Das kleine Buch von der Versöhnung / perfect days (PDF)

III. ÜBER DEN LEICHT-SINN DER VERSÖHNUNG ODER: WAS VERSÖHNUNG ERLEICHTERT (S. 55-57)

„Ich muss mir nicht alles von mir selbst gefallen lassen." Viktor E. Frankl* (1905–1997), Arzt und Philosoph

WAHLFREIHEIT

Wir haben gesehen, dass uns unsere biologischen Prägungen und psychischen Reaktionen Versöhnungen nicht gerade einfach machen. Deshalb möchte ich Ihnen diesen weisen Satz als Ansporn zu mehr Versöhnlichkeit anbieten: „Ich muss mir nicht alles von mir selbst gefallen lassen." Dahinter steckt der Gedanke, dass es jeden Menschen in seiner Freiheit kränken und seine Würde in Frage stellen muss, wenn er immer zu den gleichen, unerfreulichen Reaktionen verurteilt wird, die Gehirn und Psyche diktieren: Ein „Wutmännchen" zu sein, ein Rächer, ein ewiger Nörgler, weil es die Neuronen wollen und der menschliche Geist wie ein gehorsamer abgerichteter Hund darauf reagiert? Haben wir keine Wahl? „Auge um Auge, Zahn um Zahn", fordert das Alte Testament. „Wenn dich einer schlägt, halte ihm auch die andere Backe hin", hält das Neue Testament dagegen.

Rache oder Versöhnung?

„Ich kann mich so oder so verhalten", sagt der Psychiater und Neurologe Viktor E. Frankl* dazu. Ihre Wahl, sich so oder so zu verhalten, sich so oder so auf eine Herausforderung einzustellen, wird Ihr Lebensgefühl und Ihre Lebensqualität in entscheidender Weise beeinflussen. So oder so. Ist es Ihnen tatsächlich unmöglich, wenigstens einen einzigen versöhnlichen Satz zu denken, wenn Sie den festen Willen dazu haben? Ihr Gehirn in seiner Reaktionsweise hat keine Wahlmöglichkeit, aber Sie als Person haben sie mit Sicherheit. Wenn Sie die Wut mitreißt und Sie schon den Gedanken an Versöhnung als puren Unsinn empfinden, dann vergessen Sie diesen Sinnspruch nicht: „Ich muss mir nicht alles von mir gefallen lassen." Sagen Sie ihn laut wie ein Schimpfwort, flüstern Sie ihn nur vor Verlegenheit oder lassen Sie ihn in Ihrem Inneren als Stummfilm ablaufen. Er hat nichts