Wyrm
Wyrm von Wolfgang Hohlbein
LESEPROBE
Coppelstone war ein Stadtmensch aus tiefster, ehrlicherÜberzeugung heraus. Er liebte die Zivilisation, die Städte mit ihren Menschen,ihren Geschäften und Lichtern, ihrem pulsierenden Leben und all ihrenAnnehmlichkeiten, und im Gegenzug verabscheute er die Unordnung und das Chaos,in das er tiefer und tiefer hineinfuhr. Allein diese Straße war eine glatteBeleidigung seines Gefühles für Ordnung und Ästhetik. Und am schlimmsten war: Siestimmte nicht mit der Karte überein. Aber um das in Ordnung zu bringen, war erschließlich hier. Der Wagen rumpelte durch ein weiteres Schlagloch, das diesmaltief genug war, den Ford wie ein Boot in stürmischer See auf die Seite zukippen und mit einem magenumdrehenden Schlag wieder in die Waagerechtezurückfallen zu lassen, und damit nicht genug, wurde Coppelstone durch denunerwarteten Ruck so heftig nach vorne geschleudert, dass er gegen das Lenkradprallte und halb benommen in den Sitz zurückfiel. Sein Fuß rutschte vomGaspedal. Der Wagen rollte noch ein paar Yards weiter und kam mit einemneuerlichen, wenn auch nicht annähernd so harten Ruck zum Stehen. Der Motorging aus. Für die Dauer von fünf oder auch zehn hämmernden Herzschlägen bliebCoppelstone einfach mit geschlossenen Augen sitzen und wartete darauf, dass derSchmerz in seinem Gesicht nachließ. Er war mit dem Nasenrücken aufs Lenkradaufgeschlagen, und dem brennenden Pochen nach zu schließen, das sich über seinegesamte obere Gesichtshälfte bis zum Scheitel hinaufzog, hätte seine Naseeigentlich heftig bluten müssen. Als er jedoch die Augen öffnete und mit denFingerspitzen behutsam nach der schmerzenden Stelle tastete, fühlte er nichts.Und eine zweite, etwas gründlichere Untersuchung ergab, dass auch seine Naseoffensichtlich nicht gebrochen war. Allerdings hatte er das Gefühl, dass siebald zu mindestens doppelter Größe anschwellen würde. Coppelstone tastete mitbeiden Händen seinen Körper ab und überzeugte sich mit einem Blick davon, dasser auch tatsächlich ohne - zumindest sichtbare - Verletzungen davongekommenwar, dann öffnete er den Wagenschlag und kletterte umständlich hinaus. SeinAutomobil schien sehr viel weniger glimpflich davongekommen zu sein als er. DerFord stand annähernd quer zur Fahrtrichtung und tatsächlich schräg wie eingestrandetes Schiff. Der linke, ihm zugewandte Kotflügel hatte eine üble Delleabbekommen, und der Lack, der vor einer Stunde noch wie poliertes Ebenholzgeglänzt hatte, war nun stumpf und wies zahllose mehr oder weniger deutlicheKratzer auf. Der Anblick traf Coppelstone nicht nur wie ein Messerstich in dieBrust, er erfüllte ihn für einen kurzen Moment mit einem Groll auf Waiden, derfast an Hass grenzte. Ihm allein hatte er es zu verdanken, dass er hier war. Eswäre Waidens Aufgabe gewesen, hierher zu fahren und Morrison endlich zurVernunft zu bringen, nicht seine. Stattdessen hatte er es vorgezogen, sich denFuß zu verstauchen und Coppelstone begriff selbst, wie absurd dieser Gedankewar, und brach ihn gewaltsam ab. Statt hier herumzustehen und sich selbst Leidzu tun, sollte er seine Energie lieber darauf verwenden, möglichst rasch einenAusweg aus dieser misslichen Lage zu finden. Er umkreiste den Wagen, und als erseine andere Seite erreichte, sank sein Mut noch weiter. Unmittelbar vor ihmwar die Straße geborsten. Es war kein Schlagloch, wie es sie hier buchstäblichzu tausenden gab, sondern ein gut handbreiter Riss, der die Straße nahezu aufvoller Breite spaltete. Das rechte Vorderrad des Wagens war in diesen Spalteingesunken und aufgrund des Winkels, in dem es dastand, vermutete Coppelstone,dass die Feder, möglicherweise sogar die Achse, gebrochen war.
Prüfend rüttelte er am Rad. Der gesamte Ford geriet insSchaukeln, doch das Rad war unverrückbar in den Spalt im Straßenbelagfestgeklemmt. Trotzdemließ er sich noch ein zweites Mal in die Hocke sinken, griffmit beiden Händen zu und zerrte mit aller Gewalt daran. Coppelstone war allesandere als ein Schwächling. Trotz seiner Vorliebe für die Zivilisation und die Annehmlichkeitendes modernen Lebens achtete er pedantisch auf seine Gesundheit und darauf,stets genug Sport zu treiben, um in einer guten Verfassung zu sein. Allerdingswaren seine Kräfte in diesem Fall hoffnungslos überfordert. Selbst als er denWagenheber zu Hilfe nahm, gelang es ihm nicht, das eingekeilte Fahrzeug zubefreien. Einziges Ergebnis seiner Bemühungen war, dass seine angeschlageneNase nun doch zu bluten begann. Missmutig zog er sein Taschentuch aus derJacke, presste es gegen die Nase und wartete, bis sie zu bluten aufgehörthatte. Es dauerte nicht lange, doch die Zeit reichte immerhin, dass Coppelstonesich beruhigte und zu einer zumindest einigermaßen objektiven Einschätzungseiner Lage gelangte. So ärgerlich das Missgeschick auch sein mochte, das ihmwiderfahren war - seine Situation war unangenehm, aber mehr auch nicht. Bis zuMorrisons Farm war es ein Fußmarsch von gut zehn Minuten, und
dort würde er Hilfe finden. Coppelstone bedachte daseingeklemmte Rad mit einem letzten, ärgerlichen Blick, dann richtete er sich auf,nahm in der gleichen Bewegung das blutgetränkte Taschentuch vom Gesicht undwarf es angewidert fort. Seine Nase blutete nun nicht mehr, aber sie schmerzte schlimmerdenn je. Möglicherweise war er gut beraten, wenn er nach seiner Rückkehr in dieStadt einen Arzt aufsuchte. Es schien zwar nur eine harmlose Verletzung zusein, aber man konnte nie wissen.
Er umkreiste den Wagen ein zweites Mal, öffnete dieBeifahrertür und begann seine Papiere vom Boden aufzusammeln, wobei er leisevor sich hin fluchte. Als er damit fertig war, trat er gebückt einen Schrittnach hinten, um sich nicht zu allem Überfluss noch den Hinterkopf an der Tür zustoßen, war aber dabei so ungeschickt, dass ihm einige seiner gerade erstzusammengesuchten Papiere wieder entglitten und zu Boden fielen. Coppelstonefluchte erneut und noch lauter und bückte sich hastig, und die abrupte Bewegungwar offensichtlich zu viel für seine Nase: Ein einzelner Blutstropfen liefhinaus und fiel zu Boden. Und verschwand. Coppelstone blinzelte. Er hatte denWeg des Blutstropfens aufmerksam verfolgt, weil er fürchtete, er könnte einesseiner Blätter treffen und einen hässlichen Fleck darauf hinterlassen, doch erhatte das Blatt verfehlt und hätte eigentlich auf dem schwarzen Asphalt deutlichsichtbar sein müssen. Aber er war es nicht. Der Teer hatte den Tropfenaufgesaugt wie ein Schwamm.
Vorsichtig tastete Coppelstone mit den Fingerspitzen danachund stellte eine zweite Besonderheit fest: Der Teer fühlte sich nicht an, wieer sollte. Er sah aus, als wäre er hart und körnig, mit unzähligen winzigenspitzen Einschlüssen durchsetzt, die das Gehen darauf, vor allem an heißenTagen, sehr unangenehm machen mussten, und er fühlte sich definitiv ganz andersan, als er es gewohnt war. Weich und trotzdem fest, fast samtig, ja beinahe lebendig.Die Vorstellung machte Coppelstone aus irgendeinem Grunde Angst, sodass er denGedanken hastig verscheuchte und sichwieder aufrichtete. Da seine Nase immer noch blutete, ging er wieder zuranderen Seite des Wagens zurück und suchte nach dem Taschentuch, das ervielleicht ein wenig vorschnell weggeworfen hatte. Er fand es nicht. Er hattedas Tuch einfach hinter sich geworfen, weshalb er nicht genau sagen konnte, woes liegen musste, aber auf dem schwarzen Teerband hätte es eigentlich sofortauffallen müssen. Doch obwohl er sehr aufmerksam danach suchte, blieb esverschwunden. Dafür gewahrte er eine andere Besonderheit, die ihm bisher nochgar nicht aufgefallen war: Die Straße, die sich in so sinnlosen Kehren undSchleifen durch das Gelände wand, befand sich in einem mehr als erbärmlichenZustand. Die Schlaglöcher waren teilweise so tief, dass man einenausgewachsenen Schäferhund darin hätte verstecken können, und einige der Risseund Spalten hatten vergleichbare Dimensionen. Auch die Straßenränder warenabgebröckelt und rissig - aber nirgends war auch nur ein einziger Grashalm zusehen. Kein Grün. Nicht ein einziger Pilz, nicht das winzigste Fleckchen Moos. Ein sehrsonderbares Gefühl begann von Coppelstone Besitz zu ergreifen. Wenn es etwasgab, wovon er etwas verstand, dann waren es Straßen. Er hatte oft genug gesehen,was die Natur einer von Menschenhand geschaffenen Straße anzutun vermochte, under wusste auch, dass sie manchmal in nur wenigen Jahren gewaltige Konstruktionenaus Beton und Stahl zu zerstören imstande war, von denen ihre Konstrukteurebehaupteten, sie wären für die Ewigkeit gemacht. Was ihn verblüffte, war somitkeineswegs das Ausmaß der Zerstörung, die er sah. Es war die vollkommene Abwesenheit der Kraft, die fürdiese Verheerung normalerweise verantwortlich war. Er hatte Straßen ausanderthalb Fuß dickem Teer gesehen, die von einem harmlosen Grashalm gesprengtworden waren, und winzige Pilze, die sich beharrlich durch anderthalb Meterdicken Boden gewühlt hatten. Hier war nicht die geringste Spur von Leben zu sehen.Mehr noch: Als er den Straßenrand genauer in Augenschein nahm, fiel ihm auf,dass es auch dort keinerlei Vegetation gab. Bäume und Unterholz wucherten bisauf eine Distanz von vielleicht einem Yard an das schwarze Teerband heran, dannjedoch waren nur noch einige kümmerliche Moose und Flechten zu sehen und einpaar vereinzelte Grashalme. Ein gut handbreiter Streifen Boden unmittelbarneben der Straße schließlich war vollkommen kahl. Coppelstones Launeverdüsterte sich noch mehr, als ihm schlagartig die Erklärung für diesesvermeintliche Rätsel einfiel. Als Kartograf und ausgebildeter Ingenieur fürStraßenbau wusste er natürlich, dass es in der Vergangenheit verschiedeneVersuche gegeben hatte, dem Straßenbelag gewisse Chemikalien beizumengen, dieeben jenen zerstörerischen Effekt verhindern sollten, indem sie alles Lebendigeabtöteten. Diese Experimente waren jedoch sehr rasch wieder eingestellt worden,als sich herausstellte, dass der Nutzen gleich null und die Nebenwirkungengeradezu katastrophal waren; von den Kosten ganz zu schweigen. Offensichtlich befander sich hier genau auf einem dieser fehlgeschlagenen Experimente.Seltsam war nur, dass er nichts davon wusste. Aber schließlich war diese ganzeStraße irgendwie seltsam. Coppelstone verscheuchte auch diesen Gedanken, richtetesich endgültig auf und machte sich auf den Weg zu Morrisons Farm.
© 2005 byVerlagsgruppe Droemer Knaur, München
Interview mitWolfgang Hohlbein
Wir haben Glück: Dumme Fragen zu beantworten gehört nachIhrer eigenen Aussage neben Motorradfahren zu Ihren Lieblingsbeschäftigungen...
... ja, ja, das habe ich zu einer Zeit gesagt, als ich mirnoch nicht darüber im Klaren war, dass ich mir genau überlegen muss, was ichsage. Das ist mir einfach mal so rausgerutscht.
1992haben Sie geschrieben, das Schreiben sei für Sie ein Abenteuer geblieben, Sieseien einfach davon besessen. Trifft das, was sie vor zwölf Jahren sagten, auch2004 und ein paar Dutzend Bücher später noch zu? Und wie siehtein normaler (Arbeits-)Tag für Sie aus?
Das stimmt auch heute noch. Schreiben ist tatsächlich immer noch meinHobby. Was meine Arbeitsweise betrifft, so gibt es einen ganz großenUnterschied zwischen Theorie und Praxis. In der Theorie würde es reichen, wennich regelmäßig jeden Tag vier bis fünf Stunden arbeitete. In der Praxis ist esaber so, dass ich entweder gar nichts tue oder wie ein Besessener arbeite. Esgibt immer verschiedene Phasen. Am Anfang "schleiche" ich oft einbisschen um die Geschichte herum, vor allem dann, wenn ich nicht gleich einenguten Einstieg finde. Es kann vorkommen, dass ich eine Woche lang an zweiSeiten sitze - die ich dann wegwerfe. Aber wenn dieser Punkt überschritten ist,wenn die Geschichte eigentlich anfängt, sich selbst zu erzählen, so dass ichsie im Grunde nur noch aufschreiben muss, dann geht es sehr schnell. Dannarbeite ich sehr viel und mache eigentlich nichts anderes. Ich bin einNachtarbeiter, ich arbeite oft in den späten Abendstunden und nachts. Wenn esgut läuft, schreibe ich sozusagen von morgens bis abends und werde manchmalrecht unausstehlich, wenn ich gestört werde.
Unter einemPseudonym schreibe ich eigentlich überhaupt nicht mehr. Das war nur ganz amAnfang so. Damals hatte ich angefangen, auch Spannungsromane zu schreiben,meine ersten Sachen waren ja auch Heftromane. Zu der Zeit glaubte man noch,dass der Autor einer Abenteuergeschichte einen knalligen englischen Namen habenmuss. Aus diesem Grund hat dann eigentlich jeder deutsche Autor ein englischesPseudonym verpasst bekommen. Mir hat mal ein Redakteur gesagt: "EineHorrorgeschichte von Wolfgang Hohlbein kauft doch kein Mensch!" Er wurdeeines Besseren belehrt. Das war in den ersten zwei, drei Jahren.
Meinungsverschiedenheitenzwischen meiner Frau und mir bezüglich der Bücher werden ausdiskutiert. EineAufgabenteilung gibt es natürlich auch. Das reine Schreiben, der physikalischeVorgang, die Tinte aufs Papier zu bringen, das mache ich alleine. Wir reden imVorfeld gar nicht so viel miteinander, sondern stecken die Eckpunkte derGeschichte ab und definieren einige wichtige Charaktere. Aber dann ist eseigentlich immer das Gleiche: Ich beginne mit dem Schreiben und zeige meinerFrau im Idealfall täglich, was ich geschrieben habe. Wir überlegen danngemeinsam, besprechen die Szenen und tauschen unsere Ideen aus. Manchmal wirdetwas geändert. Unsere Diskussionen reichen dabei nicht bis in dendramaturgischen Ablauf hinein, sondern es geht eher um die Strukturen, dieAtmosphäre oder die Personen.
Sieselbst wurden - so zumindest die Darstellung des ausschreibenden Verlages -1982 "entdeckt", und zwar als einer von tausend Bewerbern um einenLiteratur-Preis. Nun gibt es den Wolfgang-Hohlbein-Preis. Noch bis zum 30.September 2004 läuft die Bewerbungsfrist für den Wolfgang-Hohlbein-Preis 2005,der dann zum vierten Mal seit 1995 verliehen werden wird. Wie viele dereingesandten Manuskripte lesen Sie selbst zumindest in Auszügen?
Nur einenganz kleinen Teil. Eine realistische Schätzung ist, dass es zwischen 500 und1.000 Einsendungen gibt. Selbst wenn es nur 100 wären, wäre es für mich nichtmöglich, alle zu lesen. Es wird immer eine erste Vorauswahl getroffen. Etwa 10%der Manuskripte sind danach noch in der engeren Wahl. Auch dann ist die Anzahlnoch zu groß für mich. Deswegen gibt es anschließend eine zweite Vorauswahl. Inder nächsten "Runde" sind etwa noch 50 Manuskripte vertreten. Auchdie kann ich nicht alle komplett lesen, aber zumindest anlesen. Bei den letztenbeiden Preisvergaben habe ich zusammen mit den anderen Jurymitgliedern etwazehn Manuskripte komplett gelesen. Das ist für die anderen 490 Bewerbernatürlich bitter, aber es geht nicht anders.
Es ist dannmeist auch so - zumindest beim letzten Mal - dass die Entscheidung, welchesBuch den ersten Preis erhalten soll, unglaublich schwer ist, denn die erstenDrei waren eigentlich gleich gut. Es war dann eine mehr oder wenigerwillkürliche Entscheidung, wer den ersten Preis bekommt. Aber die beidenBücher, die den zweiten und dritten Preis erhielten, wurden ja auchveröffentlicht.
Siegelten als "Deutschlands erfolgreichster Autor fantastischerLiteratur". In welchem Umfang nehmen Sie wahr, was andere Autoren schreiben?Gibt es interessante neue Entwicklungen innerhalb der deutschsprachigenFantasy-Literatur?
Ich lese eigentlich alles, was von anderen deutschenAutoren publiziert wird. So viele sind es ja auch nicht. Monika Felten müssteman sicherlich nennen, die in letzter Zeit ein paar sehr gute Sachen gemachthat; Bernhard Hennen, von dem man sicherlich noch eine Menge hören wird. Esgibt immer wieder mal Autoren, die ein wirklich gutes Buch auf dem Gebietschreiben. Aber auf Anhieb fallen mir eigentlich nicht viele ein, die sich ganzauf Fantasy-Literatur spezialisiert hätten. Es gibt aber sicherlich vieleSchriftsteller, die auch mal eine fantastische Geschichte geschrieben haben,die Grenzen in diesem Genre sind ja fließend.
Was internationale Autoren angeht, so bin ich ein großerFan von Stephen King. Auch Dean Koontz schätze ich oder Dan Brown, dessenBücher mir ebenfalls sehr gefallen. Aber generell habe ich nicht unbedingteinzelne Autoren im Kopf, mich interessieren eher die Geschichten. Wenn ich mirein Buch kaufe, achte ich meist nicht darauf, wer es geschrieben hat.
DieFrage danach, was denn nun eigentlich "die Wirklichkeit" sei, ist fürIhre Arbeit ganz entscheidend. Sie sagten dazu einmal: "Ich glaube, dassjeder Mensch seine eigene Wirklichkeit hat." Wie sieht das für Sie aus,der über die Jahre in unendlich viele Charaktere geschlüpft ist, unendlichviele Perspektiven eingenommen hat. Kommen Sie noch mit einer Wirklichkeit ausoder leben Sie schon in mehreren?
So viele verschiedene Charaktere sind das gar nicht. Wennman genau hinschaut, dann hat jede Hauptfigur auch ein Stück von mir, anderskann man keine richtig gute Geschichte schreiben. Ansonsten fällt es mir zumeinem eigenen Erstaunen sehr leicht, aus den Personen auch wieder"herauszuschlüpfen". Wenn ich in der Geschichte drinstecke - das gehtmir übrigens auch so, wenn ich ein Buch lese, das mich richtig packt - dann binich die Person, dann erlebe ich auch, was sie erlebt. Wenn ich das Buch oderdas Manuskript wieder zuklappe, dann bin ich da auch sofort wieder zurück inder Wirklichkeit. Ich kann das sehr gut trennen. Zum Glück. Ich habe auch schonerlebt, dass Fans enttäuscht sind, wenn sie erfahren, dass ich eigentlich einrealistischer Mensch bin.
Soebenist der erste Band der neuen "Anders"-Reihe erschienen, noch 2004sollen die Bände 2 bis 4 folgen. Welche Idee liegt dieser Reihe zu Grunde undwie entstand sie?
Eigentlichist es keine Reihe. Aus drucktechnischen Gründen erscheint das Werk in mehrerenBänden. Es ist ein großer Unterschied, ob man eine Fortsetzungsreihe mit vier,sechs oder acht Bänden schreibt oder eine zusammenhängende Geschichte. Das Werkhat 1.800 Seiten und wäre in einem Band nicht mehr druckbar gewesen. Alle Teilesind also bereits geschrieben. Ohne zu viel verraten zu wollen - im Buch gehtes um ein sehr aktuelles Thema. Im Grunde ist es eine ganz wilde Mischung ausFantasy, Science Fiction und einer klassischen Abenteuergeschichte, die inunserer Welt spielt, oder zumindest hier anfängt. Es geht im weitesten Sinne umdas Thema Genforschung. Ich habe versucht, das Ganze in eine sehr spannende,abenteuerliche Geschichte zu verpacken und hoffe, das ist mir gelungen.
Imnächsten Jahr ist auch wieder Einiges von Ihnen zu erwarten, z.B. Band 6 derNemesis-Reihe. Was planen Sie - außer den literarischen Vorhaben - für dieZukunft?
Eigentlich gar nichts. Ich plane selten im Voraus. Ichweiß natürlich, was ich als nächstes mache, und auch so ungefähr, was ich alsübernächstes machen will. Aber was danach passiert, weiß ich nicht. Wenn ichjetzt schon wüsste, was ich im März 2007 machen werden, dann hätte ich auch inmeinem alten Beruf bleiben können. [Anm. d. Redaktion: Wolfgang Hohlbein istgelernter Industriekaufmann.]
Sieleben in Deutschland, das örtliche Finanzamt ist nach Ihren eigenen Worteneiner Ihrer größten Fans. Jeden Tag werden neue Aufschwungs- oderKrisenszenarien veröffentlicht. Wie empfinden Sie die Stimmung im Lande?
Eigentlich war das mit dem Finanzamt eher ein Scherz. Ichhabe das in einer Phase gesagt, in der ich als Freiberufler mit dem Finanzamtein bisschen im Clinch lag. Ich war in der Tat eine Zeit lang ernsthaftversucht, auszuwandern. Es gibt ja so schöne Länder wie Irland, wo Künstlerkeine Steuern zahlen müssen. Aber ich konnte mir am Ende doch nicht vorstellen,dort wirklich zu leben. Wahrscheinlich bin ich eben ein ganz spießiger Mensch.Es gibt auch keinen vernünftigen Grund, warum ich im Rheinland lebe. Ich könntein einer landschaftlich schöneren Gegend wohnen und dort genauso arbeiten. Aberich bin dort eben aufgewachsen und kenne jeden, habe dort meine Freunde, ja,und auch meine Feinde, die gehören ja auch dazu. Auch wenn das kitschig klingt- ich bin im Grunde heimatverbunden.
Es istschwierig, über die Stimmung in Deutschland zu sprechen. Ich finde es sehrschade, dass von der Presse immer alles so schlecht gemacht und schwarz gemaltwird. Die Medien hätten ja die Macht, für bessere Stimmung zu sorgen, aber dasGegenteil ist der Fall. Das finde ich sehr schade. Es gibt viele positiveBeispiele dafür, dass die Menschen in Deutschland immer wieder das Beste ausihrer Situation machen und trotz Hindernissen ihren Weg gehen. Es gibt aber aufder anderen Seite natürlich auch schlimme Schicksale. Die Zukunft ist sicherlichschwierig, und die goldenen Zeiten sind wahrscheinlich vorbei, aber es istnicht so, dass man deswegen den Kopf in den Sand stecken sollte. Manchmal mussman einfach den Sprung ins kalte Wasser wagen, und hoffen, dass man das Glückauf seiner Seite hat.
Die Fragen stellte Roland GroßeHoltforth, literaturtest.de.
- Autor: Wolfgang Hohlbein
- 2005, 272 Seiten, Maße: 12,2 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426618680
- ISBN-13: 9783426618684
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