Schwarz / Der Dunkle Turm Bd.1 (ePub)
Roman
Auf der Suche nach dem mysteriösen "Dunklen Turm" durchstreift Roland, der letzte Revolvermann, eine sterbende Welt, wo in endlosen Wüsten und Ruinenstätten Dämonen, Sukkubi, Vampire und Geistermutanten hausen. Unbeirrt folgt er den Spuren des Mannes in...
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Produktinformationen zu „Schwarz / Der Dunkle Turm Bd.1 (ePub)“
Auf der Suche nach dem mysteriösen "Dunklen Turm" durchstreift Roland, der letzte Revolvermann, eine sterbende Welt, wo in endlosen Wüsten und Ruinenstätten Dämonen, Sukkubi, Vampire und Geistermutanten hausen. Unbeirrt folgt er den Spuren des Mannes in Schwarz - er ist der Schlüssel zu den Mysterien des "Dunklen Turms", der am Anfang der Zeit steht.
"Geheimnisvoll und alles versprechend - Stephen Kings Hauptwerk ist vollendet." -- Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Dieser Zyklus wird den Herrn der Ringe noch übertreffen." -- Kirkus Reviews
"Der Dunkle Turm ist das wichtigste Werk meines Lebens." -- Stephen King
"Dieser Zyklus wird den Herrn der Ringe noch übertreffen." -- Kirkus Reviews
"Der Dunkle Turm ist das wichtigste Werk meines Lebens." -- Stephen King
Lese-Probe zu „Schwarz / Der Dunkle Turm Bd.1 (ePub)“
Schwarz von Stephen King Einleitung
Über Dinge, die neunzehn sind (und anderes)
I
Als ich neunzehn war (eine Zahl, die in den Geschichten,
die Sie zu lesen im Begriff sind, von einiger Bedeutung
ist), waren Hobbits schwer angesagt.
Während des großen Woodstock-Musikfestivals gab es
wahrscheinlich ein halbes Dutzend Merrys und Pippins,
die sich dort über Max Yasugars matschiges Farmgelände
schleppten, doppelt so viele Frodos und zahllose Hippie-
Gandalfs. J. R. R. Tolkiens Herr der Ringe war in jenen
Tagen wahnsinnig beliebt, und wenn ich es auch
nicht nach Woodstock schaffte (leider, leider), war ich
vermutlich wenigstens ein Hippie-Halbling. Auf jeden
Fall Hippie genug, um nach der Lektüre richtig in die
Bücher vernarrt gewesen zu sein. Die Bücher um den
Dunklen Turm - wie überhaupt die meisten längeren
Fantasy-Geschichten von Männern und Frauen meiner
Generation (als zwei Beispiele für viele seien hier Die
Chroniken von Thomas Covenant von Stephen Donaldson
und Das Schwert von Shannara von Terry Brooks
genannt) - verdanken ihre Herkunft diesen Büchern Tolkiens.
Obwohl ich die Bücher bereits in den Jahren 1966 und
1967 las, hielt ich mich mit dem Schreiben zurück. Ich
war für Tolkiens mitreißenden Einfallsreichtum - die
Zielsetzung seiner Geschichte - sehr empfänglich (und
zwar mit ergreifender rückhaltloser Hingabe), aber ich
wollte meine eigene Geschichte schreiben, und hätte ich
damals angefangen, wäre nur wieder seine Geschichte
dabei herausgekommen. Und das, wie der inzwischen
verstorbene Tricky Dick Nixon so gern sagte, wäre falsch
gewesen. Dank Mr. Tolkien hatte das 20. Jahrhundert bereits
alle Elfen und Zauberer, die es brauchte.
... mehr
1967 hatte ich nicht die leiseste Vorstellung, wie meine
Geschichte aussehen würde, aber das machte mir nichts
aus: Ich war zuversichtlich, dass ich sie schon erkennen
würde, wenn sie mir über den Weg lief. Ich war neunzehn
und überheblich. Zweifellos überheblich genug, um
das Gefühl zu haben, noch ein Weilchen auf meine Muse
und mein Meisterwerk (das es mit Sicherheit werden
würde) warten zu können. Mit neunzehn, finde ich, hat
man alles Recht, überheblich zu sein; die Zeit hat gewöhnlich
noch nicht mit ihrer verstohlenen und niederträchtigen
Subtraktion begonnen. Sie nimmt einem das
Haar und die Sprungkraft, wie es in einem beliebten
Countrysong heißt, aber in Wahrheit nimmt sie einem
eine ganze Menge mehr als das. 1966/67 habe ich das
noch nicht gewusst, und wenn, dann wär's mir egal gewesen.
Ich konnte mir gerade noch vorstellen, vierzig zu
sein, aber fünfzig? Nein. Sechzig? Nie! Sechzig war völlig
ausgeschlossen. Mit neunzehn ist das eben so. Neunzehn
ist das Alter, in dem man sagt: Pass auf, Welt, ich rauche
TNT und trinke Dynamit, und wenn dir dein Leben lieb
ist, geh mir aus dem Weg - hier kommt Stevie.
Neunzehn ist ein selbstsüchtiges Alter, in dem man seine
Interessen fest umrissen sieht. Ich wollte hoch hinaus,
das war mir wichtig. Ich hatte jede Menge Ehrgeiz, das
war mir wichtig. Ich besaß eine Schreibmaschine, die ich
von einem Rattenloch zum nächsten schleppte, immer ein
Briefchen Dope in der Tasche und ein Lächeln im Gesicht.
Die Kompromisse des mittleren Alters waren in weiter
Ferne, die Würdelosigkeit des Greisenalters jenseits
des Horizonts. Wie der Protagonist in jenem Bob-Seger-
Song, der inzwischen in der Werbung für Trucks verwendet
wird, fühlte ich mich unendlich stark und unendlich
optimistisch; meine Taschen waren leer, aber ich hatte
den Kopf voller Dinge, die ich mitteilen wollte, und das
Herz voller Geschichten, die ich erzählen wollte. Klingt
heute abgedroschen, fühlte sich damals aber wunderbar
an. Richtig cool. Mehr als alles wollte ich hinter die Abwehr
der Leser gelangen, wollte sie aufmischen und einsacken,
um sie mit nichts als einer Geschichte für immer
zu verändern. Und ich spürte, dass ich dazu in der Lage
war. Ich spürte, dass ich dafür geradezu geschaffen war.
Wie eingebildet klingt das? Ganz schön oder nur ein
bisschen? So oder so, ich entschuldige mich für nichts.
Ich war neunzehn. Mein Bart wies nicht eine einzige
graue Strähne auf. Ich besaß drei Paar Jeans, ein Paar
Schuhe, die Vorstellung, dass mir die Welt zu Füßen lag;
und nichts, was die nächsten zwanzig Jahre passieren sollte,
konnte mich widerlegen. Schließlich, so um die neun-
unddreißig, fingen meine Sorgen an: Alkohol, Drogen,
ein Straßenunfall, der meine Gangart (unter anderem)
verändern sollte. Ich habe über diese Dinge bereits ausführlich
geschrieben und brauche mich hier nicht zu wiederholen.
Außerdem geht es Ihnen doch auch nicht anders,
oder? Irgendwann schickt einem die Welt einen
fiesen Verkehrspolizisten, der einen runterbremst, um einem
zu zeigen, wer das Sagen hat. Wer das hier liest, ist
seinem bestimmt schon begegnet (oder wird das tun);
mir ist das jedenfalls so gegangen, und dass es sich wiederholen
wird, ist so sicher wie nur was. Meine Adresse
hat er ja jetzt. Er ist ein übler Bursche, dieser »Bad Lieutenant
«, ein eingeschworener Gegner von Verfehlungen,
Patzern, Hochmut, Ambition, lauter Musik und aller
Dinge, die neunzehn sind.
Trotzdem halte ich es für ein tolles Alter. Vielleicht sogar
für das beste von allen. Rock and Roll die ganze
Nacht, und wenn die Musik verebbt und das Bier zur
Neige geht, kommen die Gedanken. Träumt man seine
großen Träume. Irgendwann kommt dann dieser fiese
Verkehrspolizist und stutzt einen zusammen, und wenn
man eh schon klein anfängt, na ja, dann stehen die Hosenbeine
sozusagen von allein da, sobald er mit einem
fertig ist. »Und jetzt zum nächsten Übeltäter!«, ruft er,
guckt in sein Vorladungsbüchlein und macht sich auf den
Weg. Ein bisschen Überheblichkeit (oder sogar große) ist
also gar nicht so schlecht, obwohl einem Muttern höchstwahrscheinlich
etwas anderes erzählt hat. Meine hat das.
Hochmut kommt vor dem Fall, Stephen, hat sie gesagt ...
und schließlich hat sich irgendwie herausgestellt - genau
in dem Alter, das 19 × 2 entspricht -, dass man zu guter
Letzt tatsächlich fällt. Oder in den Graben geschubst
wird. Wenn man neunzehn ist, können sie in den Bars
von einem einen Ausweis verlangen, um einem dann zu
bescheiden, man solle sich verpissen und seine erbärmliche
Erscheinung (und seinen noch erbärmlicheren
Arsch) wieder auf die Straße verpflanzen, aber keiner
kann einen Ausweis verlangen, wenn man sich hinsetzt,
um ein Bild zu malen, ein Gedicht zu schreiben oder eine
Geschichte zu erzählen, wirklich nicht; und solltet ihr Leser
noch sehr jung sein, dann lasst euch von Älteren mit
vermeintlich mehr Lebenserfahrung bloß nichts anderes
erzählen. Klar, ihr wart noch nicht in Paris. Auch seid ihr
noch nicht mit den Stieren durch Pamplona gerannt. Natürlich
seid ihr Nobodys, die vor drei Jahren noch nicht
einmal Achselhaare hatten - na und? Wenn man nicht
großspurig anfängt, wie will man es dann als Erwachsener
je schaffen, auf der Bahn zu bleiben? Gebt Gas, egal, wer
immer auch anderes erzählt, sage ich da nur. Setzt euch
hin und lasst es krachen.
2
Meiner Meinung nach gibt es zwei Typen von Romanautoren,
und das schließt die Art von Jungautor ein, die ich
1970 inzwischen selbst darstellte. Jene, die auf dem Weg
sind, sich der mehr literarischen beziehungsweise »erns-
teren« Seite dieser Sache zu widmen, prüfen jedwedes
Thema vor dem Hintergrund folgender Frage: Was könnte
das Schreiben einer solchen Geschichte für mich bedeuten?
Jene aber, deren Schicksal es ist (oder Ka,
wenn's beliebt), das Schreiben von Unterhaltungsromanen
nicht außer Acht zu lassen, neigen dazu, eine ganz
andere Frage zu stellen: Was könnte das Schreiben einer
solchen Geschichte für andere bedeuten? Der »ernste Romanautor
« sucht Antworten und Schlüssel zu seinem
Selbst; der »Unterhaltungsschriftsteller« sucht ein Publikum.
Beide Typen von Autoren sind dabei aber in gleicher
Weise selbstsüchtig. Darauf verwette ich meine Uhr
und Urkunde, denn mir sind von beiden reichlich über
den Weg gelaufen.
Wie dem auch sei, schon im Alter von neunzehn habe
ich die Geschichte von Frodo und seinen Bestrebungen,
den Einen Großen Ring loszuwerden, irgendwie immer
der zweiten Gruppe zugeschlagen. Sie handelte von den
Abenteuern einer im Grunde britischen Pilgerschar vor
dem verschwommenen Hintergrund nordischer Mythologie.
Mir gefiel die Vorstellung mit der abenteuerlichen
Suche - war sogar überaus angetan davon -, aber mich
interessierten weder Tolkiens unerschütterliche bäuerliche
Figuren (was nicht heißt, dass ich sie nicht mochte,
im Gegenteil) noch seine waldreichen altnordischen
Schauplätze. Sollte ich mich in dieser Richtung versuchen,
würde ich nur alles falsch machen.
Also wartete ich ab. 1970 war ich zweiundzwanzig,
schon zeigten sich die ersten grauen Bartsträhnen (wahr-
scheinlich hatte der Verbrauch von zweieinhalb Päckchen
Pall Mall am Tag irgendwie damit zu tun), aber
selbst noch mit zweiundzwanzig kann man sich das Abwarten
leisten. Mit zweiundzwanzig hat man noch alle
Zeit der Welt, obwohl der fiese Verkehrspolizist in der
Nachbarschaft schon Fragen stellt.
Eines Tages sah ich mir dann in einem fast leeren Kino
(dem Bijou in Bangor, Maine, wen's interessiert) einen
Film des Regisseurs Sergio Leone an. Er hieß Zwei glorreiche
Halunken, und bevor der Film noch zur Hälfte um
war, wurde mir klar, dass ich einen Roman schreiben
wollte, der zwar Tolkiens Gespür für abenteuerliches
Suchen und Magie nachvollzog, aber vor Leones fast
schon absurd majestätischen Westernhintergrund spielte.
Wenn man diesen exzentrischen Western nur im
Fernsehen gesehen hat, wird man kaum verstehen, worüber
ich rede - erflehe Eure Vergebung, aber es ist wahr.
Mit dem richtigen Panavision-Vorführgerät auf eine Kinoleinwand
projiziert, kann Zwei glorreiche Halunken es
als Filmepos mit Ben Hur aufnehmen. Clint Eastwood
erscheint ungefähr fünf Meter groß, wobei jede drahtig
vorsprießende Bartstoppel ungefähr vom Ausmaß eines
jungen Mammutbaums ist. Die Furchen, die Lee Van
Cleefs Mund umspielen, sind so tief wie Canyons, an deren
Sohle sich gut Schwachstellen (siehe Glas) befinden
könnten. Die Wüstenschauplätze scheinen sich mindestens
bis zur Umlaufbahn des Neptuns zu erstrecken. Und
die Läufe der Revolver wirken ungefähr so groß wie der
Holland Tunnel.
Mehr noch als nach dem Schauplatz verlangte es mich
nach jener epischen, apokalyptischen Größe. Dass Leone
einen Scheiß über amerikanische Geografie wusste (laut
einer der Figuren liegt Chicago irgendwo in der Nähe von
Phoenix, Arizona), trug nur noch zur Stimmung des
Films hinsichtlich einer herrlichen Verrückung des
Schauplatzes bei. Und in meinem ganzen Enthusiasmus -
von der Art, wie sie vermutlich nur ein junger Mensch
aufbieten kann - wollte ich nicht nur ein langes Buch
schreiben, sondern den längsten Unterhaltungsroman der
Geschichte. Das ist mir dann zwar nicht gelungen, aber
ich finde, es war ein anständiger Versuch: Die Bände eins
bis sieben von Der Dunkle Turm enthalten eigentlich eine
einzige Geschichte, und allein die vier ersten Bände der
amerikanischen Taschenbuchausgabe umfassen über
zweitausend Seiten. Die drei abschließenden Bände umfassen
im Manuskript weitere zweitausendfünfhundert
Seiten. Ich will hier nicht andeuten, dass Länge das Geringste
mit Qualität zu tun hat; ich möchte damit bloß sagen,
dass ich ein Epos hatte schreiben wollen, was mir in
mancher Hinsicht auch gelungen ist. Fragte man mich,
warum ich das tun wollte, müsste ich die Antwort schuldig
bleiben. Möglicherweise hat es teilweise damit zu tun,
dass ich in Amerika aufgewachsen bin: am höchsten bauen,
am tiefsten graben, am längsten schreiben. Und die
hilflose Verlegenheit, wenn die Frage nach der Motivation
aufkommt? Auch das ist wohl Teil davon, Amerikaner
zu sein. Zu guter Letzt bleibt uns nur die eine Antwort:
Damals kam mir das wie eine klasse Idee vor.
3
Eines der anderen Dinge, wenn man neunzehn ist,
wenn's beliebt: Es ist meiner Meinung nach das Alter, in
dem man irgendwie stecken bleibt (verstandes- und gefühlsmäßig,
wenn nicht gar körperlich). Die Jahre ziehen
vorüber, und eines Tages schaut man dann verwirrt in
den Spiegel. Warum sind da diese Falten im Gesicht?,
fragt man sich. Woher kommt diese dämliche Wampe?
Verdammt, ich bin erst neunzehn. Das ist zwar nicht gerade
die allerneuste Erkenntnis, was aber in keiner Weise
hilft, die Verblüffung zu lindern.
Die Zeit schmiert einem das Grau in den Bart, die Zeit
nimmt einem die Sprungkraft, während man ständig
denkt - du Dummerchen auch -, dass man alle Zeit der
Welt hat. Die Stimme der Logik weiß es zwar besser,
aber im Innersten wollen wir es einfach nicht glauben.
Wenn man Glück hat, hält einem jener Verkehrspolizist,
der einen wegen Geschwindigkeitsübertretung und überbordender
Lebensfreude vor sich zitiert hat, eine Prise
Riechsalz unter die Nase. Mehr oder weniger ist mir dergleichen
am Ende des 20. Jahrhunderts selbst widerfahren.
Er kam in Gestalt eines Plymouth-Vans, der mich in
meiner Heimatstadt in den Straßengraben stieß.
Etwa drei Jahre nach dem Unfall war ich anlässlich einer
Signierstunde zu meinem Buch Der Buick in einer
Filiale der Buchhandelskette Borders in Dearborn, Michigan.
Einer der Leser, der sich die Warteschlange vorgearbeitet
hatte, sagte dort zu mir, wie überaus er sich
freue, dass ich noch am Leben sei. (Ich bekomme das oft
zu hören, und es schlägt um Längen die Frage: »Warum
zum Teufel bist du nicht abgekratzt?«)
»Ich saß gerade mit einem guten Freund zusammen,
als wir gehört haben, dass Sie abgeschossen wurden«,
sagte er. »Mann, wir haben nur den Kopf geschüttelt und
gesagt, da geht er hin, der Turm, er kippt, er stürzt ein,
ach Scheiße, jetzt wird er ihn nie zu Ende bringen.«
Ein ähnlicher Gedanke war mir selbst schon gekommen
- der beunruhigende Gedanke, dass ich jetzt, wo ich
den Dunklen Turm in der kollektiven Phantasie von einer
Million Leser hochgezogen hatte, sozusagen der Verpflichtung
unterlag, ihn zu befestigen, solange die Leute
noch darüber lesen wollten. Das mochte noch fünf Jahre
der Fall sein, gut möglich aber auch fünfhundert, was
weiß ich. Fantasy-Geschichten, die schlechten wie die
guten (selbst in diesem Moment liest wahrscheinlich irgendwo
jemand gerade Varney der Vampir oder Der
Mönch), scheinen eine lange Lebensdauer zu haben. Roland
beschützt den Turm, indem er die drohende Gefahr
von den Balken, die den Turm stützen, fern zu halten versucht.
Ich musste den Turm beschützen, wie mir nach
meinem Unfall klar wurde, indem ich die Geschichte um
den Revolvermann fertig schrieb.
Während der großen Pausen zwischen dem Erscheinen
der ersten vier Erzählungen um den Dunklen Turm erhielt
ich hunderte Briefe mit dem Tenor »Pack deine Sachen,
das schlechte Gewissen geht auf Reisen«. Im Jahr
1998 (als ich mich sozusagen nach wie vor der Täuschung
hingab, im Grunde immer noch neunzehn zu sein) erhielt
ich einen solchen von »Großmama, 82 J., will nicht mit
meinen Sorgen aufdringlich sein, aber!! bin grad ziemlich
krank«. Sie erzählte mir, dass sie wahrscheinlich nur noch
ein Jahr zu leben habe (»14 Melanome, Krebs im ganzen
Körper«), und obwohl sie nicht erwarte, dass ich Rolands
Geschichte rechtzeitig fertig bekäme, wolle sie dennoch
anfragen, ob ich ihr nicht bitte (bitte) das Ende verraten
könne. Die Zeile, die mir am meisten zu Herzen ging (allerdings
nicht ganz so stark, dass ich mich sofort ans
Schreiben machte), war ihr Versprechen, es auch »keiner
einzigen Seele weiterzuerzählen«. Etwa ein Jahr später -
möglicherweise nach dem Unfall, der mich ins Krankenhaus
verfrachtete - öffnete meine Mitarbeiterin Marsha
DiFilippo den Brief eines Zeitgenossen, der entweder in
Texas oder Florida in der Todeszelle saß und im Wesentlichen
dasselbe wissen wollte: Wie geht die Geschichte
aus? (Er versprach, das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen,
was mir richtig Gänsehaut verschaffte.)
Ich hätte beiden gegeben, wonach sie verlangten - eine
Zusammenfassung von Rolands weiteren Abenteuern -,
wenn es mir möglich gewesen wäre, aber ach!, ich konnte
nicht. Ich hatte nicht die leiseste Idee, wie sich die Dinge
für den Revolvermann und seine Freunde entwickeln
würden. Um es herauszubekommen, muss ich es schreiben.
Es hatte zwar einmal eine Liste mit den Grundzügen
gegeben, aber die war inzwischen verloren gegangen.
(Vermutlich war sie sowieso Scheiße.) Alles was ich hatte,
waren ein paar Notizen (»Schripp und schrapp und
schrull, und schon ist das Körbchen voll«, lautet beispielsweise
eine, die gerade vor mir auf dem Schreibtisch
liegt). Im Juli 2001 fing ich dann endlich mit dem Schreiben
an. Inzwischen wusste ich, dass ich weder länger
neunzehn war noch gefeit vor jenen Leiden, die den Leib
heimsuchen konnten. Ich wusste, dass ich sechzig werden
würde, vielleicht sogar siebzig. Und ich wollte meine
Geschichte zu Ende gebracht haben, bevor der fiese Verkehrspolizist
ein letztes Mal kam. Ich verspürte nicht den
Drang, das gleiche Schicksal zu erleiden wie Chaucer mit
den Canterbury-Erzählungen oder Dickens mit dem Geheimnis
des Edwin Drood.
Das Ergebnis - zu Freude oder Leid - liegt nun vor,
o treue Leserschaft, ob man nun mit Band eins beginnen
oder sich auf Band fünf vorbereiten mag. Egal, was man
letztlich davon halten wird, die Geschichte von Roland ist
jetzt vollbracht. Ich hoffe, sie bereitet Freude.
Ich habe mich königlich amüsiert.
Stephen King
25. Januar 2003
XX
Vorwort
Das meiste, was Schriftsteller über ihre Arbeit schreiben,
ist Blödsinn, der auf Unkenntnis beruht.* Aus diesem
Grund sieht man auch nie ein Buch mit dem Titel Die
hundert größten Einleitungen der westlichen Zivilisation
oder Die beliebtesten Vorworte des amerikanischen Volkes.
Das ist natürlich ein persönliches Urteil, aber nachdem
ich inzwischen mindestens fünfzig Einleitungen und
Vorworte geschrieben habe - ganz zu schweigen von einem
ganzen Buch über die Kunst des Erzählens -, meine
ich, das Recht dazu zu haben. Und man darf mich ruhig
ernst nehmen, wenn ich behaupte, dass das eine der wenigen
Angelegenheiten ist, zu denen ich wirklich etwas zu
sagen habe.
Vor ein paar Jahren habe ich unter meiner Leserschaft
mit der Veröffentlichung einer überarbeiteten und erweiterten
Fassung meines Romans The Stand - Das letzte
Gefecht für etwas Furore gesorgt. Ich war dabei berechtigterweise
ziemlich nervös, weil The Stand doch
* Eine weitergehende Abhandlung über den Blödsinn-Faktor findet
sich in Das Leben und das Schreiben, München: Ullstein, 2000.
immer das beliebteste Buch bei meinen Lesern gewesen
war (was die leidenschaftlichsten »Stand-Fans« anlangt,
hätte ich wohl 1980 sterben können, ohne die Welt dadurch
zu einem merklich ärmeren Ort zu machen).
Wenn es eine Erzählung gibt, die in der Vorstellung
von King-Lesern mit The Stand wetteifert, ist es wahrscheinlich
die Geschichte von Roland Deschain und seiner
Suche nach dem Dunklen Turm. Und jetzt - verdammt!
- habe ich das Gleiche wieder getan.
Nur dass es nicht ganz das Gleiche ist. Aber ich will
verraten, was ich tatsächlich getan habe, und warum. Es
mag nicht für jedermann wichtig sein, aber für mich ist es
sehr wichtig, und deshalb soll dieses Vorwort die Ausnahme
(hoffentlich) zu Kings Blödsinnsgesetz sein. Zunächst
möchte ich daran erinnern, dass The Stand schwerwiegenden
Kürzungen unterlag, und zwar nicht aus Gründen
des Lektorats, sondern aus finanziellen. (Es gab auch
herstellerische Grenzen, aber darüber möchte ich mich
hier nicht auslassen.) Ich hatte Ende der Achtziger lediglich
überarbeitete Abschnitte des ursprünglichen Manuskripts
wieder eingesetzt. Ich habe das Werk zudem als
gesamtes durchgesehen, vor allem um der Aids-Epidemie
Rechnung zu tragen, die zwischen der Erstausgabe
von The Stand und der Veröffentlichung der überarbeiteten
Fassung acht oder neun Jahre später gerade aufblühte
(wenn dies das richtige Wort ist). Das Ergebnis war ein
Band, der 100 000 Wörter länger war als das Original.
Im Fall von Schwarz war der ursprüngliche Band eher
dünn, und das zusätzliche Material in der vorliegenden
Fassung beläuft sich auf lediglich 35 Seiten bei der amerikanischen
Ausgabe, was etwa neuntausend Wörtern
entspricht. Sollte man Schwarz bereits gelesen haben,
wird man hier nur zwei, drei völlig neue Szenen vorfinden.
Dunkler-Turm-Puristen (von denen es eine erstaunliche
Anzahl gibt, man sehe nur einmal im Internet nach)
werden es natürlich ein weiteres Mal lesen wollen, und
die meisten davon werden es vermutlich mit einer Mischung
aus Neugierde und Verärgerung tun. Ich kann das
nachfühlen, muss aber zugeben, dass ich mir weniger
Sorgen über sie gemacht habe als über die Leser, die Roland
und seinem Ka-Tet* zum ersten Mal begegnen.
Ungeachtet ihrer glühenden Anhänger, ist die Geschichte
des Turms unter meinen Lesern weitaus unbekannter
als The Stand. Bei Lesungen frage ich die Anwesenden
gelegentlich, ob sie schon einmal eines oder
mehrere meiner Bücher gelesen haben. Da sie alle den
Weg nicht gescheut haben - was manchmal den zusätzlichen
Ärger mit sich bringt, einen Babysitter zu finden,
und zusätzliche Kosten, um den alten Benzinfresser aufzutanken
-, ist es nicht sonderlich überraschend, dass die
meisten die Hand heben. Dann bitte ich diejenigen, die
Hand oben zu lassen, die eine oder mehrere der Geschichten
um den Dunklen Turm gelesen haben. Daraufhin
geht in allen Fällen mindestens die Hälfte der Hände
wieder runter.
Copyright © 1982, 2003 by Stephen King
Copyright © der gebundenen Ausgabe 2005 by
Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
ISBN 978-3-89480-393-3
http:/www.heyne.de
1967 hatte ich nicht die leiseste Vorstellung, wie meine
Geschichte aussehen würde, aber das machte mir nichts
aus: Ich war zuversichtlich, dass ich sie schon erkennen
würde, wenn sie mir über den Weg lief. Ich war neunzehn
und überheblich. Zweifellos überheblich genug, um
das Gefühl zu haben, noch ein Weilchen auf meine Muse
und mein Meisterwerk (das es mit Sicherheit werden
würde) warten zu können. Mit neunzehn, finde ich, hat
man alles Recht, überheblich zu sein; die Zeit hat gewöhnlich
noch nicht mit ihrer verstohlenen und niederträchtigen
Subtraktion begonnen. Sie nimmt einem das
Haar und die Sprungkraft, wie es in einem beliebten
Countrysong heißt, aber in Wahrheit nimmt sie einem
eine ganze Menge mehr als das. 1966/67 habe ich das
noch nicht gewusst, und wenn, dann wär's mir egal gewesen.
Ich konnte mir gerade noch vorstellen, vierzig zu
sein, aber fünfzig? Nein. Sechzig? Nie! Sechzig war völlig
ausgeschlossen. Mit neunzehn ist das eben so. Neunzehn
ist das Alter, in dem man sagt: Pass auf, Welt, ich rauche
TNT und trinke Dynamit, und wenn dir dein Leben lieb
ist, geh mir aus dem Weg - hier kommt Stevie.
Neunzehn ist ein selbstsüchtiges Alter, in dem man seine
Interessen fest umrissen sieht. Ich wollte hoch hinaus,
das war mir wichtig. Ich hatte jede Menge Ehrgeiz, das
war mir wichtig. Ich besaß eine Schreibmaschine, die ich
von einem Rattenloch zum nächsten schleppte, immer ein
Briefchen Dope in der Tasche und ein Lächeln im Gesicht.
Die Kompromisse des mittleren Alters waren in weiter
Ferne, die Würdelosigkeit des Greisenalters jenseits
des Horizonts. Wie der Protagonist in jenem Bob-Seger-
Song, der inzwischen in der Werbung für Trucks verwendet
wird, fühlte ich mich unendlich stark und unendlich
optimistisch; meine Taschen waren leer, aber ich hatte
den Kopf voller Dinge, die ich mitteilen wollte, und das
Herz voller Geschichten, die ich erzählen wollte. Klingt
heute abgedroschen, fühlte sich damals aber wunderbar
an. Richtig cool. Mehr als alles wollte ich hinter die Abwehr
der Leser gelangen, wollte sie aufmischen und einsacken,
um sie mit nichts als einer Geschichte für immer
zu verändern. Und ich spürte, dass ich dazu in der Lage
war. Ich spürte, dass ich dafür geradezu geschaffen war.
Wie eingebildet klingt das? Ganz schön oder nur ein
bisschen? So oder so, ich entschuldige mich für nichts.
Ich war neunzehn. Mein Bart wies nicht eine einzige
graue Strähne auf. Ich besaß drei Paar Jeans, ein Paar
Schuhe, die Vorstellung, dass mir die Welt zu Füßen lag;
und nichts, was die nächsten zwanzig Jahre passieren sollte,
konnte mich widerlegen. Schließlich, so um die neun-
unddreißig, fingen meine Sorgen an: Alkohol, Drogen,
ein Straßenunfall, der meine Gangart (unter anderem)
verändern sollte. Ich habe über diese Dinge bereits ausführlich
geschrieben und brauche mich hier nicht zu wiederholen.
Außerdem geht es Ihnen doch auch nicht anders,
oder? Irgendwann schickt einem die Welt einen
fiesen Verkehrspolizisten, der einen runterbremst, um einem
zu zeigen, wer das Sagen hat. Wer das hier liest, ist
seinem bestimmt schon begegnet (oder wird das tun);
mir ist das jedenfalls so gegangen, und dass es sich wiederholen
wird, ist so sicher wie nur was. Meine Adresse
hat er ja jetzt. Er ist ein übler Bursche, dieser »Bad Lieutenant
«, ein eingeschworener Gegner von Verfehlungen,
Patzern, Hochmut, Ambition, lauter Musik und aller
Dinge, die neunzehn sind.
Trotzdem halte ich es für ein tolles Alter. Vielleicht sogar
für das beste von allen. Rock and Roll die ganze
Nacht, und wenn die Musik verebbt und das Bier zur
Neige geht, kommen die Gedanken. Träumt man seine
großen Träume. Irgendwann kommt dann dieser fiese
Verkehrspolizist und stutzt einen zusammen, und wenn
man eh schon klein anfängt, na ja, dann stehen die Hosenbeine
sozusagen von allein da, sobald er mit einem
fertig ist. »Und jetzt zum nächsten Übeltäter!«, ruft er,
guckt in sein Vorladungsbüchlein und macht sich auf den
Weg. Ein bisschen Überheblichkeit (oder sogar große) ist
also gar nicht so schlecht, obwohl einem Muttern höchstwahrscheinlich
etwas anderes erzählt hat. Meine hat das.
Hochmut kommt vor dem Fall, Stephen, hat sie gesagt ...
und schließlich hat sich irgendwie herausgestellt - genau
in dem Alter, das 19 × 2 entspricht -, dass man zu guter
Letzt tatsächlich fällt. Oder in den Graben geschubst
wird. Wenn man neunzehn ist, können sie in den Bars
von einem einen Ausweis verlangen, um einem dann zu
bescheiden, man solle sich verpissen und seine erbärmliche
Erscheinung (und seinen noch erbärmlicheren
Arsch) wieder auf die Straße verpflanzen, aber keiner
kann einen Ausweis verlangen, wenn man sich hinsetzt,
um ein Bild zu malen, ein Gedicht zu schreiben oder eine
Geschichte zu erzählen, wirklich nicht; und solltet ihr Leser
noch sehr jung sein, dann lasst euch von Älteren mit
vermeintlich mehr Lebenserfahrung bloß nichts anderes
erzählen. Klar, ihr wart noch nicht in Paris. Auch seid ihr
noch nicht mit den Stieren durch Pamplona gerannt. Natürlich
seid ihr Nobodys, die vor drei Jahren noch nicht
einmal Achselhaare hatten - na und? Wenn man nicht
großspurig anfängt, wie will man es dann als Erwachsener
je schaffen, auf der Bahn zu bleiben? Gebt Gas, egal, wer
immer auch anderes erzählt, sage ich da nur. Setzt euch
hin und lasst es krachen.
2
Meiner Meinung nach gibt es zwei Typen von Romanautoren,
und das schließt die Art von Jungautor ein, die ich
1970 inzwischen selbst darstellte. Jene, die auf dem Weg
sind, sich der mehr literarischen beziehungsweise »erns-
teren« Seite dieser Sache zu widmen, prüfen jedwedes
Thema vor dem Hintergrund folgender Frage: Was könnte
das Schreiben einer solchen Geschichte für mich bedeuten?
Jene aber, deren Schicksal es ist (oder Ka,
wenn's beliebt), das Schreiben von Unterhaltungsromanen
nicht außer Acht zu lassen, neigen dazu, eine ganz
andere Frage zu stellen: Was könnte das Schreiben einer
solchen Geschichte für andere bedeuten? Der »ernste Romanautor
« sucht Antworten und Schlüssel zu seinem
Selbst; der »Unterhaltungsschriftsteller« sucht ein Publikum.
Beide Typen von Autoren sind dabei aber in gleicher
Weise selbstsüchtig. Darauf verwette ich meine Uhr
und Urkunde, denn mir sind von beiden reichlich über
den Weg gelaufen.
Wie dem auch sei, schon im Alter von neunzehn habe
ich die Geschichte von Frodo und seinen Bestrebungen,
den Einen Großen Ring loszuwerden, irgendwie immer
der zweiten Gruppe zugeschlagen. Sie handelte von den
Abenteuern einer im Grunde britischen Pilgerschar vor
dem verschwommenen Hintergrund nordischer Mythologie.
Mir gefiel die Vorstellung mit der abenteuerlichen
Suche - war sogar überaus angetan davon -, aber mich
interessierten weder Tolkiens unerschütterliche bäuerliche
Figuren (was nicht heißt, dass ich sie nicht mochte,
im Gegenteil) noch seine waldreichen altnordischen
Schauplätze. Sollte ich mich in dieser Richtung versuchen,
würde ich nur alles falsch machen.
Also wartete ich ab. 1970 war ich zweiundzwanzig,
schon zeigten sich die ersten grauen Bartsträhnen (wahr-
scheinlich hatte der Verbrauch von zweieinhalb Päckchen
Pall Mall am Tag irgendwie damit zu tun), aber
selbst noch mit zweiundzwanzig kann man sich das Abwarten
leisten. Mit zweiundzwanzig hat man noch alle
Zeit der Welt, obwohl der fiese Verkehrspolizist in der
Nachbarschaft schon Fragen stellt.
Eines Tages sah ich mir dann in einem fast leeren Kino
(dem Bijou in Bangor, Maine, wen's interessiert) einen
Film des Regisseurs Sergio Leone an. Er hieß Zwei glorreiche
Halunken, und bevor der Film noch zur Hälfte um
war, wurde mir klar, dass ich einen Roman schreiben
wollte, der zwar Tolkiens Gespür für abenteuerliches
Suchen und Magie nachvollzog, aber vor Leones fast
schon absurd majestätischen Westernhintergrund spielte.
Wenn man diesen exzentrischen Western nur im
Fernsehen gesehen hat, wird man kaum verstehen, worüber
ich rede - erflehe Eure Vergebung, aber es ist wahr.
Mit dem richtigen Panavision-Vorführgerät auf eine Kinoleinwand
projiziert, kann Zwei glorreiche Halunken es
als Filmepos mit Ben Hur aufnehmen. Clint Eastwood
erscheint ungefähr fünf Meter groß, wobei jede drahtig
vorsprießende Bartstoppel ungefähr vom Ausmaß eines
jungen Mammutbaums ist. Die Furchen, die Lee Van
Cleefs Mund umspielen, sind so tief wie Canyons, an deren
Sohle sich gut Schwachstellen (siehe Glas) befinden
könnten. Die Wüstenschauplätze scheinen sich mindestens
bis zur Umlaufbahn des Neptuns zu erstrecken. Und
die Läufe der Revolver wirken ungefähr so groß wie der
Holland Tunnel.
Mehr noch als nach dem Schauplatz verlangte es mich
nach jener epischen, apokalyptischen Größe. Dass Leone
einen Scheiß über amerikanische Geografie wusste (laut
einer der Figuren liegt Chicago irgendwo in der Nähe von
Phoenix, Arizona), trug nur noch zur Stimmung des
Films hinsichtlich einer herrlichen Verrückung des
Schauplatzes bei. Und in meinem ganzen Enthusiasmus -
von der Art, wie sie vermutlich nur ein junger Mensch
aufbieten kann - wollte ich nicht nur ein langes Buch
schreiben, sondern den längsten Unterhaltungsroman der
Geschichte. Das ist mir dann zwar nicht gelungen, aber
ich finde, es war ein anständiger Versuch: Die Bände eins
bis sieben von Der Dunkle Turm enthalten eigentlich eine
einzige Geschichte, und allein die vier ersten Bände der
amerikanischen Taschenbuchausgabe umfassen über
zweitausend Seiten. Die drei abschließenden Bände umfassen
im Manuskript weitere zweitausendfünfhundert
Seiten. Ich will hier nicht andeuten, dass Länge das Geringste
mit Qualität zu tun hat; ich möchte damit bloß sagen,
dass ich ein Epos hatte schreiben wollen, was mir in
mancher Hinsicht auch gelungen ist. Fragte man mich,
warum ich das tun wollte, müsste ich die Antwort schuldig
bleiben. Möglicherweise hat es teilweise damit zu tun,
dass ich in Amerika aufgewachsen bin: am höchsten bauen,
am tiefsten graben, am längsten schreiben. Und die
hilflose Verlegenheit, wenn die Frage nach der Motivation
aufkommt? Auch das ist wohl Teil davon, Amerikaner
zu sein. Zu guter Letzt bleibt uns nur die eine Antwort:
Damals kam mir das wie eine klasse Idee vor.
3
Eines der anderen Dinge, wenn man neunzehn ist,
wenn's beliebt: Es ist meiner Meinung nach das Alter, in
dem man irgendwie stecken bleibt (verstandes- und gefühlsmäßig,
wenn nicht gar körperlich). Die Jahre ziehen
vorüber, und eines Tages schaut man dann verwirrt in
den Spiegel. Warum sind da diese Falten im Gesicht?,
fragt man sich. Woher kommt diese dämliche Wampe?
Verdammt, ich bin erst neunzehn. Das ist zwar nicht gerade
die allerneuste Erkenntnis, was aber in keiner Weise
hilft, die Verblüffung zu lindern.
Die Zeit schmiert einem das Grau in den Bart, die Zeit
nimmt einem die Sprungkraft, während man ständig
denkt - du Dummerchen auch -, dass man alle Zeit der
Welt hat. Die Stimme der Logik weiß es zwar besser,
aber im Innersten wollen wir es einfach nicht glauben.
Wenn man Glück hat, hält einem jener Verkehrspolizist,
der einen wegen Geschwindigkeitsübertretung und überbordender
Lebensfreude vor sich zitiert hat, eine Prise
Riechsalz unter die Nase. Mehr oder weniger ist mir dergleichen
am Ende des 20. Jahrhunderts selbst widerfahren.
Er kam in Gestalt eines Plymouth-Vans, der mich in
meiner Heimatstadt in den Straßengraben stieß.
Etwa drei Jahre nach dem Unfall war ich anlässlich einer
Signierstunde zu meinem Buch Der Buick in einer
Filiale der Buchhandelskette Borders in Dearborn, Michigan.
Einer der Leser, der sich die Warteschlange vorgearbeitet
hatte, sagte dort zu mir, wie überaus er sich
freue, dass ich noch am Leben sei. (Ich bekomme das oft
zu hören, und es schlägt um Längen die Frage: »Warum
zum Teufel bist du nicht abgekratzt?«)
»Ich saß gerade mit einem guten Freund zusammen,
als wir gehört haben, dass Sie abgeschossen wurden«,
sagte er. »Mann, wir haben nur den Kopf geschüttelt und
gesagt, da geht er hin, der Turm, er kippt, er stürzt ein,
ach Scheiße, jetzt wird er ihn nie zu Ende bringen.«
Ein ähnlicher Gedanke war mir selbst schon gekommen
- der beunruhigende Gedanke, dass ich jetzt, wo ich
den Dunklen Turm in der kollektiven Phantasie von einer
Million Leser hochgezogen hatte, sozusagen der Verpflichtung
unterlag, ihn zu befestigen, solange die Leute
noch darüber lesen wollten. Das mochte noch fünf Jahre
der Fall sein, gut möglich aber auch fünfhundert, was
weiß ich. Fantasy-Geschichten, die schlechten wie die
guten (selbst in diesem Moment liest wahrscheinlich irgendwo
jemand gerade Varney der Vampir oder Der
Mönch), scheinen eine lange Lebensdauer zu haben. Roland
beschützt den Turm, indem er die drohende Gefahr
von den Balken, die den Turm stützen, fern zu halten versucht.
Ich musste den Turm beschützen, wie mir nach
meinem Unfall klar wurde, indem ich die Geschichte um
den Revolvermann fertig schrieb.
Während der großen Pausen zwischen dem Erscheinen
der ersten vier Erzählungen um den Dunklen Turm erhielt
ich hunderte Briefe mit dem Tenor »Pack deine Sachen,
das schlechte Gewissen geht auf Reisen«. Im Jahr
1998 (als ich mich sozusagen nach wie vor der Täuschung
hingab, im Grunde immer noch neunzehn zu sein) erhielt
ich einen solchen von »Großmama, 82 J., will nicht mit
meinen Sorgen aufdringlich sein, aber!! bin grad ziemlich
krank«. Sie erzählte mir, dass sie wahrscheinlich nur noch
ein Jahr zu leben habe (»14 Melanome, Krebs im ganzen
Körper«), und obwohl sie nicht erwarte, dass ich Rolands
Geschichte rechtzeitig fertig bekäme, wolle sie dennoch
anfragen, ob ich ihr nicht bitte (bitte) das Ende verraten
könne. Die Zeile, die mir am meisten zu Herzen ging (allerdings
nicht ganz so stark, dass ich mich sofort ans
Schreiben machte), war ihr Versprechen, es auch »keiner
einzigen Seele weiterzuerzählen«. Etwa ein Jahr später -
möglicherweise nach dem Unfall, der mich ins Krankenhaus
verfrachtete - öffnete meine Mitarbeiterin Marsha
DiFilippo den Brief eines Zeitgenossen, der entweder in
Texas oder Florida in der Todeszelle saß und im Wesentlichen
dasselbe wissen wollte: Wie geht die Geschichte
aus? (Er versprach, das Geheimnis mit ins Grab zu nehmen,
was mir richtig Gänsehaut verschaffte.)
Ich hätte beiden gegeben, wonach sie verlangten - eine
Zusammenfassung von Rolands weiteren Abenteuern -,
wenn es mir möglich gewesen wäre, aber ach!, ich konnte
nicht. Ich hatte nicht die leiseste Idee, wie sich die Dinge
für den Revolvermann und seine Freunde entwickeln
würden. Um es herauszubekommen, muss ich es schreiben.
Es hatte zwar einmal eine Liste mit den Grundzügen
gegeben, aber die war inzwischen verloren gegangen.
(Vermutlich war sie sowieso Scheiße.) Alles was ich hatte,
waren ein paar Notizen (»Schripp und schrapp und
schrull, und schon ist das Körbchen voll«, lautet beispielsweise
eine, die gerade vor mir auf dem Schreibtisch
liegt). Im Juli 2001 fing ich dann endlich mit dem Schreiben
an. Inzwischen wusste ich, dass ich weder länger
neunzehn war noch gefeit vor jenen Leiden, die den Leib
heimsuchen konnten. Ich wusste, dass ich sechzig werden
würde, vielleicht sogar siebzig. Und ich wollte meine
Geschichte zu Ende gebracht haben, bevor der fiese Verkehrspolizist
ein letztes Mal kam. Ich verspürte nicht den
Drang, das gleiche Schicksal zu erleiden wie Chaucer mit
den Canterbury-Erzählungen oder Dickens mit dem Geheimnis
des Edwin Drood.
Das Ergebnis - zu Freude oder Leid - liegt nun vor,
o treue Leserschaft, ob man nun mit Band eins beginnen
oder sich auf Band fünf vorbereiten mag. Egal, was man
letztlich davon halten wird, die Geschichte von Roland ist
jetzt vollbracht. Ich hoffe, sie bereitet Freude.
Ich habe mich königlich amüsiert.
Stephen King
25. Januar 2003
XX
Vorwort
Das meiste, was Schriftsteller über ihre Arbeit schreiben,
ist Blödsinn, der auf Unkenntnis beruht.* Aus diesem
Grund sieht man auch nie ein Buch mit dem Titel Die
hundert größten Einleitungen der westlichen Zivilisation
oder Die beliebtesten Vorworte des amerikanischen Volkes.
Das ist natürlich ein persönliches Urteil, aber nachdem
ich inzwischen mindestens fünfzig Einleitungen und
Vorworte geschrieben habe - ganz zu schweigen von einem
ganzen Buch über die Kunst des Erzählens -, meine
ich, das Recht dazu zu haben. Und man darf mich ruhig
ernst nehmen, wenn ich behaupte, dass das eine der wenigen
Angelegenheiten ist, zu denen ich wirklich etwas zu
sagen habe.
Vor ein paar Jahren habe ich unter meiner Leserschaft
mit der Veröffentlichung einer überarbeiteten und erweiterten
Fassung meines Romans The Stand - Das letzte
Gefecht für etwas Furore gesorgt. Ich war dabei berechtigterweise
ziemlich nervös, weil The Stand doch
* Eine weitergehende Abhandlung über den Blödsinn-Faktor findet
sich in Das Leben und das Schreiben, München: Ullstein, 2000.
immer das beliebteste Buch bei meinen Lesern gewesen
war (was die leidenschaftlichsten »Stand-Fans« anlangt,
hätte ich wohl 1980 sterben können, ohne die Welt dadurch
zu einem merklich ärmeren Ort zu machen).
Wenn es eine Erzählung gibt, die in der Vorstellung
von King-Lesern mit The Stand wetteifert, ist es wahrscheinlich
die Geschichte von Roland Deschain und seiner
Suche nach dem Dunklen Turm. Und jetzt - verdammt!
- habe ich das Gleiche wieder getan.
Nur dass es nicht ganz das Gleiche ist. Aber ich will
verraten, was ich tatsächlich getan habe, und warum. Es
mag nicht für jedermann wichtig sein, aber für mich ist es
sehr wichtig, und deshalb soll dieses Vorwort die Ausnahme
(hoffentlich) zu Kings Blödsinnsgesetz sein. Zunächst
möchte ich daran erinnern, dass The Stand schwerwiegenden
Kürzungen unterlag, und zwar nicht aus Gründen
des Lektorats, sondern aus finanziellen. (Es gab auch
herstellerische Grenzen, aber darüber möchte ich mich
hier nicht auslassen.) Ich hatte Ende der Achtziger lediglich
überarbeitete Abschnitte des ursprünglichen Manuskripts
wieder eingesetzt. Ich habe das Werk zudem als
gesamtes durchgesehen, vor allem um der Aids-Epidemie
Rechnung zu tragen, die zwischen der Erstausgabe
von The Stand und der Veröffentlichung der überarbeiteten
Fassung acht oder neun Jahre später gerade aufblühte
(wenn dies das richtige Wort ist). Das Ergebnis war ein
Band, der 100 000 Wörter länger war als das Original.
Im Fall von Schwarz war der ursprüngliche Band eher
dünn, und das zusätzliche Material in der vorliegenden
Fassung beläuft sich auf lediglich 35 Seiten bei der amerikanischen
Ausgabe, was etwa neuntausend Wörtern
entspricht. Sollte man Schwarz bereits gelesen haben,
wird man hier nur zwei, drei völlig neue Szenen vorfinden.
Dunkler-Turm-Puristen (von denen es eine erstaunliche
Anzahl gibt, man sehe nur einmal im Internet nach)
werden es natürlich ein weiteres Mal lesen wollen, und
die meisten davon werden es vermutlich mit einer Mischung
aus Neugierde und Verärgerung tun. Ich kann das
nachfühlen, muss aber zugeben, dass ich mir weniger
Sorgen über sie gemacht habe als über die Leser, die Roland
und seinem Ka-Tet* zum ersten Mal begegnen.
Ungeachtet ihrer glühenden Anhänger, ist die Geschichte
des Turms unter meinen Lesern weitaus unbekannter
als The Stand. Bei Lesungen frage ich die Anwesenden
gelegentlich, ob sie schon einmal eines oder
mehrere meiner Bücher gelesen haben. Da sie alle den
Weg nicht gescheut haben - was manchmal den zusätzlichen
Ärger mit sich bringt, einen Babysitter zu finden,
und zusätzliche Kosten, um den alten Benzinfresser aufzutanken
-, ist es nicht sonderlich überraschend, dass die
meisten die Hand heben. Dann bitte ich diejenigen, die
Hand oben zu lassen, die eine oder mehrere der Geschichten
um den Dunklen Turm gelesen haben. Daraufhin
geht in allen Fällen mindestens die Hälfte der Hände
wieder runter.
Copyright © 1982, 2003 by Stephen King
Copyright © der gebundenen Ausgabe 2005 by
Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
ISBN 978-3-89480-393-3
http:/www.heyne.de
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Autoren-Porträt von Stephen King
Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stephen King
- 2011, Deutsch
- Übersetzer: Joachim Körber
- Verlag: Penguin Random House
- ISBN-10: 3894803932
- ISBN-13: 9783894803933
- Erscheinungsdatum: 14.07.2011
Abhängig von Bildschirmgröße und eingestellter Schriftgröße kann die Seitenzahl auf Ihrem Lesegerät variieren.
eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
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- Ohne Kopierschutz
- Vorlesefunktion
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