Kinkerlitzchen (ePub)
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Immer fängt alles ganz harmlos an. Etwa wenn ein Mann sich kühl zu seinem berechnenden Alltagsglauben bekennt, dann aber vor Gott auf die Knie fällt und ihn um die Rettung seines Lebens bittet - er braucht ein neues Herz. Tatsächlich erhört Gott seine...
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Produktinformationen zu „Kinkerlitzchen (ePub)“
Immer fängt alles ganz harmlos an. Etwa wenn ein Mann sich kühl zu seinem berechnenden Alltagsglauben bekennt, dann aber vor Gott auf die Knie fällt und ihn um die Rettung seines Lebens bittet - er braucht ein neues Herz. Tatsächlich erhört Gott seine Bitte, und der ahnungslose Leser wird von der makabren Pointe niedergemäht: Gott sorgte dafür, dass eine junge Mutter von zwei Kindern sich totfuhr und der falsche Gottesanbeter ihr Herz mit der seltenen Blutgruppe erhielt.
Ein wenig erholen kann man sich bei der Geschichte des Berufspinklers, der beim Arbeitsamt um eine Anstellung nachsucht. Doch bereits bei den Ideen des alten Professors in der Irrenanstalt, der seinen Zuhörer davon zu überzeugen sucht, dass es die vornehme Aufgabe der heutigen Menschen ist, das Erdklima zu erwärmen und sich selbst zum Verschwinden zu bringen, ist wieder Vorsicht geboten.
Der Wahnwitz wird zur Methode, wenn die enttäuschte Sekretärin an ihrem geizigen Chef Rache nimmt oder wenn ein ängstlicher Erfinder beim Patentamt einen bombensicheren Schutz vor Flugzeugkatastrophen anbietet. Aber E.W.Heine hat auch Mörder aus dem Leichenschauhaus parat: Ein Architekt kehrt aus dem Reich der Toten zurück und richtet seine untreue Witwe und ihren Geliebten – zwei Tage nach seinem Tod.
Unterwegs auf der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn, die Heine äußerst fein changieren lässt, begegnet man außerdem einer perfekten Mörderin und einem gescheiterten Kommissar, einem Drogenkurier ohne Heroin im Gipsarm und einem Toningenieur, der narkotisierende Klänge erfand, um die Welt in einen sanften Dornröschenschlaf zu versetzen, leider dabei aber die Autoradios vergaß.
E. W. Heines Kille Kille Geschichten strotzen von nachtschwarzen Bosheiten und sarkastischen Pointen, ihr Horror überwältigt der Leser mit sanfter Leichtigkeit. Seine Themen sind uralt: Liebe und Hass, Eifersucht und alle Arten von Gier, dazu das unerschöpfliche Arsenal menschlicher Gemeinheiten. Denn unter der Oberfläche des Alltags lauern die Kräfte des Triebhaften und Irrationalen.
Ein wenig erholen kann man sich bei der Geschichte des Berufspinklers, der beim Arbeitsamt um eine Anstellung nachsucht. Doch bereits bei den Ideen des alten Professors in der Irrenanstalt, der seinen Zuhörer davon zu überzeugen sucht, dass es die vornehme Aufgabe der heutigen Menschen ist, das Erdklima zu erwärmen und sich selbst zum Verschwinden zu bringen, ist wieder Vorsicht geboten.
Der Wahnwitz wird zur Methode, wenn die enttäuschte Sekretärin an ihrem geizigen Chef Rache nimmt oder wenn ein ängstlicher Erfinder beim Patentamt einen bombensicheren Schutz vor Flugzeugkatastrophen anbietet. Aber E.W.Heine hat auch Mörder aus dem Leichenschauhaus parat: Ein Architekt kehrt aus dem Reich der Toten zurück und richtet seine untreue Witwe und ihren Geliebten – zwei Tage nach seinem Tod.
Unterwegs auf der Grenze zwischen Genie und Wahnsinn, die Heine äußerst fein changieren lässt, begegnet man außerdem einer perfekten Mörderin und einem gescheiterten Kommissar, einem Drogenkurier ohne Heroin im Gipsarm und einem Toningenieur, der narkotisierende Klänge erfand, um die Welt in einen sanften Dornröschenschlaf zu versetzen, leider dabei aber die Autoradios vergaß.
E. W. Heines Kille Kille Geschichten strotzen von nachtschwarzen Bosheiten und sarkastischen Pointen, ihr Horror überwältigt der Leser mit sanfter Leichtigkeit. Seine Themen sind uralt: Liebe und Hass, Eifersucht und alle Arten von Gier, dazu das unerschöpfliche Arsenal menschlicher Gemeinheiten. Denn unter der Oberfläche des Alltags lauern die Kräfte des Triebhaften und Irrationalen.
Lese-Probe zu „Kinkerlitzchen (ePub)“
Salto mortale Die Show wurde zum größten Erfolg der Fernsehgeschichte. Die Einschaltquoten waren so gigantisch, dass die anderen Sender ihren Betrieb hätten einstellen können. Wenn am Samstagnachmittag Salto mortale über die Bildschirme flimmerte, waren die Straßen wie leer gefegt. Gewiss, schon immer waren Gewinnspiele beliebt: »Einer wird gewinnen« oder »Wer wird Millionär?« Aber sie waren alle alberne Kinderspiele gegen den Salto mortale, den Todessprung. Jeder konnte mitmachen. Die Fernsehgesellschaft suchte unter den Bewerbern - es waren jedes Mal mehrere hundert - die geeigneten Mitspieler aus, drei Männer und zwei Frauen. Die Kriterien, nach denen dies geschah, waren schwer durchschaubar, aber dass dabei Jugend, Vitalität und ansprechendes Aussehen eine Rolle spielten, war offensichtlich. Die fünf Erwählten wurden schon Tage vor der Show von den Medien ausgiebig vorgestellt. Sie trafen sich am Freitagmorgen in einer eigens zu diesem Zweck erbauten Luxussuite mit allen Annehmlichkeiten eines Fünf-Sterne-Hotels. Dort am Pool, in der Sauna, beim Austernschlürfen, Schlummern oder Tanzen konnte sich jedermann davon überzeugen, was für Prachtexemplare der menschlichen Rasse hier zusammengekommen waren. Hunderte von versteckten Kameras übertrugen jede Lebensäußerung live und hautnah. Vier von ihnen würden morgen Multimillionäre sein, reich und von aller Welt beneidet. Aber einer von ihnen würde dafür mit seinem Leben bezahlen. Als Felix Feldbusch in seiner Morgenpost einen Brief vom Fernsehen fand, glaubte er zunächst, es handle sich um eine Absage. Wer von uns rechnet schon mit einem Gewinn, wenn er an einer Lotterie teilnimmt? Doch dann - nachdem er den Briefumschlag mit seinem Kaffeelöffel geöffnet hatte, las er, dass er auserwählt sei, am Salto mortale teilzunehmen, am zweiten Samstag im kommenden Monat. Er hastete zum Telefon, um seiner Freundin die Sensation mitzuteilen: »Ist das nicht fantastisch?« »Nein, tu das nicht. Du bist verrückt. Ich werde vor Angst
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sterben«, sagte Verena. »Bitte nicht.« »So schnell stirbt man nicht«, lachte er. »Am Wochenende wird mein Foto in allen Zeitungen zu sehen sein. Ich bin ein Star. Das müssen wir feiern, noch heute.« Am Abend aßen sie im besten Restaurant der Stadt alles, was gut und teuer war. Als Verena nach dem Dessert fragte: »Gehen wir zu mir oder zu dir?«, antwortete er mit weltmännischem Grinsen: »Weder noch.« Er ließ eine Taxe kommen und nannte den Namen eines Hotels, das er nur von außen kannte, weil er sich bisher dort nicht hineingetraut hatte. In einer Suite mit Doppelbadewanne in honigfarbenem Marmor vögelten sie sich die Seele aus dem Leib und bespritzten sich mit perlendem Champagner. »Du hast die Millionen noch nicht gewonnen«, warnte Verena. Felix erwiderte: »Wenn ich verliere, was bei einer Chance von eins zu vier nicht sehr wahrscheinlich ist, dann brauche ich die Kohle auf meinem Konto nicht mehr. Und wenn ich gewinne, reicht das für den Rest meines Lebens. Warum also rechnen!« Der große Tag rückte immer näher, und je näher er kam, desto mehr wich die erste Euphorie der bangen Frage: Was ist, wenn ich ? Es konnte auch sein Todesurteil sein, und er war noch jung, verdammt jung. Dennoch, wo sonst konnte man so schnell so viel Geld machen, unter so günstigen Chancen? Im Lotto oder in der Lotterie war die Wahrscheinlichkeit, solch einen Betrag zu gewinnen, praktisch gleich null. Beim Salto mortale zogen von fünf Teilnehmern vier den Hauptgewinn. Wo gab es dergleichen noch einmal? Und das Risiko? Mein Gott, wo gab es das nicht? Musste nicht jeder, der in ein Flugzeug stieg, damit rechnen, dass er nicht wiederkam? Die Menschen, die bei uns jedes Jahr auf der Straße tödlich verunglücken, sind so zahlreich wie die Bewohner einer ganzen Kleinstadt. Und trotzdem fahren sie alle Auto! Felix dachte an die Salto-mortale-Shows, die er schon gesehen hatte. Er hatte keine ausgelassen. Es war immer das Gleiche und dennoch immer wieder neu und erregend: Fünf junge aufgeregt-fröhliche Menschen, alle voller Optimismus. Und doch war einer von ihnen schon so gut wie tot, wenn sie das Flugzeug bestiegen, denn einer von ihnen trug auf seinem Rücken eine Fallschirmattrappe, die sich nicht öffnen würde. Die Kamera zeigte die fünf im Flugzeug, beim Absprung und sogar noch im Fallen. Sie trugen am Helm eine Kamera, die ihre Gesichter zeigte, vom Wind zur Fratze verzerrt, die Augen voller Angst. Wird der Schirm sich öffnen? Und hunderttausende daheim vor den Bildschirmen stellen sich die aufregende Frage: Ist der es? Oder ist es die junge Frau, die so tapfer versucht zu lächeln? Und dann als Höhepunkt der Spannung: das Gesicht desjenigen, der erkennen muss, dass er in wenigen Sekunden am Boden zerschmettert wird. Ein Gesicht, das du nie vergisst, mehrfach wiederholt, in Zeitlupe festgehalten. Welch ein realistisches Requiem, an Echtheit nicht zu überbieten! Der Tod live. Natürlich wurde der Aufschlag nicht gezeigt, konnte nicht gezeigt werden, da dabei auch die Kamera zerstört wurde. In der U-Bahn, mit der Felix morgens ins Büro fuhr, unterhielten sich zwei Frauen über einen Selbstmord, den die ältere der beiden aus nächster Nähe miterlebt hatte, unter der Eisenbahnbrücke im Westend. »Ich sage Ihnen«, erklärte sie der anderen. »Es hört sich an, wie wenn eine große Wassermelone aufschlägt: Platsch! Das Blut spritzt zehn Meter weit. Ekelhaft, einfach ekelhaft!« Wenige Tage vor dem Sprung wurden in einigen Tageszeitungen Wetten abgeschlossen, wen es wohl treffen würde. Felix nahm es als gutes Omen, dass er nicht genannt wurde. Die meisten tippten auf die beiden Frauen, denn in letzter Zeit hatte immer einer der männlichen Teilnehmer dran glauben müssen. Felix verdrängte seine Angst, wobei Verena ihm liebeskundig half. Da sie das Kleine Latinum gemacht hatte, wusste sie auch, dass Felix ins Deutsche übersetzt der Glückliche heißt. Nomen est omen. Sie küsste ihn, legte sich auf sein Bett und sagte: »Komm, mach mich felix!« So kam der Freitag ins Land. Felix wurde morgens von der Fernsehgesellschaft in einem schwarzen Rolls- Royce abgeholt, denn da wurde bereits gefilmt. Und von nun an geschah nichts mehr, ohne dass unzählige Augen auf ihn gerichtet waren. Wohin man auch blickte in der Fünf-Sterne-Big-Brother-Behausung, überall lauerten Kameras und Mikrofone. Nicht minder lästig war das eitle Gehabe seiner Mitbewerber, nicht der weiblichen, sondern der männlichen. Beide Burschen, ein Sportstudent und ein Jungmanager, benahmen sich so, als wären sie nicht beim Salto mortale, sondern bei einem Bodybuildingwettbewerb. Sie legten gleich nach ihrer Ankunft ihre Kleidung ab und verbrachten den restlichen Teil des Tages unter der Dusche, in der Sauna und am Pool, wo sie mit eingezogenen Bäuchen ihre Muskeln spielen ließen. Die eine der Frauen, eine Krankenschwester, las in einem Buch, legte Patiencen, vermutlich um sich zu beruhigen, denn sie wusste aus Erfahrung, wie viele Knochen sich ein Mensch zu brechen vermag. Die andere, ein auffallend raffiniertes Mädchen, beschäftigte sich mit ihren Fingernägeln und Fußnägeln, tuschte sich die Wimpern, bürstete ihr Haar und war ständig mit sich selbst beschäftigt. Auf ihren Beruf angesprochen, antwortete sie ohne Scheu: »Prostituierte, Specialist in demolishing of temporary erections.« Sie würdigte die Männer keines Blickes. Man sah es ihr an: Wer von Berufs wegen einen großen Teil des Tages in einer Würstchenbude verbringt, der kann nach Feierabend keine Würstchen mehr sehen. Paarbildungen - bei den Zuschauern sehr beliebt - fielen wohl aus, abgesehen von den beiden Schönlingen, die sich gegenseitig einölten und vertraulich auf die Schultern klopften. Nach dem Pflichtinterview mit Gottschalk junior zog sich Felix zurück, sofern man bei all den Kameras von Zurückziehen sprechen konnte. Der nächste Tag würde anstrengend werden. Vielleicht ist er dein letzter. Unsinn. Jetzt bloß nicht an so etwas denken. Bevor er sich die Bettdecke über den Kopf zog, schenkte er der Kamera über sich ein Lächeln. Er wusste, dass Verena ihn sah. Sie würde nach seiner Landung im Hotel auf ihn warten. So war es ausgemacht. Die honig-farbene Marmorbadewanne war ein würdiger Ort, um einen heimkehrenden Helden zu empfangen. Bei strahlendem Sonnenschein fuhren sie zum Flughafen, ein langer Konvoi mit Blaulicht, Presse- und Kamerawagen. Verena hockte mit klopfendem Herzen vor ihrem Fernsehgerät. Jetzt hatten sie das Flugfeld erreicht. Bei laufendem Propeller wurden die Kandidaten noch einmal vor der Cessna abgelichtet. Es war das letzte Foto, das sie alle fünf zeigte. Bei ihrer Rückkehr würde einer fehlen. Als das Flugzeug abhob, setzte im Fernsehen die Musik ein: der Anfang der Götterdämmerung. Eine Männerstimme sagte: »Wenn im alten Rom die Gladiatoren ihr Leben aufs Spiel setzten, lautete ihr letzter Gruß: Morituri te salutant, die bereit zum Sterben sind, grüßen dich.« Hier schaltete Verena ab. Ich hätte ihn daran hindern müssen, dachte sie. Aber hätte ich das geschafft? Die Tränen liefen ihr über die Wangen. Jetzt nur nicht schwach werden. Ein Blick auf die Armbanduhr. Sie musste sich beeilen. Der Sportstudent sprang als Erster. Im Abstand von zehn Sekunden folgten die Liebesdienerin, der Manager und die Krankenschwester. Felix ging als Letzter von Bord. Der Fahrtwind traf ihn wie ein Faustschlag. Und dann der freie Fall, ein Gefühl, das dir den Atem nimmt und die Gedärme umdreht. Wahnsinn!!! Unter ihm sprang der erste Fallschirm auf. Da, der zweite. Felix wurde so wild umhergewirbelt, dass er die anderen aus den Augen verlor. Wo blieb sein Schirm? Na, komm schon! Komm! Er stürzte der Erde entgegen wie ein Geschoss. In wenigen Atemzügen würde er dort unten aufschlagen. O Herr, hilf! Schon konnte er die Menschen auf dem Flugfeld deutlich erkennen. Sie winkten und riefen wild durcheinander, zeigten auf ihn. Nein, nein, schrie es in ihm. Nein! Rums, rissen die Leinen an ihm. Er blickte nach oben. Wie eine große Blüte entfaltete sich der farbige Stoff vor dem strahlend blauen Himmel. Ein Freudenschrei entrang sich seiner Brust. Puh, das war knapp. Wenig später hatte er Bodenkontakt. Der Wind warf ihn um. Da waren schon die Helfer bei ihm, befreiten ihn aus dem Wirrwarr der Leinen. Händeschütteln, Schulterklopfen. Ein Gruppenfoto. Die Krankenschwester fehlt. Kameras surrten. Vorgehaltene Mikrofone, Blitzlichtgewitter, Fragen über Fragen. Er fühlte sich wie eine Marionette. »Was ist Ihr größter Wunsch?« »Eine Taxe. Rufen Sie mir eine Taxe, bitte.« Endlich das Hotel. Er lief an den Liften vorbei, stürmte die Treppen empor, drei Stufen mit einem Schritt. Zimmer 11. Er stieß die Tür auf. Verena! Da stand sie in der honigfarbenen Marmorwanne, schaumgeboren wie die Venus von Milo. Er streifte sich die Kleider vom Leib, fühlte sich wie von den Toten auferstanden. Eine unbeschreibliche Lebensgier hatte ihn ergriffen. Er umschlang sie mit Armen, Beinen und Lippen. Freude, jubelnde Freude erfüllte ihn. Lust, nie gekannte Lust. Ein wilder Schrei Dann schlug er auf. Zerplatzt wie eine Wassermelone, sagten die Sanitäter, die seine sterblichen Überreste beiseite schafften. Das Urteil Bergbewohner gelten allgemein als schwerfällig, aber von unbeugsamem Gerechtigkeitssinn, wie die Mühlen Gottes, die ja bekanntlich auch langsam, aber gerecht arbeiten. Ein Berner Bergbauer stand vor seinem Richter, weil er in die Mühlen der Gerechtigkeit geraten war. Wie er da stand, der Franz Joseph Hinterhuber, breitbrüstig mit struppigem Bart und ledernen Kniehosen, sah er aus wie Wilhelm Tell. »Ist das dein Destilliergerät?«, wollte der Richter wissen. »Ja, das ist mein Schnapsbrenner«, sagte der Franz Joseph. »Du gibst es also zu.« »Was, zu?« »Dass es deiner ist.« »Ja natürlich. Ihr habt ihn doch aus meinem Keller geholt.« »Und warum hast du dann Einspruch gegen die Geldbuße erhoben?« »Weil ich keinen Obstler gebrannt habe.« »Und dieser Apparat aus deinem Keller?« »Er steht da nur so.« »Soso, er steht da nur so, ohne dass du ihn benutzt.« »So ist es.« »Sag mal, für wie dämlich hältst du uns eigentlich?« »Muss ich die Frage beantworten?«, fragte der Franz Joseph. »Nein, nein«, unterbrach ihn sein Verteidiger, der das Schlimmste befürchtete. »Hast du je von einem Bauern gehört, der sich eine Kuh in den Stall stellt, ohne sie zu melken?«, fragte der Richter. »Das ist doch was ganz anderes«, belehrte ihn der Franz Joseph, der nicht viel vom Strafrecht, aber umso mehr von Kühen verstand: »Eine Kuh muss gemolken werden, aber ein Apparat kann einfach so dastehen.« »Soso«, sagte der Richter. »Und seit wann steht der einfach so da in deinem Keller?« »Schon immer.« »Du gibst also zu, dass ihr auf eurem Hof schon seit Jahren schwarzbrennt?« »Ich habe nicht schwarzgebrannt.« »Selbst wenn wir dir Glauben schenken sollten, so bewahrt dich das nicht vor Strafe, denn allein der Besitz eines Gegenstandes zur Ausübung einer strafbaren Handlung gilt als Verstoß gegen das Gesetz. Kannst du mir folgen?« »Nein.« »Wenn du einen Apparat zum Geldscheinedrucken in deinem Keller hast, so reicht das für eine Verurteilung aus, egal ob du damit Geld fälschst oder nicht. Du hast den Apparat dazu!« Alles konnte der Franz Joseph ertragen, nur kein Unrecht. Die Zornesader schwoll ihm auf der Stirn an. Er ballte die Fäuste: »Euer Ehren, ich warne Euch, nehmt Eure Töchter vor mir in Acht!« Der Richter, Vater von zwei Teenagern, erbleichte: »Soll das eine Warnung sein? Drohst du mit Vergewaltigung?« »Nein, aber ich habe den Apparat dazu.« Männer sind ja so dämlich Edda von Samson, geborene Rita Riesenhuber, hatte nur die Grundschule von Gummersbach besucht, aber sie hatte früh erkannt, worauf es im Leben ankommt. Sie pflegte zu sagen: »Ein Mann, der es zu etwas bringen will, muss viele Schulen besuchen, muss sich quälen, muss Abitur machen, Examen bestehen, muss viele Jahre lang lernen, arbeiten, kämpfen. Eine Frau braucht in ihrem Leben nur einmal auf Draht zu sein, nämlich bei der Wahl ihres Ehemannes. Dieser eine Moment entscheidet darüber, ob sie einmal in einer Villa wohnt oder auf der fünften Etage, ob sie von einem Chauffeur zum Reiten gefahren wird oder von einem Busfahrer ins Büro.« Vom Reiten verstand sie was. Männer sind wie Pferde, pflegte sie zu sagen: Stark, leicht zu dressieren und vielseitig verwendbar: geduldige Arbeitstiere, heiße Deckhengste, Schlachtrösser, Rennpferde. Sie gehorchen auf Schenkeldruck und fressen dir aus der Hand. Sie tragen dich, wohin du willst. Es gibt nichts Besseres, um voranzukommen. Pferde sind geduldig, gutmütig, anhänglich, stark, pferdestark, aber dumm. Es gibt nichts Dümmeres. Mit anderen Worten: Pferde sind wie Männer. Edda von Samson verfügte über genügend emotionale Intelligenz, um diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen. Als Zweiundzwanzigjährige hatte sie sich einen doppelt so alten Zahnarzt geangelt, von dem sie nur drei Jahre später wieder geschieden wurde, unter Mitnahme seines adeligen Namens und einem nicht unbeträchtlichen Teil seines Vermögens. Auf einer Kreuzfahrt in der Karibik hatte sie ihren zweiten Gatten, einen Schweizer Immobilienmakler, kennen gelernt, dem sie das Ja-Wort gab und vier Millionen Franken nahm, als es zur Scheidung kam, aus unüberwindlicher Abneigung, wie es ihr Anwalt formuliert hatte. Eine dämliche Begründung, denn für Männer empfand sie grundsätzlich mehr Abneigung als Zuneigung. Nun ja, nicht für alle. Es gab auch andere, solche wie Götz, ein Künstlertyp, fast zehn Jahre jünger als sie, attraktiv, intelligent, einfühlsam, potent, sehr potent, so potent, dass sie die Dummheit begangen hatte, diesen Habenichts zu heiraten, aber natürlich so, dass er im Scheidungsfall keine Ansprüche stellen konnte. Sogar ein Kind hatte sie von ihm gewollt. Mein Gott, war ich dämlich! Ein Kind, ich. Was macht man mit einem Kind während eines Golfturniers? Und erst auf Reisen. Katzen konnte man ins Tierheim bringen. Aber ein Kind? Wo lässt man ein Kind? Nein, sie liebte ihr gepflegtes Haus, voller kostbarer Antiquitäten, den gepflegten Park. Bei der Vorstellung, dass hier Kinder herumtoben könnten, lief ihr ein Schauder über den Rücken. Ruhe und Schlaf waren Jungbrunnen ohnegleichen. Um einen Topmann für sich zu interessieren, musste man in Topform sein. Gab es ein besseres Verjüngungsmittel als Schlaf? Kein Wunder, dass sie Wecker hasste. Wecker waren pöbelhafte Geräte, dazu gemacht, um Arbeitstiere auf Trab zu bringen. Umso erschrockener war sie, als sie an jenem Morgen von dem Peitschenhieb eines Weckers aus dem Schlaf gerissen wurde. Wie ein Hagelsturm, der in ein blühendes Beet fährt, so zerhackte das stählerne Kreischen ihren wollüstigen Traum. Entsetzt riss sie die Augen auf, hielt sich die Ohren zu. Endlich begriff sie: Es war nicht das Rasseln eines Weckers. Es war die Türklingel.
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Autoren-Porträt von E.W. Heine
E.W. Heine, in Berlin geboren, arbeitete über ein Jahrzehnt als Architekt in Südafrika und mehrere Jahre in arabischen Ländern. Er ist ein Meister der kleinen Form satirisch-makaberer Miniaturen wie der großen Form des opulenten historischen Romans. Mit seiner Mittelalter-Trilogie erweckte er höchst erfolgreich eine Welt voller Geheimnisse, Sinnlichkeit und Tragik zum Leben. Heine lebt als freier Autor in der Nähe von Regensburg.
Bibliographische Angaben
- Autor: E.W. Heine
- 2002, Deutsch
- Verlag: C. Bertelsmann Verlag
- ISBN-10: 3894807040
- ISBN-13: 9783894807047
- Erscheinungsdatum: 01.05.2002
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