Den schnapp ich mir (ePub)
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Tessa Meadmore atmete tief die gesunde Luft der Cotswolds ein und raste weiter in ihrem korallenroten Audi A4 auf das Dorf Appleton zu. Die liebliche Landschaft flog nur so an ihr vorbei, und sie nahm die ordentlich umzäunten Felder, die von der späten Junisonne schon leicht gelblich waren, und die putzigen Cottages kaum wahr. Dann hielt sie mit quietschenden Reifen vor einem Pub an, über dessen Eingang duftende Blumenarrangements in Körben hingen. Sie warf einen Blick auf die Karte und suchte die Abzweigung zu ihrer Pension. Da winkte ihr ein attraktiver älterer Mann fröhlich mit einer Bloody Mary in der Hand zu. Er hatte angegraute goldblonde Haare, die mit der honigfarbenen Mauer hinter ihm kaum kontrastierten, und sexy, aber rotgeränderte Augen. Er unterhielt sich mit einer hübschen jungen Kellnerin, die ihm ärgerlich, aber nicht sehr überzeugend einen Klaps auf die Hand gab, mit der er ihr Hinterteil betastet hatte. Tessa winkte fröhlich zurück, ehe sie in der entgegengesetzten Richtung davonschoss. Gott, Adam würde es hier gefallen, dachte sie, doch dann rief sie sich zur Ordnung. Nachdem sie fast ein ganzes Jahr zusammen verbracht und sich gerade sehr schmerzlich getrennt hatten, spielte es keine Rolle mehr, was Adam gefiel. Ihre Beziehung war zu Ende, und sie ignorierte sein jämmerliches Flehen, sich doch wieder zu vertragen, mit so viel Würde, wie sie unter den Umständen gerade eben aufbringen konnte. Tessa wand sich bei der Erinnerung daran, wie sie seinen Betrug entdeckt hatte. »Hallöchen!«, hatte Adam gerufen, als er durch die Tür trat. Auf seinem Hemd prangten die Worte »Ich liebe dich« in knallrotem Lippenstift. Er hatte ein Tablett mit heißen gebutterten Muffins in der Hand, warf eine Flasche Laurent-Perrier und zwei ihrer besten Waterford-Champagnergläser von Marc Jacobs auf ihr Bett und wackelte aufreizend mit dem Hinterteil. Sie hatte gekichert, als er sich eine samtrote Rose zwischen die nackten Backen klemmte und ein paar übertriebene
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Tanzschrittchen machte. Ein einziger Blick auf Tessas sorgfältig gestylte Kastanienlocken und ihren nackten Busen, den sie mit Massageöl eingerieben hatte, genügte, dass er sofort einen beeindruckenden Ständer vorweisen konnte - wie ein Pferd, das vor dem Start des Grand National aufgeregt in der Box tänzelt. Adam wollte sich gerade zwischen ihre Schenkel drängen, als ein Handy zu piepsen begann. Tessa griff danach, weil es in ihrer Nähe lag. Es war einer jener Augenblicke, in denen die Annahme eines Anrufs den Unterschied zwischen seligem Nichtwissen und der schmerzhaften Wirklichkeit bedeutet. Es war nämlich nicht ihr Handy, und die SMS, die da auftauchte, fragte in scherzhaftem Ton, ob Adam »nach dreijähriger Zweisamkeit endlich eine ehrbare Frau aus ihr machen würde.« Dann war die Hölle ausgebrochen. Adam hatte verzweifelt alles abgestritten. Die rote Rose lag auf dem Boden, weil sein Schließmuskel wohl in Panik geraten war. Sein Ständer folgte unmittelbar darauf in derselben Richtung - er fiel schlapp in sich zusammen. Tessa wusste genau, wie man sich dabei fühlte. Sie hatte ihm alle Schimpfnamen der Welt an den Kopf geworfen und ihm eines ihrer kostbaren Champagnergläser entgegengeschleudert. Adam war wie wild zur Tür gestürzt, hatte wie ein Mädchen gekreischt und beide Hände über seine Genitalien gelegt. Nachdem sie ihn nackt und zitternd auf die Straße hinausbefördert hatte, hatte Tessa sich keineswegs erwachsen und tapfer benehmen wollen. Vielmehr war sie ihrem Instinkt gefolgt, hatte sich unter der Decke zusammengerollt und geheult wie ein Baby. Drei Wochen später hatte sie sich wieder gefasst. Jilly, ihre Chefin, hatte sie wegen einer Prominentenhochzeit in den Cotswolds angerufen, und Tessa hatte ohne zu zögern ihre gesamte Habe ins Auto gepackt und ihre Wohnung einer Freundin angeboten, die gerade eine schlimme Scheidung durchstand. Tessa schnitt ein Gesicht. Nicht einmal der Anblick der charmanten Antiquitätenläden und der altmodischen Teestuben in den hübschen Dörfchen vermochte ihr Gefühl von Demütigung zu vertreiben. Sie war blöd gewesen, aber sie hatte keinen Anlass gehabt, Adams Abwesenheit und seine angeblichen Verpflichtungen im Büro für einen schwer arbeitenden Anwalt nicht als völlig normal zu betrachten. Der verdammte Betrüger!, dachte Tessa, schoss auf den Parkplatz der Frühstückspension und erwischte dabei um ein Haar eine verhärmt aussehende rote Katze, die träge in die Nachmittagsonne blinzelte. Das B & B war klein, sah aber mit dem weißen Holzzaun und dem Strohdach gemütlich aus. Tessa stieg der aufreizende Duft von altmodischem Mittagessen in die Nase. Bald hatte sie einen Parkplatz gefunden. Betrachten wir es positiv, ermahnte sie sich streng. Klar, ihr Herz hatte einen Knacks abbekommen _ okay, einen ziemlichen Knacks. Und ihr Selbstbewusstsein war kaum noch wiederzuerkennen. Aber das hübsche Dörfchen Appleton war für sie nun das perfekte Versteck. Sie konnte hier ihre Wunden lecken, über Adam hinwegkommen und, was noch wichtiger war, gleichzeitig ihrer Karriere einen gesunden und nötigen Auftrieb geben. Sie parkte neben einem auffälligen schwarzen Porsche 911 in der Ecke und verzog angewidert die Nase. Der gehörte wohl dem Regisseur, von dem sie schon viel gehört hatte - Jean Baptiste. Jilly zufolge hatte er so ziemlich mit allen geschlafen, mit denen er gearbeitet hatte, und war ein wandelndes Gesundheitsrisiko. Mit geschürzten Lippen schwang Tessa den leicht angekratzten Vuitton-Koffer aus dem Wagen. Was sie betraf, gab es momentan keine Männer, daher hielt Jean Baptiste sich besser zurück. Sonst würden ihm seine Genitalien unverhofft um den Hals hängen. Sie richtete sich auf, ignorierte ihr wundes Herz und betrat grimmig entschlossen die kleine Frühstückspension. Nichts - und sicherlich kein Mann - würde sie davon abhalten, diese Reportage zu einem phänomenalen Erfolg zu machen. »Nochmal danke . ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass Sie das in dieser Rekordzeit geschafft haben.« Will Forbes-Henry schüttelte dem Bauleiter dankbar die Hand und winkte dem Trupp staubverkrusteter Handwerker zu, die ihre Lieferwagen bestiegen. Die Renovierung des Familiensitzes und die Verwandlung in ein schniekes Boutique-Hotel war keine Kleinigkeit gewesen. Und das ausgeklügelte Heizsystem, die Klempner- und jede Menge Verputzarbeiten waren nur der Anfang. Jeder Quadratzentimeter des Hauses würde von dem Top-Designer Gil Anderson überarbeitet werden. Will wusste, dass es ein Risiko war, den Trend auszunutzen, der die Cotswolds bei Promis wie Kate Winslett und Kate Moss in Mode gebracht hatte, insbesondere, da das spektakuläre Herrenhaus in Upper Slaughter nur ein paar Meilen weit entfernt lag. Aber als er sich umdrehte und sein Familienanwesen betrachtete, wusste er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Appleton Manor war ein großartiges, weitläufiges Gebäude aus dem traditionellen honigfarbenen Cotswold-Stein, umgeben von einer der beeindruckendsten Gartenlandschaften der Gegend. Das alte Schlösschen schrie geradezu danach, zu seiner vollen Schönheit renoviert und geschätzt zu werden, aber nicht jeder in seiner Familie teilte diese Meinung. Will schritt rasch ins Haus und griff dabei nach der Post, um sich in dem sonnigen Salon auf der anderen Hausseite niederzulassen. Dabei konnte er seine Eltern in fünfzig Metern Entfernung hören, die sich wie Kleinkinder zankten. »Findest du wirklich, dass diese Sache mit dem Hotel eine gute Idee ist?« Caro sah Jack entrüstet an und zog dann hektisch an ihrer Zigarette. »Bald werden jede Menge Proleten durch unser Haus laufen!« Sie war starr vor Wut. Ihr yogatrainierter Körper war ebenso steif wie der Korbstuhl, in dem sie saß. Jack war noch schwer angesäuselt von seinem Lunch im nahen Pub. Er zuckte bloß die Achseln und rührte zittrig mit einem ziemlich schlaffen Selleriestängel in seiner großen Bloody Mary. Genau wie er hatte dieser bessere Tage gesehen. »Das könnte doch Spaß machen«, bemerkte er nachsichtig. »Wir könnten so tun wie die beiden in der Fernsehserie Fawlty Towers.« Caro sah ihn beleidigt an. »Sprich bitte für dich. Ich könnte niemals so heruntergekommen aussehen, selbst wenn ich mir Mühe gäbe.« Darüber musste Jack herzlich lachen. Dann torkelte er auf der Suche nach Wodka zum Sideboard mit den Getränken. »Mutter, versuch doch bitte mal, nicht immer so versnobt zu reagieren«, meinte Will beim Eintreten seufzend. Er riss einen Briefumschlag auf. Trotz all ihrer Fehler betete Will seine Mutter an, doch manchmal konnte sie selbst einen Heiligen bis aufs Blut reizen. »Liebling, da bist du ja endlich!« Caro blickte ihren Ältesten liebevoll an und erhob sich aus ihrem Sessel. Will sah mit seiner gebräunten Haut und seinem kräftigen Körperbau aus wie ein Rugby-Profi, aber als er sie mit seinen dunkelblauen Augen streng ansah, wusste Caro, dass er ihren Unsinn nicht weiter dulden würde. Sie küsste ihn flüchtig auf die Wange, so dass ihn eine Wolke ihres exotischen Parfums umwehte. Als sie die tiefroten Haare zurückwarf, peitschte eine Strähne fast sein Auge. Dann zog sie ihn an sich und fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du Jack nichts von dem kleinen _ äh _ finanziellen Problemchen erzählt hast. Es war sehr klug von dir zu sagen, es hätte an der anderen Firma gelegen, die Bankrott machte, statt an meiner kleinen Dummheit.« Damit sah sie ihn mit ihren babyblauen Augen in einer Art an, die schon viele andere bezaubert hatte. »Wie peinlich _ und wie unglücklich.« Will zuckte bei ihren Worten zusammen und blickte auf die Rechnung, die er gerade aus dem Umschlag gezogen hatte. »Unglücklich?« Die Entscheidung seiner Mutter, das Familienguthaben in das wenig aussichtsreiche Geschäft eines ihrer jugendlichen Liebhaber zu investieren, war mehr als bloß unglücklich gewesen. Die Familie Forbes-Henry verfügte nun über keinerlei Barguthaben mehr, und mürrische Gerichtsvollzieher lauerten schon darauf, ihren Kuckuck auf die wertvollen Antiquitäten zu kleben. Ihnen war nichts geblieben als das prachtvolle Haus. Ein Haus, das so viel Öl und Strom wie ganz Russland verbrauchte. Mit diesem Gedanken stopfte er diese weitere letzte Mahnung in die Gesäßtasche seiner Jeans. »Es war wunderbar von dir, so rasch aus Frankreich zurückzukommen, um uns zu retten«, bemerkte Caro mit einer Großzügigkeit, die eher ihr selbst galt als Will. »Und deine schöne Verlobte hast du auch zurücklassen müssen. Wir sind dir unendlich dankbar, Liebling.« Will zog die Brauen hoch. Er war nicht sicher, ob seine Mutter es tatsächlich schätzte, wie er sich hier eingemischt hatte. Sie schien eigentlich keine Ahnung zu haben, wie ernst die Lage wirklich war. »Gut, dass du so reich bist, Schatz«, fuhr Caro erfreut fort. »Deiner Immobilienfirma geht es ja wirklich gut. Vermutlich könntest du Appleton Manor zehnmal kaufen.« Will blieb die Entgegnung erspart, dass er gerade den größten Teil seines Kapitals dafür ausgegeben hatte, um die Rohrleitungen und das Heizsystem des Schlösschens dem zwanzigsten Jahrhundert anzupassen, denn in dem Moment stürzte Tristan ins Zimmer. »Sieht das Haus nicht fantastisch aus?« Tristan schlug Will kräftig auf die Schulter. »Großartig, Bruderherz!« Sein T-Shirt wie seine Hände waren wie gewöhnlich von alizarinroter Farbe verkleckst. »Schatz, wenn du doch nur nicht immer diese entsetzliche Farbe benutzen würdest«, schmollte Caro und schob sich an den beiden vorbei. »Es sieht aus, als wärest du blutüberströmt.« Tristan fuhr sich unwillkürlich mit der farbverschmier- ten Hand durch seinen dichten blonden Schopf. Es war keineswegs eine entsetzliche Farbe, sondern sein Lieblingsblaurot, das auf der Leinwand wie auf der Haut einen sehr intensiven satten Ton erzielte. Er benutzte das leuchtende Rubinrot so gerne, weil es für Energie stand, für Leidenschaft und Liebe, aber was wussten seine Eltern schon davon? Er sah ihnen zu, wie sie einander missmutig wie Teenager igorierten. Der arme Will, dachte er und warf einen mitfühlenden Blick auf den Bruder. Der stand wie immer mitten in der Schusslinie. »Du hast wohl nicht vor, in das Hotel zu investieren, Tris?«, nölte Jack und sah seinen Jüngsten recht streng an, ehe er einen weiteren Schluck von seiner Bloody Mary trank. »Vermutlich bekommst du keine Bohne für deine kleinen Bildchen.« Tristan sprang von seinem Sessel hoch und goss den Rest aus einer Whiskyflasche in ein Glas, um seine Nerven zu stärken. Er war dreißig Jahre alt, verdammt nochmal, viel zu alt, um sich gegen diesen Tyrannen von Vater verteidigen zu müssen. Was war überhaupt das Problem? Gott sei Dank war Will jetzt wieder da, um die Familie zur Vernunft zu bringen. »Tristan investiert sehr wohl«, bemerkte Will stirnrunzelnd. »Er ist viel zu bescheiden, um es zuzugeben, aber seine kleinen Bildchen erzielen tatsächlich sechsstellige Zahlen. Ihr hättet nicht mal ein Dach über dem Kopf, wenn er in den letzten Jahren nicht ein paar davon verkauft hätte.« Jack grunzte nur. »Wie schön, Tris«, bemerkte Caro wie nebenbei. »Wenn sie solche Nachrichten doch bloß im Tatler veröffentlichen würden, dann wüssten auch wir darüber Bescheid.« Tristan und Will brachen in lautes Gelächter aus. Caro starrte sie verdutzt an. »Ich kann es kaum glauben, dass Rufus seine Hochzeit hier feiern will«, gab Jack unvermittelt von sich. »Er ist eigentlich nicht der Typ, der gleich heiratet, würde ich meinen.« Caro wurde daraufhin wieder munter. Rufus Pemberton war ein alter Rugby-Kamerad von Will, ein hübscher Junge mit einem Anflug von Größenwahn, der vor ein paar Jahren nach Hollywood aufgebrochen war. Schauspielerisches Talent hatte er kaum, aber ziemlich viel Ehrgeiz, und die kürzlich erfolgte Verlobung mit Hollywood-Star und Oscar-Preisträgerin Clemmie Winters hatte ihn an die Spitze aller Einladungslisten katapultiert. Caro war sehr aufgeregt, dass in ihrem eigenen Garten eine Prominentenhochzeit stattfinden würde. Außerdem würde sie selbst in einer Fernsehreportage darüber auftreten! »Jetzt bist du plötzlich gar nicht mehr so dagegen, dass Appleton Manor zu einem Hotel umfunktioniert wird, eh?«, meinte Jack listig. Caro warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Will und Tristan betrachteten die Eltern in einer Mischung aus Frustration und Zuneigung. Jack und Caro Forbes-Henry - die »Elizabeth Taylor and Richard Burton«-Beziehung dieser Tage. Jack hatte früher außergewöhnlich gut ausgesehen. Er hatte funkelnde grüne Augen und goldblonde Haare gehabt, doch zu viel Alkohol und Sex hatten ihm zugesetzt. Seine Augen waren nun trübe und von roten Äderchen durchzogen, sein Haar wirkte stumpf wie ausgebleichtes Stroh. Caro war drahtig und dürr und hatte eine helle, sommersprossige Haut wie ein Rehkitz. Mit ihren flirtenden Bewegungen und dem leuchtend roten Haar war sie das perfekte, glamouröse Gegenstück zu Jacks verblichenem Charme. Mit süßlicher Stimme wandte sie sich nun an Jack. »Du könntest doch den Pagen mimen, wenn wir das Hotel eröffnen«, zog sie ihn auf. »Ich sehe dich schon vor mir mit einer kleinen Kappe und einem Gummiband unter dem Kinn.« Jack starrte sie wütend an. »Und welche Rolle übernimmst du, mein Schatz? Wirst du vielleicht Zimmermädchen? Dann wären all die Jahre, die du auf den Knien verbracht hast, wenigstens nicht verschwendet.« »Du hast gut reden! Bist ja selbst kaum ein Vorbild für Tugendhaftigkeit, wo du keine zwei Sekunden deine Hände bei dir behalten kannst.« »Immer noch besser als ständig die Höschen zu verlieren. Du verlierst deine Unterwäsche so oft, dass du eine ganze Lingerie-Kette damit unterhalten könntest.« »Hört auf!«, brüllte Tristan und schob sich zwischen die beiden. »Wir sind eure Streitereien alle restlos leid!« Jack und Caro verstummten und beschränkten sich auf stumme, wütende Blicke, die sich aber rasch veränderten. Wenige Sekunden später sprangen beide aus ihren Sesseln hoch und rannten gemeinsam die Treppe hinauf. Kurz darauf konnte man unten hören, wie sie einander geräuschvoll und leidenschaftlich liebten. Gott, was für fürchterliche Eltern sie hatten, dachte Will. Wenn sie beide nicht so liebenswert verrückt wären, würde er sie tatsächlich unmöglich finden. Doch er empfand tiefe Loyalität ihnen gegenüber und war entschlossen, sich auch im Alter um sie zu kümmern. »Sind die beiden nicht schauderhaft?«, fragte Tristan, der nun mit dem Whiskyglas in der Hand in den Garten trat. »Das nennt man nun würdiges Alter. Vermutlich gibt es keine Kellnerin oder Gärtner im ganzen Dorf, mit denen sie es nicht irgendwann getrieben haben. Gott allein kennt die Bilanz zwischen ihnen. Ich habe aufgehört zu zählen.« Will rieb sich nachdenklich das Kinn, doch dann zuckte er zusammen, als er seine sechzehnjährige Kusine Milly mit einem anderen Mädchen weiter unten im Garten erblickte. »Verdammt! Das Mädchen bei Milly - heißt sie nicht India? Man kann unter dem dünnen Rock . Gürtel . egal was . praktisch ihren Hintern sehen. Sollten die beiden nicht für die Prüfung büffeln?« Tristan sah zu den beiden Mädchen in einiger Entfernung hinüber. »Sie haben beide diesen Monat Prüfung. Ja, India ist Millys neue beste Freundin. Sie ist absolut furchterregend. Die arme Tante Henny ist ständig außer sich vor Angst, dass Milly entweder schwanger wird oder mit einem Motorradfahrer durchbrennt. Du solltest David mal sehen. Der ist dieser Tage ein schlaksiger Macho-Held.« »Hängt er immer noch mit diesem Freddie Penry-Jones herum?« »Leider ja. Der dealt das beste Dope in der Gegend, wenn man den Gerüchten glauben kann.« Tristan grinste. »Das wird ein interessanter Sommer, Will. Wir brauchen bloß die Teenager-Schwangerschaften und die Drogen unter Kontrolle zu halten, dann können wir diesen Kasten bis zur Hochzeit in ein fabelhaftes Hotel umwandeln. O ja, vielleicht ist es angeraten, als Personal nur die aller- hässlichsten Leute einzustellen, damit unsere Eltern sie nicht verführen.« Damit legte er einen Arm um Wills breite Schultern. »Willkommen zurück im Irrenhaus, Bruder. Solchen Spaß hättest du in Frankreich nie haben können, auch nicht mit deiner süssen Claudette.« Will schnitt ein Gesicht. »Ich habe genug am Hals, weil jetzt jeden Moment das Aufnahmeteam vom Fernsehen aufkreuzen kann. Eine von diesen Promi-Reporterinnen, Tessa Meadmore, wird auch überall herumschnüffeln.« Tristan sah ihn begeistert an. »Tessa Meadmore? Wow, die versüßt mir jeden Morgen im Fernsehen meinen Tag. Sie ist eine absolute Granate!« Will sah ihn zweifelnd an. Er war bei der Werbung für seine Immobilienfirma zahlreichen Journalisten begegnet und hatte auch erlebt, wie Rufus seit Beginn seiner Karriere von einigen aus der Branche in Fetzen gerissen worden war. Seiner Erfahrung nach waren Journalisten alle gnadenlos und oberflächlich und nur auf die schmutzigsten Neuigkeiten aus. Warum sollte diese Tessa Meadmore anders sein? Tristan stieß ihn spielerisch. »Komm schon, Will, tu nicht immer so erwachsen! Das wird alles sehr lustig!« Will lächelte schwach. Er wusste, dass er in seiner Familie als viel zu ernst galt, aber diese Fernsehreportage würde mit Sicherheit eine Katastrophe. Will war nicht sicher, ob es ein Fehler war, dass er sich dazu hatte überreden lassen. Aber Rufus war ein alter Freund, und so, wie die Dinge standen, war jeder Pfennig wichtig. Rufus und Clemmie würden vermutlich schärfstens unter die Lupe genommen, damit auch noch die intimsten Details verbreitet werden konnten. Und Appleton Manor? Eine Filmcrew, die überall herumtrampelte, wo der teure Designer jeden Moment auftauchen konnte? Der Zeitpunkt konnte kaum schlechter gewählt sein. Noch schlimmer war, dass sämtliche Makel der Forbes-Henrys vermutlich in allen Einzelheiten quasi den Hintergrund abgäben. In einem Programm zur Hauptsendezeit! Was diese Tessa Meadmore betraf - Will schnappte sich Tristans Whiskyglas. Wenn die nun herausfand, dass die Familie kurz vor der Pleite stand? Das würde das Ende aller Hotelpläne bedeuten. Will ignorierte Tristans Protestschreie, leerte das Glas und hoffte inständig, dass er nicht alles noch schlimmer gemacht hatte. Milly nahm India den Joint aus den Fingern und sog daran. Sie saßen in der Sonne auf einer Mauer. Um ihre nackten Füße herum lagen die Notizen, die sie für die anstehende Mittlere-Reife-Prüfung noch einmal durchgehen wollten, aber sie schenkten dem Kommen und Gehen vor dem beeindruckenden Haus auf dem Hügel mehr Aufmerksamkeit. »Wenn ich doch bloß wüsste, was ich mit meinem Leben anfangen soll«, murmelte Milly und nahm nachdenklich einen weiteren Zug von dem Joint. »Ich kann mich nicht einmal entscheiden, welche Kurse ich im nächsten Schuljahr belegen soll, ganz zu schweigen davon, was ich auf der Uni soll. David wird in Bristol Französisch und Jura studieren - falls seine Noten ausreichen, was natürlich der Fall sein wird. Aber ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich bin ein hoffnungsloser Fall, India.« India zuckte lakonisch die Achseln. Sie war nicht besonders intellektuell veranlagt und wusste, wie durchschnittlich ihre Noten sein würden. Außerdem hatte sie immer schon befunden, dass genug Leute ausreichend Geld verdienten. Der Nachmittag wich langsam dem Abend, die rotgoldene Sonne leuchtete wie ein großer Feuerball. Milly und India sahen mehrere Möbelwagen vor dem Haus auf dem Hügel vorfahren. Ihr Inhalt wurde rasch entladen und hineingetragen. Jede Menge Kartons, aus denen Zierrat herausragte, stilvolle in Plastik verpackte Möbel und eine Unzahl von teuer aussehenden Koffern glitten an ihnen vorbei und reizten ihr Interesse. Milly spürte widerwillig einen Funken Vorfreude. »Wie aufregend, dass Rufus Pemberton nach all den Jahren hierher zurückkommt.« »Ich weiß. Er ist ein fürchterlicher Frauenheld.« India lehnte sich lässig so weit zurück, das man fast ihren Slip sehen konnte. »Er ist jetzt echt berühmt. Ich habe in Hallo über ihn etwas gelesen. Er heiratet Clemmie Winters, aber die ist ja alt genug, um meine Mutter zu sein.« Milly verdrehte die Augen. »Die wäre mir aber lieber als meine eigene.« India zuckte wieder die Achseln. Sie begriff nicht ganz, warum Milly ihre Mutter so ablehnte. Henny wirkte auf sie immer freundlich und mütterlich. Und es war kaum ihre Schuld, dass Millys Vater gestorben war und sie praktisch heimatlos gemacht hatte. Da tauchte David, Millys Bruder, in der Ferne auf, legte beide Hände um den Mund und rief: »Ich kann fast erkennen, was du zum Mittagessen hattest, India. Bedeck dich bitte.« David war achtzehn, schlaksig und in gewisser Hinsicht sexbesessen. Jetzt kam er mit Freddie Penry-Jones im Schlepptau auf sie zu. Er kaute an einem riesigen Sandwich mit Hühnchen und Mayonnaise. Unter den einen Arm hatte er sein Französischbuch geklemmt. Freddie wirkte trotz des warmen Wetters in seinem langen leichten Mantel über den Jeans und Stiefeln lässig und elegant. Rasch fuhr Milly sich mit den Fingern durch das blonde Haar und dachte, wenn sie doch bloß mehr Lipgloss benutzt hätte. India blieb genauso liegen, weil sie wusste, dass der verlockende Anblick ihres strahlend weißen Tangahöschens David vermutlich völlig verrückt machte. David setzte sich betont lässig auf die andere Mauerseite und legte sein Französischbuch auf den Rasen. Er hatte India immer ziemlich einschüchternd empfunden, aber zum Teil vermutlich nur, weil sie India hieß und nicht Jean. Sie war sehr hübsch, das konnte man nicht abstreiten, und er hasste sich selbst, weil er einen ziemlich lüsternen Blick auf ihre goldbraunen Schenkel und die knappe Unterwäsche geworfen hatte. »Mal beißen?« Er hielt Milly das Sandwich hin. »Nein, danke«, erwiderte sie ablehnend. »Das hat vermutlich mehr als tausend Kalorien.« »Lasst mich wissen, wenn ihr mehr Dope braucht«, warf Freddie mit seinem fürchterlichen Oberklassenakzent ein. »Ich habe eine ausgezeichnete Quelle.« Damit schüttelte er seine fast schwarzen Haare aus den Augen und begann geschickt, einen neuen Joint zu drehen. Milly blickte ihn verstohlen an. Freddie war der Sohn eines der reichsten Männer in England. Er war attraktiv und unerreichbar und Objekt vieler ihrer heimlichen und ziemlich erotischen Träume. Sie spürte, wie eine heiße Welle sehr angenehmer Scham sie durchflutete, als sie an die unaussprechlichen Dinge dachte, die sie sich letzte Nacht von ihm erträumt hatte. In seiner Gegenwart aber fühlte sie sich immer ziemlich verlegen und brachte kein Wort heraus. Freddie war groß, hatte blaubeerfarbene Augen und lange Finger, die aussahen, als könne er damit wunderbar Mädchen bedienen _ Doch ärgerlicherweise behandelte er sie wie eine kleine Schwester. Wie um diesen Gedanken zu bestätigen, tat er jetzt so, als würde er ihr einen Kinnhaken versetzen. »Na, wie geht's, Miss Milly-Vanilli?« So, wie er ihren Kosenamen aussprach, wackelten Milly die Knie, doch tief drinnen wusste sie genau, dass er damit eher Zuneigung ausdrücken wollte statt sexuelle Anziehung. »Nicht schlecht. Wir sehen Rufus und Clemmie beim Einzug zu.« »Ich kann es kaum glauben, dass Tessa Meadmore die Reportage machen wird.« Freddies Augen wurden vor Begierde ganz dunkel. »Die ist ja dermaßen fit!« David löste seinen Blick von India. »Ist das die Maus vom Frühstücksfernsehen? Breiter Mund, längliche Nase?« »Ein Gesicht wie ein Engel, ein Köper wie für die Sünde geschaffen«, bestätigte Freddie. »Ihre Beine reichen ihr bis zu den Achselhöhlen, und in die moosgrünen Augen könntest du dich glatt hineinstürzen.« Milly sank das Herz. Das fehlte ihr gerade noch, dass Freddie diese Fernsehdiva toll fand. Sie ließ ihre blonden Haarsträhnen nach vorn vor das Gesicht fallen, damit niemand sah, wie unglücklich sie war. Vermutlich war er genau wie sein Vater. Hugo Penry-Jones war bereits zum dritten Mal verheiratet, und jedes Mal waren die Frauen jünger geworden. Freddie dachte vermutlich, dass ein so großer Altersunterschied total heiß war. »Wenn ich lesbisch wäre«, nölte India mit ihrer rauen Stimme und hob dabei leicht den Kopf, »dann würde ich mich auf Tessa Meadmore geradezu stürzen.« »Na, das ist wirklich eine tolle Vorstellung.« Freddie pfiff durch die Zähne. David explodierte fast. Gott, das Mädchen war provokant. Wenn er doch bloß von sich sagen könnte, dass India ihn völlig kaltließ, aber das wäre eine glatte Lüge. Er hatte eine Schwäche für blasse Rothaarige, und India, mit ihrem fast gelblichen Teint von einem Selbstbräunungsmittel und den eher orangefarbenen als tizianroten Locken entsprach nicht gerade seiner Vorstellung von Perfektion - doch sie war weiblichen Geschlechts, und sie war zu haben. Für seine Fantasien reichte das für den Augenblick. »Ich frage mich, ob du Tessa anmachen kannst.« Freddie kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und sah dem Rauch nach, der sich von seinem Joint in die Luft kräuselte. India schüttelte sich das rotblonde Haar aus dem Gesicht. »Solltet ihr beiden euch nicht auf eure Prüfungen konzentrieren?« Freddie sah sie ungerührt an. Er war ebenso wenig akademisch veranlagt wie India, aber sein Vater hatte gute Verbindungen, daher ließen ihn die verschiedenen Schulexamen völlig kalt. Bisher hatte er keine Minute mit Büffeln zugebracht. »Wichtiger ist, dass Tessa doppelt so alt ist wie ihr«, schnaubte Milly. »Ja, aber ich sehe sehr gut aus«, gab Freddie knallhart zurück. »Und sie ist auch nur ein Mensch.« Dann schüttelten er und David sich vor Lachen. Milly wurde übel. Traf es denn nicht zu, dass Frauen in den Dreißigern attraktive Jungen wie David anziehend fanden? Er wirkte älter als seine achtzehn Jahre und dachte an nichts anderes als an Sex. Milly ließ die nackten Füße gegen die Mauer baumeln und entwickelte einen Plan. Sie konnte Tessa mit jemandem verkuppeln - das würde schon reichen. Da war doch Will, der unglaublich gut und sehr männlich aussah _ o nein, das ging nicht, denn er war ja völlig von seiner Verlobten Claudette hingerissen. Dann eben Tristan. Milly lächelte. Das war perfekt. Tristan hatte momentan keine Freundin und verliebte sich in jedes hübsche Gesicht, das ihm begegnete. Na ja, er hatte in puncto Frauen nicht den allerbesten Geschmack, wo die eine sich in Luft aufgelöst und eine andere gedroht hatte, aus seinem treuen Labrador Austin Gulasch zu machen, als Tristan sich von ihr trennte. Aber sicher schaffte selbst er es nicht, eine Beziehung mit der überaus attraktiven Fernsehpersönlichkeit zu verderben? Bei dem Gedanken ging es Milly gleich besser. Sie zog den Joint aus Freddies langen Fingern und saugte an dem Ende, das seine Lippen gerade eben noch im Mund gehalten hatten. Dann seufzte sie glücklich. Das war immerhin besser als nichts. Derweil wurde Tessa in ihrer Frühstückspension gerade herzlich von Joe, dem Kameramann, und Susie, der Maskenbildnerin, begrüßt, mit denen sie schon früher zusammengearbeitet hatte.
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Autoren-Porträt von Sasha Wagstaff
Sasha Wagstaff stammt aus Essex. Nach Jahren in London, wo sie die Karriereleiter einer großen Bank hinaufkletterte, überredete sie ihr Mann, ihren Traum wahr werden zu lassen. Das Paar zog zurück nach Essex, und Sasha widmete sich ganz dem Schreiben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sasha Wagstaff
- 2010, 592 Seiten, Deutsch
- Verlag: Random House ebook
- ISBN-10: 364104085X
- ISBN-13: 9783641040857
- Erscheinungsdatum: 29.11.2010
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