Die Robinsonin (PDF)
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Weibliche Robinsone, also Frauen in der Robinsonade, stellen zunächst eine Irritation dar. Robinson Crusoe kennt man als Mann und, philologisch betrachtet, als Modell der existenziellen Selbstbehauptung des neuzeitlichen Subjekts. Die Robinsonin gilt dagegen als Randerscheinung. Sie ist das >Andere< in einer dezidiert >männlichen< Gattung. Den Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes bildet die Beobachtung, dass neben den vorbildgetreuen Robinson-Bearbeitungen eine Vielzahl von Texten existiert, die aus dem Geschlechterschema des Defoe'schen Vorbilds ausbrechen und die Frau in die abendländische Kultur- und Menschheitsgenese zu integrieren versuchen. Der Entwicklung der Emanzipation der Frau entsprechend fällt der Fokus hierbei auf Texte des 20. Jahrhunderts. Im Spannungsfeld von literarischer Tradition und Innovation, von Kontinuität und Wandel, intertextueller Rückbezüglichkeit und eigenständiger Vorausprojektion verhandeln die vier zentralen Texte von Gerhart Hauptmann, Muriel Spark, Marlen Haushofer und John Michael Coetzee ein über Jahrhunderte angereichertes Identifikations- und Deutungsparadigma und tragen damit zu einer längst überfälligen Kanonrevision der Gattung Robinsonade bei.
8.1 Annäherung an den Untersuchungsgegenstand
»Es fällt mir schwer, beim Schreiben mein früheres und mein neues Ich auseinanderzuhalten, mein neues Ich, von dem ich nicht sicher bin, daß es nicht langsam von einem größeren Wir aufgesogen wird.«
Mit ihrem 1963 publizierten Roman Die Wand liefert die österreichische Schriftstellerin Marlen Haushofer einen Beitrag zur Gattung Robinsonade, der sich im hier vorliegenden Romankonvolut als der zukunftspessimistischste ausnimmt.684 Gezeichnet von der Atmosphäre des nuklearen Wettrüstens der 50er und 60er Jahre685 skizziert dieser »Untergangsroman[…]«686 ein mögliches Endzeitszenario der Menschheit.
Zur inhaltlichen Kulisse: Eines Morgens findet sich eine Frau, die mit einem befreundeten Ehepaar über die Feiertage in die Berge gefahren ist, als einzig Überlebende einer atomaren Katastrophe wieder. Sie selbst wird im Umkreis von wenigen hundert Metern durch eine ominöse, unzerbrechliche Glaswand von der Außenwelt abgeschnitten, hinter der das Leben vollends ausgelöscht zu sein scheint. Im Verlauf ihrer nicht ganz unwillkommenen Einsamkeit gelingt es ihr, mit Hilfe einer Handvoll Tiere, die das unerklärliche Ereignis ebenfalls überlebt haben, harter Arbeit und äußerster Selbstdisziplin am Leben zu bleiben.
Im Rahmen der hier überzeichneten Eingliederung in den Naturzusammenhang, die Robinson Crusoes Anpassungsprozess an die territoriale Fremdheit radikalisiert, wird die namenlos bleibende Ich-Erzählerin in eine archaische Lebensform zurückgeführt, die zwischenzeitlich bedrohlich entindividualisierende Züge annimmt.
Den menschheitsgeschichtlichen Kulturationsprozess nimmt Haushofer damit zurück und nivelliert
Diese brutale Bluttat des Mannes,687 und nicht etwa die Wanderscheinung, 688 wird der Frau zum Anlass, ihr Leben und ihre Gedanken schreibend zu sortieren. Den daraus hervorgegangenen »Bericht«689 hat der Leser vor Augen, wenn er an den gegenwärtigen Überlebensmühen der Ich-Erzählerin teilnimmt oder ihr in ihre Vergangenheit und Vorvergangenheit im vor-isolatorischen Leben folgt. Durch die Einzelisolation der Alpenfrau ersetzt Haushofer den homo masculus690 der Robinsonade also nicht nur partiell wie Hauptmann, Spark und Coetzee, sondern vollständig durch einen homo femininus.
- Autor: Celia Mewes
- 2011, 1. Auflage 2011, 326 Seiten, Deutsch
- Verlag: V&R unipress
- ISBN-10: 3862346676
- ISBN-13: 9783862346677
- Erscheinungsdatum: 19.01.2011
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