechers eine klebrig braune Pfütze. Die Fenster aus Aluminium blickten auf einige graue Gebäude hinaus, während die Zimmerwände bis auf wenige eingerissene und verblichene Behördenposter von traurigen Kindern und Frauen mit misshandelten Handgelenken kahl waren. Richard vermochte sich nicht vorzustellen, wie man an einem solchen Ort arbeiten konnte, und doch besaß diese eindringliche Echtheit auch etwas Faszinierendes.
Er dachte an die Räume seiner eigenen Kanzlei, die sich in einem neu renovierten Gebäude in De Waterkant befand. Die offene Bauweise des Hauses nutzte das Tageslicht durch mehrere geschickt konzipierte Portale, ohne dabei Hitze oder grelle Sonnenstrahlen hereinzulassen. Das Dach war in ein Sonnendeck samt Schirmen, Ruhesesseln und einer Bar aus dunklem Holz umgebaut worden. Von dort oben hatte man einen herrlichen Blick auf ganz Kapstadt - vom Fuß des Signal Hill über das Stadtbecken bis hin zum Hafen und der funkelnden Bucht vor Robben Island. Die Büroeinrichtung mit ihren Couchtischen aus Glas und Chrom, den Ledersofas, den breiten Konferenz- tischen und den Stühlen mit hohen Lehnen wirkte funktional und einladend. Eiswürfel klirrten in Wasserkrügen, in denen Zweige frischer Minze schwammen.
Die Innenarchitektin, mit einer der Firmenpartner verheiratet, hatte die hellen Räume durch zurückhaltend farbenfrohe Kunstwerke noch freundlicher gestaltet. Im Foyer wurde der Besucher von einer Reihe von Leinwänden begrüßt, deren Struktur an Baumrinden erinnerte. Die Naturthematik wurde außerdem durch einen kleinen japanischen Garten und einen Bonsai auf jedem Couchtisch fortgesetzt, während Palmfarne und Bambus bis ins Dachgeschoss mit seinen Holzträgern hinaufreichten. Einer der Partner hatte einmal vorgeschlagen, in der Kanzlei eine Taubenfamilie frei fliegen zu lassen. Aber die Vorstellung, ihren Klienten die Verträge mit Vogelexkrementen präsentieren zu müssen, hatte die anfängliche Begeisterung der Kollegen im Keim erstickt.
Jetzt sehnte sich Richard fast nach seinem Büro. Er malte sich aus, wie er mit einem Schokoladen-Biscotto den Milchschaum seines Cappuccinos auftunkte. Nomphula, die geschäftige Tea Lady, legte ihm immer einen Keks auf seine Untertasse, obwohl die Kekse eigentlich den Klienten vorbehalten waren, die im Foyer auf ihre teuren Beratungsgespräche warteten. Der Büroleiter setzte auf »kleine Aufmerksamkeiten und tiefe Dekolletés«, wie er das nannte, um von dem schwindelerregenden Stundensatz der Seniorpartner abzulenken. Der Ausschnitt der Empfangsdame war tatsächlich atemberaubend.
Doch trotz dieser hübschen kleinen Details besaß der schmuddelige Raum der Staatsanwältin mehr Leidenschaft und Charakter als Richards vornehme Kanzlei. Die wenigen Hilfsmittel unterstrichen für ihn nur noch ihre Entschlossenheit, ihren Einsatz - und seine fehlende Begeisterung für seinen Beruf. Du Toit bedurfte keiner Effekthascherei, da war er sich sicher. Sie musste zu gesellschaftlichen Anlässen keine amüsanten Geschichten erzählen. Er konnte sie sich nicht einmal als Gastgeberin vorstellen. Sie besaß weder die Leichtigkeit noch die Verlogenheit für solche Dinge. Abends im Bett, wenn sie mit ihren müden Gedanken allein war, wusste sie jedoch, was sie erreicht hatte. So abgedroschen es auch sein mochte - Richard verspürte auf einmal einen nagenden Zweifel an seinem Erfolg, seinen Mandanten bisher immer wieder frei bekommen zu haben. Geld und eitle Genugtuung reichten ihm plötzlich nicht mehr.
»Mr Calloway.« Du Toit kam gleich zur Sache. »Wenn Sie mit Ihrem Mandanten noch mal unangekündigt hier auftauchen, werde ich Sie der Anwaltskammer melden. Sie wissen genau, dass Sie mir sein Kommen verschwiegen haben. Ich habe Ihnen keine Genehmigung erteilt.«
»Tut mir leid«, erwiderte er ein wenig zu widerstandslos, wie er fand. »Ich habe wohl vergessen, Sie rechtzeitig darüber zu informieren. Verzeihen Sie. Er raucht jetzt draußen eine Zigarette. «
Richard ärgerte sich über seine eigene Taktik. Er hatte die Staatsanwältin damit keineswegs eingeschüchtert, sondern nur gegen sich aufgebracht. Das Ekzem in seinen Kniekehlen fühlte sich trocken an und juckte. Er sehnte sich danach, die Salbe, die ihm der Dermatologe verschrieben hatte, aufzutragen, um die Reizung zu lindern.
Du Toit schnaubte und zog ein zerknittertes Päckchen Zigaretten aus der Jackentasche. Sie öffnete das Schiebefenster und runzelte die Stirn, als eine staubige Brise ins Zimmer wehte. Das Plastikfeuerzeug wirkte billig, erzeugte aber eine große blaue Flamme. Sie zog an der Zigarette und blies den Rauch in den warmen Wind hinaus. Richard ekelte sich auf einmal vor dem Qualm, der über ihre Haut und ihre Haare strich, als er ins Zimmer zurückgeweht wurde. Er stellte sich den rauchig beißenden Geruch ihres Körpers am Ende eines Tages vor.
»Nicht mal im eigenen Büro darf man heutzutage noch rauchen «, meinte sie wehmütig und ein wenig weicher.
Richard nutzte die Gelegenheit und trat näher an den Tisch heran. »Cerissa, hören Sie«, sagte er. »Will die Generalstaatsanwaltschaft diesen Fall wirklich verfolgen?« Er versuchte, seine Stimme zu senken, um ernster zu klingen. »Ich habe mir die Unterlagen und Zeugenaussagen genau angesehen, und meiner Meinung nach liegt für eine Anklage überhaupt nicht genug vor ... Natürlich nur, soweit ich das beurteilen kann«, fügte er hinzu, als er sah, wie sich ihre Miene verfinsterte. »Diese Zeugenaussage ... Die Aussage des einzigen Zeugen ... Meiner Ansicht nach ist sie völlig unbrauchbar. Daraus lässt sich keine Anklage machen. Sie ist nicht einmal richtig unterschrieben. Wir wissen doch alle, dass es sich um einen falschen Namen handelt, und außerdem erfahren wir kaum etwas darüber, was der Zeuge gesehen haben will.« Er merkte, dass er zu weit gegangen war, und hielt inne, um auf ihre Reaktion zu warten.
»Stimmt. Wir wissen, dass es sich um einen falschen Namen handelt«, erwiderte Du Toit kühl. »Das macht aber die Aussage noch lange nicht falsch, Mr Calloway.«
»Verzeihen Sie, soll das heißen, dass Sie diesen Zeugen tatsächlich aufgetrieben haben? Haben Sie mit ihm persönlich gesprochen? «
»Nein, das soll es nicht heißen. Ich will damit sagen, dass Ihnen eines bestimmt nicht entgangen wäre, wenn Sie die Akten tatsächlich so genau angesehen hätten, wie Sie behaupten: Wir haben einen Zeugen, der beobachtet hat, dass Ihr Mandant wenige Minuten vor dem Unfall vor seinem Club in das betreffende Fahrzeug gestiegen ist. Und wir haben einen weiteren Zeugen, der am Unfallort selbst war und gesehen hat, wie jemand, dessen Beschreibung eindeutig auf Ihren Mandanten zutrifft, aus seinem Wagen gestiegen ist und den sterbenden Fußgänger kurz in Augenschein genommen hat. Das klingt in meinen Ohren nach einem klaren Fall. Wenn Sie also wirklich die Unterlagen gelesen hätten, Mr Calloway, dann würden Sie das wissen. Also - was wollen Sie mir eigentlich sagen?«
Richard errötete und wechselte dann die Taktik, indem er seiner Stimme einen festeren Ausdruck verlieh. »Ms du Toit, solange Sie diesen angeblichen zweiten Zeugen nicht auftreiben, identifizieren und uns seine konkrete Aussage vorlegen, werde ich beantragen, das Verfahren einzustellen. Mit Verlaub, aber man kann nicht von mir verlangen, einen Mann zu verteidigen, dem fahrlässige Tötung vorgeworfen wird, wenn der wichtigste Augenzeuge nicht identifiziert ist und nichts weiter ausgesagt hat, als dass er gesehen haben will, wie der Wagen das Unfall opfer überfahren hat. Ich glaube nicht, dass mich der Richter dazu zwingen würde, unter diesen Umständen weiterzumachen. Bestimmt nicht.«
»Das ist also die Version, die Ihnen Ihr Mandant aufgetischt hat, Mr Calloway?« Du Toit verschränkte die Arme, die Zigarette noch immer zwischen den Fingern. »Dass er nicht dort war? Dass er nicht hinterm Steuer saß? Dass er keine Fahrerflucht begangen hat?«
Deutsch von Mechthild Barth
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
... weniger
Autoren-Porträt von Andrew Brown
Andrew Brown, Anfang vierzig, war bereits in jungen Jahren politisch aktiv, unter anderem in der United Democratic Front (UNF) und im Afrikanischen Nationalkongress (ANC), als dieser noch verboten war. Während seines Jurastudiums an der University of Cape wurde er wegen angeblicher Gewaltanwendung bei einer Konfrontation zwischen Polizei und Studenten mit Freiheitsentzug bestraft. Durch eine Berufung am Cape High Court wurde die Gefängnisstrafe abgewendet. Im selben High Court ist Brown inzwischen als Anwalt tätig. Als Polizeireservist hat Andrew Brown Einblick in die Arbeit der Polizei und die Motivation der Ermittler. Andrew Brown ist verheiratet und hat drei Kinder.
Bibliographische Angaben
- Autor: Andrew Brown
- 2010, 381 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Barth, Mechthild
- Übersetzer: Mechthild Barth
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442752787
- ISBN-13: 9783442752782
Rezension zu „Würde “
»Südafrika ist eine komplexe Gesellschaft. Komplexe Gesellschaften kann man am besten in komplexen Romanen erzählen. Bestenfalls sind das dann Romane, die mit dieser Wirklichkeit derart umgehen, dass diese als Grund für menschliche Irrungen, Tragödien und Dramen sichtbar wird. Weil er das meisterlich gut tut, gilt der 1966 geborene Andrew Brown im Moment als einer der spannendsten Autoren der südafrikanischen Literatur, abseits aller Genreschubladen. (...) Ein menschliche Verhaltensweisen grandios sezierender Roman.«
Kommentar zu "Würde"
0 Gebrauchte Artikel zu „Würde“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Würde".
Kommentar verfassen