Lean In / Ullstein eBooks (ePub)
Frauen und der Wille zum Erfolg
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Lean in von Sheryl SandbergIm Sommer 2004 war ich mit meinem ersten Kind schwanger. Zu dieser Zeit arbeitete ich bei Google, wo ich für den globalen Onlinevertrieb verantwortlich war. Angefangen hatte ich dort dreieinhalb Jahre zuvor, als Google noch ein unbekanntes Start-up mit ein paar hundert Angestellten in einem heruntergekommenen Bürogebäude war. Während meiner ersten vier Monate dort wuchs das Unternehmen auf mehrere Tausend Mitarbeiter an und zog um auf ein Campus- Gelände mit zahlreichen Gebäuden.
Meine Schwangerschaft war nicht einfach. Die typische morgendliche Übelkeit, die häufig in den ersten drei Monaten auftritt, beeinträchtigte mich neun lange Monate jeden einzelnen Tag. Ich nahm gut dreißig Kilo zu. Meine Füße schwollen um zwei Schuhgrößen an und wurden zu seltsam geformten Dingern, die ich nur sehen konnte, wenn sie auf einem Couchtisch lagen. Ein besonders feinfühliger Ingenieur bei Google verkündete, dass das »Project Whale« (»Projekt Wal«) nach mir benannt sei.
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Nach einem sehr anstrengenden Morgen, an dem ich auf den Boden der Kloschüssel gestarrt hatte, musste ich mich für einen wichtigen Kundentermin sehr beeilen. Google wuchs so schnell, dass Parken ein Riesenproblem darstellte. Die einzig auffindbare Parklücke war ziemlich weit weg. Ich rannte quer über den Parkplatz, in Wahrheit watschelte ich nur etwas schneller als in meinem sonstigen, absurd langsamen Schwangeren-Schneckentempo. Dadurch verschlimmerte sich meine Übelkeit allerdings noch. Als ich beim Termin ankam, betete ich, dass wirklich nur Verkaufsargumente aus meinem Mund kommen würden. An diesem Abend erzählte ich meinem Mann Dave von meinen Problemen. Er meinte, Yahoo, wo er zu dem Zeitpunkt arbeitete, hätte Parkplätze für werdende Mütter am Eingang zu jedem Gebäude eingerichtet.
Am nächsten Tag marschierte - oder eher watschelte - ich in das Büro von Larry Page und Sergey Brin, den Gründern von Google. In Wirklichkeit war ihr »Büro« einfach nur ein großer Raum voller Spielsachen, allerhand Zeug und über den ganzen Boden verteilten Kleidern. Ich fand Sergey in einer Yoga-Stellung in einer Ecke vor und verkündete, wir brauchen Schwangerenparklätze, je eher desto besser. Er blickte zu mir hoch, war sofort einverstanden, und bemerkte, dass er darüber noch nie nachgedacht hatte.
Bis heute ist es mir peinlich, dass mir erst selber die Füße weh tun mussten, damit ich darauf kam, dass Schwangere reservierte Parkplätze brauchen. Hatte ich als eine der einflussreichsten Frauen bei Google nicht eine besondere Verantwortung, an solche Dinge zu denken? Doch ebenso wie Sergey war mir der Gedanke nie gekommen. Die anderen Schwangeren müssen still gelitten haben, weil sie nicht um eine Sonderbehandlung bitten wollten. Vielleicht fehlte ihnen auch das Selbstbewusstsein oder die richtige Position in der Hierarchie, um die Lösung dieses Problems zu fordern. Eine schwangere Frau an der Spitze - selbst eine, die wie ein Wal aussah - veränderte das.
Heute sind Frauen in den Vereinigten Staaten, in Europa und im Großteil der Welt besser dran als je zuvor. Wir profitieren von den Errungenschaften der Frauengenerationen vor uns. Frauen, die für Rechte kämpfen mussten, die wir heute für selbstverständlich halten. Anita Summers, die Mutter meines langjährigen Mentors Larry Summers, wurde 1947 von der Standard Oil Company als Wirtschaftswissenschaftlerin eingestellt. Als sie die Stelle annahm, sagte ihr neuer Chef zu ihr: »Ich bin so froh, dass Sie da sind. Ich denke, ich bekomme den gleichen Grips für weniger Geld.« Sie fühlte sich geschmeichelt. Genauso intelligent zu sein wie ein Mann war ein großes Kompliment. Dafür auch den gleichen Lohn zu verlangen wäre unvorstellbar für sie gewesen.
Noch dankbarer sind wir, wenn wir unser Leben mit dem anderer Frauen auf der ganzen Welt vergleichen. Noch immer gibt es Länder, die Frauen grundlegende Bürgerrechte verweigern. Weltweit werden ungefähr 4,4 Millionen Frauen und Mädchen zur Prostitution gezwungen.1 In Ländern wie Afghanistan und dem Sudan haben Mädchen keinen oder kaum Zugang zu Bildung, Ehefrauen gelten als Eigentum ihrer Männer und vergewaltigte Frauen werden oft verstoßen, weil sie Schande über die Familie gebracht haben. Manche Vergewaltigungsopfer kommen sogar ins Gefängnis, weil ihnen ein »Verbrechen gegen die Sittlichkeit« vorgeworfen wird.2 Dem völlig inakzeptablen Umgang mit Frauen in diesen Ländern sind wir um Jahrhunderte voraus.
Doch dass alles viel schlimmer sein könnte, sollte uns nicht davon abhalten, einiges verbessern zu wollen. Als die Suffragetten auf die Straße gingen, hatten sie die Vision einer Welt, in der Männer und Frauen wirklich gleichberechtigt sind. Ein Jahrhundert später liegen immer noch große Anstrengungen vor uns, wenn wir diese Vision Wirklichkeit werden lassen wollen.
Die ungeschminkte Wahrheit lautet: Männer regieren nach wie vor die Welt. Das bedeutet auch, bei Entscheidungen mit den größten Auswirkungen für uns alle, werden Frauen nicht in gleichem Maße gehört. Von 197 Staatsoberhäuptern sind nur 22 weiblich.3 Weltweit haben Frauen nur 20 Prozent aller Parlamentssitze inne.4 Bei den amerikanischen Wahlen im November 2012 haben mehr Frauen Sitze im Kongress gewonnen als je zuvor, ihr Anteil liegt nun bei 18 Prozent.5 In Europa sind jeweils ein Drittel aller Abgeordneten im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag Frauen.6 Keine dieser Zahlen kommt auch nur in die Nähe von 50 Prozent.
Der Prozentsatz von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft ist sogar noch geringer. In der Fortune-Rangliste der 500 umsatzstärksten Unternehmen sind magere 4 Prozent der Vorstandsvorsitzenden Frauen.7 In den Vereinigten Staaten sind ungefähr 14 Prozent der Topmanagerposten und 17 Prozent der Vorstandssitze mit Frauen besetzt. Diese Zahlen haben sich während des letzten Jahrzehnts kaum verändert.8 Für schwarze Frauen ist das Gefälle sogar noch größer; sie haben nur 4 Prozent der Topmanagerposten in Unternehmen, 3 Prozent der Vorstandssitze, und 5 Prozent der Abgeordnetenmandate inne.9 In Europa sind 15 Prozent aller Vorstandsmitglieder weiblich.10 In den zweihundert wichtigsten deutschen Unternehmen sind 13 Prozent der Sitze in Aufsichtsräten sowie 4 Prozent der Sitze in Vorständen mit Frauen besetzt und kein einziger Vorstandsvorsitzender ist weiblich.11
Ebenso schwerfällig ist der Fortschritt bei den Löhnen. Im Jahr 1970 verdienten amerikanische Frauen 59 Cents pro Dollar, den ein Mann bekam. Bis 2010 haben Frauen protestiert, gekämpft und sich die Finger wundgearbeitet, um diese Bezahlung zu erhöhen auf 77 Cents pro Dollar, den ein Mann verdient.12 Die Frauenrechtlerin Marlo Thomas bemerkte am Equal Pay Day 2011 dazu trocken: »Vierzig Jahre und achtzehn Cents. Ein Dutzend Eier ist um das Zehnfache teurer geworden.«13 In Europa bekommt eine Frau durchschnittlich 84 Cents pro Dollar, den ein Mann verdient.14 Innerhalb der Europäischen Union ist in Deutschland das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern am größten; eine Frau verdient gerade mal 79 Cents pro Dollar, den ein Mann bekommt.15
Ich habe diese entmutigenden Entwicklungen aus nächster Nähe mitbekommen. Das College schloss ich 1991 ab. 1995 beendete ich die Business School. Auf jedem meiner Einstiegsjobs nach der Universität hatte ich gleich viel männliche und weibliche Kollegen. Mir fiel zwar auf, dass die Führungspositionen fast ausschließlich mit Männern besetzt waren. Da glaubte ich allerdings noch, dass es an der historischen Diskriminierung gegen Frauen läge. Die sprichwörtliche gläserne Decke war ja in fast jeder Branche durchbrochen. Ich war überzeugt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis meine Generation sich den ihr zustehenden Anteil an Führungsposten nimmt. Doch mit jedem Jahr waren immer weniger meiner Kollegen weiblich. Immer öfter war ich die einzige Frau im Raum.
Die einzige Frau zu sein, führte zu ebenso unangenehmen wie aufschlussreichen Begebenheiten. Zwei Jahre nach meinem Einstieg als Geschäftsführerin bei Facebook verließ uns plötzlich unser Finanzvorstand und ich musste einspringen, um eine Finanzierungsrunde abzuschließen. Da ich meine berufliche Laufbahn mit Management und nicht mit Finanzen verbracht hatte, war das ganze Verfahren der Kapitalbeschaffung neu für mich und auch ein wenig furchteinflößend. Mein Team und ich flogen für das erste Verkaufsgespräch mit Private-Equity-Firmen nach New York. Unser erster Termin fand in einem Büro statt, wie man sie aus Filmen kennt, inklusive Aussicht auf Manhattan. Ich gab einen Überblick über unsere Geschäfte und beantwortete Fragen. So weit, so gut. Dann schlug jemand vor, ein paar Minuten Pause zu machen. Ich wandte mich an den Seniorpartner und fragte, wo die Damentoilette sei. Er starrte mich verständnislos an. Meine Frage hatte ihn komplett überfordert. »Wie lange sitzen Sie schon in diesem Büro?«, fragte ich. »Ein Jahr«, war die Antwort. »Bin ich die einzige Frau in diesem ganzen Jahr, die hier einen Geschäftsabschluss verhandelt hat?« - »Ich glaube ja«, sagte er und fügte hinzu, »oder vielleicht sind Sie die Einzige, die auf die Toilette musste.«
Mein Einstieg ins Berufsleben ist jetzt mehr als zwei Jahrzehnte her, und vieles ist noch genau wie damals. Es ist an der Zeit uns einzugestehen, dass unsere Revolution steckengeblieben ist.16 Das Versprechen von Gleichberechtigung ist nicht dasselbe wie tatsächlich existierende Gleichberechtigung.
In einer wahrhaft gleichberechtigten Welt würden Frauen die Hälfte aller Länder und Unternehmen führen und Männer die Hälfte aller Haushalte. Ich glaube, es wäre eine bessere Welt. Die Regeln der Ökonomie und viele Studien zu Diversität besagen, dass sich unsere kollektive Leistung verbessert, wenn wir die gesamten personellen Ressourcen und Talente ausschöpfen. Der legendäre Investor Warren Buffett hat einmal freimütig zugegeben, dass einer der Gründe für seinen herausragenden Erfolg ist, dass er lediglich mit der Hälfte der Bevölkerung konkurrieren musste. Die Warren Buffetts meiner Generation genießen diesen Vorteil größtenteils immer noch. Je mehr Leute am Rennen teilnehmen, desto mehr Rekorde werden gebrochen. Und das Erreichte kommt nicht nur einigen wenigen zugute, sondern uns allen.
Am Abend bevor Leymah Gbowee 2011 den Friedensnobelpreis für ihre führende Rolle bei den Frauenprotesten verliehen bekam, die zum Sturz des liberianischen Diktators führten, war sie bei mir zu Hause. Wir feierten die Veröffentlichung ihrer Autobiographie Wir sind die Macht, aber der Abend war dennoch düster. Jemand fragte sie, wie Amerikanerinnen den Frauen helfen können, die in Ländern wie Liberia schreckliche Dinge wie Massenvergewaltigungen im Krieg erleben mussten. Ihre Antwort bestand aus fünf einfachen Worten: »Mehr Frauen an die Macht.« Leymah und ich könnten nicht unterschiedlicherer Herkunft sein, und trotzdem sind wir beide zu der gleichen Schlussfolgerung gelangt: Die Umstände für alle Frauen werden sich verbessern, wenn es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, die mit starker und mächtiger Stimme ihren Bedürfnissen und Anliegen Ausdruck verleihen.17
Damit sind wir bei der naheliegenden Frage angelangt - wie? Wie werden wir die Barrieren einreißen, die verhindern, dass mehr Frauen an die Spitze gelangen? Frauen haben es im Berufsleben mit echten Hindernissen zu tun, einschließlich unverhohlenem und subtilem Sexismus, Diskriminierung und sexueller Belästigung. Zu wenig Arbeitgeber ermöglichen die Flexibilität und den Zugang zu Kinderbetreuung und Elternzeit, die nötig wären, um gleichzeitig Karriereziele zu verfolgen und Kinder aufzuziehen. Männer finden einfacher Mentoren und Förderer, die unbezahlbar für Karrierefortschritte sind. Hinzu kommt, dass sich Frauen in wesentlich höherem Maße beweisen müssen als Männer. Und das bilden wir uns nicht nur ein. Ein McKinsey-Bericht von 2011 belegt, dass Männer aufgrund ihres Potentials und Frauen aufgrund vergangener Erfolge befördert werden.18
Zusätzlich zu den äußeren, von der Gesellschaft errichteten Barrieren, werden Frauen durch Barrieren in ihrem Inneren behindert. Wir selbst bremsen uns in großen wie in kleinen Dingen aus, weil uns das Selbstbewusstsein fehlt, weil wir die Hand nicht heben, und weil wir uns zurücklehnen, wenn wir uns vorlehnen und uns reinhängen sollten. Wir verinnerlichen die negativen Botschaften, die wir unser ganzes Leben lang zu hören bekommen - die besagen, dass man als Frau nicht forsch und aggressiv und nicht mächtiger sein darf als ein Mann. Wir schrauben unsere eigenen Erwartungen an uns zurück. Wir übernehmen weiterhin den Großteil der Hausarbeit und der Kindererziehung. Wir gefährden unsere Karriereziele für Partner und Kinder, die es womöglich noch gar nicht gibt. Verglichen mit unseren männlichen Kollegen streben weniger von uns höhere Positionen an. Dies ist keine Liste mit Dingen, die nur andere Frauen betreffen. Ich selbst habe jeden Fehler auf dieser Liste begangen. Manchmal begehe ich sie noch heute.
Die inneren Barrieren einzureißen ist meiner Meinung nach von grundlegender Bedeutung, um Einfluss zu bekommen. Andere vertreten die Auffassung, dass Frauen nur dann an die Spitze gelangen können, wenn es keine institutionellen Barrieren mehr gibt. Das ist die alte Geschichte von der Henne und dem Ei. Die Henne: Wir Frauen werden dann die äußeren Barrieren beseitigen, wenn wir Führungspositionen erreicht haben. Wir werden in die Büros unserer Chefs marschieren und einfordern, was wir brauchen, einschließlich Parkplätze für Schwangere. Oder, noch besser, wir werden selbst Chefinnen und sehen zu, dass alle Frauen bekommen, was sie benötigen. Das Ei: Wir müssen zunächst die äußeren Barrieren abbauen, um überhaupt Frauen in diese Positionen zu bekommen. Beide Seiten haben recht. Wir sollten uns also nicht mit philosophischen Debatten aufhalten, was zuerst kommt. Stattdessen sollten wir uns darauf einigen, Schlachten an beiden Fronten zu schlagen. Beide sind gleich wichtig. Ich ermutige Frauen, sich mit der Henne zu beschäftigen, aber ich unterstütze auch voll und ganz diejenigen, die sich das Ei vornehmen möchten.
Die inneren Barrieren werden selten thematisiert und oft heruntergespielt. Mein Leben lang wurde mir immer wieder von Ungleichheit im Berufsleben erzählt und wie schwer es sein würde, Karriere zu machen und eine Familie zu haben. Dass ich mich womöglich selbst ausbremse, davon habe ich selten etwas gehört. Diese inneren Hürden haben deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient, auch weil wir hier selbst eingreifen können. Wir können die Hürden in unserem Inneren noch heute abbauen. Wir können jetzt sofort damit anfangen.
© der deutschsprachigen Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013
Nach einem sehr anstrengenden Morgen, an dem ich auf den Boden der Kloschüssel gestarrt hatte, musste ich mich für einen wichtigen Kundentermin sehr beeilen. Google wuchs so schnell, dass Parken ein Riesenproblem darstellte. Die einzig auffindbare Parklücke war ziemlich weit weg. Ich rannte quer über den Parkplatz, in Wahrheit watschelte ich nur etwas schneller als in meinem sonstigen, absurd langsamen Schwangeren-Schneckentempo. Dadurch verschlimmerte sich meine Übelkeit allerdings noch. Als ich beim Termin ankam, betete ich, dass wirklich nur Verkaufsargumente aus meinem Mund kommen würden. An diesem Abend erzählte ich meinem Mann Dave von meinen Problemen. Er meinte, Yahoo, wo er zu dem Zeitpunkt arbeitete, hätte Parkplätze für werdende Mütter am Eingang zu jedem Gebäude eingerichtet.
Am nächsten Tag marschierte - oder eher watschelte - ich in das Büro von Larry Page und Sergey Brin, den Gründern von Google. In Wirklichkeit war ihr »Büro« einfach nur ein großer Raum voller Spielsachen, allerhand Zeug und über den ganzen Boden verteilten Kleidern. Ich fand Sergey in einer Yoga-Stellung in einer Ecke vor und verkündete, wir brauchen Schwangerenparklätze, je eher desto besser. Er blickte zu mir hoch, war sofort einverstanden, und bemerkte, dass er darüber noch nie nachgedacht hatte.
Bis heute ist es mir peinlich, dass mir erst selber die Füße weh tun mussten, damit ich darauf kam, dass Schwangere reservierte Parkplätze brauchen. Hatte ich als eine der einflussreichsten Frauen bei Google nicht eine besondere Verantwortung, an solche Dinge zu denken? Doch ebenso wie Sergey war mir der Gedanke nie gekommen. Die anderen Schwangeren müssen still gelitten haben, weil sie nicht um eine Sonderbehandlung bitten wollten. Vielleicht fehlte ihnen auch das Selbstbewusstsein oder die richtige Position in der Hierarchie, um die Lösung dieses Problems zu fordern. Eine schwangere Frau an der Spitze - selbst eine, die wie ein Wal aussah - veränderte das.
Heute sind Frauen in den Vereinigten Staaten, in Europa und im Großteil der Welt besser dran als je zuvor. Wir profitieren von den Errungenschaften der Frauengenerationen vor uns. Frauen, die für Rechte kämpfen mussten, die wir heute für selbstverständlich halten. Anita Summers, die Mutter meines langjährigen Mentors Larry Summers, wurde 1947 von der Standard Oil Company als Wirtschaftswissenschaftlerin eingestellt. Als sie die Stelle annahm, sagte ihr neuer Chef zu ihr: »Ich bin so froh, dass Sie da sind. Ich denke, ich bekomme den gleichen Grips für weniger Geld.« Sie fühlte sich geschmeichelt. Genauso intelligent zu sein wie ein Mann war ein großes Kompliment. Dafür auch den gleichen Lohn zu verlangen wäre unvorstellbar für sie gewesen.
Noch dankbarer sind wir, wenn wir unser Leben mit dem anderer Frauen auf der ganzen Welt vergleichen. Noch immer gibt es Länder, die Frauen grundlegende Bürgerrechte verweigern. Weltweit werden ungefähr 4,4 Millionen Frauen und Mädchen zur Prostitution gezwungen.1 In Ländern wie Afghanistan und dem Sudan haben Mädchen keinen oder kaum Zugang zu Bildung, Ehefrauen gelten als Eigentum ihrer Männer und vergewaltigte Frauen werden oft verstoßen, weil sie Schande über die Familie gebracht haben. Manche Vergewaltigungsopfer kommen sogar ins Gefängnis, weil ihnen ein »Verbrechen gegen die Sittlichkeit« vorgeworfen wird.2 Dem völlig inakzeptablen Umgang mit Frauen in diesen Ländern sind wir um Jahrhunderte voraus.
Doch dass alles viel schlimmer sein könnte, sollte uns nicht davon abhalten, einiges verbessern zu wollen. Als die Suffragetten auf die Straße gingen, hatten sie die Vision einer Welt, in der Männer und Frauen wirklich gleichberechtigt sind. Ein Jahrhundert später liegen immer noch große Anstrengungen vor uns, wenn wir diese Vision Wirklichkeit werden lassen wollen.
Die ungeschminkte Wahrheit lautet: Männer regieren nach wie vor die Welt. Das bedeutet auch, bei Entscheidungen mit den größten Auswirkungen für uns alle, werden Frauen nicht in gleichem Maße gehört. Von 197 Staatsoberhäuptern sind nur 22 weiblich.3 Weltweit haben Frauen nur 20 Prozent aller Parlamentssitze inne.4 Bei den amerikanischen Wahlen im November 2012 haben mehr Frauen Sitze im Kongress gewonnen als je zuvor, ihr Anteil liegt nun bei 18 Prozent.5 In Europa sind jeweils ein Drittel aller Abgeordneten im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag Frauen.6 Keine dieser Zahlen kommt auch nur in die Nähe von 50 Prozent.
Der Prozentsatz von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft ist sogar noch geringer. In der Fortune-Rangliste der 500 umsatzstärksten Unternehmen sind magere 4 Prozent der Vorstandsvorsitzenden Frauen.7 In den Vereinigten Staaten sind ungefähr 14 Prozent der Topmanagerposten und 17 Prozent der Vorstandssitze mit Frauen besetzt. Diese Zahlen haben sich während des letzten Jahrzehnts kaum verändert.8 Für schwarze Frauen ist das Gefälle sogar noch größer; sie haben nur 4 Prozent der Topmanagerposten in Unternehmen, 3 Prozent der Vorstandssitze, und 5 Prozent der Abgeordnetenmandate inne.9 In Europa sind 15 Prozent aller Vorstandsmitglieder weiblich.10 In den zweihundert wichtigsten deutschen Unternehmen sind 13 Prozent der Sitze in Aufsichtsräten sowie 4 Prozent der Sitze in Vorständen mit Frauen besetzt und kein einziger Vorstandsvorsitzender ist weiblich.11
Ebenso schwerfällig ist der Fortschritt bei den Löhnen. Im Jahr 1970 verdienten amerikanische Frauen 59 Cents pro Dollar, den ein Mann bekam. Bis 2010 haben Frauen protestiert, gekämpft und sich die Finger wundgearbeitet, um diese Bezahlung zu erhöhen auf 77 Cents pro Dollar, den ein Mann verdient.12 Die Frauenrechtlerin Marlo Thomas bemerkte am Equal Pay Day 2011 dazu trocken: »Vierzig Jahre und achtzehn Cents. Ein Dutzend Eier ist um das Zehnfache teurer geworden.«13 In Europa bekommt eine Frau durchschnittlich 84 Cents pro Dollar, den ein Mann verdient.14 Innerhalb der Europäischen Union ist in Deutschland das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern am größten; eine Frau verdient gerade mal 79 Cents pro Dollar, den ein Mann bekommt.15
Ich habe diese entmutigenden Entwicklungen aus nächster Nähe mitbekommen. Das College schloss ich 1991 ab. 1995 beendete ich die Business School. Auf jedem meiner Einstiegsjobs nach der Universität hatte ich gleich viel männliche und weibliche Kollegen. Mir fiel zwar auf, dass die Führungspositionen fast ausschließlich mit Männern besetzt waren. Da glaubte ich allerdings noch, dass es an der historischen Diskriminierung gegen Frauen läge. Die sprichwörtliche gläserne Decke war ja in fast jeder Branche durchbrochen. Ich war überzeugt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis meine Generation sich den ihr zustehenden Anteil an Führungsposten nimmt. Doch mit jedem Jahr waren immer weniger meiner Kollegen weiblich. Immer öfter war ich die einzige Frau im Raum.
Die einzige Frau zu sein, führte zu ebenso unangenehmen wie aufschlussreichen Begebenheiten. Zwei Jahre nach meinem Einstieg als Geschäftsführerin bei Facebook verließ uns plötzlich unser Finanzvorstand und ich musste einspringen, um eine Finanzierungsrunde abzuschließen. Da ich meine berufliche Laufbahn mit Management und nicht mit Finanzen verbracht hatte, war das ganze Verfahren der Kapitalbeschaffung neu für mich und auch ein wenig furchteinflößend. Mein Team und ich flogen für das erste Verkaufsgespräch mit Private-Equity-Firmen nach New York. Unser erster Termin fand in einem Büro statt, wie man sie aus Filmen kennt, inklusive Aussicht auf Manhattan. Ich gab einen Überblick über unsere Geschäfte und beantwortete Fragen. So weit, so gut. Dann schlug jemand vor, ein paar Minuten Pause zu machen. Ich wandte mich an den Seniorpartner und fragte, wo die Damentoilette sei. Er starrte mich verständnislos an. Meine Frage hatte ihn komplett überfordert. »Wie lange sitzen Sie schon in diesem Büro?«, fragte ich. »Ein Jahr«, war die Antwort. »Bin ich die einzige Frau in diesem ganzen Jahr, die hier einen Geschäftsabschluss verhandelt hat?« - »Ich glaube ja«, sagte er und fügte hinzu, »oder vielleicht sind Sie die Einzige, die auf die Toilette musste.«
Mein Einstieg ins Berufsleben ist jetzt mehr als zwei Jahrzehnte her, und vieles ist noch genau wie damals. Es ist an der Zeit uns einzugestehen, dass unsere Revolution steckengeblieben ist.16 Das Versprechen von Gleichberechtigung ist nicht dasselbe wie tatsächlich existierende Gleichberechtigung.
In einer wahrhaft gleichberechtigten Welt würden Frauen die Hälfte aller Länder und Unternehmen führen und Männer die Hälfte aller Haushalte. Ich glaube, es wäre eine bessere Welt. Die Regeln der Ökonomie und viele Studien zu Diversität besagen, dass sich unsere kollektive Leistung verbessert, wenn wir die gesamten personellen Ressourcen und Talente ausschöpfen. Der legendäre Investor Warren Buffett hat einmal freimütig zugegeben, dass einer der Gründe für seinen herausragenden Erfolg ist, dass er lediglich mit der Hälfte der Bevölkerung konkurrieren musste. Die Warren Buffetts meiner Generation genießen diesen Vorteil größtenteils immer noch. Je mehr Leute am Rennen teilnehmen, desto mehr Rekorde werden gebrochen. Und das Erreichte kommt nicht nur einigen wenigen zugute, sondern uns allen.
Am Abend bevor Leymah Gbowee 2011 den Friedensnobelpreis für ihre führende Rolle bei den Frauenprotesten verliehen bekam, die zum Sturz des liberianischen Diktators führten, war sie bei mir zu Hause. Wir feierten die Veröffentlichung ihrer Autobiographie Wir sind die Macht, aber der Abend war dennoch düster. Jemand fragte sie, wie Amerikanerinnen den Frauen helfen können, die in Ländern wie Liberia schreckliche Dinge wie Massenvergewaltigungen im Krieg erleben mussten. Ihre Antwort bestand aus fünf einfachen Worten: »Mehr Frauen an die Macht.« Leymah und ich könnten nicht unterschiedlicherer Herkunft sein, und trotzdem sind wir beide zu der gleichen Schlussfolgerung gelangt: Die Umstände für alle Frauen werden sich verbessern, wenn es mehr Frauen in Führungspositionen gibt, die mit starker und mächtiger Stimme ihren Bedürfnissen und Anliegen Ausdruck verleihen.17
Damit sind wir bei der naheliegenden Frage angelangt - wie? Wie werden wir die Barrieren einreißen, die verhindern, dass mehr Frauen an die Spitze gelangen? Frauen haben es im Berufsleben mit echten Hindernissen zu tun, einschließlich unverhohlenem und subtilem Sexismus, Diskriminierung und sexueller Belästigung. Zu wenig Arbeitgeber ermöglichen die Flexibilität und den Zugang zu Kinderbetreuung und Elternzeit, die nötig wären, um gleichzeitig Karriereziele zu verfolgen und Kinder aufzuziehen. Männer finden einfacher Mentoren und Förderer, die unbezahlbar für Karrierefortschritte sind. Hinzu kommt, dass sich Frauen in wesentlich höherem Maße beweisen müssen als Männer. Und das bilden wir uns nicht nur ein. Ein McKinsey-Bericht von 2011 belegt, dass Männer aufgrund ihres Potentials und Frauen aufgrund vergangener Erfolge befördert werden.18
Zusätzlich zu den äußeren, von der Gesellschaft errichteten Barrieren, werden Frauen durch Barrieren in ihrem Inneren behindert. Wir selbst bremsen uns in großen wie in kleinen Dingen aus, weil uns das Selbstbewusstsein fehlt, weil wir die Hand nicht heben, und weil wir uns zurücklehnen, wenn wir uns vorlehnen und uns reinhängen sollten. Wir verinnerlichen die negativen Botschaften, die wir unser ganzes Leben lang zu hören bekommen - die besagen, dass man als Frau nicht forsch und aggressiv und nicht mächtiger sein darf als ein Mann. Wir schrauben unsere eigenen Erwartungen an uns zurück. Wir übernehmen weiterhin den Großteil der Hausarbeit und der Kindererziehung. Wir gefährden unsere Karriereziele für Partner und Kinder, die es womöglich noch gar nicht gibt. Verglichen mit unseren männlichen Kollegen streben weniger von uns höhere Positionen an. Dies ist keine Liste mit Dingen, die nur andere Frauen betreffen. Ich selbst habe jeden Fehler auf dieser Liste begangen. Manchmal begehe ich sie noch heute.
Die inneren Barrieren einzureißen ist meiner Meinung nach von grundlegender Bedeutung, um Einfluss zu bekommen. Andere vertreten die Auffassung, dass Frauen nur dann an die Spitze gelangen können, wenn es keine institutionellen Barrieren mehr gibt. Das ist die alte Geschichte von der Henne und dem Ei. Die Henne: Wir Frauen werden dann die äußeren Barrieren beseitigen, wenn wir Führungspositionen erreicht haben. Wir werden in die Büros unserer Chefs marschieren und einfordern, was wir brauchen, einschließlich Parkplätze für Schwangere. Oder, noch besser, wir werden selbst Chefinnen und sehen zu, dass alle Frauen bekommen, was sie benötigen. Das Ei: Wir müssen zunächst die äußeren Barrieren abbauen, um überhaupt Frauen in diese Positionen zu bekommen. Beide Seiten haben recht. Wir sollten uns also nicht mit philosophischen Debatten aufhalten, was zuerst kommt. Stattdessen sollten wir uns darauf einigen, Schlachten an beiden Fronten zu schlagen. Beide sind gleich wichtig. Ich ermutige Frauen, sich mit der Henne zu beschäftigen, aber ich unterstütze auch voll und ganz diejenigen, die sich das Ei vornehmen möchten.
Die inneren Barrieren werden selten thematisiert und oft heruntergespielt. Mein Leben lang wurde mir immer wieder von Ungleichheit im Berufsleben erzählt und wie schwer es sein würde, Karriere zu machen und eine Familie zu haben. Dass ich mich womöglich selbst ausbremse, davon habe ich selten etwas gehört. Diese inneren Hürden haben deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient, auch weil wir hier selbst eingreifen können. Wir können die Hürden in unserem Inneren noch heute abbauen. Wir können jetzt sofort damit anfangen.
© der deutschsprachigen Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2013
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Bibliographische Angaben
- Autor: Sheryl Sandberg
- 2013, 1. Auflage, 312 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Barbara Kunz
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 384370578X
- ISBN-13: 9783843705783
- Erscheinungsdatum: 30.03.2013
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eBook Informationen
- Dateiformat: ePub
- Größe: 1.34 MB
- Ohne Kopierschutz
Family Sharing
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