Ethnische Gewissheiten / Bürgertum. Neue Folge (PDF)
Die Ordnung des Regionalen im bayerischen Schwaben vom Kaiserreich bis zum NS-Regime
Vom Kaiserreich bis in die NS-Zeit prägten kleinräumige Lebenswelten das Dasein. Für die Zeitgenossen war das alltägliche Handeln im kleinen Raum selbstverständlich. In einer sich wandelnden Welt stifteten die eigene Gemeinde, Stadt und Region Identität und...
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Produktinformationen zu „Ethnische Gewissheiten / Bürgertum. Neue Folge (PDF)“
Vom Kaiserreich bis in die NS-Zeit prägten kleinräumige Lebenswelten das Dasein. Für die Zeitgenossen war das alltägliche Handeln im kleinen Raum selbstverständlich. In einer sich wandelnden Welt stifteten die eigene Gemeinde, Stadt und Region Identität und Sinn. In welchem Verhältnis standen hierbei regionale Identität und andere identitäre Bezugssysteme, welche Ideen verbanden sich mit dem Entwurf des Regionalen und welchen Einfluss übte er auf Gesellschaft und Politik aus? Martina Steber verfolgt am Beispiel des bayerischen Schwaben die mentale Konstruktion des Regionalen und taxiert seine Funktion und Relevanz in eben jenem Zeitraum, in dem sich die Ambivalenz der Moderne so schillernd und grauenvoll zugleich zeigte.
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5. Bilanz (S. 483-484)Im gleichen Jahr als Siegfried Kracauer seine Überlegungen zu Räumen anstellte und über die Entzifferung der »Hieroglyphe« eines »Raumbildes« auf den »Grund der sozialen Wirklichkeit« vorzudringen suchte,1 beschloss der Kreistag von Schwaben und Neuburg die Installation eines »Kreisheimatpflegers«, der sich dem Raum Bayerisch-Schwaben ganz konkret annehmen sollte. Doch während sich Kracauer des konstruktiven Charakters von Räumen bewusst war, zeigten sich Politiker und erinnerungskulturell Engagierte im bayerischen Schwaben von der Essentialität der Region und des Regionalen überzeugt. Natur und Kultur wurden in dialektischer Bezogenheit als Einheit vorgestellt, in die der Einzelne organisch eingebunden und von der er unabänderlich geprägt sei.
Das Regionale entwickelte sich in den Jahren der Weimarer Republik zu einem umfassenden Ordnungsmodell, das Orientierung in der Krise zu geben versprach. Doch weder war diese Entwicklung ohne Voraussetzung, noch endete sie mit dem Jahr 1933: Sie war vielmehr Teil des ambivalenten Modernisierungsprozesses, der das Deutsche Reich von der Jahrhundertwende bis zum Ende des NS-Regimes erschütterte. Die Janusköpfigkeit der Moderne schrieb sich in das Regionale ein, genauso wie das Regionale der Moderne einen charakteristischen Zug verlieh.
Auf vier Ebenen hat die vorliegende Arbeit das Regionale in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfolgt und auf seine Funktion hin befragt. Die Ergebnisse sollen im Folgenden bilanziert werden. Das Regionale war – aus räumlich-deutungskultureller Perspektive – Teil eines komplexen Modells räumlicher Deutungskultur, das sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatte, sich mit identitären Mustern verband und das die Koordinaten auf der bayerisch-schwäbischen Mental Map setzte.
Zwar
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standen lokale, regionale, partikularstaatlich-bayerische und nationale Identität in einem latenten Konkurrenzverhältnis, doch die bayerisch-schwäbische »Landkarte im Kopf« zeichnete sich insbesondere durch die gegenseitige Durchdringung, Überlappung und Harmonisierung der einzelnen deutungskulturellen Komponenten aus. Besonders im Kaiserreich war sie nicht zuletzt durch eine zielgerichtete bayerische Geschichtspolitik weitgehend austariert. In der Waage konnten zwei unterschied liche Konzeptionen des Nationalen gehalten werden, die im bayerischen Staatsmodell beide ihren Platz fanden: die föderativ-staatliche auf der einen und die stammeskulturelle Grundlegung des Nationalen auf der anderen Seite.
Über beide schrieb sich das Königreich in den jungen Nationalstaat des deutschen Kaiserreichs ein. Allerdings führte die dynamische Kraft des neuen Nationalismus, die dieser seit der Jahrhundertwende entfaltete, im bayerischen Schwaben zu einer Aufwertung des Regionalen, das auf einem organischen Volksbegriff und auf der Gewissheit von der ethnischen – tribalistisch »schwäbischen« – Homogenität der Bevölkerung der Region basierte. Im selben Zuge aber verblasste zusehends der Glanz des bayerischen monarchisch-konstitutionellen Staates, der einzig die ökonomischen Erfolge der neubayerischen Gebiete im 19. Jahrhundert herausstellen, an das bayerische Staatsverständnis appellieren, auf die schützende Hand der Dynastie verweisen und die Bedeutung Bayerns im Reich hervorheben konnte.
Die Diskreditierung der Dynastien und des monarchischen Staates im Ersten Weltkrieg und ihr letztendlicher Sturz in der Revolution 1918/19, genauso wie die mentale Aufwertung des kleinen Raumes durch die Erfahrung des Krieges dynamisierte diese Verschiebung auf der Mental Map noch zusätzlich. Die allenthalben zu konstatierende Ethnisierung des Denkens seit 1918/19 speiste sich daher nicht allein aus den Prinzipien der Wilsonschen Friedenspolitik, sondern auch aus dem ethnisch definierten Regionalen.
Ein tribalistisch begründeter Ethnonationalismus stand im bayerischen Schwaben der Weimarer Republik auf festen Fundamenten und befeuerte regionalistische Forderungen, die von einem »Großschwaben« träumten und sich anti-bayerisch positionierten. Hier knüpften die bayerisch-schwäbischen Nationalsozialisten an und stellten ihren Kampf für die Existenz des Gaues Schwaben in diese Kontinuität, indem sie ihn mit eben solchen ethnonationalistischen Argumenten begründeten. Das »Dritte Reich« mochte aus dieser Perspektive wie die Erfüllung lang gehegter stammeskultureller Hoffnungen erscheinen. Das Bayerische wurde auf der nationalsozialistischen bayerisch-schwäbischen Mental Map getilgt. Nicht von ungefähr bevorzugten die Nationalsozialisten »Ostschwaben« als Regionsbezeichnung.
Über beide schrieb sich das Königreich in den jungen Nationalstaat des deutschen Kaiserreichs ein. Allerdings führte die dynamische Kraft des neuen Nationalismus, die dieser seit der Jahrhundertwende entfaltete, im bayerischen Schwaben zu einer Aufwertung des Regionalen, das auf einem organischen Volksbegriff und auf der Gewissheit von der ethnischen – tribalistisch »schwäbischen« – Homogenität der Bevölkerung der Region basierte. Im selben Zuge aber verblasste zusehends der Glanz des bayerischen monarchisch-konstitutionellen Staates, der einzig die ökonomischen Erfolge der neubayerischen Gebiete im 19. Jahrhundert herausstellen, an das bayerische Staatsverständnis appellieren, auf die schützende Hand der Dynastie verweisen und die Bedeutung Bayerns im Reich hervorheben konnte.
Die Diskreditierung der Dynastien und des monarchischen Staates im Ersten Weltkrieg und ihr letztendlicher Sturz in der Revolution 1918/19, genauso wie die mentale Aufwertung des kleinen Raumes durch die Erfahrung des Krieges dynamisierte diese Verschiebung auf der Mental Map noch zusätzlich. Die allenthalben zu konstatierende Ethnisierung des Denkens seit 1918/19 speiste sich daher nicht allein aus den Prinzipien der Wilsonschen Friedenspolitik, sondern auch aus dem ethnisch definierten Regionalen.
Ein tribalistisch begründeter Ethnonationalismus stand im bayerischen Schwaben der Weimarer Republik auf festen Fundamenten und befeuerte regionalistische Forderungen, die von einem »Großschwaben« träumten und sich anti-bayerisch positionierten. Hier knüpften die bayerisch-schwäbischen Nationalsozialisten an und stellten ihren Kampf für die Existenz des Gaues Schwaben in diese Kontinuität, indem sie ihn mit eben solchen ethnonationalistischen Argumenten begründeten. Das »Dritte Reich« mochte aus dieser Perspektive wie die Erfüllung lang gehegter stammeskultureller Hoffnungen erscheinen. Das Bayerische wurde auf der nationalsozialistischen bayerisch-schwäbischen Mental Map getilgt. Nicht von ungefähr bevorzugten die Nationalsozialisten »Ostschwaben« als Regionsbezeichnung.
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Autoren-Porträt von Martina Steber
PD Dr. Martina Steber ist stellvertretende Leiterin der Forschungsabteilung München am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin sowie Privatdozentin für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Martina Steber
- 2010, 1. Auflage, 638 Seiten, Deutsch
- Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
- ISBN-10: 3647368474
- ISBN-13: 9783647368474
- Erscheinungsdatum: 16.06.2010
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