Das Böse und das Gute: 1 Die Tränen der Sidhe (ePub)

Cover:

Die Grundfarbe der Covers ist ein edles Dunkelgrün. Umgeben von zahlreichen weißen Perlen und verschnörkelten Blumenranken gibt ein rautenförmiges Fenster den Blick auf die See frei. Davor hebt sich der Titel in leichtem Goldton schlicht, aber kontrastreich ab. Mir gefällt auch, wie gut sich das Logo der Märchenspinnerei in den Rahmen fügt. Insgesamt ist das Cover wie seine Geschichte: zunächst unscheinbar, aber bei näherer Betrachtung wunderschön. Besonders angetan haben es mir die Rosen in den Ranken, denen eine Perle entspringt, da dieser Aspekt in der Geschichte eine wichtige Rolle einnimmt.


Meine Meinung:

„Am Ende aller Legenden findet sich die Spur der Wahrheit.“ (Die Tränen der Sidhe, Pos. 786)

Manchmal bedarf es nicht vieler Worte, um beim Leser eine Lawine an Gedanken und Gefühlen auszulösen. Die Novelle von Sylvia Rieß ist dafür ein zauberhaftes Exempel. Trotz ihrer Kürze erzählte sie mir aus der Perspektive eines scheinbar gefühlskalten Unternehmers eine Geschichte, die mich tief berührte und selbst Tage später noch beschäftigte. Zwar fiel mir der Einstieg zunächst etwas schwer, ist der Schreibstil wie sein Protagonist sachlich und distanziert. Doch im Grunde vermittelt die Autorin auf diese Weise hervorragend die Fassade, die Artur König für sich und die Außenwelt errichtet hat. Schutz sucht er dahinter nämlich nicht nur vor skrupellosen Klatschreportern, ihn plagen im Grunde noch ganz andere Dämonen. Das machte ihn für mich tatsächlich auch weniger unsympathisch als erwartet.

Die Handlung selbst greift viele zentrale Elemente des gimm’sche Märchens über die Gänsehirtin am Brunnen auf, ohne dabei ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Die Geschichte ist nämlich nicht nur eine Märcheninterpretation, sondern auch ein modernes Familiendrama. Ich war immer wieder erstaunt, wie gut man die inneren Konflikte der einzelnen Familienmitglieder nachempfinden konnte, obwohl nur ein beschränkter Einblick gewährt wird. Die Nebenfiguren allerdings, allen voran der Graf, blieben mir zu blass. Einen Hauch fantastisch wird es vor allem durch die Erweiterung um das magische Volk der Sidhe. Die Mysterien, die dadurch entstehen, verleihen der Geschichte eine ganz besondere Spannung, die ich sehr genossen habe. Wer sich jedoch eine Auflösung aller Rätsel wie auf dem Serviertablett erhofft, der wird feststellen, dass Manches für den Folgeband aus Perspektive der verschwundenen Tochter noch unaufgeklärt bleibt. Das wird sicher nicht jedem gefallen, da die Erzählung generell nur die Spitze des Eisbergs preisgibt. Ich persönlich mochte die Geschichte aber genau deswegen: Weil sie der Interpretation des Lesers auf diese Weise viel Raum lässt.


Fazit:

Minimaler Worteinsatz trifft auf maximalen Effekt. „Die Tränen der Sidhe“ ist eine Novelle voller Magie, Spannung und Gefühl, wenn man sich auf ihren andersartigen Stil einlässt. Ich vergebe vier Sterne.