Der Sarg von Prishtina (ePub)

Auch ein Sarg von Prishtina drängt in den kleinen Garten. Seit mehr als zwei Jahrzehnten taucht er dann und wann auf. Und ich schreibe und schreibe über ihn, um ihn los zu werden, finde aber nicht die richtigen Worte. Irgendetwas mache ich falsch. Und ich habe den Eindruck, dass ich deshalb keine Ruhe finde, weil mein Schreiben ihn nicht gut behandelt, jedenfalls nicht gut genug. Die Schrift hat uns misstrauisch gemacht, mehr als zu Beginn unserer Begegnung. Tagelang will ich nicht an ihn denken. Dann aber schon. Es ist erstaunlich, dass ich ihn auch nach so vielen Jahren nicht los werde. Er mich aber augenscheinlich auch nicht. So verbringen wir gemeinsame Augenblicke und Stunden miteinander. Ich auf dem Stuhl sitzend. Er auf der Erde liegend neben der alten Rose inmitten der Blumen des Gartens. Mir kam es vor, als ob der Sarg, nicht nur die Blicke der Stadt auf sich zog, sondern auch alles was es in ihr gab: ihre Straßen, ihre Gebäude, ihre Bäume, ihre Menschen. Alles was dem Sarg im Weg stand, verschlang er wie ein Zyklon. So kam es mir vor. Solange die Türen der Kirche sich nicht auftaten, starrten die Menschen auf die Mauern und unterhielten sich leise miteinander, so wie sie es bei einer Beerdigung immer getan hatten. Leise sprachen sie und warteten und warteten. Um sich abzulenken, sprachen sie über den Verlauf des Vormittags. Sie hofften, die Kirche würde diesem leeren Sarg Würde verleihen. Alles Zerstörerische würde abfallen. Für einen Augenblick. Für die Dauer der Beerdigung. Aber auch diese Zeit war nicht sicher. Denn, sobald der Sarg die Kirche verließ und die Gebete des Priesters hinter sich ließ, war das Zerstörerische wieder da. Verletzend und erbarmungslos ließ es den Atem stocken. Blitzschnell verwandelte es sich in ein Auge, in einen langen Arm ... ergriff die Menschen, wo sie waren und brach ihnen das Genick.