Wunderland
Roman
Der literarische Blick in unsere Parallelgesellschaft - ein Debüt, wie es zeitgemäßer nicht sein kann
Hanna hat ihr Leben im Griff. Sie weiß, was gut und was schlecht ist, woran sie glaubt und woran nicht. Dann trifft sie Tamer,...
Hanna hat ihr Leben im Griff. Sie weiß, was gut und was schlecht ist, woran sie glaubt und woran nicht. Dann trifft sie Tamer,...
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Produktinformationen zu „Wunderland “
Der literarische Blick in unsere Parallelgesellschaft - ein Debüt, wie es zeitgemäßer nicht sein kann
Hanna hat ihr Leben im Griff. Sie weiß, was gut und was schlecht ist, woran sie glaubt und woran nicht. Dann trifft sie Tamer, den Macho, den Deutschen arabischer Herkunft. Er öffnet ihr die Tür in eine Welt, die Hannas Gewissheiten erschüttert.
Hanna ist eine junge, behütet aufgewachsene Frau aus liberalen Kreisen, in denen Toleranz zum guten Ton gehört. Sie hat einen guten Job und lebt ein Leben voller Gewissheiten. Als sie Tamer trifft, den irritierend-faszinierenden arabischen Macho mit der Goldkette, den markigen Sprüchen und den ganz anderen Wahrheiten, muss Hanna sich plötzlich fragen: Was ist Heimat, was Glauben, was Freundschaft? Und wen rufe ich an, wenn meine Welt zusammenbricht? Sophie Albers' Roman ist der sprachlich beeindruckende Bericht aus einer Welt, die immer wieder für hitzige Debatten sorgt. Umso wohltuender ist Albers' unaufgeregte Stimme, mit der sie Hanna auf ihrer Reise in dieses fremde, verführerische, abstoßende »Wunderland« begleitet. Ohne zu werten gelingt der Autorin so ein beeindruckendes Stück Literatur.
Hanna hat ihr Leben im Griff. Sie weiß, was gut und was schlecht ist, woran sie glaubt und woran nicht. Dann trifft sie Tamer, den Macho, den Deutschen arabischer Herkunft. Er öffnet ihr die Tür in eine Welt, die Hannas Gewissheiten erschüttert.
Hanna ist eine junge, behütet aufgewachsene Frau aus liberalen Kreisen, in denen Toleranz zum guten Ton gehört. Sie hat einen guten Job und lebt ein Leben voller Gewissheiten. Als sie Tamer trifft, den irritierend-faszinierenden arabischen Macho mit der Goldkette, den markigen Sprüchen und den ganz anderen Wahrheiten, muss Hanna sich plötzlich fragen: Was ist Heimat, was Glauben, was Freundschaft? Und wen rufe ich an, wenn meine Welt zusammenbricht? Sophie Albers' Roman ist der sprachlich beeindruckende Bericht aus einer Welt, die immer wieder für hitzige Debatten sorgt. Umso wohltuender ist Albers' unaufgeregte Stimme, mit der sie Hanna auf ihrer Reise in dieses fremde, verführerische, abstoßende »Wunderland« begleitet. Ohne zu werten gelingt der Autorin so ein beeindruckendes Stück Literatur.
Klappentext zu „Wunderland “
Der literarische Blick in unsere Parallelgesellschaft ein Debüt, wie es zeitgemäßer nicht sein kann Hanna hat ihr Leben im Griff. Sie weiß, was gut und was schlecht ist, woran sie glaubt und woran nicht. Dann trifft sie Tamer, den Macho, den Deutschen arabischer Herkunft. Er öffnet ihr die Tür in eine Welt, die Hannas Gewissheiten erschüttert.
Hanna ist eine junge, behütet aufgewachsene Frau aus liberalen Kreisen, in denen Toleranz zum guten Ton gehört. Sie hat einen guten Job und lebt ein Leben voller Gewissheiten. Als sie Tamer trifft, den irritierend-faszinierenden arabischen Macho mit der Goldkette, den markigen Sprüchen und den ganz anderen Wahrheiten, muss Hanna sich plötzlich fragen: Was ist Heimat, was Glauben, was Freundschaft? Und wen rufe ich an, wenn meine Welt zusammenbricht? Sophie Albers Roman ist der sprachlich beeindruckende Bericht aus einer Welt, die immer wieder für hitzige Debatten sorgt. Umso wohltuender ist Albers unaufgeregte Stimme, mit der sie Hanna auf ihrer Reise in dieses fremde, verführerische, abstoßende "Wunderland" begleitet. Ohne zu werten gelingt der Autorin so ein beeindruckendes Stück Literatur.
"Sophie Albers packt in ihrem ersten Roman 'Wunderland' ein heißes Eisen so unverkrampft an, dass sie zum Nachdenken anregt ... ihr Roman leuchtet das Integrationsproblem überzeugend literarisch aus." -- Eßlinger Zeitung
"Sophie Albers rüttelt an gesellschaftlichen Gewissheiten." -- Freundin
"Sophie Albers' Roman ist ... ein überzeugender literarischer Beitrag zum Thema, der eindringlich ausleuchtet, was hinter dem Integrationsproblem steckt." -- Bonner General-Anzeiger
"Sophie Albers rüttelt an gesellschaftlichen Gewissheiten." -- Freundin
"Sophie Albers' Roman ist ... ein überzeugender literarischer Beitrag zum Thema, der eindringlich ausleuchtet, was hinter dem Integrationsproblem steckt." -- Bonner General-Anzeiger
Lese-Probe zu „Wunderland “
Zuerst kommt die Schwüle, am Boden gehalten von dunklen Wolken, die wie ein Riegel vor dem Himmel liegen. Dann der Wind, und in der Ferne rollt Donner."Hörst du das?", ruft ein Mädchen über den Innenhof, in dem es mit einem Mal hallt, als wäre er mit Metall ausgekleidet.
Der Regen kommt so plötzlich und heftig, dass man sich beeilen muss, die Fenster zu schließen. Schon fallen Hagelkörner auf die Simse, knallen hart aufs Blech und springen in alle Richtungen davon. Wie eine Wand steht das Element Wasser in verschiedenen Zuständen auf der anderen Seite des Glases, verwischt die Übergänge, wäscht den Kontrast aus. Das einzige Geräusch, das durch das mächtige Rauschen dringt, ist das Aufprallen der Eisklumpen.
Langsam lässt der Druck nach. So als würde das Wasser weicher werden. Autos, die stehen geblieben sind, ziehen weiter. Die niedergedrückten Büsche heben sich, scheinbar mühsam. Es ist fast still, bis auf das Klopfen vereinzelter Tropfen an der Scheibe. Irgendwo gluckst eine Regenrinne.
Der erste Blitzschlag durchfährt Himmel und Auge wie ein unerwarteter Schnappschuss. Bis sieben kann man zählen, dann lässt der Donner die Fenster vibrieren. Das Gewitter ist noch nicht einmal hier.
Als der Polizist sich eine Zigarette zwischen die Lippen klemmt, weiß ich, dass Tamer tot ist. Das "Rauchen verboten"-Schild an der Wand in seinem Rücken glänzt neu. Es scheint seit langer Zeit das einzig Neue hier zu sein.
Ich starre auf den Tabak ohne Glut, das Objekt ohne Sinn und fange an zu lachen. Ich lache den Mann aus. Ihn, seinen Schreibtisch, sein Telefon, den Stuhl, auf dem er sitzt, das Büro, in dem er seine Tage verbringt, die Behörde, für die er arbeitet, die Stadt, die ihn bezahlt, das Land, in dem er lebt. Mit all meiner Kraft lache ich ein hartes Lachen. Ein Lachen, das Fäuste hat, vielleicht auch ein Messer, ein Lachen, das in einem schmerzhaft leeren Brustkorb hallt. Ich kämpfe. In meinem Kopf vermischen sich halbe Sätze mit Bildern, wie aus der
... mehr
Zeitung gerissen, wie vor dem Ende weitergezappt, hineingeworfen in einen Strudel. Das Wort "al-Qaida" taucht auf, zweimal schwimmt es auf der Wortsuppe oben. Ich schäme mich.
"Was würdest du sagen, wenn dir einer erzählt, wie toll es ist, für den Dschihad zu sterben, Tamer?"
"Ganz ehrlich?! Ich würde sagen, such dir 'nen anderen."
"Und warum?"
"Ich würd mich doch nicht in die Luft sprengen, Alter. Hallo? Mir geht's doch super hier."
Mein Lachen hat nur geblufft. Es ist unbewaffnet. Ich bin ganz allein mit einem Gegner, der mich längst am Boden hat. Ich lache an gegen den Druck in meinem Hals, der langsam nach oben wandert, von dem ich weiß, dass er mich weinen machen wird, wenn er im Kopf ankommt. Verdammt, ich will nicht weinen. Ich bin in meinem Leben bisher gut ohne ausgekommen.
Es hat ihn zerrissen bei 200 Stundenkilometern, in einem fabrikneuen schwarzen 5er-BMW. Warum er auf gerader Strecke den Brückenpfeiler erwischt habe, wisse man bisher nicht, sagt der Polizist, die ungenutzte Zigarette in einer kleinen Hand. Aber die Spurensicherung arbeite ja auch noch daran.
Es fällt mir schwer, ihn anzusehen, wie er mit hängenden Schultern dasitzt. Sein blondes, dünnes Haar erinnert mich an schwarze, kurz geschnittene Locken, die helle Haut an dunkle, die blassgrauen Augen an braune, der bange Blick an einen herrischen. Ich bin froh, dass er die meiste Zeit die Unterlagen studiert, die Quelle des bisschen Selbstsicherheit, das der ganze Mann zu besitzen scheint.
"Hast du jemals ein Motorrad gehabt?
"Nein, damit würde ich mich umbringen. Du weißt doch, wie ich fahre."
"Ihre Nummer war eine der letzten Verbindungen auf Herrn Al-Mansis Mobiltelefon", sagt der ängstliche Bulle, der sich wegen eines beschissenen Plastikschilds nicht traut, seine Zigarette anzuzünden, die er stattdessen zwischen kleinen Händen und schmalen Lippen hin und her reicht.
"Ich habe versucht, Sie zu Hause zu erwischen, aber Sie waren nicht da."
Er sieht mich an, wartet auf eine Reaktion, kriegt sie nicht, blickt wieder nach unten. Dahin, wo die Fakten liegen: Geburtsdatum, Bremsweg, Zeitpunkt des Todes. Und Telefonnummern.
"Sie hatten doch beruflich mit ihm zu tun, stimmt's? Deshalb habe ich Sie herbestellt. Ich hätte da ein paar Fragen Seine Stimme zerfasert auf dem Weg zu meinem Ohr, wird immer kleiner, leiser und landet schließlich auf dem Linoleumboden, der auf den Wegen um die Schreibtische herum hell gelaufen ist. Wie kommen eigentlich diese schwarzen Schlieren ins Grau? Und wie häufig wird hier geputzt? Eilige Schritte traben vorbei, zertreten die Beamtenwörter, die Beamtensatzzeichen, die Beamtensprechblasen. Es kümmert mich nicht. Mir fehlt die Energie, die Einzelteile aufzuheben, der Platz, darüber nachzudenken. Ich konzentriere mich auf den Schmerz in meinem Kopf, kaue auf ihm herum. Ich bohre meine Fingernägel in den klebrigen Plastikbezug des Stuhls, spüre, wie sich die Schmutzschicht löst. Der Rest all derer, die vor mir hier saßen. Dann doch lieber in meinen Handballen. Ich spanne alle Muskeln an gegen diesen an mir zerrenden Wunsch loszulassen. Drogendealer, denke ich, Schutzgeldeintreiber, Auftragsschläger. Doch es ist zu spät, ich fange an zu heulen. Tränen, Rotz, Gefühle laufen mir übers Gesicht, als wäre ein Damm gebrochen.
"Ich weine auch, Hanna", hat Tamer einmal gesagt. "Ich bin morgens aufgewacht, und das ganze Kissen war nass geheult. Ich habe geträumt, dass jemand aus meiner Familie stirbt."
Der Polizist kramt erfolglos in einer Schublade, vielleicht nach einem Taschentuch, während ich einfach nur dasitze und überlaufe. Das Seltsame ist, dass ich trotzdem nicht aufhören kann zu lachen. Und Tamer, Gott sei seiner Seele gnädig, Tamer lacht mit mir.
Beton "Was willst du wissen?", fragt mich ein Typ mit schmalen Schultern und großen braunen Augen, in denen neben viel Spott auch ein bisschen Neugierde blitzt. Der Blick ist anders als bei den anderen.
"Was willst du wissen, Alter?", fragt er wieder, während ich überlege, ob er wohl gefährlich ist, ob ich Angst haben sollte und wie schnell ich die Treppe zur U-Bahn runterrennen kann.
"Du musst schon was fragen, wenn du was wissen willst. Du bist doch Journalistin." Sogar die Handbewegung, mit der er sich ein Kaugummi in den Mund schiebt, wirkt abfällig. Es riecht nach zuckersüßem Pfirsich. Dann endlich habe ich es kapiert: Die Uhr läuft. Er hat mir ein Zeitfenster geöffnet, und wenn ich schnell genug bin, wird er mich durchlassen, wird er mir etwas von dem geben, was er zu bieten hat, etwas zeigen, das ich noch nie gesehen habe. Zehn, neun, acht.
Ich bin in Berlin-Neukölln, ein Stadtteil, in dem genau ein Bekannter von mir wohnt, den ich genau einmal besucht habe. Sonst fahre ich hier nur durch. Die Lehrer einer Hauptschule haben die Schulbehörde angeschrieben, weil sie sich nicht mehr in der Lage sehen, ihre Schüler zu unterrichten. Die seien zu aggressiv, heißt es in dem Brief, zu brutal, zu bösartig. Die seien dazu übergegangen, sich nicht mehr nur gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, die griffen nun auch die Lehrer an.
"83,2 Prozent Migrationshintergrund". Die Boulevardpresse lässt Jungs mit schwarzen Haaren, schwarzen Augen und dunkler Haut aufmarschieren. Mit wutverzerrten Gesichtern und laut Bildunterschrift Hass im gepixelten Blick posieren sie auf den Fotos, ziehen die Mundwinkel nach unten, recken das Kinn vor, machen einen auf Gangsta-Rapper. Einer zeigt sein Messer. Auf einem anderen Bild nimmt ein Junge Anlauf, um einen Stein über den Schulzaun auf die Journalisten zu schmeißen, die genau darauf gewartet haben. Er hat sich den Pulli ins Gesicht gezogen, damit man ihn nicht erkennt.
Seine Mutter wird nicht nur den Pulli erkennen, sondern auch die Hose und das Baseballcap, das er abnimmt, wenn er sich abends an den Tisch setzt und isst, was sie für ihn gekocht hat. "Er ist ein guter Junge, er macht so was nicht", wird sie sagen, wenn eine Nachbarin sie wegen des Fotos anspricht. Der Sohn wird es ausreißen und seinen Kumpels zeigen. Die hauen ihm dann auf die Schulter und sagen: "Übelst krass, Alter!" Ja, so wird es sein.
Ich soll darüber schreiben, was auf diesem Schulhof passiert. Also stelle ich mich neben meine Kollegen, gucke zusammen mit ihnen durch den Zaun, frage, was denn bisher passiert ist, und wundere mich, dass es kein Schild gibt, das die Spezies beschreibt, die wir aus sicherer Entfernung so konzentriert beobachten. Die in Grüppchen herumsteht, uns ignoriert oder die Blicke nimmt, zurückwirft und hinterherspuckt.
Nach ein paar Minuten gehe ich wieder. Einfach nur die Straße hinunter. Ich steuere auf drei Jungs zu, die neben einer Parkbank stehen und lachen. Als ich näher komme, nehmen sie Haltung an und schauen vom Leben genervt in die Welt.
"Hallo! Seid ihr auch von der Schule?"
"Nee", antwortet einer und spuckt auf den Boden. "Geht ihr auf eine andere Schule hier in der Nähe?" Kopfschütteln, Schulterzucken. "Was macht ihr denn hier?"
"Einfach so, gucken, was geht, Alter." Der, der antwortet, ist auffallend hübsch, hat strahlend grüne Augen in einem fein geschnittenen Gesicht.
"Und was haltet ihr von dem, was ihr seht?"
"Krass egal", sagt der Kleinste, der sich wahrscheinlich bald zum ersten Mal in seinem Leben rasieren wird. Dann fischt er eine Packung Marlboro Lights aus der Jackentasche und zündet sich in einer Abfolge offenbar einstudierter, cooler Bewegungen eine Zigarette an.
"Und die ganzen Journalisten?", frage ich.
"Die schreiben eh nur Scheiße." Der Dritte hat braune Kulleraugen im Kindergesicht, das überhaupt nicht zum bulligen Körper passt. Das weiße T-Shirt spannt unter den Achseln.
"Und was machst du hier?", will er wissen.
"Ich schreibe für eine Zeitschrift."
"Schreibst du auch Scheiße?"
"Ich hoffe nicht."
"Schreibst du auch über uns?", fragt der Hübsche.
"Ja, krass, dann können die andern das lesen. Ich will, dass meine Leute über mich lesen", sagt der Dicke. Er lacht mit breitem Mund und aufgerissenen Augen.
"Ja, vielleicht schreibe ich auch über euch."
"Auf jeden, Alter!" Der Kleine kichert. In der Tasche seiner weißen Hose lässt er immer wieder den Zündstein seines Feuerzeugs schnalzen.
"Lass das lieber, sonst fackelst du noch dein Bein ab", sage ich. Er guckt irritiert und zieht die Hand aus der Tasche.
"Wie alt seid ihr?"
"Er ist 14, ich bin 16, und Cem ist 18", sagt der Hübsche und zeigt auf den Dicken.
"Ich will, dass meine Leute über mich lesen, weißt du", sagt der und guckt mir diesmal ein bisschen länger ins Gesicht.
"Und was macht ihr so?"
"Ich bin gerade von der Sonderschule geflogen." Der Kleine lächelt stolz.
"Und das ist gut?"
Schulterzucken.
Nach einer kurzen Pause sagt der Dicke: "Ich bin gerade raus aus'm Gefängnis. Zwei Jahre und neun Monate. Hab vier Leute abgestochen."
Ich weiche vor den Worten zurück.
"Die sind nicht tot, nur verletzt", fügt der Hübsche schnell hinzu.
"Die haben da gesagt, ich bin verrückt, Alter. Ich komm so rein, und dann gibt der mir 'nen Zettel, da steht drauf, ich bin verrückt. Die haben mich gar nicht untersucht. Und dann Einzelhaft."
Ich kann keine Kulleraugen mehr sehen.
"Schreibst du jetzt was über uns?"
"Ihr könntet mir eure Handynummern geben, dann kann ich euch anrufen, wenn ich noch Fragen habe."
Ich bekomme die vom Hübschen und vom Kleinen, der Dicke hat noch kein Handy. Die beiden ziehen ab, der Abstecher bleibt zurück. Während ich zwischen banaler Furcht und kompliziertem Mitleid schwanke, krempelt er seinen rechten T-Shirt-Ärmel hoch und legt drei Narbenwulste frei, die sich über den fleischigen Oberarm ziehen.
"Wie ist das denn passiert?"
"Hab ich gemacht."
"Du hast dir selbst den Arm zerschnitten?"
"Ich wusste nicht, was ich machen soll, Alter. Das war voll krass langweilig da."
In aller Ruhe krempelt er den Ärmel wieder runter und geht zu den anderen, die an der Ecke auf ihn warten.
Ich will nach Hause. Dorthin, wo es Jungs wie ihn nicht gibt.
Der Typ lehnt an der Mauer des U-Bahn-Eingangs und hat das Gespräch offensichtlich beobachtet. Immer wieder streift mich sein spöttischer Blick, als würde er abschätzen, ob er mit mir Zeit verschwendet, während ich überlege, wie lange das Zeitfenster wohl offen stehen wird, und ob ich überhaupt durchpassen werde.
"Warst du früher auf der Schule?"
Er guckt nicht mal in meine Richtung, als er andeutungsweise den Kopf schüttelt und dann auf den Boden spuckt. Ich gucke hinterher, sehe kleine Bläschen platzend in einer Ritze zwischen hellgrauen Steinplatten versinken. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll, und ihm ist es einfach nur egal. Es liegt einzig an mir, ob dieser Austausch jemals stattfinden wird. Er steht da, als wäre ich gar nicht anwesend, und wenn ich nicht die richtige Frage stelle, ist auch er weg. Dann verschwindet mein weißes Kaninchen wieder.
Ein großer, schwarzhaariger Kerl mit einem wild geschminkten Mädchen am Arm geht vorbei und nickt meinem Kaninchen zu.
"Hey, wie geht's?"
"Gut, Mann!"
Als das Pärchen außer Hörweite ist, wage ich den zweiten Versuch.
"Wer bist du?"
Wie ein Kind im Zirkus halte ich die Luft an, damit der Tiger endlich springt. Wolken ziehen über den Himmel, ein Auto fährt vorbei, irgendwo lacht eine Frau.
Er drückt sich ab vom Beton, wischt die Handflächen an seiner hellen Jeans ab, gibt mir die Hand, und ich kann ausatmen.
"Mein Name ist Tamer." Mit dem Kopf deutet er eine kleine Verbeugung an.
Ich schüttle seine Hand und lache, weil ich so erleichtert bin.
"Ich bin Hanna."
Dann geht er los, ich hinterher, und ich denke nicht einen Moment darüber nach, wie ich wieder zurückkommen soll.
"Was würdest du sagen, wenn dir einer erzählt, wie toll es ist, für den Dschihad zu sterben, Tamer?"
"Ganz ehrlich?! Ich würde sagen, such dir 'nen anderen."
"Und warum?"
"Ich würd mich doch nicht in die Luft sprengen, Alter. Hallo? Mir geht's doch super hier."
Mein Lachen hat nur geblufft. Es ist unbewaffnet. Ich bin ganz allein mit einem Gegner, der mich längst am Boden hat. Ich lache an gegen den Druck in meinem Hals, der langsam nach oben wandert, von dem ich weiß, dass er mich weinen machen wird, wenn er im Kopf ankommt. Verdammt, ich will nicht weinen. Ich bin in meinem Leben bisher gut ohne ausgekommen.
Es hat ihn zerrissen bei 200 Stundenkilometern, in einem fabrikneuen schwarzen 5er-BMW. Warum er auf gerader Strecke den Brückenpfeiler erwischt habe, wisse man bisher nicht, sagt der Polizist, die ungenutzte Zigarette in einer kleinen Hand. Aber die Spurensicherung arbeite ja auch noch daran.
Es fällt mir schwer, ihn anzusehen, wie er mit hängenden Schultern dasitzt. Sein blondes, dünnes Haar erinnert mich an schwarze, kurz geschnittene Locken, die helle Haut an dunkle, die blassgrauen Augen an braune, der bange Blick an einen herrischen. Ich bin froh, dass er die meiste Zeit die Unterlagen studiert, die Quelle des bisschen Selbstsicherheit, das der ganze Mann zu besitzen scheint.
"Hast du jemals ein Motorrad gehabt?
"Nein, damit würde ich mich umbringen. Du weißt doch, wie ich fahre."
"Ihre Nummer war eine der letzten Verbindungen auf Herrn Al-Mansis Mobiltelefon", sagt der ängstliche Bulle, der sich wegen eines beschissenen Plastikschilds nicht traut, seine Zigarette anzuzünden, die er stattdessen zwischen kleinen Händen und schmalen Lippen hin und her reicht.
"Ich habe versucht, Sie zu Hause zu erwischen, aber Sie waren nicht da."
Er sieht mich an, wartet auf eine Reaktion, kriegt sie nicht, blickt wieder nach unten. Dahin, wo die Fakten liegen: Geburtsdatum, Bremsweg, Zeitpunkt des Todes. Und Telefonnummern.
"Sie hatten doch beruflich mit ihm zu tun, stimmt's? Deshalb habe ich Sie herbestellt. Ich hätte da ein paar Fragen Seine Stimme zerfasert auf dem Weg zu meinem Ohr, wird immer kleiner, leiser und landet schließlich auf dem Linoleumboden, der auf den Wegen um die Schreibtische herum hell gelaufen ist. Wie kommen eigentlich diese schwarzen Schlieren ins Grau? Und wie häufig wird hier geputzt? Eilige Schritte traben vorbei, zertreten die Beamtenwörter, die Beamtensatzzeichen, die Beamtensprechblasen. Es kümmert mich nicht. Mir fehlt die Energie, die Einzelteile aufzuheben, der Platz, darüber nachzudenken. Ich konzentriere mich auf den Schmerz in meinem Kopf, kaue auf ihm herum. Ich bohre meine Fingernägel in den klebrigen Plastikbezug des Stuhls, spüre, wie sich die Schmutzschicht löst. Der Rest all derer, die vor mir hier saßen. Dann doch lieber in meinen Handballen. Ich spanne alle Muskeln an gegen diesen an mir zerrenden Wunsch loszulassen. Drogendealer, denke ich, Schutzgeldeintreiber, Auftragsschläger. Doch es ist zu spät, ich fange an zu heulen. Tränen, Rotz, Gefühle laufen mir übers Gesicht, als wäre ein Damm gebrochen.
"Ich weine auch, Hanna", hat Tamer einmal gesagt. "Ich bin morgens aufgewacht, und das ganze Kissen war nass geheult. Ich habe geträumt, dass jemand aus meiner Familie stirbt."
Der Polizist kramt erfolglos in einer Schublade, vielleicht nach einem Taschentuch, während ich einfach nur dasitze und überlaufe. Das Seltsame ist, dass ich trotzdem nicht aufhören kann zu lachen. Und Tamer, Gott sei seiner Seele gnädig, Tamer lacht mit mir.
Beton "Was willst du wissen?", fragt mich ein Typ mit schmalen Schultern und großen braunen Augen, in denen neben viel Spott auch ein bisschen Neugierde blitzt. Der Blick ist anders als bei den anderen.
"Was willst du wissen, Alter?", fragt er wieder, während ich überlege, ob er wohl gefährlich ist, ob ich Angst haben sollte und wie schnell ich die Treppe zur U-Bahn runterrennen kann.
"Du musst schon was fragen, wenn du was wissen willst. Du bist doch Journalistin." Sogar die Handbewegung, mit der er sich ein Kaugummi in den Mund schiebt, wirkt abfällig. Es riecht nach zuckersüßem Pfirsich. Dann endlich habe ich es kapiert: Die Uhr läuft. Er hat mir ein Zeitfenster geöffnet, und wenn ich schnell genug bin, wird er mich durchlassen, wird er mir etwas von dem geben, was er zu bieten hat, etwas zeigen, das ich noch nie gesehen habe. Zehn, neun, acht.
Ich bin in Berlin-Neukölln, ein Stadtteil, in dem genau ein Bekannter von mir wohnt, den ich genau einmal besucht habe. Sonst fahre ich hier nur durch. Die Lehrer einer Hauptschule haben die Schulbehörde angeschrieben, weil sie sich nicht mehr in der Lage sehen, ihre Schüler zu unterrichten. Die seien zu aggressiv, heißt es in dem Brief, zu brutal, zu bösartig. Die seien dazu übergegangen, sich nicht mehr nur gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, die griffen nun auch die Lehrer an.
"83,2 Prozent Migrationshintergrund". Die Boulevardpresse lässt Jungs mit schwarzen Haaren, schwarzen Augen und dunkler Haut aufmarschieren. Mit wutverzerrten Gesichtern und laut Bildunterschrift Hass im gepixelten Blick posieren sie auf den Fotos, ziehen die Mundwinkel nach unten, recken das Kinn vor, machen einen auf Gangsta-Rapper. Einer zeigt sein Messer. Auf einem anderen Bild nimmt ein Junge Anlauf, um einen Stein über den Schulzaun auf die Journalisten zu schmeißen, die genau darauf gewartet haben. Er hat sich den Pulli ins Gesicht gezogen, damit man ihn nicht erkennt.
Seine Mutter wird nicht nur den Pulli erkennen, sondern auch die Hose und das Baseballcap, das er abnimmt, wenn er sich abends an den Tisch setzt und isst, was sie für ihn gekocht hat. "Er ist ein guter Junge, er macht so was nicht", wird sie sagen, wenn eine Nachbarin sie wegen des Fotos anspricht. Der Sohn wird es ausreißen und seinen Kumpels zeigen. Die hauen ihm dann auf die Schulter und sagen: "Übelst krass, Alter!" Ja, so wird es sein.
Ich soll darüber schreiben, was auf diesem Schulhof passiert. Also stelle ich mich neben meine Kollegen, gucke zusammen mit ihnen durch den Zaun, frage, was denn bisher passiert ist, und wundere mich, dass es kein Schild gibt, das die Spezies beschreibt, die wir aus sicherer Entfernung so konzentriert beobachten. Die in Grüppchen herumsteht, uns ignoriert oder die Blicke nimmt, zurückwirft und hinterherspuckt.
Nach ein paar Minuten gehe ich wieder. Einfach nur die Straße hinunter. Ich steuere auf drei Jungs zu, die neben einer Parkbank stehen und lachen. Als ich näher komme, nehmen sie Haltung an und schauen vom Leben genervt in die Welt.
"Hallo! Seid ihr auch von der Schule?"
"Nee", antwortet einer und spuckt auf den Boden. "Geht ihr auf eine andere Schule hier in der Nähe?" Kopfschütteln, Schulterzucken. "Was macht ihr denn hier?"
"Einfach so, gucken, was geht, Alter." Der, der antwortet, ist auffallend hübsch, hat strahlend grüne Augen in einem fein geschnittenen Gesicht.
"Und was haltet ihr von dem, was ihr seht?"
"Krass egal", sagt der Kleinste, der sich wahrscheinlich bald zum ersten Mal in seinem Leben rasieren wird. Dann fischt er eine Packung Marlboro Lights aus der Jackentasche und zündet sich in einer Abfolge offenbar einstudierter, cooler Bewegungen eine Zigarette an.
"Und die ganzen Journalisten?", frage ich.
"Die schreiben eh nur Scheiße." Der Dritte hat braune Kulleraugen im Kindergesicht, das überhaupt nicht zum bulligen Körper passt. Das weiße T-Shirt spannt unter den Achseln.
"Und was machst du hier?", will er wissen.
"Ich schreibe für eine Zeitschrift."
"Schreibst du auch Scheiße?"
"Ich hoffe nicht."
"Schreibst du auch über uns?", fragt der Hübsche.
"Ja, krass, dann können die andern das lesen. Ich will, dass meine Leute über mich lesen", sagt der Dicke. Er lacht mit breitem Mund und aufgerissenen Augen.
"Ja, vielleicht schreibe ich auch über euch."
"Auf jeden, Alter!" Der Kleine kichert. In der Tasche seiner weißen Hose lässt er immer wieder den Zündstein seines Feuerzeugs schnalzen.
"Lass das lieber, sonst fackelst du noch dein Bein ab", sage ich. Er guckt irritiert und zieht die Hand aus der Tasche.
"Wie alt seid ihr?"
"Er ist 14, ich bin 16, und Cem ist 18", sagt der Hübsche und zeigt auf den Dicken.
"Ich will, dass meine Leute über mich lesen, weißt du", sagt der und guckt mir diesmal ein bisschen länger ins Gesicht.
"Und was macht ihr so?"
"Ich bin gerade von der Sonderschule geflogen." Der Kleine lächelt stolz.
"Und das ist gut?"
Schulterzucken.
Nach einer kurzen Pause sagt der Dicke: "Ich bin gerade raus aus'm Gefängnis. Zwei Jahre und neun Monate. Hab vier Leute abgestochen."
Ich weiche vor den Worten zurück.
"Die sind nicht tot, nur verletzt", fügt der Hübsche schnell hinzu.
"Die haben da gesagt, ich bin verrückt, Alter. Ich komm so rein, und dann gibt der mir 'nen Zettel, da steht drauf, ich bin verrückt. Die haben mich gar nicht untersucht. Und dann Einzelhaft."
Ich kann keine Kulleraugen mehr sehen.
"Schreibst du jetzt was über uns?"
"Ihr könntet mir eure Handynummern geben, dann kann ich euch anrufen, wenn ich noch Fragen habe."
Ich bekomme die vom Hübschen und vom Kleinen, der Dicke hat noch kein Handy. Die beiden ziehen ab, der Abstecher bleibt zurück. Während ich zwischen banaler Furcht und kompliziertem Mitleid schwanke, krempelt er seinen rechten T-Shirt-Ärmel hoch und legt drei Narbenwulste frei, die sich über den fleischigen Oberarm ziehen.
"Wie ist das denn passiert?"
"Hab ich gemacht."
"Du hast dir selbst den Arm zerschnitten?"
"Ich wusste nicht, was ich machen soll, Alter. Das war voll krass langweilig da."
In aller Ruhe krempelt er den Ärmel wieder runter und geht zu den anderen, die an der Ecke auf ihn warten.
Ich will nach Hause. Dorthin, wo es Jungs wie ihn nicht gibt.
Der Typ lehnt an der Mauer des U-Bahn-Eingangs und hat das Gespräch offensichtlich beobachtet. Immer wieder streift mich sein spöttischer Blick, als würde er abschätzen, ob er mit mir Zeit verschwendet, während ich überlege, wie lange das Zeitfenster wohl offen stehen wird, und ob ich überhaupt durchpassen werde.
"Warst du früher auf der Schule?"
Er guckt nicht mal in meine Richtung, als er andeutungsweise den Kopf schüttelt und dann auf den Boden spuckt. Ich gucke hinterher, sehe kleine Bläschen platzend in einer Ritze zwischen hellgrauen Steinplatten versinken. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll, und ihm ist es einfach nur egal. Es liegt einzig an mir, ob dieser Austausch jemals stattfinden wird. Er steht da, als wäre ich gar nicht anwesend, und wenn ich nicht die richtige Frage stelle, ist auch er weg. Dann verschwindet mein weißes Kaninchen wieder.
Ein großer, schwarzhaariger Kerl mit einem wild geschminkten Mädchen am Arm geht vorbei und nickt meinem Kaninchen zu.
"Hey, wie geht's?"
"Gut, Mann!"
Als das Pärchen außer Hörweite ist, wage ich den zweiten Versuch.
"Wer bist du?"
Wie ein Kind im Zirkus halte ich die Luft an, damit der Tiger endlich springt. Wolken ziehen über den Himmel, ein Auto fährt vorbei, irgendwo lacht eine Frau.
Er drückt sich ab vom Beton, wischt die Handflächen an seiner hellen Jeans ab, gibt mir die Hand, und ich kann ausatmen.
"Mein Name ist Tamer." Mit dem Kopf deutet er eine kleine Verbeugung an.
Ich schüttle seine Hand und lache, weil ich so erleichtert bin.
"Ich bin Hanna."
Dann geht er los, ich hinterher, und ich denke nicht einen Moment darüber nach, wie ich wieder zurückkommen soll.
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Autoren-Porträt von Sophie Albers
Sophie Albers wurde 1970 in Hamburg geboren. Sie hat Film, Geschichte und Literatur studiert und danach als Journalistin bei verschiedenen Magazinen gearbeitet. Seit 2008 ist sie Kultur-Redakteurin bei stern.de. Sie lebt in Berlin. "Wunderland" ist ihr erster Roman.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sophie Albers
- 2011, 166 Seiten, Maße: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Knaus
- ISBN-10: 3813503984
- ISBN-13: 9783813503982
Rezension zu „Wunderland “
"Das literarische Debüt der Redakteurin des 'Stern' wurzelt fraglos in der Reportage. Und doch freut man sich an diesem schmalen Band, der einen packt, provoziert und bewegt ... ein Buch, das dringliche Fragen stellt."
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